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Cäsar Birotteaus Größe und Niedergang

Cäsar auf dem Gipfel seines Ruhms

In den Win­ter­näch­ten hört der Lärm in der Rue Saint-Ho­noré nur für einen Au­gen­blick auf; die Ge­mü­se­händ­ler, die in die Markt­hal­le fah­ren, set­zen das Geräusch der Wa­gen fort, die aus den Thea­tern oder von den Bäl­len nach Hau­se rol­len. Gera­de in die­ser kur­z­en Ru­he­pau­se des Pa­ri­ser Stra­ßen­lärms, die ge­gen ein Uhr mor­gens ein­tritt, fuhr die Frau des Par­fü­me­rie­händ­lers Cäsar Bi­rot­teau, der nahe am Ven­dô­me­platz sein Ge­schäft hat­te, jäh aus ei­nem ent­setz­li­chen Traum in die Höhe. Sie hat­te sich dop­pelt ge­se­hen, sie war sich selbst, in Lum­pen gehüllt und mit ver­trock­ne­ter runz­li­ger Hand die Tür­klin­ke ih­res ei­ge­nen La­dens öff­nend, er­schie­nen, so daß sie sich gleich­zei­tig auf ih­rer Tür­schwel­le und in ih­rem Kon­tor­ses­sel be­fand; sie bet­tel­te sich selbst um ein Al­mo­sen an, sie hör­te sich zu­gleich an der Tür und im Kon­tor spre­chen. Sie woll­te nach ih­rem Mann grei­fen und faß­te mit der Hand auf eine kal­te Stel­le. Da wur­de ihre Angst so ge­wal­tig, daß sie ih­ren steif­ge­wor­de­nen Hals nicht mehr be­we­gen konn­te; die Keh­le war ihr wie zu­ge­schnürt, sie konn­te kei­nen Ton her­aus­brin­gen; die stie­ren Au­gen auf­ge­ris­sen, das Haar schmerz­haft sich sträu­bend, die Ohren voll von fremd­ar­ti­gen Tö­nen, das Herz zu­sam­men­ge­preßt, aber hef­tig schla­gend, so saß sie starr wie fest­ge­bannt da, zu­gleich in Schweiß ge­ba­det und zu Eis er­starrt, mit­ten in dem Al­ko­ven, des­sen bei­de Tü­ren of­fen stan­den.

Die Furcht ist ein halb krank­haf­tes Ge­fühl, das auf die mensch­li­che Ma­schi­ne­rie so hef­tig ein­wirkt, daß ihre Ei­gen­schaf­ten plötz­lich sich bis zum höchs­ten Gra­de der Mög­lich­keit stei­gern oder auch in äu­ßers­te Ver­wir­rung ge­ra­ten. Die Phy­sio­lo­gie ist lan­ge Zeit von die­sem Phä­no­men in Er­stau­nen ge­setzt wor­den, das ihre Sys­te­me über den Hau­fen wirft und ihre Hy­po­the­sen stört, ob­wohl es ganz ein­fach nur ein Blitz­schlag im In­nern ist, aber, wie alle elek­tri­schen Er­schei­nun­gen, bi­zarr und un­be­re­chen­bar in sei­ner Art. Die­se Er­klä­rung wird von dem Tage an eine Selbst­ver­ständ­lich­keit sein, da die Ge­lehr­ten er­kannt ha­ben wer­den, wel­che über­aus wich­ti­ge Rol­le die Elek­tri­zi­tät bei der Tä­tig­keit des mensch­li­chen Ge­hirns spielt.

Frau Bi­rot­teau mach­te also et­li­che die­ser ge­wis­ser­ma­ßen hell­se­he­ri­schen Schmerz­emp­fin­dun­gen durch, die jene schreck­li­chen Ent­la­dun­gen des durch einen un­be­kann­ten Mecha­nis­mus aus­ge­wei­te­ten oder kon­zen­trier­ten Wil­lens be­wir­ken. So emp­fand die arme Frau wäh­rend ei­nes Zeit­rau­mes, der nach der Uhr ge­mes­sen sehr kurz, aber nach der Schnel­lig­keit der ein­an­der fol­gen­den Ein­drücke be­rech­net, un­meß­bar war, das un­ge­heu­er­li­che Ver­mö­gen, mehr Ge­dan­ken zu fas­sen und mehr Erin­ne­run­gen in sich auf­stei­gen zu las­sen, als sie bei nor­ma­lem Zu­stan­de ih­rer Fä­hig­kei­ten im Ver­lau­fe ei­nes gan­zen Ta­ges ver­mocht hät­te. Die an­schau­li­che Wie­der­ga­be die­ses Mo­no­lo­ges ge­schieht am bes­ten mit den we­ni­gen un­ge­reim­ten, wi­der­spruchs­vol­len und sinn­lo­sen Wor­ten, so wie sie ge­spro­chen wur­den:

»Es gibt gar kei­nen Grund, warum Bi­rot­teau aus dem Bett ge­stie­gen ist! Er hat so viel Kalbs­bra­ten ge­ges­sen, viel­leicht ist ihm schlecht! Aber wenn er un­wohl wäre, wür­de er mich ge­weckt ha­ben. Neun­zehn Jah­re schla­fen wir zu­sam­men in die­sem Bett, in die­sem sel­ben Hau­se, und nie­mals ist es pas­siert, daß er auf­ge­stan­den wäre, ohne es mir zu sa­gen, der arme Kerl! Er war nur weg, wenn er die Nacht auf Wa­che ver­brin­gen muß­te. Ist er denn heu­te abend mit mir zu­sam­men schla­fen ge­gan­gen? Aber ge­wiß doch; mein Gott, wie dumm bin ich.«

Sie rich­te­te ih­ren Blick auf das Bett und sah dort die Nacht­müt­ze ih­res Man­nes, die noch die fast ke­gel­ar­ti­ge Form sei­nes Kop­fes zeig­te.

