Читать книгу: «George Sand – Gesammelte Werke», страница 42

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– Al­bert, sag­te sie, Sie ha­ben Ihre Vio­li­ne bei der Quel­le zu­rück­ge­las­sen. Ich kann un­mög­lich zu­ge­ben, dass Sie die­ses herr­li­che In­stru­ment, das mir heu­te auf eine mir ganz neue Wei­se die See­le be­wegt hat, an die­sem feuch­ten Orte zu Grun­de ge­hen las­sen.

Al­bert mach­te eine Ge­bär­de, wel­che an­zeig­te, wie we­nig Wert jetzt al­les für ihn habe, was nicht Con­sue­lo sei. Je­doch sie ließ nicht ab.

– Sie hat mir sehr weh ge­tan, sag­te sie, und den­noch …

– Wenn sie Ih­nen nur weh ge­tan hat, ver­setz­te er bit­ter, so las­sen Sie sie un­ter­ge­hen; ich will sie nicht mehr an­rüh­ren. O, ich woll­te, sie wäre erst ver­nich­tet.

– Ich müss­te lü­gen, wenn ich das sag­te, ent­geg­ne­te Con­sue­lo, in­dem sich die Hochach­tung vor dem mu­si­ka­li­schen Geist des Gra­fen in ihr reg­te. Ich war mehr er­grif­fen, als mei­ne Kräf­te jetzt er­lau­ben, das ist al­les; mein Ent­zücken hat sich in Angst ver­wan­delt. Ho­len Sie sie, Freund! ich will sie selbst sorg­sam in den Kas­ten le­gen, da­mit sie da ruhe, bis ich wie­der den Mut ge­win­ne, sie her­aus­zu­neh­men, sie Ih­nen wie­der in die Hand zu ge­ben und sie wie­der zu hö­ren.

Con­sue­lo wur­de ge­rührt durch den Blick voll Dank, wel­chen der Graf auf sie rich­te­te, als sie ihm die­se Hoff­nung gab. Er ging in die Höh­le zu­rück, und Con­sue­lo mach­te sich wäh­rend der we­ni­gen Au­gen­bli­cke ih­res Al­lein­seins Vor­wür­fe über ihre Furcht und ih­ren schreck­li­chen Ver­dacht. Sie er­in­ner­te sich zit­ternd und er­rö­tend der fie­be­ri­schen Auf­wal­lung, wel­che sie in Al­ber­t’s Arme ge­wor­fen hat­te, und sie konn­te nicht um­hin, die zar­te Scheu und die keu­sche Be­schei­den­heit die­ses Man­nes zu be­wun­dern, der sie glü­hend lieb­te und eine sol­che Ge­le­gen­heit nicht be­nutzt hat­te, um ihr auch nur ein Wort von sei­ner Lie­be zu sa­gen. Die Trau­rig­keit, die sie in sei­nen Mie­nen sah, und die schlep­pen­de Schwe­re sei­nes Gan­ges zeig­ten deut­lich ge­nug an, dass er kei­ne küh­ne Hoff­nung ge­fasst hat­te, we­der für jetzt noch für die Zu­kunft. Sie war ihm dank­bar für so großes Zart­ge­fühl und nahm sich vor, das Le­be­wohl, das sie, die un­ter­ir­di­schen Räu­me ver­las­send, sich ge­wis­ser­ma­ßen sa­gen muss­ten, durch die lieb­lichs­ten Wor­te zu ver­sü­ßen.

Aber Zden­ko’s An­den­ken soll­te sie wie ein rä­chen­der Schat­ten bis an das Ziel be­glei­ten und wi­der ih­ren Wil­len Al­bert an­kla­gen. Als sie sich der Tür nä­her­te, fiel ihr Blick auf eine böh­mi­sche In­schrift, de­ren An­fangs­wor­te sie leicht ver­stand, weil sie sie aus­wen­dig wuss­te. Eine Hand, sie konn­te kei­nes an­de­ren ge­we­sen sein als Zden­ko’s, hat­te auf die tie­fe, schwar­ze Tür mit Krei­de ge­schrie­ben: »Möge der dem Un­recht ge­sch­ah …« Das Üb­ri­ge ver­stand Con­sue­lo nicht, aber die Ab­än­de­rung des letz­ten Wor­tes er­reg­te ihr eine leb­haf­te Un­ru­he.

Al­bert kam zu­rück, schloss sei­ne Vio­li­ne ein, ohne dass sie den Mut hat­te oder auch nur dar­an dach­te, ihm, ih­rem Ver­spre­chen ge­mäß, zu hel­fen. Ihre gan­ze Un­ge­duld, ins Freie zu kom­men, war in ihr zu­rück­ge­kehrt. Als er den Schlüs­sel mit An­stren­gung im Schlos­se um­dreh­te, konn­te sie sich nicht ent­hal­ten, den Fin­ger auf das ge­heim­nis­vol­le Wort zu le­gen und da­bei ih­ren Wirt fra­gend an­zu­bli­cken.

– Das be­deu­tet, sag­te Al­bert mit ei­ner ge­wis­sen Ruhe, dass der ver­kann­te En­gel, der Freund des Un­glück­li­chen, der von wel­chem wir zu­vor spra­chen, Con­sue­lo, …

– Sa­tan, ich weiß; und wei­ter?

– Sa­tan also dir ver­zei­he!

– Was denn ver­zei­he? frag­te sie er­blei­chend.

