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Teil 1
Franco setzt auf Autarkie und scheitert

Unter Diktator Franco (1939–1975) lief in der Wirtschaft ohne den Staat nichts. Er bestimmte über Industrieproduktion und Investitionen, legte Agrarpreise, Rohstoffzuteilungsquoten und Löhne fest. Einen freien Markt gab es ebenso wenig wie einen offenen Welthandel – also keinerlei Import und Export. Franco setzte auf Autarkie.

Eine Folge dieser Politik waren Korruption, Schwarzmärkte, Fehlinvestitionen, bürokratische Verzögerungen und erhebliche Qualitätsmängel bei den industriellen Erzeugnissen. Die Produktivität war im europäischen Vergleich ziemlich niedrig und die Inflation hoch. Trauriges Ergebnis: Spanien gehörte während vieler Jahre zum Armenhaus Europas. Somit wurden wirtschaftliche und politische Reformen unumgänglich. Das Franco-Regime reagierte 1959 mit dem „Plan de Estabilización“.

Ein kleines Wirtschaftswunder

Der Stabilisierungsplan wurde mit Hilfe des IWF ausgearbeitet und führte erste Elemente des freien Marktes ein. Um den Export anzukurbeln, wurde die Peseta um über 40 Prozent abgewertet und Devisenfreiheit eingeführt. Als lukrative Einnahmequelle entdeckte Spanien den Tourismus. Nachdem die Importbeschränkungen gelockert wurden, begann das Regime, ausländische Investoren zu umwerben.

Von den Fesseln des Staates befreit, startete die spanische Wirtschaft langsam durch. Im Zeitraum von 1960 bis 1973 wurden jährliche Wachstumsraten von 7,4 Prozent erzielt. Dabei veränderte sich die Struktur der Wirtschaft: Der Anteil des Agrarsektors am BIP ging zurück, während die Anteile der Industrie und des Dienstleistungssektors zunahmen. Wachstums-Spitzenreiter waren die Kfz- und Chemieindustrie mit jährlichen Raten von 24 und 14 Prozent.

Diese Entwicklungen hatten weitreichende Auswirkungen auf die Beschäftigungsstruktur. Noch 1960 waren 42 Prozent der Beschäftigten in der Landwirtschaft tätig – 1973 waren es nur noch 24 Prozent. In der Industrie und im Baugewerbe wurde nur ein leichter Anstieg registriert. Die größten Zuwächse meldete der Dienstleistungssektor. Dessen Anteile stiegen zwischen 1960 und 1973 von 28 Prozent auf 43 Prozent.

Zu dieser Entwicklung trugen zwei Faktoren bei. Da war vor allem das starke Wachstum des ausländischen Tourismus, der neue, aber saisonal bedingte Arbeitsplätze schuf. Hinter der abnehmenden Beschäftigung im Agrarsektor standen Landflucht und Emigration. Betroffen waren 7 Millionen Menschen. Über 2 Millionen gingen als Gastarbeiter ins westeuropäische Ausland. Ihre Überweisungen waren ein willkommener Zufluss an Investitionsmitteln, denn die Transferleistungen stiegen von 58 Millionen Dollar im Jahr 1960 auf 3,4 Milliarden Dollar im Jahr 1975.

Spanien strebte nun auch eine Mitarbeit in internationalen Organisationen an. Ein Beitritt zu EG und EFTA war einer Diktatur nicht möglich, doch 1958 wurde das Land assoziiertes Mitglied der OECD und trat 1959 dem IWF und der Weltbank bei.

Die Ölkrise setzt Franco unter Druck

1974 war das „Spanische Wirtschaftswunder“ abrupt zu Ende. Drastische Ölpreissteigerungen und die zunehmende Wettbewerbsfähigkeit der Schwellenländer bei bestimmten Industrieprodukten wie Eisen- und Stahlerzeugung, Schiffbau, Textil- und Bekleidungsindustrie lösten eine scharfe Krise aus. Während der letzten eineinhalb Jahre des Franco-Regimes gingen die Wachstumsraten des Bruttoinlandprodukts (BIP) sowie die Industrieinvestitionen kräftig zurück. Das Handelsbilanzdefizit und die Verschuldung gegenüber dem Ausland nahmen zu und die Inflationsrate stieg auf über 33 Prozent.

