– Albert, sagte sie, Sie haben Ihre Violine bei der Quelle zurückgelassen. Ich kann unmöglich zugeben, dass Sie dieses herrliche Instrument, das mir heute auf eine mir ganz neue Weise die Seele bewegt hat, an diesem feuchten Orte zu Grunde gehen lassen.
Albert machte eine Gebärde, welche anzeigte, wie wenig Wert jetzt alles für ihn habe, was nicht Consuelo sei. Jedoch sie ließ nicht ab.
– Sie hat mir sehr weh getan, sagte sie, und dennoch …
– Wenn sie Ihnen nur weh getan hat, versetzte er bitter, so lassen Sie sie untergehen; ich will sie nicht mehr anrühren. O, ich wollte, sie wäre erst vernichtet.
– Ich müsste lügen, wenn ich das sagte, entgegnete Consuelo, indem sich die Hochachtung vor dem musikalischen Geist des Grafen in ihr regte. Ich war mehr ergriffen, als meine Kräfte jetzt erlauben, das ist alles; mein Entzücken hat sich in Angst verwandelt. Holen Sie sie, Freund! ich will sie selbst sorgsam in den Kasten legen, damit sie da ruhe, bis ich wieder den Mut gewinne, sie herauszunehmen, sie Ihnen wieder in die Hand zu geben und sie wieder zu hören.
Consuelo wurde gerührt durch den Blick voll Dank, welchen der Graf auf sie richtete, als sie ihm diese Hoffnung gab. Er ging in die Höhle zurück, und Consuelo machte sich während der wenigen Augenblicke ihres Alleinseins Vorwürfe über ihre Furcht und ihren schrecklichen Verdacht. Sie erinnerte sich zitternd und errötend der fieberischen Aufwallung, welche sie in Albert’s Arme geworfen hatte, und sie konnte nicht umhin, die zarte Scheu und die keusche Bescheidenheit dieses Mannes zu bewundern, der sie glühend liebte und eine solche Gelegenheit nicht benutzt hatte, um ihr auch nur ein Wort von seiner Liebe zu sagen. Die Traurigkeit, die sie in seinen Mienen sah, und die schleppende Schwere seines Ganges zeigten deutlich genug an, dass er keine kühne Hoffnung gefasst hatte, weder für jetzt noch für die Zukunft. Sie war ihm dankbar für so großes Zartgefühl und nahm sich vor, das Lebewohl, das sie, die unterirdischen Räume verlassend, sich gewissermaßen sagen mussten, durch die lieblichsten Worte zu versüßen.
Aber Zdenko’s Andenken sollte sie wie ein rächender Schatten bis an das Ziel begleiten und wider ihren Willen Albert anklagen. Als sie sich der Tür näherte, fiel ihr Blick auf eine böhmische Inschrift, deren Anfangsworte sie leicht verstand, weil sie sie auswendig wusste. Eine Hand, sie konnte keines anderen gewesen sein als Zdenko’s, hatte auf die tiefe, schwarze Tür mit Kreide geschrieben: »Möge der dem Unrecht geschah …« Das Übrige verstand Consuelo nicht, aber die Abänderung des letzten Wortes erregte ihr eine lebhafte Unruhe.
Albert kam zurück, schloss seine Violine ein, ohne dass sie den Mut hatte oder auch nur daran dachte, ihm, ihrem Versprechen gemäß, zu helfen. Ihre ganze Ungeduld, ins Freie zu kommen, war in ihr zurückgekehrt. Als er den Schlüssel mit Anstrengung im Schlosse umdrehte, konnte sie sich nicht enthalten, den Finger auf das geheimnisvolle Wort zu legen und dabei ihren Wirt fragend anzublicken.
– Das bedeutet, sagte Albert mit einer gewissen Ruhe, dass der verkannte Engel, der Freund des Unglücklichen, der von welchem wir zuvor sprachen, Consuelo, …
– Satan, ich weiß; und weiter?
– Satan also dir verzeihe!
– Was denn verzeihe? fragte sie erbleichend.
– Wenn man für Schmerz und Kummer Verzeihung braucht, entgegnete Albert mit wehmütigem Lächeln, so hätte ich viel zu beten.
