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Im Jahre 1559 kehrte ich wieder nach Pavia zurück, und hier trat bald darauf das unselige Verhängnis ein, das meinem Sohne Giovanni Battista das Leben kosten sollte. Mein Aufenthalt währte gleichwohl fast bis ins Jahr 1562. Dann folgte ich einem Ruf nach Bologna und setzte dort meine Lehrtätigkeit fort bis ins Jahr 1570. Am 6. Oktober dieses Jahres bin ich eingekerkert worden; man behandelte mich dabei in allem, abgesehen vom Verlust meiner Freiheit, durchaus milde. Am 22. Dezember 1570, am gleichen Wochentag und zur gleichen Tagesstunde, als ich eingekerkert worden war, ließ man mich frei, an einem Freitag, in der abendlichen Dämmerung. Ich bezog wieder mein Haus, wurde aber dort zunächst unter Hausarrest gehalten. Sodass ich, da die Kerkerhaft 77 und der Hausarrest 86 Tage währte, im ganzen 163 Tage in Haft war. Ich blieb noch das Jahr 1571, bis in die letzten Tage des Septembers, in Bologna und habe dort mein 70. Lebensjahr beendet. Dann zog ich nach Rom und kam dort an am 6. Oktober, eben als man den Sieg gegen die Türken46 feierte.

Und heute ist seit meinem Einzug in Rom das vierte, seit meiner Verhaftung das fünfte Jahr verstrichen. Ich lebe seither hier als Privatmann; doch hat mich am 13. September dieses Jahres das Kollegium der römischen Ärzte in seine Reihen aufgenommen, und der Papst47 zahlt mir eine Pension.

FÜNFTES KAPITEL
Gestalt und Aussehen

Meine Gestalt ist mittelgroß. Meine Füße sind klein, vorn an den Zehen breit und haben einen etwas hochgewölbten Rücken, sodass ich nur mit Mühe passende Schuhe finde und gezwungen bin, mir solche eigens herstellen zu lassen. Meine Brust ist etwas eng. Die Arme sind viel zu dünn, die rechte Hand zu plump und ihre Finger unförmig, woraus die Handwahrsager wohl schließen möchten, dass ich dumm und roh sei. Sie mögen sich dieser ihrer Wissenschaft schämen. In der rechten Hand ist die Lebenslinie48 kurz, die sogenannte Saturninische49 lang und tief. Die linke Hand ist schön, hat längliche, schlanke und wohlgefügte Finger. Meine Nägel sind glänzend. Mein Hals ist etwas zu lang und zu dünn, das Kinn geteilt, die Unterlippe schwülstig und herabhängend. Meine Augen sind klein und fast wie blinzelnd zugedrückt, außer wenn ich einen Gegenstand schärfer beobachte. Auf dem linken Augenlid habe ich ein linsenförmiges Mal, so klein, dass es nicht leicht zu sehen ist. Die Stirn ist breit und an den Seiten, wo die Schläfen anstoßen, von Haaren frei. Haupt- und Barthaare waren früher blond. Den Kopf pflege ich kurz geschoren und den Bart gestutzt zu tragen. Der Letztere ist zweigeteilt wie das Kinn. Unterhalb des Kinns wachsen viel reichlichere und längere Haare, sodass ich dort einen stärkeren Bart tragen könnte. Mit dem Alter hat der Bart die Farbe gewechselt, das Haupthaar nur wenig. Meine Sprechweise ist etwas laut, sodass ich mitunter darob von Leuten getadelt wurde, die sich gern als meine Freunde ausgaben; die Stimme selbst ist rau und stark und wurde gleichwohl in meinen Vorlesungen schon in einiger Entfernung nicht mehr verstanden. Meine Redeweise ist nicht gerade angenehm und viel zu umständlich; mein Blick fest und starr wie der eines Nachdenkenden. Die oberen Vorderzähne sind groß. Meine Hautfarbe ist ein ins Rötliche spielendes Weiß; mein Gesicht länglich, freilich nicht übertrieben. Der Schädel läuft nach hinten stark verengend und in einer Art kleiner Kugelform aus.

