Читать книгу: «Die Familie Lüderitz», страница 4

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Verzeichnis der Bilder der Malerin

 Ausstellung der Königlichen Akademie der Künste 1880: Page (verkäuflich)

 Ausstellung der Königlichen Akademie der Künste 1881: Porträt der Mrs O (nicht verkäuflich)

 39. Ausstellung des Kasseler Kunstvereins 1881: Ein Mitglied der Chinesischen Gesandtschaft in Berlin (1000 Mark), Page (800 Mark), Mann und Frau (nicht verkäuflich)

 Ausstellung der Akademie der Künste 1883: Porträt des Fräulein Caty H (nicht verkäuflich)

 Ausstellung der Akademie der Künste 1884: Porträt (nicht verkäuflich)

 Große Berliner Kunstausstellung 1891: Porträt

 63. Ausstellung der Akademie 1892: Nr. 926: Portrait; Nr. 927: Selbstportrait

 Weltausstellung in Chicago 1893: Mars und Venus

 Große Berliner Kunstausstellung 1893: Bildnis der Frau R. und Bildnis der Kinder des Herrn Dr. L. (–> Bild 2-2)

 Große Berliner Kunstausstellung 1894: Damenbildnis

 Große Berliner Kunstausstellung 1895: Bildnis

 Ungelistet: Einzelportrait (Hermann oder Carl Lüderitz, Schachspiel, Familienrat, Frauenportrait, Männerportrait)

3 Glückloser Konsul von Casablanca: Hermann Lüderitz

Wenn man zum ersten Mal den Namen Lüderitz hört, denkt man unweigerlich an den Bremer Kaufmann Adolf (von) Lüderitz in Deutsch-Südwestafrika, für viele der Inbegriff des deutschen Kolonialismus Ende des 19. Jahrhunderts. Viele denken auch nur an Lüderitz-Land und Lüderitz-Bucht und an den Ort Lüderitz im heutigen Namibia – dabei gibt es auch in Brandenburg einen Ort mit Namen Lüderitz.

Selbst die Mitglieder unserer Lüderitz-Familie, die wir befragen konnten, assoziierten ihren Familiennamen mit dem des Kolonialisten und glaubten sich mit ihm verwandt. Von solchen spontanen Gedankenverbindungen waren auch zwei von uns nicht ganz frei, als wir Hermann Lüderitz als Konsul in Marokko orteten. Nur der Historiker wusste es natürlich von Anfang an und besser, hatte er doch über die Marokko-Deutschen geforscht und publiziert (1): Hermann Guillaume Theobald Lüderitz war von 1905 bis 1909 Konsul des Deutschen Reiches in Casablanca, Marokko, und hatte dazu einen langen Weg hinter sich gebracht.

Berlin – Heidelberg – Berlin

Hermann wurde am 1. März 1864 in Berlin geboren und am 20. April 1864 im Hause seiner Eltern in der Markgrafenstraße 74 getauft. Sein Vater, Carl Adolph Lüderitz, war mitsamt seiner Familie wenige Tage zuvor (am 6. April 1864) kollektiv in die Französische Kirche übergetreten, wohingegen die anderen drei Kinder noch evangelisch-protestantisch getauft worden waren. Zwei Jahre später starb der Vater mit nur 50 Jahren. Zu diesem Zeitpunkt war Albert 16 Jahre alt und ging zur Realschule, Carl war zwölf Jahre alt und Schüler des Gymnasiums und Elisabeth war gerade mal vier Jahre alt. Die Mutter, Lucie Lüderitz geb. Neider, musste von nun an zwei Kleinkinder und zwei Halbwüchsige alleine durchbringen. Von 1866 bis 1875 firmierte sie im Adressbuch der Stadt Berlin als „Rentiere“, d. h. sie hatte Einkommen, für das sie nicht arbeiten musste. Meist war damit Hauseigentum gemeint, das vermietet war: In der Markgrafenstraße / Ecke Zimmerstraße war sie als Hauseigentümerin eingetragen, und es gab dort im Jahr 1875 sieben Mieter.

Innerhalb der nächsten zehn Jahre änderte sich diese Situation grundlegend: 1875 wohnte Albert (25 Jahre) vermutlich nicht mehr daheim, und Carl (21 Jahre) war 1874 zum Medizinstudium nach Jena gegangen. Die 17-jährige Elisabeth wohnte jedoch noch zu Hause und zeigte erste Ambitionen, Künstlerin zu werden. Hermann (9 Jahre) ging zu diesem Zeitpunkt noch zur Schule.

