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II. Zu Absatz 2

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Das Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz ist im Interesse der Verwaltung erlassen worden. Es verleiht der Behörde obrigkeitliche Rechtsmacht. Sie ist die höherrangige Gläubigerin des Schuldners. Diese Rechtsmacht der Behörde muss aus rechtsstaatlichen Gründen und mit Rücksicht auf die Gewaltenteilung allerdings Grenzen haben. Deshalb sind in Absatz 2 notwendige Ausnahmen zu finden.

1. Öffentlich-rechtliche Geldforderungen des Parteistreites

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Zunächst sind wegen der Gleichberechtigung der Beteiligten diejenigen öffentlich-rechtlichen Geldforderungen ausgenommen, die durch Parteistreit vor den Verwaltungsgerichten verfolgt werden müssen. Um einen solchen handelt es sich nur dann, wenn die Verwaltungsbehörde das strittige Rechtsverhältnis nicht selbst auf Grund obrigkeitlicher Gewalt durch Verwaltungsakt regeln kann (BVerwG U 21.9.1966 – 5 C 155/65, juris Rn. 23 ff. = BVerwGE 25, 72 (77 f.)).

Der Grundsatz, dass die Vollstreckungsgewalt einer Verwaltungsbehörde ihrer Verfügungsgewalt entspricht, gilt demnach auch für öffentlich-rechtliche Geldforderungen. Parteistreitigkeiten sind also Streitigkeiten des öffentlichen Rechts zwischen gleichgeordneten selbstständigen Rechtsträgern (ausführlich: Schunck/De Clerck, § 40 S. 177 f.).

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Beispiele:


Streitigkeiten über Geldleistungen, bei denen die öffentlich-rechtlichen Verhältnisse von öffentlichen Sachen umstritten sind. Dabei kann es sich etwa um Streitigkeiten eines Gemeindeangehörigen mit einem anderen oder mit der Gemeindeverwaltung über die Benutzung des Gemeindevermögens einschließlich der Straßen, Flüsse, Anlagen und Einrichtungen handeln. Hier ist die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts, wie auch sonst allgemein, aus § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO herzuleiten.

Insoweit sagt die Regelung des Absatzes 2 ihrem Sinngehalt nach zugleich aus, dass die Behörde bei Parteistreitigkeiten einen Leistungsbescheid gemäß § 3 Abs. 2 Buchst. a nicht erlassen darf. Andernfalls wäre die Bestimmung des Absatzes 2 bedeutungslos, weil dann öffentlich-rechtliche Geldforderungen ausschließlich durch Leistungsbescheid durchzusetzen wären (BVerwG U 28.6.1968 – 7 C 118/66, juris Rn. 44 ff. = NJW 1969, 809 (810)).

2. Anderer Rechtsweg als der Verwaltungsrechtsweg

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Sodann sind auch diejenigen öffentlich-rechtlichen Geldforderungen ausgenommen, für die ein anderer Rechtsweg als der Verwaltungsrechtsweg begründet ist. Die Vollstreckung dieser Geldforderungen bestimmt sich nach den Vorschriften, welche für die Vollstreckung der Titel gelten, die in dem betroffenen Verfahren erwirkt worden sind.

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Beispiele:


Das Gleiche gilt für vermögensrechtliche Ansprüche des Staates gegen den Bürger aus Schadensfällen bei öffentlich-rechtlicher Verwahrung: § 40 Abs. 2 S. 1 VwGO.
Rückständige Kammerbeiträge der Notare werden nach den Vorschriften beigetrieben, die für die Vollstreckung von Urteilen in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten gelten: § 73 Abs. 2 Bundesnotarordnung (vgl. BGH U 8.7.2002 – NotZ 25/01, juris = NJW 2002, 3026).
Das Gleiche gilt für rückständige Kammerbeiträge der Rechtsanwälte: § 84 Abs. 1 Bundesrechtsanwaltsordnung.
Ansprüche nach Artikel VIII Abs. 5 des NATO-Truppenstatus gegenüber der Bundesrepublik Deutschland sind vor den ordentlichen Gerichten geltend zu machen. Das trifft u. a. auf die Erstattung von Kosten zu, die der Polizei bei sofortiger Abwehr einer drohenden Grundwasserverseuchung durch ausgelaufenes Öl eines ausländischen Manöverfahrzeugs entstanden sind (BGH U 27.4.1970 – III ZR 49/69, juris = BGHZ 54, 21).