– Wenn man für Schmerz und Kum­mer Ver­zei­hung braucht, ent­geg­ne­te Al­bert mit weh­mü­ti­gem Lä­cheln, so hät­te ich viel zu be­ten.

Sie tra­ten in den Gang und spra­chen bis in den Mönchs­kel­ler kein Wort wei­ter mit­ein­an­der. Als aber die Ta­ges­hel­le durch das Laub in bläu­li­chen Re­fle­xen auf das Ge­sicht des Gra­fen fiel, sah Con­sue­lo, dass zwei stum­me Trä­nen­bä­che lang­sam über sei­ne Ba­cken flos­sen. Sie war ge­rührt, und den­noch, als er sich ihr mit schüch­ter­ner Mie­ne nä­her­te; um sie durch die La­che zu tra­gen, woll­te sie lie­ber ihre Füße in dem sto­cken­den Was­ser be­su­deln, als ihm er­lau­ben, dass er sie in sei­ne Arme näh­me. Sie ge­brauch­te die Er­schöp­fung, wel­che sie an ihm be­merk­te, als Vor­wand, und fing schon an, ihre zar­te Fuß­be­klei­dung dem Schlam­me Preis zu ge­ben, als Al­bert, sei­ne Fa­ckel lö­schend, sag­te:

– So le­ben Sie denn wohl, Con­sue­lo! An Ihrem Wi­der­wil­len ge­gen mich er­ken­ne ich, dass ich in die ewi­ge Nacht zu­rück­keh­ren muss, und in mein Grab wie ein Geist, den Sie auf einen Au­gen­blick her­auf­be­schwo­ren, ohne dass ich et­was an­de­res ver­mocht hät­te, als Ih­nen Furcht ein­zu­flö­ßen.

– Nein! Ihr Le­ben ge­hört mir, rief Con­sue­lo sich um­wen­dend und ihn fest­hal­tend; Sie ha­ben mir ge­lobt, nicht ohne mich in die­se Höh­le zu­rück­zu­keh­ren und Sie müs­sen Ihr Ge­lüb­de hal­ten.

– Und warum wol­len Sie die Bür­de des Le­bens un­ter Men­schen ei­nem Ge­s­penst von Men­schen auf­er­le­gen? Der Ein­sa­me ist nur der Schat­ten ei­nes Men­schen, und wer nicht ge­liebt wird, ist über­all und mit­ten un­ter Al­len ein­sam.

– Al­bert, Al­bert! Sie zer­rei­ßen mir das Herz. Kom­men Sie, tra­gen Sie mich hin­aus. Ich glau­be, in dem hel­len Lich­te des Ta­ges wer­de ich end­lich in mei­nem ei­ge­nen Schick­sal klar se­hen.

2.

Al­bert ge­horch­te; und als sie vom Fuße des Schre­cken­stein in die tiefer ge­le­ge­nen Tä­ler hin­ab­zu­stei­gen be­gan­nen, fühl­te Con­sue­lo wirk­lich ihre Auf­re­gung sich min­dern.

– Ver­ge­ben Sie mir, dass ich Ih­nen wehe tat, sag­te sie, sich sanft im Ge­hen auf sei­nen Arm leh­nend; es ist mir jetzt ganz klar, dass ich eben in der Grot­te einen An­fall von Toll­heit hat­te.

– Wa­rum den­ken Sie noch dar­an, Con­sue­lo? Ich wür­de Sie nie dar­an er­in­nert ha­ben; ich weiß wohl, dass Sie ihn lie­ber aus Ihrem Ge­dächt­nis til­gen möch­ten. Und ich, ich wer­de es auch da­hin zu brin­gen su­chen müs­sen, dass ich ihn ver­ges­se!

– Mein Freund! Ich wün­sche nicht, ihn zu ver­ges­sen, son­dern Sie um Ver­zei­hung zu bit­ten. Wenn ich Ih­nen das selt­sa­me Ge­sicht schil­der­te, wel­ches ich im An­hö­ren Ih­rer böh­mi­schen Me­lo­di­en hat­te, so wür­den Sie se­hen, dass ich wirk­lich von Sin­nen war, als ich Ih­nen eine sol­che Über­ra­schung und einen sol­chen Schreck ver­ur­sach­te. Sie kön­nen un­mög­lich glau­ben, dass ich mit Ih­rer Ver­nunft und Ih­rer Ruhe ein Spiel trei­ben woll­te … O Gott! Der Him­mel ist mein Zeu­ge, dass ich auch jetzt noch mein Le­ben für Sie las­sen wür­de.

– Ich weiß, dass, Sie das Le­ben nicht wert­ach­ten, Con­sue­lo! Ach und ich, ich füh­le, dass ich dar­an so gie­rig han­gen wür­de, wenn …

– Re­den Sie aus!

– Wenn ich ge­liebt wür­de, wie ich lie­be!

– Al­ber­ti ich lie­be Sie so sehr, als ich darf. Ich wür­de Sie auch ohne Zwei­fel lie­ben, wie Sie ge­liebt zu wer­den ver­die­nen, wenn …

– Re­den Sie nun auch aus!

– Wenn es mir un­über­steig­li­che Hin­der­nis­se nicht zu ei­nem Ver­bre­chen mach­ten.

– Hin­der­nis­se? Ich su­che ver­ge­bens, wel­che es sein kön­nen; ganz ge­wiss nur in Ihrem Her­zen kön­nen sie lie­gen, in Ihren Erin­ne­run­gen!

