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Seit­dem ihn Ur­su­la ver­las­sen hat­te, war Cäsar keusch ge­blie­ben, eben­so­sehr aus Angst vor den Ge­fah­ren, die ei­nem in Pa­ris in Lie­bes­an­ge­le­gen­hei­ten dro­hen, als in­fol­ge sei­ner Ar­beit. Wenn aber die Lie­bes­sehn­sucht ohne Er­fül­lung bleibt, ver­wan­delt sie sich in ein zwin­gen­des Be­dürf­nis; dann wird das Hei­ra­ten für die Leu­te aus dem Mit­tel­stan­de zu ei­ner fi­xen Idee, denn nur auf die­sem Wege kön­nen sie ein Weib er­obern und sich zu ei­gen ma­chen. In die­sem Zu­stan­de be­fand sich Cäsar Bi­rot­teau. In dem Ge­schäft der Ro­sen­kö­ni­gin las­te­te al­les auf dem ers­ten Kom­mis; er hat­te kei­nen Au­gen­blick für Ver­gnü­gun­gen üb­rig. Bei ei­nem sol­chen Le­ben wer­den jene Be­dürf­nis­se um so drin­gen­der, und die Be­geg­nung mit ei­nem hüb­schen Mäd­chen, an die ein lie­der­li­cher Kom­mis kaum wei­ter ge­dacht hät­te, muß­te auf den keu­schen Cäsar den größ­ten Ein­druck ma­chen. Als er an ei­nem schö­nen Ju­ni­ta­ge über die Ma­ri­en­brücke nach der In­sel Saint-Louis kam, er­blick­te er ein jun­ges Mäd­chen, das vor der Tür ei­nes La­dens an ei­ner Ecke des Quai d’An­jou stand. Kon­stan­ze Pil­ler­ault war die ers­te Ver­käu­fe­rin in ei­nem Mo­de­wa­ren­ge­schäft, der Pe­tit-Ma­te­lot ge­nannt, dem ers­ten die­ser Art Ge­schäf­te, die seit­dem in Pa­ris mit mehr oder we­ni­ger be­mal­ten Schil­dern, flat­tern­den Wim­peln, Schau­fens­tern voll von hän­gen­den Schals, Kra­wat­ten, die auf Kar­ten­häu­sern ar­ran­giert wa­ren, und tau­send an­dern ver­füh­re­ri­schen Wa­ren, mit fes­ten Prei­sen, Tä­fel­chen, An­zei­gen, op­ti­schen Täu­schun­gen und Ef­fek­ten eine sol­che Voll­kom­men­heit er­reicht ha­ben, daß die­se Schau­fens­ter zu wah­ren kauf­män­ni­schen Ge­dich­ten ge­wor­den sind. Der nied­ri­ge Preis al­ler die­ser so­ge­nann­ten Nou­veautés, die man im Pe­tit-Ma­te­lot fand, be­wirk­te einen rie­si­gen Zu­lauf an die­ser für den Ver­kehr und den Han­del am we­nigs­ten güns­ti­gen Stel­le von Pa­ris. Die­se ers­te Ver­käu­fe­rin war da­mals ih­rer Schön­heit we­gen eben­so be­kannt, wie es spä­ter die schö­ne Kell­ne­rin des Cafés des Mil­le-Co­lon­nes und meh­re­re an­de­re arme We­sen wur­den, de­rent­we­gen sich mehr jun­ge und alte Na­sen nach den Fens­tern der Mo­de­ge­schäf­te, Cafés und an­de­rer Lä­den er­ho­ben, als es Pflas­ter­stei­ne in den Stra­ßen von Pa­ris gibt. Der ers­te Kom­mis der Ro­sen­kö­ni­gin, der zwi­schen Saint-Roch und der Rue de la Sour­diè­re wohn­te und al­lein mit sei­ner Par­füm­hand­lung be­schäf­tigt war, hat­te kei­ne Ah­nung von der Exis­tenz des Pe­tit-Ma­te­lot; denn die klei­nen Ge­schäf­te in Pa­ris wis­sen eins vom an­dern nichts. Cäsar war von der Schön­heit Kon­stan­zens so hef­tig be­wegt, daß er ganz auf­ge­regt in den Pe­tit-Ma­te­lot ein­trat, um sechs lei­ne­ne Hem­den zu kau­fen, um de­ren Preis er lan­ge han­del­te und wo­bei er sich Stö­ße von Lei­nen vor­le­gen ließ, nicht an­ders als eine Eng­län­de­rin, die zu ih­rem Ver­gnü­gen her­um­han­delt (shop­ping). Die ers­te Ver­käu­fe­rin ließ sich her­ab, Cäsar zu be­die­nen, da sie an ge­wis­sen An­zei­chen, die alle Frau­en ken­nen, wohl be­merk­te, daß es Cäsar viel mehr um die Ver­käu­fe­rin als um die Ware zu tun war. Er nann­te ihr sei­nen Na­men und sei­ne Adres­se, sie zeig­te sich aber zum Er­stau­nen des Kun­den nach dem Kauf sehr gleich­gül­tig. Der arme Kom­mis hat­te we­nig zu tun brau­chen, um das Ent­ge­gen­kom­men Ur­su­las zu er­rei­chen, er war un­be­hol­fen wie ein Schöps; die Lie­be ließ ihn noch un­ge­schick­ter er­schei­nen, er wag­te kein Wort zu re­den und war auch zu sehr ge­blen­det, um die Gleich­gül­tig­keit, die auf das Lä­cheln der ver­füh­re­ri­schen Ver­käu­fe­rin folg­te, wahr­zu­neh­men.

