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Lamag, das Buch der Gottheiten

Getrennt von meinem geliebten Weib Nogard, wurde ich schon vor sehr langer Zeit in die Einsamkeit meiner Höhle verbannt, dazu verurteilt, vielleicht für immer dort als Gefangener der Götter zu leben. Nogard, jene Kraft, welche heute einigen als die große Meerhexe bekannt ist, ging damals, vor neun Jahrhunderten, mit ihren Gefolgsleuten ins Exil ins Meer – und auch meine Tochter Auroria habe ich niemals in meine Arme schließen können. Wie kam es zu dieser Tragödie, welcher ich meine Einsamkeit zu verdanken habe?

Aufgrund der Verstrickungen der Umstände zur Zeit des „Großen Krieges“ wurde Nogard damals das Medium eines mächtigen Dämons der gefallenen Gottheit Mata, doch wurde aus der Gunst des Rates der „Großen Sieben“ heraus ihr Ich und Selbst bewahrt, sie wurde jedoch zur Hexe. Da ich es nicht schaffte, für sie einzustehen, als es am wichtigsten war, kam diese verheerende Strafe über mich: Ich wurde von der Gottheit der Gerechtigkeit, Quoron, dazu verbannt, in dieser Höhle zu verweilen, bis ich ein bestimmtes Rätsel gelöst hätte, welches er mir mit in die Einsamkeit gab: „Welcher Stern fehlt am Himmel?“, so waren die Worte des Gottes, welcher mir dieses als Mysterium für alle Zeiten mitgab, das, sollte ich es lösen, zu meiner Befreiung führen sollte.

Bis auf die seltenen Besuche des Phönixes Syphur, der mir – obwohl ich weder zu essen noch zu trinken brauche – bisweilen Speis und Trank bringt, mich an seinem warmen und weichen Gefieder erfreuen lässt, lebe ich in vollständiger Einsamkeit und ein Ausweg oder eine Flucht – gar mit Syphurs Hilfe – sind ausgeschlossen, bis zur Lösung der Kopfnuss.

Eine Freude ist mir jedoch verblieben, denn ich, Lamag, sehe in jedem einzelnen Tropfen, welcher von den Stalaktiten meiner Höhle herabfällt, die Geschicke einer jeden Kreatur Lotos und auch die meines Weibes Nogard, ebenso weiß ich von den Verwandlungen aller drei Brüder, den Absichten des Fürsten Serktat und der wiedererstarkenden, bösen Kraft Oraias, jener Gottheit, die einst als Mata nahezu die ganze Welt Lotos vernichtete. Im Kommenden sichte ich in den winzigen Wassertropfen, die gleich in Zeitlupe zu Boden hinabtropfen, die Begegnung des Verwandelten Pyron und seines Bruders mit der Elfenartigen Anna von Seron, inwiefern sie unter der Gottheiten Gunst stehen und welchen Niederrungen sie auf den zukünftigen Wegen zu trotzen haben. Dies alles lehrte mich eines, nämlich, dass die Geschicke der Leben Lotos verwoben sind wie die Fäden des Netzes einer Spinne. Und ich weiß auch, dass der Rat der „Großen Sieben“ seit jeher gerade die schwierigsten seiner Angelegenheiten den Bewohnern der Welt Lotos auferlegt hat. Für den einen oder anderen mag solches Handeln von den Seiten der Götter schwer verständlich sein, doch gerade durch diese Bürde sind in Loto auch viele Weise und Verständige groß geworden – auch viele Heiler –, sowohl unter den Mannen als auch unter den Frauen.

Leider ist es so, dass die Gefahr, die Bedrohung, welche Loto und den Seinen heutzutage angekündigt, mitnichten weniger vernichtend und grausam ist als damals, vor neun Jahrhunderten, zum „Großen Krieg“.

Der einst als Mata Bekannte, die heutige Oraia strebt in ihren Formen nach wie vor die Unterjochung des Rates der „Großen Sieben“ an. Und gerade da es lediglich einige wenige sind, die davon wissen, so beziehen doch schon die Kräfte der Zerstörung nach und nach ihre Positionen. Das erstarkende Ungleichgewicht wird, sofern es nicht unterbunden wird, für ein „Jeder gegen jeden, Mann gegen Mann“ sorgen, wenn es nicht innerhalb des nächsten Mondes grundlegend verhindert wird – ähnlich wie damals, zur Zeit des „Großen Krieges“. Die Gottheit Mata in ihrer neuen Seinsform hat bestimmt an Macht gewonnen, und ob und wie die Bewohner Lotos diese Lektion erfassen – dieses wird allein die Zeit zeigen können. Die finsteren Mächte trumpfen mit verwandelten, bösartigen Lebensformen, von ihrer Beschaffenheit Pyron ähnlich, sie sind nahezu nicht zu töten und beinahe die größte Gefahr für die Bewohner Lotos, die Brüder, meine Tochter Auroria und … Anna von Seron.

