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El Bolson

El Bolson ist eine kleine Stadt in der Provinz Rio Negro südlich von Bariloche. In den 60er-Jahren wurde sie ein Zufluchtsort für junge Leute, Intellektuelle, die der konservativen Enge der Militärdiktatur entfliehen wollten, um hier, von der Hippie­kultur inspiriert einen naturnahen Lebensstil zu ­pflegen. Diese Hippiekolonie gibt es noch heute und sie ist prägend für die Stadt.

Die Menschen verdienen ihr Geld überwiegend mit Kunsthandwerk. Ihre Produkte, wunderschöner Schmuck zum Beispiel, verkaufen sie auf der wöchentlich stattfindenden Feria Artesanal, einem großen Kunsthandwerksmarkt auf der Plaza, aber auch außerhalb von El Bolson. Dieser Markt ist bekannt und zieht viele Touristen an. Auf ihrer Reise durch Patagonien machen die meisten deswegen einen Stopp in El Bolson.

Ich erlebe hier eine Gemeinschaft junger Familien, die ein bisschen immer noch wie Hippies aussehen und Bio-Landwirtschaft betreiben, einen engen freundschaftlichen Zusammenhalt und liebevollen Umgang miteinander pflegen und dabei nach wie vor sehr kritisch geblieben sind. Mich hat das beeindruckt.

Der Geist des guten Miteinanders ist zu spüren, auch wenn das Leben hier hart ist. Viele sind Selbstversorger.

Es gibt ein Kunst-Café, ein eigenes Kulturzentrum in einem großen, bunt angemalten Gebäude, in dem es auch ein hervorragendes Restaurant gibt, Feria francia, und einen großen gartenähnlichen Platz mit Tischen, Bänken, kleinen Marktständen. Ich habe hier jeden Mittag selbstgemachte vegetarische Speisen und große Salatteller genossen oder im Garten gesessen, gelesen, mich gesonnt und die Familien beobachtet. Sie machen Musik, trommeln und verkaufen ihre Ökoware. Häufig gibt es kreative Programme für die Kinder, Musik oder Malstunden. In einem kleinen Laden kann man selbst gemachte Produkte kaufen, verschiedene Leckereien, Grundnahrungsmittel und selbst gebackenes Brot. Abends treffen sich die Leute hier auf ein Bierchen. Man kann immer draußen sitzen.

Nach ein paar Tagen kennt man sich und ich fühle mich gut aufgenommen. Ich habe zwei Familien durch ihren Alltag begleitet, geholfen bei der Kinderversorgung, auf dem Markt und beim Ernten und ich habe eine intakte Gemeinschaft erlebt. Diese Menschen sind arm, aber sie wirken zufrieden. Auch eine Art zu leben in Argentinien. Diese Hippies sind auch politisch aktiv. Ich habe auch hier, wie in Buenos Aires, einige Demonstrationen beobachtet und bin auch mitgelaufen, für Frauengleichberechtigung.

Sexualstraftäter werden in Argentinien übrigens mit Foto und Personalien an die Häuserwände geprangert.

Ansonsten ist die Stimmung immer irgendwie gut. Backpacker sind willkommen.

Im Hostel habe ich in meinem kleinen Zimmer zuerst einmal das Fenster repariert, mit Stöckchen und Pflaster, damit es sich schließen lässt. Diese Dinge macht man hier am besten selber. Man kann nicht davon ausgehen, wenn man sich über irgendetwas beschwert, dass jemand kommt und es dann wieder funktioniert. Es läuft hier anders, die Menschen denken anders, aber meist sehr freundlich, wenn auch weder logisch noch verständlich noch ökonomisch, allerdings immer wieder überraschend kreativ – egal was es ist.

