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Touristen aus Europa oder Asien sehe ich nicht die ersten Tage und auch später nicht so viele. Backpacker habe ich auch nur wenige gesehen.

14 Tage bin ich in Buenos Aires geblieben. Zum Einstieg in Südamerika nicht schlecht, modern und schrill, eine Weltstadt. Aber jetzt brauche ich Ruhe.

Bariloche

Genug mit Großstadt, ich sehne mich nach der Weite Patagoniens. Jedenfalls habe ich diese Vorstellung vom Süden Argentiniens. Mal sehen, ob das zutrifft.

Meine erste Station ist Bariloche, 1.600 Kilometer von Buenos Aires entfernt. Die Strecken in diesem Land sind riesig.

Das Zimmer in meiner Hosteria ist einfach, sauber und klein. Die Dusche spendet einen dünnen heißen Strahl. Nachts ist es kalt, aber es gibt eine Heizung. Es wird spät dunkel. Diese Gegend wirkt reich und teuer. Das sieht man an den Häusern und alles ist relativ sauber.

Bariloche, eigentlich San Carlos de Bariloche, liegt in der Provinz Negro in einem Tal der südlichen Anden am See Nahuel Huapi. Blauer Himmel, glasklarer See, schneebedeckte Berge, das Panorama unglaublich schön. Man nennt diese Gegend deswegen auch argentinische Schweiz.

Das Wort „Bariloche“ kommt von „Vuriloche“, das ist ein Mapuche-Wort und heißt „Menschen hinter dem Berg“. Das indigene Volk der Mapuche, „Menschen der Erde“, lebt heute überwiegend in den zentralen und südlichen Regionen Chiles und Argentiniens. „Mapu“ heißt Erde und „che“ Menschen. Die Erde ist den Mapuche heilig. Sie würden sie niemals grundlos oder aus Profitgründen zerstören. Sie sind das einzige indigene Volk, das sich lange Zeit erfolgreich gegen die Inka und auch gegen die Kolonisation der Spanier gewehrt hat und unabhängig geblieben ist. Die Mapuche sind die größte ethnische Minderheit, besonders in Chile, und sie führen immer noch einen zähen Kampf um ihren Grund und Boden.

In Bariloche leben auch viele Deutsche. Nach dem zweiten Weltkrieg haben sich einige ehemalige SS-Führer hier versteckt. In einem deutschen Viertel entdeckt man Schwarzwaldhäuser, eine deutsche Schule und deutsche Bäckereien mit heimischen Backwaren, z. B. Brezeln und Streuselkuchen.

Das wirkt auf mich befremdlich.

Die Stadt ist bekannt auch für ihre Schokolade. Sie wird in der Hauptstraße in fast jedem Geschäft angeboten, auch in großen Schokoladenkaufhäusern. Ich bin kein Schokoladen- fan, aber probieren muss ich und tatsächlich – schmeckt gut.

Ich könnte stundenlang am See sitzen und auf dieses Bergpanorama starren. Das befriedigt mein Fernweh und erfüllt mich gleichzeitig mit einer inneren Ruhe.

Die vielen frei lebenden Hunde hier werden von den Einwohnern gefüttert. Ein kleiner Hund schleppt eine Plastikflasche von einem Menschen zum anderen und möchte sie geworfen haben, um sie zu apportieren. Fast jeder beteiligt sich. Jetzt bin ich dran. Er steht mit dem Ding im Maul zu meinen Füßen und stupst mich auffordernd an. Ich werfe sie in Richtung eines jungen Paares. Das funktioniert, sie sind als Nächstes dran.

Ein junger Spanier setzt sich zu mir. Er erzählt, dass er hergekommen ist, weil sein Name wie der des Sees ist. Seine Mutter ist Argentinierin und sein Vater Spanier. Er war noch nie hier und ist fasziniert, berührt, wie schön dieser See ist, nach dem er benannt wurde.