Und noch etwas vermögen mir die wie in lebendiger Sprache sich mir gegenüber formulierenden Wassertropfen zu verstehen geben: Wie damals, als das mythische Drachenwesen zur Verwandlung gebracht, gezwungen wurde, wird auch dieses Mal der sagenhafte Kristall Loretium allein die nötige Rettung herbeiführen können, und: Wird es den Freien, jenen, die des Lichtes sind, nicht gelingen, den Machenschaften des Abtrünnigen, des Verräters Serktat, ein Ende zu setzen, so werden in diesem Handlungsfeld die Kräfte des Guten höchstwahrscheinlich verlieren.

In der grauen Einsamkeit meiner Höhle warte ich darauf, dass die Geschickverflechtungen zu der lange erhofften Begegnung mit den Brüdern führen, jenen beiden, welche schon vor neun Jahrhunderten zur Befreiung der Gerechten beitrugen. Ich meine, die Lösung des Rätsels und somit meine Losung zur Freiheit zu kennen, denn: Löste ich eben dieses Rätsel, so hieß es, dann würde ich aus meiner Verbannung entlassen, ein Versprechen, welches mir wert war, des Tages und der Nacht über der Frage des Gottes der Gerechtigkeit zu sinnen.

Sogar meine einstige Geliebte, jene, die heute als die machtvolle Meerhexe bekannt ist, hat nicht die Macht, mich zu befreien, bis des Rätsels Lösung offenbar. Ich weiß, nähere ich mich der Losung des Rätsels, nähert sich mir meine Befreiung.

Die Vorbereitungen auf das Eintreffen des Fürsten Serktat I

Seine königliche Majestät seufzte etwas genervt: Auch wenn der höfische Magier – wie der König vermutete – ihn mit der Posse eines beinahe scheiternden Kunststückes erheitern wollte, König Atuk empfand dies zum jetzigen Zeitpunkt als nicht angebracht. Er mäßigte dennoch seinen Tonfall vorab und mahnte den Bediensteten des Hofes, Zauberer Tresu, freundlich: „Wie wir beide wissen, wird Fürst Serktat in weniger als sechs Tagen hier eintreffen. Es ist jetzt wirklich nicht die Zeit für Späße, nicht einmal für so lustige und gut gemeinte.“

Tresu nahm Haltung an, verbeugte sich vor Seiner Majestät Atuk, dann klaubte er seine Sachen und machte kehrt. In dem schmucken Thronsaal herrschte eine angenehme Temperatur, an diesem späten Nachmittag im Herbst schien die Sonne golden in die Halle. König Atuk hatte wie gewohnt milde reagiert, da sein Vater, König Ettek, ihn gelehrt, sich zu mäßigen, ebenso wie seine Mutter, Königin Reiha, ihn darin unterwies, Nachsicht zu üben: „Weswegen aus einer Mücke einen Elefanten machen?!“, war der Leitsatzder gutmütigen, früheren majestätischen Mutter, die wie ihr königlicher Gemahl erst vor einer Sonne an einer mysteriösen Krankheit verschieden war; kein leichtes Brot für Atuk, doch mit seinem Stab an Getreuen hatte er sich bald an den Platz des Regenten gewöhnt.

Der Hofzauberer Tresu war bekannt für seine Treue, er hatte lediglich danach gestrebt, den König, Seine Majestät zu erheitern, somit war des Königs Milde durchaus gerechtfertigt. Auch widersprach seine ansonsten qualitativ hochwertige Arbeit dem vermeintlichen Missgeschick dahingehend, dass die Absicht zur Erheiterung Seiner Majestät und der anwesenden Bediensteten definitiv zu durchschauen und zu erkennen war.

Wenn nichts schiefginge, würde der Elf Fürst Serktat in den frühen Abendstunden des sechsten Tages von jetzt an eintreffen. Ein elfischer Botenjunge hatte heute den Hof erreicht, welcher vor fast sechs Tagen bereits losgeritten war, um neben den Grußworten in Gepflogenheit zu und an seine königliche Regentschaft Atuk auch über Fürst Serktats Befinden kundzutun.