Sie traten in den Gang und sprachen bis in den Mönchskeller kein Wort weiter miteinander. Als aber die Tageshelle durch das Laub in bläulichen Reflexen auf das Gesicht des Grafen fiel, sah Consuelo, dass zwei stumme Tränenbäche langsam über seine Backen flossen. Sie war gerührt, und dennoch, als er sich ihr mit schüchterner Miene näherte; um sie durch die Lache zu tragen, wollte sie lieber ihre Füße in dem stockenden Wasser besudeln, als ihm erlauben, dass er sie in seine Arme nähme. Sie gebrauchte die Erschöpfung, welche sie an ihm bemerkte, als Vorwand, und fing schon an, ihre zarte Fußbekleidung dem Schlamme Preis zu geben, als Albert, seine Fackel löschend, sagte:
– So leben Sie denn wohl, Consuelo! An Ihrem Widerwillen gegen mich erkenne ich, dass ich in die ewige Nacht zurückkehren muss, und in mein Grab wie ein Geist, den Sie auf einen Augenblick heraufbeschworen, ohne dass ich etwas anderes vermocht hätte, als Ihnen Furcht einzuflößen.
– Nein! Ihr Leben gehört mir, rief Consuelo sich umwendend und ihn festhaltend; Sie haben mir gelobt, nicht ohne mich in diese Höhle zurückzukehren und Sie müssen Ihr Gelübde halten.
– Und warum wollen Sie die Bürde des Lebens unter Menschen einem Gespenst von Menschen auferlegen? Der Einsame ist nur der Schatten eines Menschen, und wer nicht geliebt wird, ist überall und mitten unter Allen einsam.
– Albert, Albert! Sie zerreißen mir das Herz. Kommen Sie, tragen Sie mich hinaus. Ich glaube, in dem hellen Lichte des Tages werde ich endlich in meinem eigenen Schicksal klar sehen.
Albert gehorchte; und als sie vom Fuße des Schreckenstein in die tiefer gelegenen Täler hinabzusteigen begannen, fühlte Consuelo wirklich ihre Aufregung sich mindern.
– Vergeben Sie mir, dass ich Ihnen wehe tat, sagte sie, sich sanft im Gehen auf seinen Arm lehnend; es ist mir jetzt ganz klar, dass ich eben in der Grotte einen Anfall von Tollheit hatte.
– Warum denken Sie noch daran, Consuelo? Ich würde Sie nie daran erinnert haben; ich weiß wohl, dass Sie ihn lieber aus Ihrem Gedächtnis tilgen möchten. Und ich, ich werde es auch dahin zu bringen suchen müssen, dass ich ihn vergesse!
– Mein Freund! Ich wünsche nicht, ihn zu vergessen, sondern Sie um Verzeihung zu bitten. Wenn ich Ihnen das seltsame Gesicht schilderte, welches ich im Anhören Ihrer böhmischen Melodien hatte, so würden Sie sehen, dass ich wirklich von Sinnen war, als ich Ihnen eine solche Überraschung und einen solchen Schreck verursachte. Sie können unmöglich glauben, dass ich mit Ihrer Vernunft und Ihrer Ruhe ein Spiel treiben wollte … O Gott! Der Himmel ist mein Zeuge, dass ich auch jetzt noch mein Leben für Sie lassen würde.
– Ich weiß, dass, Sie das Leben nicht wertachten, Consuelo! Ach und ich, ich fühle, dass ich daran so gierig hangen würde, wenn …
– Reden Sie aus!
– Wenn ich geliebt würde, wie ich liebe!
– Alberti ich liebe Sie so sehr, als ich darf. Ich würde Sie auch ohne Zweifel lieben, wie Sie geliebt zu werden verdienen, wenn …
– Reden Sie nun auch aus!
– Wenn es mir unübersteigliche Hindernisse nicht zu einem Verbrechen machten.
– Hindernisse? Ich suche vergebens, welche es sein können; ganz gewiss nur in Ihrem Herzen können sie liegen, in Ihren Erinnerungen!