So ist also nichts Besonderes an mir. Und die Maler, deren mehrere aus fremden Gegenden gekommen sind, um mich zu porträtieren, konnten nichts Charakteristisches an mir finden, woran ich im Porträt leicht hätte erkannt werden können. Unten an der Kehle habe ich eine – nicht sehr gut sichtbare – harte, kugelförmige Geschwulst; sie ist von der Mutter vererbt und angeboren.

SECHSTES KAPITEL
Von meiner Gesundheit

Ich hatte viel unter körperlichen Schwächezuständen zu leiden, und zwar handelte es sich dabei sowohl um natürliche Erkrankung als um Unfälle äußerer Art und um bloße krankheitssymptomatische Erscheinungen. Von Natur litt mein Kopf an Katarrhen, die sich bald auf den Magen, bald auf die Brust legten, sodass ich mich immer dann am gesündesten fühle, wenn ich an Husten und Heiserkeit leide. Denn legte sich der Katarrh auf den Magen, so waren Durchfall und Appetitlosigkeit die Folge. Mehr als einmal glaubte ich, Gift zu haben, aber jedesmal kehrte bald und wider alles Erwarten die Gesundheit wieder. Auch die Zähne litten unter diesen Katarrhen, und ich habe auf diese Weise vom Jahre 1563 an rasch hintereinander viele verloren, während mir bis dahin nur einer oder zwei gefehlt hatten. Jetzt habe ich noch 14 gesunde und einen kranken; aber der kann noch lange halten, glaube ich, denn ärztliche Sorge hat viel geholfen. Auch an überladenem und schwachem Magen litt ich viel; und von meinem 72. Lebensjahre an habe ich sofort, wenn ich etwas zu viel oder zu hastig aß oder trank, oder wenn ich etwas meinem Magen wenig Bekömmliches zu mir nahm, Schmerzen gefühlt. Ein Mittel dagegen habe ich im zweiten Teil meines Werkes De tuenda sanitate mitgeteilt. In meiner Jugend hatte ich viel mit Herzklopfen zu tun; es war dies ein Familienerbstück, aber die ärztliche Kunst hat mich ganz davon befreit. Desgleichen litt ich auch an Hämorrhoiden und Podagra, bin aber von diesem Letzteren so gründlich geheilt worden, dass ich oft hätte wünschen mögen, nicht gerade diese Krankheit wiederzubekommen, wohl aber, wenn sie käme, sie wieder vertreiben zu dürfen. Einen Darmbruch, woran ich litt, hatte ich anfangs ganz unbeachtet gelassen; später, von meinem 62. Lebensjahre an, reute es mich, ihn nicht genügend behandelt zu haben, vor allem, als ich merkte, dass er mir vom Vater vererbt war. Dabei ist mir Folgendes ganz Sonderbare begegnet: der Bruch war auf beiden Seiten eingetreten; auf der linken nun, wo ich ihn durchaus vernachlässigte, ist er ohne jedes Zutun völlig geheilt, auf der rechten dagegen, wo ich sorgfältig mit Bindungen und anderen Mitteln ihm zu begegnen suchte, ist er nur noch stärker geworden. Des Weiteren litt ich auch ständig an Hautkrankheiten und lästigem Jucken am ganzen Körper, bald hier, bald dort. Und dann im Jahre 1536 – wer hätte es geglaubt? – bekam ich den Harnfluss und zwar in sehr starker Weise, ungefähr 40 bis 100 Unzen im Tag. Und nun habe ich schon fast 40 Jahre damit zu tun und lebe noch und leide durchaus nicht an Auszehrung – ich trage noch immer dieselben Ringe – noch an Durst. Auch viele andere Leute, die im nämlichen Jahre von diesem Übel ergriffen worden sind und keinerlei ärztliche Hilfe suchten, sind weit länger am Leben geblieben als solche, die sich in ärztliche Behandlung gaben. Zehntens endlich leide ich an einer alljährlich viermal, im Frühjahr, Sommer, Herbst und Winter, wiederkehrenden Schlaflosigkeit, die jedesmal fast acht Tage währt, sodass ich auf diese Weise im Jahre fast einen Monat, mitunter weniger, mitunter auch zwei, verliere. Diesem Leiden pflege ich durch Diät, und zwar in Bezug auf Qualität, nicht Quantität, zu begegnen, vor allem durch Enthaltung von allen harten Speisen. Es hat aber noch in keinem Jahre ausgesetzt.

