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NEUNTES KAPITEL
Der Gedanke, meinen Namen zu verewigen

Gedanke und Wunsch, meinen Namen zu verewigen, stellten sich ebenso frühe bei mir ein, als spät ich Aussicht hatte, sie zu verwirklichen. Es war mir klar, dass es ohne Zweifel ein doppeltes Leben gebe, ein derbwirkliches, das wir Menschen mit Tier und Pflanze gemein haben, und ein anderes, das nur der Mensch lebt, der nach Ruhm und Arbeit strebt. Frühe sah ich auch, dass schon für jenes erste Leben die Natur mich stiefmütterlich behandelt und zu wünschen genug mir gelassen hat und dass mir vollends für das zweite, höhere Leben rein gar nichts geworden war, das frohe Hoffnung mir hätte schenken können, weder Macht noch Mittel, keine feste Gesundheit und keine Arbeitskraft, keine angesehene Familie, keine besonders regsame Begabung, nicht einmal die Kenntnis der lateinischen Sprache, keine Freunde und bei meinen Eltern nichts als Armut und Verachtung. Einige Jahre später hat mir ein Traum die feste Hoffnung auf ein ruhmreiches Leben erweckt; die nähere Art und Weise freilich sah ich nicht, nur dass dabei ein wunderbarer Zufall mir zum Verständnis des Lateinischen geholfen hat. Vernünftige Erwägungen haben mich dann freilich von solchen sehnsüchtigen Gedanken wieder abgebracht, und ich sah ein, dass es nichts Aussichtsloseres geben könne als diese Hoffnung, geschweige denn den bloßen Wunsch. Ich sagte mir: Wie kannst du wohl ein Buch schreiben, das man lesen wird? Findest du wohl einen Gegenstand, der von so allgemeinem Interesse und der so wohlbekannt und geläufig ist, dass er Leser anziehen wird? Verfügst du über genügend guten Stil und sprachliche Gewandtheit und Feinheit, um die Leser zu fesseln? Und, gesetzt den Fall, du fändest Leser, häuft sich denn nicht im Laufe der Zeit Tag für Tag die Menge der Bücher, sodass, was früher einmal geschrieben, der Verachtung, jedenfalls aber der Vergessenheit verfällt? Oder werden deine Schriften ein paar Jahre dauern? Wieviel Jahre? Hundert? Tausend? Zehntausend? Nenne mir irgendein Buch aus der Geschichte, auch nur ein einziges von so vielen Tausenden, dem ein so langes Leben beschieden war! Und einmal wird doch alles ganz und gar zugrunde gehen müssen, auch dann, wenn die Welt – wie die Akademiker55 wollen – in ewiger Wiederkehr sich erneuern sollte, nicht weniger als wenn sie nun ein Ende nehmen wird, wie sie einst einen Anfang genommen hat. Was liegt denn daran, ob dies nach Tagen oder nach 10000 Myriaden von Jahren der Fall sein wird? Nichts, gar nichts gegenüber der unermesslichen Spanne der Ewigkeit! Und du willst dich inzwischen mit Hoffnung abquälen, mit Furcht plagen, mit nutzloser Arbeit abhetzen? Und du verscherzest dabei, was das Leben schließlich noch an Angenehmem dir bieten mag. O herrlicher Einfall! – Und doch haben Caesar, Alexander56, Hannibal, Scipio57, Curtius58, Herostratus59 dasselbe getan, haben ihr Leben geopfert, die größte Schande auf sich genommen, die ärgsten Qualen erduldet, nur weil die Hoffnung auf ewigen Ruhm ihnen mehr bedeutete als alles andere. Sei es drum! Aber so nichtig auch ihr Ziel war, sie waren ihm doch schon sehr nahe gerückt. Jenen weisen philosophischen Rat haben sie freilich nicht beachtet, geschweige denn befolgt. Wohl aber hatten sie viele Hilfsmittel bereit, ihr Ziel zu erreichen. Und doch, wer will leugnen, dass sie Toren durchaus gewesen sind? Das waren sie auch in des Horaz' Urteil, wie seine Ode Tyrrhena regum progenies, die 29. des III. Buches, zeigt. Ich meine die Stelle:

»… Der ist sein eigner Herr

Und frohen Glücks, der täglich sich sagen darf:

Ich hab gelebt. Mag schwarz der Himmel

Morgen bewölket uns dröhn, die Sonne

Erstrahlend glühn, nicht rückwärts geschraubet wird,

Was hinter uns liegt, nicht ungeschehn gemacht

Und wieder neu zum Tun gestellet,

Was mit dem fliehenden Tag entschwunden.«

Die praktische Lehre aus diesem Gedanken hat er kurz zuvor mit wenigen Worten gezogen: »Was vor dir liegt, das ordne in Gleichmut.« Mit anderen Worten: Klüger wirst du tun, zu nützen, was du in den Händen hast, als ferne Pläne zu schmieden. Ein Caesar freilich, ein Hannibal und Alexander waren entschlossen, sich einen ewigen Namen zu erschachern um ihr eigen Leben, um das der Ihrigen und ihres ganzen Hauses, selbst um das Wohl der Stadt und ganzer Länder, und bis dahin froh des Erworbenen sich zu freuen. Was haben sie damit erreicht? Was war das Ende? Schon ein Sulla60 hat seinem Ruhm zuliebe das von allen Früheren mühevoll Errungene und alles, was an wunderherrlichen Werken vor ihm war, vergeudet und zerstört. Und jeder der anderen, die seinen Spuren folgten, haben ihre Familie und ihr eigenes Haus geopfert und vernichtet. So hat Kaiser Commodus61 das Geschlecht der Julier völlig ausgerottet, denn vor jedem rechtmäßigen Zweig des Herrscherhauses hat sich der Fürst zu fürchten, der wider Recht und Ordnung sich die Krone angemaßt. Und selbst das Vaterland hat jener große Gedanke ewigen Ruhmes preisgegeben. Denn wo ist heute das römische Kaisertum? Lächerlich und ganz unerhört: in Deutschland! Wäre es nicht viel besser gewesen, das herrliche Haus der Julier, der Enkel des Aeneas62, hätte seinen Namen überlebt? Viel besser, die Römer wären noch heute die Herren der Welt, als dass mit Caesars leerem Namen sich blöde Larven und Puppen putzen?

Und dann, wenn die Seele unsterblich ist, was bedarf es dann eines eitlen Namens? Und geht sie zugrunde, was nützt es ihr? Wenn einmal das Menschengeschlecht ein Ende hat, wird auch all dies ein Ende nehmen, und von uns Menschen wird nicht mehr übrig bleiben als von Hasen und Kaninchen. – Kein Wunder war es, dass ich einst brannte, besessen von der Gier nach Ruhm; aber heute ist es ein Wunder, dass ich immer noch brenne, obwohl ich all dies eingesehen habe. Und doch ist jene tölpelhafte Gier geblieben. Des Caesar und jener andern Pläne waren töricht; meine Ruhmbegierde aber, die ich inmitten so viel widriger Geschicke und solcher Hindernisse hege, ist tölpelhaft dumm, nicht bloß töricht.

Und doch habe ich nach Ruhm und äußeren Ehren nie gelechzt; ich habe sie vielmehr stets verachtet: ich möchte wohl, dass es bekannt sei, dass ich bin; ich wünsche aber nicht, dass jeder wisse, wie ich bin. Was aber das Fortleben in seinen Kindern und Kindeskindern anlangt, so weiß ich wohl, was für eine dunkel unsichere Sache dies ist und wie wenig wir in solchen Dingen vorsorgen können. Darum habe ich auch immer, soviel ich konnte, mir gelebt und habe stets, auf Besseres hoffend, meine Zeit verachtet. Wenn es aber irgendeine Entschuldigung für diese meine eitlen Wünsche gibt, so wäre es wohl die, dass ich trotz allem in der Zwischenzeit gelebt habe, so gut ich eben konnte. Dies, dünkt mir, ist ehrenvoll genug, und täuscht mich auch meine Hoffnung, so ist doch mein stolzer Wunsch, weil er natürlich war, des Lobes würdig.