– Reden Sie nicht von meinen Erinnerungen! Sie sind abscheulich, und ich möchte lieber auf der Stelle sterben, als meine Vergangenheit noch einmal durchleben. Aber Ihr Rang in der Welt, Ihr Reichtum, der Widerstand und der Unwille der Ihrigen, wie sollte ich stark genug sein, das alles auf mich zu nehmen? Ich habe auf der Welt nichts, als meinen Stolz und meine Uneigennützigkeit: was bliebe mir, wenn ich diese opferte?
– Meine Liebe bliebe dir und die deinige, wenn du mich liebtest. Ich fühle aber, dass du mich nicht liebst, und ich verlange nichts von dir, als etwas Mitleid. Wie könnte es für dich demütigend sein, wenn du mir ein wenig Glück als ein Almosen spendetest? Wer läge denn im Staube vor dem anderen? Wie könnte dich mein Reichtum herabwürdigen? Könnten wir ihn nicht in einem Augenblick den Armen hinwerfen, wenn er dich eben so drückte wie mich? Meinst du, dass ich nicht längst entschlossen bin, ihn so anzuwenden, wie es zu meinen Überzeugungen und zu meinen Neigungen stimmt, das heißt, mich von ihm zu befreien, wenn der Verlust meines Vaters den Schmerz der Erbschaft zu dem Schmerze der Trennung fügt? Nun! Du fürchtest dich, reich zu werden? Siehe! ich habe das Gelübde der Armut getan. Du fürchtest, durch meinen Namen vornehm zu werden? Es ist ein erlogener Name, und der wahre ist proscribiert. Ich werde den rechten nicht wieder annehmen, das hieße dem Andenken meines Vaters zu nahe treten, aber in der Dunkelheit, in die ich mich vergraben will, soll der falsche Niemanden blenden, das schwöre ich dir, und du wirst ihn mir nicht zum Vorwurf machen können. Endlich der Widerstand der Meinigen … o, wenn dies das einzige Hindernis wäre! Sage mir nur, dass kein anderes da ist, und du sollst sehen!
– Es ist das größeste von allen, das einzige, welches alle meine Hingebung, alle meine Erkenntlichkeit für Sie nicht aus dem Wege zu schaffen vermöchte.
– Consuelo, du lügst. Schwöre mir, dass du nicht lügst. Nicht wahr, es ist nicht das einzige Hindernis?
Consuelo hielt inne. Sie hatte nie gelogen, aber sie wollte das Übel wieder gut machen, das sie ihrem Freunde zugefügt, ihm, der ihr das Leben gerettet, der seit drei Monaten über sie gewacht hatte wie eine zärtliche, kluge Mutter. Sie hatte sich damit geschmeichelt, ihrer Weigerung etwas von ihrer Härte zu benehmen, wenn sie Hindernisse anführte, die sie in Wahrheit für unübersteiglich hielt. Aber Albert’s Fragen machten sie verwirrt und ihr eigenes Herz war ein Labyrinth, worin sie sich nicht zurecht fand; denn sie konnte nicht mit Gewissheit sagen, ob sie ihn liebte oder hasste, diesen wunderlichen Mann, zu dem eine unerklärliche und mächtige Sympathie sie hinzog, während eine unüberwindliche Furcht und etwas, das an Widerwillen gränzte, sie bei dem Gedanken einer Verpflichtung, die sie mit ihm eingehen sollte, zittern machte.
Es schien ihr in diesem Augenblick, dass sie Anzoleto hasste. Konnte es anders sein, wenn sie ihn mit seiner rohen Selbstsucht, seinem gemeinen Ehrgeiz, seiner niedrigen Gesinnung, seiner Treulosigkeit neben diesen so edlen, menschlichen, reinen, und mit allen hohen und allen ritterlichen Tugenden so reich begabten Albert stellte? Die einzige Wolke, welche ihr die Vollendung dieses Gegenbildes trüben konnte, war der Angriff auf Zdenko’s Leben, dessen Wahrscheinlichkeit sie sich nicht aus dem Sinne bringen konnte. Aber war dieser Verdacht nicht eine krankhafte Einbildung, ein böser Traum, den eine Erklärung augenblicklich verscheuchen konnte? Sie beschloss, den Versuch zu machen; sie tat, als ob sie in Gedanken verloren wäre und Albert’s letzte Frage nicht gehört hätte.
