Читать книгу: «Der Verdrüssliche», страница 2

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II.

Zu Hülfe! Ich will nicht verrückt werden. Einmal vier Zoll nach links, dann wieder drei Zoll nach rechts, und Mamsell ist noch immer nicht zufrieden. Sie mustert mich, als ob ich etwas verbrochen hätte. Bähhhh! Nicht einmal bemerken tut sie meinen Verdruss, so beschäftigt ist sie, befehligt eine Riege starker Männer, die hinter ihrem Rücken die Augen rollen. Ahhhhh, endlich lassen sie ab von mir und gehen hinaus.

Wie ruhig es plötzlich ist, nur die Frau noch hier. Nervös blättert sie in einer Mappe mit Skizzen. Na, meine Schöne, wie wär’s mit einer klitzekleinen Tändelei? Hm? Spürst du den zarten Hauch? Er ist anders als jener, den eure Air-Condition verströmt. Ach, mach nicht diese wegwerfende Handbewegung, weil dich ein ungewohnter Luftzug ablenkt. Ich könnte auch deine blonden Locken zerzausen, doch bilde dir bloß nichts darauf ein. An Ilonas Haarpracht kommen sie nicht heran. Nein, nein und abermalen nein. Nie wieder bin ich einer Frau mit derart dicken Zöpfen begegnet. Schwarzbraune Traumbänder! Ein Geschenk!

Ach, wie inkommod, die Männer kommen zurück. Unser Tête-à-tête hat eben erst begonnen. Und du hast wieder nichts mitgekriegt, weil dir deine Mappe und das, was sie nun hereintragen, wichtiger sind als ich.

- Not here, over there.

Na, großartig! Hört denn dieses Herumgeschleppe nie auf? Ja, ja, schiebt mich nur wieder. Und die neuen Sockel dazu. Schön ist so ein Ringelspiel! Des is’ a Hetz und kost net viel … Das hat der Sepp der Marie ins Ohr gesummt. Und sie hat gelacht, wie allein die Marie lachen konnte. Hell mit diesem verführerischen rauen Ton, der stets mitschwang. Sie wusste, dass die Männer ihn heraushörten. Die Marie. Sie nahm und gab. Unterm Strich eine ausgeglichene Bilanz, hätte der Kommerzialrat gesagt. Doch es blieb nicht dabei. Autsch, einen Deut sanfter, wenn ich bitten darf!

- Stop! That’s it. Now they can have a conversation.

Was meinen gnädige Frau? Mit wem soll ich mich unterhalten? Die Sockel sind doch leer! Oh nein, was bringen sie denn nun? Bälle? Köpfe? Aus Pappmaché. Was in Dreiteufelsnamen wollen sie damit? Soll das etwa Kunst sein?

- Belisarius opposite our Vexed Guy.

Belisarius? Kann mir bitte jemand sagen, wer Belisarius ist! Mit dem soll ich reden? Wie stellen Mamsell sich das vor? Ich lasse mir nicht vorschreiben, mit wem ich konversiere. Ganz bestimmt nicht. Ich und verkleistertes Papier! Eine Impertinenz!

Hm. Der Pappkopf ist also Belisarius. Soll das, was ihm vom Kinn runterhängt, ein Bart sein? Oder ist bloß zu viel Kleisterbrei übrig geblieben? Kein Vergleich mit unserer Truppe. Ausgeprägte Kinn-, Nasen- und Stirnpartien ja, aber keine Gesichtsbehaarung.

- Closer!

Oh nein, nicht schon wieder rücken! Und warum gerade zum Nebenmann links? Warum nicht nach vorne oder nach hinten?

- Otherwise people won’t perceive the similarity.

Ähnlichkeit? Also bitte, ich bin doch einzigartig, unverwechselbar.

- Perfect! Here the Vexed Man’s wavy hair and there the lank strands of his counterpart, as if showing us a before and after of the same man. See what I mean?

