Obwohl diese Phrasen durch beredte Pausen unterbrochen und wie Kugeln abgeschossen wurden, wie es von all denen geschieht, die sich in die Brust werfen, um ihren Gegner zu beschuldigen, drückten sie doch gleichzeitig eine so tiefe, so unerschütterliche Zuneigung aus, daß sich Frau Birotteau im Innersten bewegt fühlte; aber wie alle Frauen benützte sie die Liebe, die sie einflößte, um die Sache zu ihren Gunsten zu entscheiden.
»Nun also, Birotteau,« sagte sie, »dann laß mich doch auf meine Weise glücklich werden. Weder du noch ich haben eine Erziehung genossen, wir können weder uns unterhalten noch einen Diener machen, wie die Leute der feinen Gesellschaft: und wie sollen wir da in einer öffentlichen Stellung Erfolg haben? Und ich, ich würde so glücklich in Trésorières sein! Immer habe ich die Tiere und die kleinen Vögel gern gehabt, und ich würde so gern mein Leben damit verbringen, für die Hühner zu sorgen und eine Landfrau zu sein. Wir wollen unser Geschäft verkaufen, Cäsarine verheiraten und du laß deinen Größenwahn fahren. Wir werden den Winter in Paris leben, bei unserm Schwiegersohn, wir werden so glücklich sein, und nichts, was in der Politik oder im Handel passiert, wird unsre Lebensweise beeinflussen können. Warum wollen wir denn die andern tot machen? Genügt unser jetziges Vermögen nicht für uns? Wenn du Millionär sein wirst, kannst du dann zweimal Mittagbrot essen? Wünschst du dir noch eine andere Frau als mich? Denk doch an meinen Onkel Pillerault! Der hat sich verständigerweise mit seinem kleinen Vermögen begnügt und verbringt sein Leben damit, andern Gutes zu tun. Braucht der etwa schöne Möbel? Natürlich hast du schon die Möbel für mich bestellt: ich habe Braschon hier gesehen, und er ist sicher nicht hergekommen, um Parfüms zu kaufen.«
»Jawohl, mein Herz, deine Möbel sind schon bestellt und mit den Arbeiten hier wird morgen angefangen; geleitet werden sie von einem Architekten, den mir Herr von La Billardière empfohlen hat.«
»Mein Gott,« rief sie aus, »erbarme dich unser!«
»Aber so sei doch vernünftig, liebes Kind. Willst du dich denn mit siebenunddreißig Jahren, so frisch und hübsch, wie du bist, in Chinon begraben? Ich bin ja auch erst, Gottlob, neununddreißig. Das Glück eröffnet mir eine neue Laufbahn, soll ich sie nicht betreten? Wenn ich mich hier mit der gebotenen Vorsicht bewege, dann kann ich ein Haus begründen, das unter der Pariser Bourgeoisie ehrenvoll genannt wird, wie das früher geschehen ist; dann kann ich die Birotteaus begründen, wie es die Kellers gibt, die Jules Desmarets, die Roguins, die Guillaumes, die Lebas, die Nucingens, die Saillards, die Popinots, die Matifats, die in ihrem Viertel etwas bedeuten oder bedeutet haben. Und wenn noch diese Sache nicht so sicher wie Gold wäre …«
»Sicher?«
»Jawohl, sicher. Seit zwei Monaten habe ich es mir ausgerechnet. Ohne daß jemand etwas gemerkt hat, habe ich über die Bauten im Stadthause und bei den Architekten und Unternehmern Erkundigungen eingezogen. Herr Grindot, der junge Architekt, der unsere Wohnung umändern soll, ist unglücklich, daß ihm das Geld fehlt, um sich an unserer Spekulation zu beteiligen.«
»Weil er die Bauten ausführen will, deshalb drängt er euch dazu und will euch ausnutzen.«
»Lassen sich Leute wie Pillerault, Karl Claparon und Roguin ausnutzen? Nein, der Gewinn ist so sicher wie bei der Sultaninnen-Paste.«