Menschen gehen immer wieder weite Wege oder nehmen beschwerliche Reisen auf sich, um ihren Ursprüngen auf die Spur zu kommen. Eigentlich mache ich das auch, weil ich zum Kap Hoorn will, das für mich eine besondere Bedeutung hat, aber dazu später.

Mehrere Ausflüge führen mich in den nächsten Tagen in den Nationalpark Nahuel Huapi, der an dem gleichnamigen See liegt. Dieser Park, der auch an Chile grenzt, gehört zu den ältesten Nationalparks Argentiniens und ist seit 1981 UNESCO-Welterbe.

Mit dem Schiff kann man nach Chile rüber fahren.

Im Bosque Arrayanes, einem Arrayan Myrtenwald wachsen archaisch wirkende Bäume mit einer rötlichen Färbung der Stämme. Sie haben keine Borke. So etwas habe ich noch nie zuvor gesehen. Dieser Wald ist streng geschützt und einmalig. Die Bäume sind bis zu 600 Jahre alt. Eine märchenhafte Szenerie.

Ausflüge über den See mit dem Schiff bieten schöne Aussichten auf den Park vom Wasser aus und auf die imposanten Berge wie den Cerro Catedral, den Cerro Otto und den Cerro Tronador, mit 3.454 Meter der höchste Berg in diesem Nationalpark. Cerro heißt Berg. Der Cerro Tronador ist ein erloschener Vulkan, bedeckt mit einer dicken Schicht aus Eis und Schnee. In der Umgebung Gletscher und Wasserfälle. Entsprechend gibt es hier über das Land hinaus bekannte große Skigebiete.

Den Cerro Otto erkunde ich mit dem Bus und dann mit der Seilbahn. Der Blick von oben über den See und die umliegenden Berge ist sensationell. Ebenso der vom Cerro Catedral. Oben sitze ich in der Sonne, trinke einen Kaffee. Die Anden sind schneebedeckt, der Himmel stahlblau und in der Sonne ist es warm, natürlich in dicker Kleidung.

Mein Gott – an den ich nicht glaube –, wie schön ist diese Welt.

Es gibt auch noch andere Seen wie aus einem Bilderbuch, zum Beispiel den Lago Gutierrez.

Auf einem meiner Ausflüge lerne ich ein nettes Ehepaar aus Südtirol kennen. Er reist auf den Spuren seines verstorbenen Onkels. Dieser Onkel war Missionar in Argentinien. Die Bewohner haben ihm ein Mausoleum gebaut. Das hat er aufgesucht und mit tiefer Rührung erzählt, wie er die unendliche Dankbarkeit der Menschen erlebt hat und dass sein Onkel, den er selbst gar nicht so gut kannte, dort so beliebt war. Die Indigenen haben ihn verehrt.

Ich habe auf meiner Reise viele Spuren und Zeugnisse von Missionierung früher und auch heute noch gesehen. Ich werde immer skeptisch, wenn ich das Wort Missionierung höre. Mag sein, dass dort auch viel Gutes geschehen ist an der Bevölkerung, dass man die Indigenen geschützt hat vor den spanischen Eroberern, dass man ihnen Arbeit, Bildung und medizinische Versorgung gegeben hat, aber die Berichte über anderes, das Zerstören insbesondere der eigenen Kultur und Religion, ist doch so eine existentielle Vernichtung, dass das absolut inakzeptabel ist. Es bleibt mir unverständlich, wie man meinen kann, dass eine eigene Religion besser ist als die der anderen. Wenn mich etwas in unserer heutigen Zeit beeindrucken kann, dann sind es manche Vorstellungen der Indigenen im Zusammenhang mit dem Glauben an Pachamama (Mutter Erde). Aber dazu komme ich noch später.

Da bin ich vielleicht schon bei diesem Ursprung, den ich suche. Also habe ich schon wieder jemanden getroffen, der hier seinen Ahnen nachspürt. Das werde ich noch öfter erleben. Argentinien ist ein Land der Einwanderer. Ein Großteil der Bevölkerung stammt heute von Einwanderern ab und das hat einen entscheidenden Einfluss auf die Identität des Landes.