Meine Freundin Rita hat ein – wie ich finde – so typisches Beispiel von ihrer Reise nach Kolumbien erzählt. Sie hat es Lebenshilfe genannt: „Nach drei Monaten Nicaragua bin ich endlich wieder in der Zivilisation angekommen!!! Bogota! Hier habe ich im Übrigen im Gegensatz zu dem nicaraguanischen Genuschel JEDES Wort verstanden ... Ich wohnte bei einem Freund, ein intelligenter, empathischer junger Mann, Carlos, Dipl. Ingenieur. Er warnte mich, auf keinen Fall das Wasser aus dem Hahn zu trinken!! Muy peligroso!! (sehr gefährlich). Ein paar Tage später, als kein Flaschenwasser mehr da war, wir wohnten im 8. Stock, meinte er, das Leitungswasser sei: muy saludable! Muy muy saludable!!!!(sehr gesund) Ich habe daraus gelernt, dass wir Deutschen uns das Leben schon manchmal unnötig schwer machen! Eine echte Lebenshilfe!“

Das kann man in Südamerika lernen: Widersprüche akzeptieren. Und vor allem muss man sie auch aushalten können.Meine sich wiederholende Erkenntnis in Südamerika: „Es ist wie es ist. Basta.“

Es ist heiß, 34 Grad, aber bei diesem Klima einen Blick auf die schneebedeckten Andengipfel zu haben, – eine filmreife Kulisse. Das Bier, Artesanal, das es in den zwei Brauereien gibt, ist köstlich. Artesanal bedeutet Kunsthandwerk und diese Biere hier sind auch Kunsthandwerk. Es ist möglich, kreativ Bier zu brauen. El Bolson ist bekannt dafür. Es gibt nicht die strengen Regeln wie in Deutschland. Frambuesa, Roja und viele andere Sorten sind unbedingt probierenswert. Oder auch Schwarzbier zur „happy hour“, danach kann man besonders gut schlafen.

Mit dem Essen habe ich mich in Südamerika total umstellen müssen. Als Norddeutsche bin ich gewohnt, um 18 Uhr abends zu essen. Das geht hier alles gar nicht. Vor 20 oder gar 22 Uhr macht in Südamerika kein Restaurant auf. Und überhaupt erwachen die Menschen zum vergnüglichen Leben erst spät abends, einschließlich aller Kinder, auch der ganz kleinen. Es wird dann meistens laut. So manches Mal war Oropax eines meiner wichtigen Reiseutensilien, die ich niemals hätte missen mögen. Meine Hauptmahlzeit habe ich daraufhin auf den Mittag verlegt. Kein Problem, da die Südamerikaner auch mittags üppige Menüs verzehren. Diese Menüs für sehr wenig Geld gibt es überall. Viele Südamerikaner essen auch zum Frühstück Reis, Kartoffeln, Fleisch und Gemüse. Überhaupt essen sie unglaubliche Mengen und viele bringen auch das entsprechende Gewicht auf die Waage.

Meine Tage sind gefüllt mit Wanderungen auf die Berge, zu den Seen, in die Nachbardörfer, zu den Märkten. Ich habe Franziskaner-Gottesdienste im Freien beobachtet und stundenlange Ehrungen und Aufmärsche der Polizei am „Tag der Polizei“. An dem Tag, als das argentinische Fußballspiel Boca gegen River Plate in Madrid stattfindet – man hat es ja wegen massiver gewalttätiger Ausschreitungen der Fans in Buenos Aires kurzerhand nach Madrid verlegt –, gibt es niemanden mehr, der nicht vor dem Fernseher sitzt. Als dann River Plate gewinnt, füllen sich die Straßen rasant mit tausend lärmenden, Fahnen schwenkenden Menschen, diversen Autokorsos, merkwürdigen sonstigen Gefährten und Schrottkis­ten und sehr vielen schrägen Typen, einschließlich sämtlicher laut bellender Straßenhunde. Ich weiß gar nicht, wo all die Leute herkommen. Bis zum Morgengrauen feiern sie, tanzen, singen und schwenken ihre Fahnen, ziehen immer wieder durch die Stadt.

