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3 Quellenkunde

Der Begriff Quellenkunde wird in der Regel weit gefasst. Erstens wird darunter die Frage verstanden, was man unter historischen Quellen überhaupt versteht. Zweitens ist damit eine Typologisierung von unterschied­lichen Quellenarten gemeint. Drittens wird damit häufig auch die Frage nach der adäquaten Quelleninterpretation verbunden.

Nach der Suche nach einer Definition von „Quelle“ wird im Folgenden das Hauptaugenmerk auf „hilfs­wissenschaft­liche“ Aspekte der Quellenkunde gelegt, etwa auf Probleme mit den Quellensprachen oder bei der Edition von Texten. Ein umfassender Überblick über einzelne Quellentypen und ihre Anwendungsmög­lichkeiten wird hier bewusst nicht geboten.

3.1 Was versteht man unter historischen Quellen?

Das Wort Quelle wird in der Geschichtswissenschaft in einem übertragenen Sinne verwendet: Wie man aus einer Quelle im wört­lichen Sinn (reines) Wasser schöpfen kann, so entnimmt der Historiker seinen Quellen Informationen für seine Fragestellungen an die Geschichte. Dabei ist zwischen Überlieferungen und Quellen zu unterscheiden. Nach Hans-Werner Goetz sind Überlieferungen alle Zeugnisse, die über geschicht­liche (= vergangene) Abläufe, Zustände, Denk- und Verhaltensweisen informieren, d. h. letzt­lich über alles, was sich in der Vergangenheit ereignet hat, diese kennzeichnet, von Menschen gedacht, geschrieben oder geformt wurde. Jede Überlieferung, die etwas über die Vergangenheit aussagt, ist (potenzielle) historische Quelle. Es gibt grundsätz­lich nichts, das nicht Quelle werden könnte. Ob diese brauchbar ist und ob es sich um eine bessere oder schlechtere Überlieferung handelt, entscheidet sich erst von der jeweiligen konkreten Fragestellung her. Zur „Quelle“ wird dieses Zeugnis erst unter den Händen der Historiker, die daraus Kenntnisse über die Vergangenheit gewinnen wollen. Der Begriff „Quelle“ kennzeichnet also nicht das Zeugnis an sich, sondern dessen Funktion für die Geschichtswissenschaft.

Quellen sind in vielen Fällen nicht schon als solche geschaffen. Sie haben ursprüng­lich vielmehr ein von der Benutzung durch den Historiker unabhängiges Eigenleben [<<15] und einen Eigenwert. Sie wollen (fast immer) etwas Bestimmtes aussagen, aber nicht zwangsläufig das, was uns an ihnen interessiert.

Daraus ergeben sich zwei Folgerungen für die praktische Arbeit: Erstens darf bei der Benutzung einer Überlieferung als Quelle niemals vergessen werden, dass sie ursprüng­lich (wahrschein­lich) ganz andere Absichten als die erfragten verfolgte, die für eine angemessene Auswertung entsprechend zu berücksichtigen sind. Zweitens ist die Überlieferung selbst nicht „die“ Vergangenheit, sondern sie gibt Zeugnis von ihr. Sie bedarf also der geschichtswissenschaft­lichen Bearbeitung, um in diesem Sinne aussagekräftig zu werden: Die methodische Erschließung der Quellen ist eine zentrale Aufgabe der Geschichtswissenschaft.

Im Rahmen der Historischen Hilfswissenschaften sind in erster Linie die schrift­lichen, die bild­lichen und die gegenständ­lichen Quellen (in einem weiteren Sinn) von Bedeutung, wobei dieselbe Quelle in vielen Fällen mehreren Gruppen zugeordnet werden kann. So ist eine illustrierte Chronik aus dem Mittelalter sowohl Text- als auch Bildquelle, besiegelte Urkunden bieten neben der text­lichen Überlieferung auch die bild­liche und gegenständ­liche.

Literatur

Goetz, Hans-Werner: Proseminar Geschichte: Mittelalter, 4. Aufl. (UTB 1719), Stuttgart 2014.