ZEHNTES KAPITEL
Mein Lebensweg

So habe ich mir denn meinen Lebensweg selbst zurechtgelegt, nicht gerade so freilich, wie ich ihn mir hätte wünschen mögen, aber doch so gut, als es mir eben möglich war. Ich habe mir auch nie das gewählt, was ich mir hätte wählen sollen, sondern das, was ich für das Beste hielt. Ich bin auch nie beharrlich bei einem und demselben geblieben – ist ja doch alles voll Gefahren, Mühsal und Unvollkommenheit –, sondern habe mir immer gewählt, was mir zu jeder Zeit gerade das Günstigste schien. Daher es denn auch kam, dass solche, die mich an fremdem Maße messen, mich für unbeständig, ja für wankelmütig halten. Doch wer keinen geraden, sicheren Lebensweg vor sich sieht, der muss eben manche Wege gehen und mit mancherlei Winkelzügen vorwärts zu kommen suchen. Und wie er auch im Einzelnen sich ändern mochte, beharrlich war im Grunde genommen mein Zustand immer: keine Mittel und keine Muße, nicht Ehre, noch Amt, noch Macht, wohl aber jene Sehnsucht nach ewigem Ruhm. Auch hemmten mich stets nacheinander böse Zwischenfälle, meine Widersacher, der Zeiten Missgunst und meine eigene Unwissenheit; dazu fehlte mir durchaus jede äußere Möglichkeit, das Ziel zu erreichen. Auch war mir meine Kenntnis in der Astrologie, die ich damals betrieb, sehr im Wege: ich glaubte nämlich, und von allen Seiten sagte man es mir, dass ich das 40. Lebensjahr nicht überschreiten, keinesfalls das 45. erreichen werde. Und so bin ich denn, indes ich nach dem rechten Lebenswege Ausschau hielt, teils im Zwang der Umstände, teils gelockt von Lust und Vergnügungen, die sich mir boten, häufig in die Irre gegangen. Einer trügerischen Hoffnung zuliebe habe ich den wirklichen Wert der Dinge missachtet; in meinen Plänen und Überlegungen ging ich fehl und häufiger noch habe ich in meinem Tun gesündigt. So kam es denn, dass mein Leben eigentlich erst anfing, da ich sein Ende gekommen glaubte, in meinem 43. Lebensjahre.