III. Zu Absatz 3

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Hier legt der Gesetzgeber klärend fest, dass die Vorschriften der Abgabenordnung, des Sozialversicherungsrechts einschließlich der Arbeitslosenversicherung und der Justizbeitreibungsordnung unberührt bleiben.

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Insoweit enthält § 66 Abs. 1 S. 1 Sozialgesetzbuch X eine besondere Regelung: Für die Vollstreckung zugunsten der Behörden des Bundes, der bundesunmittelbaren Körperschaften. Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts gilt ebenfalls das Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz (vgl. von Wulffen/Roos, § 66 Rn. 4 ff.). Nach Absatz 2 dieser Bestimmung gilt das auch für die Vollstreckung durch Verwaltungsbehörden der Kriegsopferversorgung. Für die Vollstreckung zugunsten der übrigen Behörden gelten gemäß § 66 Abs. 3 SGB X die jeweiligen landesrechtlichen Vorschriften über das Verwaltungsvollstreckungsverfahren (vgl. LG Darmstadt B 29.9.1998 – 5 T 879/98, juris L, NVwZ-RR 2001, 314).

Gemäß § 66 Abs. 4 SGB X kann die Behörde die Zwangsvollstreckung aus einem Verwaltungsakt in der Gestalt des Leistungsbescheides auch in entsprechender Anwendung der Zivilprozessordnung vornehmen. Hierfür gelten dann die §§ 704 ff. ZPO. Die Durchführung der Zwangsvollstreckung erfordert die Vorlage der mit einer Vollstreckungsklausel nach § 725 ZPO versehenen vollstreckbaren Ausfertigung des Leistungsbescheides. Das ergibt sich aus der analogen Anwendung des § 724 Abs. 1 ZPO (BGH B 25.10.2007 – 1 ZB 19/07, juris = MDR 2008, 712).

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Über Absatz 3 hinaus bleiben aber auch, allerdings seltene, Vorschriften in Gesetzen unberührt, welche die Vollstreckung besonders regeln. So bestimmt zum Beispiel § 10 Abs. 4 des Betriebsrentengesetzes – BetrAVG –, dass die Zwangsvollstreckung aus Beitragsbescheiden in entsprechender Anwendung der Vorschriften der ZPO stattfindet. Das hat ferner für Verwaltungsakte zu gelten, die als Meldebescheide nach § 11 Abs. 2 BetrAVG zulässig und als Grundlage für den späteren Erlass des Beitragsbescheides notwendig sind (BVerwG U 22.11.1994 – 1 C 22/92, juris = BVerwGE 97, 117).

Anhang: Vergleichbares Landesrecht

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(1) Baden-Württemberg: § 1, § 13 LVwVG.

Gemäß § 1 Abs. 2 S. 1 gilt das Landesgesetz auch, soweit Bundesrecht oder eine völkerrechtliche Vereinbarung eine Vollstreckung im Verwaltungswege nach landesrechtlichen Vorschriften vorsieht. Die Berücksichtigung des Völkerrechts ist durch Artikel 6 des Gesetzes zur Änderung des Landesverwaltungsverfahrensgesetzes und des Landesverwaltungsvollstreckungsgesetzes vom 25.4.1991 (GBl. S. 223, 225) aufgenommen worden. Das ist eine nachahmenswerte Besonderheit, der sich inzwischen Thüringen in § 18 Abs. 2 S. 1 ThürVwZVG angeschlossen hat.

Nach § 1 Abs. 2 S. 2 gilt das Landesgesetz ferner, soweit Bundesrecht die Länder ermächtigt zu bestimmen, dass die landesrechtlichen Vorschriften über die Verwaltungsvollstreckung anzuwenden sind.

(2) Bayern: Art. 18 VwZVG.

(3) Berlin: § 8 Abs. 1 S. 1 VwVfG Berlin verweist auf das VwVG.

