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Epilog des zweiten Zehent

Ob­wohl die­ses zwei­te Ze­hent an sei­ner Fassa­de die Auf­schrift trug, wel­che be­sag­te, daß es bei Schnee und Käl­te sei­ner Vollen­dung ent­ge­gen­ge­führt wor­den, er­scheint es nun doch erst im schö­nen Mo­nat Juni, im Ro­sen­mond; denn der gu­ten Muse, de­ren Die­ner und Un­ter­tan der Au­tor ist, schi­en die Zeit der Krän­ze al­lein wür­dig für ihre Früch­te; die Dame hat mehr Gril­len und Lau­nen als die Lie­be ei­ner phan­tas­ti­schen Kö­ni­gin, und nie­mand wird sich je rüh­men kön­nen, ih­rer Un­be­stän­dig­keit Herr zu wer­den. Oft, wenn ein erns­tes Pro­blem den Geist des Au­tors be­schäf­tigt und schwe­re Ge­dan­ken wie Gei­er an sei­nem Ge­hirn fres­sen, ist das Lu­der­chen da, flüs­tert ihm la­chend und ki­chernd ihre Toll­hei­ten ins Ohr, kit­zelt ihn mit der Fe­der un­ter der Nase, tanzt eine Sa­ra­ban­de vor sei­nen Au­gen, kurz, tut, als ob sie das Haus zum Fens­ter hin­aus­wer­fen woll­te. Wenn zu sei­nem Un­glück dann der arme Schrei­bers­mann sei­ne stren­ge Wis­sen­schaft ver­läßt und sagt: War­te, mein Lieb­chen, gleich bin ich be­reit! – und wenn er sich schon er­hebt, um mit der Dir­ne sich einen ver­gnüg­ten Tag zu ma­chen, husch, ist sie weg und hockt ir­gend­wo in ei­nem ver­steck­ten Win­kel und schmollt. Es nützt gar nichts, die Rute, den Stock und die Peit­sche ge­gen sie auf­zu­he­ben, es nützt auch nichts, sie we­gen ih­rer Un­art noch so sehr aus­zu­zan­ken, da kau­ert sie und schmollt. Ob man ihr das Haar zer­rauft und die Klei­der zer­reißt, sie schmollt; ob man sie lieb­kost und ihr gute Wört­lein gibt, sie schmollt. Ihr könnt sie in den Arm neh­men und auf den Mund küs­sen, ihr könnt sie euer Vi­el­lieb­chen hei­ßen, sie grollt und schmollt. Sie klagt und wim­mert, sie friert, sie will ster­ben vor Elend. Zum Teu­fel dann die Lie­be, zum Teu­fel das La­chen und die Lust, zum Teu­fel alle gu­ten Schwän­ke und Ge­schich­ten.

Aber legt ihr dann Trau­er an um ih­ren Tod und fangt an, um sie zu wei­nen, hei­sa, hebt sie das Köpf­chen, bricht in ein tol­les La­chen aus, ent­fal­tet ihre wei­ßen Flü­gel, er­hebt sich in die Lüf­te, schlägt tau­send Pur­zel­bäu­me, zeigt bald den greu­li­chen Schwanz ei­nes Teu­fels, bald die wei­ßen Brüs­te ei­nes schö­nes Weibs; zeigt bald ihre üp­pi­gen Hüf­ten, bald das Ge­sicht ei­nes En­gels, schüt­telt ihr rei­ches, duf­ti­ges Haar, wälzt sich auf den Strah­len der Son­ne, leuch­tet ganz von Schön­heit, schil­lert in far­bi­gem Glanz wie der Hals ei­ner Tau­be und lacht dann wie­der, daß ihr die Trä­nen in die Au­gen tre­ten. Und ihre Trä­nen fal­len nie­der ins Meer, wo die Fi­scher sie als Per­len wie­der­fin­den, um die Stirn schö­ner Kö­ni­gin­nen da­mit zu schmücken. Kurz, sie voll­führt Ka­prio­len und Sprün­ge wie ein jun­ges los­ge­las­se­nes Fül­len und zeigt hun­dert­mal ih­ren wei­ßen jung­fräu­li­chen Bug und noch köst­li­che­re Din­ge, bei de­ren An­blick ein Papst sich in die Ver­damm­nis stür­zen wür­de.

Wäh­rend die­ser Toll­hei­ten der un­ge­zähm­ten Ran­ge kom­men dann die Dumm­köp­fe und Phi­lis­ter und fra­gen den ar­men Dich­ter: »Wo ist dein Pe­ga­sus? Wo ist dein neu­es Ze­hent? Ihr seid ein schlech­ter Wor­thal­ter. Nun ja, man kennt Euch. Drei­vier­tel Eu­rer Zeit ver­praßt Ihr, und in den Zwi­schen­pau­sen liegt Ihr auf der fau­len Haut. Wo ist nun Euer Werk?«

Ob­wohl ich von Na­tur sanf­ten Ge­müts bin, möch­te ich ein­mal einen die­ser Her­ren an ei­nem tür­ki­schen Mar­ter­pfahl an­ge­bun­den se­hen, um ihm zu sa­gen: »Wie geht’s, Freund­chen, nicht auf der Ha­sen­jagd heut?«

Hier en­det das zwei­te Ze­hent. Möge der Teu­fel es auf sei­nen Hör­nern da­hin­tra­gen, so kann ich si­cher sein, daß es von der lus­ti­gen Chris­ten­heit gut auf­ge­nom­men wird.