»Er ist also tot! Soll­te er sich ge­tö­tet ha­ben? Aber wes­halb denn?« fing sie wie­der an. »Seit zwei Jah­ren, seit­dem sie ihn zum Bei­ge­ord­ne­ten er­nannt ha­ben, ist er ganz wie aus­ge­tauscht. Ihm ein Amt auf­zu­la­den, ist das nicht, so wahr ich eine an­stän­di­ge Frau bin, zum Er­bar­men? Sein Ge­schäft geht gut, er hat mir einen Schal ge­schenkt. Soll­te es doch nicht gut ge­hen? Ach, das wür­de ich doch wis­sen. Aber kann man je­mals wis­sen, was ein Mann hin­ter sich hat? Oder eine Frau? Aber das ist auch kein Un­glück. Aber wir ha­ben doch heu­te für fünf­tau­send Fran­ken ver­kauft! Üb­ri­gens kann ein Bei­ge­ord­ne­ter nicht Selbst­mord ver­üben, dazu kennt er die Ge­set­ze zu gut. Aber wo steckt er denn?«

Sie ver­moch­te we­der den Kopf zu dre­hen, noch die Hand aus­zu­stre­cken, um die Klin­gel zu zie­hen, die die Kö­chin, drei Kom­mis und den Haus­die­ner in Be­we­gung ge­setzt hät­te. Un­ter dem Alp­druck, der sich auch in ih­rem wa­chen Zu­stan­de fort­setz­te, ver­gaß sie, daß ihre Toch­ter fried­lich im Ne­ben­zim­mer schlief, des­sen Tür sich am Fu­ßen­de ih­res Bet­tes be­fand. End­lich schrie sie: »Bi­rot­teau!« Es er­folg­te kei­ner­lei Ant­wort. Sie glaub­te, den Na­men, ge­ru­fen zu ha­ben und hat­te ihn nur in Ge­dan­ken aus­ge­spro­chen.

»Soll­te er eine Ge­lieb­te ha­ben? Dazu ist er zu ein­fäl­tig«, fuhr sie fort, »und dazu hat er mich auch viel zu lieb. Hat er nicht zu Frau Ro­guin ge­sagt, daß er mir nie­mals un­treu ge­we­sen ist, nicht ein­mal in Ge­dan­ken? Er ist doch die Ehren­haf­tig­keit sel­ber, die­ser Mann. Wenn Ei­ner ins Pa­ra­dies zu kom­men ver­dient, dann ist er es. Was hat er sei­nem Beicht­va­ter zu be­ken­nen? Lap­pa­li­en. Für einen Roya­lis­ten zum Bei­spiel, der er ist, ohne recht zu wis­sen warum, trägt er sei­ne Re­li­gi­on nicht ge­ra­de sehr zur Schau. Der gute Kerl geht um acht Uhr mor­gens heim­lich zur Mes­se, als ob er in ein zwei­fel­haf­tes Haus schli­che. Er fürch­tet Gott, aber um Got­tes, nicht um der Höl­le wil­len; die geht ihn nichts an. Wie soll­te er auch eine Ge­lieb­te ha­ben? Er hängt mir so am Rock, daß er mich schon da­mit lang­weilt. Er liebt mich wie sei­nen Aug­ap­fel, er wür­de sich sei­ne Au­gen für mich aus­rei­ßen las­sen. Neun­zehn Jah­re lang hat er nie ein Wort lau­ter als das an­de­re be­tont, wenn er zu mir sprach. Selbst sei­ne Toch­ter kommt für ihn erst in zwei­ter Rei­he. Aber Cäsa­ri­ne ist ja dort … (Cäsa­ri­ne! Cäsa­ri­ne!) Nie­mals hat Bi­rot­teau einen Ge­dan­ken ge­habt, den er mir nicht mit­ge­teilt hät­te. Da­mals, als er noch in den Pe­tit-Ma­te­lot kam, da hat er mit Recht be­haup­tet, daß ich ihn erst rich­tig er­ken­nen wür­de, wenn ich ihn er­probt hät­te. Und nun komm­t’s so! … Das ist doch merk­wür­dig.«

Müh­sam dreh­te sie jetzt den Kopf und sah ver­stoh­len durch das Zim­mer, noch ganz er­füllt von den phan­tas­ti­schen Nacht­ge­sich­ten, an de­ren Wie­der­ga­be die Fe­der ver­zwei­felt und die al­lein dem Pin­sel des Gen­re­ma­lers vor­be­hal­ten zu sein schei­nen. Wie soll man mit Wor­ten das schreck­li­che Hin und Her schil­dern, das die tie­fen Schat­ten, die phan­tas­ti­schen For­men der vom Zug­wind auf­ge­bläh­ten Vor­hän­ge, das Spiel des un­deut­li­chen Lich­tes der Nacht­lam­pe auf den Fal­ten des ro­ten Ka­li­kos, die Strah­len, die ein Gar­di­nen­hal­ter wirft, de­ren schim­mern­de Mit­te dem Auge ei­nes Die­bes gleicht, die Er­schei­nung ei­nes am Bo­den lie­gen­den Rockes, kurz alle jene bi­zar­ren Din­ge her­vor­brin­gen, die die Vor­stel­lungs­kraft in dem Mo­ment in Schre­cken ver­set­zen, wo sie nur fä­hig ist, Schmer­zen zu emp­fin­den und sie noch zu ver­grö­ßern? Frau Bi­rot­teau glaub­te jetzt einen hel­len Licht­schein in dem be­nach­bar­ten Zim­mer zu se­hen und dach­te so­fort an Feu­er; als sie aber ein ro­tes Hals­tuch be­merk­te, das eine Blut­la­che zu sein schi­en, dach­te sie aus­schließ­lich an Die­be, vor al­lem, weil sie die Spu­ren ei­nes Kamp­fes an der Art, wie die Mö­bel um­ge­stellt wa­ren, zu er­ken­nen mein­te. Als sie sich der Sum­me er­in­ner­te, die in der Kas­se war, ver­trieb eine wohl­tä­ti­ge Angst die heiß­kal­ten Nacht­ge­bil­de; au­ßer sich sprang sie im Hem­de mit­ten ins Zim­mer, um ih­rem Man­ne bei­zu­stehn, den sie im Hand­ge­men­ge mit Mör­dern glaub­te.

