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Literatur

Arengenverzeichnis zu den deutschen Königs- und Kaiserurkunden von den Merowingern bis ­Heinrich VI., bearb. von Friedrich Hausmann und Alfred Gawlik (Monumenta Germaniae Historica, Hilfsmittel 9), München 1987.

Fichtenau, Heinrich: Arenga. Spätantike und Mittelalter im Spiegel von Urkundenformeln (Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, Ergänzungsband 18), Wien 1957.

Ganz, Peter (Hg.): Tironische Noten (Wolfenbütteler Mittelalter Studien 1), Wiesbaden 1990.

Rück, Peter: Bildberichte vom König. Kanzlerzeichen, könig­liche Monogramme und das Signet der salischen Dynastie (elementa diplomatica 4), Marburg an der Lahn 1996.

Rück, Peter (Hg.): Graphische Symbole in mittelalter­lichen Urkunden. Beiträge zur diplomatischen Semiotik (Historische Hilfswissenschaften 3), Sigmaringen 1996.

Schlögl, Waldemar: Die Unterfertigung deutscher Könige von der Karolingerzeit bis zum Interregnum durch Kreuz und Unterschrift (Münchener Historische Studien, Abteilung Geschicht­liche Hilfswissenschaften 16), Kallmünz 1978.

Schwineköper, Berent: „Cum aquis aquarumve decursibus“. Zu den Pertinenzformeln der Herrscherurkunden bis zur Zeit Ottos I., in: Festschrift Helmut Beumann, Sigmaringen 1977, 22–56.

Wolfram, Herwig: Intitulatio, 3 Bände (Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, Ergänzungsband 21, 24 und 29), Wien 1967–1988.

Worm, Peter: Karolingische Rekognitionszeichen. Die Kanzlerzeile und ihre graphische Ausgestaltung auf den Herrscherurkunden des achten und neunten Jahrhunderts, 2 Bände (elementa diplomatica 10), Marburg an der Lahn 2004. [<<51]

4.3.2 Grundlinien der Entwicklung von Kaiser- und Königsurkunden seit dem Spätmittelalter

Im Spätmittelalter nahm die Zahl der Kaiserurkunden, bedingt durch die Verschrift­lichung der Verwaltung und die Verwendung des Papiers auch in der Reichskanzlei, enorm zu. Sind z. B. von Otto III. 425 echte Urkunden überliefert und aus den fast vier Jahrzehnten der Herrschaft Friedrichs I. Barbarossa 1031 Diplome (einschließ­lich der kopial überlieferten), so beträgt die Zahl unter Kaiser Sigismund mehr als 12.300 (!), für Friedrich III. wird sie auf ca. 40.000 geschätzt. Das Anschwellen des Materials brachte eine Vielzahl verschiedener Urkundenformen hervor. Im Gegensatz zu Frankreich, wo ein allgemein akzeptiertes Handbuch der Königsurkunden von Georges Tessier vorliegt, ist die Einteilung in Deutschland nach wie vor umstritten. Während Wilhelm Erben nach äußeren Merkmalen vorging und nach drei Hauptformen, Urkunden mit Hängesiegel, offene Urkunden mit aufgedrücktem Siegel und versiegelte (mit aufgedrücktem Siegel verschlossene) Urkunden, unterschied, trat Ivan Hlavácek unter Berücksichtigung von Inhalt und Form der spätmittelalter­lichen Kaiserurkunden für die Scheidung in Diplome, Mandate und Briefe ein.