Drittes Zehent



Prolog

Ei­ni­ge ha­ben den Au­tor dar­über zur Rede ge­stellt, warum er gar so­viel Toll­hei­ten in die­se Ge­schich­ten ge­bracht und ob er denn kein Jahr ver­ge­hen las­sen kön­ne, ohne einen Sack voll Bos­hei­ten aus­zu­schüt­ten, kurz, was es über­haupt für einen Zweck habe, wei­ßes Pa­pier vol­ler Beistri­che zu ma­len, mit nichts­nut­zi­gen Wör­tern da­zwi­schen, bei de­nen die Da­men in der Öf­fent­lich­keit er­rö­ten müs­sen, und was der­glei­chen dum­mes Ge­trätsch mehr ist.

Der Au­tor er­klärt hier­mit: daß sol­che heuch­le­ri­sche Re­den, die ihm wie Stei­ne auf sei­nen Weg ge­wor­fen wer­den, ihn in tiefs­ter See­le ge­rührt ha­ben. Er kennt ge­nü­gend sei­ne Pf­licht und will gern in die­sem Pro­log die­ser ab­son­der­li­chen Art von Le­sern, ob­wohl er es wie­der­holt ge­tan, von neu­em sei­ne Grün­de aus­ein­an­der­set­zen, da man sich nie die Mühe ver­drie­ßen las­sen darf, den Kin­dern so lan­ge Ver­nunft zu pre­di­gen und zu wie­der­ho­len, bis sie grö­ßer ge­wor­den sind und euch in Ruhe las­sen, weil sie end­lich be­grei­fen. Und wahr­lich, es sind eine Men­ge dum­mer Bu­ben un­ter den Leu­ten, die da ihr Ge­schrei er­he­ben und die so tun, als ob sie nicht be­grif­fen, worum es sich in die­sen Ge­schich­ten han­delt.

Zu­nächst sage ich euch das: Wenn ei­ni­ge tu­gend­haf­te Da­men, ich sage tu­gend­haf­te, weil die lie­der­li­chen und nichts­nut­zi­gen viel lie­ber neue und un­ge­druck­te Ge­schich­ten sel­ber ma­chen, als daß sie die mei­ni­gen le­sen, wäh­rend im Ge­gen­teil die tu­gend­haf­ten, from­men und zu­rück­hal­ten­den Da­men, als wel­che, dar­an ist kein Zwei­fel, vor den hier be­han­del­ten Din­gen im Le­ben und in der Wirk­lich­keit einen großen Ekel ha­ben, sie flei­ßig und auf­merk­sam le­sen, um dem Geist der Neu­gier­de in sich ge­nug­zu­tun und dann im Le­ben um so stren­ger zu sein. Ver­steht ihr mich, ihr An­wär­ter der Hahn­rei­schaft? Bes­ser ist es, durch den In­halt ei­nes Bu­ches Hahn­rei zu wer­den als durch die Ma­chen­schaft ei­nes Jun­kers. Ihr könnt nur Vor­teil dar­aus ha­ben, ihr gu­ten Knicke­bei­ne­ri­che, ab­ge­se­hen da­von, daß eure ver­lieb­te Dame es manch­mal doch auch euch zu­gu­te kom­men läßt, was durch die­ses Buch in ihr an­ge­regt und auf­ge­regt wor­den ist. Und also müs­sen die­se Ge­schich­ten not­wen­dig dazu bei­tra­gen, die Frucht­bar­keit, die Freu­de, die Ehre und die Ge­sund­heit des Lan­des zu er­hö­hen. Ich sage die Freu­de, weil je­der dar­an sei­ne Freu­de ha­ben muß; ich sage die Ehre, weil dies Buch ein Ta­lis­man ist ge­gen die Klau­en je­nes Dä­mons, des­sen Name auf gut alt­deutsch ›Hahn­reit­um‹ lau­tet. Ich sage die Ge­sund­heit, weil die­se Ge­schich­ten großen An­reiz ge­ben zu je­nem Tränk­lein oder Fil­ter, das von der in­fal­liblen me­di­zi­na­len Fa­kul­tät von Sa­ler­no un­ter An­dro­hung der Pletho­ra ce­re­bra­lis al­len Gläu­bi­gen vor­ge­schrie­ben ist. Und nun sagt, ob ihr je in an­dern ty­po­gra­phisch ge­schwärz­ten Hef­ten sol­che Vor­tei­le ge­fun­den habt? Es ist zum La­chen. Wo sind denn die Bü­cher, durch die Kin­der ge­macht wer­den? Ihr wer­det um­sonst da­nach su­chen. Um so mehr wer­det ihr Kin­der fin­den, die lang­wei­li­ge Bü­cher ma­chen.

Ich neh­me mei­ne un­ter­bro­che­ne Rede wie­der auf. Wenn also wirk­lich ei­ni­ge Da­men mit tu­gend­haf­tem Her­zen und aus­schwei­fen­dem Geist öf­fent­lich über mein Buch Be­schwer­de ge­führt ha­ben, so wis­set, daß eine gan­ze An­zahl der­sel­ben, weit da­von ent­fernt, den Au­tor mit Vor­wür­fen zu über­häu­fen, ihm all­zeit ihre Lie­be und Ver­eh­rung an den Tag ge­legt, ihn für einen tap­fern und furcht­lo­sen Mann, ja für wür­dig er­klärt ha­ben, ein Mönch im Klos­ter The­les­ma zu wer­den. Und mit so­viel Grün­den, als es Ster­ne am Him­mel gibt, ha­ben sie ihn be­stärkt und er­mun­tert, sei­ne lus­ti­gen Ge­schich­ten wei­ter zu er­zäh­len, sei­ne Tad­ler zu ver­ach­ten und mu­tig auf sein Ziel los­zu­ge­hen, da die Welt ein Weib­sen ist, die sich sträubt, wenn man, ihr wißt schon was, von ihr will, ein Ge­schrei macht, mit al­len vie­ren um sich schlägt, mit Re­dens­ar­ten um sich wirft wie: »Nein, nein, nie. Was fällt Euch ein, mein Herr! Geht doch, Ihr wer­det un­ver­schämt …«, aber, wenn das Ze­hent fix und fer­tig ist, sich plötz­lich vol­ler Lie­bens­wür­dig­keit zeigt und sagt: »Wie schön, mein Herr und Meis­ter, habt Ihr noch an­de­re von der Sor­te?«