»Bi­rot­teau! Bi­rot­teau!« schrie sie end­lich mit angst­vol­ler Stim­me.

Da fand sie ih­ren Mann in der Mit­te des Ne­ben­zim­mers, eine Elle in der Hand und in der Luft mes­send, aber so man­gel­haft in sei­nen Schlaf­rock aus grü­nem Kat­tun mit scho­ko­la­den­brau­nen Tüp­feln gehüllt, daß sei­ne Bei­ne von der Käl­te ge­rötet wa­ren, ohne daß er es emp­fand, so in Ge­dan­ken ver­sun­ken war er. Als er sich um­wand­te und zu sei­ner Frau sag­te: »Nun, was willst du denn, Kon­stan­ze?« mach­te er, wie die Leu­te, die von ih­ren Be­rech­nun­gen ab­sor­biert sind, ein so be­son­ders al­ber­nes Ge­sicht, daß Frau Bi­rot­teau in ein Ge­läch­ter aus­brach.

»Mein Gott, Cäsar, wie ko­misch bist du so!« sag­te sie. »Wa­rum läßt du mich denn al­lein, ohne mir et­was zu sa­gen? Ich bin vor Angst bei­na­he ge­stor­ben, ich wuß­te gar nicht, was ich mir den­ken soll­te. Was machst du denn da, so al­lem Zug aus­ge­setzt? Du wirst dich auf den Tod er­käl­ten. Aber hörst du mich denn, Bi­rot­teau?«

»Ja, lie­be Frau, und hier bin ich«, ant­wor­te­te der Par­füm­händ­ler und trat in das Zim­mer.

»Vor­wärts, komm und er­wär­me dich und sag mir, was dir im Kop­fe spukt«, be­gann Frau Bi­rot­teau wie­der, schob die Asche des Ka­mins bei­sei­te und be­eil­te sich, das Feu­er wie­der an­zu­zün­den. »Mir ist eis­kalt. Ich war so tö­richt, im Hem­de her­aus­zu­sprin­gen. Aber ich habe wirk­lich ge­glaubt, man er­mor­det dich.«

Der Kauf­mann stell­te den Leuch­ter auf den Ka­min, zog sei­nen Schlaf­rock zu­sam­men und hol­te me­cha­nisch sei­ner Frau ih­ren fla­nel­le­nen Un­ter­rock.

»Hier, mein Herz, zieh ihn an«, sag­te er. »Zwei­und­zwan­zig zu acht­zehn,« fuhr er in sei­nem Mo­no­lo­ge fort, »wir kön­nen einen pracht­vol­len Sa­lon ha­ben.«

»Aber, Bi­rot­teau, bist du denn ver­rückt ge­wor­den? Träumst du?«

»Nein, mein Kind, ich rech­ne.«

»Wenn du Dumm­hei­ten ma­chen willst, dann war­te we­nigs­tens, bis es Tag ist«, rief sie aus, be­fes­tig­te ih­ren Un­ter­rock un­ter der Nacht­ja­cke und ging die Tür des Zim­mers öff­nen, in dem ihre Toch­ter schlief.

»Cäsa­ri­ne schläft,« sag­te sie, »sie wird uns nicht hö­ren. Und nun, Bi­rot­teau, rede end­lich. Was hast du denn?«

»Wir kön­nen den Ball ge­ben.«

»Ei­nen Ball ge­ben? Wir? So wahr ich eine an­stän­di­ge Frau bin, du träumst, mein Lie­ber.«

»Ich träu­me nicht, mein Herz­chen. Höre, es ist nö­tig, so zu han­deln, wie man es der Stel­lung, die man ein­nimmt, schul­dig ist. Die Re­gie­rung hat mich ans Licht ge­zo­gen, ich ge­hö­re zur Re­gie­rung; wir sind ver­pflich­tet, ihre Grund­sät­ze zu stu­die­ren und ihre Ab­sich­ten zu un­ter­stüt­zen, in­dem wir sie deut­lich ma­chen. Der Her­zog von Ri­che­lieu hat es jetzt er­reicht, daß die frem­den Trup­pen Frank­reich räu­men. Herr von la Bil­lar­diè­re wünscht, daß die Be­am­ten, die die Stadt Pa­ris re­prä­sen­tie­ren, ein je­der in der Sphä­re sei­ner Be­zie­hun­gen, die Be­frei­ung des Lan­des fei­ern sol­len. Wir wol­len den wah­ren Pa­trio­tis­mus zei­gen, über den der der so­ge­nann­ten Li­be­ra­len, die­ser ver­damm­ten Int­ri­gan­ten, er­rö­ten soll, was? Denkst du, daß ich mein Va­ter­land nicht lie­be? Ich will den Li­be­ra­len, mei­nen Fein­den, zei­gen, daß den Kö­nig lie­ben, Frank­reich lie­ben heißt!«