Nur einer Minderheit spanischer Ökonomen („die Modernisierer“) war bewusst, daß die Struktur ihrer Wirtschaft den sich verändernden Bedingungen auf dem Weltmarkt nicht mehr angemessen war. Was tun? Die Modernisierer innerhalb des Franco-Regimes wollten die Wirtschaft verstärkt auf eine konsumfähige Nachfrage ausrichten. Das ging nicht ohne tiefgreifende Strukturveränderungen. Doch dazu war das autoritäre Regime nicht in der Lage.

Das nächste Problem waren die Regionen. Sie wollten dem Zentralstaat nicht mehr weiterhin ihre Reichtümer ohne Gegenleistung bereitstellen. Also forderten sie die Autonomie. Dabei standen Katalonien und das Baskenland an der Spitze.

Indessen hatte sich im Staatsapparat eine technokratische Fraktion des Opus Dei gebildet, die auf behutsame Veränderungen drängte. Eine „kontrollierte Öffnung“ sollte stabilisierende Wirkung haben, die herrschende Ordnung jedoch nicht in Frage stellen. Gesucht wurde die vermittelnde Instanz, die vom Militär wie den Rechtskonservativen gestützt wurde und zugleich die notwendigen Änderungen einleiten konnte. Man entschied sich für die konstitutionelle Monarchie.

Nach Francos Tod

Nachdem der Diktator im November 1975 gestorben war, lautete die entscheidende Frage: Wie können Gesellschaft und Wirtschaft stabilisiert werden? Zunächst fanden 1977 – nach 40 Jahren Diktatur – erstmals wieder demokratische Wahlen statt. Gewinner war die Union des Demokratischen Zentrums (UCD) unter ihrem Vorsitzenden Adolfo Suárez. Dessen Regierung arbeitete den so genannten Moncloa-Pakt aus. Danach sollten die Lohnerhöhungen im Jahr 1978 auf durchschnittlich 22 Prozent begrenzt werden. Ziel war es, die Inflationsrate von über 30 Prozent herunterzudrücken. Ein Teil der von den Unternehmern zu zahlenden Sozialabgaben sollte vom Staat übernommen, die Bodenspekulation durch scharfe Maßnahmen eingedämmt und die schon lange angekündigte Steuerreform zügig durchgeführt werden.

Schon wenige Monate nach Inkrafttreten des Paktes war die Inflationsrate um die Hälfte gesunken und auch das Zahlungsbilanzdefizit konnte reduziert werden. Die Wachstumsrate des BIP stieg auf 3 Prozent. Negativ: Die Arbeitslosigkeit blieb hoch und die Strukturreformen wurden kaum in Angriff genommen. Folge: 1979 kam es zu landesweiten Streiks.

Der achtjährige Leidensweg zur EG-Mitgliedschaft

Die EG war entschlossen, die junge spanische Demokratie so rasch wie möglich zu integrieren. Das Land sollte sich politisch weiterentwickeln und die Wirtschaft wettbewerbsfähig werden. Doch zum Leidwesen der Spanier dauerte es acht Jahre, bis der Beitrittsantrag von 1977 genehmigt wurde. Woran lag das? Gestritten wurde vor allem um Produktionskapazitäten im Agrar- und Industriesektor. Ein Stein des Anstoßes waren die überdimensionierten Stahlwerke, Werften, Textil- und Schuhproduzenten. Als viel zu groß wurden auch Teile der Landwirtschaft bewertet – hier insbesondere die Fischerei. Weil die spanischen Unternehmen nur geringe Löhne zahlten, befürchteten die etablierten EG-Konzerne eine zu starke Konkurrenz.

