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Die Befähigungen der beiden Brüder

Pyron, Azan und Auroria waren noch am Strand; sie hatten begriffen, dass sie sich einander vertrauen konnten, und stockend und langsam beratschlagten sie sich: Noch immer waren sie bei der Statue Hyrus’, ihr zugegen.

„Hast du Schmerzen, Bruder??“, frug jetzt der Drachenmann Pyron Azan. Dieser schien in tiefe Verzweiflung versunken und verneinte somit Pyrons Frage lediglich mit einem Kopfschütteln.

„Wir sollten langsam zu unserem Heim aufbrechen und uns dort weiter besprechen. Bald ist es Mittagsstunde, wir sollten möglichst unauffällig einkehren.“ Pyrons Worte machten Sinn, es war bestimmt nicht gut, würden die anderen Dorfbewohner sie so sehen.

Auroria, die die letzten Minuten geschwiegen hatte, eröffnete ihrerseits: „Ich vermag den Sinn deiner Veränderung erfassen, Pyron – du bist jetzt viel stärker –, doch Azan, weißt du, was es damit auf sich hat, nun, da du ein Geblendeter bist?“

Azans Stimme war leise, beinahe nicht hörbar und auch kaum zu verstehen: „Ich bin mir nicht sicher, doch … ich vermute, dass ich jetzt ein seherisches Talent besitze. Womöglich ist das Sammelsurium an Bildern, das jetzt fortwährend durch meinen Kopf schießt, ein Hinweis, ein Wegweiser auf Kommendes.“

„Vielleicht?“, formulierte sich Auroria fragend, dann schwieg sie wieder. Sie schritt langsam um die raue Versteinerung Hyrus’, strich mit ihrer flachen, rechten Hand darüber und der Blinde setzte nach: „Ich habe entsetzliche Visionen – von Krieg, Tod und Zerstörung –, doch noch macht das alles keinen Sinn.“ Azan beendete seine Ausführung.

Mit einem schrillen Pfiff kündigte sich aus der Ferne abermals ihr Freund Pipus, der Spatz, an. Die drei wandten ihre Köpfe nach dem Geräusch und des Drachenartigen scharfe Augen machten sofort den kleinen Punkt am Horizont aus; und schon kurze Zeit darauf landete der Bote Pipus.

„Eure Verwandlungen sind nun so weit durch. Die Gottheiten haben mir aufgetan, euch mitzuteilen, dass ihr zur rechten Zeit wissen werdet, was zu tun ansteht.“ Ohne weitere Worte oder sie noch eines Blickes würdigend flog der Spatz fort.

Geraume Zeit später erreichten sie das Anwesen der Brüder; der Weg mit dem geblendeten Azan war mühsam und beschwerlich, es war bereits Mittagszeit, wie sie ankamen. Pyron beschaffte Auroria Weiteres zum Anziehen – sie war bis dato nur in ihr Gewand aus Tang und in Pyrons Mantel gekleidet –, dann kümmerte er sich noch mal um Azans Binde.

Nachdem sie versorgt waren, saßen sie zusammen, aßen und tranken und der blinde Azan eröffnete die Gesprächsrunde: „Wie ich das sehe, sind meine Visionen im Zusammenhang mit einer Verschwörung gegen den Rat der ‚Großen Sieben‘ stehend – wobei die Göttin der Schönheit, Oraia, versucht ihn zu zerstören. Ich erkenne eine Intrige am Hofe des Königs Atuk, durch die Königin Roya mit dem Tode bedroht.“ Azan holte kurz tief Luft. „Unklar und verschwommen erblicke ich Geschehnisse am Hofe der Meerkönigin Nogard. Doch was viel wichtiger ist, dass es in den Bergen einen Mann gibt – sein Name ist Lamag –, welcher uns bei der Suche nach dem Weg, Hyrus zu erlösen und eine weitere Katastrophe wie den ‚Großen Krieg‘ zu verhindern, unabdingbar ist. Dieser Mann, übrigens ein Unsterblicher, werte Auroria, ist Euer Vater, er wird in den ‚Großen Bergen‘, an der Grenze zum Ödland Masta, in einer Höhle gefangen gehalten.“