»Du glaubst also, daß du Fein­de hast, mein Lie­ber?«

»Aber ge­wiß, lie­be Frau, wir ha­ben Fein­de. Und auch die Hälf­te uns­rer Freun­de in die­sem Stadt­vier­tel ist uns feind­lich ge­sinnt. Alle sa­gen sie: Bi­rot­teau hat Glück, Bi­rot­teau ist ein Mann von nied­ri­ger Her­kunft, und gleich­wohl ist er jetzt Bei­ge­ord­ne­ter; al­les ge­lingt ihm. Nun, sie wer­den sich noch mehr auf­re­gen. Du aber sollst jetzt als ers­te er­fah­ren, daß ich Rit­ter der Ehren­le­gi­on ge­wor­den bin: der Kö­nig hat ges­tern die Er­nen­nung un­ter­zeich­net.«

»Oh,« sag­te Frau Bi­rot­teau ganz ge­rührt, »dann müs­sen wir al­ler­dings einen Ball ge­ben, mein Lie­ber. Aber wes­we­gen hat man dir denn das Kreuz ver­lie­hen?«

»Als mir ges­tern Herr von la Bil­lar­diè­re die Neu­ig­keit mit­teil­te,« er­wi­der­te Bi­rot­teau ver­le­gen, »da habe ich, wie du, mich auch ge­fragt, wel­ches An­recht ich denn dar­auf hät­te; als ich aber heim­ging, ist es mir schließ­lich doch klar ge­wor­den und ich habe der Re­gie­rung zu­ge­stimmt. Ers­tens bin ich Roya­list und bin vor Saint-Roch ver­wun­det wor­den; be­deu­tet es nicht schon et­was, wenn man sieht, daß ei­ner in je­nen Zei­ten für die gute Sa­che mit den Waf­fen ein­ge­tre­ten ist? Dann habe ich, nach der Mei­nung ver­schie­de­ner Kauf­leu­te, mei­ne amt­li­che Tä­tig­keit zu all­ge­mei­ner Zufrie­den­heit aus­ge­übt. Schließ­lich bin ich Bei­ge­ord­ne­ter, und der Kö­nig be­wil­ligt der städ­ti­schen Ver­wal­tung vier Ehren­kreu­ze. Nach Prü­fung der Per­sön­lich­kei­ten der Bei­ge­ord­ne­ten, die für die Aus­zeich­nung in Fra­ge kom­men konn­ten, hat mich der Prä­fekt als ers­ten auf die Lis­te ge­setzt. Üb­ri­gens muß mich der Kö­nig ken­nen: dank dem al­ten Ra­gon lie­fe­re ich ihm das ein­zi­ge Pu­der, das er ge­brau­chen mag; wir al­lein be­sit­zen das Re­zept die­ses Pu­ders der hoch­se­li­gen Kö­ni­gin, die­ses teu­ren er­ha­be­nen Op­fers! Der Bür­ger­meis­ter hat mich nach­drück­lichst emp­foh­len. Was willst du also? Wenn der Kö­nig mir das Kreuz ver­leiht, ohne daß ich ihn dar­um ge­be­ten habe, so, mei­ne ich, kann ich es nicht gut ab­leh­nen, ohne den Re­spekt ge­gen ihn zu ver­let­zen. Habe ich ver­langt, Bei­ge­ord­ne­ter zu wer­den? Und des­halb, lie­be Frau, da uns ein güns­ti­ger Wind von hin­ten treibt, wie dein On­kel Pil­ler­ault sagt, wenn er ver­gnügt ist, bin ich ent­schlos­sen, al­les bei uns in Ein­klang mit uns­rer ho­hen Stel­lung zu brin­gen. Wenn ich et­was zu be­deu­ten ver­mag, dann will ich auch wa­gen, das zu wer­den, was der lie­be Gott noch mit mir vor­hat, selbst Un­ter­prä­fekt, wenn das mei­ne Be­stim­mung ist. Du bist sehr im Irr­tum, mei­ne Lie­be, wenn du meinst, ein Bür­ger habe dem Va­ter­lan­de ge­gen­über sei­ne Pf­licht ge­tan, wenn er zwan­zig Jah­re lang Par­fü­me­ri­en de­nen, die sie ver­langt ha­ben, ver­kauft hat. Wenn der Staat uns­re Ein­sicht in An­spruch neh­men will, so schul­den wir sie ihm eben­so, wie wir ihm die Mo­bi­li­ar­steu­er, die Tür- und Fens­ter­steu­er und an­de­res schul­den. Hast du denn Lust, im­mer wei­ter in dei­nem Kon­tor zu hocken? Du hast dich dort, Gott sei Dank, lan­ge ge­nug auf­ge­hal­ten. Der Ball soll ein be­son­de­res Fest für uns wer­den. Schluß mit dem De­tail­ge­schäft, das heißt, für dich. Ich wer­de un­ser Schild ›die Ro­sen­kö­ni­gin‹ ver­bren­nen, an Stel­le von ›Cäsar Bi­rot­teau, Par­fü­me­rie­händ­ler, Ra­g­ons Nach­fol­ger‹ wer­de ich ein­fach in di­cken Gold­buch­sta­ben ›Par­fü­me­ri­en‹ set­zen. Ins Zwi­schen­ge­schoß kommt das Bu­reau, die Kas­se und ein hüb­sches klei­nes Zim­mer für dich. Den hin­te­ren Teil des La­dens, das Spei­se­zim­mer und die Kü­che ma­che ich zum Ma­ga­zin. Ich mie­te das ers­te Stock­werk des Nach­bar­hau­ses und bre­che eine Tür da­hin durch. Die Trep­pe wird ver­setzt, so daß ich eine Zim­mer­flucht durch bei­de Häu­ser er­hal­te. Dann wer­den wir eine große, ele­gant mö­blier­te Woh­nung ha­ben! Ja, dein Zim­mer wird neu aus­ge­stat­tet wer­den, du sollst ein Bou­doir ha­ben und auch Cäsa­ri­ne soll ein hüb­sches Zim­mer be­kom­men. Das Kon­tor­fräu­lein, das du en­ga­gie­ren wirst, und dein Haus­mäd­chen (ja­wohl, Ma­da­me, Sie wer­den ein Haus­mäd­chen hal­ten!) wer­den im zwei­ten Stock un­ter­ge­bracht. In den drit­ten kom­men die Kü­che, die Kö­chin und der Haus­die­ner. Der vier­te soll zum großen Ma­ga­zin für Fla­schen, Kris­tall und Por­zel­lan wer­den. Der Raum für un­se­re Ar­bei­te­rin­nen kommt ins Dach­ge­schoß. Dann wer­den die Passan­ten nicht mehr mit an­zu­se­hen brau­chen, wie die Eti­ket­ten auf­ge­klebt, die Pla­ka­te ge­macht, die Fla­kons aus­ge­sucht und die Fla­schen zu­ge­pfropft wer­den. Das war gut für die Rue Saint-De­nis; aber für die Rue Saint-Ho­noré, pfui, das schickt sich nicht. Un­ser Ge­schäft muß aus­se­hen wie ein Sa­lon. Und sind wir denn die ein­zi­gen Par­fü­me­rie­händ­ler, die eine eh­ren­vol­le Stel­lung ein­neh­men? Gibt es nicht Es­sig- und Mostrich­händ­ler, die Kom­man­dan­ten bei der Na­tio­nal­gar­de und bei Hofe gern ge­se­hen sind? Wir wol­len es eben­so ma­chen, wir wol­len un­ser Ge­schäft ver­grö­ßern und uns gleich­zei­tig der vor­neh­men Ge­sell­schaft an­schlie­ßen.«