Vor al­lem aber seid über­zeugt, daß der Au­tor als ein Hans Gut­ge­sell und Bru­der Leicht­fuß je­ner an­dern Dame, die ihr Mode, Welt­gunst oder Frau Fama nennt, ein Schnipp­chen schlägt und sich den Kuckuck schert um ihr Ge­schrei, Ge­heul und Ge­stram­pel, denn er weiß, daß die­ses Frau­en­zim­mer im Grund eine große Hure ist, die sich mit Ver­gnü­gen not­züch­ti­gen läßt. Die Pa­ro­le die­ser Welt ist dem Au­tor sehr wohl be­kannt. Sie lau­tet: Es lebe das Le­ben! Ein schö­nes Wort, bei Gott. Aber ei­ni­ge Skribler ha­ben sei­nen Sinn ver­kehrt, als wel­cher kein an­de­rer sein kann als das: Das ist das Le­ben, packt es am Schopf, wenn es euch nicht ent­wi­schen soll! Die­sen Sinn hat Meis­ter Ra­be­lais dem Au­tor ver­ra­ten. Also hin­weg, Phi­lis­ter­pack! Ei­nen Tusch, Mu­si­kan­ten! Und still da, ihr Gries­grame! Ihr lus­ti­gen Ge­sel­len aber, her­bei! Her­bei, ihr ver­lieb­ten Pa­gen, gebt der Dame die Hand, nicht ohne sie zu kit­zeln, wo sie hohl ist. Die Hand na­tür­lich. Ihr lacht? Ja, das ist scho­las­ti­sche und pe­ri­pa­te­ti­sche Phi­lo­so­phie, oder der Au­tor hat nie­mals sei­nen Ari­sto­te­les ge­le­sen. Auf sei­ner Sei­te steht Frank­reich mit der kö­nig­li­chen Stan­dar­te, auf sei­ner Sei­te der Pa­tron des Lan­des, der große hei­li­ge Dio­ny­si­us, der mit ab­ge­schla­ge­nem Kopf noch aus­ge­ru­fen hat: »Es lebe das Le­ben!« Wollt ihr be­haup­ten, ihr Rhi­no­zerös­ser, dies sei eine Fäl­schung? Ihr wer­det euch hü­ten! Vie­le zu je­ner Zeit ha­ben das Wort ge­hört; aber wer glaubt noch an die Hei­li­gen in un­sern trau­ri­gen Ta­gen?«

Der Au­tor hat noch lan­ge nicht al­les ge­sagt. Wis­set also, die ihr die­se Ge­schich­ten lest mit Hän­den und Au­gen und auch mit dem Ver­stand und sie liebt, weil sie euch eine Lust und Freu­de sind, wis­set, daß der Au­tor ei­nes schlim­men Tags sei­ne Axt, id est sei­ne Erb­schaft, ver­lo­ren hat­te und, da er sie nicht wie­der­fin­den konn­te, sich in großer Not und Be­dräng­nis sah. Er tat also wie je­ner Holz­ha­cker in dem Pro­log sei­nes ver­ehr­ten Meis­ters Ra­be­lais und sand­te sei­ne fle­hen­den Schreie zum Him­mel, um von Dem dort oben, der der Herr über alle Din­ge ist, ge­hört zu wer­den und eine neue Axt zu er­hal­ten. Hat­te aber der Al­ler­höchs­te ge­ra­de alle Hän­de voll zu tun mit den Kon­gres­sen und Kon­zi­li­en der Zeit und ließ dar­um in der Eile dem Au­tor von dem Herrn Mer­kur ein dop­pel­tes Tin­ten­faß her­un­ter­schmei­ßen, auf dem nach der Art der De­vi­sen fol­gen­de drei Buch­sta­ben ein­ge­gra­ben wa­ren: AVE. Da war der arme Kerl erst recht übel dar­an; denn er konn­te sich nicht den­ken, zu was Rat und Hil­fe das Ding gut sein könn­te. Dreh­te er also das selt­sa­me Zwil­lings­fäß­lein um und um, ob er hin­ter sei­nen ge­hei­men Sinn ge­lan­gen und in den ge­heim­nis­vol­len Buch­sta­ben eine See­le zu fin­den ver­möch­te. Er er­kann­te aus dem Ge­schenk so viel, daß Gott ein höf­li­cher Mann ist, wie die großen Her­ren zu sein pfle­gen, um wie­viel mehr Er, der Fürst der Welt, der Kö­nig al­ler Kö­ni­ge. Aber in­dem der Au­tor nun sei­ne Ju­gend über­dach­te, konn­te er nicht fin­den, dem lie­ben Gott je einen be­son­de­ren Ge­fal­len ge­tan zu ha­ben, also daß er nicht ohne Grund den Ver­dacht heg­te, es möch­te auch hin­ter der gött­li­chen Höf­lich­keit nicht viel ver­steckt sein. We­nigs­tens streng­te er sich ver­geb­lich an, in dem himm­li­schen Werk­zeug ir­gend­ei­ne Nütz­lich­keit zu ent­de­cken. Aber wie er das ge­nann­te dop­pel­te Tin­ten­faß im­mer wie­der um und um dreh­te, be­trach­te­te und be­tas­te­te von al­len Sei­ten, mit dem Fin­ger­knö­chel dran poch­te, ob es ihm Ant­wort ge­ben möch­te, es füll­te und wie­der aus­leer­te, es bald auf die eine, bald auf die and­re Sei­te leg­te, bald auf den Fuß, bald auf den Kopf stell­te: da las er ein­mal zu­fäl­lig die drei Buch­sta­ben in um­ge­kehr­ter Fol­ge. Er las EVA.