»Aber, Liebster, was hat Roguin denn nötig, zu spekulieren, wenn er auf sein Notariat nichts mehr schuldig ist und ein Vermögen gemacht hat? Ich sehe ihn manchmal vorbeigehen, sorgenvoller als ein Staatsminister, mit etwas Verstecktem in seinem Blick, was mir nicht gefällt; als ob er Sorgen verbergen wollte. Seit fünf Jahren hat er ein Gesicht wie ein alter Bummler bekommen. Wer sagt dir, ob er nicht ausrückt, wenn er euer Geld in der Tasche hat? So was ist schon vorgekommen. Kennen wir ihn denn wirklich genau? Mag er sich immer seit fünfzehn Jahren unsern Freund nennen, ich möchte nicht meine Hand für ihn ins Feuer legen. Denke daran, daß er eine Stinknase hat und nicht mit seiner Frau zusammenlebt; sicher hat er Mätressen, die ihn ruinieren; ich kann mir keinen andern Grund für seine trübselige Miene denken. Wenn ich beim Ankleiden durch die Gardinen gucke, sehe ich ihn morgens zu Fuß nach Hause gehn; niemand weiß, wo er da herkommt. Ich habe den Eindruck, daß er noch einen zweiten Haushalt führt, er bezahlt einen und seine Frau einen. Ist das ein Leben, wie es sonst ein Notar führt? Wenn man fünfzigtausend Franken einnimmt und sechzigtausend ausgibt, dann ist das Vermögen in zwanzig Jahren aufgebraucht und man steht nackt da wie ein neugeborenes Kind; weil man aber daran gewöhnt ist, groß aufzutreten, plündert man ohne Erbarmen seine Freunde aus; jeder ist sich selbst der Nächste. Er ist intim mit dem kleinen du Tillet, diesem Lumpen, unserm früheren Kommis; mir ahnt nichts Gutes bei dieser Freundschaft. Wenn er sich über du Tillet nicht klar ist, dann muß er sehr blind sein; wenn er es aber ist, warum ist er so vertraut mit ihm? Du wirst mir antworten, daß seine Frau du Tillet liebt. Nun, ich halte nichts von einem Manne, der in bezug auf seine Frau kein Ehrgefühl hat. Und schließlich, sind die jetzigen Besitzer dieser Terrains wirklich so dumm, daß sie für hundert Sous hergeben, was hundert Franken wert ist? Wenn dir ein Kind begegnet, das nicht weiß, wieviel ein Louisdor wert ist, wirst du ihm nicht sagen, wieviel er gilt? Eure Sache kommt mir, ohne euch beleidigen zu wollen, wie ein Schwindel vor.«
»Mein Gott, wie komisch seid ihr Weiber manchmal, und wie bringt ihr alle Gedanken durcheinander! Wenn ein Roguin nicht bei der Sache beteiligt wäre, dann würdest du sagen: du willst dich auf etwas einlassen, Cäsar, wo Roguin nicht dabei ist? dann ist die Sache nichts wert. Jetzt tritt er dabei als Garant auf, und nun sagst du …«
»Ich denke, das ist Herr Claparon?«
»Aber ein Notar kann doch nicht mit seinem Namen bei einem Spekulationsgeschäft hervortreten.«
»Weshalb macht er denn dann etwas, was das Gesetz verbietet? Was denkst du denn darüber, du, der du doch immer nur nach dem Gesetze handelst?«
»Laß mich doch ausreden. Weil Roguin dabei ist, soll die Sache nicht gut sein. Hat das einen Sinn? Dann sagst du, er macht etwas Gesetzwidriges. Aber er wird schon offen hervortreten, wenn es nötig ist. Ferner sagst du: er ist aber doch schon reich. Kann man nicht von mir dasselbe sagen? Würden vielleicht Ragon und Pillerault zu mir gekommen sein und gesagt haben: Weshalb beteiligst du dich denn, wo du Geld hast wie ein Schweinehändler?«
»Kaufleute und Notare haben nicht die gleiche Position«, sagte Frau Birotteau.