Die Krankheiten, die ich äußerem Zufall zu verdanken habe, waren folgende: Die Pest, die ich im zweiten Monat nach meiner Geburt durch Ansteckung bekommen habe, und dann noch einmal in meinem 19. oder 18. Lebensjahre, ich erinnere mich nicht mehr genau, weiß nur noch, dass es im August war und dass ich drei Tage lang fast ohne alle Nahrung blieb. Ich streifte vor der Stadt und in den Gärten umher, und wenn ich am Abend nach Hause kam, log ich, ich hätte bei Agostino Lanizario, einem Freund meines Vaters, gespeist. Wie viel ich in diesen drei Tagen an Wasser getrunken habe, will ich nicht sagen. Am dritten Tage konnte ich nicht mehr schlafen, mein Herz zitterte heftig, ein starkes Fieber hatte mich gepackt, und ich glaubte, im Bett des Asklepiades50 zu liegen und mit diesem unter heftigen Stößen ununterbrochen in die Höhe zu steigen und wieder in die Tiefe zu stürzen. Damals glaubte ich, noch in der Nacht sterben zu müssen. Aber inzwischen überkam mich der Schlaf, und ein Geschwür, das sich an meiner rechten Seite oben bei der ersten sogenannten falschen Rippe gebildet hatte, brach auf, und eine anfänglich nur kleine Menge schwarzen Stoffes drang heraus. Vermutlich der Arznei wegen, die mir mein Vater gegeben und die ich viermal im Tag hinunterschlang, begann ich dann so stark zu schwitzen, dass der Schweiß durch das ganze Bett drang und durch die Bretter hindurch auf den Boden rann. In meinem 27. Lebensjahre sodann befiel mich ein einfaches Tertianfieber51; am vierten und siebenten Tage kam dann je ein Ohnmachtsanfall, und am gleichen siebenten Tage wurde ich ganz gesund. Mit 43 Jahren spürte ich zu Pavia, zum erstenmal, mein Podagra, und mit 54 bekam ich ein Quotidianfieber52, das 40 Tage lang anhielt und wovon mich, am 13. Oktober des Jahres 1555, eine Krisis befreite, bei der ich 120 Unzen Urin ließ. Und 1559 endlich, in dem Jahre, da ich nach Pavia zurückkehrte, litt ich zwei Tage lang an Schmerzen im Halse.