„Sehr schön, gut gemacht!“, hatte König Atuk ihn, den Boten – welcher übrigens den Namen Rosti trug –, geheißen, nachdem er erfuhr, was diesem zu verkünden aufgetan war. Er, der König, hatte diesem einen Sold für sich und eine versiegelte Grußrolle für den Fürsten Serktat überreichen lassen, die der elfische Kurier, welcher nahezu umgehend wieder losgeritten war, ihm vermutlich in drei Tagen überbringen würde. Wenn alles gut liefe und sich Rosti und die Eskorte um Fürst Serktat wie geplant auf der Mitte des Reiseweges träfen, hätte Serktat bereits sehr früh erste Verheißungen von den Sehern und Seherinnen König Atuks.

Die tatsächlich zum Teil sehr vagen Äußerungen der höfischen Bediensteten – der Visionäre und Wahrsagerinnen – ließen die Hoheit an deren Talenten zweifeln oder vermuten, dass sie zu wenig Übung in ihrem Fach besaßen, wobei eines jedoch feststand, nämlich, dass sie in einer Angelegenheit allesamt übereinkamen: Sollten sich einerseits die einen Zeichen bewahrheiten, andere wiederum sich nicht erfüllen, dann würde es erneut zu einem Krieg und einer Katastrophe kommen, wie damals, bevor es dem Urahnen Seiner Majestät gelang, dem mythischen Drachenwesen das eigens dafür hergestellte Schwert ins Herz zu stoßen. Dieser Recke, der der erste Vertreter des neuen königlichen Geschlechtes war, trug übrigens den Namen Onra – dies alles ist bereits sehr lange her. Leider war es aktuell offensichtlich keinem der zuständigen Seher gelungen, gewichtige Details, Umstände zu nennen oder zu bezeichnen, auch über bereits Eingetroffenes waren sie sich bis zuletzt uneins.

Wie bereits angeführt, trotz seines recht jungen Alters von gerade einmal neunzehn Sonnen, war Seine Majestät Atuk seit einer knappen Sonne verheiratet. Momentan war es bereits Abend, er und seine Gemahlin, Ihre königliche Majestät Roya, befanden sich in dem von außen bewachten Schlafgemach – und beide hatten sich am Rande des Lagerplatzes niedergelassen. Die königliche Ehefrau streichelte sanft mit ihrer rechten Hand das kurze, schwarze Haar ihres Gemahls, Seiner Majestät Atuk, strich ihm zärtlich über das Antlitz. Die Königin Roya war knappe drei Sonnen jünger als Atuk und sie hatten erst zu Beginn dieser Sonne, also im Frühling, geheiratet, obgleich sie sich schon seit ihrer Kindheit kannten.

Die frischgebackene Königin stammte aus einer Adelsfamilie eines benachbarten Fürstentums, welches dem König Atuk als Untertan, und hatte den König voller Liebe geheiratet. Zu dieser Zeit waren Hochzeiten zu solch jungen Maiden gewöhnlich, doch schämte sich Atuk in Anbetracht Royas jugendlicher, nahezu noch kindlicher Unbefangenheit. Der König fühlte seiner Gemahlin wohlige Nähe und roch Royas angenehmen Duft, genoss ihre Liebkosungen. Der königliche Herrscher wusste, dass sie ihm Mut machen wollte, obwohl die Königin die Ausmaße und Tragweite der Umstände, so wie Atuk, noch nicht absehen konnte. Unabhängig davon war sie auch selbst nicht an der Regentschaft beteiligt – und das, obwohl Roya bei Weitem sehr klug war. Ja, Herrscher Atuk vertraute ohne Vorbehalte auf den Rat seiner Frau und ihre einsichtigen Zusprachen, und unterweil seine Königin sich durch ihr glattes, langes, blondes Haar strich, um sich dann zu formulieren, lauschte Atuk gebannt: „Mein geliebter Gemahl!“

Atuk unterdrückte ein Grinsen, denn obwohl er es nicht mochte, dass die Königin ihn, Seine Majestät, – gleichsam in Liebe – so nannte, konnte dieser sich einer leichten Erheiterung dadurch nicht entziehen.