Maurer, Michael (Hg.): Aufriss der historischen Wissenschaften, 7 Bände (Reclam Universal-Bibliothek 17027–17033), Stuttgart 2001–2005, hier Band 4: Quellen.

Rosenthal, Joel T. (Hg.): Understanding Medieval Primary Sources. Using Historical Sources to Discover Medieval Europe (Routledge Guides to Using Historical Sources), London/New York 2012.

van Caenegem, Raoul C.; Jocqué, Lucas: Introduction aux sources de l’histoire médiévale, aktual. Aufl. (Corpus Christianorum, Continuatio Mediaevalis), Turnhout 1997.

3.2 Schriftliche Quellen und ihre Intention

Für die Beurteilung und Einordnung einer schrift­lichen Quelle sind zwei Faktoren unerläss­lich: Zum einen ist nach der Intention des Autors zu fragen, die meist nicht ausdrück­lich im Text erwähnt wird, sondern anhand von Hinweisen erschlossen werden muss. Zum anderen ist eine gattungsspezifische Beurteilung vonnöten, d. h. jeder schrift­liche Quellentyp hat seine Eigenheiten, die als Richtlinie herangezogen werden müssen. Letzterer Aspekt wird weiter unten am Beispiel der Urkunden näher ausgeführt (Kapitel 4).

Der Kommunikationswissenschafter Friedemann Schulz von Thun hat zur Unter­suchung von Gesprächen das Modell der Intentionsanalyse entwickelt, das sich – leicht adaptiert – auch sehr gut auf schrift­liche Quellen der Vergangenheit anwenden lässt. [<<16] Demnach gibt es einen Sender einer Nachricht sowie einen oder mehrere Empfänger. Versteht man schrift­liche Quellen als Nachrichten, so ist dies die einzige Überlieferung, die uns erhalten ist, während Sender und Empfänger in der Regel verstorben oder nicht greifbar sind. Nach Schulz von Thun haben Nachrichten insgesamt vier Seiten, die auf Sender und Empfänger rückschließen lassen und anhand des folgenden Beispieltextes exemplarisch vorgestellt werden.

Der italienische Humanist Leonardo Bruni (ca. 1370–1444) reiste im Spätherbst des Jahres 1414 als Sekretär des (Gegen-)Papstes Johannes XXIII. von Norditalien zum Konzil von Konstanz. In seinem Brief an den Humanistenfreund Niccolò Niccoli inter­essierte er sich vor allem für Land und Leute im Etschtal und für die Natur der Alpen.

„[…] Nach einer zweitägigen Reise durch dieses Tal [das Etschtal] erreichten wir Trient, eine Stadt, die sich durch eine ganz reizende natür­liche Lage auszeichnet. […] Zurecht könnte es jemanden wundern, dass sich in dieser Stadt Männer, Frauen und die übrige Bewohnerschaft, die entweder Italienisch oder Deutsch sprechen, innerhalb einer einzigen Stadtmauer aufhalten. Denn so wie jeder entweder in einem Italien oder dem oberen Gallien zugewandten Teil der Stadt wohnt, so spricht er dementsprechend auch entweder unsere oder jene Sprache. Zudem glaube ich auch, dass es sich in den Versammlungen und öffent­lichen Sitzungen dergestalt verhält, dass die einen in unserer und die anderen in barbarischer Sprache ihre Meinung abgeben – alles Bürger ein und derselben Stadt.