Ich sehe gar nichts, mein Blondschopf, es sei denn, ich drehte mich zur Seite … Hi Belisarius, ist der Pappkamerad von nebenan einer, der mir tatsächlich ähnlich schaut, nur nicht so schönes Haar hat? Was heißt, das kannst du nicht erkennen? Wegen des San Francisco Examiner? Ach so, für ihn haben sie den Examiner zu Kleisterbrei verarbeitet, nicht wie bei dir die Los Angeles Times. Beruhige dich, ich verstehe durchaus, was Qualität ausmacht, bin ich doch ein besonders eindrückliches Exempel: von Meisterhand aus dem Stein der Götter gehauen, nicht so eine kindische Bastelei wie du. Ach, sei nicht gleich beleidigt. Ich will mich bloß unterhalten. Seit sie unsere Gallery gesperrt haben, schauen keine Leute mehr vorbei, einzig die blonde Frau mit ihrer Entourage.

Übrigens, ich kenne da eine Anekdote über einen eurer Schriftsteller. Mark Twain hieß er. Als er sich auf seiner Europareise in das Fremdenbuch eines Hotels eintragen wollte, las er, was der letzte Gast vor ihm geschrieben hatte: Baron von Blanck mit Diener aus Wien. Woraufhin er daruntersetzte: Mark Twain mit Koffer aus Leder. Hehehe. Ist das nicht lustig?

Nun denn, ich kann auch schweigen.

III.

Das Festnetztelefon läutet. Es ist Paul. Er wird heute Abend nicht kommen, erst morgen Mittag, weil er noch einen Termin hat.

- Ich nehme die Swissair. Ankunft 11.50 Uhr. Aus Zürich. Merk’s dir!

Gitta legt den Hörer auf, hat fast nur genickt, nicht gesprochen. Eine stumme Reaktion auf allzu Bekanntes. Selten genug wartet Paul ihre Antworten ab, die zumeist ohnedies ausbleiben, bestimmt lieber, was seines Erachtens geschehen soll. Gitta hat wieder einmal keine Zeit, darüber nachzudenken. Sie muss Bernhard von einem Geburtstagsfest abholen. An sich kann Bernhard recht gut allein nach Hause gehen, aber von Kinderpartys ist er abzuholen, denn es schickt sich, ein paar Dankesworte an die Gastgeber zu richten. Eine dieser Regeln, mit denen Paul aufgewachsen ist, doch Paul ist nicht da, um sie zu befolgen. Und Gitta tut es gut, zwischendurch hinauszukommen, weg von der Staffelei. Einer der Punkte auf der täglichen To-do-Liste.

Als Gitta kurz darauf die fremde Wohnung betritt, kann sie Bernhard in dem Gewühl nicht gleich ausnehmen. Sie kreuzt die Arme vorm Oberkörper, um das beklemmende Gefühl in ihrer Brust wegzudrücken. Hilfesuchend schaut sie sich um. Papierschlangen fliegen durch die Luft. Eine bleibt an Gittas Pulli hängen. Unwillig reißt sie an dem bunten Papierstreifen. Endlich entdeckt sie Bernhard in einem Knäuel balgender Buben. Sie zerrt ihn hoch, doch er will bleiben, weil es gerade so schön ist.

- Na gut. Aber nur fünf Minuten. Nicht mehr. Verstanden?

Um die Zeit zu überbrücken und vor allem um dem Geschrei zu entkommen, bietet Gitta der hektisch hin- und hereilenden Mutter des Geburtstagskindes ihre Hilfe an.

- Nicht nötig. Machen Sie es sich gemütlich!

Gitta verzieht den Mund, wendet sich ab von angebissenen Krapfen, zerbröselten Keksresten, verschmiertem Ketchup und nimmt auf dem äußersten Rand einer Couch Platz, die mit Kinderrucksäcken, Jacken und Mänteln vollgeräumt ist. Die Gastgeberin begreift. Vielleicht doch helfen, das Geschirr in die Küche tragen. Essen eh nicht mehr, die Kleinen. Die Küche? Dort drüben links. Einfach irgendwo abstellen. Zwischen johlenden Kindern schleppt Gitta leere Plastikflaschen, Gläser, Tassen und Teller. Der Wirbel verfolgt sie bis in die Küche. Ein Kind jault auf. Bernhard! Maxi hat ihn in den Bauch getreten. Warum?

- Der Berni hat …

- Nein, der Maxi …

- Du lügst!

Bernhard ist nun bereit, das Fest zu verlassen, weil es nicht mehr schön ist und außerdem andere Mütter und ein Vater in der Tür stehen, um ihre Kinder abzuholen. Er ist somit nicht der Einzige, der fort muss. Nichts wie weg von hier! Hoffentlich hat sie den Anruf des Galeristen nicht überhört. Sie schaut aufs Handy: keine Nachricht.