(4) Brandenburg: §§ 1, 17 VwVGBbg.

Sind die Länder durch Bundesgesetz ermächtigt zu bestimmen, dass die landesrechtlichen Vorschriften über das Verwaltungszwangsverfahren anzuwenden sind, so findet gemäß § 1 Abs. 3 die Vollstreckung nach den Vorschriften des VwVGBbg statt.

Nach § 1 Abs. 2 gelten die Bestimmungen des Landesgesetzes auch für die Vollstreckung aus solchen schriftlichen öffentlich-rechtlichen Verträgen und gesetzlich zugelassenen schriftlichen Erklärungen, in denen der Schuldner sich zu einer Geldleistung verpflichtet und der Vollstreckung im Verwaltungswege unterworfen hat.

(5) Bremen: § 1 BremGVG.

(6) Hamburg: § 1–3 HmbVwVG.

(7) Hessen: § 1, §§ 15–17b, § 66 HessVwVG.

(8) Mecklenburg-Vorpommern: § 111 Abs. 1 VwVfG M-V.

Es gelten die §§ 1 bis 3 und § 5 VwVG einschließlich der in § 5 Abs. 1 VwVG aufgeführten Vorschriften der Abgabenordnung mit Ausnahme des § 249 AO. Das gilt entsprechend für Stellen und Personen, denen hoheitliche Aufgaben übertragen sind.

(9) Niedersachsen: § 1–67b NVwVG.

(10) Nordrhein-Westfalen: § 1 VwVG NRW.

Sind die Länder durch Bundesgesetz ermächtigt zu bestimmen, dass die landesrechtlichen Vorschriften über das Verwaltungszwangsverfahren anzuwenden sind, so findet gemäß § 1 Abs. 5 die Vollstreckung nach den Vorschriften des VwVG NRW statt.

Nach § 1 Abs. 6 gelten die Bestimmungen des Landesgesetzes auch für die Vollstreckung aus solchen schriftlichen öffentlich-rechtlichen Verträgen und gesetzlich zugelassenen schriftlichen Erklärungen, in denen der Schuldner sich zu einer Geldleistung verpflichtet und der Vollstreckung im Verwaltungswege unterworfen hat.

(11) Rheinland-Pfalz: § 1, § 68, § 71 LVwVG

Gemäß § 68 Abs. 1 Nr. 1 findet die Vollstreckung bei Ansprüchen, für die der Verwaltungsrechtsweg begründet ist, auch aus Verzeichnissen, Tabellen und ähnlichen Urkunden statt, sofern die Vollstreckung durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes besonders zugelassen ist.

Nach § 68 Abs. 1 Nr. 2 findet diese Vollstreckung ferner aus Verträgen statt, wenn sich der Vollstreckungsschuldner in der Urkunde der sofortigen Vollstreckung ausdrücklich unterworfen hat, jedoch mit Ausnahme verwaltungsgerichtlicher Vergleiche.

(12) Saarland: § 1, § 73, § 74 SVwVG.

Gemäß § 73 Abs. 1 Nr. 1 gilt das Landesgesetz entsprechend für die Vollstreckung von Ansprüchen aus öffentlich-rechtlichen Verträgen und gesetzlich zugelassenen schriftlichen Erklärungen, in denen sich der Pflichtige zu einer Handlung, Duldung, Unterlassung oder einer Geldleistung verpflichtet und der Vollstreckung im Verwaltungsvollstreckungsverfahren unterworfen hat.

Nach § 73 Abs. 1 Nr. 2 gilt das Landesgesetz ferner entsprechend für die Vollstreckung von Ansprüchen aus Verzeichnissen, Tabellen und ähnlichen Urkunden, sofern die Vollstreckung durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes besonders zugelassen ist.

(13) Sachsen: § 1, § 12 SächsVwVG.

Gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 2 gilt das Gesetz auch für die Vollstreckungshilfe, welche die vorrangigen Landesbehörden (Abs. 1 Nr. 1) anderen Behörden leisten.