Spätmittelalter­liche Diplome bleiben zwar nicht von der Zahl, aber von der Bedeutung her die wichtigsten Produkte der kaiser­lichen Kanzlei. Sie tragen durchwegs das anhängende Majestätssiegel und sind – schon wegen des Hängesiegels – stets auf Pergament geschrieben. Vor allem für dauerhafte Rechtsverleihungen (Privilegierungen) wurden Diplome verwendet. Der äußeren Form nach kann man deut­lich zwei Arten der Ausfertigung unterscheiden:

Feier­liche Diplome (auch: feier­liche Privilegien) halten im Wesent­lichen am hochmittelalter­lichen Formular fest, doch entfallen monogrammatische und verbale Invocatio sowie die Rekognition. Auch wenn die Eingangszeile reich verziert ist, wird der Text ohne Absätze geschrieben und für das Monogramm einfach Platz ausgespart. Die eigenhändige Beteiligung des Kaisers am Monogramm („Vollziehungsstrich“) entfällt, dafür gibt es manchmal eine vom Text abgesetzte Signumzeile mit dem eigenhändig geschriebenen Anfangsbuchstaben des Kaisernamens. Die eigenhändige Unterfertigung hat sich erst mit Maximilian I. (1493–1519) durchgesetzt. Das Majestätssiegel ist an Seidenschnüren befestigt. Die Verwendung von Goldbullen, die bei Prunkausfertigungen vorkommt, wird in der Corroboratio speziell angekündigt. Die bis ins 14. Jahrhundert häufige Nennung von Zeugen verschwindet im 15. Jahrhundert fast vollständig. An der lateinischen Urkundensprache wird in feier­lichen Diplomen länger festgehalten als in anderen Urkundenarten.

Einfache Diplome sind äußer­lich sch­licht gehalten, bieten kaum Zierelemente in der Schrift, tragen weder Monogramm noch Signumzeile und verzichten häufig auch [<<52] auf andere Teile des traditionellen Formulars. In der Kundmachung (Promulgatio) verwenden sie meist die Worte Notum facimus bzw. Bekennen oder embieten. Sie bilden die große Mehrheit der Diplome und werden zur Beurkundung unterschied­licher Rechtshandlungen von zeit­lich begrenzter Geltung oder Aktualität verwendet. Der Text ist meist in einer einfachen, klaren gotischen Kanzleischrift gehalten.

Das Mandat nimmt eine Zwischenstufe zwischen Brief und Urkunde ein. Es ist das Schreiben eines Hochgestellten an einen Untergebenen, ein Befehl, der dem recht­lichen Charakter der Urkunde recht nahe kommt. Darin wird ein Geschäft geringerer Bedeutung kundgetan, meist kaiser­liche Anordnungen und Aufträge. Vielfach kann man ein Mandat nur durch den Gebrauch des Wortes mandamus („wir befehlen, ordnen an“) von einem Brief unterscheiden. Es findet sich die Anwendung der Adresse und der Grußformel, aber es fehlt, wie in jedem mittelalter­lichen Brief, das Datum. Unter Kaiser Friedrich II. wurde dafür – nach dem Vorbild der Normannenkönige in Sizilien – bereits Papier verwendet. Besonders im Spätmittelalter nahm mit den steigenden Verwaltungsaufgaben des Königtums, mit dem Aufbau einer Behördenorganisation und dem Ausbau der Reichskanzlei die Zahl der Mandate stark zu. Ihr gemeinsames äußer­liches Kennzeichen ist die Besiegelung mit dem Sekretsiegel, dem kleinen Siegel der kaiser­lichen Kanzlei. Auch dabei lassen sich zwei Formen unterscheiden: Mandate, an denen das Sekretsiegel als Hängesiegel angebracht ist, und solche, auf denen das Sekretsiegel entweder auf der Vorderseite unter dem Text oder mitten auf der Rückseite aufgedrückt ist, aber nicht dem Verschluss dient. Der Text ist stets einfach und kurz gehalten, das Formular wird – abgesehen von der vollständigen Datierung – aufgegeben und damit der Briefform angeg­lichen. Vor allem für die zweite Gruppe mit aufgedrücktem Siegel findet seit dem 14. Jahrhundert überwiegend Papier Verwendung. Mandate werden im Auftrag des Kaisers oder Königs, aber ohne dessen persön­liche Beteiligung ausgestellt. Am Ende wird – abgesetzt vom übrigen Text – der verantwort­liche Leiter der Kanzlei bzw. Kanzleibeamte genannt, meist mit den Worten: ad mandatum domini imperatoris (regis) N. („im Auftrag des Herrn Kaisers bzw. Königs N.“).