Auf dem Heimweg vernimmt sie Bernhards Geplapper nur undeutlich. Seine helle Stimme kann den Nachhall des Kinderlärms nicht durchdringen. Erst, als er empört ausruft – Mama, du hörst gar nicht zu! –, lässt das ständige Summen in Gittas Ohr und dieses schwammige Gefühl im Kopf nach.

- Entschuldige! Ich war mit meinen Gedanken woanders.

- Das bist du immer.

Schweigend setzen sie den Heimweg fort, biegen in die schmale Gasse ein und betreten das alte Gründerzeithaus mit dem schmiedeeisernen Treppengeländer. Gitta blickt auf den gesenkten Wuschelkopf ihres Sohnes. Zu Fuß oder Lift? Zu Fuß, lacht er und flitzt los. Sie hinterher. Natürlich wird er das Rennen gewinnen. Erster, schreit er ihr entgegen, als sie außer Atem zur massiven Flügeltür im dritten Stock sprintet. Bernhards Stimme, die hört Gitta gern, egal, wie laut, es macht ihr nichts aus. Bernhard ist die Ausnahme, die große. Trotzdem legt Gitta den Finger an den Mund, bevor sie aufsperrt. Mit Blick auf die Nachbartür gluckst Bernhard in beide Hände und stakst mit übertrieben ausholenden Schritten ins dunkle Vorzimmer. Während er auf dem Boden sitzend die Schuhe auszieht, fragt er:

- Musst du noch den Papa abholen?

- Nein, er kommt erst morgen.

- Wann?

- Zu Mittag.

- Aber er wollte doch zur Lehrerin gehen!

Richtig, auch das noch! Bernhard ist ein schlechter Schüler. Morgen um neun will die Lehrerin einen Elternteil sprechen. So steht es im Mitteilungsheft. Einen Teil fordert sie an, nicht das Ganze. Paul wollte diesen Part übernehmen. Wie immer. Denn das gehört nicht zu ihrer Agenda. Nur Paul wird erst um 11.50 Uhr landen. Merk’s dir!

- Dann geh eben ich.

- Sicher?

- Ja.

Nein. Aber hat sie eine Wahl? Sie wird das schon schaffen, ihren morgigen Aufgabenbereich erweitern und Paul damit überraschen. Nachdenklich steht Bernhard auf und trottet in sein Zimmer. Gitta will noch etwas sagen, ihren Entschluss bekräftigen, doch da läutet das Telefon. Hat sie diesem Ivo beide Nummern gegeben? Nein, hat sie nicht. Es ist Gittas Mutter, die wissen will, ob Gitta mit Bernhard und Paul am Samstag zum Essen komme.

- Oba rechtzeitig! Weißt eh, der Papa woart net gern.

- Is’ gut, Mama.

Um sieben versucht Gitta, den Galeristen zu erreichen, und erfährt, dass er sich heute noch nicht hat blicken lassen. Er ist verliebt, kichert seine Assistentin. Von mir aus, aber er soll verdammt noch mal anrufen, murmelt Gitta, nachdem sie auf die rote Taste gedrückt hat. Die Ausstellung ist in ein paar Tagen, und der Kerl hat noch keine Bilder ausgesucht. Was ist schon von einem zu erwarten, der Ivo Ungemach heißt? Nervös geht Gitta auf und ab. Eine Ausstellung. Die erste nach so vielen Jahren. Und das auch nur, weil Michi die Assistentin des Galeristen kennt. Paul war dagegen. Gitta widersprach. Sie wollte das unbedingt machen, nicht nur die täglichen Tasks auf der Liste abarbeiten, sondern endlich rauskommen.

Gegen acht klopft sie an Bernhards Tür. Du musst ins Bett, mahnt sie durch den geöffneten Spalt. Soll ich dir noch ein Brot streichen?

- Hab keinen Hunger.

- Na, dann Abmarsch!