Was will aber Eva an­ders hei­ßen als alle Frau­en, vor­ge­stellt in ei­ner ein­zi­gen Frau, alle Wei­ber in ei­nem ein­zi­gen Wei­be. Es war dem­nach durch die gött­li­che Stim­me dem Au­tor ge­sagt wor­den: »Denk an das Weib; das Weib wird dei­ne Wun­de hei­len und dei­ne lee­ren Ta­schen fül­len, das Weib ist dein Gut, dein Ver­mö­gen. Habe nur eine Frau, hätschle und tätschle sie, zie­he sie schön an, um sie noch schö­ner aus­zu­zie­hen, trei­be einen Kul­tus mit die­ser Frau. Das Weib ist al­les, sie ist ein Ab­grund, schöp­fe aus die­sem Ab­grund. Das Weib liebt die Lie­be, gib ihm Lie­be aus dei­nem Tin­ten­faß, schmeich­le sei­nen Phan­tasi­en und male ihm die tau­send Ge­stal­ten der Lie­be in eben­so vie­len rei­zen­den Bil­dern. Die Frau­en sind groß­mü­tig, sie ste­hen eine für alle und alle für eine, sie wer­den dir dei­ne Ge­mäl­de loh­nen und da­für sor­gen, daß dein Pin­sel nicht kahl wird. Und also ver­ste­he, was ge­schrie­ben steht: Ave, das heißt Heil; Eva, das heißt das Weib; also: dein Heil im Wei­be. In der Tat ist das Weib zu­gleich un­ser Heil und un­ser Un­heil.

So sei mir will­kom­men, Tin­ten­faß. Was liebt aber das Weib am meis­ten? Was will das Weib? Alle Din­ge, die mit der Lie­be zu­sam­men­hän­gen, und so ist es recht. Das Weib ist das Sym­bol der Na­tur. Frucht­bar­keit ist ihr Be­ruf. Lie­ben, zeu­gen, her­vor­brin­gen ist ihre drei­ei­ni­ge Auf­ga­be. Und also will­kom­men mir, Weib; will­kom­men mir, Eva!

Und dann be­gann der Au­tor, sein Tin­ten­faß zu brau­chen und dar­aus zu schöp­fen. Ein frucht­ba­res Tin­ten­faß war das und war ge­füllt mit ei­ner ze­re­bra­len Sub­stanz, mit ei­nem Ge­bräu aus Got­tes Kü­che voll über­na­tür­li­cher Kräf­te. Mit der schwar­zen Tin­te aus dem einen Hal­se schrieb er erns­te Din­ge; lus­ti­ge Narr­hei­ten quol­len aus der an­dern Hälf­te in ro­ter Tin­te. Manch­mal aber hat der Au­tor aus Acht­lo­sig­keit die bei­den Tin­ten ver­mengt, daß es ganz bunt­sche­ckig wur­de auf den Sei­ten sei­nes Hefts. Oft, wenn er ein schwe­res Werk nach dem Ge­schmack die­ser Zeit vollen­det, in ei­nem Stil, den zu ho­beln und zu glät­ten, zu bü­geln und po­lie­ren ihm un­end­li­che Mühe ge­macht, hat­te er Lust nach ver­gnüg­li­che­rem Tun, und un­ge­ach­tet des ge­rin­gen Vor­rats der lus­ti­gen Tin­te auf der lin­ken Sei­te, tunk­te er herz­haft ein und schrieb die­se sehr lus­ti­gen und toll­dreis­ten Ge­schich­ten, de­ren Au­to­ri­tät und Wür­de nie­mand an­zwei­feln wird, da sie aus gött­li­cher Quel­le flös­sen, wie es die ein­fa­che Er­zäh­lung des Au­tors un­um­stöß­lich be­weist.