Nachdem wir von Trient einige Meilen aufgebrochen waren, wurden wir von einer eigenartigen barbarischen Sitte aufs Höchste beunruhigt. Es verhält sich näm­lich folgendermaßen: Es gibt dort zahlreiche Burgen, die hoch auf dem Felsen über dem Fluss ragen und Adeligen gehören. Wenn diese nun eine größere Anzahl an Reisenden erblicken, lassen sie, wenn sich die Gruppe schon unterhalb ihrer Burg befindet, plötz­lich von der Festung die Hörner erschallen; zudem erhebt eine mög­lichst große Anzahl an Menschen von den Mauern und Befestigungen ein barbarisches Geschrei und feind­liches Geheule. Durch das unvermutete Ereignis fährt allen Menschen der Schrecken in die Glieder und es gibt wohl kaum jemandem mit so viel standhaftem Mut, dass er nicht schon aus Überraschung beunruhigt wird, besonders weil es sich um Ört­lichkeiten handelt, die bewusst für die Räuberei ausgewählt sind. Jene Burgherren glauben, dass diese barbarische und schreck­liche Sitte zum Schutz ihres Eigentums beiträgt und Menschen eher vom Unrecht ablassen werden, wenn sie schon erblickt und angeschrien wurden und dann meinen, dass sie beobachtet werden. Mir frei­lich wurde klar, durch ein feind­liches Land zu reisen […].“

(Leonardo Bruni, Epistula 4, 3, Auszug; Übersetzung: Christian Rohr) [<<17]

1. Objektiver und subjektiver Sachinhalt: Unter dem objektiven Sachinhalt sind Informationen zu verstehen, die mit einiger Sicherheit als zutreffend eingestuft werden können, etwa durch den Vergleich mit parallelen Quellen. So kann man etwa dem Reisebericht die Aussagen „Nach einer zweitägigen Reise durch dieses Tal [das Etschtal] erreichten wir Trient“ oder „Es gibt dort zahlreiche Burgen, die hoch auf dem Felsen über dem Fluss ragen und Adeligen gehören“ als objektiv ansehen. Schreibt der Autor hingegen „Jene Burgherren glauben, dass diese barbarische und schreck­liche Sitte zum Schutz ihres Eigentums beiträgt und Menschen eher vom Unrecht ablassen werden, wenn sie schon erblickt und angeschrien wurden und dann meinen, dass sie beobachtet werden“, so sind diese Aussagen als subjektiv einzustufen. In vielen erzählenden Quellen werden zudem Zahlenangaben häufig gerundet und sind mitunter stark untertrieben. Die Grenze zwischen objektivem und subjektivem Sachinhalt ist häufig fließend.

2. Selbstoffenbarung: Quellen verraten in der Regel zahlreiche Informationen über den Sender der Nachricht, mitunter auch „zwischen den Zeilen“. Wie steht der Sender zum Inhalt? Was sagt er über sich selbst aus? Aus dem Beispieltext ist etwa zu erfahren, dass der Autor Italiener ist, weil er von Italienisch als „unserer Sprache“ spricht. Er hat zudem deut­liche Ressentiments gegenüber den „barbarischen“ Burg­bewohnern im heutigen Südtirol, ein häufiges Merkmal humanistischer Autoren gegenüber Nicht-Italienern, analog zur Einschätzung der Nichtrömer durch die antiken Römer. Am Latein des Originaltextes ließe sich auch erkennen, dass der Mann hoch gebildet ist.

3. Beziehung: Zwischen dem Sender und dem Empfänger bzw. den Empfängern herrscht in der Regel eine Beziehung, die übergeordnet, untergeordnet, gleichrangig, belehrend, etc. sein kann. Im Beispielstext ist von einer Gleichrangigkeit von Sender und Empfänger auszugehen, doch sind belehrende Elemente durchaus enthalten.

Deut­licher wird eine Über- bzw. Unterordnung in Urkunden sowie allgemein im Verwaltungsbereich. Wenn ein Kaiser seine Urkunden mit der Nennung seines vollen Titels beginnt, der sich über viele Zeilen ziehen kann, dann drückt er damit seine ganze Machtentfaltung gegenüber seinen Untertanen oder anderen Herrschern aus (siehe im Kapitel 4.3.1 das Beispiel mit dem Titel Kaiser Josephs II.). Derselbe Herrscher schreibt hingegen an seine Familienmitglieder auf gleicher Ebene und beginnt daher seine Schreiben nicht mit dem Titel, sondern etwa mit „Mein lieber Bruder“. Umgekehrt machen sich Bittsteller noch kleiner gegenüber dem Herrscher, um damit auf mehr Gunst und Gnade hoffen zu können. Sie reden den Herrscher mit „Großmächtigster Kaiser“ etc. an und schreiben von sich als „Euer alleruntertänigster Diener“. Selbst die Unterschrift unter ein Bittgesuch wird häufig [<<18] nicht direkt unter den Text gesetzt, sondern klein am unteren Seitenrand, der freie Platz auf der letzten Seite vom Textende bis zur Unterschrift wird mit einem langen, sogenannten Devotionsstrich ausgefüllt. Damit wird die Unterordnung auch optisch deut­lich erkennbar.