Krankheitssymptome zeigten sich mannigfache. Das erste war, dass ich von meinem siebenten bis fast zum zwölften Jahre bei Nacht mich erhob und Schreie ausstieß, die aber keinen bestimmten Sinn hatten. Und hätten Mutter und Tante, zwischen denen ich schlief, mich nicht gehalten, so wäre ich öfter aus dem Bette gestürzt. So hatte ich nur heftiges Herzklopfen, das aber, sobald man die Hand darauf drückte, sich beruhigte, was das wesentliche Merkmal eines beschleunigten Atems ist. Gleichzeitig – doch dauerte diese Erscheinung bis fast in mein 19. Jahr – hatte ich darunter zu leiden, dass ich nicht Atem fassen konnte, wenn ich dem Winde, vor allem einem kalten, entgegenging. Doch schwand dieses Übel, sobald ich darauf achtete und den Atem zurückhielt. In dieser Zeit konnte ich auch im Bette, selbst wenn ich schon in der sechsten Stunde lag, von den Knien abwärts nicht warm werden. Deshalb vor allem und auch aus anderen Gründen sagte meine Mutter oft, ich werde gewiss kein hohes Alter erreichen. Und dann wieder konnte in einzelnen Nächten, wenn ich einmal warm geworden war, mir am ganzen Leib ein so starker und glühend heißer Schweiß ausbrechen, dass, wer es hörte, es nicht glauben möchte. Mit 26 Jahren fiel ich dann in ein doppeltes Tertianfieber, das sich am siebenten Tage löste; später, mit 54 Jahren, in ein Quotidianfieber, das 40 Tage anhielt. Im November des Jahres 1556 erlitt ich infolge eines mäßigen Trunkes von Meerzwiebelessig einen überaus heftigen Anfall von Dysurie53; ich fastete darauf zuerst 34 und dann zum zweiten mal 20 Stunden, aß etwas Tannenharz und genas.

Ich hatte die Gepflogenheit – worüber manche Leute sich wunderten –, dass ich, sobald ich keine Schmerzen hatte, mir solche selbst zu bereiten suchte, wie ich oben vom Podagra gesagt habe. Auf diese Weise ging ich häufig der Gefahr einer Krankheit entgegen, um nur, so gut es irgend ging, der Schlaflosigkeit entgehen zu können. Ich bin nämlich der Ansicht, die Lust bestehe wesentlich in dem Stillen eines gehabten Schmerzes, und wenn ein Schmerz freiwillig verursacht ist, so kann er ja leicht gestillt werden. Und nun weiß ich aus Erfahrung, dass ich nie ganz ohne Schmerzen sein kann; denn ist dies einmal der Fall, so befällt mich eine so widerwärtige Stimmung, dass ich nicht wüsste, was schwerer zu ertragen ist. Ein viel geringeres Übel ist mir dann der Schmerz oder dessen Ursache, die weder mit einer entstellenden Verletzung noch mit irgendwelcher Lebensgefahr verbunden zu sein braucht. So habe ich mir zu diesem Zwecke Schmerzen ausgedacht, die mir Tränen erpressen können: ein Beißen in die Lippen, ein Verrenken der Finger, ein Quetschen der Haut oder einer zarten Muskel des linken Armes. Und mithilfe solcher Vorbeugungsmittel lebe ich noch heute ohne jede Schädigung.

Von Natur fürchte ich erhöhte Orte, und seien sie auch noch so breit, desgleichen solche Plätze, wo mir ein wütender Hund begegnen könnte. Mitunter habe ich auch mit einer gewissen heroischen Leidenschaft zu tun gehabt, einer starken Neigung zum Selbstmord. Ich vermute freilich, dass dies auch anderen begegnet, nur dass sie es nicht in Büchern berichten. In früher Jugend endlich, bis ungefähr in mein zweites Jahr, schien mir ein Krebsleiden zu drohen; und vielleicht war wirklich ein Anfang dazu vorhanden an meiner linken Brustwarze, wo sich eine rote und dann schwärzlich werdende Geschwulst zeigte, eine Unempfindlichkeit und dann ein Beißen zu spüren war. Dies Übel lösten mit zunehmenden Jahren Krampfadern ab, und diesen folgte dann in meinen Knabenjahren das Herzklopfen, wovon ich schon erzählt habe. Später kamen dann Hämorrhoiden mit starken Blutungen, das erwähnte Jucken und andere Hautunreinlichkeiten. Von alldem bin ich wider alles Erwarten und ohne jede ärztliche Behandlung geheilt worden; denn habe ich auch gegen einige dieser Krankheiten Mittel gebraucht, so hat sich doch dadurch nur der natürliche Sitz des Krankseins verändert.