Der Brief ist seinem Wesen nach eine persön­liche Mitteilung, hat aber viele Gemeinsamkeiten mit der Urkunde. Deshalb werden die Briefe auch als Urkunden behandelt und mit den Siegelurkunden gemeinsam in Urkundenbüchern (z. B. Diplomata-Editionen der MGH) ediert. Bei verschlossenen Briefen (litterae clausae) mit aufgedrücktem Siegel wurde fast ausschließ­lich Papier verwendet; das aufgedrückte Sekretsiegel diente als Verschlussmittel. Es sind Schriftstücke mit bloßen Mitteilungen, ohne Rechtskraft, aber doch formgebunden. Durch die Versiegelung sollte ihr oft vertrau­licher Inhalt vor unbefugten Lesern geheim gehalten werden. Die Intitulatio steht meist zweizeilig über dem Text, die Adresse hingegen auf der Rückseite, um auch nach der Faltung und [<<53] Versiegelung lesbar zu sein. Die Datierung ist kurz, ohne Inkarnationsjahre, manchmal fehlen auch Regierungsjahre und Ausstellungsort. Da man diesen Stücken nur kurzfristige Bedeutung zumaß, sind die meisten nicht im Original erhalten.

Literatur

Hlavácek, Ivan: Das Urkunden- und Kanzleiwesen des böhmischen und römischen Königs Wenzel (IV.) 1376–1419 (Schriften der Monumenta Germaniae Historica 23), Stuttgart 1970.

Koller, Heinrich: Das Reichsregister König Albrechts II. (Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs, Ergänzungsband 4), Wien 1955.

Tessier, Georges: Diplomatique royale française, Paris 1962.

4.3.3 Kanzleigeschichte

Die leitenden Beamten der Merowingerkanzlei trugen den Titel Referendar. Sie hatten dem König die Urkunden zur eigenhändigen Unterschrift vorzulegen, sie unterschrieben dann selbst und vollzogen die Besiegelung. Damit waren sie für den Inhalt der Urkunde verantwort­lich. Bei Hof genossen sie eine besondere Vertrauensstellung: Sie verwahrten das könig­liche Siegel, das heißt den Siegelstempel (Typar, Matrize, ­Petschaft) in Form eines Siegelringes oder eines herkömm­lichen Stempels. Die Diplome wurden nicht von den Referendaren, sondern von diesen unterstellten Reinschreibern geschrieben, die nament­lich nicht genannt werden. Die Referendare waren Laien.

Seit Pippin dem Jüngeren (751–768) blieb die Kanzlei dem geist­lichen Stand vorbehalten. Wahrend die Merowinger in Nachahmung antiker Traditionen eine kollegial organisierte Kanzlei hatten, führten die Karolinger eine bürokratische Kanzleiorganisation ein. In der frühen Karolingerzeit existierte unter Karl dem Großen noch kein eigener Titel für den Kanzleivorstand, die Organisation hatte noch keine festen Formen.

Um die Mitte des 9. Jahrhunderts kamen dann die Bezeichnungen notarius (von nota = Kurzschrift) und cancellarius auf – cancelli sind die Schranken in den Sitzungszimmern, durch die die Parteien von den Magistratspersonen getrennt werden. In der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts wurde die Leitung der Kanzlei dem summus cancellarius oder archicancellarius (Erzkanzler) übertragen. Da der Erzkanzler eine hochgestellte geist­liche Persön­lichkeit war (meist ein Erzbischof), konnte er die tatsäch­liche Leitung der Kanzlei nicht persön­lich wahrnehmen, sondern übertrug sie seinem Stellvertreter, dem Kanzler.