– Re­den Sie nicht von mei­nen Erin­ne­run­gen! Sie sind ab­scheu­lich, und ich möch­te lie­ber auf der Stel­le ster­ben, als mei­ne Ver­gan­gen­heit noch ein­mal durch­le­ben. Aber Ihr Rang in der Welt, Ihr Reich­tum, der Wi­der­stand und der Un­wil­le der Ih­ri­gen, wie soll­te ich stark ge­nug sein, das al­les auf mich zu neh­men? Ich habe auf der Welt nichts, als mei­nen Stolz und mei­ne Unei­gen­nüt­zig­keit: was blie­be mir, wenn ich die­se op­fer­te?

– Mei­ne Lie­be blie­be dir und die dei­ni­ge, wenn du mich lieb­test. Ich füh­le aber, dass du mich nicht liebst, und ich ver­lan­ge nichts von dir, als et­was Mit­leid. Wie könn­te es für dich de­mü­ti­gend sein, wenn du mir ein we­nig Glück als ein Al­mo­sen spen­de­test? Wer läge denn im Stau­be vor dem an­de­ren? Wie könn­te dich mein Reich­tum her­ab­wür­di­gen? Könn­ten wir ihn nicht in ei­nem Au­gen­blick den Ar­men hin­wer­fen, wenn er dich eben so drück­te wie mich? Meinst du, dass ich nicht längst ent­schlos­sen bin, ihn so an­zu­wen­den, wie es zu mei­nen Über­zeu­gun­gen und zu mei­nen Nei­gun­gen stimmt, das heißt, mich von ihm zu be­frei­en, wenn der Ver­lust mei­nes Va­ters den Schmerz der Erb­schaft zu dem Schmer­ze der Tren­nung fügt? Nun! Du fürch­test dich, reich zu wer­den? Sie­he! ich habe das Ge­lüb­de der Ar­mut ge­tan. Du fürch­test, durch mei­nen Na­men vor­nehm zu wer­den? Es ist ein er­lo­ge­ner Name, und der wah­re ist pros­cri­biert. Ich wer­de den rech­ten nicht wie­der an­neh­men, das hie­ße dem An­den­ken mei­nes Va­ters zu nahe tre­ten, aber in der Dun­kel­heit, in die ich mich ver­gra­ben will, soll der falsche Nie­man­den blen­den, das schwö­re ich dir, und du wirst ihn mir nicht zum Vor­wurf ma­chen kön­nen. End­lich der Wi­der­stand der Mei­ni­gen … o, wenn dies das ein­zi­ge Hin­der­nis wäre! Sage mir nur, dass kein an­de­res da ist, und du sollst se­hen!

– Es ist das grö­ßes­te von al­len, das ein­zi­ge, wel­ches alle mei­ne Hin­ge­bung, alle mei­ne Er­kennt­lich­keit für Sie nicht aus dem Wege zu schaf­fen ver­möch­te.

– Con­sue­lo, du lügst. Schwö­re mir, dass du nicht lügst. Nicht wahr, es ist nicht das ein­zi­ge Hin­der­nis?

Con­sue­lo hielt inne. Sie hat­te nie ge­lo­gen, aber sie woll­te das Übel wie­der gut ma­chen, das sie ih­rem Freun­de zu­ge­fügt, ihm, der ihr das Le­ben ge­ret­tet, der seit drei Mo­na­ten über sie ge­wacht hat­te wie eine zärt­li­che, klu­ge Mut­ter. Sie hat­te sich da­mit ge­schmei­chelt, ih­rer Wei­ge­rung et­was von ih­rer Här­te zu be­neh­men, wenn sie Hin­der­nis­se an­führ­te, die sie in Wahr­heit für un­über­steig­lich hielt. Aber Al­ber­t’s Fra­gen mach­ten sie ver­wirrt und ihr ei­ge­nes Herz war ein La­by­rinth, worin sie sich nicht zu­recht fand; denn sie konn­te nicht mit Ge­wiss­heit sa­gen, ob sie ihn lieb­te oder hass­te, die­sen wun­der­li­chen Mann, zu dem eine un­er­klär­li­che und mäch­ti­ge Sym­pa­thie sie hin­zog, wäh­rend eine un­über­wind­li­che Furcht und et­was, das an Wi­der­wil­len gränz­te, sie bei dem Ge­dan­ken ei­ner Ver­pflich­tung, die sie mit ihm ein­ge­hen soll­te, zit­tern mach­te.

Es schi­en ihr in die­sem Au­gen­blick, dass sie An­zo­le­to hass­te. Konn­te es an­ders sein, wenn sie ihn mit sei­ner ro­hen Selbst­sucht, sei­nem ge­mei­nen Ehr­geiz, sei­ner nied­ri­gen Ge­sin­nung, sei­ner Treu­lo­sig­keit ne­ben die­sen so ed­len, mensch­li­chen, rei­nen, und mit al­len ho­hen und al­len rit­ter­li­chen Tu­gen­den so reich be­gab­ten Al­bert stell­te? Die ein­zi­ge Wol­ke, wel­che ihr die Vollen­dung die­ses Ge­gen­bil­des trü­ben konn­te, war der An­griff auf Zden­ko’s Le­ben, des­sen Wahr­schein­lich­keit sie sich nicht aus dem Sin­ne brin­gen konn­te. Aber war die­ser Ver­dacht nicht eine krank­haf­te Ein­bil­dung, ein bö­ser Traum, den eine Er­klä­rung au­gen­blick­lich ver­scheu­chen konn­te? Sie be­schloss, den Ver­such zu ma­chen; sie tat, als ob sie in Ge­dan­ken ver­lo­ren wäre und Al­ber­t’s letz­te Fra­ge nicht ge­hört hät­te.