Da fasste Lucie einen folgenschweren Entschluss: Im Interesse der Ausbildung ihrer Kinder beschloss sie, das Haus in der Friedrichstadt, das der Familie seit 1820 gehörte, zu verkaufen und mit dem Erlös ihren eigenen Unterhalt und den ihrer Kinder bis zu deren Selbstständigkeit zu finanzieren. Für Hermann sollte dieser Weg noch mehr als zehn Jahre dauern.

Ab 1878 besuchte er das nahegelegene Friedrich-Wilhelms-Gymnasium und machte dort Ostern 1884 Abitur. Danach schrieb er sich zunächst an der Universität Heidelberg, dann in Berlin im Fach „Rechte“ ein und legte 1887 das Jura-Examen ab. Am 19. Oktober 1887 trat er als Referendar in den preußischen Justizdienst ein. Weit gefehlt, wer denkt, das habe die alleinerziehende Mutter endlich entlastet: Mit 23 Jahren erhielt Hermann als Rechtsreferendar kein Gehalt, sondern eine Unterhaltsbeihilfe, und die Familie (üblicherweise der Vater) musste sich schriftlich verpflichten, den Sohn standesgemäß zu versorgen: „Wer nicht aus wirtschaftlich gesicherten Verhältnissen stammte, konnte daher nicht königlich preußischer Beamter werden“ (2).

Seine Ausbildungsstationen waren: 1887 Referendar am Amtsgericht Alt-Landsberg, also nicht weit von Berlin entfernt, dann in Berlin am Landgericht I, anschließend bei der Staatsanwaltschaft und schließlich bei Rechtsanwalt und Notar Julius Müseler in der Leipziger Straße 13.

Ostern 1888 begann er eine Sprachausbildung am Seminar für Orientalische Sprachen (SOS), das im Jahr zuvor an der Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin gegründet worden war, und bereitete sich auf Marokko vor (3).

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Das Seminar für Orientalische Sprachen (SOS) war 1887 (3) auf Initiative von Bismarck gegründet worden. Diesem hatte bei der internationalen Berliner Konferenz 1878 kein Dolmetscher für das Türkische zur Verfügung gestanden, wenngleich die gesamte Konferenz um eine neue Friedensordnung für Südosteuropa rang, mit der die Balkankrise (1875–1878) infolge des Aufstrebens des Osmanischen Reiches beendet werden sollte.

Bei seiner Gründung studierten am Seminar 98 Personen im Sommersemester und 72 Personen im Wintersemester. Zehn Jahre später (1898/1899) waren es 111 bzw. 179 Studenten. Sie wurden unterrichtet von 18 Lehrern und acht Lektoren in 14 Sprachen: Chinesisch, Japanisch, Guzerati, Hindi, Hindustani, Arabisch (Syrisch, Ägyptisch, Marokkanisch), Persisch, Türkisch, Suaheli, Herero, Haussa, Russisch, Neugriechisch, Spanisch (3).

Heute würde man es vielleicht als „Kaderschmiede“ bezeichnen: Im nach kolonialer Bedeutung strebenden Deutschland zum Ausgang des 19. Jahrhunderts fehlte es an qualifizierten Fachkräften für die verschiedenen Regionen, in denen sich das Deutsche Reich „engagierte“ (China, Japan, Nordafrika, Südwestafrika). Insbesondere mangelte es an Sprachkenntnissen bei Militärs (Schutztruppen), Diplomaten, Kaufleuten und Postbeamten. Das SOS kam dieser Nachfrage nach und bildete diese Experten aus.

Der Unterricht muss sehr intensiv gewesen sein: Gruppen von vier bis fünf Studenten pro Sprache, muttersprachliche Lehrer und täglich Unterricht von 7 bis 21 Uhr im Sommer, im Winter ab 8 Uhr. Zusätzlich zum Sprachunterricht gab es Lektionen in Sach- und Länderkunde. Diese – Realienfächer genannt – waren: wissenschaftliche Beobachtung auf Reisen, Tropenhygiene, Agrikultur und Landeskunde.

Stolz verkündete man am Ende eines Jahrgangs die Absolventen, die eine Prüfung vor der königlichen Diplom-Prüfungskommission abgelegt und Positionen in den Ländern, deren Sprache sie gelernt hatten, erreicht hatten (3). In der arabischen und amharischen Klasse hatten in den ersten zwölf Jahren nur 20 Absolventen, vornehmlich Juristen, die Sprachausbildung durchlaufen. Alle gingen in den di­plomatischen Dienst.