»Mein Gewissen ist hierbei ganz ruhig«, fuhr Cäsar fort. »Die Leute, die verkaufen, tun das, weil sie dazu gezwungen sind; wir betrügen sie ebensowenig, wie man die betrügt, von denen man Renten zu fünfundsiebzig kauft. Heute kauft man die Terrains für den Preis, den sie heute wert sind; in zwei Jahren ist er ein anderer, wie bei den Renten. Und das solltest du wissen, Konstanze Barbara Josefine Pillerault, daß du Cäsar Birotteau niemals auf einer Tat ertappen wirst, die auch nur im geringsten der strengsten Rechtlichkeit, dem Gesetz, dem Gewissen oder dem Zartgefühl widerspricht. Wie kann man jemandem, der seit achtzehn Jahren etabliert ist, in seiner eigenen Familie Unredlichkeit vorwerfen!«
»Nein, Cäsar, nein. Beruhige dich nur. Eine Frau, die so lange an deiner Seite gelebt hat, die kennt dich doch durch und durch. Und schließlich bist du ja der Herr. Du hast doch das Vermögen verdient, also kannst du auch darüber verfügen. Und wenn wir ins äußerste Elend gerieten, weder von mir, noch von deiner Tochter würdest du auch nur ein vorwurfsvolles Wort hören. Aber eins gebe ich dir zu bedenken: als du deine Sultaninnen-Paste und deine Eau Carminative einführtest, wieviel hast du da riskiert? Fünf- bis sechstausend Franken. Heute willst du dein ganzes Vermögen auf eine Karte setzen, und das ist ein Spiel, wo du nicht allein beteiligt bist, sondern wo du Teilhaber hast, die sich als gerissener erweisen können, als du bist. Meinetwegen gib deinen Ball, kauf neue Möbel, das ist zwar überflüssig, das kann uns aber nicht ruinieren. Aber gegen die Sache mit den Terrains an der Madeleine lehne ich mich direkt auf. Du bist Parfümeriehändler, bleibe das, aber werde nicht Terrainhändler. Wir Frauen, wir haben für so etwas ein instinktives Gefühl, das uns nicht täuscht! Ich habe dich gewarnt und nun kannst du ja nach deinem Kopfe handeln. Du bist Handelsrichter gewesen, du kennst die Gesetze, du hast dein Schiff gut gesteuert und ich werde immer mit dir gehn, Cäsar! Aber ich zittere so lange, bis unser Vermögen sicher angelegt und Cäsarine gut verheiratet ist. Gebe der Himmel, daß mein Traum nicht eine Warnung war!«
Diese Unterwürfigkeit war Birotteau peinlich, und er gebrauchte eine unschuldige List, zu der er schon bei ähnlichen Gelegenheiten gegriffen hatte. »Höre, Konstanze, eine bindende Erklärung habe ich noch nicht abgegeben; aber ich habe so gut wie zugesagt.«
»Ach, Cäsar, dann ist es erledigt, reden wir nicht weiter darüber. Erst kommt die Ehre, dann das Vermögen. Und nun geh schlafen, mein Lieber, wir haben kein Holz mehr. Und im Bette werden wir besser reden können, wenn dir das Spaß macht. Ach, dieser scheußliche Traum! Mein Gott, wenn man sich so doppelt sieht! Es ist furchtbar! Cäsarine und ich, wir werden gehörig beten, daß die Terrainsache glückt.«
»Gewiß wird die Hilfe des Himmels nichts schaden«, sagte Birotteau feierlich. »Aber die Nußessenz ist auch eine Macht, mein Kind. Ich habe diese Erfindung wie die der Sultaninnen-Doppelpaste einem Zufall zu verdanken: das erstemal, als ich ein Buch öffnete, diesmal, als ich den Stich von Hero und Leander betrachtete. Du erinnerst dich, wo eine Frau Öl auf das Haupt ihres Geliebten gießt; ist das nicht reizend? Die sichersten Spekulationen sind die auf die Eitelkeit, die Eigenliebe und die Prahlerei. Diese Gefühle werden niemals aussterben.«