– Mein Gott! sag­te sie und blieb ste­hen, ei­nem Bau­er nach­se­hend, wel­cher ziem­lich ent­fernt vor­über­ging, mir war, als käme Zden­ko da­her!

Al­bert er­beb­te, ließ Con­sue­lo’s Arm fah­ren, den er in dem sei­ni­gen hielt, und ging ein Paar Schrit­te vor­wärts. Dann blieb er ste­hen und wen­de­te sich zu ihr zu­rück mit den Wor­ten:

– Wie Sie sich täu­schen kön­nen, Con­sue­lo! Die­ser Mann da hat auch nicht einen Zug von …

Er konn­te es nicht über sich ge­win­nen, Zden­ko’s Na­men aus­zu­spre­chen; sei­ne Züge wa­ren ganz ver­stört.

– Und doch glaub­ten Sie es selbst einen Au­gen­blick, sag­te Con­sue­lo, ihn scharf an­se­hend.

– Ich habe ein sehr kur­z­es Ge­sicht, und ich dach­te im Au­gen­bli­cke nicht dar­an, dass es un­mög­lich ist, ihm zu be­geg­nen.

– Un­mög­lich! Zden­ko ist also wohl sehr weit hin­weg?

– Weit ge­nug, dass Sie sich vor sei­ner Ver­rückt­heit nicht mehr zu fürch­ten brau­chen.

– Kön­nen Sie mir nicht sa­gen, was ihn so plötz­lich dazu brach­te, mich zu has­sen, nach­dem er mir so vie­le Be­wei­se sei­ner Zu­nei­gung ge­ge­ben hat­te?

– Ich sag­te es Ih­nen schon: ein Traum, wel­chen er, am Tage zu­vor hat­te, ehe Sie in den Brun­nen hin­ab­stie­gen. In die­sem Trau­me sah er Sie mit mir zum Al­ta­re tre­ten, wo Sie mir ewi­ge Treue ge­lo­ben woll­ten; und dort fin­gen Sie an, un­se­re al­ten böh­mi­schen Psal­men mit so hel­ler Stim­me zu sin­gen, dass da­von die Kir­che beb­te. Und wäh­rend Sie san­gen, sah er mich erb­las­sen und in den Bo­den der Kir­che ein­sin­ken, bis ich ganz ver­schwun­den war und im Gra­be mei­ner Ah­nen lag.

Da­rauf sah er Sie has­tig Ihren Braut­kranz ab­rei­ßen, mit dem Fuße einen Stein auf die Gruft sto­ßen, der mich im Au­gen­blick be­deck­te, und auf die­sem Stei­ne mit der aus­ge­las­sens­ten und grau­sams­ten Freu­de tan­zen, wäh­rend Sie in ei­ner frem­den Spra­che ihm un­ver­ständ­li­che Wor­te san­gen. Vol­ler Wut warf er sich auf Sie, Sie aber wa­ren schon wie ein Rauch ver­flo­gen und er er­wach­te in Schweiß ge­ba­det und au­ßer sich vor Zorn.

Er weck­te auch mich, denn die Grot­te hall­te wie­der von sei­nem Ge­schrei und sei­nen Ver­wün­schun­gen. Es wur­de mir schwer, ihn da­hin zu brin­gen, dass er mir sei­nen Traum er­zähl­te, und noch schwe­rer, ihn zu über­re­den, dass es kei­ne Vor­be­deu­tung für mein künf­ti­ges Schick­sal wäre. Dies wur­de mir umso schwe­rer, da ich mich selbst in ei­nem über­spann­ten und durch­aus krank­haf­ten Zu­stan­de be­fand und es ihm frü­her noch nie aus­zu­re­den ver­sucht hat­te, wenn ich sah, dass er sei­nen Träu­men und Ge­sich­ten Glau­ben schenk­te.

In­des­sen hat­te ich an dem Tage nach die­ser un­ru­hi­gen Nacht Ur­sa­che an­zu­neh­men, dass er sei­nen Traum ver­ges­sen hät­te oder ihm kei­ne Wich­tig­keit mehr bei­leg­te, denn er sprach nicht wei­ter da­von, und als ich ihn bat, Sie auf­zu­su­chen und an mich zu er­in­nern, wi­der­setz­te er sich mei­nem Wun­sche nicht of­fen­bar. Er dach­te wohl nicht, dass es Ih­nen je ein­fal­len wür­de oder ge­lin­gen könn­te, mich in mei­nem Ver­steck auf­zu­su­chen, und sei­ne Wut er­wach­te erst wie­der, als er Sie den­noch die Sa­che un­ter­neh­men sah.

Je­den­falls hat er sei­nen Hass ge­gen Sie erst in dem Au­gen­blick aus­ge­spro­chen, wo wir bei­de mit ihm in der un­ter­ir­di­schen Ga­le­rie zu­sam­men­tra­fen. Er sag­te mir da­mals auf Böh­misch in kur­z­en Wor­ten, dass er be­ab­sich­tig­te und ent­schlos­sen wäre, mich von Ih­nen zu be­frei­en und (dies war sein Aus­druck) Sie zu zer­stö­ren, so­bald er Sie nur wie­der al­lein trä­fe, denn Sie wä­ren ein Gift für mein Le­ben und mein Tod stän­de in Ihren Au­gen ge­schrie­ben.