„Mein Gebieter! Mein altehrwürdiger Vater sprach stets zu mir: ‚Roya, gerade dann, wenn du dich in Sicherheit wähnst, solltest du dich stets des doppelten Bodens vergewissern können.‘“ Sie stockte einen Moment lang, holte Luft. „Was ich damit meine, ist: In einer Zeit, in der es Vorboten einer enormen Zerstörung hat wie jener, von der alle sprechen, dann darf sogar mein weiser und gütiger König nicht einmal mir vertrauen. Zur Not solltet Ihr, Atuk, sogar das Band zu mir zertrennen – auch, da ich euch niemals zu schaden gedenke!“

Lächelnd ergriff König Atuk jetzt die schmalen Hände seiner Ehefrau, drehte sich zur ihr um und sprach bedacht: „Meine Königin. Gerade da wir beide sehr jung sind, sollten wir begreifen, dass die einzige Kraft, welche wirklich zu lehren in der Lage, die Liebe ist. Sie ist die einzige Kraft, welche jede Pest und jeden Turm zu überwinden befähigt. So sei meiner wertvollen Frau eines gewiss: Bevor Ihr von mir Verrat erwarten könntet, sei ich schon von dannen gegangen.“

Der wiedergeborene Elfenmagier Luvi

Luvi Odains erste Erinnerung an und in Loto waren Schmerzen und Kälte. Der Elf, der vor seinem Tod zur Zeit des „Großen Krieges“ als Magister am Hofe des Königs von Mino – Nekket von Troff I. – sein Tagewerk verrichtete, hatte die letzten gut neunhundert Sonnen mit seiner Familie in den Gefilden der auserwählten Gefallenen verbracht – frei von Kummer und jeglichem Leide. In dieser jenseitigen Welt meinten er, seine Frau und seine beiden Töchter – die schon lange vor ihm dort angekommen waren –, dass sie niemals mehr gezwungen seien wiederzukehren, sich der erbitterten Realität Lotos stellen müssten – geschweige denn, dass sie gewusst hätten, dass dieses etwas sei, zu dem er oder seine Frau oder die gemeinsamen Töchter überhaupt in der Lage seien: zurückzukehren in das Reich der Lebendigen und Lebenden, nachdem ihnen – ihm, Luvi Odain – alle Qual und Kummer genommen waren.

Er war gerade mit seiner Familie in den Gefilden beim Sonntagnachmittagspicknick, da traf ihn etwas wie ein sehr harter Schlag und er erwachte vor Kälte zitternd unter diesem Baum: Wie aus heiterem Himmel und aus tiefem Schlaf in Mino, dem Land der Elfen, erwachend, wusste der Magiemeister, dass er bereits vor langer Zeit gestorben war, verstand, dass er in einer anderen Zeit angekommen und die geliebten Seinen, drüben auf der anderen Seite, in den Gefilden der auserwählt Gefallenen, gerade schliefen. Der nackte Luvi fror entsetzlich, lautlos rieselte etwas Schnee von einem Ast des Baumes über ihn und auf sein langes, blondes und doch schütteres Haar.

Bar jeder Kleidung, ohne Auskommen oder sonstige weitere Hilfestellung zu Bewusstsein kommend, vernahm der Elf während des Aufwachens noch die Stimme seines zu früheren Lebzeiten alten Gefährten und Vertrauten, eines Engels namens Tahmoth. Mit einem einzigen Wort in der Sprache der Engel hatte ihm Tahmoth das Wissen über Bevorstehendes, welches zu erwarten, und was zu tun war übertragen. Wieder einmal bedrohte der „Dunkle Eine“ diese Welt, und: Wieder einmal wurde den Bewohnern und Bewohnerinnen Lotos eine schwere Unterrichtsstunde erteilt, die abermals auf den Umtrieben der Gottheit, welche früher als Mata bekannt war, fußte.

Der Magiemagister rekapitulierte sein Wissen aus der Zeit von vor knappen tausend Sonnen, überprüfte seine Fähigkeiten anhand zweier, dreier leichter Zauber – alles war noch so wie damals, bevor er verschied.