4. Appell: Je nach Quellengattung ist der Appell eines Textes deut­licher oder weniger deut­lich erkennbar. Was soll der Empfänger an Informationen erhalten? Wie soll er sein weiteres Handeln darauf abstimmen? Leonardo Bruni warnt jedenfalls in seinem Reisebericht vor den schreckenerregenden Barbaren nörd­lich von Trient, die ihm das Gefühl vermitteln, durch Feindesland zu reisen. Am klarsten ist der Appell etwa in politischen Manifesten oder agitatorischen Flugblättern zu erkennen.

Schrift­liche Quellen bilden somit nicht die Vergangenheit ab, sondern sie konstruieren ein Bild von der Vergangenheit, das durch zahlreiche Faktoren geprägt ist. Jede Quelleninterpretation – und die Intentionsanalyse ist nur ein Zugang von mehreren – muss daher danach trachten, diese Konstruktion zu hinterfragen und, wenn nötig, zu dekonstruieren. Es ist gerade bei Schriftquellen, in denen der Autor seine eigene Zeit oder seine eigene Umgebung auf eine andere projiziert, zu unterscheiden, was damit konkret über die beschriebenen Ereignisse und Menschen ausgesagt wird und was eher über die Zeit und das Umfeld des Autors. Wenn also Gaius Julius Caesar in seinem berühmten Bericht „De bello Gallico“ (Über den gallischen Krieg) von den Sitten und Göttern der Gallier und Germanen schreibt, dann sind darin mitunter mehr Vorstellungen seiner eigenen Welt repräsentiert als aus der der beschriebenen Völker.

Literatur

Brauer, Michael: Quellen des Mittelalters. Historische Quellen Interpretieren (UTB 3894 M), Paderborn u. a. 2013.

Rohr, Christian: Zur Wahrnehmung von Grenzen im 15. Jahrhundert. Leonardo Brunis Bericht über seine Reise von Verona nach Konstanz 1414 (Epist. 4,3), in: Aichhorn, Ulrike; Rinnerthaler, Alfred (Hg.): Scientia Iuris et Historia. Festschrift für Peter Putzer zum 65. Geburtstag, 2 Bände, München 2004, Band 2, 869–901.

Schulz von Thun, Friedemann: Miteinander reden, Band 1: Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation, 48. Aufl. (Rowohlt Sachbuch 61151), Reinbek bei Hamburg 2010. [<<19]

3.3 Das Problem der Quellensprachen:
Mittel- und Neulatein, Volkssprachen

Das Latein des Mittelalters und der Frühen Neuzeit unterscheidet sich in vielen ­Punkten vom klassischen Latein. Es sollen daher im Folgenden kurz einige Unterschiede aufgezeigt werden, die für die Lektüre mittelalter­licher Schriften vonnöten sind.

Schon in der Spätantike vollzog sich unter dem Einfluss der lateinischen Bibelübersetzungen, v. a. der sogenannten Vulgata, einer Übersetzung des Kirchenlehrers Hieronymus aus dem späten 4. Jahrhundert, und der Literatur der Kirchenväter eine Reihe von Weiterentwicklungen im lexikalischen und grammatikalischen Bereich. Dieses christ­lich geprägte Spätlatein ist die Basis des „Mittellateins“. Unter diesem Begriff ist die Gesamtheit der durchaus unterschied­lichen Ausprägungen der latei­nischen Sprache im Mittelalter subsumiert. „Das Mittellatein“ gibt es also nicht – ein Umstand, aus dem auch das langjährige Fehlen einer umfassenden mittellateinischen Grammatik resultiert. Erst die neuen Publikationen von Mantello und Rigg bzw. von Stotz können diese Lücke auf Dauer befriedigend füllen.