Azan schwieg einen Moment, da er merkte, dass er die Meerfrau an einem empfindsamen Punkt getroffen hatte. Hatte sie nichts von ihrer Herkunft gewusst? Wie sich jedoch Auroria nicht zu dem eben Gehörten äußerte, fuhr der blinde Seher mit seinen Ausführungen fort: „Eine Elfenartige spielt auch eine wichtige Rolle, vielleicht sogar die bedeutsamste! Sie trägt einen Splitter Loretium mit sich, verborgen in dem kleinen Finger ihrer linken Hand – unabdingbar, um Hyrus zu erlösen! Ich meine zu wissen, dass sie sich in der Stadt Masir befindet, jedoch weiß ich nicht, wie wir sie dort finden könnten. Alle Versuche, ihren genaueren Aufenthaltsort ausfindig zu machen, werden durch eine Art Schutzzauber verhindert. Wenn wir nach Masir reisen wollen, werden wir mit Pferden zwei Tage hierzu benötigen. Auch kenne ich noch nicht ihren Namen.“

Abermals schwieg der Seher, er erwartete eine Reaktion und als die Meerfrau das Wort ergriff, lächelte Azan milde: „Ich habe tatsächlich nichts von meinem Vater gewusst“, sagte Auroria. „Doch sprecht, teurer Seher, was wisst Ihr von meiner Mutter?“

Zwar hatte Azan mit dieser Frage gerechnet, dennoch durchlief ein Zucken sein Lächeln und er schwieg. Obwohl Pyrons Haut voller harter Schuppen war und sein Kopf dem eines Krokodiles glich, legte sich seine Stirn in Falten. Azan strich sich durch sein Haar, überprüfte den Sitz seiner Binde, suchte unterdessen die Worte, sich Auroria zu erklären. Für einen Moment lang war die absolute Stille drückend.

„Es wird Abend, bald ist es Nacht, dann wird’s kühl“, durchbrach Pyron das Schweigen, machte sich daran, ein Feuer im Ofen zu entzünden. Und auch hier, in der ehemaligen gemeinsamen Wohnung der Brüder, war der Schmerz der Erfahrung am Strande noch zu verspüren, der Geruch ihres geliebten Hyrus schien hier überall anzuhaften, was ganz besonders für Auroria in diesem Moment schlimm war – Pein wallte in ihrem Inneren.

„Wenn Ihr Euch nicht dazu äußern wollt, Seher Azan, so lasst dies. Manche Dinge, dies weiß auch ich, obwohl der Hellsicht unbedarft, brauchen ihren besonderen Raum und die ihnen eigene Zeit. Habt vielen Dank für alles, das Ihr uns kundgetan.“ Auroria strich dem Blinden sacht mit ihren Händen durch dessen Haar, woraufhin dieser zuerst wieder lächelte, dann nickte.

„So sei es, holde Maiden aus dem Meere stammend.“

„Masir befindet sich also zwei Tagesreisen zu Pferde von hier entfernt“, wurde der ruhige Moment von dem Drachenmann unterbrochen. „Wir tragen dafür Sorge, dass für Euer Auskommen in der Zeit unserer Unternehmung gesorgt ist, Meerfrau. Wir, meine Brüder und ich, haben einen ersparten Bestand an Silberlingen; er wird sowohl für Euch als auch für uns ausreichen, somit wird für Euch während unseres Fortseins gesorgt sein, Auroria.“

Die Meerfrau stimmte Pyrons Vorschlag mit einem Kopfnicken zu, sie erhob sich und begann sich in dem Heim der Brüder umzusehen.