Ver­zei­hen Sie es mir, dass ich Ih­nen sei­ne wahn­sin­ni­gen Re­den so ge­nau wie­der­ge­be, und über­zeu­gen Sie sich, wie nö­tig es war, ihn von Ih­nen und von mir zu ent­fer­nen. Las­sen Sie uns aber nun nicht mehr da­von re­den, ich bit­te Sie in­stän­digst, denn kein Ge­gen­stand des Ge­sprä­ches kann mir pein­li­cher sein.

Ich habe Zden­ko wie mein an­de­res Selbst ge­liebt. Sein Wahn­sinn hat­te sich mit dem mei­ni­gen so ganz ver­schlun­gen und ver­webt, dass wir un­will­kür­lich die­sel­ben Ge­dan­ken, die­sel­ben Er­schei­nun­gen, die­sel­ben kör­per­li­chen Lei­den hat­ten. Er war kind­li­cher und da­bei poe­ti­scher als ich, sei­ne Stim­mung war gleich­mä­ßi­ger, und die Trug­bil­der, die mir schreck­lich und dro­hend vor­schweb­ten, zeig­ten sich ihm ver­mö­ge sei­ner zar­te­ren und lieb­li­che­ren Na­tur mild und weh­mü­tig.

Der größ­te Un­ter­schied zwi­schen uns bei­den be­stand dar­in, dass ich mei­ne An­fäl­le nur zu Zei­ten hat­te, wäh­rend er in be­stän­di­ger Ver­zückung war. In­des­sen ich ab­wech­selnd bald in Wahn­sinn ver­fiel, bald kalt und schau­dernd mein ei­ge­nes Elend zer­leg­te, leb­te er gleich­sam in ei­nem be­stän­di­gen Traum, der ihm alle äu­ße­ren Ge­gen­stän­de in fan­tas­ti­scher Ge­stalt zeig­te; sei­ne Bil­der­welt war aber stets so hold und freund­lich, dass ich in mei­nen hel­len Au­gen­bli­cken (die für mich ohne Zwei­fel die schreck­lichs­ten wa­ren) Zden­ko’s be­durf­te, um mich durch sei­nen se­li­gen und sinn­rei­chen Wahn­sinn auf­hei­tern und mit dem Le­ben wie­der aus­söh­nen zu las­sen.

– O mein Freund, sag­te Con­sue­lo, Sie müs­sen mich has­sen und ich has­se mich selbst, dass ich Sie die­ses so wer­ten und er­ge­be­nen Freun­des be­raubt habe. Aber hat sei­ne Ver­ban­nung nicht lan­ge ge­nug ge­dau­ert? Jetzt ist er ganz ge­wiss schon ge­heilt von die­sem vor­über­ge­hen­den Wu­t­an­fall … –

– Ge­heilt ist er … hof­fe ich! sag­te Al­bert mit ei­nem ei­ge­nen, bit­tern Lä­cheln.

– Nun denn, fing Con­sue­lo wie­der an, wel­che ge­gen den Ge­dan­ken, dass Zden­ko tot sei, kämpf­te, warum ru­fen Sie ihn nicht zu­rück? Ich wür­de mich nicht mehr vor ihm fürch­ten, ge­wiss nicht! und wir wür­den un­se­re Be­mü­hun­gen bei­de ver­ei­ni­gen, ihm sein Vor­ur­teil ge­gen mich zu be­neh­men.

– Las­sen Sie es gut sein, Con­sue­lo! sprach Al­bert matt. Es ist nicht mehr mög­lich, ihn zu­rück­zu­ru­fen. Ich habe mei­nen bes­ten Freund, mei­nen ste­ten Ge­fähr­ten, mei­nen Die­ner, mei­ne Stüt­ze, mei­ne vor­aus­sich­ti­ge, ämsi­ge Mut­ter, mein ein­fäl­ti­ges, gu­tes, folg­sa­mes Kind ge­op­fert, ihn, der für mich sorg­te, für alle mei­ne Be­dürf­nis­se, für mei­ne un­schul­di­gen trüb­se­li­gen Freu­den, der mich vor mir selbst be­schütz­te, wenn mich die Verzweif­lung pack­te, und List und Ge­walt an­wen­den, um mich in mei­ner Zel­le zu­rück­zu­hal­ten, wenn er mich noch un­fä­hig sah, mei­ne Wür­de und mein Le­ben in der Welt der Le­ben­di­gen und in der Ge­sell­schaft der Men­schen zu be­haup­ten. Ich habe ihn ge­op­fert, ohne rück­wärts zu se­hen und ohne Reue, weil ich muss­te, weil Sie, die Sie mich mit Le­bens­ge­fahr aus mei­ner un­ter­ir­di­schen Klau­se ris­sen und mich der Ver­nunft und der Er­kennt­nis mei­ner Pf­lich­ten zu­rück­ga­ben, mir noch kost­ba­rer und hei­li­ger wa­ren, als Zden­ko.

– Sie ir­ren, Al­bert, läs­tern viel­leicht. Ein Au­gen­blick der Kühn­heit lässt sich nicht mit ei­nem gan­zen Le­ben der auf­op­fern­den Hin­ge­bung ver­glei­chen.