– Mein Gott! sagte sie und blieb stehen, einem Bauer nachsehend, welcher ziemlich entfernt vorüberging, mir war, als käme Zdenko daher!
Albert erbebte, ließ Consuelo’s Arm fahren, den er in dem seinigen hielt, und ging ein Paar Schritte vorwärts. Dann blieb er stehen und wendete sich zu ihr zurück mit den Worten:
– Wie Sie sich täuschen können, Consuelo! Dieser Mann da hat auch nicht einen Zug von …
Er konnte es nicht über sich gewinnen, Zdenko’s Namen auszusprechen; seine Züge waren ganz verstört.
– Und doch glaubten Sie es selbst einen Augenblick, sagte Consuelo, ihn scharf ansehend.
– Ich habe ein sehr kurzes Gesicht, und ich dachte im Augenblicke nicht daran, dass es unmöglich ist, ihm zu begegnen.
– Unmöglich! Zdenko ist also wohl sehr weit hinweg?
– Weit genug, dass Sie sich vor seiner Verrücktheit nicht mehr zu fürchten brauchen.
– Können Sie mir nicht sagen, was ihn so plötzlich dazu brachte, mich zu hassen, nachdem er mir so viele Beweise seiner Zuneigung gegeben hatte?
– Ich sagte es Ihnen schon: ein Traum, welchen er, am Tage zuvor hatte, ehe Sie in den Brunnen hinabstiegen. In diesem Traume sah er Sie mit mir zum Altare treten, wo Sie mir ewige Treue geloben wollten; und dort fingen Sie an, unsere alten böhmischen Psalmen mit so heller Stimme zu singen, dass davon die Kirche bebte. Und während Sie sangen, sah er mich erblassen und in den Boden der Kirche einsinken, bis ich ganz verschwunden war und im Grabe meiner Ahnen lag.
Darauf sah er Sie hastig Ihren Brautkranz abreißen, mit dem Fuße einen Stein auf die Gruft stoßen, der mich im Augenblick bedeckte, und auf diesem Steine mit der ausgelassensten und grausamsten Freude tanzen, während Sie in einer fremden Sprache ihm unverständliche Worte sangen. Voller Wut warf er sich auf Sie, Sie aber waren schon wie ein Rauch verflogen und er erwachte in Schweiß gebadet und außer sich vor Zorn.
Er weckte auch mich, denn die Grotte hallte wieder von seinem Geschrei und seinen Verwünschungen. Es wurde mir schwer, ihn dahin zu bringen, dass er mir seinen Traum erzählte, und noch schwerer, ihn zu überreden, dass es keine Vorbedeutung für mein künftiges Schicksal wäre. Dies wurde mir umso schwerer, da ich mich selbst in einem überspannten und durchaus krankhaften Zustande befand und es ihm früher noch nie auszureden versucht hatte, wenn ich sah, dass er seinen Träumen und Gesichten Glauben schenkte.
Indessen hatte ich an dem Tage nach dieser unruhigen Nacht Ursache anzunehmen, dass er seinen Traum vergessen hätte oder ihm keine Wichtigkeit mehr beilegte, denn er sprach nicht weiter davon, und als ich ihn bat, Sie aufzusuchen und an mich zu erinnern, widersetzte er sich meinem Wunsche nicht offenbar. Er dachte wohl nicht, dass es Ihnen je einfallen würde oder gelingen könnte, mich in meinem Versteck aufzusuchen, und seine Wut erwachte erst wieder, als er Sie dennoch die Sache unternehmen sah.
Jedenfalls hat er seinen Hass gegen Sie erst in dem Augenblick ausgesprochen, wo wir beide mit ihm in der unterirdischen Galerie zusammentrafen. Er sagte mir damals auf Böhmisch in kurzen Worten, dass er beabsichtigte und entschlossen wäre, mich von Ihnen zu befreien und (dies war sein Ausdruck) Sie zu zerstören, sobald er Sie nur wieder allein träfe, denn Sie wären ein Gift für mein Leben und mein Tod stände in Ihren Augen geschrieben.