Als Argentinien 1816 unabhängig wurde, musste es sich neu definieren, ein neues Selbstbild finden. Das versprach man sich durch die Öffnung für moderne europäische Einflüsse durch die Einwanderung aus Europa 1810 – 1914. Die zwei großen Migrationswellen fanden im 19. und 20. Jahrhundert statt. Europäische Einwanderer erreichten das Land in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. In den 1980er- und 1990er-Jahren kamen vor allem asiatische Migranten und Menschen aus den Nachbarländern Bolivien und Paraguay.

Angesichts der vielen ausgewanderten Europäer, Deutschen, Italiener, Franzosen und vielen anderen, frage ich mich, was Heimat ist? Warum wandern Menschen aus? Doch nicht nur die Rentner, die es im Alter im Süden wärmer haben wollen. So auch junge Leute, die sich ein besseres Leben erhoffen, einen Neuanfang. Völkerwanderung, Flucht und Vertreibung. Manchmal muss man auswandern. Aber wenn man nicht muss, wenn man ein gutes Leben hat. Warum tut man es dann?

Heimat ist doch der Ort, an dem man geboren wird, an dem man aufwächst, seine Kultur erfährt, Einstellungen, Weltauffassungen, die einen prägen, eine Vertrautheit, Zugehörigkeit, ein Zuhause eben? Die Orientierung, mit der man in sein Leben startet. Warum verlässt man das?

Cicero sagt: „Ubi bene, ibi patria.“ (Wo es mir gut geht, da ist mein Vaterland, meine Heimat.)

Verlässt man die Heimat nur dann, wenn es einem dort nicht mehr gut geht? Kann man eine neue Heimat finden? Für mich stellt sich die Frage: „Braucht man überhaupt eine Heimat?“

Wenn der Seefahrer sagt: „Meine Heimat ist das Meer“, so beschreibt er eine Lebensweise. Könnte ich sagen: Meine Heimat ist das Reisen? Fühlt sich gut an.

Und was ist Heimweh? Das Sehnen nach eben dieser Heimat. Ich kenne kein Heimweh, habe ich noch nie empfunden, auch nicht auf meiner ersten einjährigen Reise.

Aber Fernweh, das kenne ich sehr wohl, immer, wenn ich zuhause bin, diese Sehnsucht nach fernen Ländern, auch nach Abenteuer. Das ist keine Pubertätserscheinung, schließlich bin ich 65 Jahre alt und damit höchstwahrscheinlich ja aus der Pubertät schon raus. Das Fernweh ist aber immer noch da. Mein Heimweh ist das Fernweh.

Bariloche ist eine wunderschöne kleine Stadt in Patagonien. Wenn alle so sind, dann wird dies eine Traumreise. Es ist unglaublich, wie inspirierend diese Natur ist.

Villa la Angostura

Villa la Angostura liegt etwas weiter nordwestlich auch am Ufer des Nahuel-Huapi-Sees.

Meine Unterkunft kann ich nur mit dem Taxi erreichen. Sie liegt außerhalb des Städtchens. Überhaupt sind die Häuser etwas zerstreut in dieser Zauberlandschaft. Ich wohne in einem Privathaus bei einem jungen Ehepaar, Janina und Christian, mit zwei kleinen Hunden. Sie vermieten Zimmer. Das Haus ist liebevoll eingerichtet wie ein Puppenhaus, groß, gemütlich mit dem Blick auf den See vom Bett aus. Ich bin der einzige Gast und es wird ein Aufenthalt wie in einer Familie. Sie frühstücken mit mir zusammen, alles selbstgemachte Spezialitäten, alles Bio, und ich erfahre eine Menge über das Land, die Gegend und die Sitten. Es ist eine reiche Gegend hier. Kriminalität so gut wie unbekannt.