– Glau­ben Sie nicht, dass eine selbsti­sche und wüs­te Lie­be mich tun hieß, was ich tat. Eine sol­che Lie­be hät­te ich in mei­nem Her­zen er­sti­cken müs­sen und ich hät­te mich lie­ber mit Zden­ko auf im­mer in mei­ner Zel­le ein­ge­schlos­sen, ehe ich dem bes­ten der Men­schen das Herz brach. Aber Got­tes Stim­me hat­te deut­lich ge­spro­chen. Ich hat­te dem Auf­brau­sen mei­ner Lei­den­schaft wi­der­stan­den, ich hat­te Sie ge­flo­hen, ich woll­te Sie nicht wie­der se­hen, so lan­ge sich die Ah­nun­gen nicht er­füll­ten, die mich in Ih­nen mei­nen Ret­tungs­en­gel se­hen lie­ßen. Bis ein lü­gen­haf­ter Traum Zden­ko’s sanf­tes und from­mes We­sen in Ver­wir­rung brach­te, hat­te er mei­ne Sehn­sucht nach Ih­nen, mei­ne Furcht, mei­ne Hoff­nung, mei­ne from­men Wün­sche ge­teilt.

Der Un­glück­li­che! An dem Tage selbst, an dem Sie sich of­fen­bar­ten, ver­kann­te er Sie. Das himm­li­sche Licht, das im­mer die ah­nungs­rei­che Welt sei­nes In­nern er­leuch­tet hat­te, er­losch plötz­lich und Gott such­te ihn mit ei­nem Geist des Tau­mels und der Wut heim. Da muss­te auch ich ihn ver­las­sen, denn Sie er­schie­nen mir von Him­mels­glanz um­strahlt, aus den Fit­ti­gen des Wun­ders dran­gen Sie bis zu mir hin­durch und es wa­ren Ih­nen, um von mei­nen Au­gen die De­cke zu neh­men, Wor­te ge­ge­ben, die Sie, nach Ihrem stil­len We­sen und Ih­rer Künst­ler­er­zie­hung zu ur­tei­len, nicht aus­ge­son­nen und vor­be­dacht ha­ben konn­ten. Das himm­li­sche Er­bar­men und die gött­li­che Lie­be spra­chen durch Ihren Mund und ga­ben Ih­nen das ein, was mir diente, da­mit ich das Men­schen­le­ben er­ken­nen und be­grei­fen lern­te.

– Was habe ich Ih­nen denn so Klu­ges und Ein­dring­li­ches ge­sagt? Wahr­haf­tig, Al­bert! ich weiß kein Wort da­von.

– Noch ich. Aber in dem Tone, Ih­rer Stim­me, in der Lieb­lich­keit Ihres Blickes sprach Gott selbst. An Ih­rer Sei­te lern­te, wuss­te ich in ei­nem ein­zi­gen Au­gen­blick, was ich auf mich al­lein an­ge­wie­sen in mei­nem gan­zen Le­ben nicht ge­fun­den hät­te. Ich wuss­te frü­her nur, dass mein Le­ben eine Bü­ßung, ein Mar­tyr­tum sei und ich such­te mei­ne Be­stim­mung durch Ver­ein­sa­mung, durch Trä­nen, durch Zorn wi­der mich selbst, durch Be­trach­tung, durch Ent­hal­tung und Kas­tei­ung zu er­fül­len.

Sie lie­ßen mich ein neu­es Le­ben ah­nen, ein an­de­res Mar­tyr­tum, ein Le­ben der Ge­duld, der Sanft­mut, der Mil­de, der Er­ge­bung. Die Pf­lich­ten; die Sie mir schlicht und ein­fäl­tig vor Au­gen hiel­ten, mit den Fa­mi­li­en­pflich­ten be­gin­nend, hat­te ich ver­säumt, und mei­ne Fa­mi­lie hat­te mich, aus all­zu­großer Nach­gie­big­keit, mein Un­recht nicht füh­len las­sen. Ich habe es, Dank sei es Ih­rer Er­mah­nung, wie­der gut ge­macht, und habe es an der Ruhe, die in mein In­ne­res ein­zog, von Stund an er­kannt, dass Gott für jetzt von mir nichts an­de­res for­de­re.

Ich weiß wohl, dass es nicht mei­ne gan­ze Auf­ga­be ist, und ich er­war­te, dass sich Gott mir wei­ter kund gebe. Aber ich bin jetzt voll Ver­trau­en, weil ich das Ora­kel ge­fun­den habe, das ich künf­tig be­fra­gen kann. Con­sue­lo, Sie. Die Vor­se­hung hat Ih­nen Macht über mich ge­ge­ben, und ich will mich ge­gen ih­ren Wil­len nicht un­ge­hor­sam auf­leh­nen. Ich durf­te also kei­nen Au­gen­blick An­stand neh­men, ob ich mich für die über­le­ge­ne Macht, der es ge­ge­ben ist, mich zu er­neu­ern, oder für das arme Ge­schöpf ent­schei­den soll­te, das bis­her nur Leid und Un­ru­he mit mir ge­tra­gen hat­te.

– Sie mei­nen Zden­ko? Wo­her aber wis­sen Sie denn, ob Gott mich nicht be­stimmt hat­te, ihn wie Sie zu hei­len? Sie se­hen doch, dass ich über ihn schon ei­ni­ge Macht be­saß, da es mir ge­lang, ihn mit ei­nem ein­zi­gen Wor­te zu bän­di­gen, als sei­ne Hand ge­gen mich er­ho­ben war, um mich zu tö­ten.