Verzeihen Sie es mir, dass ich Ihnen seine wahnsinnigen Reden so genau wiedergebe, und überzeugen Sie sich, wie nötig es war, ihn von Ihnen und von mir zu entfernen. Lassen Sie uns aber nun nicht mehr davon reden, ich bitte Sie inständigst, denn kein Gegenstand des Gespräches kann mir peinlicher sein.
Ich habe Zdenko wie mein anderes Selbst geliebt. Sein Wahnsinn hatte sich mit dem meinigen so ganz verschlungen und verwebt, dass wir unwillkürlich dieselben Gedanken, dieselben Erscheinungen, dieselben körperlichen Leiden hatten. Er war kindlicher und dabei poetischer als ich, seine Stimmung war gleichmäßiger, und die Trugbilder, die mir schrecklich und drohend vorschwebten, zeigten sich ihm vermöge seiner zarteren und lieblicheren Natur mild und wehmütig.
Der größte Unterschied zwischen uns beiden bestand darin, dass ich meine Anfälle nur zu Zeiten hatte, während er in beständiger Verzückung war. Indessen ich abwechselnd bald in Wahnsinn verfiel, bald kalt und schaudernd mein eigenes Elend zerlegte, lebte er gleichsam in einem beständigen Traum, der ihm alle äußeren Gegenstände in fantastischer Gestalt zeigte; seine Bilderwelt war aber stets so hold und freundlich, dass ich in meinen hellen Augenblicken (die für mich ohne Zweifel die schrecklichsten waren) Zdenko’s bedurfte, um mich durch seinen seligen und sinnreichen Wahnsinn aufheitern und mit dem Leben wieder aussöhnen zu lassen.
– O mein Freund, sagte Consuelo, Sie müssen mich hassen und ich hasse mich selbst, dass ich Sie dieses so werten und ergebenen Freundes beraubt habe. Aber hat seine Verbannung nicht lange genug gedauert? Jetzt ist er ganz gewiss schon geheilt von diesem vorübergehenden Wutanfall … –
– Geheilt ist er … hoffe ich! sagte Albert mit einem eigenen, bittern Lächeln.
– Nun denn, fing Consuelo wieder an, welche gegen den Gedanken, dass Zdenko tot sei, kämpfte, warum rufen Sie ihn nicht zurück? Ich würde mich nicht mehr vor ihm fürchten, gewiss nicht! und wir würden unsere Bemühungen beide vereinigen, ihm sein Vorurteil gegen mich zu benehmen.
– Lassen Sie es gut sein, Consuelo! sprach Albert matt. Es ist nicht mehr möglich, ihn zurückzurufen. Ich habe meinen besten Freund, meinen steten Gefährten, meinen Diener, meine Stütze, meine voraussichtige, ämsige Mutter, mein einfältiges, gutes, folgsames Kind geopfert, ihn, der für mich sorgte, für alle meine Bedürfnisse, für meine unschuldigen trübseligen Freuden, der mich vor mir selbst beschützte, wenn mich die Verzweiflung packte, und List und Gewalt anwenden, um mich in meiner Zelle zurückzuhalten, wenn er mich noch unfähig sah, meine Würde und mein Leben in der Welt der Lebendigen und in der Gesellschaft der Menschen zu behaupten. Ich habe ihn geopfert, ohne rückwärts zu sehen und ohne Reue, weil ich musste, weil Sie, die Sie mich mit Lebensgefahr aus meiner unterirdischen Klause rissen und mich der Vernunft und der Erkenntnis meiner Pflichten zurückgaben, mir noch kostbarer und heiliger waren, als Zdenko.
– Sie irren, Albert, lästern vielleicht. Ein Augenblick der Kühnheit lässt sich nicht mit einem ganzen Leben der aufopfernden Hingebung vergleichen.