„Wir werden noch heute Abend aufbrechen. Wenn es eine Intrige zu Hofe des Königs gibt und wir alle mit dem Schlimmsten rechnen müssen – entsetzlichen Ereignissen –, dann dürfen wir bestimmt keine Zeit verlieren. Schon alleine Hyrus’ wegen nicht.“

Einstimmig wurde die kleine Ansprache des Verwandelten von Azan und Auroria angenommen.

Mit dem langsam aufziehenden Nebel des hereinbrechenden Abends verließen Pyron und Azan das gemeinsame Heim. Der Drachenartige war zu diesem Zeitpunkt mit einem langen, braun-grauen Mantel mit Kapuze bekleidet, darauf bedacht, weiterhin unerkannt zu bleiben. Pyron führte den Geblendeten an der Hand, half ihm mit seinem Reisegut und beim Aufsatteln. Es war geplant, dass der Älteste der Brüder auf dem braunen Hengst voranritt, während sich Azan fest an seiner grauen Stute hielt, die für gewöhnlich dem männlichen Pferd einfach folgte. Mit einem letzten wehmütigen Blick zurück machten sich die beiden auf den beschwerlichen Weg nach Masir.

Von der Nacht zum Tag, von der Dunkelheit ins Licht,

durch die Finsternis zur Veränderung.

Licht und Finsternis vertreten die gleiche Botschaft, doch

sprechen sie verschiedene Sprachen.

Die Meerhexe Nogard

Kein Reichtum und keine Gunst können in der Lage sein, einst verloren gegangene Liebe zu ersetzen. Auroria, welche nicht weiß, dass ich ihre Mutter bin, leidet sicherlich unter dem Bann, den ich ihr auferlegt habe, doch soll jener „Fluch“ im Kleinen als auch im Großen verhindern, dass sich eine Katastrophe wie jene von vor neun Jahrhunderten wiederholt. Ich selbst war zu jener Zeit zugegen, verlor alles, das mir lieb und kostbar war, meinen Mann eben, Lamag, das Buch der Gottheiten – so wie er heute genannt wird. Der Zauber um Auroria und Hyrus ist so gewoben, dass es beinahe nicht möglich ist, ihn an seiner Erfüllung zu hindern. Auch wenn heutzutage die Geschicke der Götter und Göttinnen zum großen Teil nicht mehr mit dem meinen Schicksal verwoben sind, so war mir doch seit jeher nichts wichtiger, als meinen einst für immer von mir getrennten Lamag wieder in die Arme schließen zu können.

Zuerst waren wir gewöhnliche Sterbliche, die beide später Unsterbliche und unsterblich ineinander verliebt zur Strafe von dem Rat der „Großen Sieben“ voneinander getrennt wurden – ohne Aussicht auf Begnadigung. Und das unmerklich kleine Band, welches zwischen mir und den Göttern und Göttinnen noch herrscht, dafür zu benutzen, mich wieder mit ihm zu verbinden, ihn aus seiner Verbannung befreien zu können, ist mir recht und billig!

Ich sehe, dass jene Kraft, die einst als Mata bekannt für Tod und Zerstörung sorgte, die heutige Oraia, wieder nach Macht und Erfüllung strebt. Und obwohl dieses etwas ist, das mich weitaus weniger interessiert, weiß ich doch diesen Umstand zu nutzen, da die einzigartigen und bald fürchterlichen Umtriebe dieser Zeit doch bestens dafür geeignet sind, mich abermals mit meinem geliebten Lamag zu vereinen.

Alleine von dieser Motivation beseelt, meine ich aber eines zur Gewissheit zu verstehen: Ziehen die Kampfeswut und die von der Göttin der Schönheit beabsichtigte totale Vernichtung auf, haben wir alle verloren. Jedes einzelne Kettenglied in diesem verwobenen Geflechte der Geschicke und Schicksale ist wichtiger, als man glauben könnte. Solange meine Absicht dem Rat der Gottheiten nicht widerstrebt, wird sie, falls sie ihm zutragen könnte, bestimmt von ihm begünstigt und darauf baue ich.