SIEBENTES KAPITEL
Von meinen Leibesübungen

Von früher Jugend an habe ich mich allen Arten von gladiatorischen Übungen eifrig gewidmet, sodass ich es bei dieser wilden und übermütigen Klasse von Menschen wohl hätte zu einigem Ansehen bringen können. Ich machte Fechtübungen mit dem Schwert, und zwar mit diesem allein oder auch mit einem Schild, mit dem oblongen oder mit dem großen oder kleinen Rundschild. Auch lernte ich mit dem Stoßdegen und Schwert zugleich, mit der langen Lanze und mit Wurfspeeren, oder aber auch mit Schwert und schwerem Mantel ohne besondere Anstrengung auf ein hölzernes Pferd zu springen und verstand es, unbewaffnet einem andern den gezückten Dolch zu entreißen. Ich übte mich auch im Laufen und Springen und habe es darin zu genügender Fertigkeit gebracht; weniger bei Übungen mit den Armen, meiner schwachen Armmuskeln wegen. Beim Reiten, Schwimmen oder Abfeuern von Schusswaffen war es mir noch nicht recht behaglich, fürchtete ich doch auch die Blitze wie den Zorn der Götter. Von Natur nämlich war ich feig, nur künstliche Übung hat mich mutig gemacht, weshalb ich mich auch in die Reihen der freiwilligen Miliztruppen aufnehmen ließ. Auch streifte ich oft bei Nacht, entgegen den Vorschriften der Obrigkeit, bewaffnet durch die Straßen der Stadt, wo ich gerade wohnte. Bei Tage ging ich bewaffnet, mit bleiernen Sohlen von 8 Pfund Gewicht an den Schuhen, bei Nacht verhüllte ich das Gesicht mit einem schwarzen Leinentuch und trug Strumpfschuhe aus starkem Wollstoff. Oft machte ich meine Leibesübungen in voller Waffenrüstung vom frühesten Morgen bis zum Abend und mühte mich dann noch schweißdurchnässt mit meinen Musikinstrumenten ab, trieb mich auch oft die ganze Nacht bis zum Morgen im Freien herum.

Bei Ausübung meiner ärztlichen Praxis ritt ich auf einem Pferd oder Maultier, häufiger aber ging ich zu Fuß. Vom Jahre 1562 an benutzte ich die Kutsche, in Bologna wie in Rom, und tue dies heute noch. Morgens fahre ich im Wagen aus und kehre dann zu Fuß zurück. Vom Mittagessen an trage ich leichtere Kleidung, etwas schwerere immer dann, wenn ich fahre.

ACHTES KAPITEL
Lebensweise

Ich pflege zehn Stunden im Bett zuzubringen, und von diesen, wenn ich gesund und ohne Störung bin, acht, wenn ich mich weniger wohl befinde, vier oder fünf zu schlafen. In der zweiten Stunde nach Sonnenaufgang stehe ich auf. Quält mich nachts Schlaflosigkeit, so stehe ich auf, spaziere um mein Bett und zähle in Gedanken bis auf Tausend; auch enthalte ich mich dann der Speisen ganz oder esse doch um mehr als die Hälfte weniger als sonst. Arzneimittel gegen das Übel gebrauche ich wenig, außer etwas Pappelsalbe oder Bärenfett oder Haarwurzöl, womit ich dann meinen Leib an 17 Stellen einreibe: an den Schenkeln, den Fußsohlen, am Nacken, an den Ellbogen, den Handgelenken, den Schläfen, den Halsadern, in der Herz- und in der Lebergegend und auf der Oberlippe. Namentlich morgens quält mich oft die Schlaflosigkeit über die Maßen. Vormittags pflege ich stets weniger Speisen zu mir zu nehmen als am Abend bei der Hauptmahlzeit. Nach meinem 50. Lebensjahre begnügte ich mich morgens mit einer Brotsuppe; früher bestand mein Frühstück sogar nur aus Brot in Wasser getunkt und großen kretischen Trauben, sogenannten Zibeben. Später wünschte ich mehr Abwechslung und verlangte zum Frühstück mindestens einen Eidotter und zwei oder wenig mehr Unzen Brot, manchmal ohne, manchmal mit einem bescheidenen Quantum reinen Weines. Am Freitag oder Samstag wünsche ich am liebsten ein mäßiges Stück Fleisch mit einer Suppe von Gienmuscheln54 oder Meerkrebsen. Nichts habe ich lieber als ein kräftiges Stück Kalbfleisch im Topf, und zwar ohne Zutat irgendeiner Flüssigkeit, gekocht; doch muss es vorher mit dem Messerrücken lange geklopft sein. So schmeckt es mir am besten; eine Brühe pflegt dabei ganz von selbst herauszuträufeln. Es ist dies die beste Art der Zubereitung; auf diese Weise ist das Fleisch viel saftiger und fetter noch als selbst ein am Spieß geschmortes.