Unter den späten Karolingern entstanden eigene Kanzleien nicht nur im Westfrankenreich, sondern auch in Italien, Lothringen, Deutschland und Burgund. Abgesehen von zeitweiligen Wechseln war seit dem Hochmittelalter der Erzbischof von Mainz Erzkanzler für Deutschland, der Erzbischof von Köln Erzkanzler für Italien und der [<<54] Erzbischof von Trier Erzkanzler für Burgund. Die tatsäch­liche Leitung der Kanzleigeschäfte kam an das Kanzleramt, das seit Otto I. (936–973) eine ständige Einrichtung wurde. Der Einfluss des Kanzlers erstreckte sich aber nicht nur auf die kaiser­liche Kanzlei, sondern fast auf die gesamte Politik der Herrscher. Als römisch-deutsche Erzkanzler versuchten die Erzbischöfe von Mainz mehrfach Einfluss auf die Besetzung des Kanzleramtes zu gewinnen, doch konnten sie sich auf Dauer nicht durchsetzen. Die Ernennung des Kanzlers blieb dem König vorbehalten.

Nach den Forschungen von Josef Fleckenstein wurden die leitenden Positionen in der kaiser­lichen Kanzlei seit der Zeit der Ottonen und Salier vor allem von Mitgliedern der Hofkapelle besetzt. Der Begriff Kapelle ist von der cappa (dem Mantel) des hl. Martin von Tours abgeleitet. Die Geist­lichen der Kirche des Königshofes hatten diese wichtigste Reichsreliquie zu behüten und wurden deshalb als cap(p)ellani (Kaplane), ihre Gemeinschaft als capella regia (könig­liche Hofkapelle) bezeichnet. Aus den Reihen der Hofkapelle ging im Rahmen der ottonisch-salischen Reichskirche ein Großteil der Erzbischöfe und Bischöfe hervor. Das untergeordnete Kanzleipersonal (Notare) blieb weitgehend anonym, gehörte aber im Mittelalter durchwegs dem geist­lichen Stand an.

Im Spätmittelalter agierten die Kanzleien immer selbstständiger. Bei den meisten Urkunden hörte die Mitwirkung des Kaisers oder Königs überhaupt auf, sie wurden in seinem Auftrag (ad mandatum domini regis) vom Leiter der Kanzlei unterfertigt. Für Ungarn und Böhmen waren z. B. unter Albrecht II. (1438/39) völlig eigenständige, von der Reichskanzlei unabhängige Kanzleien tätig. Sie urkundeten im Auftrag des Königs, auch ohne dessen persön­liche Anwesenheit. Dies ist vor allem für die Itinerarforschung wichtig, weil eine in Pressburg (Bratislava) ausgestellte Urkunde Albrechts II. keineswegs bedeuten muss, dass der König sich zu diesem Zeitpunkt dort aufgehalten hat.

Literatur

Csendes, Peter: Die Kanzlei Kaiser Heinrichs VI. (Denkschriften der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Klasse 151), Wien 1981.

Fleckenstein, Josef: Die Hofkapelle der Salier und Staufer, 2 Bände (Schriften der Monumenta Germaniae Historica 16/1 u. 2), Stuttgart 1959 und 1966.

Hausmann, Friedrich: Reichskanzlei und Hofkapelle unter Heinrich V. und Konrad III. (Schriften der Monumenta Germaniae Historica 14), Stuttgart 1956.

Hennig, Paul-Joachim: Kaiser Friedrich III. (1440–1493). Hof, Regierung und Politik, 3 Bände (Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters. Beihefte zu J. F. Böhmer, Regesta Imperii 17, 1–3), Köln 1997.