Die Brüder werden hervorragende Werkzeuge zur Erfüllung dieser Absicht sein, und berücksichtige ich das, was die „Großen Sieben“ ihnen als Bürde auferlegt haben, werden sie mit Sicherheit nicht nur hervorragend zur Befreiung meines geliebten Lamags beitragen.

Die flüchtige Anna von Seron

Mit meinen achtzig Sonnen bin ich eine noch recht junge Elfenartige; dass ich eine Elfenartige bin und keine Elfe, bedeutet, dass ich das Kind eines elfischen Vaters und einer menschlichen Mutter bin. Ich bin zwar keine Unsterbliche, dennoch werde ich sehr alt, und mit meinem jetzigen Alter sehe ich aus wie eine Menschenfrau in ihrem besten Alter.

Vor genau fünfzehn Sonnen wurde mein Vater in Mino von höfischen Verrätern gemordet und man versuchte mir die Schuld hierfür in die Schuhe zu schieben – und ich, Anna von Seron, suche seitdem Rache an den Mördern zu finden. Possis von Seron zog mich allein groß, da meine Mutter bei einem Unglück verstarb, als ich gerade fünfzehn Sonnen alt war. Es war einige Zeit vor meiner Flucht und dem anschließenden Untertauchen, dass mein Vater von einem höfischen Magier – übrigen war schon damals König Nekket III. Regent über Mino – beauftragt ward, einen seltenen und ungemein kostbaren Kristall ausfindig zu machen: Loretium. Dieses Loretium sei so kostbar, hieß es, dass ein Kristallsplitter in der Größe des Gliedes eines kleinen Fingers eines Kindes ausreiche, um ein ganzes Königreich zu erwerben. Possis, als der erfahrene Händler, der er war, sollte zwar nur einen winzigen Kristallsplitter beschaffen, doch dieser hätte ausgereicht, dass wir – mein Vater und ich – für alle Zeiten ausgesorgt hätten. Mit seinen guten Verbindungen und Beziehungen schaffte Possis genau das, was er vielleicht selbst nicht für möglich gehalten hatte: Innerhalb des Zeitraumes von nur sechs Monden erwarb er über viele Hindernisse eben tatsächlich einen winzigen Splitter Loretium, und wenn ich seinen Erzählungen glauben durfte, dann hatte er ihn direkt von dem mythischen Drachenwesen bekommen, welches einst, vor neunhundert Sonnen, Medium der Gottheit Mata war. Ich meine zu wissen, dass der Lindwurm damals durch die Macht des Loretiums verwandelt wurde und heutzutage je zur Hälfte ein Drachen- und Löwenwesen sei – Mata wurde durch den Kristall zu Oraia und seit dieser Zeit herrscht Frieden. Wie mein Vater, Possis, jedoch genau an diesen für seine winzige Größe ungemein kostbaren Kristall gekommen ist, weiß ich nicht, aber: Unser Traum schien in Erfüllung zu gehen und dass wir für alle Zeit ausgesorgt hätten, dies konnte ich seinen Worten entnehmen. Der königliche, elfische Hofmagier Tesson war, was den Handel mit meinem Vater anging, ebenso unbescholten, wurde er doch auch Opfer dieser Intrige.

Für den Wintermorgen, an welchem die vereinbarte Übergabe stattfinden sollte, hatte Tesson noch Begleiter in Erwartung angekündigt, diese sollten ihn und das erworbene Loretium auf dem Heimweg zum Hofe Nekkets III. beschützen – auch wenn in diesem Teil des Landes Räuber eher spärlich gesät waren, niemand von uns schöpfte Verdacht. Während der Hofmagier bereits wie vereinbart im Morgengrauen eintraf und auch den vereinbarten Betrag dabeihatte, ließen seine Begleiter und Begleiterinnen noch auf sich warten.

„Sie wollten noch ein wenig Rast machen, während ich schon so sehr darauf brannte, dass ich mir keinen weiteren Aufschub gönnen konnte und mochte – ich bin also vorzeitig aufgebrochen“, hatte sich Tesson erklärt.