– Mein Gott, ja! Sie ha­ben recht! Es fehl­te mir am Glau­ben, ich hat­te Furcht. Ich kann­te Zden­ko’s Schwü­re. Er hat­te wi­der mei­nen Wil­len mir den Schwur ge­tan, nur für mich zu le­ben, und er hat ihn ge­hal­ten, so lan­ge ich den­ken kann, in mei­ner Ab­we­sen­heit und seit ich zu­rück bin. Und als er schwor, Sie zu zer­stö­ren, dach­te ich gar nicht, dass es eine Mög­lich­keit gäbe, ihn von sei­nem Ent­schluss ab­zu­brin­gen, und ich ent­schloss mich, ihn hin­weg­zu­schaf­fen, ihn zu zer­bre­chen, ihn selbst zu zer­stö­ren.

– Ihn zu zer­stö­ren? Mein Gott! Was will das in Ihrem Mun­de hei­ßen, Al­bert! Wo ist Zden­ko?

– Sie fra­gen mich, wie Gott Kain frag­te: wo ist dein Bru­der?

– O Him­mel, Him­mel! Sie ha­ben ihn doch nicht ge­tö­tet, Al­bert?

Con­sue­lo hat­te sich, in­dem ihr das schreck­li­che Wort ent­fuhr, fest an Al­ber­t’s Arm ge­drängt und sah ihn mit ei­nem Bli­cke an, worin sich Angst und schmerz­li­ches Mit­leid misch­te. Sie wich aber er­schro­cken zu­rück vor dem stol­zen, kal­ten Aus­druck die­ses blei­chen Ge­sich­tes, in wel­chem sich der Schmerz ver­steint zu ha­ben schi­en.

Ge­tö­tet nicht, ant­wor­te­te er, al­lein das Le­ben habe ich ihm si­cher doch ge­nom­men. Kön­nen Sie mir denn dar­aus ein Ver­bre­chen ma­chen, Sie, für die ich auf die­sel­be Wei­se mei­nen Va­ter tö­ten könn­te, Sie, für die ich al­len Ge­wis­sens­bis­sen zum Trotz die teu­ers­ten und hei­ligs­ten Ban­de scho­nungs­los zer­rei­ßen wür­de? Wenn ich lie­ber den Schmerz und die Reue, die mich na­gen, auf mich neh­men, als Sie von ei­nem Ver­rück­ten er­mor­det se­hen woll­te, kön­nen Sie so er­bar­mungs­los und fühl­los sein, mir die­ses Weh im­mer wie­der auf­zu­we­cken und mir das größ­te Op­fer, das in mei­ner Macht stand, Ih­nen dar­zu­brin­gen, im­mer wie­der vor­zu­wer­fen? Ach! Auch Sie, auch Sie ha­ben Au­gen­bli­cke, wo Sie grau­sam sein kön­nen! Die Grau­sam­keit, o wie un­ver­tilg­bar ist sie doch aus je­dem, je­dem Men­schen­her­zen!

Die­sen Vor­wurf, der ers­te, den Al­bert Con­sue­lo zu ma­chen ge­wagt hat­te, sprach er mit ei­ner sol­chen Fei­er­lich­keit aus, dass es sie ent­setz­te, und dass sie mehr, als es ihr noch je be­geg­net war, emp­fand, wie sehr sie sich vor ihm fürch­te­te. Ein Ge­fühl von De­mü­ti­gung, das viel­leicht kin­disch war, aber dem Frau­en­her­zen in­ne­wohnt, folg­te dem sü­ßen Stol­ze, des­sen sie sich, als ihr Al­bert sei­ne lei­den­schaft­li­che Lie­be schil­der­te, nicht hat­te er­weh­ren kön­nen. Sie fühl­te sich nie­der­ge­schla­gen, ohne Zwei­fel ver­kannt, denn sie hat­te sei­nem Ge­heim­nis nur in der Ab­sicht oder we­nigs­tens in dem Wun­sche nach­ge­spürt, sei­ne Lie­be zu er­wi­dern, wenn er sich ge­recht­fer­tigt ha­ben wür­de. Zu­gleich er­kann­te sie, dass sie in den Au­gen des­sen, der sie lieb­te, eine Schuld auf sich ge­la­den hat­te, denn hat­te er Zden­ko wirk­lich er­mor­det, so war sie die ein­zi­ge auf der Welt, die kein recht hat­te, ihn un­wi­der­ruf­lich zu ver­dam­men, sie, de­ren Le­ben das Op­fer ei­nes an­de­ren, dem ar­men Al­bert ja doch auch un­end­lich teu­ern Le­bens ge­for­dert hat­te.

Con­sue­lo wuss­te ihm nichts zu ant­wor­ten. Sie woll­te von et­was an­de­rem re­den, aber ihre Trä­nen schnit­ten ihr das Wort ab. Als Al­bert sie wei­nen sah, woll­te er sich nun sei­ner­seits de­mü­ti­gen, aber sie bat ihn, nie wie­der auf einen für sie so schreck­li­chen Ge­gen­stand zu­rück­zu­kom­men, und ver­sprach ihm auch ih­rer­seits, nicht wie­der einen Na­men aus­zu­spre­chen, der ihr eben so wie ihm die schmerz­lichs­te Auf­re­gung ver­ur­sach­te.