Frei­lich, ei­ni­ge Lum­pen­ker­le wer­den we­gen die­ser Pa­ra­bel ein neu­es Ge­schrei an­he­ben. Und dar­über braucht man sich nicht zu wun­dern, da be­kannt­lich auf die­sem Kotsprit­zer des Kos­mos, den man die Erde nennt, nicht ein ein­zi­ger Mensch, nicht ein Stum­pen von Mensch zu fin­den ist, der da­mit voll­kom­men zu­frie­den wäre. So ist der Au­tor in kei­ner schlim­me­ren Lage als Gott sel­ber. Er schafft ein­zig und al­lein in Nach­ah­mung Got­tes und be­weist dies durch at qui. Denn nicht wahr, durch die Ge­lehr­ten ist be­wie­sen und in vol­ler Klar­heit dar­ge­tan, daß Gott der Herr nicht nur die großen Wel­ten, so­zu­sa­gen die großen Ma­schi­nen er­schaf­fen hat, mit ge­wal­ti­gem Ket­ten- und Rä­der­werk, mit un­ge­heu­ren Ge­wich­ten und schreck­li­chem Ge­tö­se, also daß das Spiel ih­rer Kräf­te fast furcht­bar an­zu­se­hen ist, son­dern daß ihn manch­mal auch die Lau­ne an­kam, klei­ne­re und un­be­deu­ten­de­re Sa­chen zu ma­chen, när­ri­sche und gro­tes­ke Ge­bil­de, wor­über man wohl la­chen und sei­ne Lust dar­an ha­ben darf. Oder ist es nicht so? Und eben­so ver­hält es sich auch mit je­dem be­deu­ten­den Werk und ins­be­son­de­re mit dem ge­wal­ti­gen Bau, den der Au­tor auf­zu­füh­ren un­ter­nom­men hat. Die­se fast über­mensch­li­che Auf­ga­be, die­ses lang­at­mi­ge, groß an­ge­leg­te Werk, das sei­ne Kräf­te zu über­stei­gen droht, konn­te er nur zu Ende füh­ren, in­dem er nach dem Bei­spiel des Wel­ten­schöp­fers sich von Zeit zu Zeit an leich­teren Sa­chen er­lus­tig­te, an der Bil­dung zier­li­cher In­sek­ten und lä­cher­li­cher klei­ner Un­ge­tü­me, die er dann mit bun­ten Far­ben schmück­te und mit gol­de­nen Pan­zern be­klei­de­te, ob­wohl er meis­tens Man­gel an Gold hat­te. Und so mag es denn her­umkrib­beln und -krab­beln am Fuß der ra­gen­den Fel­sen, ho­hen Schnee­ber­ge und and­rer gries­grä­mi­ger Phi­lo­so­phien, die­ser erns­ten und dick­lei­bi­gen Wer­ke, die­ser mar­mor­nen Ko­lon­na­den und wahr­haft groß­ar­ti­gen, in Por­phyr aus­ge­haue­nen Ge­dan­ken­denk­mä­ler der Mensch­heit. Heda, ihr aas­gie­ri­gen Gei­er, wer­det ihr es nicht end­lich satt be­kom­men, mei­ne lus­ti­ge Muse zu be­schmut­zen und zu be­schmei­ßen, de­ren phan­tas­ti­sche Mu­sik und tol­le Sa­ra­ban­den, de­ren Juch­zer und Sprün­ge und Pur­zel­bäu­me euch Bauch­grim­men ma­chen; wollt ihr euch nicht die Kral­len ein we­nig stumpf na­gen, um ihre wei­ße Haut mit dem blau­en Ge­äder, ih­ren wol­lüs­ti­gen Rücken, ihre schlan­ken Hüf­ten, ihre Füße, die das Bett dem Bo­den vor­zie­hen, ihr sanf­tes Ge­sicht­chen, ihr Herz ohne Gal­le nicht mehr so un­barm­her­zig zu zer­flei­schen? Was sagt ihr dazu, ihr Qu­er­köp­fe, wenn ihr er­fah­ret, daß die­ses gute Ge­schöpf, das aus dem Her­zen des Volks her­vor­ge­gan­gen und von den En­geln des Him­mels durch die Per­son des Bo­ten Mer­ku­ri­us mit ei­nem Ave be­grüßt wor­den? Was sagt ihr dazu, wenn ihr hört, daß es sich hier um die Quint­es­senz der Kunst han­delt, da al­les in die­ser Schöp­fung ist: Not­wen­dig­keit, Tu­gend, Phan­ta­sie, weib­li­cher Ge­schmack und Ge­schmack des Pan­ta­grue­lis­mus im Qua­drat. Mit ei­nem Wort, al­les. Schweigt also, und fei­ert und lob­preist den Au­tor, der im bes­ten Zug ist, aus sei­nem zwei­mäu­li­gen Tin­ten­faß sei­ne hun­dert glor­rei­chen, toll­dreis­ten Ge­schich­ten zu schöp­fen und da­mit die fröh­li­che Wis­sen­schaft zu be­rei­chern.

Also zu­rück, ihr Hun­de! Ei­nen Tusch, ihr Her­ren Mu­si­kan­ten! Maul hal­ten, ihr Heuch­ler! Hin­aus mit euch, ihr Dun­kel­män­ner! Macht Platz mei­nen lus­ti­gen Ge­sel­len und Ka­me­ra­den! Und ihr, mei­ne klei­nen lie­ben Pa­gen, gebt den Da­men eure zier­li­che Hand, kit­zelt sie ih­nen sanft und sagt ih­nen: »Lest, um zu la­chen!« Da­nach flüs­tert ih­nen noch ein andres Wort ins Ohr, denn wenn die Frau­en la­chen, sind sie gut auf­ge­legt, und daß eine schö­ne Frau gut auf­ge­legt sei, dar­an, das brau­che ich euch nicht erst aus­zu­le­gen, ist al­les ge­le­gen.


Ausdauernde Liebe

In den ers­ten Jah­ren des drei­zehn­ten Jahr­hun­derts nach der Ge­burt uns­res Herrn und Hei­lands er­eig­ne­te sich in der Stadt Pa­ris, und zwar durch einen Mann aus Tours, eine Lie­bes­ge­schich­te, durch wel­che die gan­ze Stadt und auch der kö­nig­li­che Hof in das höchs­te Er­stau­nen ver­setzt wur­den. Was die Geist­lich­keit an­langt, so wird aus dem, was hier er­zählt wer­den soll, klar, wel­chen Teil sie an der Ge­schich­te hat, de­ren Ak­ten und Ur­kun­den durch die­se sel­be Geist­lich­keit auf uns ge­kom­men sind.