Mein Vater und der königliche Hofmagier vollzogen den Handel und kurze Zeit darauf hörten wir schon das Traben sich nähernder Pferde. Wir vermuteten, dass es sich dabei um die besagte Nachhut handelte. Doch statt wie vereinbart und wie gewöhnlich sich mit einem Klopfen an der Pforte anzukündigen, verstummten plötzlich die Geräusche der sich herannähernden Begleiter Tessons. Dieser schaute uns mit fragendem Blick an. Mein Vater schien zu merken, dass etwas nicht stimmte, und deutete mir schweigend den Weg zur geheimen Kammer in dem verborgenen, hinteren Teil des Hauses. Kurz darauf war ich für keinen mehr sichtbar in der geheimen Kammer verschwunden, aber in der Lage, das Geschehen durch ein kleines Guckloch weiter zu verfolgen. Alle Geräusche der ausstehenden Nachhut waren verschwunden, bis sich Kommendes offenbarte, und das, was geschah, war weitaus entsetzlicher als alles, was ich bisher kannte oder mir bis dato vorzustellen vermochte. Es war klar ersichtlich, dass unter den gewaltsam in unser Heim eindringenden Männern und Frauen – einer Truppe, bestehend aus drei Männern und einer Frau – ein weiterer Elf der Anführer war. Der selbst für einen Elfen sehr hochgewachsene Mann mit dem kurzen, grauen Haar wurde von zwei bulligen, bewaffneten Männern – beide mit langem, brünettem Haar –, einer Magierin mit langem, blondem Haar und einem Magier mit langem, rotem Haar begleitet – deren Befähigung zur Magie war offensichtlich. Die Bewaffneten hatten zusätzlich zu ihren mitgeführten Breitschwertern noch Rüstungen aus Leder und Metall an, auch magische Amulette waren zu sichten. Es war unmissverständlich, warum die fünf ehemaligen Begleiter Tessons nicht den gewöhnlichen Weg gewählt hatten; der grauhaarige Elf forderte ohne Umschweife mit harschem Ton die Herausgabe des Splitters Loretium.

Durch den offenkundigen Verrat erzürnt, erhob sich der Zauberer Tesson und eine schwarze Aura – ähnlich schwarzem Licht – umgab ihn mit einem Mal. Er fing an den hochgewachsenen Mann zu beschimpfen, doch dieser ließ sich dadurch nicht ansatzweise beeindrucken, wischte die Worte des königlichen Magiers mit einer Handbewegung beiseite: „Wie könnt Ihr es wagen?! Ihr seid ein Gefolgsmann König Nekkets?!“, protestierte Letzterer noch, aber vergebens: Durch die kleine Linse der geheimen Kammer meines Versteckes sah ich, wie der mir unbekannte Mann hämisch grinste. Die beiden Kriegerelfen hatten schon ihre Schwerter gezückt, und da unsere Magd nicht zugegen war und auch nicht mehr erschien, vermutete ich, dass sie von den Räubern bereits getötet wurde.

Kurz sann ich darüber nach, was ich zum Schutze meines Vaters und Tessons tun könne, doch ich war lediglich eine unbedarfte, junge Frau. Noch während der höfische Magier in das Streitgespräch verwickelt war, bereitete die elfische Hexe anscheinend einen Zauber vor, da es in ihrer rechten Hand glühte. Tesson war nicht untätig, er war plötzlich von einer Art Schutzschild umgeben, aber er war leider viel zu langsam, um dem Feuerball der blonden Magierin auszuweichen – vielleicht war sein Schutzzauber auch zu schwach. Durch das Guckloch sah ich noch, wie es in den Augen meines Vaters zuckte, so als ob er sich mit einem letzten Blick vergewissern wollte, ob es mir gut ginge, und ich betete innerlich, nicht hinter der Fassade entdeckt zu werden. Ich musste einen lauten Aufschrei unterdrücken, als ich hilflos mitbekam, wie mein Vater trotz dessen, dass er den Dieben und Diebinnen den Kristall aus freien Stücken anbot, von einem der muskelbepackten Krieger attackiert wurde. Possis schaffte es zwar, dem Schwertstreich dieses braunhaarigen Elfen auszuweichen, und hieb ihm den spitzen Brieföffner, der griffbereit auf der vorbereiteten Tafel gelegen, in den Hals – doch er sollte seinen Triumph nicht mehr auskosten können, schon streckte ihn das Schwert seines Kollegen nieder. Auch brannte bereits die Wandvertäfelung durch die brennende Leiche des mittlerweile toten Tesson.