Nach § 1 Abs. 2 gelten die Vorschriften über die Vollstreckung von Verwaltungsakten entsprechend für die Vollstreckung aus öffentlich-rechtlichen Verträgen zu Gunsten der in Absatz 1 Nr. 1 genannten Behörden, Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts, wenn sich der Schuldner in dem Vertrag der sofortigen Vollstreckung unterworfen hat.

Gemäß § 1 Abs. 3 S. 2 gilt das Gesetz ferner, soweit Bundesrecht die Länder ermächtigt, zu bestimmen, dass die landesrechtlichen Vorschriften über die Verwaltungsvollstreckung anzuwenden sind.

(14) Sachsen-Anhalt: § 1, §§ 71-73 VwVG LSA.

(15) Schleswig-Holstein: § 1 Abs. 1, § 2, § 3, § 262, §§ 317–320 LVwG.

Gemäß § 318 sind die Bestimmungen über die Vollstreckung öffentlich-rechtlicher Geldforderungen auf öffentlich-rechtliche Verträge entsprechend anzuwenden, wenn Vertragschließende eine Behörde ist.

(16) Thüringen: § 18 ThürVwZVG.

Gemäß § 18 Abs. 2 S. 1 gilt das Landesgesetz auch, soweit Bundesrecht oder eine völkerrechtliche Vereinbarung eine Vollstreckung im Verwaltungswege nach landesrechtlichen Vorschriften vorsieht. Das Völkerrecht wird bislang nur von Baden-Württemberg in § 1 Abs. 2 S. 1 LVwVG berücksichtigt. Thüringen hat sich dieser Regelung in der Neubekanntmachung des ThürVwZVG vom 27.9.1994 (GVBl. S. 1053, 1057) angeschlossen.

Nach § 18 Abs. 2 S. 2 gilt das Landesgesetz ferner, soweit Bundesrecht die Länder ermächtigt zu bestimmen, dass die landesrechtlichen Vorschriften über die Verwaltungsvollstreckung anzuwenden sind.

Kapitel I Kommentar zum Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz (VwVG) › Erster Abschnitt Vollstreckung wegen Geldforderungen › § 2 Vollstreckungsschuldner

§ 2 Vollstreckungsschuldner

(1) Als Vollstreckungsschuldner kann in Anspruch genommen werden,


a) wer eine Leistung als Selbstschuldner schuldet;
b) wer für die Leistung, die ein anderer schuldet, persönlich haftet.

(2) Wer zur Duldung der Zwangsvollstreckung verpflichtet ist, wird dem Vollstreckungsschuldner gleichgestellt, soweit die Duldungspflicht reicht.

Erläuterungen

I.Zu Absatz 13 – 17

1.Der Selbstschuldner3 – 11

2.Der Haftungsschuldner12 – 14

3.Die öffentliche Hand als Schuldner15, 16

4.Rangfolge bei Inanspruchnahme eines Schuldners17

II.Zu Absatz 218, 19

Anhang:Vergleichbares Landesrecht20

1

Die Regelung des § 2 grenzt den Vollstreckungsschuldner materiell ab und definiert ihn für den Bereich des Verwaltungs-Vollstreckungsgesetzes. Demnach bestimmt die Vorschrift verbindlich, wer als Vollstreckungsschuldner in Anspruch genommen werden kann. Hier darf also nicht die Definition des § 253 AO, der gemäß § 5 Abs. 1 auch für das Verwaltungszwangsverfahren gilt, benutzt werden. Nach § 253 AO ist Vollstreckungsschuldner allgemein und umfassend derjenige, gegen den sich ein Vollstreckungsverfahren richtet. Denn § 2 enthält eine materielle Voraussetzung für die Einleitung der Vollstreckung, § 5 Abs. 1 mit § 253 AO hingegen Verfahrensvorschriften für ihre Durchführung (BFH U 30.3.1976 – VII R 94/75, juris Rn. 9 = BFHE 118, 533 (535)).