Das Latein der Spätantike verfiel in der unruhigen Zeit der Merowingerherrschaft im Frankenreich zusehends. Allein der irisch-angelsächsische Bereich und einige Klöster am Kontinent bildeten „Bildungsinseln“. Erst Karl der Große ging daran, die latei­nische Sprache auf der Basis des spätantiken Lateins zu restituieren, und rief deswegen die bedeutendsten Gelehrten der damaligen Zeit (Alkuin, Paulus Diaconus, Petrus von Pisa, Theodulf von Orléans und andere) an seinen Hof. Dabei wurde nicht nur eine neue Schrift, die Karolingische Minuskel, geschaffen, sondern auch eine „mittellateinische“ Kirchen- und Verwaltungssprache, die allerdings vom gemeinen Volk oft nicht mehr verstanden wurde. In dieser Zeit entwickelten sich in der Bevölkerung das Althochdeutsche und das Altfranzösische als eigenständige ­Sprachen heraus, während das Mittellatein vor allem in den Klöstern gesprochen wurde. Diese Mittelstellung zwischen gesprochener Sprache und vorwiegend schrift­lich verwendeter Bildungssprache wurde durchaus treffend vom Mittellateiner Karl Langosch umschrieben, der das Mittellatein als „die Vatersprache des Mittelalters“ bezeichnete.

Ein erstes Problem bildet der Wortschatz des Mittellateins: Schon in der Bibelübersetzung des Hieronymus und bei den Kirchenvätern der Spätantike finden sich zahlreiche Neuschöpfungen von Wörtern. Sie werden im Mittelalter durch viele weitere Wörter ergänzt, die ihre Wurzel in den germanischen oder romanischen Sprachen haben: So stammt z. B. feudum = Lehen, aus dem Germanischen; faltstuol = althochdeutsch für Klappsessel, wird latinisiert zu faldistolium, das wiederum ins Französische aufgenommen und zum fauteuil wurde. Im Spätmittelalter, besonders durch die philosophische [<<20] Strömung der Scholastik, kamen zusätz­lich Neuschöpfungen hinzu. Außerdem waren viele Wörter einem Bedeutungswandel unterworfen, z. B. comes, klassisch „Begleiter“, mittellateinisch „Graf“ u. v. a. m.

Aus der „Explosion“ mittellateinischer Wortschöpfungen resultiert das Problem eines Lexikons des Mittellateins: Das einzige ausführ­liche Lexikon von Du Cange stammt ursprüng­lich aus dem 17. Jahrhundert und liegt heute in der Überarbeitung aus dem späten 19. Jahrhundert vor. Die Begriffe werden dabei nur lateinisch umschrieben. Das einzige modernere Handwörterbuch von Niermeyer führt jeweils eine englische und französische Übersetzung an, in der neuesten Ausgabe zusätz­lich auch eine deutsche. Das „Mittellateinische Glossar“ von Habel und Gröbel taugt ledig­lich für einen ersten Einstieg; die gängigen lateinisch-deutschen Schulwörterbücher (Stowasser, Langenscheidt) berücksichtigen in ihren letzten Überarbeitungen erstmals einige wenige mittellateinische Texte. Die großen Unternehmungen zur Erstellung von mittellateinischen Lexika zeichnen sich vornehm­lich dadurch aus, unvollständig zu sein, wobei die Fertigstellung – gerechnet nach dem derzeitigen Fortschreiten der Arbeiten – noch viele Jahrzehnte dauern könnte. Das von der Bayerischen Akademie der Wissenschaften herausgegebene Mittellateinische Wörterbuch hat nach knapp 50 Jahren immerhin die Buchstaben A bis H bewältigt.