– Glauben Sie nicht, dass eine selbstische und wüste Liebe mich tun hieß, was ich tat. Eine solche Liebe hätte ich in meinem Herzen ersticken müssen und ich hätte mich lieber mit Zdenko auf immer in meiner Zelle eingeschlossen, ehe ich dem besten der Menschen das Herz brach. Aber Gottes Stimme hatte deutlich gesprochen. Ich hatte dem Aufbrausen meiner Leidenschaft widerstanden, ich hatte Sie geflohen, ich wollte Sie nicht wieder sehen, so lange sich die Ahnungen nicht erfüllten, die mich in Ihnen meinen Rettungsengel sehen ließen. Bis ein lügenhafter Traum Zdenko’s sanftes und frommes Wesen in Verwirrung brachte, hatte er meine Sehnsucht nach Ihnen, meine Furcht, meine Hoffnung, meine frommen Wünsche geteilt.
Der Unglückliche! An dem Tage selbst, an dem Sie sich offenbarten, verkannte er Sie. Das himmlische Licht, das immer die ahnungsreiche Welt seines Innern erleuchtet hatte, erlosch plötzlich und Gott suchte ihn mit einem Geist des Taumels und der Wut heim. Da musste auch ich ihn verlassen, denn Sie erschienen mir von Himmelsglanz umstrahlt, aus den Fittigen des Wunders drangen Sie bis zu mir hindurch und es waren Ihnen, um von meinen Augen die Decke zu nehmen, Worte gegeben, die Sie, nach Ihrem stillen Wesen und Ihrer Künstlererziehung zu urteilen, nicht ausgesonnen und vorbedacht haben konnten. Das himmlische Erbarmen und die göttliche Liebe sprachen durch Ihren Mund und gaben Ihnen das ein, was mir diente, damit ich das Menschenleben erkennen und begreifen lernte.
– Was habe ich Ihnen denn so Kluges und Eindringliches gesagt? Wahrhaftig, Albert! ich weiß kein Wort davon.
– Noch ich. Aber in dem Tone, Ihrer Stimme, in der Lieblichkeit Ihres Blickes sprach Gott selbst. An Ihrer Seite lernte, wusste ich in einem einzigen Augenblick, was ich auf mich allein angewiesen in meinem ganzen Leben nicht gefunden hätte. Ich wusste früher nur, dass mein Leben eine Büßung, ein Martyrtum sei und ich suchte meine Bestimmung durch Vereinsamung, durch Tränen, durch Zorn wider mich selbst, durch Betrachtung, durch Enthaltung und Kasteiung zu erfüllen.
Sie ließen mich ein neues Leben ahnen, ein anderes Martyrtum, ein Leben der Geduld, der Sanftmut, der Milde, der Ergebung. Die Pflichten; die Sie mir schlicht und einfältig vor Augen hielten, mit den Familienpflichten beginnend, hatte ich versäumt, und meine Familie hatte mich, aus allzugroßer Nachgiebigkeit, mein Unrecht nicht fühlen lassen. Ich habe es, Dank sei es Ihrer Ermahnung, wieder gut gemacht, und habe es an der Ruhe, die in mein Inneres einzog, von Stund an erkannt, dass Gott für jetzt von mir nichts anderes fordere.
Ich weiß wohl, dass es nicht meine ganze Aufgabe ist, und ich erwarte, dass sich Gott mir weiter kund gebe. Aber ich bin jetzt voll Vertrauen, weil ich das Orakel gefunden habe, das ich künftig befragen kann. Consuelo, Sie. Die Vorsehung hat Ihnen Macht über mich gegeben, und ich will mich gegen ihren Willen nicht ungehorsam auflehnen. Ich durfte also keinen Augenblick Anstand nehmen, ob ich mich für die überlegene Macht, der es gegeben ist, mich zu erneuern, oder für das arme Geschöpf entscheiden sollte, das bisher nur Leid und Unruhe mit mir getragen hatte.
– Sie meinen Zdenko? Woher aber wissen Sie denn, ob Gott mich nicht bestimmt hatte, ihn wie Sie zu heilen? Sie sehen doch, dass ich über ihn schon einige Macht besaß, da es mir gelang, ihn mit einem einzigen Worte zu bändigen, als seine Hand gegen mich erhoben war, um mich zu töten.