Janina und Christian nehmen mich am Wochenende mit auf Ausflüge und zeigen mir die Schönheiten dieser Region. Beim Wandern trifft man überall auf Schilder, die vor dem Puma warnen. Es gibt genaue Verhaltensregeln für den Fall einer Begegnung: 1. nicht weglaufen, 2. anhalten und den Puma anschauen, 3. Kinder auf den Arm nehmen, 4. sich so groß wie möglich machen, 5. schreien, 6. bei einem Angriff des Tieres heftig kämpfen, 7. nicht allein gehen, 8. wegbleiben von toten Tieren. Aber meine Gastgeber sagen, man sieht sie kaum, die scheuen Tiere.

Bei einer Wanderung am nächsten Tag, vorbei an einigen dieser Schilder, nach etwa zwei Stunden, entdecke ich plötzlich frische Puma-Spuren auf dem Weg. Ich bin überzeugt, dass es Puma-Spuren sind. Hier ist niemand, kurze Panik, ich kehre um, laufe schneller.

Ich bin ja sonst nicht ängstlich, aber alleine unterwegs, so seinen Gedanken beim Laufen nachhängend, und ständig diese Warnschilder und wenn man dann diese Spuren sieht, da kann es einen schon mal unerwartet packen. Später muss ich drüber lachen, über meine Reaktion, weil Pumas wirklich sehr scheu sind und Janina kann sich nicht erinnern, dass hier jemals irgendjemand von einem Puma angegriffen wurde.

Abends im Bett denke ich, wenn ich hier sterbe, ist das eigentlich in Ordnung. Ein Traum von Natur, den es auf dieser Welt immer weniger gibt, das wäre ein guter Ort.

Ich mache mir oft Gedanken über den Ort, an dem ich gerne sterben möchte. In meiner Phantasie habe ich ihn auch schon gefunden. Mein Traum ist es, in einem Völkerkundemuseum zu sein, wenn es soweit ist. Ich habe das Bild, dass ich in einem Bett liege, inmitten von gedämpft beleuchteten Ritualgegenständen und Figuren, aus Kulturen ursprünglicher Völker. Ich habe im Rautenstrauch-Joest-Museum in Köln einmal so eine Ausstellung gesehen, da haben sie auf Sockeln Ritualfiguren aus verschiedenen Kulturen in einem Raum gezeigt. Diese Atmosphäre hat mir eine solche Geborgenheit und so ein Glücksgefühl beschert, dass ich dieses Bild nicht mehr loswerde. Da möchte ich sterben einmal. Das habe ich auch schon meinen Freunden erzählt, aber wahrscheinlich wäre so etwas in der Realität verboten.

Warum eigentlich? Wenn es der letzte Wille ist?

Aber das ist wohl eine verrückte Idee für manchen. Also das hat etwas mit meiner Suche nach Ursprünglichkeit zu tun, was immer das auch ist. Entweder in einem Völkerkundemuseum, umringt von Ritualfiguren oder in einer solchen Natur. In beidem hätte ich das Gefühl, ich werde als Teil eines Ganzen aufgenommen.

Ich fühle mich wie bei Freunden. Janina sieht man immer mit einem Becher Mate-Tee schon früh morgens. Frühstück braucht sie nicht, nur Mate, sagt sie.

Mate ist sehr speziell. Mate trinken ist ein soziales Ritual. Der Matestrauch wächst in Südamerika. Die kleingeschnittenen Blätter werden in ausgehöhlten Kalebassen mit heißem Wasser immer wieder aufgegossen. Deshalb tragen Mate-Trinker immer eine Thermosflasche mit heißem Wasser bei sich. Das gehört zur Ausrüstung wie die Kalebasse und die Bombilla, ein Metalltrinkrohr mit Sieb vorne, durch das der Mate geschlürft wird. Dann wird wieder Wasser nachgegossen und die Kalebasse wird wie eine Friedenspfeife weitergereicht. Das ist ein wichtiger sozialer Aspekt dieses Rituals. Mir scheint es wie ein Suchtmittel, obwohl sie das weit von sich weisen, aber bei manchen Menschen geht es nicht ohne den Becher, den Trinkhalm und die Thermosflasche.