»Ach ja, das sehe ich.«
»In einem gewissen Alter sind die Männer, die kein Haar mehr haben, zu allem fähig, um wieder welches zu bekommen. Seit einiger Zeit höre ich von den Friseuren, daß nicht nur das Makassaröl geht, sondern alle Arten von Haarfärbemitteln und von Mitteln, bei deren Anwendung angeblich die Haare wachsen. Seit dem Friedensschlusse sind die Männer viel mehr hinter den Weibern her, und die haben die Kahlköpfe nicht gerne, nicht wahr, mein Liebling? Die Nachfrage nach diesem Artikel erklärt sich also aus der politischen Situation. Ein Mittel, das die Haare gesund erhält, würde abgehen wie warme Semmeln, und um so mehr, da diese Essenz sicher von der Akademie der Wissenschaften approbiert werden wird. Mein lieber Herr Vauquelin wird mich wohl auch dabei wieder unterstützen. Morgen gehe ich hin und unterbreite ihm meine Idee, und dabei werde ich ihm den Stich verehren, den ich nun endlich, nach zweijährigem Suchen in Deutschland, erhalten habe. Er befaßt sich gerade mit der Haaruntersuchung. Chiffreville, der Teilhaber bei seiner Fabrik chemischer Produkte, hat es mir mitgeteilt. Wenn meine Erfindung mit seinen Resultaten übereinstimmt, wird meine Essenz von beiden Geschlechtern gekauft werden. In meiner Idee, ich wiederhole es, steckt ein Vermögen. Ich kann wahrhaftig deshalb nicht schlafen. Glücklicherweise hat der kleine Popinot das schönste Haar, was man sich denken kann. Wenn man dann noch ein Kontorfräulein nimmt, mit Haar, das bis auf die Erde fällt, die, wenn das ginge, ohne bei Gott und Menschen Anstoß zu erregen, sagen könnte, daß das Comagenöl (es wird jedenfalls ein Öl sein) das bewirkt hat, dann werden sich alle Grauköpfe darauf stürzen, wie das Elend auf die Welt. Sag mal, Kleine, und was wird mit unserm Ball? Ich bin nicht bösartig, aber ich möchte gern diesen Kerl, den kleinen du Tillet, dabei sehen, der mit seinem Vermögen großtut und mir auf der Börse immer ausweicht. Er weiß, daß ich etwas, das er gemacht hat, kenne, was nicht schön war. Vielleicht bin ich doch zu gut zu ihm gewesen. Ist es nicht komisch, mein Kind, daß man immer für seine guten Taten bestraft wird, hier auf Erden versteht sich! Ich habe wie ein Vater gegen ihn gehandelt, du weißt gar nicht, was ich alles für ihn getan habe.«
»Ich bekomme eine Gänsehaut, wenn du nur seinen Namen erwähnst. Wenn du gewußt hättest, was er aus dir machen wollte, hättest du über die gestohlenen dreitausend Franken nicht geschwiegen, denn ich habe erraten, wie die Sache arrangiert worden ist. Hättest du ihn der Polizei angezeigt, dann hättest du vielleicht vielen Leuten einen guten Dienst erwiesen.«
»Was beabsichtigte er denn aus mir zu machen?«
»Ach, nichts. Wenn du heute auf mich hören wolltest, dann würde ich dir den guten Rat geben, Birotteau, deinen du Tillet beiseite zu lassen.«
»Würde man es aber nicht merkwürdig finden, wenn ich einen Kommis, für den ich für die ersten zwanzigtausend Franken, mit denen er sein Geschäft angefangen hat, Bürgschaft geleistet habe, nicht einlade? Geh, laß uns gütig sein um des Guten willen. Übrigens hat sich du Tillet auch vielleicht gebessert.«
»Hier wird ja nun wohl alles drunter und drüber gehen.«