– Mein Gott, ja! Sie haben recht! Es fehlte mir am Glauben, ich hatte Furcht. Ich kannte Zdenko’s Schwüre. Er hatte wider meinen Willen mir den Schwur getan, nur für mich zu leben, und er hat ihn gehalten, so lange ich denken kann, in meiner Abwesenheit und seit ich zurück bin. Und als er schwor, Sie zu zerstören, dachte ich gar nicht, dass es eine Möglichkeit gäbe, ihn von seinem Entschluss abzubringen, und ich entschloss mich, ihn hinwegzuschaffen, ihn zu zerbrechen, ihn selbst zu zerstören.
– Ihn zu zerstören? Mein Gott! Was will das in Ihrem Munde heißen, Albert! Wo ist Zdenko?
– Sie fragen mich, wie Gott Kain fragte: wo ist dein Bruder?
– O Himmel, Himmel! Sie haben ihn doch nicht getötet, Albert?
Consuelo hatte sich, indem ihr das schreckliche Wort entfuhr, fest an Albert’s Arm gedrängt und sah ihn mit einem Blicke an, worin sich Angst und schmerzliches Mitleid mischte. Sie wich aber erschrocken zurück vor dem stolzen, kalten Ausdruck dieses bleichen Gesichtes, in welchem sich der Schmerz versteint zu haben schien.
– Getötet nicht, antwortete er, allein das Leben habe ich ihm sicher doch genommen. Können Sie mir denn daraus ein Verbrechen machen, Sie, für die ich auf dieselbe Weise meinen Vater töten könnte, Sie, für die ich allen Gewissensbissen zum Trotz die teuersten und heiligsten Bande schonungslos zerreißen würde? Wenn ich lieber den Schmerz und die Reue, die mich nagen, auf mich nehmen, als Sie von einem Verrückten ermordet sehen wollte, können Sie so erbarmungslos und fühllos sein, mir dieses Weh immer wieder aufzuwecken und mir das größte Opfer, das in meiner Macht stand, Ihnen darzubringen, immer wieder vorzuwerfen? Ach! Auch Sie, auch Sie haben Augenblicke, wo Sie grausam sein können! Die Grausamkeit, o wie unvertilgbar ist sie doch aus jedem, jedem Menschenherzen!
Diesen Vorwurf, der erste, den Albert Consuelo zu machen gewagt hatte, sprach er mit einer solchen Feierlichkeit aus, dass es sie entsetzte, und dass sie mehr, als es ihr noch je begegnet war, empfand, wie sehr sie sich vor ihm fürchtete. Ein Gefühl von Demütigung, das vielleicht kindisch war, aber dem Frauenherzen innewohnt, folgte dem süßen Stolze, dessen sie sich, als ihr Albert seine leidenschaftliche Liebe schilderte, nicht hatte erwehren können. Sie fühlte sich niedergeschlagen, ohne Zweifel verkannt, denn sie hatte seinem Geheimnis nur in der Absicht oder wenigstens in dem Wunsche nachgespürt, seine Liebe zu erwidern, wenn er sich gerechtfertigt haben würde. Zugleich erkannte sie, dass sie in den Augen dessen, der sie liebte, eine Schuld auf sich geladen hatte, denn hatte er Zdenko wirklich ermordet, so war sie die einzige auf der Welt, die kein recht hatte, ihn unwiderruflich zu verdammen, sie, deren Leben das Opfer eines anderen, dem armen Albert ja doch auch unendlich teuern Lebens gefordert hatte.
Consuelo wusste ihm nichts zu antworten. Sie wollte von etwas anderem reden, aber ihre Tränen schnitten ihr das Wort ab. Als Albert sie weinen sah, wollte er sich nun seinerseits demütigen, aber sie bat ihn, nie wieder auf einen für sie so schrecklichen Gegenstand zurückzukommen, und versprach ihm auch ihrerseits, nicht wieder einen Namen auszusprechen, der ihr eben so wie ihm die schmerzlichste Aufregung verursachte.