Wenn wir in Europa Kaffee, Nikotin und Alkohol konsumieren, was sie hier viel weniger tun, dann trinken sie hier Mate. Janina bestätigt, dass Mate sie fit macht und den Hunger hemmt.

Viele Argentinier sind sehr dick und essen viel Fett und Zucker. Die, die abnehmen wollen, regeln das oft mit Mate, sagt Janina.

Ich habe Mate gekostet und finde ihn grässlich bitter. MateTrinker findet man am meisten in Uruguay, Paraguay, Argentinien, aber auch in Brasilien. Schon die Ureinwohner haben das getrunken.

Janina ist Lehrerin und erzählt, dass das Hauptproblem für viele Kinder sexueller Missbrauch ist. Das ist sehr häufig in Zentral- und Südamerika und eben auch in Argentinien. Das Bewusstsein eines Verbrechens ist bei vielen Menschen nicht vorhanden und die fatalen Folgen für die Kinder auch nicht. Die Aufklärung darüber fehlt in der öffentlichen Diskussion, auch bei den Indigenen. Für viele ist das normal. Sie würden es auch nicht Missbrauch nennen.

Ist das eine kulturelle Frage? Kann etwas schlimm sein, wenn es in einer Kultur normal ist? Wenn es für uns eine Horrorvorstellung ist, aber in einer anderen Kultur dazugehört?

Was ist schlimm? Frage ich mich. Für jeden etwas anderes? Eine Frage der unterschiedlichen Traditionen? Die Frage reicht vom sexuellen Missbrauch bis zum Meerschweinchen essen.

Die kleinen Straßen am See sind gesäumt von blühendem gelben Ginster. Diese Farbe vor dem Hintergrund der schneebedeckten Berge und tiefblauen Seen, das ist wie ein Gemälde.

Man kann hier tagelang wandern. Einmal verlaufe ich mich. Vereinzelt gibt es am See teure Wochenendhäuser. Nach vier Stunden finde ich den Weg nicht zurück. Ich habe kein Googlemap und werde mich auch wider alle Ratschläge bis zum Ende der Reise dem verweigern. Ich habe die Traveller gesehen, die in ihr Gerät starren und niemals jemanden nach dem Weg fragen. Ich habe so viel Freundlichkeit, Information und Kontakte erfahren durch das Ansprechen von Menschen, durch das Fragen nach dem Weg, das möchte ich niemals missen.

Abgesehen davon habe ich das Smartphone meist im Hotel, damit es nicht geklaut wird. Das ist sicher nicht klug, denn wenn mir etwas passiert – und ich bin ja meist allein unterwegs, wäre es eine Hilfe, aber ich kann mich nicht daran gewöhnen. Ich will es nicht und immer kann man auch nicht vernünftig sein. Wo es Menschen gibt auf der Welt, da kann man fragen.

Also klopfe ich an einem dieser Wochenendhäuser an und frage nach dem Weg. Da ich natürlich auch die genaue Adresse meiner Unterkunft nicht dabei habe, wird es ein längeres Gespräch mit dem freundlichen Besitzer – nur der Hund ist nicht so freundlich, er scheint gar fremdenfeindlich zu sein, – wird aber gut im Zaum gehalten.

Ich finde dann zurück – obwohl mich unterwegs nochmals Zweifel packen über die Richtung und es dauert noch einmal vier Stunden. Ich bin ein großer Verläufer – Orientierung schwer mangelhaft. Aber bislang bin ich trotzdem noch überall hingekommen. Leichte und schwere Frustrationszustände eingeschlossen. Dann bin ich fix und fertig, aber es war trotzdem ein wunderschöner Tag. Als Souvenir habe ich einen kleinen Sonnenbrand im Gesicht mitgebracht, trotz 50-prozentigem Sonnenschutz. Die Sonne ist hier ganz anders als bei uns.

Mit einer Tour fahre ich nach San Martin de los Andes. Das Städtchen liegt am Lago Lacar und ist bekannt für Fischen, Wandern, Kanu- und Skifahren. Hübsch, aber mir zu touristisch.