Moraw, Peter: Grundzüge der Kanzleigeschichte Kaiser Karls IV. (1346–1378), in: Zeitschrift für historische Forschung 12 (1985), 11–42. [<<55]

4.3.4 Urkundenfälschungen

Im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit galt häufig der Grundsatz, dass vor allem das Recht sei, was als Recht durchsetzbar war, d. h. oft wurden Zustände wider besseres Wissen durch Fälschungen in Kombination mit Macht geschaffen. Königsurkunden waren dazu besonders geeignet, weil sie unscheltbar waren, d. h. sie konnten nicht beeinsprucht werden, es sei denn man konnte nachweisen, dass eine Fälschung vorlag (was meist schwierig war). Durch die daraus resultierende Häufung von Fälschungen bzw. Verfälschungen von Dokumenten, speziell von Urkunden, im Mittelalter kommt es manchmal zu dem Eindruck, dass im Mittelalter „sowieso alles gefälscht“ sei, was in den 1990er-Jahren den Publizisten Heribert Illig zu der – frei­lich klar widerlegbaren – Theorie verleitete, die Zeit zwischen 614 und 911 n. Chr. habe es nie gegeben, sondern sei eine reine Fälschung. Man muss frei­lich, betrachtet man frühere Zeiten, zwischen den verschiedenen Stufen von Fälschung sehr genau unterscheiden. Besser passt oft der Begriff „subjektive Wahrheit“; man spricht auch von „intentionaler Geschichtsschreibung“. Oft wurden einfach einige Worte hinzugefügt oder weggelassen, ersetzt oder sonstwie verändert. In der Urkundenlehre hat sich dafür der Begriff „verunechtet“ eingebürgert. Dies soll frei­lich nicht darüber hinwegtäuschen, dass es immer wieder groß angelegte Fälschungscorpora gab, z. B. die des Bischofs Pilgrim von Passau (961–991) oder das Privilegium maius (1358/59). Ein von den Monumenta Germaniae Historica im Jahr 1986 veranstalteter Großkongress hat die Vielfalt von mög­lichen Fälschungen dargelegt: Der sechsbändige Tagungsband umfasst nicht weniger als 153 Beiträge auf insgesamt 3730 Seiten.

Beispiel 1: Die gekonnte Fälschung eines Spezialisten:

Die Pilgrim’schen Fälschungen (spätes 10. Jh.)

Das Erzbistum Salzburg und das Bistum Passau weisen in ihrer Struktur zahlreiche Parallelen auf: Beide lagen im äußersten Südosten Bayerns und damit auch des Franken­reiches bzw. des Heiligen Römischen Reiches und hatten nach der Eroberung des Awarenreiches durch Karl den Großen plötz­lich große Gebiete zur Missionierung dazu gewonnen. Die Missionierung Ostösterreichs, Mährens und Pannoniens brachte erstmals die Erzdiözese Salzburg mit dem Bistum Passau in echte Konkurrenz. Das Streben Passaus nach einer Rangerhöhung und einer Loslösung aus dem Salzburger Metropolitanverband erreichte im späten 10. Jahrhundert einen Höhepunkt, als nach der Zurückdrängung der Ungarn Ostösterreich ein zweites Mal in den Wirkungsbereich von Passau und Salzburg kam. Bischof Pilgrim von Passau (971–991) versuchte mit einem groß angelegten Fälschungswerk, den besonderen Rang Passaus aus der [<<56] Kontinuität zum spätantiken Bistum Lorch abzuleiten. Pilgrim wies als Schreiber in der Kanzlei der römisch-deutschen Kaiser Otto I. und Otto II. die dafür notwendigen technischen, sprach­lichen und inhalt­lichen Kenntnisse auf. Mit fast an Sicherheit grenzender Wahrschein­lichkeit ist er als der Schreiber „Willigis C“ unter dem Erz­kaplan Willigis von Mainz zu identifizieren. Er verfügte somit über das größtmög­liche Insiderwissen, um die Fälschungen täuschend echt zu gestalten.