Für Vollstreckungen gegen Soldaten der Bundeswehr im Verwaltungszwangsverfahren gilt der Erlass des Bundesministeriums der Verteidigung über „Zustellungen, Ladungen, Vorführungen und Zwangsvollstreckungen bezüglich Soldaten der Bundeswehr“ in der Neufassung vom 23.7.1998 (VMBl. S. 246), geändert durch Erlass vom 10.3.2003 (VMBl 2003, S. 95), durch Erlass vom 14.6.2004 (VMBl 2004, S. 109) und durch Erlass vom 5.10.2016 (GMBl. 2016, 1047) sowie bereinigt am 13.3.2017 (JMBl. NRW 2017, S. 78). Nach Nr. 502 i.V.m. Nr. 501 S. 2 ist im Interesse einer reibungslosen Durchführung der Vollstreckung die vorherige Anzeige an die militärische Dienststelle erforderlich. Sodann wird die Vollstreckung nach den allgemeinen Vorschriften, hier § 5 VwVG, durchgeführt.

2

Bei der Vollstreckung zugunsten der öffentlichen Hand durch den Vorsitzenden des Gerichts des ersten Rechtszuges gemäß § 169 VwGO findet § 2 keine Anwendung. Denn nur die Ausführung der Vollstreckung durch den Gerichtsvorsitzenden richtet sich nach dem Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz. Die materielle Voraussetzung dafür, wer also hier Vollstreckungsschuldner ist, bestimmt ausschließlich der nach § 168 Abs. 1 VwGO zu vollstreckende Titel (Bader § 169 Rn. 2; Redeker/von Oertzen, § 169 Rn. 7). Dort ist der Schuldner speziell bezeichnet.

I. Zu Absatz 1

1. Der Selbstschuldner

3

Vollstreckungsschuldner ist nach Absatz 1 Buchst. a zunächst der Selbstschuldner. Er schuldet eine Leistung als persönliche Schuld. Das gilt auch für den Fall einer Pfändungsverfügung nach § 5 Abs. 1 VwVG i.V.m. § 309 Abs. 1 S. 1 AO (vgl. VG Mainz B 21.4.2010 – 3 L 233/10, juris = NVwZ-RR 2010, 631). Selbstschuldner kann auch eine Personenmehrheit, etwa eine Wohnungseigentümergemeinschaft, sein (OVG Lüneburg B 1.7.2010 – 9 ME 15/10, juris = ZWE 2010, 426, DVBl. 2010, 1060 L). Außer dem ursprünglichen Schuldner ist auch der Gesamtrechtsnachfolger Selbstschuldner, zum Beispiel bei Verschmelzung von Gesellschaften und bei Erbfolge (vgl. § 45 AO).

Nach § 45 Abs. 1 S. 2 AO gilt das jedoch bei der Erbfolge nicht für Zwangsgelder. Denn diese sind höchstpersönlicher Natur. Hier besteht die gleiche Rechtslage wie bei Geldbußen (§ 101 OWiG).

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Der Erbe ist gemäß § 1922 BGB Gesamtrechtsnachfolger des Erblassers. Er ist Selbstschuldner und nicht Haftungsschuldner nach Absatz 1 Buchst. b. Eine Nachlassverbindlichkeit gemäß § 1967 BGB ist eine persönliche Schuld des Erben. Infolgedessen kann er nicht für die Leistung, die ein anderer schuldet, haften: Der verstorbene Rechtsvorgänger schuldet nichts mehr.

Beispiele für Nachlassverbindlichkeiten:


BVerwG U 18.9.1981 – 8 C 72/80, juris = BVerwGE 64, 105.
BVerwG U 9.1.1963 – 5 C 74/62, juris = BVerwGE 15, 234.
BSG U 17.12.1965 – 8 RV 749/64, juris = BSGE 24, 190.
Zahlungsverpflichtung des Erben gemäß § 12 Abs. 4 des Bundesbesoldungsgesetzes.

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Ebenfalls Selbstschuldner ist der Sicherungseigentümer (vgl. BVerwG U 16.7.1968 – 1 C 5/68, juris L, DÖV 1969, 471).