Vorbehalte erhoben vor allem Frankreich, Italien und Griechenland. Die Griechen hatten ihren Beitrittsantrag zur gleichen Zeit wie die Spanier gestellt, wurden jedoch bereits nach vier Jahren aufgenommen. Warum? Wirtschaftlich war dieses Land ein Zwerg. Konkurrenz mußte kein EG-Mitglied befürchten – im Gegenteil, da eröffnete sich ein kleiner, aber leicht zu erobernder neuer Markt. Hinzu kam die strategisch wichtige geografische Lage an der Ostflanke der NATO. Die Griechen wollten Nettoempfänger werden. Doch wegen des Beitritts der Spanier gingen sie davon aus, daß die EG-Hilfssumme reduziert werden könnte. Erst nach zähen Verhandlungen gab Spanien nach und akzeptierte den Abbau seiner Kapazitäten. Zum Ausgleich wurde eine Aufstockung der EG-Regional- und Strukturfonds beschlossen – das stellte auch die Griechen ruhig.

Die Wirtschaftspolitik der Regierung Gonzalez

Wie Reagan in den USA und Thatcher in England entschied sich die Regierung Gonzalez für eine angebotsorientierte Wirtschaftspolitik. So wurden nach Jahrzehnten des Staatsinterventionismus 1982 die ersten Betriebe privatisiert, 1984 folgten Privatisierungen in der Nahrungs-, Textil-, Chemie-, Strom- und Autoindustrie. Parallel dazu wurde ein staatliches Programm zur „Rekonversion“ der Industrie aufgelegt.

Das INI-Krankenhaus für schwache Unternehmen

Eine bedeutende Rolle spielte dabei das Instituto Nacional de Industria (INI). Diese Holding-Gesellschaft wurde 1941 durch Gesetz vom Franco-Regime als Schaltstelle der Autarkiepolitik gegründet. Seine Aufgabe war laut Artikel 1: „Im Dienste der Nation die Schaffung und Wiederbelebung unserer Industrien voranzutreiben und zu finanzieren.“

Das INI unterstand dem Staats- und Regierungschef Franco direkt und finanzierte sich in der Anfangsphase hauptsächlich durch die Emission staatlicher Anleihen. Das INI wurde häufig dann eingesetzt, wenn private Unternehmen keine zufriedenstellenden Ergebnisse erzielten bzw. private Unternehmen kein Interesse an einer Zusammenarbeit mit dem Staat hatten. So wurde das INI zu einem „Krankenhaus“ für Unternehmen, die dem internationalen Wettbewerb nicht gewachsen waren. Zwar sollten sie vom INI-Management saniert werden, doch dies misslang in der Regel. Folge: Die Zahl unrentabler Unternehmen nahm zu und verschlechterte die finanzielle Situation sowie die Gesamtrentabilität des INI.

Anfang der 1970er Jahre unternahm ein neues Management den Versuch, den planlos gewachsenen Konzern durch eine Umstrukturierung auf Vordermann zu bringen. Dazu wurde eine neue Struktur mit fünf Sparten geschaffen:

1 Stahl, Metallurgie und Bergbau

2 Erdölraffinerie, Petrochemie, Erdgas und Elektrizität

3 Chemie, Nahrungsmittel und andere Unternehmen erster Verarbeitung

4 weiterverarbeitende Unternehmen (unter anderem Kraftfahrzeugbau)

5 Dienstleistungen und Luftfahrt.

Daraus wird deutlich, wie groß der Einfluss der INI-Holding in der spanischen Wirtschaft war. Per 31. Dezember 1985 beschäftigten die 63 Unternehmen, an denen das INI die Mehrheit hielt, 187.000 Mitarbeiter (Seat nicht eingeschlossen). 1987 setzte es 1.573 Milliarden Peseten (damals etwa 22,8 Milliarden Mark) um.

Die Ölkrise und die Folgen

Die Ölkrisen von 1973 und 1979 deckten – neben den schon oben genannten Punkten – zwei weitere Schwachpunkte der Wirtschaftsstruktur des Landes schonungslos auf. Erstens: Spanien konnte nur 30 Prozent seines Gesamtverbrauchs an Energie aus inländischen Quellen decken – der Hauptteil mußte zu steigenden Preisen importiert werden. Zweitens: Der Energieverbrauch konnte wegen des Übergewichts energieintensiver Industrien nur langsam gedrosselt werden.