Der ge­nann­te Mann, von dem ge­mei­nen Volk nur ›der Tou­rai­ner‹ ge­nannt, eben weil er aus die­ser lus­ti­gen Stadt ge­bür­tig war, hieß mit sei­nem wah­ren Na­men An­selm. Er kehr­te auch in sei­nen al­ten Ta­gen in sei­ne Ge­burts­stadt zu­rück und wur­de Bür­ger­meis­ter der Ge­mein­de von Saint-Mar­tin, wie es in den Chro­ni­ken der Stadt und der Ab­tei be­zeugt ist; aber zu Pa­ris war er ein ed­ler Gold­schmied. Schon in frü­her Ju­gend wur­de er durch sei­ne Recht­schaf­fen­heit, sei­nen Fleiß und sei­ne an­dern Tu­gen­den Bür­ger der Stadt Pa­ris und Un­ter­tan des Kö­nigs, des­sen Schutz er sich un­ter­stell­te nach der Sit­te der Zeit.

Er be­saß in der Nähe der Kir­che von Saint-Leu, an der Stra­ße zum hei­li­gen Dio­nys ein selbst­ge­bau­tes Haus frei von al­ler Zins­bar­keit, wo sich auch sei­ne Werk­statt be­fand, die von al­len Lieb­ha­bern schö­ner Klein­odi­en viel be­sucht wur­de. Ob­wohl der Mann ein Tou­rai­ner war, was et­was hei­ßen will, und Ju­gend und Ge­sund­heit nur so zum Ver­kau­fen hat­te, hat­te er den­noch ein Le­ben ge­führt wie ein Hei­li­ger, al­len Ver­füh­run­gen die­ser Stadt zum Trotz, und hat­te all die Tage sei­ner blü­hen­den Ju­gend da­hin­ge­hen las­sen, ohne auch nur ein ein­zi­ges Mal in die be­kann­te ver­bo­te­ne Frucht zu bei­ßen. Vie­le wer­den sa­gen, dies zu glau­ben über­stei­ge die Glau­bens­fä­hig­keit, die der Mensch von Gott er­hal­ten hat und die es uns er­mög­licht, an die hei­li­gen Mys­te­ri­en der Re­li­gi­on zu glau­ben, wie es uns be­foh­len ist. Da­rum wird es nö­tig sein, die ver­bor­ge­nen Ur­sa­chen die­ses keu­schen Le­bens ei­nes Gold­schmieds et­was nä­her zu be­leuch­ten.

Zu­nächst müßt ihr be­den­ken, daß der Mann zu Fuß nach Pa­ris kam, är­mer als Hiob, wie sei­ne al­ten Freun­de zu sa­gen pfleg­ten, und daß er im Ge­gen­satz zu sei­nen Lands­leu­ten, die mehr feu­rig als aus­dau­ernd sind, einen wahr­haft ei­ser­nen Cha­rak­ter be­saß und einen Weg, den er ein­mal ein­ge­schla­gen hat­te, mit ei­ner Hart­nä­ckig­keit ver­folg­te wie nur ein Kor­se sei­ne Ra­che. Er war Ge­sell und ar­bei­te­te Tag und Nacht; er wur­de Meis­ter und ar­bei­te­te mehr als je: im­mer auf der Su­che nach neu­en Re­zep­ten, nach den ver­bor­gens­ten Ge­heim­nis­sen sei­ner Kunst, im­mer von ei­ner Er­fin­dung zu ei­ner an­dern Er­fin­dung fort­schrei­tend. Die gu­ten Leu­te, die nach Fei­er­abend noch einen Gang zu tun hat­ten, oder Die­be und sons­ti­ges Nacht­ge­vö­gel sa­hen hin­ter dem Fens­ter des Gold­schmieds im­mer die Lam­pe bren­nen und sa­hen in de­ren Schein den Gold­schmied, der bei ver­schlos­se­ner Tür in Ge­sell­schaft ir­gend­ei­nes Lehr­bu­ben eif­ri­ger Be­schäf­ti­gung ob­lag. Sie sa­hen ihn häm­mern und mei­ßeln, fei­len und zi­se­lie­ren, lö­ten und schmel­zen. Sei­ne Ar­mut hat­te ihn flei­ßig ge­macht, sein Fleiß mach­te ihn wei­se, sei­ne Weis­heit mach­te ihn reich. Be­den­ket das wohl, ihr Kin­der Adams, die ihr an nichts denkt, als wie ihr euch die un­sau­be­ren Ge­där­me fül­len mögt.

Wenn in dem gu­ten Gold­schmied sich wohl auch ein­mal ge­wis­se phan­tas­ti­sche Wün­sche reg­ten, wie sie von Zeit zu Zeit den ar­men Men­schen, der al­lein lebt, zu zwi­cken und zu zwa­cken pfle­gen, daß er meint, der Teu­fel müs­se ihn le­ben­dig ho­len, da häm­mer­te der Tou­rai­ner nur um so wü­ten­der auf sein Me­tall los und häm­mer­te da­mit nicht nur die bö­sen Geis­ter zum Haus hin­aus, näm­lich aus sei­nem Kör­per, der Woh­nung sei­ner See­le, es ent­stan­den zu­gleich un­ter sei­nen Hän­den die wun­der­volls­ten Bild­wer­ke und Fi­gu­ren in Gold und Sil­ber wie auch schmuck­rei­che Ge­fäße in so schö­nen For­men, daß er die schö­nen For­men der Frau Ve­nus ganz und gar dar­über ver­gaß. Au­ßer­dem war die­ser Tou­rai­ner ein ein­fa­cher Mann, eine Art großes Kind, der vor al­lem Gott, noch mehr aber die Die­be fürch­te­te, ja viel­leicht noch mehr als die­se die großen Her­ren, über al­les aber jede Art Tu­mult und Un­ord­nung.