1

»Weißt du, Bi­rot­teau, was ich den­ke, wenn ich dich so re­den höre? Du kommst mir vor wie ei­ner, der sich ohne Not sel­ber Las­ten auf­la­det. Erin­ne­re dich dar­an, was ich dir ge­sagt habe, als es sich um dei­ne Er­nen­nung zum Bür­ger­meis­ter han­del­te: dei­ne Ruhe muß über al­les ge­hen! Du bist, habe ich dir ge­sagt, für die Öf­fent­lich­keit ge­schaf­fen wie mein Arm für einen Wind­müh­len­flü­gel. Die Ehre wür­de dein Un­ter­gang sein. Du hast nicht auf mich hö­ren wol­len, und nun wer­den wir dem Un­ter­gang zu­steu­ern. Wenn man eine po­li­ti­sche Rol­le spie­len will, muß man Geld ha­ben; ha­ben wir denn ge­nug? Wie, du willst dein Schild ver­bren­nen, das sechs­hun­dert Fran­ken ge­kos­tet hat, und auf die ›Ro­sen­kö­ni­gin‹, die dich mit Recht be­rühmt ge­macht hat, ver­zich­ten? Über­laß doch den an­dern den Ehr­geiz. Wer sei­ne Hand in einen Schei­ter­hau­fen steckt, der ver­brennt sie sich. Heut­zu­ta­ge ver­brennt man sich an der Po­li­tik. Wir ha­ben schö­ne hun­dert­tau­send Fran­ken in bar, die nicht in un­serm Ge­schäft, uns­rer Fa­brik und un­sern Wa­ren an­ge­legt sind. Willst du dein Ver­mö­gen ver­grö­ßern, so mach es wie im Jah­re 1793. Die Ren­ten ste­hen zwei­und­sieb­zig, kauf Ren­ten. Du wirst zehn­tau­send Fran­ken Zin­sen ha­ben, ohne daß die­se An­la­ge un­serm Ge­schäft scha­den kann. Dann be­nut­ze das, um uns­re Toch­ter zu ver­hei­ra­ten, ver­kau­fe uns­re Pa­pie­re, und wir zie­hen in dei­ne Hei­mat. Fünf­zehn Jah­re lang hast du von nichts an­de­rem ge­re­det als von dem Kau­fe von ›Les Tré­so­rières‹, dem hüb­schen klei­nen Gut dicht bei Chi­non, wo es Was­ser, Wie­sen, Bäu­me, Wein­ber­ge gibt, mit zwei Meie­rei­en, die tau­send Ta­ler Pacht brin­gen, wo wir bei­de gern woh­nen wür­den, und heu­te, da will der Herr durch­aus ein Re­gie­rungs­mann wer­den? Über­le­ge dir doch, was wir sind: Par­füm­händ­ler. Wenn man dir vor sech­zehn Jah­ren, be­vor du die ›Dop­pel­pas­te der Sul­tan­in­nen‹ und das ›Eau Car­mi­na­ti­ve‹ er­fun­den hat­test, ge­sagt hät­te: ›Du wirst so­viel Geld ha­ben, daß du Les Tre­so­rières kau­fen kannst‹, wür­dest du nicht krank vor Freu­de ge­wor­den sein? Nun, jetzt kannst du die­sen Be­sitz er­wer­ben, nach dem du so be­gie­rig warst, daß du von nichts an­de­rem ge­re­det hast; jetzt aber sprichst du da­von, das Geld für Tor­hei­ten aus­zu­ge­ben, das wir im Schwei­ße un­se­res An­ge­sichts er­wor­ben ha­ben, ich kann wohl sa­gen, un­se­res, denn ich habe die gan­ze Zeit hin­durch im­mer im Kon­tor ge­ses­sen wie ein ar­mes Vieh in der Hun­de­hüt­te. Ist es nicht bes­ser, wenn wir ein Ab­stei­ge­quar­tier bei uns­rer Toch­ter, nach­dem sie die Frau ei­nes Pa­ri­ser No­tars ge­wor­den sein wird, ha­ben und acht Mo­na­te in Chi­non le­ben, als hier nun an­zu­fan­gen, aus fünf Sous sechs Pfen­ni­ge zu ma­chen, und aus sechs Pfen­ni­gen nichts? War­te, bis die Staats­ren­ten stei­gen, dann kannst du dei­ner Toch­ter acht­tau­send Fran­ken Ren­te mit­ge­ben, zwei­tau­send be­hal­ten wir für uns, mit dem Preis für un­ser Ge­schäft kön­nen wir Les Tre­so­rières kau­fen. Dort, in dei­ner Hei­mat, mein lie­ber Al­ter, mit un­sern wert­vol­len Mö­beln, wer­den wir wie die Fürs­ten le­ben, wäh­rend man hier min­des­tens eine Mil­li­on ha­ben muß, wenn man et­was vor­stel­len will.«