Wo lagen die Ursachen? Die spanische Industrie war seit 1960 in technologisch ausgereiften und energieintensiven Sektoren wie Schiffbau, Eisen- und Stahlerzeugung und Bergbau engagiert. Hinzu kamen arbeitsintensive Branchen wie die Textil- und Schuhindustrie, deren Standortvorteile aufgrund steigender Energie- und Lohnkosten durch den Einstieg asiatischer Konkurrenten verloren gingen. In all diesen Branchen gerieten die Unternehmen in finanzielle Schwierigkeiten.

Zwar übernahm das INI stark gefährdete private Unternehmen und versuchte, den operativen Betrieb und Arbeitsplätze zu erhalten, um sie später zu reprivatisieren. Dies war in Zeiten der Wirtschaftskrise jedoch nicht realisierbar. Somit verschlechterte sich die finanzielle Lage der Staatsholding zunehmend. Dazu trugen auch die Lohnkosten bei – sie stiegen in dieser Phase im INI stärker als im nationalen Durchschnitt. Der Grund: In Spanien waren Lohnsteigerungen direkt an die Inflationsrate gekoppelt, die sich wiederum als Folge von Lohnsteigerungen erhöhte.

Wegen des angestrebten EG-Beitritts setzte sich die Regierung Gonzalez das Ziel, die rentablen Staatsunternehmen nach und nach zu privatisieren und damit den direkten Einfluss des Staates in der Wirtschaft zu reduzieren. Unternehmen, die nicht mehr in das Portfolio passten, darunter Notverstaatlichungen der 1970er Jahre, wurden verkauft.

Die aufsehenerregendste Privatisierung dieser Phase war jene von Seat, das 1986 an VW verkauft wurde. Einige als nicht sanierbar eingestufte Unternehmen wurden geschlossen. Seit 1986 machte INI erstmals seit Mitte der 1970er Jahre keine Verluste mehr. 1992 wurden diejenigen INI-Unternehmen, für deren Branchen das Gemeinschaftsrecht der EG eine Deregulierung und Privatisierung vorsah und deren eigenständiges wirtschaftliches Überleben gesichert war, in der neuen staatseigenen Unternehmensgruppe TENEO S.A. ausgegliedert. Im Gegensatz zum INI, bei dem die noch in Restrukturierung befindlichen und nicht privatisierbaren Unternehmen verblieben, war TENEO vom spanischen Staatshaushalt unabhängig.

1995 wurden durch das Königliche Dekret-Gesetz 5/1995, das durch das Gesetz 5/1996 ausformuliert wurde, zwei weitere staatliche Institutionen geschaffen, die Agencia Industrial del Estado (AIE, zu dt. „Staats-Industrieagentur“) und die Sociedad Estatal de Participaciones industriales (SEPI, dt. „Staatsgesellschaft für Industriebeteiligungen“). INI und TENEO wurden aufgelöst.

SEPI umfasste die ehemals zu TENEO gehörenden Unternehmen und die staatlichen Beteiligungen im Kohlenwasserstoffsektor (an Repsol, Enagas und Gas Natural), die zuvor das INH verwaltet hatte. Die zuletzt zum INI gehörenden Unternehmen wechselten in die AIE, die 1997 von der Regierung Aznar aufgelöst wurde. Die in den 1980er Jahren begonnene Privatisierungspolitik setzte sich in den 1990er Jahren fort. Die in Staatshand verbliebenen Beteiligungen verwaltet das SEPI noch heute.

Die Auswirkungen waren an den geringen Wachstumsraten ablesbar. Im Durchschnitt lagen die BIP-Zuwachsraten bei 1,8 Prozent (1975–1980) und 1,4 Prozent (1980–1985). Das spanische BIP pro Kopf nahm sogar von 55 Prozent (1974) auf 50 Prozent (1985) des EG-Niveaus ab. Von einer „Aufholjagd Spaniens“ konnte keine Rede mehr sein. Es kam noch schlimmer: Wegen der teuren Importe stieg bis 1977 die Inflationsrate auf 25 Prozent jährlich. Sie nahm in den Folgejahren zwar ab, lag aber stets über dem EG-Niveau.