Er diskutiert nicht, geht tatsächlich ins Bad, während Gitta aufs Mobiltelefon starrt, das sie seit dem Gespräch mit Ivos Assistentin nicht aus der Hand gelegt hat. Als Bernhard nach verdächtig kurzer Zeit zurückkommt, fährt sie mit den Fingern durch sein Haar, um zwei Konfettiplättchen zu entfernen. Paul hätte die Bürste geholt. Oder den Buben erneut ins Bad geschickt. Gute Nacht! Er drückt seinen Kopf gegen ihre Leiste und tapst barfuß zum Bett. Wo hat er bloß wieder die Socken gelassen? Gitta bleibt im Korridor stehen und beobachtet durch die offene Tür, wie Bernhard das Pyjamaoberteil verkehrt rum anzieht. Ronaldos Sieben groß vorne statt hinten. Nun muss er noch die Wächter für die heutige Nacht aussuchen. Er postiert einen Teddy und zwei Hasen am Fußende des Betts.

- Wann gehst du schlafen, Mama?

- Spät.

Sie weiß, das ist das beruhigende Zauberwort für ihren Buben, der zuweilen schlecht träumt. Da kommt die Mama schneller, wenn er verängstigt aufweint. Gitta beobachtet, wie er die kleine Lampe aufdreht, sich unter der Decke einrollt und die Augen schließt. Gleich darauf reißt er sie wieder auf.

- Geh nicht weg.

- Nein, ich bleib.

Gitta wartet ab, bis er tatsächlich eingeschlafen ist, ehe sie ins Atelier schleicht. Sie legt das Handy ins Ablagefach der Staffelei und greift zu einem der runden Pinsel. Nein, doch lieber den schmalen, flachen. Auch den steckt sie zurück in den Pinseltopf. Ivo wird sicher gleich anrufen. Sie nimmt das Handy, geht zum großen Fenster und starrt auf die aufflammende Straßenbeleuchtung. Eine geballte Ladung Strom schießt bis in die äußersten Winkel Wiens, nimmt dem hereinbrechenden Dunkel seinen Schrecken und dem Nachthimmel seinen Zauber. Vereinzelt blinken Sterne. Wahrscheinlich sind es die bereits erloschenen. Ihr Licht ist stärker als das künstliche. Gitta zieht einen Sessel ans Fenster und lässt sich hineinplumpsen. Sie schaltet das Handy auf Vibrieren und legt es in ihren Schoß. Die Sterne. Gitta beginnt, sie zu zählen. Schon als Kind ist sie daran gescheitert, aber so vergeht die Zeit auch heute noch.

Nach zehn ruft Ivo endlich an – ich steh vorm Haus –, rennt sie beim Betreten der Wohnung fast um – du, ich hab’s eilig –, begutachtet dann doch eingehend sämtliche Bilder, von denen er an die 30 Stück aussucht: Aquarelle, Gouachen und vor allem Ölgemälde. Gitta hört zum ersten Mal, dass eine Gemeinschaftsausstellung vorgesehen ist, nicht sie alleine der Öffentlichkeit präsentiert wird.

- Der Reinhard ist im Kommen, er malt gerade eine Kirche aus.

Reinhard! Ausgerechnet. Warum bleibt er nicht in der Kirche? Mit seinen Großformaten wird er Gittas Bilder bestimmt erdrücken. Das Ganze findet auch nicht in Ivos Galerie statt, sondern in einem neu eröffneten Golfclub außerhalb Wiens.

- Viele wichtige Leute werden kommen. Und Geldsäcke. Glaub mir, das ist der Durchbruch.

Für wen? Gittas Sujets, naturalistische Stillleben, verkaufen sich schlecht. Außer an Michi hat sie noch kein einziges Bild verkauft, und Michi zählt irgendwie nicht. Kindchen, du bist aus der Zeit gefallen. Vor 200 Jahren hätten sich ein paar aufstrebende Bürger deine Arbeiten zugelegt, aber heute? Dieses Urteil von Pauls Vater nagt immer noch an ihr. Er hat es laut verkündet. Vor zahlreichen Gästen. Und Paul hat so getan, als hätte er es nicht gehört. Ist sie tatsächlich bloß oldschool ohne eigene Handschrift?

- Erde an Mond. Ivo muss gehen.

- Was, wie bitte?

- Gitta, ich bin hier fertig.

- Ach so. Ja. Danke.

- Ich schick dann jemanden vorbei, um die Bilder zu holen.

- Wann?

- Ich melde mich.