Diese sogenannten Pilgrim’schen oder Lorcher Fälschungen sind ein Corpus, bestehend aus sechs gefälschten Papsturkunden aus dem 6. bis 10. Jahrhundert, weiters aus einem Schreiben Pilgrims an Papst Benedikt VI. oder VII. sowie zwei angeb­lichen Briefen von Erzbischof Hatto von Mainz an einen ungenannten Papst und von Erzbischof Theotmar von Salzburg an einen Papst Johannes. Allein bei dem letztgenannten Schreiben geht die Forschungsdiskussion eher dazu, den Brief Theotmars von Salzburg als echt anzusehen. Mit einem ausführ­lichen Diktatvergleich und sprach­lich-lexikalischen Vergleichen zwischen den diplomatischen Fälschungen Pilgrims, dem angeb­lichen Theotmar-Brief und dem angeb­lichen Brief des Mainzer Erzbischofs Hatto an einen ungenannten Papst versuchte Egon Boshof den Brief als Fälschung auszumachen, während zeitgleich Fritz Lošek dessen Echtheit zu beweisen trachtete. An dem noch jungen Forschungsstreit wird einerseits deut­lich, dass sich die Fälscher mitunter einer Mischung aus echten und unechten Schriftstücken bedienten und andererseits die Unterscheidung zwischen echt und falsch selbst nach akribischen diplomatischen Studien oft nicht klar wird.

Pilgrim frei­lich war trotz seines großangelegten Fälschungswerkes und seines unbestritten großen Einsatzes für seine Diözese kein sichtbarer Erfolg beschieden, sieht man davon ab, dass er um 1200 im Nibelungenlied verewigt wurde. Der Salzburger Erzbischof Friedrich I. (958–991) dürfte dem Ansinnen Pilgrims mit einer gewissen Gelassenheit gegenübergestanden und seinerseits mit einer Gegenfälschung geantwortet haben. Einerseits wusste Erzbischof Friedrich wohl um die Unterstützung des ottonischen Herrscherhauses und anderer mächtiger Fürsten im Reich, andererseits dürfte auch Pilgrim bald die Aussichtslosigkeit seines Unterfangens bemerkt haben. Dennoch ist diese gelehrte Fälschung ein kulturgeschicht­lich hochinteressantes Zeugnis für das Verhältnis des Bischofs von Passau zu seinem Vorgesetzten, dem Erzbischof von Salzburg.

Beispiel 2: Die Fälschung unter Berufung auf antike Autoritäten und unter Aufnahme echter Diplome: Das Privilegium maius (1358/59)

Im Jahr 1356 legte der aus dem Haus der Luxemburger stammende römisch-deutsche Kaiser Karl IV. in der sogenannten „Goldenen Bulle“ die Zahl und die Zusammensetzung der sieben Kurfürsten, die zur Königswahl berechtigt waren, endgültig fest. In [<<57] diesem Zusammenhang wurden die beiden größten Konkurrenten um die römisch-­deutsche Königskrone, die Habsburger und die Wittelsbacher, trotz ihrer Bedeutung nicht berücksichtigt. Dennoch stand hinter dieser Nichtberücksichtigung weniger „böse Absicht“, sondern eher wurde einfach der Zustand urkund­lich festgehalten, der schon zumindest für ein Jahrhundert bestanden hatte: Drei geist­lichen Kurfürsten (die Erzbischöfe von Köln, Mainz und Trier) standen vier welt­lichen (der König von Böhmen, der Pfalzgraf bei Rhein sowie die Kurfürsten von Sachsen und Brandenburg) gegenüber. Der Habsburgerherzog Rudolf IV. der Stifter von Österreich hatte sich aber dennoch Hoffnungen gemacht, unter die Kurfürsten aufgenommen zu werden, schließ­lich war Karl IV. sein Schwiegervater. So gab er im Jahr 1358/59 seiner Kanzlei den Auftrag zu einem groß angelegten Fälschungswerk, das die besondere Rolle Österreichs seit der Römerzeit herausstreichen sollte. Diese sogenannten „Österreichischen Freiheitsbriefe“, meist als Privilegium maius bezeichnet, enthielten insgesamt fünf Fälschungen:

• ein Diplom König Heinrichs IV. aus dem Jahr 1058, in dem den Babenbergern die Vogtei über die geist­lichen Gebiete des Erzbischofs von Salzburg und des Bischofs von Passau verliehen wurde. Zudem wurden zwei Urkunden von Julius Caesar bzw. Kaiser Nero in dieser Urkunde bestätigt. Julius Caesar habe seinem Onkel, dem Senator, das Land Österreich zu ewigem Lehen gegeben; Nero habe das Land Österreich für alle ewigen Zeiten von Abgaben an das Römische Reich befreit. Als Vorlage für diese Urkunde diente vermut­lich eine echte Schenkungsurkunde, die zum selben Datum ausgestellt wurde.

• das Privilegium minus von 1156, mit dem Österreich zum Herzogtum erhoben wurde. Das echte Privilegium minus wurde abgeschrieben und offensicht­lich kurz nach der Fälschung vernichtet.

• eine Urkunde König Heinrichs (VII.) vom Jahr 1228, in dem Herzog Leopold VI. von Österreich und der Steiermark alle früheren Privilegien bestätigt wurden und ihm zudem erlaubt wurde, auf dem Herzogshut eine Königskrone zu tragen.

• ein Diplom Kaiser Friedrichs II. von 1245, wonach der Fürstenhut neben dem könig­lichen Diadem auch noch mit einem Kreuz geschmückt sei.

• Ein Diplom König Rudolfs I. von Habsburg, in dem er seinen beiden Söhnen ­Albrecht I. und Rudolf II. alle Privilegien bestätigt, die ihren Ländern von heidnischen oder christ­lichen Herrschern verliehen worden seien.

Als 1361 am Hof Karls IV. in Prag der frühhumanistische italienische Gelehrte ­Francesco Petrarca weilte, wurden diesem die Urkunden zur Begutachtung vorgelegt. Er erklärte allein die in der Urkunde von 1058 inserierten Privilegien Caesars und Neros als plumpe Fälschungen, ja der Verfasser dieser Fälschung sei „ein Erzschelm, ein brüllender Ochse [<<58] und ein schreiender Esel“. Allerdings meinte Petrarca nicht, dass die angeb­liche Urkunde von 1058 (und auch die übrigen Urkunden) gefälscht seien, sondern glaubte, dass die Kanzlei Heinrichs IV. im Jahr 1058 den zwei Fälschungen aufgesessen seien. Somit blieb das Privilegium maius vorerst wirkungslos. Erst ein Jahrhundert später wurde es vom Habsburgerkaiser Friedrich III. (1440–1453) als echt anerkannt. Die Herzöge von Österreich wurden damit mit weiteren Sonderrechten ausgestattet und nannten sich in der Folge „Erzherzöge“ von Österreich und der Steiermark.

Beispiel 3: Fälschung oder „manipulierte Abschrift“ ?

Die Gründungsurkunden für das Kloster Lambach (1056/1061)