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Der lange Weg bis zum Konsul in Casablanca

Da wir Hermann in dieser Berliner Zeit (1886 – 1888) nicht im Adressbuch finden konnten, gingen wir davon aus, dass er wieder zu Hause wohnte. Anders hätte er das Pensum am Seminar für Orientalische Sprachen kaum schaffen können.

Der Schritt der Mutter, das Haus in der Markgrafenstraße im Jahr 1875 zu verkaufen, hatte für einige Familienmitglieder, insbesondere aber für Lucie selbst, weitreichende Folgen. Der Verkauf brachte zwar einen substantiellen Erlös und sicherte die Ausbildung von Carl, Elisabeth und Hermann. Es bedeutete jedoch, dass sie zukünftig darauf angewiesen war, Wohnungen mit günstigen Mietbedingungen zu finden. Im Berlin der folgenden Jahre stiegen die Miet- und Immobilienpreise dramatisch, häufige Wohnungswechsel und Umzüge waren die zwangsläufige Folge. Lucie wohnte bei Hermanns Rückkehr nach Berlin in der Hornstraße 22 in Luisenstadt (Kreuzberg), nicht gerade nahe an Hermanns Seminar, aber Berlin im Jahr 1888 war mit 1,45 Mio. Einwohnern noch überschaubar. Die Hornstraße war auch die Adresse, die Hermann bei seiner Immatrikulation in Berlin angab.

Wir wissen nicht, was Hermann bewogen hat, sich ausgerechnet für das marokkanische Arabisch zu entscheiden, aber wir denken, dass der Entschluss, nach Marokko zu gehen, bereits bei Aufnahme des Sprachstudiums festgestanden haben muss. Er brauchte schließlich, da er sich in der Referendarzeit befand, eine Befreiung von anderen Dienstpflichten, um überhaupt an diesem Intensiv-Unterricht teilnehmen zu können. Es gibt ein von Elisabeth Lüderitz gemaltes Bild des Familienrates aus dem Jahre 1888, das offenbar diese Entscheidungssituation zeigt und die unterschiedlichen Einschätzungen der Beteiligten wiederzugeben scheint (–> Titelbild)

Hermann Lüderitz wurde Ende 1889 auf seinen Wunsch hin von der Ministerresidentur in Tanger als Dragomanats-Eleve – als „Dolmetscher-Lehrling“ – übernommen. Mit seiner doppelten Ausbildung war er für diese Aufgabe bestens qualifiziert, da er sich als Dragoman und später als Konsul nicht nur mit den marokkanischen Behörden auseinandersetzen musste, sondern weil er auch den Vorsitz im Konsulargericht hatte, das Zivil- und Strafsachen verhandelte. Das betraf nicht nur Konflikte innerhalb der deutschen Kolonie, sondern die Europäer genossen in Marokko das Privileg, dass auch bei Rechtsstreitigkeiten zwischen einem Deutschen bzw. einem deutschen Schutzgenossen und einem Marokkaner das deutsche Konsulargericht zuständig war.

Drei Jahre später war Hermann allerdings noch immer nicht in einem festen Amt. Er unterstand weiterhin dem preußischen Justizministerium, das ihn für den Dienst im Auswärtigen Amt stets aufs Neue beurlauben musste.

Im Februar 1893 wandte er sich in einem Privatbrief an einen nicht näher bekannten Geheimrat im Auswärtigen Amt, um diesem „meine Sorge um meine Zukunft, um meine Karriere“ zu unterbreiten. Da der syrische Dragoman Melhameh die Stelle blockierte, war Lüderitz nur „als diätarisch angestellter Beamter“ außerplanmäßig beschäftigt, „ohne jede Aussicht auf feste Anstellung“ im auswärtigen Dienst. Er habe die „sichere, wenn auch langsame Karriere“ im preußischen Justizdienst aufgegeben und bat den Adressaten des Schreibens, dafür zu sorgen, dass die „quälende Ungewißheit“ und die daraus entstehende Unzufriedenheit zu einem Ende kommen möge. Die Bitte hatte offenbar insofern einen gewissen Erfolg, als ihm nur einen Monat später, am 7. März 1893, der „Titel eines zweiten Dragomans beigelegt“ wurde.