Mittlerweile zweifelten auch die ausländischen Investoren, ob Spanien auf dem richtigen Weg war. Von 1975 bis 1984, mit der Ausnahme von 1980, gingen die gesamten Investitionen zurück.

Die Spanier und der EG-Beitritt

Wie beurteilten die spanische Elite und die Bevölkerung ihre Zukunft in der EG? Es gab keineswegs nur Zustimmung. Pedro Solbes etwa, damals Staatssekretär für die Beziehungen mit der EG, war überzeugt: „1986 wird ein schwieriges Jahr. Angst wäre ein zu starkes Wort. Aber besorgt bin ich schon.“ Woher kam die Skepsis?

Erstens: Mit dem EG-Eintritt mußte Spanien die Mehrwertsteuer einführen. Die Spanier vermuteten, daß die Mehrwertsteuer die Lebenshaltungskosten um mindestens zwei Prozent erhöhen werde.

Zweitens: Bisher waren spanische Unternehmen durch Zollgrenzen geschützt. Mit dem EG-Beitritt war das vorbei. Sie waren jetzt der internationalen Konkurrenz ausgesetzt. Doch ganz so schlimm war es auch wieder nicht, denn bis die letzten Zollschranken fallen würden, sah der Beitrittsvertrag Übergangszeiten vor – sieben Jahre waren es für Industriewaren.

Drittens: Die heftigste Kritik kam aus dem Agrarsektor. Der Unternehmerverband CEDE beklagte, es sei ein schwerer Fehler gewesen, für zahlreiche Agrarprodukte wie z.B. die spanischen Zitrusfrüchte eine Übergangszeit von zehn Jahren zu akzeptieren, bis sie zollfrei in die EG eingeführt werden können. Die baskischen Fischer sowie ihre Kollegen in Asturien und Galicien müßten erhebliche Einschränkungen hinnehmen. Denn etwa zehn Jahre lang sollten von den 300 spanischen Fischkuttern, die für das „Blaue Europa“ lizenziert werden, nur 150 gleichzeitig ihre Netze im Gemeinschaftsmeer auswerfen können.

Viertens: Reichten die von der Regierung Gonzalez angestrengten Modernisierungsmaßnahmen für die spanische Wirtschaft aus? Niemand wagte eine Vorhersage. Doch die führende Tageszeitung „El Pais“ erkannte am 12. Juni 1985, dem Tag der Vertragsunterzeichnung: „Der Beitritt wird nicht nur den Verzicht auf alte Gewohnheiten, auf Trägheit und Bequemlichkeit fordern, sondern uns Spaniern auch einen phantasievolleren, wagemutigeren, rationaleren Arbeitsstil abverlangen.“

Fünftens: Die Konservativen unterstellten Gonzalez schon bei der Vertragsunterzeichnung, er habe wichtige spanische Wirtschaftsinteressen geopfert. Zwar gab es keine Zweifel, daß der Sozialistenchef auch die nächste Regierung stellen wird, doch Umfragen sagten bereits Stimmenverluste für die Sozialisten voraus. Immer wieder fiel ein Wort, das die Stimmung im Lande perfekt charakterisierte: „abstencion“ – Enthaltung. Was bedeutet das? Die Spanier waren der Meinung, der Beitrittsvertrag sei mit der heißen Nadel gestrickt worden.

Sechstens: Hinzu kommt, daß Gonzalez einige Versprechungen nicht eingehalten hatte. So wollte er 800.000 Arbeitsplätze schaffen – doch als Folge seines ehrgeizigen Modernisierungsprogramms war die Zahl der Arbeitslosen auf mehr als 20 Prozent gestiegen. Versprochen hatte er auch ein Referendum über den Verbleib Spaniens in der NATO. Ob und wann es stattfinden wird, darüber schwieg er sich aus.