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Selbstschuldner können auch Gesamtschuldner sein. Das Wesen der Gesamtschuld ergibt sich aus § 421 BGB: Mehrere schulden eine Leistung in der Weise, dass jeder verpflichtet ist, die ganze Leistung zu bewirken. Aber der Gläubiger darf die Leistung nur einmal fordern (BVerwG B 4.10.2010 – 3 B 17/10, juris, NVwZ-RR 2011, 45). Der Gläubiger kann die Leistung nach seinem Belieben von jedem der Schuldner ganz oder teilweise fordern. Bis zur Bewirkung der ganzen Leistung bleiben sämtliche Schuldner verpflichtet. Für die Gesamtschuld im Steuerrecht gilt § 44 AO.

§ 421 BGB ist eine allgemein gültige Rechtsgrundlage der selbstschuldnerischen Haftung. Hierbei haben in der Verwaltungsvollstreckung an die Stelle der Worte „nach seinem Belieben“ sinngemäß die Worte „nach seinem Ermessen“ zu treten. Maßstab der Ermessensbildung haben die Zweckmäßigkeit und die Billigkeit zu sein (BVerfG U 29.9.1982 – 8 C 138/81, juris Rn. 21 = NVwZ 1983, 222 (223)).

Beispiele:


Mehrere Wohnungsinhaber für Fehlbelegungsabgabe (BVerwG U 22.1.1993 – 8 C 57/91, juris = NJW 1993, 1667.
Erben gemäß § 2058 BGB (VGH München U 19.7.1976 – 219 VI 74, juris L, BayVBl. 1976, 756).
Mitglieder einer ungeteilten Erbengemeinschaft für Ausgleichsbetrag nach § 154 BauGB (VG Koblenz B 16.12.1993 – 8 L 4832/93, juris = NVwZ-RR 1994, 637).
Mehrere Gesellschafter für die offene Handelsgesellschaft (OVG Münster U 18.9.1974 – 2 B 508/74, juris = OVGE Münster 50, 54 zu § 6 Abs. 1 Nr. 1 VwVG NRW).
Mehrere Grundstückseigentümer für Schornsteinfegergebühren (BVerwG U 21.10.1994 – 8 C 11/93, juris = NVwZ-RR 1995, 305).
Wohnungseigentümergemeinschaft für Grundbesitzabgaben (BVerwG B 11.11.2005 – 10 B 65/05, juris = NJW 2006, 791; VGH Mannheim U 26.9.2008 – 2 S 1500/06, juris = NJW 2009, 1017; BGH U 18.6.2009 – VII ZR 196/08, juris = BGHZ 181, 304; BGH U 11.5.2010 – IX ZR 127/09, juris = NZM 2010, 672).
Ehegatten für Straßenreinigungsgebühren (BVerwG B 25.3.1996 – 8 B 48/96, juris = NVwZ-RR 1997, 248).
Mehrere Veranlasser der Gefahr für das Grundwasser auf einem ehemaligen Tankstellengrundstück (VGH München U 15.3.1999 – 22 B 95.2164, juris = NVwZ 2000, 450).
Miteigentümer für Grundbesitzabgaben (OVG Münster B 27.2.2001 – 9 B 157/01 –, juris = NVwZ-RR 2001, 596; OVG Münster U 15.12.1995 – 9 A 3413/95, juris = NVwZ-RR 1997, 121).

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Selbstschuldner, die als Gesamtschuldner haften, werden nach öffentlichem Recht in Anspruch genommen. Denn das Verwaltungsvollstreckungsverfahren ist von hoheitlicher Natur. Vollstreckungsgrundlage kann zum Beispiel ein Leistungsbescheid sein, der auf Grund einer Gemeindesatzung über die gesamtschuldnerische Haftung von Eltern für Gebühren erlassen wird, die wegen der Benutzung einer Kindertagesstätte durch ihr Kind fällig werden. Dieser Anspruch der Behörde ist vom bürgerlichen Recht unabhängig. Daher ist ein Elternteil auch dann Schuldner der Behörde, wenn er gleichzeitig Unterhalt für sein Kind zahlt (VG Braunschweig U 21.2.2005 – 5 A 319/04, juris Rn. 13 = NJW 2005, 2170 (2171)).