Die Hunde laufen rechts und links neben den Autos her und bellen wie verrückt, in dem Versuch, sie, die Feinde, die Eindringlinge aus ihrem Revier zu vertreiben. Sie laufen so nah an den Autos, dass ich mich wundere, dass sie nicht überfahren werden. Es ist immer wieder dasselbe Bild, bei jedem Auto. In der Mitte der Straße ist ein Grünstreifen, dort liegen sie und wenn ein Auto kommt, jagen sie es, manchmal zu fünft oder zu sechst.

Das Verhältnis der Südamerikaner zu Hunden ist ein sehr spezielles. Es gibt hier so unendlich viele herrenlose, frei lebende Hunde. Man trifft sie halb verhungert, krank und verwahrlost neben den großen Fernstraßen, z. B. in Peru, wo sie ihre Nahrung in dem aus den Autos und Bussen geworfenen Müll, sprich Plastiktüten suchen. Man trifft sie in den Städten, wo sie liebevoll von der Bevölkerung gefüttert werden, im Winter ein Hundemäntelchen übergestülpt bekommen und einen Karton als Schlafstatt. So habe ich es in Chile gesehen. Vor einem Supermarkt aufgereiht acht Verpackungskartons, in jedem lag abends ein Hund, in einen zwängten sich gleich zwei. Viele Hunde tragen auch einen Schal gegen die Kälte, so gesehen in San Pedro de Atacama.

Ich habe frei lebende Hunde in Kasernen gesehen. Wenn das Tor sich öffnet, stürmen etwa 20 bis 30 Hunde in die Kaserne. Offensichtlich bekommen sie da Reste. Die Militärs lassen sie gewähren. Und ich habe Hundehorden von 30 Tieren gesehen, z. B. in Bolivien, die nachts laut bellend und auch sich bekämpfend durch die Städte ziehen und jede abgestellte Mülltüte aufbeißen und nach Nahrung durchsuchen.

Hunde fressen hier alles: Pommes frites, Kuchenreste, Brötchen, Obst ... alles.

Aber es gibt auch die Hunde als Haustiere, so wie bei uns, alle Rassen dieser Welt, immer angeleint, sicher teuer, weil reinrassig, die, als was weiß ich von ihren Besitzern gebraucht, verhätschelt, missbraucht werden, Welpen von jungen Frauen ganz offensichtlich als Babyersatz auf dem Arm getragen. In den edlen Vierteln der Großstädte, wie in Buenos Aires gesehen, werden diese Haushunde von sog. Hunde-Gassi-Gehern ausgeführt. Man sieht dann so einen Gassi-Geher mit bis zu 20 Hunden an der Leine durch den dichten Verkehr ziehen. Und dann gibt es noch die Nackthunde in Peru, ohne Fell, eine Rassenspezialität dieses Landes – sehr elegant.

Esquel

Die Busfahrt nach Esquel führt durch eine traumhafte Seen- und Berglandschaft. Diese Ausblicke entschädigen für die zweistündige Verspätung des Busses.

Der Umgang mit Zeit unterstützt mich hier enorm bei meinem Wunsch, zeitlos zu sein. So hatte ich es mir zwar nicht gedacht, aber das ist auch eine Variante. Ich lerne. Hat schon mal einer, der immer pünktlich ist, versucht, das abzulegen? Verdammt schwierig.

Esquel liegt in der Provinz Chubut südlich von El Bolson.Nachmittags sitze ich auf der Plaza vor dem Museo historico und beobachte die Kinder. Ich will ins Museum, aber das hat geschlossen.

Kinder in Südamerika sind etwas Wunderbares. Sie sind so selbstständig und selbstbewusst und fremdenfreundlich, die ganz kleinen schon. Eine Frau hat sich zu mir gesetzt und mich eingeladen, am Sonntagabend zum Familientag in die Kirche zu kommen, nachdem ich ihr erzählt habe, wie es bei uns mit den Kindern ist und dass ich glaube, dass die deutschen Mütter viel ängstlicher sind. Es interessiert sie sehr und sie kann es gar nicht glauben, dass es in Deutschland so wenige Kinder gibt.