»Das hat­te ich von dir er­war­tet, Frau­chen«, sag­te Cäsar Bi­rot­teau. »Aber so dumm bin ich noch nicht (ob­wohl du mich ja für sehr dumm hältst), daß ich dar­an nicht ge­dacht hät­te. Nun höre mir aber ernst­haft zu. Alex­an­der Crot­tat paßt uns vor­treff­lich als Schwie­ger­sohn, und er wird Ro­gu­ins No­ta­ri­at er­wer­ben; aber meinst du denn, daß er sich mit ei­ner Mit­gift von hun­dert­tau­send Fran­ken be­gnü­gen wird (ich set­ze da­bei vor­aus, daß wir alle uns­re flüs­si­gen Mit­tel für die Hei­rat uns­rer Toch­ter her­ge­ben, was auch mei­ne Ab­sicht ist; denn ich wür­de mich für den Rest mei­ner Tage gern mit trock­nem Brot be­gnü­gen, wenn ich sie glück­lich wie eine Kö­ni­gin se­hen könn­te, also als die Frau ei­nes Pa­ri­ser No­tars, wie du sagst)? Nun, hun­dert­tau­send Fran­ken oder selbst acht­tau­send Fran­ken Ren­te sind nichts, wenn man das No­ta­ri­at Ro­gu­ins kau­fen will. Der klei­ne Xan­d­rot, wie wir ihn nen­nen, hält uns, wie alle Welt, für viel rei­cher, als wir sind. Wenn sein Va­ter, der di­cke Gut­späch­ter, der ein rich­ti­ger Hams­ter ist, nicht auch für hun­dert­tau­send Fran­ken Land ver­kauft, wird Xan­d­rot nicht No­tar wer­den, denn das No­ta­ri­at Ro­gu­ins ist vier- bis fünf­hun­dert­tau­send Fran­ken wert. Wenn Crot­tat nicht die Hälf­te in bar zahlt, wie soll das Ge­schäft zu­stan­de­kom­men? Cäsa­ri­ne muß zwei­hun­dert­tau­send Fran­ken Mit­gift be­kom­men; und ich will, daß, wenn wir uns vom Ge­schäft zu­rück­zie­hen, wir es als wohl­ha­ben­de Bür­ger mit fünf­zehn­tau­send Fran­ken Ren­te tun. Also, wenn du das als son­nen­klar ein­siehst, wirst du dann nicht dein Schnä­bel­chen hal­ten müs­sen?«

»Ja, wenn dir die Schät­ze von Peru ge­hö­ren …«

»Ja, mein Herz, sie ge­hö­ren mir. Ja,« sag­te er, faß­te sei­ne Frau um die Tail­le und gab ihr ein paar leich­te Klap­se, er­regt von der Freu­de, die sein gan­zes Ge­sicht be­leb­te. »Ich habe mit dir von die­ser Sa­che noch nicht re­den wol­len, be­vor sie reif war; aber mor­gen wird sie wahr­schein­lich zu­stan­de kom­men. Also höre: Ro­guin hat mir eine Spe­ku­la­ti­on vor­ge­schla­gen, die so si­cher ist, daß er sich mit Ra­gon, dei­nem On­kel Pil­ler­ault und noch zwei an­dern sei­ner Kli­en­ten dar­an be­tei­ligt. Wir wol­len an der Ma­de­lei­ne-Kir­che Ter­rains kau­fen, die wir nach der Be­rech­nung Ro­gu­ins für ein Vier­tel des Wer­tes ha­ben kön­nen, den sie in drei Jah­ren er­rei­chen müs­sen, wo wir sie dann, wenn ihre Ver­pach­tung ab­ge­lau­fen sein wird, nach un­se­rem Be­lie­ben aus­schlach­ten kön­nen. Wir be­tei­li­gen uns alle sechs dar­an mit be­stimm­ten An­tei­len, ich mit drei­hun­dert­tau­send Fran­ken für drei Ach­tel. Wenn ei­ner von uns Geld braucht, wird Ro­guin ihm das ver­schaf­fen, in­dem er auf sei­nen An­teil eine Hy­po­thek auf­nimmt. Um den Stiel der Pfan­ne in der Hand zu be­hal­ten und zu se­hen, wie der Fisch brät, will ich, dem Na­men nach, Ei­gen­tü­mer der einen Hälf­te sein, die Pil­ler­ault, dem gu­ten Ra­gon und mir zu­sam­men ge­hört. Ro­guin wird un­ter dem Na­men ei­nes Herrn Karl Cla­paron der an­de­re Mit­be­sit­zer sein und, wie ich, sei­nen So­zi­en einen Re­vers aus­stel­len. Die Kau­fur­kun­de wird in pri­vat­schrift­li­cher Ver­schrei­bung aus­ge­stellt, bis wir Be­sit­zer al­ler Ter­rains sind. Ro­guin wird ge­nau prü­fen, wel­che Kon­trak­te rea­li­siert wer­den müs­sen, denn er weiß noch nicht ge­wiß, ob wir die Ein­tra­gung ins Grund­buch ver­mei­den und die Kos­ten auf die­je­ni­gen, an die wir dann im ein­zel­nen ver­kau­fen wer­den, ab­wäl­zen kön­nen; aber das dau­ert zu lan­ge, wenn ich dir das er­klä­ren woll­te. Sind die Ter­rains be­zahlt, so ha­ben wir nichts zu tun, als mit ge­kreuz­ten Ar­men zu­zu­se­hen, und in drei Jah­ren be­sit­zen wir eine Mil­li­on. Cäsa­ri­ne wird dann ihr zwan­zigs­tes Jahr er­reicht ha­ben, dann ver­kau­fen wir un­ser Ge­schäft und kön­nen, dank dem Him­mel, bei al­ler Be­schei­den­heit zu ho­her Stel­lung auf­stei­gen.«