Ein weiteres Problem bildet die uneinheit­liche Orthographie des Mittellateins: Buchstaben wurden besonders in merowingischer Zeit häufig vertauscht (e/i, o/u, b/v); ae wurde seit dem Hochmittelalter immer häufiger als e-caudata (ę – e mit einem Schwänzchen), ab dem 12. Jahrhundert fast ausschließ­lich als reines e geschrieben. Konsonanten wurden verdoppelt oder Doppelkonsonanten vereinfacht. Der Buchstabe h im Anlaut fiel nicht selten aus oder wurde neu hinzugefügt; ti wurde im Spätmittelalter auditiv als ci geschrieben.

In der Formenlehre treten nicht selten Vereinfachungen auf. Besonders Wörter der „schwierigen“ e-, i- und u-Deklination wurden gemieden oder in Wörter der a- und o-Deklination umgewandelt. Pronomina wechselten zum Teil ihre Funktion und Bedeutung: So wird ille zum Ersatz des im klassischen Latein fehlenden bestimmten Artikels verwendet – heute noch spürbar in den bestimmten Artikeln der roma­nischen Sprachen. Einige Präpositionen starben fast aus, andere wiederum, besonders de, wurden in vielfältiger Bedeutung verwendet.

Das Alt- und Mittelhochdeutsche ist hingegen sowohl lexikalisch als auch durch einführende Überblicksdarstellungen viel besser erschlossen. Das in vielen Auflagen erschienene Mittelhochdeutsche Wörterbuch von Matthias Lexer hilft in den meisten Fällen zuverlässig weiter. Für das Deutsch des Spätmittelalters, besonders aber auch [<<21] der Frühen Neuzeit existiert das immer wieder überarbeitete, vielbändige Lexikon der Gebrüder Grimm (die neben ihrer Märchen-Sammeltätigkeit vor allem Germanisten waren und zu den Mitbegründern der deutschen Philologie wurden). Seit der Mitte des 13. Jahrhunderts löste das Mittelhochdeutsche die lateinische Sprache in den meisten Urkunden ab. Dieses Fachdeutsch ist zum Teil recht schwierig im Detail zu deuten. Eine erste Hilfe für das Verständnis stellt sich meist ein, wenn man versucht, die Texte laut zu lesen.

Literatur
Mittel- und Neulatein – Sprache

Bourgain, Pascale: Le latin médiéval (L’atelier du médiéviste 10), Turnhout 2005.

Goullet, Monique; Parisse, Michel: Lehrbuch des mittelalter­lichen Lateins für Anfänger. Aus dem Französischen übertragen und bearbeitet von Helmut Schareika, Hamburg 2010.

Harrington, Karl Pomeroy (Hg.): Medieval Latin. Second Edition revised by Joseph Pucci. With a Grammatical Introduction by Alison Goddard Elliott, Chicago 1997, dort 1–51 [Einleitung in die mittellateinische(n) Sprache(n)]

Langosch, Karl: Lateinisches Mittelalter. Einführung in Sprache und Literatur, 4. Aufl. (Wissenschaft­liche Buchgesellschaft. Einführungen), Darmstadt 1983.

Langosch, Karl: Europas Latein des Mittelalters. Wesen und Wirkung. Essays und Quellen, Darm­stadt 1990.

Lehmann, Paul: Die Erforschung des Mittelalters. Ausgewählte Abhandlungen und Aufsätze, 5 Bände, Stuttgart 1954–1962.

Leonhardt, Jürgen: Latein. Geschichte einer Weltsprache, München 2009.

Mantello, Frank Antony Carl; Rigg, Arthur George (Hg.): Medieval Latin. An Introduction and Bibliographical Guide. Washington D. C. 1996, Nachdruck 1999.

Önnerfors, Alf (Hg.): Mittellateinische Philologie, Darmstadt 1975.

Richter, Michael: Studies in Medieval Language and Culture, Dublin 1995.

Stotz, Peter: Handbuch zur lateinischen Sprache des Mittelalters, 5 Bände (Handbuch der Altertumswissenschaft II 5,1–5), München 1996–2004.

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