Ob­wohl er zwei Hän­de hat­te, be­schäf­tig­te er sich stets nur mit ei­ner Sa­che. Sei­ne Rede war sanft wie die ei­ner Ehe­frau vor der Hoch­zeit. Ob­wohl Pfaf­fen und Kriegs­leu­te sei­ne Ge­lehr­sam­keit nicht gel­ten las­sen woll­ten, ver­stand er sehr gut das La­tein sei­ner Mut­ter und sprach es feh­ler­los, ohne sich dar­um bit­ten zu las­sen. Die Pa­ri­ser hat­ten ihn nach und nach ge­lehrt, ge­ra­de­aus zu ge­hen, kein Was­ser für and­re Leu­te zu schöp­fen, sei­ne Aus­ga­ben mit der Elle sei­ner Ein­nah­men zu mes­sen, nie­mand zu er­lau­ben, sich aus sei­nem Le­der Rie­men zu schnei­den, über­all sei­ne Au­gen of­fen­zu­hal­ten, nie­mals dem In­halt ei­ner ver­schlos­se­nen Kis­te zu trau­en, nicht leicht zu sa­gen, was er tat, oder zu tun, was er sag­te, nichts von sich zu las­sen als sein Was­ser, ein bes­se­res Ge­dächt­nis zu ha­ben als die Spat­zen, sei­nen Kum­mer für sich zu be­hal­ten und auch sein Hal­le­lu­ja, auf der Stra­ße nicht nach den Wol­ken zu se­hen und sei­ne Ju­we­len teu­rer zu ver­kau­fen, als sie ihn sel­ber ge­kos­tet hat­ten: lau­ter Din­ge, de­ren klu­ge Be­fol­gung ihm Weis­heit ge­nug ein­trug, um be­quem und zu­frie­den le­ben zu kön­nen.


Also tat er und war auch dar­auf be­dacht, daß er nie­mand läs­tig fal­le. Die Leu­te aber, die sa­hen, wie wei­se er sich das Le­ben ein­ge­rich­tet, be­nei­de­ten ihn, und manch ei­ner sag­te: »Bei Gott, ich möch­te die­ser Gold­schmied sein, und soll­te ich auch da­für hun­dert Jah­re lang bis über die Knie im Kot von Pa­ris wa­ten müs­sen.« Aber eben­so­gut hät­te sich ei­ner wün­schen kön­nen, Kö­nig von Frank­reich zu sein; denn der Gold­schmied hat­te ein paar Arme wie nicht leicht ei­ner, fes­te, ner­vi­ge, haa­ri­ge Arme und von so er­staun­li­cher Här­te, daß, wenn er die Faust ball­te, sein stärks­ter Ge­sell sie ihm auch mit ei­ner Beiß­zan­ge nicht zu öff­nen ver­mocht hät­te. Ihr könnt euch den­ken, daß er nicht leicht fah­ren­ließ, was er ein­mal fest­hielt. Zäh­ne hat­te er, um Ei­sen zu kau­en, einen Ma­gen, um es zu ver­dau­en, Ge­där­me, um es auf­zusau­gen, und einen Sphink­ter, um ge­fahr­los die Schla­cken wei­ter­zu­be­för­dern – über­dies ein paar Schul­tern, um sich ge­gen die gan­ze Welt zu stem­men, gleich je­nem al­ten Hei­den, der ehe­mals die­ses Amt hat­te, bis die An­kunft uns­res Herrn und Hei­lands ihn, es war höchs­te Zeit, da­von be­frei­te. Die Wahr­heit zu sa­gen, war das ein Mann so recht aus dem Gro­ben ge­hau­en. Das ist im­mer die bes­te Art Mensch und ist mehr wert als die, an de­nen die Na­tur all­zu­viel ge­bos­selt hat und die aus all­zu fei­nen Stücken zu­sam­men­ge­setzt sind. Kurz, Meis­ter An­selm war in der Wol­le ge­färbt, er hat­te ein Ge­sicht wie ein Löwe, und in sei­nen Au­gen brann­te ein Feu­er, worin er sein Gold hät­te schmel­zen kön­nen, wenn ihm die Glut auf der Esse ein­mal aus­ge­gan­gen wäre. Aber ein Et­was in die­sen Au­gen, von der gü­ti­gen Mut­ter Na­tur hin­ein­ge­legt, mil­der­te die­ses Feu­er, an­sonst sie al­les ver­brannt hät­ten. Und nun sagt, ob das nicht ein Mords­kerl war von ei­nem Men­schen.

Doch nach Auf­zäh­lung die­ser Mus­ter­chen von Kar­di­nal­tu­gen­den möch­ten ei­ni­ge viel­leicht noch im­mer fra­gen, warum der gute Gold­schmied wie eine Aus­ter leb­te, näm­lich als Zö­li­ba­tär und Jung­ge­sell, und also die rei­chen Ga­ben der Na­tur in so vie­lem Be­tracht un­ge­nutzt ließ. Aber wis­sen die­se hart­nä­cki­gen Fra­ger, was es hei­ßen will zu lie­ben? Hol­la­la, sie wis­sen es kei­nes­wegs.