Der üb­ri­ge Weg ging ih­nen un­ter Zwang und Ängs­ten hin. Sie ver­such­ten um­sonst, ein Ge­spräch an­zu­knüp­fen. Con­sue­lo wuss­te nicht, was sie sprach, noch was sie hör­te. Al­bert je­doch schi­en ru­hig, wie Abra­ham oder wie Bru­tus nach dem Op­fer, das ein grau­sa­mes Ge­schick ih­nen auf­er­legt hat­te. Die­se un­se­li­ge und tie­fe Ruhe bei ei­ner sol­chen Last auf dem Her­zen konn­te sich Con­sue­lo nur aus ei­nem Rest von Wahn­sinn er­klä­ren, und sie ent­schul­dig­te ih­ren Freund da­mit, dass sie sich sag­te: er ist ver­wirrt.

Wenn er im of­fe­nen Kamp­fe ge­gen einen Räu­ber den Geg­ner er­schla­gen hät­te, um sie zu ret­ten, so wür­de sie dar­in nur einen Grund mehr zur Dank­bar­keit und viel­leicht zur Be­wun­de­rung sei­ner Tap­fer­keit und sei­nes Mu­tes ge­fun­den ha­ben. Aber die­ser ge­heim­nis­vol­le Mord, der ohne Zwei­fel im Dun­kel der un­ter­ir­di­schen Ge­wöl­be voll­bracht war, die­ses Grab an der Stät­te sei­ner Ge­be­te, die­ses fühl­lo­se Schwei­gen nach ei­ner sol­chen Kri­se, die­ser fa­na­ti­sche Stoi­cis­mus, mit dem er sie in die Grot­te zu füh­ren und sich da­selbst der Wol­lust der Mu­sik zu über­las­sen ge­wagt hat­te, das al­les war ihr zu schau­der­haft; Con­sue­lo fühl­te, dass die Lie­be die­ses Man­nes kei­nen Ein­gang in ihr Herz fin­den woll­te.

– Wann hat er nur den Mord be­ge­hen kön­nen? frag­te sie sich. Ich habe seit drei Mon­den kei­ne Fal­te auf sei­ner Stirn ge­se­hen, tief ge­nug, um an Ge­wis­sens­bis­se den­ken zu las­sen. Hat er nicht ein Paar Trop­fen Blu­tes an sei­ner Hand ir­gend­ein­mal kle­ben ge­habt, als ich ihm die mei­ni­ge reich­te? Schreck­lich! Er muss von Stein oder von Eis sein, oder er liebt mich bis zur wil­des­ten Ra­se­rei! Und ich, ich, die ich so sehn­lich wünsch­te, gren­zen­los ge­liebt zu wer­den, die ich mich so bit­ter härm­te, weil ich nur schwach ge­liebt wur­de! So ver­gilt mir der Him­mel, und zeigt mir, was ich be­gehrt habe!

Dann fing sie wie­der an zu grü­beln, wann doch Al­bert sein furcht­ba­res Op­fer voll­bracht ha­ben konn­te. Sie dach­te sich, es müss­te wäh­rend der schwe­ren Krank­heit ge­sche­hen sein, in wel­cher sie für al­les, was um sie vor­ging, un­emp­find­lich war; aber sie er­in­ner­te sich der zärt­li­chen, lieb­rei­chen Pfle­ge, die er ihr ge­wid­met hat­te, und es war ihr un­mög­lich, die­se bei­den Ge­sich­ter in ei­nem und dem­sel­ben We­sen zu­sam­men­zu­brin­gen, das sich selbst und al­len Men­schen gar zu un­ähn­lich ge­we­sen wäre.

In ihr düs­te­res Sin­nen ver­lo­ren, nahm sie mit zit­tern­der Hand und zer­streu­ter Mie­ne die Blu­men an, die Al­bert ihr am Wege pflück­te, wie er ge­wohnt war, denn er wuss­te, dass sie die Blu­men sehr lieb­te. Sie dach­te auch nicht dar­an, sich von ihm zu tren­nen, um al­lein in das Schloss zu­rück­zu­keh­ren und nicht mer­ken zu las­sen, dass sie so lan­ge mit­ein­an­der ge­we­sen wä­ren. Sei es, dass Al­bert es eben­falls ver­gaß, oder dass er nicht län­ger vor sei­ner Fa­mi­lie zu­rück­hal­ten woll­te, ge­nug, auch er er­in­ner­te nicht dar­an, und am Ein­gan­ge des Schlos­ses tra­fen sie bei­de auf das Stifts­fräu­lein. Con­sue­lo (und ge­wiss auch Al­bert) sah zum ers­ten Male die Züge die­ser Frau, die sonst, weil sie so zu her­zens­gut aus­sah, trotz ih­rer Ma­ger­keit und Ver­wach­sen­heit nie häss­lich schi­en, von Er­bit­te­rung und Zorn ent­stellt.

– Es ist end­lich Zeit, dass Sie zu­rück­kom­men, Ma­de­moi­sel­le! sag­te sie zur Por­po­ri­na mit has­ti­ger, be­ben­der Stim­me. Wir wa­ren sehr in Sor­gen um Graf Al­bert. Sein Va­ter hat nicht ohne ihn früh­stücken wol­len; er hat­te eine Un­ter­re­dung mit ihm ge­wünscht, die es Ih­nen be­liebt hat, mei­nem Nef­fen aus dem Sin­ne zu brin­gen. Und was Sie be­trifft, so ist da ein Herr­chen im Saa­le, das sich für Ihren Bru­der aus­gibt und Sie mit nicht ge­ra­de sehr höf­li­cher Un­ge­duld er­war­tet.

94,80 ₽
Возрастное ограничение:
18+
Объем:
3441 стр. 2 иллюстрации
ISBN:
9783962816148
Издатель:
Правообладатель:
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