Die Straße von Villa la Angostura nach San Martin de los Andes nennt sich die Route der sieben Seen, eine der schönsten Straßen in Patagonien. Sie führt an sieben Seen vorbei. An jedem machen wir eine ausgedehnte Pause.

Man sieht hier viele Fahrradfahrer, Reisende, die sich schnaufend mit dem gesamten Gepäck die Anden hochquälen und immer einen, wie ich finde, leidenden Gesichtsausdruck haben. Aber sie scheinen es zu lieben. Jedes Mal wenn der Bus einen überholt, frage ich mich, warum machen sie das. Und bei den Straßen hier und wie die Busse manchmal fahren, finde ich es total gefährlich, aber das ist nur meine Sichtweise.

Von Villa la Angostura geht es mit dem Bus nach El Bolson weiter.

Ich bin ein pünktlicher und zuverlässiger Mensch. Diese Eigenschaften kann man gleich mal total vergessen in Südamerika. Da sind sie eher peinlich. Sie weisen einen im Übrigen auch immer als Deutschen aus. Und man kommt damit nirgends weiter und rutscht von einer Blamage in die andere. Obgleich die Südamerikaner die Deutschen wegen ihrer Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit und ihrer strengen Regeln bewundern, wie sie mir oft bestätigt haben, und dass sie deshalb auch gerne in Deutschland leben würden. Dass sie sich selbst entsprechend verändern können, glaube ich nicht, weil sie so eben nicht sind. Das ist ein Teil ihrer Kultur.

Der erste Bus, um zehn Uhr soll er gehen. Um halb elf – der Busfahrer steht neben dem Bus – frage ich dann mal nach, wann denn der Bus nun abfährt. Die Antwort ist: zehn Uhr.Darauf zeige ich dem Fahrer meine Armbanduhr und weise ihn darauf hin, dass es halb elf ist. Er äußert sich erstaunt und gibt dann an: „O passe“.

Das war’s. Was immer das nun bedeuten mag. Ich kann es nicht herausfinden. Also: Warten, warten warten ... um kurz vor elf Uhr fährt der Bus ab. Als ich endlich drin sitze, denke ich über das Glück des Wartens nach, wenn man sich denn darauf einlässt und das tut man in dem Moment, indem man aufhört zu hadern, z. B. mit der Ungeduld und sich einmal umschaut, was um einen herum gerade los ist. Und es ist immer etwas los, meist sind auch Menschen da und Menschen sind immer interessant.

Warten als etwas ganz Eigenständiges, Erfüllendes, ein Geschenk, eine Chance, nicht eine Frustration.

Mir fällt dabei ein Gedicht von Gabriele Stolz ein, zum Scheitern, zum Suchen, zum Finden ohne Fundstück, ohne Ende, die Vielfalt, die es zu entdecken gibt im Unterwegssein.Sie hat es mir für meine Reise geschickt.

An einem schönen Augusttag scheitern

ist wie aus einem unbestimmten Ausland

in eine Heimat zurückkehren.

Nicht wandern in einem Raum, hin und her,

auf Gedankenwegen unterwegs.

Gedankengänge –

ohne einen zu verfolgen,

ohne von der Stelle gekommen zu sein;

das eröffne den Ausweg.

So jedenfalls erzählt es die Geschichte vom Finden.

Aber sie hat keinen zureichenden Grund,

sondern führt nur durch ein Gelände

der Übergänge.

Auch Warten ist für mich jetzt eine Form des Unterwegs-seins.

Viele Monate später hatte ich in Ecuador das erste Mal in meinem Leben den Bus verpasst und ging dann einfach eine Stunde später zum Busbahnhof, in der Hoffnung, dass noch einer an diesem Tage fahren würde. Da war meiner gerade gestartet, ich winkte und auf der Straße hat mich der freundliche Busfahrer wie selbstverständlich aufgelesen. Ich war froh. Ich liebe Südamerika.

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9783963081545
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