Mein Alter, mein Charakter, die überstandenen Sorgen und günstige Gelegenheiten verführten mich, das neue, frohe Leben ganz auf Genuss und Vergnügen einzustellen. Frühmorgens absolvierte ich meine Vorlesungen, wenn ich gerade, wie zuerst in Mailand und später viel häufiger noch in Pavia, solche zu halten hatte; dann spazierte ich im Schatten draußen vor den Mauern der Stadt, frühstückte, trieb Musik, ging dann bei den Hainen und Wäldern in der Nähe der Stadt zum Fischen, las, schrieb und zog mich am Abend in mein Haus zurück. Sechs Jahre dauerte diese glückliche Zeit, dann aber, ach, hieß es bald: »Entschwunden sind die Tage63, da heiter die Sonne dir strahlte«, wie der Dichter sagt. Eine bittere Einkehr gab es nach einem langen, ehrenvollen Wege. Fahrt wohl, gewonnenes irdisches Glück und stolze Ehren, du eitles Buhlen um Ruhm, unzeitiges Genießen! Mich selbst habe ich vergeudet und zugrund gerichtet; drängende Sorgen und schwere Mühsale wuchsen wieder gleich dem Schatten eines Taxusbaumes, wie das Sprichwort sagt. Nirgendwo blieb mir ein anderer Trost als der, der zum Tode führt. Doch Glückseligkeit kann in solchem Tun nicht liegen, sonst wären ja wohl die Tyrannen, die am fernsten dem wahren Glücke stehen, die glückseligsten! – Wenn ein Stier im wildesten Ungestüm mit verbundenen Augen seines Weges rast, so muss er unfehlbar bald wider eine Mauer rennen und stürzen. So rannte denn auch ich wider eine Mauer64 und stürzte. Inzwischen, noch vor dieser Sache, traf mich das unselige Geschick meines ältesten Sohnes. Einige seiner Richter haben eingestanden – ich glaube freilich, sie wollten nicht, dass man dies Geständnis auf sie selbst beziehe, – sie hätten ihn nur deshalb verurteilt, dass ich aus Schmerz darüber sterben oder doch den Verstand verlieren sollte. Wie wenig ich davon entfernt war, wissen die Götter, und ich selbst will am gegebenen Ort65 davon erzählen. Erfüllt hat sich freilich ihr Wunsch nicht. Ich will – darum habe ich dies so nebenbei mitgeteilt —, dass der Leser sehe, was dies für Zeiten, für Sitten sind! Weiß ich doch gewiss, dass keiner dieser Leute je von mir, auch nicht einmal von meinem Schatten, ist gekränkt worden. Ich habe mich damals, so gut es ging, auf eine Verteidigungsrede für meinen Sohn vorbereitet. Doch was konnte sie nützen gegenüber so feindselig erbitterten Richtern? Ich selbst war ganz gebrochen von schmerzlichem Mitleid mit dem Elend meines Sohnes, zitterte angstvoll vor dem, was ihm noch drohte, war wie gelähmt durch das Unglück, das über mich hereingebrochen, und bangte vor dem, was noch kommen sollte. Und doch sprach ich, begann damit, das Gericht an seine oft bewiesene Menschlichkeit und Billigkeit, an einzelne Beispiele seines Mitleids zu erinnern. Ich erwähnte die Milde, die der Senat damals in der Sache des Notars Giovanni Pietro Solari bewiesen hatte, dessen unehelicher Sohn überführt worden war, seine beiden legitimen Schwestern vergiftet zu haben, nur um ihr Vermögen zu erben; man begnügte sich damals, ihn zu den Galeeren zu verurteilen. Ich erwähnte auch, dass damals das Gericht beim Verhör dem Angeklagten lobend zugestand, dass er doch den eignen Vater nicht ermordet habe. Und dann fuhr ich fort: »Was wäre das für eine Grausamkeit, mich, den unschuldigen, altersschwachen Vater, in meinem Sohne zu töten! Wenn damals der Vater der Gunst einer Milderung für würdig erachtet wurde, als sein Sohn zum Tierkampf verurteilt war[?]66, um wie viel mehr heute, wo es sich um ein anderes, leichteres Vergehen handelt? Was vermögen künftighin alle Verdienste der Menschheit, wenn die schönste Tugend, die Unschuld, so schwer getroffen wird? Ist es denn nicht viel ärger, den Vater mit seines Sohnes, als mit seinem eigenen Tode zu bestrafen? Werde ich getötet, so stirbt nur einer, der doch gar bald auch so ohne weitere Leibesfrucht sterben würde. Tötet ihr aber meinen Sohn, so raubt ihr mir die Hoffnung auf Leibeserben. Beredet euch, die ganze Menschheit flehe euch an für den Sohn dessen, dem alle sich verschuldet fühlen: für einen zornerregten hitzigen Jüngling, der unter so vielen Widerwärtigkeiten leidet, den die größte Schmach getroffen hat, von seinem Weib betrogen worden zu sein, das er ohne Heiratsgabe genommen hat, von einem verdorbenen, schamlosen Weibe, dem er sich wider Wissen und Willen seines Vaters vermählte – was würdet ihr tun? Doch freilich, niemand fleht für ihn, niemand kennt sein Unglück?! Und keiner kann doch so sehr mein oder meines Sohnes Todfeind sein, dass er nicht gerne dem das Leben schenkte, dessen Tod die Teufel selbst zu Mitleid rühren würde.« Dies und anderes der Art brachte ich vor; was ich erreichte, war einzig und allein der Gerichtsbeschluss, dass man sein Leben schonen werde, wenn es ihm gelinge, von den Verwandten seiner Frau Verzeihung zu erlangen. Dies vermochte er nicht; der Tor hatte mit Reichtümern geprahlt, die ich nicht hatte, und seine Verwandten forderten Summen, die ich nie zahlen konnte.