In den meisten Ländern Südamerikas, vor allem auch bei den Indigenen, haben die Familien viele Kinder. Sie werden geboren, auf den Rücken der Mutter gebunden und mit in den Alltag genommen, aufs Feld, auf den Markt, wo auch immer. Kinder sind eine Selbstverständlichkeit. Sobald sie laufen können, laufen sie los, nicht immer ist die Mutter hinten dran, aber alle anderen passen auch auf. Wenn ich mir überlege, was es bei uns manchmal für ein Theater ist, wenn ein Kind geboren wird. Immer eine Ausnahmesituation, weil wohl nicht so häufig und dann aber auch immer bedacht mit einer Sorge und Ängstlichkeit, manchmal einem überfürsorglichen Beschützerrausch. Ein Riesenunterschied.

Dann erzählt sie mir noch voller Stolz, dass die Einwohner von Esquel mit ihrem Protest und Engagement eine Goldmine verhindert haben. Goldminen in Südamerika, das bedeutet zwar Arbeitsplätze, aber immer auch massive Umweltvergiftung mit Quecksilber.

Ich gehe gerne zu diesem Familientag und freue mich über die Einladung. Familientag in der Kirche ist eine Art Gottesdienst, in dem überwiegend gespielt und gelacht wird und es laut hergeht. Die gesamte Kirche ist ein Wimmelraum für Kinder. Sie werden sehr geliebt hier und es wird viel für sie getan, immer in der Gemeinschaft oder der Familie. Entsprechend sieht man hier genauso viele Väter wie Mütter. Überhaupt habe ich oft in Argentinien und auch in den anderen Ländern Südamerikas Väter gesehen, die ihre Kinder herumtragen. Auch viele allein, wenn die Mutter wohl gerade etwas anderes zu tun hat und sicher mehr Väter, die sich um die kleinen Kinder kümmern, als man es bei uns im öffentlichen Raum sieht.

Ich werde immer wieder, weil es so üblich ist, von Einheimischen, mit denen ich Kontakt habe, gefragt, wie mein Name ist. Wenn ich sage: Elke, dann können sie es nicht aussprechen und fast immer ist dann die Antwort: ah, Erika. Ein offensichtlich gängiger Name hier. Die ersten Male habe ich das verbessert, aber dann habe ich es aufgegeben. Wenn mich jetzt jemand nach meinem Namen fragt, sage ich „Erika“

In Südamerika heiße ich Erika und fange an, mich daran zu gewöhnen. Manchmal überlege ich, was wohl Erika für eine Frau ist und ob sie sich von Elke unterscheidet. Eine ziemlich spannende Frage.

Am nächsten Tag ist das Museum endlich geöffnet. Ich gehe in jedes Museum um zu lernen. Selbst in einem Militärmuseum erfahre ich eine Menge über das Land. Für mich ist das interessanter als einen Reiseführer zu lesen, da man meistens mit Menschen sprechen kann, mit Angestellten, ihre Meinung über das Museum und dessen Darbietungen einholen, gleichzeitig fragen, was sie hier verdienen und wie ihre Arbeitszeiten sind und noch vieles mehr.

Diese Arbeitszeiten machen sie oft selbst und sie sind abhängig von ihren sonstigen Tagesaufgaben, zumindest in den kleineren Städten. Herauszufinden, wann so ein Museum geöffnet hat, ist nicht wirklich möglich, seitdem gehe ich immer hin und habe entweder Glück oder ich komme wieder.

Auf wunderschönen urigen Wegen, vorbei an blau-türkis schimmernden Seen mit Blick auf die schneebedeckten Berge, wandere ich den ganzen Tag durch den Parque nacional los Alerces und bewundere die letzten Bestände der Patagoni­schen Zypressen, nach denen der Park benannt ist. Die ältesten schätzt man auf 3.000 Jahre. Um ihren Bestand zu schützen, wurde der Park 1937 gegründet. Diese Bäume wachsen sehr langsam.