Der übrige Weg ging ihnen unter Zwang und Ängsten hin. Sie versuchten umsonst, ein Gespräch anzuknüpfen. Consuelo wusste nicht, was sie sprach, noch was sie hörte. Albert jedoch schien ruhig, wie Abraham oder wie Brutus nach dem Opfer, das ein grausames Geschick ihnen auferlegt hatte. Diese unselige und tiefe Ruhe bei einer solchen Last auf dem Herzen konnte sich Consuelo nur aus einem Rest von Wahnsinn erklären, und sie entschuldigte ihren Freund damit, dass sie sich sagte: er ist verwirrt.
Wenn er im offenen Kampfe gegen einen Räuber den Gegner erschlagen hätte, um sie zu retten, so würde sie darin nur einen Grund mehr zur Dankbarkeit und vielleicht zur Bewunderung seiner Tapferkeit und seines Mutes gefunden haben. Aber dieser geheimnisvolle Mord, der ohne Zweifel im Dunkel der unterirdischen Gewölbe vollbracht war, dieses Grab an der Stätte seiner Gebete, dieses fühllose Schweigen nach einer solchen Krise, dieser fanatische Stoicismus, mit dem er sie in die Grotte zu führen und sich daselbst der Wollust der Musik zu überlassen gewagt hatte, das alles war ihr zu schauderhaft; Consuelo fühlte, dass die Liebe dieses Mannes keinen Eingang in ihr Herz finden wollte.
– Wann hat er nur den Mord begehen können? fragte sie sich. Ich habe seit drei Monden keine Falte auf seiner Stirn gesehen, tief genug, um an Gewissensbisse denken zu lassen. Hat er nicht ein Paar Tropfen Blutes an seiner Hand irgendeinmal kleben gehabt, als ich ihm die meinige reichte? Schrecklich! Er muss von Stein oder von Eis sein, oder er liebt mich bis zur wildesten Raserei! Und ich, ich, die ich so sehnlich wünschte, grenzenlos geliebt zu werden, die ich mich so bitter härmte, weil ich nur schwach geliebt wurde! So vergilt mir der Himmel, und zeigt mir, was ich begehrt habe!
Dann fing sie wieder an zu grübeln, wann doch Albert sein furchtbares Opfer vollbracht haben konnte. Sie dachte sich, es müsste während der schweren Krankheit geschehen sein, in welcher sie für alles, was um sie vorging, unempfindlich war; aber sie erinnerte sich der zärtlichen, liebreichen Pflege, die er ihr gewidmet hatte, und es war ihr unmöglich, diese beiden Gesichter in einem und demselben Wesen zusammenzubringen, das sich selbst und allen Menschen gar zu unähnlich gewesen wäre.
In ihr düsteres Sinnen verloren, nahm sie mit zitternder Hand und zerstreuter Miene die Blumen an, die Albert ihr am Wege pflückte, wie er gewohnt war, denn er wusste, dass sie die Blumen sehr liebte. Sie dachte auch nicht daran, sich von ihm zu trennen, um allein in das Schloss zurückzukehren und nicht merken zu lassen, dass sie so lange miteinander gewesen wären. Sei es, dass Albert es ebenfalls vergaß, oder dass er nicht länger vor seiner Familie zurückhalten wollte, genug, auch er erinnerte nicht daran, und am Eingange des Schlosses trafen sie beide auf das Stiftsfräulein. Consuelo (und gewiss auch Albert) sah zum ersten Male die Züge dieser Frau, die sonst, weil sie so zu herzensgut aussah, trotz ihrer Magerkeit und Verwachsenheit nie hässlich schien, von Erbitterung und Zorn entstellt.
– Es ist endlich Zeit, dass Sie zurückkommen, Mademoiselle! sagte sie zur Porporina mit hastiger, bebender Stimme. Wir waren sehr in Sorgen um Graf Albert. Sein Vater hat nicht ohne ihn frühstücken wollen; er hatte eine Unterredung mit ihm gewünscht, die es Ihnen beliebt hat, meinem Neffen aus dem Sinne zu bringen. Und was Sie betrifft, so ist da ein Herrchen im Saale, das sich für Ihren Bruder ausgibt und Sie mit nicht gerade sehr höflicher Ungeduld erwartet.