Im Jahr 1056 wurde das Benediktinerstift Lambach in Oberösterreich von Bischof Adalbero von Würzburg gegründet. Zu dieser Gründung existieren mehrere Urkunden, die in der Forschung intensive Diskussionen hervorgerufen haben. Beide „Gründungsurkunden“, die von Bischof Adalbero aus dem Jahr 1056 und die Bestätigung der Gründung durch ein Diplom König Heinrichs IV., sind näm­lich in der vorliegenden Form eindeutig nicht echt, sondern stammen vermut­lich aus der Zeit um 1150/1160. Auch eine dritte Urkunde, die Erneuerung des Stiftsbriefs aus dem Jahr 1089, die allein in der um 1200 entstandenen Vita Adalberos erhalten ist, wirft zahlreiche Probleme auf. Fest steht heute allein die ungefähre Datierung der angeb­lich 1056 und 1061 ausgestellten Urkunden. Diese zeit­liche Einordnung ergibt sich vor allem aufgrund des paläographischen Befundes, d. h. aufgrund der für diese Zeit typischen Schrift. Was den „Grad ihrer Fälschung“ betrifft, so wird die Frage noch schwieriger. Zum einen deutet die Aufnahme von Papst Gregor VII. und Bischof Altmann von Passau in den Urkundentext auf eine plumpe Fälschung hin: Gregor VII. (1073–1085) wurde erst 17 Jahre nach der angeb­lichen Ausstellung der Gründungsurkunde Papst; Altmann von Passau (1065–1091) wurde erst neun Jahre danach Bischof. Beide galten als hohe Autoritäten, nicht zuletzt aufgrund ihrer kompromisslosen Rolle im Investiturstreit – Altmann war einer der wichtigsten Parteigänger der päpst­lichen Seite und Gründer des Benediktinerstifts Göttweig in Niederösterreich. Zum anderen dürfte aber die in den Urkunden von 1056 und 1061 genannte Ausstattung mit Grundstücken und Mauteinnahmen den tatsäch­lichen Verhältnissen entsprochen haben. Es liegt daher nahe anzunehmen, dass das Kloster Lambach ein Jahrhundert nach seiner Gründung massiv um seine Besitzungen fürchtete und daher neue Bestätigungen fälschte. Vielleicht waren die Originalurkunden damals auch schon verloren oder in einem schlechten Zustand. Von der inhalt­lichen Seite her sind die Urkunden aber – sieht man von der Interpolation (Einfügung) der Namen Altmanns und Gregors VII. ab – eher als „manipulierte Abschriften“ denn als reine Fälschungen anzusehen. [<<59]

Beispiel 4: Abweichungen vom diplomatischen Usus:

Die Ostarrîchi-Urkunde (996) als Empfängerausfertigung

Im Jahr 996 erhielt die Freisinger Kirche den Hof Neuhofen (an der Ybbs, Niederösterreich) samt 30 weiteren Königshufen „in der Gegend, die in der Volkssprache Osta­rrîchi genannt wird“ (in regione vulgari vocabulo Ostarrîchi). Die Erstnennung des Namens „Österreich“ hat dazu geführt, dass dieses Diplom seit jeher besondere Aufmerksamkeit erhielt. Immer wieder tauchte im Zusammenhang mit dieser Urkunde der Verdacht der Fälschung auf, da einige der inneren Merkmale der Schenkung nicht dem unter Otto III. üb­lichen Sprachgebrauch folgten. Dennoch dürfte die Urkunde wohl echt sein, doch handelt es sich um eine sogenannte Empfängerausfertigung. Dabei wurde von der kaiser­lichen Kanzlei auf dem Pergamentblatt zunächst das Eschatokoll eingetragen. Danach wurde diese „Blankourkunde“ der Freisinger Kirche übergeben, die selbst das Protokoll und den Kontext eintrug, wohl nach einem zuvor mit dem Kaiser bzw. der kaiser­lichen Kanzlei abgesprochenen Entwurf. Der Freisinger Schreiber verfügte allerdings nur über eingeschränktes Wissen, was die sprach­lichen Gepflogenheiten der kaiser­lichen Kanzlei betraf. Er nahm sich daher eine ältere Kaiserurkunde zum Vorbild, die schon 973 für Freising ausgestellt worden war. Daher ist die sprach­liche Ähn­lichkeit zwischen der Urkunde von 973 und der Ostarrîchi-Urkunde von 996 evident. Vermut­lich erst danach trug Kaiser Otto III. im Monogramm der Urkunde den Vollziehungsstrich ein und machte sie auf diesem Weg gültig. Derartige Empfängerausfertigungen waren im Mittelalter durchaus üb­lich und ein Vertrauensbeweis des Ausstellers gegenüber dem Empfänger.

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