Meine Beschreibungen dieser Landschaften klingen immer irgendwie etwas kitschig, wie ich finde, aber es ist hier tatsächlich so schön, dass es wohl keine Worte dafür gibt.

Auf der Rückfahrt bemerke ich ein paar dicke Mückenstiche. Man muss sich doch immer schützen, sogar in Patagonien und auch, wenn es nicht heiß ist.

In der Stadt lerne ich ein deutsches Ehepaar kennen. Sie sind mit dem Motorrad in Patagonien unterwegs. Er ist ein Bär von einem Mann, aber in Santiago de Chile wurde er überfallen, mitten in der Stadt am helllichten Tage, erzählt er. Warum? Wie Motorradfahrer es oft haben, hat er eine dicke Goldkette getragen. Da hat man ihm einen Schlag in den Nacken gegeben und dann die Kette abgerissen. Die Verletzungsspuren sind noch am Hals zu sehen. Das war ein Schock für ihn.

Immer, wenn ich solche Berichte höre, denke ich: „Das wundert mich nicht“. Wie kann man mit Schmuck, Goldketten oder auch teuren Taschen oder dicken Fotoapparaten durch Südamerika laufen? Tausende tun es und dann wundern sie sich und dann steht in den Reisehinweisen der deutschen Botschaft: Raubüberfälle. Ich verstehe das nicht.

Mit dem Bus geht es 22 Kilometer nach Trevelin, eine alte walisische Stadt. Sie wurde 1865 durch walisische Siedler gegründet auf der Suche nach neuem Land. In einer historischen Backsteinmühle zeigt das Museum diese Geschichte auf. Heute erinnern englische Straßennamen, Teestuben, die Kleidung der hier noch lebenden Waliser sowie gälische und spanische Schilder an diese Zeit. Die Menschen haben sich damals mit den Ureinwohnern, den Mapuche, vermischt.

Die Stadt ist ruhig, entspannt und sauber. Das ist nicht selbstverständlich in südamerikanischen Städten, deswegen betone ich das.

Bei einem Spaziergang am Rio Percey kann ich wunderbar Vögel beobachten. Der Name Trevelin heißt übrigens im Walisischen „mill town“, Mühlenstadt.

In den Nachrichten habe ich gehört, dass weiter südlich in Patagonien das Hantavirus wütet. Es wird durch Mäuse übertragen und ist auch für den Menschen gefährlich. Sie haben jetzt Camper in den Nationalparks gewarnt, die zelten und auf dem Boden schlafen. In Patagonien gibt es viele Camper.

Um Mitternacht wird im Fernsehen die Nationalhymne gespielt und auf der Straße der Müll abgeholt.

Morgen geht es weiter Richtung Süden.

Puerto Madryn

Von Esquel geht es einmal quer über den Kontinent von den Anden durch die patagonische Steppe an den Atlantik nach Puerto Madryn. Auf der Karte sieht das wie eine kurze Strecke aus, aber es sind über 500 Kilometer und der Bus braucht zehn Stunden. Puerto Madryn ist ein wichtiger Exporthafen und eine Anlegestelle für Kreuzfahrtschiffe. Sie machen fast alle Halt hier. Aber die Attraktion ist die Halbinsel Valdes, UNESCO-Welterbe mit großen Seelöwen-, See-Elefanten und Pinguinkolonien. Ich liebe Tiere über alles und neben der Landschaft und den fremden Kulturen sind es die Tiere und die Pflanzen, die mich nach Südamerika ziehen. Und ich bin sehr gespannt auf das Meer.

Das Hostel ist etwas heruntergekommen und überteuert. Die Besitzerin geizt mit allem: Handtuch, Seife, Klopapier, Milch. Und außerdem scheint es sehr hellhörig zu sein.