Schneller Reichtum

Am 1. Januar 1986 trat Spanien offiziell der EG bei. Im Zeitraum von 1986 bis 1991 erlebte das Land mit Wachstumsraten von 3,3 bis 5,5 Prozent einen starken Aufschwung. Nicht weiter erstaunlich ist es da, wenn nun ausländische Anleger wieder Vertrauen fassten und für 5,84 Milliarden Mark in Spanien investierten.

Die sozialistische Regierung hatte vor allem ein Ziel: Spanien so schnell wie möglich zu einem vollwertigen Mitglied der Europäischen Gemeinschaft zu machen. Das bedeutete, veraltete Staatsbetriebe mußten rasch modernisiert werden. Dies betraf den Kohlebergbau, die Stahlherstellung und den Schiffsbau. Dadurch gingen 300.000 Arbeitsplätze verloren. Insgesamt fanden drei Millionen Menschen keinen Job. Langsam öffnete sich eine Schere zwischen Arm und Reich. Das sah dann so aus: „Importe strömen ins Land, als seien schon alle Zölle abgebaut; Autos und andere teure Verbrauchsgüter werden gekauft, als gäbe es keine drei Millionen Arbeitslose … Draußen auf den Straßen betteln Frauen, … drinnen, im Börsensaal, vermehrt sich das Geld so rasch, daß die antiquierten Einrichtungen mit der Abrechnung des Profits nur mühsam nachkommen.“ (Der Spiegel v. 12.10.1987) Die OECD bescheinigte der spanischen Wirtschaftspolitik zwar „beeindruckende Erfolge“, lobte die niedrige Inflationsrate (1988 etwa 4,25 Prozent), den geringen Kreditbedarf des Staates, eine „realistische“ Industriepolitik und den „flexiblen“ Arbeitsmarkt. Sie empfahl Madrid aber auch, für ein ausgewogenes Verhältnis zwischen externen und binnenwirtschaftlichen Wachstumsfaktoren zu sorgen.

Das Konfliktpotential steigt

Seit die Sozialisten 1982 die Regierung übernommen hatten, mußten die Arbeiter viele Opfer bringen. Besonders schmerzlich waren die realen Einkommensverluste. Gonzalez gelang es zwar, mit seiner Sparpolitik die Inflation von über 15 auf 8,3 Prozent zu senken. Doch die Jugendarbeitslosigkeit war zu einem massiven Problem geworden: Nahezu die Hälfte der jungen Spanier unter 28 hatte keinen Job und die Zukunft sah düster aus. Das Konfliktpotential stieg.

Es war diese hohe Arbeitslosigkeit und die liberale, kompromisslos marktorientierte Wirtschaftspolitik der Sozialisten, die das Verhältnis zu den spanischen Gewerkschaften erheblich strapazierte. Dabei hatten schon 1986 die kommunistischen Comisiones Obreras gewarnt: „Die Sozialisten betreiben eine reine Marktpolitik, so wie es etwa Margaret Thatcher tut. Vertraut wird allein dem Markt. Es gibt nicht einmal einen Versuch, die Strukturveränderungen durch soziale Maßnahmen zu begleiten.“

So war es keine Überraschung mehr, daß UGT-Generalsekretär Redondo, der den Sozialisten bis dahin immer nahe stand, vehement von der Regierung Gonzalez mehr Arbeitsplätze, Arbeitszeitverkürzung sowie eine bessere Verteilung der vorhandenen Arbeit und eine gerechtere Nutzung der Unternehmensgewinne auch für soziale Belange verlangte. Dies löste bei den Sozialisten heftige Diskussionen aus, zugleich ging die Popularität der Regierung bei der spanischen Bevölkerung zurück. Doch Gonzalez hielt an seinem Konzept fest.

So wurde der Kampf um die Arbeitsplätze immer häufiger von Gewaltaktionen begleitet. In Cadiz griffen streikende Werftarbeiter eine Polizeikaserne an und unterbrachen die Telefonverbindungen in der gesamten Provinz. Vor allem aber: Die Streikenden forderten den politischen Wechsel. Das Vertrauen in den einstigen Volksliebling Gonzalez schwand rapide.

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