Dass er das marokkanische Arabisch sehr gut beherrschte, zeigt auch das folgende Beispiel: Im Gegensatz zu manchen seiner Kollegen, die sich mit Fragen des marokkanischen Rechts befassten und darüber auch promovierten, veröffentlichte er 1899 in den „Mittheilungen des Seminars für Orientalische Sprachen“ einen Beitrag zu „Sprüchwörtern aus Marokko mit Erläuterungen im Dialekt des nördlichen Marokko“ (4), mit dem sich Georg Kampffmeyer, einer der führenden Arabisten seiner Zeit und seit 1906 Dozent am Seminar für Orientalische Sprachen, in der gleichen Zeitschrift recht kritisch auseinandersetzte (5). Im selben Heft aus dem Jahre 1899, in dem der Lüderitz-Artikel erschien, findet sich jedoch ein kritisch-lobender Kommentar eines weiteren Experten (6). Dies spricht für mehr als ein rein technisches Interesse an Sprachkompetenz in einem fremden Land. Hier kam möglicherweise das musisch-künstlerisch-kulturelle Interesse der Familie Lüderitz zum Tragen.

Bild 3-1: Eine Publikation von Hermann Lüderitz aus dem Jahr 1899 (4)

Zwischendurch muss Hermann allerdings zuhause gewesen sein: Wir fanden ihn auf der Passagierliste eines Dampfers von Hamburg nach Tanger am 16. Oktober 1891 und spekulierten, dass er in dieser Zeit seine spätere Frau kennengelernt haben könnte. Er heiratete allerdings erst 1902.

Bild 3-2: Beispiele von arabischen Sprichwörtern aus der Publikation von 1899; aus (4)

Aber seine Karriereprobleme waren keineswegs gelöst, obwohl er in Tanger die Protektion seiner Vorgesetzten genoss. Als 1895 der unglücklich agierende Vizekonsul, der Kaufmann Heinrich Ficke, in Casablanca abgelöst und durch einen Berufskonsul ersetzt wurde, übertrug man Lüderitz die kommissarische Vertretung der Dragomanatsstelle in Casablanca. Der neue Konsul, August Freiherr von Brück, verfügte weder über Landeserfahrung noch über Sprachkenntnisse.

Bereits im März 1897 kehrte Lüderitz nach Tanger zurück, jetzt als Dragoman. Offenkundig nutzte er die folgende Zeit, um auch seine konsularische Ausbildung abzuschließen. Im September 1901 wurde ihm der Charakter als Konsul verliehen. Mit der Übernahme als Konsul war seine weitere Karriere insoweit gesichert, dass er ans Heiraten denken konnte. In einem Brief vom 24. September 1902 aus Berlin an seinen obersten Dienstvorgesetzten, Reichskanzler von Bülow, kündigte er die baldige Vermählung mit Fräulein Victoria Ribbeck aus Coburg an. Hermann und Victoria bestellten am 12. Oktober 1902 das Aufgebot und heirateten am 3. November 1902 in Coburg.

Von April bis Juli 1902 wurde er kommissarisch als Konsul in den beiden Königsstädten Marrakesch und Fes, wo es noch keine Berufskonsulate gab, eingesetzt. 1903 war er abermals Dragoman in Tanger. Spätestens seit Ende 1903 drängte dann der Gesandte Friedrich Freiherr von und zu Mentzingen im Auswärtigen Amt darauf, Lüderitz endlich auf die Stelle eines Konsuls zu berufen. Mentzingen fühlte sich auch dazu verpflichtet, weil er Lüderitz nach einem „schweren Sturz“ in Fes nicht dorthin zurückgeschickt hatte, so dass sich dieser wieder zusammen mit seiner Frau in einer Warteposition befand. Auf Mentzingens Empfehlung hin wurde er 1905 vom Auswärtigen Amt übernommen und als Konsul in Casablanca eingesetzt.

Im Folgenden die Empfehlung im servilen Originalton des Friedrich Freiherr von und zu Mentzingen (1856 – 1922), kaiserlicher Gesandter in Tanger von 1899 bis 1904 (1,7), an den Unterstaatssekretär im Auswärtigen Amt in Berlin, Dr. Otto von Mühlberg (1843 – 1934) (8):

„Tanger, den 3. März 1904

An den Unterstaatssekretär im Auswärtigen Amt

Hochverehrter Herr Unterstaatssekretär!