»So, und wo willst du die drei­hun­dert­tau­send Fran­ken her­neh­men?« sag­te Frau Bi­rot­teau.

»Von Ge­schäf­ten ver­stehst du nichts, mein Herz. Ich gebe die hun­dert­tau­send Fran­ken her, die bei Ro­guin ste­hen, vier­zig­tau­send Fran­ken neh­me ich auf die Bau­lich­kei­ten und das Gar­ten­land uns­rer Fa­brik im Fau­bourg du Tem­ple auf, für zwan­zig­tau­send ha­ben wir Wech­sel im Por­te­feuil­le, das sind zu­sam­men hun­dert­sech­zig­tau­send Fran­ken. Blei­ben noch hun­dert­vier­zig­tau­send, für die ich Wech­sel an die Or­der des Ban­kiers Karl Cla­paron ge­ben wer­de; er über­nimmt die Va­lu­ta da­für nach Ab­zug des Dis­konts. Da­mit sind uns­re hun­dert­tau­send Ta­ler be­zahlt: vor dem Ter­min braucht man nicht zu zah­len. Wer­den die Wech­sel fäl­lig, so kön­nen wir sie mit un­sern Über­schüs­sen ein­lö­sen. Und kön­nen wir das nicht, so wird Ro­guin mir Geld zu fünf Pro­zent lei­hen und es als Hy­po­thek auf mei­nen An­teil an den Ter­rains ein­tra­gen las­sen. Aber es wird gar nicht zu die­sem Geld­bor­gen kom­men: ich habe eine Es­senz ge­gen den Haar­schwund er­fun­den, das Co­ma­gen­öl! Li­ving­ston hat mir eine hy­drau­li­sche Pres­se auf­ge­stellt, mit der ich mein Öl aus Nüs­sen her­stel­le, de­nen un­ter sol­chem Druck all ihr Öl so­fort aus­ge­preßt wird. Nach mei­nen Be­rech­nun­gen wer­de ich we­nigs­tens hun­dert­tau­send Fran­ken dar­an ver­die­nen. Ich brü­te über ei­ner An­non­ce, die mit den Wor­ten be­gin­nen soll: ›Weg mit den Perücken!‹ und die eine groß­ar­ti­ge Wir­kung ma­chen wird. Du hast von mei­nen schlaflo­sen Näch­ten gar nichts ge­merkt! Schon seit drei Mo­na­ten raubt mir der Er­folg des Ma­kassaröls den Schlaf. Aber ich will das Ma­kassar­öl schon tot ma­chen!«

»Das sind also die fei­nen Pro­jek­te, mit de­nen du seit zwei Mo­na­ten dein Ge­hirn ab­ar­bei­test, ohne daß du mir et­was da­von sagst. Eben habe ich mich als Bett­le­rin an mei­ner ei­ge­nen Tür er­blickt, das war ein Wink des Him­mels. In kur­z­er Zeit wird uns nichts wei­ter blei­ben als die Au­gen, um sie uns aus dem Kop­fe zu wei­nen. So­lan­ge ich lebe, wirst du die Sa­che nicht ma­chen, ver­stehst du mich, Cäsar? Da­hin­ter ste­cken ge­wis­se Ma­chen­schaf­ten, die du nicht merkst, du bist zu an­stän­dig und zu ehr­lich, um bei an­dern Be­trü­ge­rei­en zu ver­mu­ten. Wes­halb bie­ten sie dir Mil­lio­nen an? Du be­raubst dich al­ler dei­ner Er­spar­nis­se, du en­ga­gierst dich über dei­ne Mit­tel hin­aus, und wenn nun die Wert­stei­ge­rung der Ter­rains nicht ein­tritt, wo­mit willst du dann dei­ne Wech­sel be­zah­len? Etwa mit den Scha­len dei­ner Nüs­se? Um in die fei­ne Ge­sell­schaft zu kom­men, soll dein Name nicht mehr in der Fir­ma er­schei­nen und das Schild der Ro­sen­kö­ni­gin ver­schwin­den, da­für aber willst du markt­schreie­ri­sche An­non­cen und Pro­spek­te los­las­sen, die den Na­men Cäsar Bi­rot­teau an al­len Ecken und auf al­len Bret­tern, über­all wo ge­baut wird, an­zei­gen wer­den.«