Heute ist Heiligabend. Es ist hochsommerlich heiß. Mir graut davor, allein in diesem Hostel – furchtbar. Ich schaue mich um. Es gibt eine Gemeinschaftsküche. Da findet man meistens die anderen. Außer mir gibt es drei weitere Gäste: zwei relativ durchgeknallte, nicht mehr ganz junge Argentinierinnen, die sich über ihr Zimmer hinaus mit ihrer Wäsche und ihrer Schminke im ganzen Hostel ausgebreitet haben, und ein Harley Davidson-Fahrer aus Brasilien. Wahrscheinlich gibt es keine Stelle an seinem Körper, die nicht tätowiert ist.

Also frage ich die Argentinierinnen, was sie denn heute an Heiligabend machen. Sie sprechen kein Wort Englisch, sind aber total nett und ein bisschen albern.

Sie wissen es nicht, aber wohl angeregt durch meine Frage schlagen sie vor, dass wir zu dritt essen gehen. Ich bin begeistert und neugierig. Bloß raus hier heute Abend. Sie wollen einen Tisch reservieren. Ich bin einverstanden.

Es war wohl doch nicht so leicht mit dem Tischreservieren so kurzfristig, aber es hat geklappt und ich bin sehr gespannt. Es ist mir klar, dass ich den ganzen Abend spanisch sprechen muss.

Um neun Uhr gehen wir los, früh für Argentinien.

Als die beiden fertig sind, trifft mich fast der Schlag. Sie sind zurechtgemacht, geschminkt, in Kleidern und Schmuck und aufgemotzten Frisuren, wie wenn sie zum Fasching gehen wollten. Ich habe keinerlei Festkleidung dabei und auch nur zwei Hosen. Ich ziehe die graue Sommerhose und die langärmelige Amazonasbluse, die eigentlich gegen die Moskitos ist, an. Schminke habe ich natürlich auch nicht und Schmuck schon gar nicht.

Ich sehe neben den beiden sehr blass aus. Es ist mir etwas peinlich. Nicht, weil ich so aussehe, aber ich möchte mich schon an die Regeln des Gastlandes anpassen, nur habe ich einfach keine Klamotten für ein Weihnachtsessen.

Ich äußere meine Bedenken, aber sie nehmen mich in die Mitte und auf geht es. Es ist ein ganzes Stück zu laufen. Und dann wird es einer meiner schönsten Weihnachtsabende.

Mein Spanisch fließt von allein, perfekt, je mehr Rotwein, desto besser. Das Restaurant ist festlich, Weihnachtsdekoration überall und viele Gäste. Nach kurzer Zeit schon ist es wie in einer großen Familie. Es gibt ein köstliches Menü, argentinisches Asado, Lamm gegrillt, und der Wirt geht ständig herum und legt nach. Es schmeckt so gut. Jemand singt, jemand macht Musik und ich habe selten so viel gelacht. Ich bin glücklich und vermisse nichts.

Um zwei Uhr nachts gehen wir ins Hostel zurück und ich bin todmüde. Die beiden machen sich frisch und gehen ­tanzen in irgendeine Disco bis zum frühen Morgen. So sind Argentinierinnen und sie sind auch schon beide Mitte fünfzig. Unglaublich.

Wir haben in den nächsten Tagen in diesem schäbigen Hostel so viel Spaß und kochen fast jeden Abend zusammen. Das heißt: Sie kochen und ich helfe schnippeln. Beide sind hervorragende Köchinnen und es gibt jeden Tag ein köstliches argentinisches Gericht. Wir sind dann die einzigen Gäste und haben alles für uns. So lerne ich die argentinische Küche kennen.

Alexandra und Patricia sind beide geschieden, haben beide viele Kinder, wie es in Argentinien üblich ist, und beide sind berufstätig. Alexandra arbeitet als Psychologin und Patricia als Journalistin. Sie sind dicke Freundinnen und sehr stolz, dass sie den Absprung aus den engen restriktiven, patriarchalisch dominierten Strukturen geschafft haben und genießen ihr Leben. Mit Alexandra, die in Nordargentinien, in Cordoba, lebt und die ich später dort noch einmal besuchen werde, habe ich heute noch Kontakt.