Sie blickt dem feisten Mann nach, wie er die Stufen hinunterläuft, während sie sich kaum mehr auf den Beinen halten kann. Es ist fast Mitternacht. Ivo kann blaumachen, wann er will. Sie muss in der Früh aufstehen, ob sie will oder nicht. Punkt eins auf der To-do-Liste. Der wichtigste.

IV.

Aber mit mir selbst disputieren werde ich wohl dürfen. Oder mit den anderen Pappgestalten. Seht nur, wie zufrieden die blonde Schöne lächelt und ihre Mappe zuklappt! Wir sind auf unseren Posten, akkurat dort, wo sie uns haben will. Ja, Belisarius, Podest auch, aber Posten nicht minder. Eine wahre Prozession ist das, die unseren Saal verlässt. Natürlich keineswegs so beeindruckend wie jene in Preßburg, als die Durchlauchtigste Erzherzogin Maria mit Dero Durchlauchtigstem Herrn Gemahle in die Stadt zog. Prächtig gekleidete Abordnungen aus allen Komitaten begleiteten sie, keine müden Männer im fleckigen Arbeitsdrillich. Sie trugen pelzverbrämte Umhänge, ritten auf kostbar gezäumten Pferden, fuhren in reich verzierten Kutschen, schwenkten … Ob ich selbst dabei war? Nun, nicht direkt, doch man hat mir davon erzählt. Was, du willst keine Berichte aus zweiter Hand? Monsieur Belisarius seyn anspruchsvoll.

Schweigen wäre itzo aber falsch. Ich habe frohe Botschaft zu verkünden und will vermeiden, dass Mister Quality Paper erneut zur beleidigten Leberwurst mutiert. Deshalb muss ich Ihro Gnaden über die baldige Ankunft meines Freundes Carl in Kenntnis setzen. Ja, ich habe einen Freund, hier im Museum. Gleich wird er kommen und mich mit Don’t make such a face, ole guy! begrüßen. Ist das nicht vortrefflich? Hi oder How are you sagt er zu jedem, dem er auf seinem Weg durch den West Pavilion begegnet, egal ob Faun, Venus oder Pudel. Das mit ole guy allein zu mir. Er weiß meine stille Konzentration zu schätzen, kennt meine Bereitschaft zuzuhören. Verzieh nicht dein Zeitungsgesicht, Belisarius! Im Gegensatz zu dir schätzt Carl den Umgang mit mir. Während er alle Winkel der Gallery W102 überprüft, erzählt er von seiner Frau Prescence, die im North Pavilion bei den illuminierten Handschriften aufpasst, dass niemand mit Blitzlicht fotografiert. Wehe, sie erwischt einen! Oh boy! Besonders viel hält er auf seine beiden Töchter. Wenn er von ihnen spricht, wird er vor Vaterstolz noch größer und dicker, als er es ohnedies schon ist, und sein Vollmondgesicht strahlt wie der Kronleuchter der Szegetys bei einer Soirée. Die Ältere liest sicher die Los Angeles Times. Sie geht auf die Universität, hat ein Begabtenstipendium erhalten. My Sarena, she’s the bright one, lobt sie mein Freund. Die Jüngere, Deliza, ist nicht ganz so gescheit, dafür sportlich. In der Hockey-Auswahl ihrer High School ist sie der Star. Ich glaube, dass mein Freund die Sportskanone der Intellektuellen vorzieht. Das Spiel auf dem Rasen kennt er, das Studium der Chemie nicht. Mit der einen Tochter kann er noch reden, die andere ist ihm bereits entglitten in eine Welt, die von Molekülen und organischen Reaktionen beherrscht wird. She’s so damn clever. Wie Carl das sagt, klingt es anerkennend, das schon, aber mit Vorbehalt. Sarena ist dem gutmütigen Mann über den Kopf gewachsen, redet eine fremde, mit Phrasen und Formeln durchsetzte Sprache und entfernt sich immer weiter von dem, was einmal ihr Zuhause war und seines bleiben wird. I dunno. Das sagt er oft, wenn er nicht weiterweiß. Aber psst, hört ihr den schweren Schritt? Er kömmt.

Meine Verehrung, guter Mann. Schön, dass wir uns wiedersehen.

- What a sight, you and them mock-ups.

Was heißt hier Mock-ups? Ihr Kleisterköpfe seid gar keine Kunstwerke, bloß Modelle?

- Don’t make such a face, ole guy! Your buddies will arrive soon.