Doch lassen wir dies alles! Von früher Jugend an hielt ich stets den Beruf für den besten, der für das Leben selbst sorgte. Von diesem Gesichtspunkt aus schien mir das Studium der Medizin förderlicher zu sein als das der Jurisprudenz. Und ich fand, dass es nicht nur diesem Zwecke näher steht und auf der ganzen Erde und zu allen Zeiten gleich gültig und wertvoll, sondern auch ehrlicher und reiner ist und dass es auf der Vernunft, dem ewigen Gesetze der Natur, und nicht wie die Jurisprudenz auf den vorübergehenden Meinungen der Menschen ruht. Darum ergriff ich den Beruf des Arztes, nicht den des Juristen; auch deshalb vor allem, weil ich, wie ich schon gesagt habe, die Förderung durch Freunde, Mittel, Macht und Ehren nicht bloß verachtete, sondern floh. Mein Vater freilich, als er merkte, dass ich mich vom Studium der Jurisprudenz abwandte und zu dem der philosophischen Disziplinen neigte, weinte in meiner Gegenwart und klagte darüber, dass ich nicht dieselben Studien wie er betreiben wolle. Er hielt nämlich die Jurisprudenz für eine vornehmere Disziplin – und zitierte auch dafür mit Stolz eine Stelle aus Aristoteles –, eine Disziplin, die auch viel geeigneter sei, Geld und Macht zu erwerben und vor allem auch die ganze Familie in die Höhe zu bringen. Auch schmerzte es ihn, dass er sein juristisches Lehramt in Mailand, dessen er sich schon seit vielen Jahren erfreute und das ein Honorar von 100 Scudi abwarf, nicht auf mich vererben könne, wie er gehofft hatte, sondern einst einen fremden Nachfolger auf seinem Lehrstuhle sehen müsse und dass auf diese Weise seine Kommentarienwerke nicht vollendet, noch von mir herausgegeben werden sollten. Kurz zuvor nämlich hatte in seinem Kopfe die Hoffnung auf ewigen Ruhm aufgeleuchtet; er hatte eine verbesserte Neuausgabe des Werkes des Erzbischofs John67 von Canterbury über Optik und Perspektive vorbereitet und hoffte, in diesem Buche sollten einst, mit Lettern gedruckt, die Verse stehen:

»Stolz nennt diesen das Haus der Cardani sein eigen. Es wusste Alles der Eine. Nicht kennt seinesgleichen die Zeit.«

Diese Weissagung galt freilich mehr denen, die einst auf seine Arbeit sich stützend Erfolge haben sollten, als ihm selbst, der zwar die Jurisprudenz, wie ich erfuhr, ganz vorzüglich beherrschte, in der Mathematik aber nicht über die Anfänge hinauskam, nichts Neues darin erdacht, auch nichts aus dem Griechischen übersetzt hat. Daran war freilich mehr der stete Wechsel in seinen wissenschaftlichen Arbeiten und die Unbeständigkeit seiner Pläne schuld, als dass er von der Natur mit Gaben kärglich ausgestattet, träge oder von geringer Urteilskraft gewesen wäre, Mängel, von denen er durchaus frei war.