»Was redest du da von drunter und drüber? Alles wird hier wie am Schnürchen gehn. Hast du denn schon vergessen, was ich dir über die Treppe und das Mieten der Räume im Nachbarhause, nach der Abmachung mit dem Schirmhändler Cayron, gesagt habe? Wir müssen beide morgen zu Herrn Molineux, seinem Hauswirt, gehn, und ich habe morgen so viel Geschäfte wie ein Minister …«
»Du hast mir mit deinen Projekten den Kopf ganz verwirrt,« sagte Konstanze, »ich finde mich nicht mehr zurecht. Und im übrigen will ich jetzt schlafen, Birotteau.«
»Also guten Morgen«, sagte er. »Höre doch, ich sage dir guten Morgen, denn es ist schon Morgen, mein Liebling. Ach, sie schläft schon, das gute Herz. Ja, du sollst sehr reich werden, oder ich will nicht mehr Cäsar heißen.«
Ein kurzer Blick auf das frühere Leben des Ehepaars wird den Eindruck bestätigen, den der liebevolle Streit der beiden Hauptpersonen dieser Erzählung hervorrufen muß. Diese Schilderung der Sitten des Detaillistenstandes wird gleichzeitig erklären, durch welche eigenartigen Umstände Cäsar Birotteau Beigeordneter und Parfümhändler, früherer Offizier der Nationalgarde und Ritter der Ehrenlegion geworden war. Wenn man das innerste Wesen seines Charakters und die Triebfedern zu seinem Aufstieg klar erkennt, wird man auch verstehen, weshalb kommerzielle Unglücksfälle, die selbst bedeutende Köpfe überwältigen, für kleine Geister zu unheilbaren Katastrophen werden. Geschehnisse können nie abgelöst für sich beurteilt werden, ihre Auswirkungen hängen völlig von den betroffenen Individuen ab: das Unglück ist für das Genie ein Schemel, für den Christen ein Bad, für den gewandten Mann ein Schatz, für die Schwachen ein Abgrund.
Ein Landarbeiter aus der Umgegend von Chinon, namens Jacques Birotteau, heiratete das Kammermädchen der Dame, in deren Weinberg er arbeitete; er hatte drei Söhne, aber bei der Geburt des jüngsten starb die Frau und der arme Mann überlebte sie nicht lange. Die Herrin, die an ihrem Kammermädchen sehr gehangen hatte, ließ Franz, den ältesten Sohn des Arbeiters, mit ihren Söhnen zusammen erziehen und brachte ihn dann in einem Seminar unter. Zum Priester geweiht, mußte sich Franz Birotteau während der Revolution versteckt halten und das Leben der herumirrenden Priester, die den Eid nicht leisten wollten, führen, auf die man wie auf wilde Tiere Jagd machte und die um der geringsten Sache willen hingerichtet wurden. Zur Zeit, da diese Geschichte beginnt, war er Vikar an der Kathedrale von Tours und hatte diese Stadt nur ein einziges Mal verlassen, um seinen Bruder Cäsar zu besuchen. Der Lärm in Paris betäubte aber den guten Priester dermaßen, daß er sein Zimmer nicht zu verlassen wagte, die Kabriolets »Halbchaisen« nannte und über alles staunte. Nach einer Woche kehrte er nach Tours zurück und gelobte sich, niemals wieder die Hauptstadt aufzusuchen. Der zweite Sohn des Weinarbeiters, Johann Birotteau, erlangte, zum Militär eingezogen, schnell den Rang eines Hauptmanns während der ersten Revolutionskriege. In der Schlacht an der Trebbia ließ Macdonald Freiwillige vortreten, die eine Batterie stürmen sollten. Der Hauptmann Johann Birotteau ging mit seiner Kompagnie vor und fiel. Das Schicksal der Birotteaus wollte offenbar, daß sie überall, wo sie Fuß faßten, entweder von den Menschen oder von den Ereignissen zugrundegerichtet werden sollten.