Man darf nicht vergessen, dass es überhaupt nicht üblich ist, dass Frauen hier alleine reisen. Allein schon deswegen wird man komisch angeschaut und ständig gefragt, warum man das macht und was mit der Familie ist. „Esta sola?“ (Sind Sie allein?) ist die Standardfrage. Als Fremde geht es wahrscheinlich noch eher denn als Einheimische. Deswegen reisen die beiden immer zusammen.

Meine Freundin Maria, die eine Wohnung in Spanien hat und dort jedes Jahr verweilt, sagte mir: „Hier, in Spanien, ist das Wort „sola“ meist damit verbunden, dass die alleinige Person als bedauernswert gilt und ganz besonders bedauernswert, wenn es eine Frau ist.“

Sogar in Spanien. Kann ich kaum glauben.

Wir unternehmen in den Folgetagen vieles zusammen und machen eine Schiffstour. Allerdings eine sehr argentinische für argentinische Touristen. Das Schiff ist drei Stunden im Hafen und vor der Küste unterwegs, begleitet von lauter Musik, und die Bar spielt eine wichtige Rolle. Ich lasse mich drauf ein. Die beiden geben mir zwei Bier aus und es wird geschunkelt, gesungen und viel gelacht. Der Spaß am Dasein. Für mich ungewohnt, aber es ist ein wunderschöner Nachmittag.

Die Stadt hat eine lange Uferpromenade. An den Bootsstegen liegen dicke Seelöwen und ab und zu legt ein Kreuzfahrtschiff an.

Ich habe das Gefühl, dass die Menschen, die eine Kreuzfahrt machen, wenn sie Ausgang haben, alle irgendwie gleich aussehen und insbesondere ihren gesamten Schmuck und ihre Kameras zur Schau stellen.

Versteht man das? Das will ich nicht verstehen.

Am zweiten Weihnachtstag habe ich mir in einem hoch gelobten Fischrestaurant einen Tisch bestellt. Der Fisch ist hervorragend, aber als Frau abends, dann noch zu so einem Familienfest wie Weihnachten allein in ein Restaurant zu gehen, ist hier wohl eigentlich gar nicht möglich. Sehr wohl bemerke ich ratlose, aber auch neugierige Blicke, nicht nur von dem ungläubig drein schauenden Kellner, der dann nochmals fragt: „Esta sola?“, obwohl ich doch einen Tisch für eine Person reserviert habe.

Naja, ich lächele progressiv zurück, aber mein Wohlbefinden ist doch etwas beeinträchtigt, so dass ich dann nach dem Essen auch gleich zurück ins Hostel gehe.

Die Hostel-Mutter hat den Kühlschrank sauber gemacht – allerdings habe ich sie auch darum gebeten.

Bevor ich eine große Tour zur Halbinsel Valdes buche, fahre ich mit dem Bus erst einmal zwölf Kilometer südlich zur Seelöwenkolonie Punta Loma. Die Männchen der süd­amerikanischen Seelöwen, auch Mähnenrobben genannt, sind gewaltige Tiere. Sie können zweieinhalb Meter lang werden und bis zu fünfhundert Kilo wiegen. Man sollte ihnen nicht zu nahe kommen. Sie sind schneller als man denkt bei dem Umfang. Die Weibchen sind kleiner. Diese Kolonie lebt hier dauerhaft. Es sind bis zu sechshundert Tiere und sie werden geschützt.

Danach besuche ich ein kleines felsiges Kap, Punta Cuevas. Man sieht alte Fundamente im Felsen von den Häusern der ersten Kolonisten aus dem 19. Jahrhundert, die hier ihre Häuser in den Fels gegraben haben. Dort steht auch ein großes Denkmal für die Tehuelche-Indianer, neben den Mapuche eines der indigenen Völker Patagoniens. Sie waren Jäger und Sammler.

In Puerto Madryn gibt es wie in so vielen Orten in Argentinien ein Monument für die im Falklandkrieg gefallenen Soldaten. Die Argentinier haben den Verlust der Falklandinseln nie akzeptiert. Überall an großen Denkmälern findet man die Schrift: „Die Falklandinseln gehören zu Argentinien“.