In mir aber waren damals mein Wunsch und mein Vorsatz unerschütterlich fest gewurzelt, vielerlei Gründe sprachen dafür, auch sah ich wohl, dass auch mein Vater durchaus nicht ohne Schwierigkeiten und Hindernisse seinen Weg gemacht hatte. Deshalb und auch aus anderen Gründen blieb ich seinen Mahnungen gegenüber unbewegt.

ELFTES KAPITEL
Lebensklugheit

Bisweilen ist es besser, auf seinem Vorsatz zu beharren, auch wenn er nicht gerade sehr gut gewählt wäre, als den allerbesten Vorsatz zu fassen und ihn dann wieder zu ändern, und sollte auch nichts anderes daran schuld sein als lebhaft tätiger Eifer oder die allgemeine Unbeständigkeit, Wandelbarkeit und Nutzlosigkeit menschlichen Tuns.

Ich persönlich habe – um zugleich von mir selbst und von der Lebensklugheit im Allgemeinen zu sprechen –, nachdem ich mir über diese sehr schwierige Sache genau Rechenschaft gegeben, eingesehen, dass es nicht nur um manches andere, sondern auch um diese Tugend eine sehr leichte Sache ist. Fürs erste deshalb, weil ja die Dinge so mannigfach in ihrem Endzweck sind und jeder wählen kann, was ihm am meisten zusagt, und weil es dann ferner im Einzelnen so viele Arten und Möglichkeiten, Gegenstände und Gelegenheiten gibt, dass es gewiss niemand wagen darf, mir mit einigem Recht Unklugheit vorzuwerfen, außer er wollte behaupten, meine Pläne und meine Verhältnisse besser durchschauen zu können als ich selbst, was doch sicher nicht der Fall sein kann. Sind wir uns aber über unsere Ziele klar, so handelt es sich für uns nur noch darum, zu erkennen, welcher Weg zum Ziele der bessere und ob ihn zu gehen erlaubt ist, was freilich meiner Ansicht nach das Wichtigste ist. Dann, welcher Weg der bequemere; des Weiteren, wie das Erreichte festzuhalten; endlich, wie das Erreichte zu nutzen ist.

Von Anfang an habe ich bewiesen, wie wenig ich von dem besitze, was der Grieche εύβούλία nennt. Und wenn auch diese Worte nur so viel bedeuten als Klugheit an sich, so ist es doch dasselbe, als sagten wir »menschliche Klugheit«; denn von allen Dingen, die wir kennen, besitzt doch keines Klugheit als allein der Mensch, auch keines der übrigen Lebewesen. Die Himmlischen nämlich besitzen etwas weit Besseres, das unmittelbare Schauen. Von den harpokratischen68 Naturen aber, die eine Gattung für sich sind, ist hier nicht die Rede.

So ist es mit dem Begriff der Lebensklugheit eine unklare Sache. Im Einzelnen urteilt jeder anders, weil eben alle an die Dinge den Maßstab ihres eigenen Geistes anlegen. Ich für meinen Teil aber sehe sehr wohl ein, dass ich von jener Gewandtheit und sicheren Klugheit wenig besitze und wenig besessen habe. Daran ändert auch das wenig, was ich oben ausgeführt habe.