Das letzte Kind war der Held dieser Erzählung. Als Cäsar mit vierzehn Jahren lesen, schreiben und rechnen konnte, verließ er seine Heimat und wanderte zu Fuß nach Paris, mit einem Louisdor in der Tasche, um hier sein Glück zu machen. Auf die Empfehlung eines Apothekers in Tours fand er ein Unterkommen als Hausdiener bei den Ragons, Parfümeriehändlern. Cäsar besaß damals ein Paar mit Eisen beschlagene Schuhe, eine Hose, blaue Strümpfe, eine geblümte Weste, eine Bauernjacke, drei grobe Hemden aus guter Leinwand und seinen Reisestock. Wenn auch sein Haar wie das eines Chorknaben geschnitten war, so hatte er doch die festen Knochen eines Tourainers; wenn er sich manchmal der heimatlichen Faulheit überließ, so wurde das wieder wettgemacht durch das Verlangen, sein Glück zu machen; und wenn ihm auch Geist und Erziehung fehlten, so besaß er dafür einen geraden Sinn und ein von seiner Mutter ererbtes zartes Empfinden, einem Wesen, das, nach dem Tourainer Ausdruck, ein »goldenes Herz« hatte. Cäsar erhielt Essen, sechs Franken Lohn monatlich und eine schlechte Matratze auf dem Boden in der Nähe der Köchin; die Kommis, die ihn zum Einpacken und Gängebesorgen, zum Fegen des Ladens und der Straße anlernten, machten sich über ihn lustig, während sie ihn ausbildeten, wie das in den Ladengeschäften üblich ist, wo die Neckerei ein Hauptelement der Lehrlingszeit bildet; Herr und Frau Ragon kommandierten ihn wie einen Hund. Niemand nahm Rücksicht auf die Ermüdung des Lehrlings, wie schauderhaft ihn auch abends die vom Pflastertreten gequetschten Füße und die wie zerbrochenen Schultern schmerzten. Diese rauhe Lehre des »Jeder für sich«, das Evangelium aller Großstädte, ließ Cäsar das Leben in Paris sehr hart finden. Am Abend weinte er, wenn er an die Touraine dachte, wo der Bauer in Ruhe arbeitet, wo der Maurer den Stein erst zwölfmal herumdreht, bevor er ihn einsetzt, und wo die Faulheit so verständig mit der Arbeit verwoben ist; aber er schlief ein, ohne Zeit zu haben, ein Ausrücken zu überlegen; am nächsten Morgen hatte er schon wieder Gänge zu besorgen, und er tat seine Pflicht mit dem Gehorsam eines Wachthundes. Wenn er sich wirklich einmal beklagte, so lächelte der erste Kommis mit vergnügter Miene.
»Ja, mein Junge,« sagte er, »es ist nicht alles rosig in der ›Rosenkönigin‹, und hier fliegen einem nicht die Tauben gebraten ins Maul; man muß erst hinter ihnen herlaufen, dann sie packen und schließlich verstehen, sie sich zurechtzumachen.« Die Köchin, eine dicke Pikardin, nahm die besten Stücke für sich und richtete an Cäsar nur das Wort, um sich über die Ragons zu beklagen, die sich nicht bestehlen ließen. Gegen Ende des ersten Monats mußte das Mädchen an einem Sonntag das Haus bewachen und begann eine Unterhaltung mit Cäsar. Die sonntäglich gewaschene Ursula erschien dem armen Laufburschen, der ohne diesen glücklichen Zufall an der ersten verborgenen Klippe seiner Laufbahn gescheitert wäre, reizend. Wie alle schutzlosen Wesen verliebte er sich in das erste Weib, das ihm einen freundlichen Blick zuwarf. Die Köchin nahm Cäsar unter ihren Schutz und daraus entstand ein heimliches Liebesverhältnis, über das die Kommis unbarmherzig spotteten. Zwei Jahre später verließ die Köchin Cäsar zu seinem größten Glück wegen eines jungen Drückebergers aus ihrer Heimat, der sich in Paris verborgen hielt, eines zwanzigjährigen Pikarden, der einige Morgen Land besaß und sich von Ursula heiraten ließ.