Der lange Tagesausflug auf die Valdes Halbinsel ist spektakulär. Die Insel ist ein großes Naturreservat. Um beweglich zu sein und auch eine Führung zu den verstreut liegenden Orten zu haben, schließe ich mich einer Tour an. Wir sind nur sechs in einem Van.

Es gibt einen kleinen Ort auf der Halbinsel: Puerto Piramides, ansonsten ist sie nur von Tieren bewohnt. Es ist heiß. Ich habe so viele Tiere wie hier noch nie gesehen: Maras, Guanacos, Peludos (Gürteltier), Nandus, Lagartija de Darwin (Eidechse), Loicas (Vogel mit rotem Bauch), Choiques (Strauss), Seelöwen, See-Elefanten, Magellan-Pinguine, und im Wasser Delfine und Wale leben hier: Der Ballena franca austral mit bis zu zwölf Meter Länge ist im Frühjahr in den Buchten zu sehen und die Orcas (Schwertwale). Die sind Räuber und können sich die Robben vom Strand holen. Sie lassen sich mit einer Welle etwas anspülen, schnappen zu und lassen sich mit dem Wasser wieder ins Meer zurückziehen. Stundenlang kann ich durch das riesige Brutgebiet der Magellan-Pinguine schlendern. Bis zu 600.000 Pinguine haben hier ihre Höhlen, brüten und ziehen ihre Jungen auf. Es gibt angelegte Wege, die man nicht verlassen darf. Wenn ein Pinguin über den Weg läuft, muss man warten. Er hat immer „Vorfahrt“. Die Höhlen mit den Jungen drin sind auch unmittelbar am Weg und man kann sehen, wie sie gefüttert werden. Manchmal, wenn sie schon ein bisschen größer sind, warten sie sehnsüchtig vor der Höhle auf die Rückkehr der Eltern mit Fischfutter. Es ist unglaublich anrührend. Sie sind überall auf dem großen Gelände.

Auf dem Rückweg machen wir noch einmal Halt an einer Bucht. Von oben hat man den Blick auf eine große Seelöwenkolonie. Dann höre ich, wie jemand meinen Namen ruft. Ich drehe mich um und hinter mir – das glaube ich jetzt nicht, steht mein Nachbar aus meinem Heimatort.

Es gibt so merkwürdige Zufälle. Da reist man ans Ende der Welt und wen trifft man? Seinen Nachbarn von zuhause.

Das katapultiert mich erst mal irgendwie raus aus der Ferne. Ach ja, ein „Zuhause“ gibt es ja auch noch. Habe ich gar nicht mehr dran gedacht und auch nicht vermisst.

Am letzten Tag gehe ich noch ins Museum. Im Café spricht mich eine Dame aus Deutschland an.

Sie kommt von einem Kreuzfahrtschiff und hat Ausgang ins Museum. Ihre zweiwöchige Patagonien-Kreuzfahrt führt von Buenos Aires nach Santiago de Chile. Sie ist enttäuscht. 4.000 Menschen sind auf dem Schiff. Die Reise ist teuer gewesen und dazu kommen noch viele Nebenkosten. Alles müsse extra bezahlt werden. Und Anschluss findet sie auch nicht, das hatte sie sich erhofft. Es seien meist nur Paare auf dem Schiff, die für sich sein wollen.

Ich denke mir, dass es auch gar nicht umweltverträglich ist, diese ganzen Kreuzfahrten, aber beim Urlaub vergessen die Menschen die Umwelt, dabei machen sie ja doch Urlaub, jedenfalls in vielen Fällen, um die reine Natur zu erleben.

Sie hat nur eine Stunde für das Museum. Sie tut mir irgendwie leid. Ich ermuntere sie, allein zu reisen und berichte von meinen guten Erfahrungen. Allein unterwegs hat man wahrscheinlich mehr Kontakte als auf einem Kreuzfahrtschiff.

Ich genieße meine Freiheit.

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