Hier und jetzt im Winter, hier in Mino, war es eisig, Schnee lag überall, so weit das Auge reichte. Da das zu verhindernde Treffen des Fürsten Serktat mit König Atuk erst im kommenden Herbst stattfinden würde, hätte Luvi also noch eine knappe Sonne hierfür Zeit. Selbst wenn Seiner Majestät Atuk nicht direkt, weder körperlich noch geistig, durch Fürst Serktat Gefahr drohte, war das Dilemma klar auf der Hand, denn um die Umtriebe Oraias zu unterbinden oder im Wesentlichen zu schwächen, durfte dieses Treffen vermeintlich niemals stattfinden, da Fürst Serktat danach strebte – auch wenn er sich dessen erst in den kommenden Tagen bewusst werden würde, weil es sich um in der Zukunft Stattfindendes handelte –, gleich, auf welch niederträchtige Art und Weise, Atuk zu schaden, dass der Weg für ein neues Desaster unter Oraia bereitet würde. Der Zauberer Luvi wusste, dass er also einen Weg finden musste, besagte Versammlung entweder zu verhindern oder so weit zu stören, dass der dunklen Kräfte Beweggründe zu keiner Übereinkunft kämen: Er musste also dem Schicksal ein Schnippchen schlagen, um die zu erwartenden Umstände in jedem Fall zu entkräften, sei es zuvor oder im allerschlimmsten Falle danach.

Luvi kannte den Urahnen Seiner Majestät Atuk, Onra, jenen tapferen Recken, der die Kraft und den Mut hatte, dem mythischen Drachenwesen, welches zum „Großen Kriege“ von Mata besessen war, das eigens dafür geschmiedete magische Schwert in sein schwarzes Herz zu stoßen. Ohne die Hilfe des sagenhaften Kristalles Loretium – jenes wunderbaren Reliktes, welches in die Klinge eingearbeitet worden war – wäre diese Tat übrigens niemals möglich gewesen.

Luvi klammerte seine Arme um seine nackten Schultern und schaute sich verbittert um – die Erinnerungen an seine zurückgelassene Familie, die für die Welt tot war, schmerzten ihn. Der Magiemeister fror erbärmlich, er hatte Hunger, er war nackt, und obwohl es seiner Zunft eigentlich so entspräche, verzichtete er darauf, sich mit einem entsprechenden Zauber die angebrachte Wärme zu verschaffen. Die Kälte schärfte seine Sinne und das war es, was er jetzt brauchte, denn: Mit seinen spitzen Ohren hörte er, dass sich in der Ferne vermutlich eine Kutsche oder aber mehrere Reiter näherten, und hastig sah er sich, hinblickend auf sein kommendes Vorhaben, nach einem notdürftigen Versteck um und wurde mit einem schneebedeckten Gebüsch fündig.

Noch immer rasten seine Gedanken, verbunden mit der Zeit vor neun Jahrhunderten, welche längst vorbei war, mehrfach sog er die kalte Winterluft ein und stieß sie anschließend hart aus; auch hier an diesem Ort hatten zur Zeit des „Großen Krieges“ blutige Gemetzel getobt, doch der Elfenmann musste sich nun auf das konzentrieren, was ihn unmittelbar erwartete: Wie es sich zeigen sollte, waren die Geräusche, welche Luvi vernahm, verursacht von vier Kutschenrädern und dem Traben ebenso vieler Pferde, die er allesamt bereits in ungefähr dreihundert Schritten Entfernung auszumachen meinen konnte. Das Gebüsch war nicht mehr weit von ihm entfernt und Luvi hastete dahinter, aus dem Blickfeld des Kutschers und seiner Gäste. Der Magier fühlte sich zum Kämpfen zu schwach – außerdem hatte er keine Waffe – und auch, da es ihm wie gestern erschien, dass er sich auf dem Schlachtfeld und auf den Schlachtfeldern tummelte, verließ er sich lieber auf die Hilfe Tahmoths. Während er nun verfroren hinter dem Gebüsch kauerte, aufmerksam die Sekunden rückwärts zählte, schätzte er ab, wann die Kutsche mit den vier Rössern an ihm vorbeifahren würde, und begann altvertraute Formeln zu rezitieren. Wie nun Tahmoth erschien und mit seinem Kommen die Zeit stillstand und der wiedergekehrte Magiemeister seinen Engel der Kriegsgottheit Hamor – ein Geschöpf der zweiten Hierarchie und zweier sehr verschiedener Elemente, nämlich Luft und Erde, mit langem, tiefschwarzem Haar und gewaltigen, scharlachroten Flügeln – nach so langer Zeit wieder erblickte, da hüpfte Luvis Herz vor Freude auf und ab.

„Nahezu vergessen und doch beinahe die schönste aller Freuden im tristen Dasein in der Welt der Materie“, grüßte der noch immer nackte seinen Geistgefährten – und das nicht zu früh, die Kutsche hatte gerade die Höhe seines Gebüsches passiert.