Im November v.J. hatten Eure Excellenz die Güte, mir mündlich die Erfüllung meiner Bitte wegen Ernennung des Konsuls Lüderitz nach Casablanca in Aussicht zu stellen, nachdem ich dargelegt hatte, wie sehr sich der Genannte an Stelle des für jenen Posten ungeeigneten Konsuls Igen qualifizieren würde. ... Unterdessen sitzt Lüderitz seit über Jahr und Tag hier in äusserst unangenehmer Lage. Er muss mit seiner Frau in einem theuren Hotel leben, da er sich bei der Ungewissheit seines Schicksals nicht in einer Privatwohnung auf länger binden kann. Das ist sehr kostspielig, namentlich da die schon vorher sehr hohen Preise der Lebensmittel in den letzten Monaten um ca. 100 % gestiegen sind. Dabei kann ich nur wiederholen, dass er ein ausgezeichneter, besonnener und erfahrener Beamter ist. Im Auswärtigen Amt hat er aus mir unbekannten Gründen den Eindruck eines unruhigen Geistes gemacht. Vielleicht hat er sich dort nicht ganz geschickt benommen, aber ein unruhiger Geist ist er sicherlich nicht. ... Er ist ganz unschuldig daran, denn ich habe seiner Zeit ohne sein Vorwissen den Antrag gestellt, ihn nach seinem schweren Sturze nicht mehr nach Fez zu schicken. ...

In jedem Fall wäre ich Eurer Excellenz für eine gütige Äusserung darüber dankbar, welche Aussichten Lüderitz hat, damit er eventuell, wenn er wirklich noch längere Zeit hierbleiben muss, sich sein Leben billiger einrichten kann. ... Lüderitz tut mir leid, und ich möchte wenigstens meinerseits das Mögliche thun, um ihm zu helfen, wiewohl ich ihn hier sehr vermissen werde, wenn er versetzt wird.Ich benutze die Schreibmaschine um Eurer Excellenz die Lektüre dieser leider etwas länger gerathenen Ausführungen zu erleichtern. Genehmigen Sie, Hochverehrter Herr Unterstaatssekretär, mit meinem besten Danke die erneute Versicherung aufrichtiger Verehrung Ihres gehorsamsten (Mentzingen)“

Ein verschlüsseltes Telegramm Mentzingens an von Mühlberg im Auswärtigen Amt vom 2. August 1904 erinnert in aller Kürze an den Vorgang: „Da wegen Erledigung der Konsulate in Nizza und Singapore Revirement zu erwarten, bringe ich meine Bitte Lüderitz zum Konsul in Casablanca zu ernennen, angelegentlich in Erinnerung – Mentzingen“ (8). Die Entsendung nach Casablanca erfolgte aber erst am 17. August 1905.

Zwei dramatische Vorfälle ereigneten sich während Hermanns Dienstzeit in Casablanca: die Beschießung der Stadt im Juli 1907 durch Frankreich und die sogenannte Legionärsaffäre im Herbst 1908. Bei beiden trat er nicht profiliert in Erscheinung. Anders als etwa sein späterer Nachfolger Walter Maenss, der ihm bereits 1907 als Dragoman zur Seite stand, oder Philipp Vassel, der die deutschen Interessen bei den internationalen Verhandlungen über die Entschädigung für das Bombardement vertrat. Beide stiegen zu den prominentesten deutschen konsularischen Vertretern in Marokko auf. Beiden Ereignissen vorausgegangen war die Erste Marokkokrise (1904 – 1906), in der nach Verschiebung des Gleichgewichtes zwischen England und Frankreich auf der einen und Deutschland und seinem Verbündeten Österreich auf der anderen Seite sich zugunsten der Achse Paris – London („Entente Cordiale“) der Einfluss Frankreichs in Marokko zu vergrößern begann. Der nach dem Besuch des Kaisers in Tanger 1905 auch medial überspitzte Konflikt zwischen Frankreich und Deutschland wurde 1906 auf der Konferenz von Algeciras beigelegt. Aber die Spannungen blieben, weil Frankreich seine Ziele größerer Einflussnahme in Marokko erreichte, während das Deutsche Reich international eher isoliert dastand (1).