Das Amt ei­nes Ver­lieb­ten ist, zu kom­men und zu ge­hen, zu hor­chen und auf­zu­pas­sen, zu re­den und zu schwei­gen, sich nie­der­zu­du­cken und sich hoch auf­zu­rich­ten, vor al­lem sich klein zu ma­chen, sich zu ei­nem Nichts zu ma­chen. Sein Amt ist, an­ge­nehm zu sein und Ge­duld zu üben, zu mu­si­zie­ren und ver­lieb­te Ver­se zu ma­chen, Blu­men un­ter dem Schnee zu su­chen, den Mond an­zu­schwär­men, den Hund und die Kat­ze des Hau­ses zu strei­cheln, der Tan­te über ih­ren Schnup­fen und über ihre Gicht an­ge­neh­me Sa­chen zu sa­gen, der gan­zen Ver­wandt­schaft zu schmei­cheln, nie­mand auf die Hüh­ne­rau­gen zu tre­ten, Gril­len ein­zu­fan­gen, Moh­ren weiß zu wa­schen, Nich­tig­kei­ten zu plap­pern, der Dame den Spie­gel vor­zu­hal­ten und über ih­ren Putz in Ek­sta­se zu ge­ra­ten, al­les das in tau­sen­der­lei Wie­der­ho­lun­gen. Sein Amt ist, ge­schnie­gelt und ge­bü­gelt zu sein wie ein Höf­ling, klug und lau­nig zu sein in sei­ner Rede, la­chend alle Teu­fe­lei­en hin­zu­neh­men, all sei­nen Zorn hin­un­ter­zu­schlu­cken, sei­nem Tem­pe­ra­ment die Zü­gel an­zu­le­gen und den Fin­ger Got­tes und den Schwanz des Teu­fels zu­gleich in der Hand zu ha­ben. Sein Amt ist, die Mut­ter, die Base, die Zofe in gu­ter Lau­ne zu er­hal­ten, un­ter al­len Um­stän­den, auch wenn es ihm nicht ums Herz ist, die lie­bens­wür­digs­te Mie­ne auf­zu­ste­cken und trotz­dem dar­auf ge­faßt zu sein, daß das Weib­sen ihm ent­schlüpft und ihn ste­hen­läßt, ohne ihm einen ein­zi­gen christ­li­chen Grund da­für an­zu­ge­ben.

Hat aber ein Ver­lieb­ter auch ge­spro­chen wie ein Buch, Sprün­ge ge­macht wie ein Floh, sich ge­dreht wie ein Krei­sel, mu­si­ziert wie der Kö­nig Da­vid, tau­send Höl­len­qua­len aus­ge­stan­den, dem Weib­sen eine Säu­len­hal­le der ko­rin­thi­schen Ord­nung er­baut, zum Teu­fel noch ein­mal, und auch an­ge­nom­men, das Mäd­chen sei der sanf­tes­ten eine, die Gott in ei­ner gu­ten Lau­ne er­schaf­fen hat: wenn er es nun in et­was ver­sieht, wo­für die Dame eine be­son­de­re Vor­lie­be hat, ohne daß es je­mand weiß sie weiß es oft sel­ber nicht, ver­langt aber, daß der Ver­lieb­te es wis­se – ihr könnt dar­auf schwö­ren, daß die Schnee­gans ihn ver­las­sen wird wie einen räu­di­gen Hund. Und sie ist in ih­rem Recht, da ist kein Wort zu sa­gen. Man­cher wird dann zorn­mü­tig, ja ganz när­risch, mehr als sich sa­gen läßt, und vie­le ha­ben sich bei sol­chen Ge­le­gen­hei­ten das Le­ben ge­nom­men. Da­rin un­ter­schei­det sich der Mensch vom Tier; denn noch kein Tier hat den Ver­stand ver­lo­ren aus Lie­bes­kum­mer, was hin­läng­lich be­weist, daß die Tie­re kei­ne See­le ha­ben.

Das Amt ei­nes Ver­lieb­ten ist also das Amt ei­nes Sol­da­ten und Ga­lee­ren­sträf­lings, ei­nes Markt­schrei­ers und ei­nes Hans­wurs­tes, ei­nes Fürs­ten und ei­nes Lum­pen, ei­nes Kö­nigs und ei­nes Bett­lers, ei­nes Nichts­tu­ers und ei­nes Viel­be­schäf­tig­ten, ei­nes Be­tro­ge­nen und ei­nes Be­trü­gers, ei­nes Groß­mauls, ei­nes Lüg­ners, ei­nes Spi­ons, ei­nes Hohl­kopfs, ei­nes Wind­ma­chers, ei­nes Schur­ken; es ist eine Sa­che, de­ren sich der Herr Je­sus ent­hal­ten hat und die dar­um alle Men­schen ei­nes hö­he­ren Geis­tes ver­ach­ten; eine Sa­che, wo­für ein Mann, was er auch wert sei, al­les aus­ge­ben muß, sein Geld und sei­ne Zeit, sein Blut und sein Le­ben, sei­ne Re­den und sei­ne Ge­dan­ken, sein Herz, sei­ne See­le, sein Ge­hirn. Die Weib­sen sind merk­wür­dig lüs­tern nach die­sen Lecker­bis­sen, sie be­gnü­gen sich nicht mit ei­nem Teil da­von, und oft hört man sie un­ter sich sa­gen, daß sie von ei­nem Man­ne so gut wie gar nichts ha­ben, wenn sie nicht al­les von ihm ha­ben. Ja, es gibt dar­un­ter sol­che Lu­der, die auch dann noch mur­ren und die Stir­ne run­zeln, wenn ein Mann tau­send Din­ge für sie ge­tan hat, denn sie sa­gen, er hät­te das tau­send­und­eins­te noch tun müs­sen. Der­ge­stalt sind sie vom Geist der Erobe­rung und Ty­ran­nei be­ses­sen, daß, wenn sie auch al­les ha­ben, sie doch noch mehr ha­ben wol­len. Be­son­ders in der gu­ten Stadt Pa­ris war das im­mer ein hei­li­ges und un­ver­brüch­li­ches Ge­setz; denn hier, müßt ihr wis­sen, er­hal­ten die Weib­lein bei der Tau­fe mehr Salz als sonst in der Welt und sind dar­um bös­ar­tig von Ge­burt an.

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9783962815226
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