ZWÖLFTES KAPITEL
Meine Freude am Disputieren und Dozieren

Umso größeren Eifer und Erfolg hatte ich auf diesem Gebiete. Zu Bologna dozierte ich fast immer auswendig. Weshalb auch die Gelehrten, die mit mir hätten disputieren sollen, nicht wagten, mir gegenüberzutreten. Ich erinnere an jene dreitägige Disputation, die zu Pavia zwischen mir und Andrea Camuzio69 angesagt und beim Senat der Akademie angemeldet worden war: schon am ersten Tage nach meiner ersten Ausführung schwieg mein Gegner. Dies bezeugten auch alle meine Widersacher, die damals anwesend waren. Wird davon auch einmal, mit eingemeißelten Lettern, auf den Denkmälern des Camuzio zu lesen sein? So sehr war die Sache damals allen Leuten bekannt, dass man schon gar nicht mehr vom Gegenstand meiner Ausführung sprach, sondern nur noch von meiner Redegewalt, die unwiderstehlich schien. Und heute noch, glaube ich, mag die Erinnerung daran lebendig sein. Branda Porro70, mein Lehrer, schrieb meinen Sieg meinem Können und meiner größeren Begabung zu, meine Widersacher dem Teufel, andere – und diese Vermutung wird der Wahrheit näher kommen – einem besseren und wirksameren Grunde. Ich habe nämlich weder in Mailand, noch in Pavia oder in Bologna, auch nicht in Frankreich oder Deutschland in den letzten 23 Jahren jemanden gefunden, der sich mit mir in eine Auseinandersetzung oder in eine Disputation eingelassen hätte. Ich will damit nicht prahlen; ich glaube vielmehr, wenn ich ein Stein wäre, so wäre die Sache nicht anders. Denn es ist dies kein Verdienst meiner Veranlagung und meines glänzenden Geistes, sondern nur eine Folge der Unklarheit und Unwissenheit jener Leute, die sich mit mir messen wollten. Wenn der Tintenfisch den Delphin angreift und zu fliehen zwingt, so braucht das keine Heldentat des Tintenfisches zu sein. Solche Dinge sind uns vom Schicksal in die Wiege gelegt.

Als Angelo Candiano71 sich einmal vor vielen Fachleuten über einen Gegenstand geäußert und ich mich bereiterklärt hatte, ihm zu erwidern, schämte er sich nicht, zu versichern: »Ich habe von vornherein erklärt, mich über diese Sache äußern, nicht aber mit Euch mich auseinandersetzen zu wollen.« Und das war ein ganz vortrefflicher Arzt, der in Mailand bei unserem Fürsten72 und bei der Königin von Ungarn und Regentin der Niederlande die größte Rolle spielte, ein Mann von allerhöchstem Ansehen und, wenn dies etwas zur Sache tut, von großem Reichtum. Und wenn ich dann in solchen Fällen auf meine ehrliche Schlichtheit und auf meine mangelnden Kenntnisse hinwies, sagten viele: »In diesem einen Punkte wissen wir, dass du lügst und dass du die größten Kenntnisse besitzest; den anderen Punkt betreffend aber sind wir uns nicht klar, weil wir nicht sehen, wo hinaus das mit deiner Schlichtheit will, vor allem bei einem Mann, der, wie du, so oft erklärt hat, nie zu lügen. Und was deine unnachahmliche Art zu dozieren betrifft, so hat längst jedes Urteil, das im Positiv steht, wie die Grammatiker sagen, aufgehört uns wunderzunehmen, da uns ja selbst ein im Superlativ gesetztes Lob vertraut geworden ist. Zwar hat niemand das Verlangen geäußert, eine Probe davon zu hören; aber wenn auch eine dunkle Wolke sie verhängt, so hört die Sonne doch nicht auf zu sein. Und du brauchst dich auch nicht darob zu grämen, dass du so viele herrliche Lichter im stillen Schlafzimmer hast, die niemand von denen sehen will, die draußen sind. Denn es steht nicht zu fürchten, dass eine so göttliche Sache zugrunde gehe. Die Afrikaner von Phloria73 beten die aufgehende Sonne an, die von Garama74 verfluchen sie. Über allem thront nicht nur die göttliche Vorsehung, sondern strahlt auch die ewige Herrlichkeit.« – Von der Gabe des freien Vortrags habe ich nicht nur selbst immer rühmlichen Gebrauch gemacht, sondern habe auch andere darin unterrichtet. Wenn ich also auch hierin als so bedeutend erscheinen konnte, so besaß ich doch keinerlei gefälligen Ton in der Sprechweise, noch auch irgendwelche eigentliche Fertigkeit im Vortrag selbst; hatte ich einmal auf der einen Seite ein Mehr, so durfte man glauben, dass mir dafür ebenso viel auf der anderen Seite entzogen worden sei. Im Disputieren freilich war ich von solcher Gewandtheit und Schärfe, dass alle mich bewunderten und jeder einer Probe aus dem Wege ging. Weshalb ich auch lange Zeit ohne solche Plackerei leben durfte. Nur zwei Fälle mussten meine Gegner wider alle Hoffnung erleben. Das eine Mal war es in Pavia. Branda Porro, der einst mein Lehrer in der Philosophie gewesen war, hatte sich in die öffentliche Disputation eingemischt, die ich mit Camuzio über ein Thema aus der Philosophie hatte. Meine Gegner lockten mich nämlich häufig auf philosophischen Boden, weil sie auf dem Gebiet der Medizin keine Hoffnung hatten, Lorbeern gegen mich zu sammeln. Branda führte damals eine Stelle aus Aristoteles an, und als er den Text zitiert hatte, sagte ich: »Gib acht, nach dem Wort „weiß“ fehlt ein „nicht“; in Wahrheit spricht der ganze Satz gegen dich.« Darauf rief Branda, das könne nicht sein. Ich hatte wie gewöhnlich einen Schnupfen, schneuzte mich und widersprach in aller Ruhe, bis Branda wütend nach dem Kodex schickte. Ich verlange ihn, er lässt ihn mir geben, und ich lese den Text, wie er dasteht. Branda glaubt, ich wolle ihn hintergehen, reißt mir das Buch aus den Händen, schreit, ich wolle die Zuhörer täuschen, und fängt selbst zu lesen an. Er kommt zu dem betreffenden Wort, liest es, schweigt, alles ist überrascht, und aller Anwesenden Augen sind bewundernd auf mich gerichtet. Ein Zufall wollte es, dass Branda ein paar Tage darauf nach Mailand ging; dem Senat der dortigen Akademie war die Sache schon geschrieben worden, und einige fragten ihn nun, ob es wirklich wahr sei. Branda, ein ehrlicher und wackerer Mann, hat gewiss geantwortet: »Nur zu wahr; ich glaube, dass ich damals betrunken war.« Und die Herren vom Senat verzogen den Mund und schwiegen.