Zwei Jahre lang hatte die Köchin ihren kleinen Cäsar gut ernährt, hatte ihn in verschiedene Mysterien des Pariser Lebens eingeweiht, das sie ihn in seiner Tiefe hatte kennenlernen lassen und wobei sie ihm aus Eifersucht einen starken Abscheu gegen die schlechten Orte, deren Gefahren ihr nicht unbekannt zu sein schienen, eingeflößt hatte. Im Jahre 1792 hatten sich die Füße des von ihr verratenen Cäsars an das Pflaster, seine Schultern an die Kisten und sein Geist an das, was er die Pariser »Flunkereien« nannte, gewöhnt. Er war daher, nachdem Ursula ihn verlassen hatte, schnell getröstet, zumal sie in keiner Weise seinem angeborenen Gefühl für zarte Empfindung entsprochen hatte. Verdorben und mürrisch, scheinheilig und spitzbübisch, egoistisch und trunksüchtig beleidigte sie das reine Empfinden Birotteaus, ohne daß sie ihm irgendeine günstige Aussicht bot. Der arme Junge sah sich häufig zu seinem Schmerze durch die für naive Seelen am festesten geschmiedeten Fesseln an ein Geschöpf gebunden, das ihm Widerwillen einflößte. Als er sich frei fühlte, war er groß geworden und hatte sein sechzehntes Jahr erreicht. Ursula und die Neckereien der Kommis hatten seinen Geist geweckt und ihn angeregt, in das Handelswesen einzudringen, wobei seine Intelligenz sich hinter seiner Einfachheit verborgen hielt; er beobachtete die Kunden, ließ sich, wenn nichts zu tun war, die Waren erklären, deren Verschiedenheiten und Anordnung er sich merkte; und bald kannte er die einzelnen Artikel, ihren Preis und ihr Warenzeichen besser, als das sonst bei Neulingen der Fall ist; Herr und Frau Ragon fingen nun an, ihn anderweitig zu beschäftigen.
Am Tage, da die furchtbare Aushebung des Jahres II das Haus bei dem Bürger Ragon leer machte, benutzte Cäsar Birotteau, der zum zweiten Kommis aufgestiegen war, die Gelegenheit, um fünfzig Franken Gehalt monatlich zu erreichen, und setzte sich mit unaussprechlicher Freude mit Ragons zu Tisch. Der zweite Kommis der Rosenkönigin, der nun sechshundert Franken hatte, erhielt ein Zimmer, wo er in den seit langem ersehnten Möbeln die kleinen Andenken, die er sich gesammelt hatte, unterbringen konnte. An den Feiertagen der Dekade kleidete er sich wie die jungen Leute dieser Zeit, denen die Mode vorschrieb, rohe Manieren anzunehmen, und der freundliche, bescheidene Bauer verstand es, sich wie ihresgleichen zu benehmen, so daß er die Grenzen, die zu andern Zeiten die Dienstbarkeit zwischen der Bourgeoisie und ihm gezogen hätte, überschritt. Gegen das Ende dieses Jahres wurde er seiner Ehrlichkeit halber an die Kasse gesetzt. Die stattliche Bürgerin Ragon hielt die Wäsche des Kommis instand und die beiden Eheleute kamen in ein vertrauliches Verhältnis mit ihm. Im Vendémiaire des Jahres 1794 wechselte Cäsar die hundert Louisdor, die er besaß, gegen sechstausend Franken Assignaten ein, kaufte dafür Renten zu einem Kurse von dreißig Franken, bezahlte sie einen Tag vor der Herabsetzung der Assignaten an der Börse und verschloß seine Titres mit dem Gefühl unsagbaren Glückes. Von diesem Tage an verfolgte er die Börsenkurse und die politischen Ereignisse mit geheimer Angst, die ihn bei Unglücksfällen oder Erfolgen, die diese Periode unsrer Geschichte kennzeichnen, erzittern ließ. Herr Ragon, ehemals Hoflieferant Ihrer Majestät der Königin Marie-Antoinette, bekannte in solchen kritischen Momenten Cäsar Birotteau vertraulich seine Anhänglichkeit an die gestürzten Tyrannen. Diese Bekenntnisse wurden von der wichtigsten Bedeutung für Cäsars Lebensgestaltung. Die abendlichen Unterhaltungen nach Schluß des Geschäfts, wenn die Straßen ruhig geworden und Kasse gemacht war, begeisterten den Tourainer, der, wenn er Royalist wurde, damit nur seiner angeborenen Empfindung gehorchte. Die Erzählung der tugendhaften Handlungen Ludwigs XVI., die Mitteilungen, bei denen sich die beiden Eheleute für die Verdienste