Habt ihr gehört? Ihr Pappenheimer seid nichts als gemeine Platzhalter, damit die blonde Generalin die geplante Truppenaufstellung vorab inspizieren kann. Die wahre Kunst wird erst angeliefert.

- They’ve got weird names. The Ill-Humored Man or Just Rescued from Drowning. Don’t sound funny to me.

Hurra, eine Abordnung unseres Bataillons ist im Anrücken!

- No dancing, you rascal. I don’t want the alarm to go off.

Zu Befehl! Bin schon denkmalstill. Die Kameraden. Ich seh sie wieder! Wie in Paris und New York. Wer hätte das gedacht, als wir in der Nacht vorm Abbau übermütig durch die Neue Galerie polterten und dazu sangen:

O je, o je, wie rührt mich dies!

Was soll das Klagen frommen,

Den Kopf verlier ich schier,

Mein Kopf ist ganz benommen.

Den meinen hab ich hier!

Leb wohl, ich muss nun gehen.

Doch bleibt ein Trost so süß:

Es gibt ein Wiedersehen, es gibt ein Wiedersehen!

Auch das hat der Sepp der Marie ins Ohr gesungen, es aber nicht so gemeint. Wir hingegen haben gar nichts gemeint, bloß gescherzt. Sogar der Langeweiler mit den Zotteln hat mitgemacht. Er als Rosalinde, ich als Eisenstein, und die Zinnkameraden gaben als verfünffachte Adele noch eins drauf. War das lustig. Carl, Carl, da hättest du dabei sein sollen!

Du schmunzelst ja gar nicht. Was ist denn los? Sorgen wegen Sarena? Weil sie so viel lernt und darüber das Leben vergisst? Ganz meine Rede. Zu viel Hirnschmalz verschmiert die Sicht aufs Wesentliche. Was haben die studierten Leute nicht schon alles über mich gesagt. Und erst über den Meister! Finden da eine Notiz, dort einen Brief, kombinieren das eine mit dem anderen, und heraus kommt ein Pallawatsch. Bloß, weil jemand meinen Meister einst in misslicher Stimmung vorgefunden hatte, war er noch lange kein Griesgram. Er war gesellig und Scherzen nicht abgeneigt. Zugegeben, die groben Späße waren nicht jedermanns Sache, seine Schwägerin tadelte ihn darob oft. Aber was tun die Gelehrten? Sie schreiben weiter einer vom anderen ab, dass mein Meister zurückgezogen und verbittert in Preßburg gelebt hätte. Dass ich nicht lache! Und dann noch die seitenlangen Papers darüber, ob meine nach hinten gekämmten Strähnen nun Haare oder eine Perücke darstellten. Es geht doch nicht darum, sondern warum es so und nicht anders ist. Sag das Sarena! Nicht auswendig lernen und kopieren, selbst denken und vor allem fühlen.

- We need to know the why behind everything.

Genau, Carl. Nach dem Warum muss Sarena forschen. Mit Köpfchen und Intuition! Das eine ohne das andere ist nichts. Das soll sie ihrem Daddy ruhig glauben.

Ich weiß, Carl, es ist nicht nur Sarena. Deine drei Frauen. Ein Sack Flöhe ist leichter zu bändigen. Ach, sei doch froh, dass es sie gibt, die Flöhe, pardon, die Frauen meine ich. Mein Meister hatte weder eine Prescence noch Töchter, über die er sich freuen oder alterieren konnte. Das war sein größtes Manko. Der Mensch braucht Zuspruch. Den hätte mein Meister durchaus gehabt, doch gegen Ende lebte er allein, nicht zurückgezogen, aber allein, wenn du verstehst, was ich meine. Als ich zu ihm kam, war das anders. Aber diese Geschichte kennst du ja. Was, du hast sie Sarena erzählt, und sie wusste nicht, wo Landok liegt? Na bitte, du bist ein gescheiter Daddy, zu dem sie nach wie vor aufblickt. Von mir kannst du Dinge lernen, die in keinem Lehrbuch stehen. Heute nicht? Verstehe.

Dann auf morgen!

- Bye, bye sweetie.

1 339,67 ₽
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Дата выхода на Литрес:
25 мая 2021
Объем:
493 стр. 6 иллюстраций
ISBN:
9783839267226
Издатель:
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