Zum Abendessen nehme ich gern einen Gang Gemüse, am liebsten Mangold, mitunter auch Reis oder Endiviensalat, aber noch lieber esse ich das breite Blatt der stachligen Gänsedistel und die weiße Wurzel der Endivie. Fische esse ich lieber als Fleisch, doch müssen sie gut und frisch sein. Vom Fleisch liebe ich die kräftigen Stücke – so namentlich Kalbs- und Schweinsbrust – geschmort und mit sehr scharfen und zwar heißen Messern fein zerrieben. Zur Mahlzeit lasse ich mir süßen, auch neuen Wein schmecken, im Maß von ungefähr einem halben Pfund, dazu das Doppelte, oder auch mehr, an Wasser. Ganz besonders liebe ich die Flügel von ganz jungen Hühnchen, die Leber und alle anderen blutreichen inneren Teile von Hühnern und Turteltauben. Auch Flusskrebse esse ich gern – wohl deshalb, weil meine Mutter, da sie mich im Leibe trug, solche mit besonderer Lust gegessen hatte desgleichen auch Gienmuscheln und Austern. Des Weiteren nähre ich mich lieber und mit größerem Nutzen für meine Gesundheit von Fisch- als von Fleischspeisen. Fische, die ich gerne esse, sind der Zungenfisch, der Stachelflunder, die Steinbutte, der Gründling, die Landschildkröte, die Plötze, besonders aber der Rotbart oder die Meerbarbe, ferner die Steinbarbe und das Rotauge, der Seebrassen und der Kabeljau, ein ganz leckerer Fisch, auch der Seebarsch, die gewöhnlichen Arten der Weißfische, die große und die kleine Äsche; von den Süßwasserfischen sind es vor allem der Hecht, der Karpfen, der Barsch, beide Arten von Rotflossen oder Brachsen, außerdem der Schmerling, der Drachenkopf, die verschiedenen Arten der Thunfische, gesalzene Sardinen, die zarten und mehr noch die etwas härteren. Sonderbar ist, dass wir die Platt- oder Gienmuschel als eine sehr angenehme Speise lieben, die Miesmuschel oder gewöhnliche Meermuschel dagegen als giftig meiden, desgleichen auch die Wegschnecke, außer sie wäre gereinigt. Auch Süßwasserkrebse und andere Schaltiere schmecken mir; die Meerschaltiere sind mir zu hart und Aale, Frösche und Morcheln zu schwer verdaulich. Ich bin ein großer Freund von Süßigkeiten; besonders liebe ich den Honig, Zucker, frische reife Trauben, Melonen, nachdem ich einmal ihre heilsame Wirkung verspürt habe, Feigen, Kirschen, Pfirsiche, eingekochten Most, und bis heute hat mir noch keines von allen diesen je geschadet. Öl liebe ich über die Maßen, rein oder auch mit Salz und weichen Oliven. Auch die Zwiebel bekommt mir gut, und die Raute habe ich, für mich wenigstens, in meiner Jugend wie im Alter, als Gegengift, nicht nur als Vorbeugungsmittel, sondern auch als gegen jede Art von Vergiftung wirksam erprobt. Auch der römische Wermut hat sich mir als gesundheitsfördernd erwiesen.