Mit tränenheißem Blick – ich hatte gerade meinen Vater verloren, mit angesehen, wie er gemordet wurde – verfolgte ich, dass der grauhaarige Mann, der mir immer bekannter vorkam, die anderen Verbliebenen heischte, alles noch mal genau zu durchsuchen, zu durchkämmen – und er offenbar von den Flammen unbeeindruckt in aller Ruhe den Splitter Loretium aus der Hand meines toten Vaters nahm und den winzigen Kristallsplitter sorgfältig verstaute.

Vor Tränen, Rauch und Schmerzen war ich kaum in der Lage zu atmen, ich hoffte inbrünstig, nicht Opfer der Flammen zu werden – ich war nun vollständig auf mich gestellt. Ich hatte Glück im Unglück, denn mit dem scharfen Ausruf: „Lasst uns von dannen ziehen!“, und einer weiteren Aufforderung: „Bereitet alles dem Feuer zum Opfer!“, machten sich die verbliebenen Schurken daran, zu verschwinden. Ich schaffte es gerade noch rechtzeitig, Notwendigstes im hinteren Teil meines Versteckes zu verstauen, mir leise einen Mantel überzuwerfen, darauf bedacht, sollten die vier wiederkehren, mich nicht entdecken zu lassen, da fraßen sich die Flammen schon zu mir durch.

Ich beschloss, mein Leben von da an als Bettelmädchen zu fristen, darauf achtend, nicht erkannt oder entdeckt zu werden, während ich gleichzeitig auf Rache sann. Der Mann, der meinen Vater mordete, dies meine ich zur Gewissheit zu wissen, war jener Schuft, der kurze Zeit darauf zu einem Fürsten in Mino ernannt wurde: Serktat.

Auf dem Weg nach Masir

Die Brüder ritten, lediglich von kürzeren Rasten unterbrochen, den ganzen Abend und die ganze Nacht durch; erst lange nachdem der Tag angebrochen war, beschlossen sie, ausgiebig zu ruhen, und suchten sich dafür einen warmen Platz. Die gut eingerittene, graue Stute folgte dem Hengst, sodass sich der geblendete Azan einzig an ihr festzuklammern brauchte, auf die Führung seines Bruders vertrauend. Beide ritten sie mit wenig Gepäck und für ihr Auskommen führten sie – wie vorab geplant – einen Teil ihrer Ersparnisse an Silberlingen mit. Sie machten in dem kleinen Dörfchen Wasur halt, welches auf einer freundlichen Anhöhe lag, und Pyron band die zwei Pferde an einen Baum bei einer Tränke, unweit der örtlichen Taverne. Der Drachenartige überprüfte den Sitz seines Mantels und seiner Kapuze, dann sprach er zu dem blinden Azan: „Warte hier, Bruder! Ich werde versuchen, etwas Nahrung für uns und Futter für die Tiere zu besorgen.“

Dieser Herbstvormittag war sonnig und klar und der Geblendete quittierte die Worte des Ältesten schweigend. Kurze Zeit darauf verschwand der Verwandelte im Inneren der Taverne „Zum fiedelnden Zwerg“. Azan suchte sich währenddessen tastend einen Platz unter dem Baum, lauschte dem Schnauben der Pferde, dann rastete er. Leise zwitscherten ein paar Vögel und der Geblendete lüftete erschöpft seine Binde, lüpfte sie, ließ etwas Licht in die dunklen Kammern seines Schädels fallen.