der Königin begeisterten, erregten die Einbildungskraft Cäsars. Das schreckliche Geschick dieser beiden gekrönten Häupter, die wenige Schritte von dem Laden entfernt gefallen waren, empörte sein empfindsames Herz und erfüllte ihn mit Haß gegen eine Regierungsform, der es nichts bedeutete, unschuldiges Blut zu vergießen. Sein kaufmännischer Verstand sagte ihm, daß, wenn es zum Äußersten und zu politischen Stürmen kam, die immer den Geschäften schädlich sind, der Handel zugrunde gehen müsse. Außerdem haßte er als echter Parfümhändler eine Revolution, die jedermann mit einem Tituskopf herumgehen ließ und das Pudern abschaffte. Und da nur die Ruhe, die die absolute Herrschaft gewährt, das Geld wieder lebendig machen kann, so wurde er fanatischer Royalist. Als Ragon ihn für geeignet erkannte, machte er ihn zum ersten Kommis und weihte ihn in das Geheimnis der Rosenkönigin ein, wo mehrere Kunden die tätigsten und hingehendsten Emissäre der Bourbonen waren, und von wo aus die Korrespondenz des Westens mit Paris geleitet wurde. Fortgerissen von der Heißblütigkeit der Jugend und begeistert durch die Beziehungen zu den Georges, den la Billardière, den Montauran, Bauvan, Longuy, Manda, Bernier, du Guénis und Fontaine stürzte sich Cäsar in die Verschwörung der vereinigten Royalisten und Terroristen, die am 13. Vendémiaire gegen den in den letzten Zügen liegenden Konvent zum Ausbruch gelangte.
Cäsar hatte die Ehre, gegen Napoleon auf den Stufen von Saint-Roch zu kämpfen und gleich zu Anfang des Gefechtes verwundet zu werden. Jeder kennt den Ausgang dieses Unternehmens. Wenn der Adjutant von Barras dabei aus seiner Obskurität heraustrat, so wurde Birotteau durch die seinige gerettet. Einige Freunde brachten den kriegerischen ersten Kommis in die Rosenkönigin, wo er auf dem Boden versteckt, von Frau Ragon verbunden und glücklicherweise vergessen wurde. Cäsar Birotteau hatte nur dieses eine Aufflammen militärischen Mutes gezeigt. Während des Monats, den seine Wiederherstellung dauerte, stellte er praktische Erwägungen über die lächerliche Verbindung von Politik und Parfümerie an. Wenn er auch Royalist blieb, so beschloß er doch, klar und einfach ein royalistischer Parfümhändler zu sein, ohne sich jemals wieder zu kompromittieren, und sich dem mit Leib und Seele hinzugeben.
Am 18. Brumaire beschlossen Herr und Frau Ragon, die an dem Erfolge der Königspartei verzweifelten, das Geschäft aufzugeben und als ruhige Bourgeois zu leben, ohne sich weiter um die Politik zu kümmern. Um den Preis für ihr Geschäft zu erhalten, mußten sie einen Menschen finden, der mehr Ehrlichkeit als Ehrgeiz besaß, mehr einfachen gesunden Verstand als Begabung. Ragon bot daher seinem ersten Kommis den Kauf an. Birotteau, der mit zwanzig Jahren bereits tausend Franken Rente aus Staatspapieren besaß, zögerte mit der Zusage. Sein Ehrgeiz beschränkte sich darauf, sich bei Chinon niederlassen zu können, wenn er fünfzehnhundert Franken Rente besitzen und der erste Konsul die Staatsschuld konsolidiert haben würde, indem er sich selbst in den Tuilerien konsolidierte. Weshalb sollte er eine anständige bescheidene Unabhängigkeit den Chancen des Handelslebens opfern? Niemals hatte er geglaubt, daß er ein so beträchtliches Vermögen erwerben würde, das er ja auch nur Glücksfällen verdankte, denen man sich allein in der Jugend überliefert; er gedachte also in der Touraine ein Mädchen zu heiraten, das ebenso reich wäre wie er, um dann Les Trésorières kaufen und bebauen zu können, ein kleines Gut, wonach er, seitdem er erwachsen war, sich gesehnt hatte, das er zu vergrößern hoffte, woraus er ein Einkommen von tausend Talern zu erzielen gedachte und wo er in der Verborgenheit ein glückliches Leben führen wollte. Schon wollte er ablehnen, als die Liebe plötzlich alle seine Pläne über den Haufen warf und seine ehrgeizigen Ansprüche verzehnfachte.