8

Die Entscheidung der Behörde über die Auswahl unter mehreren gesamtschuldnerisch haftenden Personen darf nicht ermessensfehlerhaft, insbesondere nicht offenbar unbillig sein (VGH München U 1.7.1998 – 22 B 98.198, juris = NVwZ-RR 1999, 99; OVG Bautzen U 11.1.1999 – 2 S 518/98, juris = NVwZ-RR 1999, 788; VGH Mannheim B 25.3.2003 – 1 S 190/03, juris = NJW 2003, 2550; BFH U 11.3.2004 – VII R 52/02, juris = NJW 2004, 3061; OVG Greifswald B 17.11.2003 – 1 M 169/03, juris = LKV 2004, 230; VGH München B 14.8.2003 – 22 ZB 03.1661, juris, ZUR 2004, 51 L; OVG Hamburg U 4.5.2001 – 1 Bf. 388/98, juris = NVwZ-RR 2002, 458; VG Chemnitz B 29.1.1997 – 1 K 1996/96, juris = NVwZ-RR 1998, 414; VG Schleswig U 14.6.2004 – 14 A 344/02, juris, NVwZ-RR 2005, 86 L).

9

In den Leistungsbescheiden, die an mehrere Adressaten gerichtet sind, muss die Gläubigerbehörde nicht wörtlich auf die gesamtschuldnerische Haftung hinweisen. Sie sollte es zwar tun. Aber für die gemäß § 37 Abs. 1 VwVfG hinreichende Bestimmtheit eines Leistungsbescheides genügt es, wenn sich durch seine Auslegung eindeutig ermitteln lässt, dass der geforderte Betrag von jedem Adressaten in voller Höhe geschuldet wird, jedoch insgesamt nur einmal zu zahlen ist (BVerwG B 25.3.1996 – 8 B 48/96, juris Rn. 6 = = NVwZ-RR 1997, 248).

10

Eine selbstschuldnerische Haftung scheidet aus, wenn die Inanspruchnahme des Betreffenden grob unbillig wäre (vergleichbar §§ 1579, 1611 Abs. 1 BGB). Dann läge nämlich eine unbillige Härte vor. So haftet zum Beispiel die Tochter nicht für die Bestattungskosten bei dem Tod ihres Vaters, den sie niemals gesehen und der auch nie Unterhalt für sie gezahlt hat (OVG Münster B 2.2.1996 – 19 A 3802/95, juris =NVwZ-RR 1997, 99). In einem solchen Fall ist das Ermessen der Behörde derart auf „Null“ reduziert, dass sie davon absehen muss, ihre Bestattungskosten geltend zu machen.

Die Entscheidung der Behörde über eine unbillige Härte ist nach Feststellung des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes zwar von den Gerichten nach den für Ermessensentscheidungen geltenden Grundsätzen zu prüfen. Jedoch kommt es zu einer weitgehenden Nachprüfbarkeit. Denn der Maßstab der Billigkeit bestimmt Inhalt und Grenzen des pflichtgemäßen Ermessens (GmS-OGB B 19.10.1971 – GmS-OGB 3/71, juris = BVerwGE 39, 355).

11

Mitunter ist unklar, wer Pflichtiger und damit Vollstreckungsschuldner ist. Dieser muss einwandfrei bestimmt sein. Denn er ist Adressat des Leistungsbescheides nach § 3 Abs. 2 Buchst. a. Eine solche Ungewissheit besteht zum Beispiel, wenn die Eigentumsverhältnisse an einem Grundstück nicht feststehen, auf welches sich der Vollzug bezieht. Man denke an Kosten einer Ersatzvornahme. Dann wird zweckmäßigerweise dem Betroffenen eine angemessene Frist gesetzt, diese zivilrechtliche Vorfrage gerichtlich klären zu lassen (VGH München B 9.4.2003 – 20 CS 03.525, juris = NVwZ-RR 2003, 542).

Bei einer Bestattung im eiligen Notfall durch eine Gemeinde kann regelmäßig nicht gleich ermittelt werden, wer für die Bestattung primär verpflichtet ist und folglich deren Kosten zu tragen hat. Sobald die Behörde den Verantwortlichen gefunden hat, nimmt sie ihn als Selbstschuldner in Anspruch.

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