»Oh, da bist du im Irr­tum. Ich er­rich­te eine Fi­lia­le un­ter der Fir­ma Po­pi­not, in ir­gend­ei­nem Hau­se in der Nähe der Rue des Lom­bards, wo ich den klei­nen An­selm hin­ein­set­ze. Da­mit wer­de ich zu­gleich die Schuld der Dank­bar­keit ge­gen Herrn und Frau Ra­gon ab­tra­gen, wenn ich ih­ren Nef­fen eta­blie­re, der so sein Glück ma­chen kann. Die ar­men Ra­g­ons schei­nen mir seit ei­ni­ger Zeit sehr be­drückt aus­zu­se­hen.«

»Aha, des­halb wol­len die­se Leu­te dein Geld ha­ben.«

»Aber wel­che Leu­te denn, mein Kind? Etwa dein On­kel Pil­ler­ault, der uns lieb hat wie sein eig­nes Fleisch, und alle Sonn­ta­ge bei uns ißt? Oder der gute alte Ra­gon, un­ser Vor­gän­ger, der vier­zig Jah­re eh­ren­haf­ten Le­bens hin­ter sich hat und mit dem wir un­sern Bo­ston spie­len? Oder schließ­lich Ro­guin, ein Pa­ri­ser No­tar, ein Mann von sie­ben­und­fünf­zig Jah­ren, der sein No­ta­ri­at seit fünf­und­zwan­zig Jah­ren ver­wal­tet? Ein Pa­ri­ser No­tar, das wäre der Gip­fel, wenn nicht alle eh­ren­haf­ten Leu­te den glei­chen Wert hät­ten. Also, wenn Not am Mann wäre, wür­den mir mei­ne So­zi­en schon bei­sprin­gen! Wo ist denn nun also das Kom­plott, mein Lieb­chen? Aber ich muß dir ein­mal mei­ne Mei­nung sa­gen! So wahr ich ein an­stän­di­ger Mensch bin, das liegt mir auf dem Her­zen. – Im­mer bist du miß­trau­isch wie eine Kat­ze ge­we­sen! So­bald wir nur für zwei Sous Ei­gen­tum in un­serm La­den hat­ten, hast du die Kun­den für Spitz­bu­ben ge­hal­ten. – Knie­fäl­lig muß man dich bit­ten, daß du ge­stat­test, dich reich zu ma­chen! Für ein Pa­ri­ser Kind hast du wirk­lich recht we­nig Ehr­geiz! Wenn du nicht ewig klag­test, könn­te es kei­nen glück­li­che­ren Men­schen ge­ben als mich! – Wenn ich auf dich ge­hört hät­te, nie­mals hät­t’ ich die Sul­tan­in­nen-Pas­te und das Eau Car­mi­na­ti­ve ge­macht. Un­ser La­den­ge­schäft hat uns wohl er­nährt, aber die­se bei­den Er­fin­dun­gen und uns­re Sei­fen ha­ben uns hun­dert­sech­zig­tau­send Fran­ken ein­ge­bracht, die wir klar und nett be­sit­zen! – Ohne mei­ne Er­fin­dungs­ga­be – und ich habe Ta­lent für die Par­fü­me­rie – wä­ren wir klei­ne De­tail­händ­ler ge­blie­ben, wir wür­den uns pla­gen müs­sen, um un­ser Aus­kom­men zu ha­ben, ich wür­de nicht zu den an­ge­se­he­nen Kauf­leu­ten ge­hö­ren, die für die Wahl zum Han­dels­rich­ter in Fra­ge kom­men, ich wür­de we­der Rich­ter noch Bei­ge­ord­ne­ter ge­wor­den sein! Weißt du, was ich wäre? Ein Krä­mer, wie der alte Ra­gon ei­ner war, wo­mit ich ihn nicht be­lei­di­gen will, denn ich ach­te das La­den­ge­schäft, un­ser Haupt­ver­mö­gen rührt ja da­her! – Aber nach vier­zig Jah­ren Han­del mit Par­füms wür­den wir wie er drei­tau­send Fran­ken Ren­te ha­ben; und bei dem, was heu­te al­les kos­tet, wo sich die Prei­se ver­dop­pelt ha­ben, wür­den wir, wie sie, kaum zu le­ben ha­ben. (Täg­lich ma­che ich mir um das alte Ehe­paar im­mer mehr Sor­gen. Ich muß da end­lich mal klar se­hen, und ich wer­de das ent­schei­den­de Wort mor­gen von Po­pi­not hö­ren!) – Wäre ich dei­nem Rate ge­folgt, dir, die du im­mer in Sor­gen bist und dich im­mer fragst, ob du das, was du heu­te in der Hand hast, mor­gen noch ha­ben wirst, so wür­de ich kei­nen Kre­dit, wür­de nicht das Kreuz der Ehren­le­gi­on und nicht die Aus­sicht ha­ben, eine po­li­ti­sche Per­sön­lich­keit zu wer­den. Ja, schütt­le nur den Kopf, wenn uns­re An­ge­le­gen­heit zu­stan­de kommt, kann ich De­pu­tier­ter von Pa­ris wer­den. Oh, nicht um­sonst hei­ße ich Cäsar, mir ist al­les ge­glückt. – Es ist nicht zu glau­ben, je­der­mann er­klärt mich für einen fä­hi­gen Kopf; nur zu Hau­se hält mich die ein­zi­ge, der zu­lie­be ich so hand­le, daß ich Blut und Was­ser schwit­ze, um sie glück­lich zu ma­chen – aus­ge­rech­net hält mich ge­ra­de die für einen Dumm­kopf.«

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5534 стр. 474 иллюстрации
ISBN:
9783962815226
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