Wenigstens habe ich keine Schmerzen! Trotz all der Qual, den Gottheiten zum Dank! Er dachte weiter: Wenn es Wahrheit sei, was es mir zu schauen hat, dann ist die Wiederkehr Hyrus’ in das Reich der Lebenden, die übrigen Umstände betrachtend, nicht nur unabdingbar, sondern auch unsere geringste Sorge und einzige Hoffnung! Die abtrünnige Gottheit Oraia voller grotesker Boshaftigkeit!

Azan korrigierte jetzt wieder den Sitz seiner Binde, kratzte sich nachdenklich am Haupt, schüttelte sein Haar zur Seite. Da war auch schon Pyron zurückgekehrt, legte seinem Bruder sachte die rechte Hand auf die Schulter, erkundigte sich förmlich nach seinem Befinden: „Hast du etwas gesehen, Bruder, hattest du eine Vision?“

Doch dieser verneinte nur mit einem Kopfschütteln und hörte still, was der Drachenartige sprach: „Ich habe für uns etwas Nahrung, getrocknetes Fleisch und etwas Obst erworben, auch ein wenig Futter für die Pferde. Lass uns hier bis zum Abend eine Rast machen, uns etwas ausruhen. Falls du beim Schlafen etwas siehst, etwas gesehen hast, solltest du nicht zögern – wecke mich, selbst dann, wenn dir die Neuigkeit wie unbedeutend erscheinen mag. Hier sind wir sicher.“

Abermals antwortete der Mittlere der drei Brüder nur durch eine leichte Bewegung seines Hauptes. Der Drachenmann versorgte die Pferde, bereitete die mitgebrachte Nahrung zu, breitete sie anschließend zu Azans und zu seinen Füßen aus und gemeinsam aßen und ruhten sie im Schatten des Baumes. Und tatsächlich, während beide schliefen, träumte Azan von der bereits erwähnten flüchtigen, namenlosen Elfenartigen.

Mit der hereinbrechenden Abenddämmerung und dem weich aufziehenden Abendnebel weckte der Verwandelte seinen Bruder aus dem Schlaf. Die Vögel zwitscherten bereits ihr Abendlied und auch die Pferde hatten geschlafen. Kaum dass Azan wach war, frug Pyron ihn: „Hatte es dir etwas Wichtiges zu schauen? Vielleicht sogar von der Elfenartigen aus Masir?“

„In der Tat, Bruder“, entgegnete ihm Azan nach einem kleinen Verweilmoment. „Es macht mir den Eindruck, als seien dunkle Umtriebe zugegen. Sie befindet sich nach wie vor in Masir, jedoch ist sie dort nicht mehr sicher – obwohl sie dieses für eine lange Zeit gewesen. Wir sollten uns demnach sputen, in die Stadt zu gelangen, wer weiß, wie lange sie sich noch zu verstecken in der Lage. Auch meine ich nun ihren Namen zu kennen, er lautet: Anna von Seron.“ Der Blinde stockte.

„Trotz allem werden wir frühestens übermorgen zum Abend hin Masir erreichen können“, erwiderte Pyron. „Wir sollten also umgehend aufbrechen, ist Anna von Seron wirklich so wichtig, dürfen wir kein Risiko eingehen. Die Rettung unseres Bruders ist oberstes Gebot, hierzu dürfen wir nichts außer Acht lassen!“

Pyron machte sich langsam an den Pferden und am Gepäck zu schaffen; Azan fing schleppend und träge an sich zu bewegen, nachdem er den Sitz seiner Augenbinde festigte: „Noch etwas, Bruder: Ich meine, dass wir schon zu früheren Zeiten in Loto lebten, existiert hatten!“

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22 декабря 2023
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9783960082002
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