Die Beschießung von Casablanca 1907

Nachdem der Sultan die Akte von Algeciras hatte unterschreiben müssen, ging eine Welle der Unruhe durch das Sultanat. Als 1907 in Marrakesch ein französischer Arzt ermordet wurde und die Franzosen zur Vergeltung einen Streifen marokkanischen Gebiets an der algerischen Grenze besetzt hatten, war die Zeit für den Bruder des Sultans gekommen, seine Ansprüche auf den Thron öffentlich anzumelden. Ein Bürgerkrieg bahnte sich an. Es genügte ein kleiner Funke, um in Casablanca Unruhen auszulösen, die in der Ermordung von neun europäischen Arbeitern gipfelten. Als Frankreich auch hier militärisch intervenierte, kam es in der Stadt und im Hinterland zum bewaffneten Aufstand, den Frankreich mit der Beschießung der Stadt beantwortete. Die Schäden waren enorm.

Bild 3-3: Karte von Casablanca zur Zeit der Beschießung von 1907; aus (9)

Konsul Lüderitz war zu diesem Zeitpunkt mit seiner Frau auf Heimaturlaub, aber sein Haushalt wurde erheblich beschädigt, auch sein Personal machte Schäden geltend. Meldung an die Reichsregierung machte sein Vertreter, Konsularverweser Maenss, am 9. August 1907 per Telegramm. Konsul Lüderitz selbst, zurück in Casablanca, meldete seinen Schaden am 29. November 1907 mit einem vierseitigen Schreiben und einer 33-seitigen Liste mit insgesamt mehr als 750 Positionen und einem geschätzten Gesamtwert von 35.765,18 Mark an. Diesen korrigierte das Reichsschatzamt um einen kleinen Rechenfehler von 11,50 Mark nach oben, um anschließend zu bemerken, dass die Liste „in vielen Punkten nach Art und Zahl der Sachen zu Anständen Anlaß [biete] sowie der in Rechnung gestellte Wert der einzelnen Positionen im Allgemeinen zu hoch gegriffen [sei]. ... ein Abzug von 25 % der geforderten Ersatzsumme [genüge], um eine angemessene Schadloshaltung zu ermitteln“ (8).

Uns Autoren war dabei vor allem eine gut bestückte Bar mit 6 Flaschen Rum, 17 Flaschen Champagner, 24 Flaschen Rheinwein, 12 Flaschen Rotwein, 3 Flaschen Sherry, 2 Flaschen Madeira, 50 Havanna-Zigarren und 25 Hamburger Zigarren aufgefallen sowie dass die beiden „Lüdis“ musikalisch gewesen sein müssen: Bratsche, Flöte, Gitarre, Geige (plus Ersatzgeigenbogen) waren ebenfalls genannt.

Die Feststellung der Schäden erfolgte zunächst 1907 durch eine deutsche Kommission, die aus ortsansässigen Kaufleuten bestand und unter dem Vorsitz des ebenfalls seine Interessen wahrenden Konsuls Lüderitz tagte. Trotz der Bedenken des Reichsschatzamtes, die intern blieben, sprach die internationale Entschädigungskommission Lüderitz bzw. inzwischen seiner Witwe im Juni 1910 einen Betrag von 42.800 Francs zu. Das entsprach 34.240 Mark und damit nahezu der Antragssumme.

Während die Reichsregierung in Berlin wenig Grund zur Beschwerde gegen das französische Vorgehen sah, führten die Casablanca-Deutschen unter der Führung von zwei Kaufleuten, Carl Ficke und Reinhard Mannesmann, lautstark Klage. Zum einen forderten sie eine sofortige Abschlagszahlung auf die zu erwartenden Entschädigungszahlungen für ihre Schäden durch das Reich, zum anderen kämpften sie um die „richtige“ Interpretation der Ereignisse, nämlich dass die Beschießung überflüssig und wohl mehr der Absicht Frankreichs geschuldet gewesen sei, einen weiteren Teil Marokkos zu besetzen.

Während die Herren nach Berlin reisten, um dem Staatssekretär des Äußeren ihren Standpunkt zu erläutern und um die Marokko-Interessenten zu mobilisieren, gelang es Konsul Lüderitz nicht, die Casablanca-Deutschen zu beruhigen und zur Mäßigung in ihrer Kritik fast mehr an der eigenen Regierung als an Frankreich zu bewegen. Er machte sich in seinen Berichten eher deren Auffassung zu eigen, dass die Casablanca-Deutschen der Hilfe bedürften, da infolge des Bombardements die Geschäfte stagnierten. Die Weiterleitung einer scharfen Eingabe des Kaufmanns Carl Ficke verweigerte er jedoch und gab sie dem Urheber zurück.

1 439,60 ₽
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Дата выхода на Литрес:
26 мая 2021
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440 стр. 85 иллюстраций
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9783873222984
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