Der andere Fall spielte zu Bologna mit Andrea Fracanzano, dem dortigen ersten Professor der praktischen Medizin. Als dieser in seinen Ausführungen auf den Weg zu sprechen kam, den die Galle zum Magen nimmt, zitierte er vor der ganzen Akademie – man hatte gerade eine anatomische Vorführung – eine griechische Stelle. Ich sagte: »Ihr lasst ein ού75 aus.« Worauf er entgegnete, das sei nicht wahr. Ich, in aller Ruhe, beharre darauf, und einige Schüler rufen, man solle das Buch holen. Er schickt lächelnd darnach, es wird sofort gebracht, er liest, findet, dass ich bis aufs Haar recht hatte, er schweigt, staunt, sieht mich bewundernd an. Noch mehr freilich taten dies die Schüler, die mich damals zu diesem Zweck mit Gewalt in den Hörsaal geschleppt hatten. Fracanzano aber floh von diesem Tag an jedes Zusammentreffen mit mir, so zwar, dass er den Diener bat, ihn darauf aufmerksam zu machen, wenn ich käme. Und dann bog er aus, um mir ja nie zu begegnen. Und als ihn die Studenten einmal mit List in den gefüllten Hörsaal der Anatomie führten, machte er rasch kehrt, verwickelte sich in seinen Mantel und fiel zu Boden, worauf alle Anwesenden staunend den Kopf schüttelten. Er selbst aber zog bald darauf von Bologna fort, obwohl er noch für mehrere Jahre dort angestellt war.

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9783899976045
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