„Ganz schön frühzeitig, dass ihr meine Hilfe benötigt, mein Freund!“, donnerte Tahmoths Bass zu ihm. In seinem Antlitz war der Anflug eines Lächelns zu erkennen. Der Abgesandte Hamors war ein echter Hüne, sehr muskulös, und seine Schwingen waren ausgebreitet dreißig Schritte weit im Gesamten.

Der Elfenmagier nickte wie zur Bestätigung, deutete zitternd auf seinen baren Körper, während Tahmoth sich nun verbeugte und seine Flügel ausbreitete: „Ich habe die Zeit mit meinem Kommen für die Spanne von neunundsechzig Atemzügen angehalten. Mein Freund, sputet Euch!“

Der Engel trug einen Stirnreif aus Silber und besaß ein kunstvoll verziertes Breitschwert. Augenblicklich reckte er seinen Körper, dann flog er von dannen gen Himmel. Luvi schaute noch, wie der Gefährte verschwand, dann drehte er sich flugs um und betrachtete die Kutsche mit dem Kutscher – einem Elfenmann – und den vier grauen Pferden. Schneestaub war um die vier Fuß großen Räder der Kutsche erstarrt und die Rösser hatten mitten in der Bewegung innegehalten.

Weitere siebenundsechzig Atemzüge, dachte er, sich daran zu schaffen machend, die Kutschentür zu öffnen. Ich muss mich entschieden sputen. Luvi brauchte Kleidung zum Anziehen und sollte so weit mit dem Nötigen versorgt sein, käme die Zeit wieder in Gange.

In der Kutsche befanden sich zwei Menschen, ein fetter Mann und eine etwas verlebt wirkende, dennoch attraktive Frau – und ihrer beider Gepäck. Das Gewand des Kaufmannes würde mit Sicherheit passen und sicherlich würde der Zauberer auch einen ordentlichen Barbestand finden. Vermutlich Kaufleute, sann Luvi. Es hätte sie anderweitig schlimmer treffen können. Ich werde in jedem Fall ihre Leben verschonen …

Fast riss er hastig dem Menschenmann die Bekleidung vom Leibe – eine rote Hose aus Leder und ein dickes, weißes Hemd aus gutem Stoff –, wobei Luvi darauf achtete, nicht zu viele Atemzüge zu vergeuden, und weiter durchsuchte er die Taschen des Wamses des Dicken nach Silberlingen: Als er fündig wurde, pfiff er leise durch die Zähne: „Ungefähr 1500 Silberlinge Reisebörse, du musst mir echt ein betuchter Kaufmann sein!“

Fünfundvierzig noch verbleibende Atemzüge – und Luvi konnte dem Drang nicht widerstehen, er küsste die brünette Menschenfrau einfach auf die Lippen. Dann verließ er fluchtartig die Kutsche, wobei er die Tür hinter sich schloss. Schließlich brauchte der Elf einen kleinen Vorsprung und irgendwie musste er seine Flucht sichern – auch wenn seine Opfer von alledem nichts mitbekommen hatten, Magie war ihnen mit Sicherheit ein Begriff. Trotz des bestehenden Zeitdruckes blickte er sich so lange nachdenklich um, bis ihm eine Idee kam: Tatsächlich, der elfische Kutscher führte eine kleine Klinge mit sich, welche Luvi geschwind an sich nahm, und er durchtrennte die Verbindungen der Pferde zu dem Gefährt an den schwachen Stellen – physische Gewalt anzuwenden, erschien dem Magier sinnvoller als ein Zauber oder magischer Spruch, mit welchem er die Tiere möglicherweise hätte verletzen können.

Noch fünfzehn Atemzüge, pochte es in seinem Geist. Für einen Unsichtbarkeitszauber bin ich – gerade nach dem Herbeirufen Tahmoths – viel zu geschwächt. Das müsste ausreichen, damit sie mich nicht verfolgen können.

Mit dem Ausatmen des letzten Atemzuges war Luvi gerade dreihundert Schritte von der Kutsche und ihren Passagieren entfernt und er merkte noch, wie sich ein scharfer Blick in seinen Rücken zu bohren schien, doch schon hörte er nicht allein eine lautes Krachen und Geschrei, sondern auch das laute Wiehern von Pferden, die sich ihren Weg in die Freiheit brachen.

Leise kichernd, die energischen Fluchlaute des Kutschers registrierend, mit einem vorsichtigen, letztmaligen Blick hinter sich, verschwand der gewitzte Strauchdieb die Böschung hinab.

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Дата выхода на Литрес:
22 декабря 2023
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9783960082002
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