Den geschlechtlichen Genüssen habe ich mich immer mit Maß hingegeben und habe auch nie mit den Wirkungen eines übermäßigen Genusses viel zu tun gehabt. Jetzt freilich beginnt offensichtlich mein Magen darunter zu leiden. Das weiße Fleisch von kleinen, am Rost gebratenen Fischen, wenn sie nur frisch und weich sind, schmeckt und bekommt mir vortrefflich. Auch recht fetten Schafkäse verachte ich nicht. Ein Karpfen aber, der ausgenommen drei bis sieben Pfund wiegt, ist mir lieber als jede andere Speise. Von den großen Fischen nehme ich Kopf und Bauch, von den kleinen Rücken und Schwanz. Der Kopf und bei den großen Fischen auch die übrigen Teile sollen immer in Wasser gesotten oder in der Schüssel gedämpft, die kleinen Fische dagegen geröstet, getrocknet, oder auch gesotten oder am Rost gebraten sein. Sind sie ganz zart, so liebe ich sie geröstet oder nur ganz wenig gesotten. Von den vierfüßigen Tieren sind die weißen Fleischteile die besten; die blutreichen inneren Teile, Herz, Leber, Nieren sind weniger leicht verdaulich, die Lunge etwas leichter. Doch sind alle diese letztgenannten von geringem Nährwert. Die roten Fleischteile, das Herz ausgenommen, sind leicht verdaulich, die weißen mittelmäßig, mit Ausnahme der Hoden, die leicht verdaulich sind; schwerer verdaulich sind die blauen Fleischteile.

Der obersten Genera dieser ganzen Sache sind es sieben: Luft, Schlaf, Leibesübung, Speise, Trank, Arznei und Vorbeugungsmittel. Der Spezies sind es 15: Luft, Schlaf, Übung, Brot, Fleisch, Milch, Eier, Fische, Öl, Salz, Wasser, Feigen, Raute, Trauben und scharfe Zwiebeln. Zubereitungsmittel haben wir 15: Feuer, Asche, Bad, Wasser, Topf, Bratpfanne, Bratspieß, Bratrost, Mörser, Messerrücken und Messerschneide, Reibeisen, Petersilie, Rosmarin und Lorbeer. Von Übungsmitteln kennen wir: das Mühlrad, den Spaziergang, das Reiten, kleine Wurfspieße, die Kutsche, Geräte, wie sie der Waffenschmied hat, noch einmal das Reiten, den Sattel, die Schifffahrt, das Polieren von Platten, Reiben und Waschen, wiederum genau 15. – So habe ich denn, wie es die Herren Theologen machen, durch tiefsinnige Gedankenarbeit und blendende Vernunftschlüsse die Sache auf wenige Begriffe zusammengeordnet. Denn ohne solche glänzende begriffliche Klarheit wird dir alles dunkel und verschlossen bleiben, und wäre es auch noch so hell und selbstverständlich. Fahren wir darum ebenso fort: Fünf Dinge sind es, die man ohne Maß (man wäre denn ein Greis) genießen darf: Brot, Fisch, Käse, Wein und Wasser. Zwei Dinge dienen als Arznei: Mastix und Koriander, jedoch nur in großen Mengen Zucker; zwei als Gewürze: Safran und Salz, wovon das Letztere zugleich ein Element ist. Vier Dinge sind nur mit Maß zu nehmen, denn es sind Nahrungsmittel: Fleisch, Eidotter, Rosinen und Öl. Und dieses Letztere ist ein verborgenes Element, das in seinen Eigenschaften den Sternen zu vergleichen ist, nämlich wenn es brennt.

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