Acht Tage lang stand er alle Abend vor dem Pe­tit-Male­lot auf Wa­che, um einen Blick zu er­ha­schen, wie ein Hund, der an ei­ner Kü­chen­tür um einen Kno­chen bet­telt, ohne sich um die spöt­ti­schen Be­mer­kun­gen der Kom­mis und La­den­fräu­leins zu küm­mern und de­mü­tig den Käu­fern und Passan­ten platz­ma­chend, die auf die klei­nen Vor­komm­nis­se im La­den auf­paß­ten. Ei­ni­ge Tage spä­ter be­trat er von neu­em das Pa­ra­dies, in dem sein En­gel weil­te, we­ni­ger, um Ta­schen­tü­cher zu kau­fen, als um ihr eine glän­zen­de Idee mit­zu­tei­len.

»Wenn Sie Par­fü­me­ri­en brau­chen soll­ten, Fräu­lein, dann kann ich sie Ih­nen eben­so­gut lie­fern«, sag­te er, als er be­zahl­te.

Kon­stan­ze Pil­ler­ault er­hielt täg­lich glän­zen­de An­trä­ge, bei de­nen aber nie­mals von Hei­ra­ten die Rede war; und ob­wohl ihr Herz eben­so rein und weiß wie ihre Stirn war, ent­schloß sie sich doch erst nach sechs Mo­na­ten Hin- und Her­ge­hens, wo­bei Cäsar sei­ne un­er­schüt­ter­li­che Lie­be be­wies, sei­ne Hul­di­gun­gen an­zu­neh­men, aber noch ohne sich zu er­klä­ren, eine Vor­sicht, die ihr die Un­zahl von An­be­tern, Wein­groß­händ­lern, rei­chen Kaf­fee­h­aus­be­sit­zern und an­de­ren, die mit ihr lieb­äu­gel­ten, ge­bot. Der Lieb­ha­ber hat­te sich hin­ter Kon­stan­zens Vor­mund, den Herrn Clau­de-Jo­seph Pil­ler­ault, einen Ei­sen­wa­ren­händ­ler am Quai de la Fer­rail­le, ge­steckt, den er auf Schleich­we­gen, wie sie nur die ech­te Lie­be zu ent­de­cken weiß, auf­ge­spürt hat­te. Um die­se Er­zäh­lung nicht auf­zu­hal­ten, müs­sen die Freu­den ei­ner un­schul­di­gen Pa­ri­ser Lie­be mit Still­schwei­gen über­gan­gen wer­den; nicht zu re­den von den Ver­schwen­dun­gen, die Kom­mis bei sol­chen Ge­le­gen­hei­ten sich zu er­lau­ben pfle­gen: die ers­ten Me­lo­nen, fei­ne Di­ners bei Ve­nua mit nach­fol­gen­dem Be­such des Thea­ters, Land­par­ti­en am Sonn­tag im Wa­gen. Ohne hübsch zu sein, war Cäsars Per­son doch so be­schaf­fen, daß ihn ein Weib lie­ben konn­te. Das Le­ben in Pa­ris und der Auf­ent­halt in dunklen Räu­men hat­ten schließ­lich die et­was leb­haf­te Fär­bung sei­nes bäu­ri­schen Teints ver­blas­sen las­sen. Sein über­rei­ches schwar­zes Haar, sein Hals, wie der ei­nes nor­man­ni­schen Gauls, sei­ne mäch­ti­gen Glie­der, sein ge­ra­des, ehr­li­ches We­sen, al­les trug dazu bei, daß man güns­tig für ihn ge­stimmt wur­de. Der On­kel Pil­ler­ault, der über das Wohl der Toch­ter sei­nes Bru­ders zu wa­chen hat­te, bil­lig­te, nach ein­ge­zo­ge­nen Er­kun­di­gun­gen, die Wün­sche des Tou­rai­ners. Im Jah­re 1800, im schö­nen Mo­nat Mai, wil­lig­te Fräu­lein Pil­ler­ault ein, Cäsar Bi­rot­teau zu hei­ra­ten, der vor Freu­de fast ohn­mäch­tig wur­de, als in Sceaux, un­ter ei­nem Lin­den­baum, Kon­stan­ze-Bar­be-Jo­se­phi­ne ihm ihr Ja­wort gab.

»Du be­kommst einen gu­ten Mann, mein Kind«, sag­te Herr Pil­ler­ault zu ihr. »Er hat ein war­mes Herz und eine eh­ren­haf­te Ge­sin­nung; er ist lau­ter wie Gold und rein wie ein Je­sus­kind: das ist eine Per­le von Mann.«

3

Kon­stan­ze ver­zich­te­te glatt­weg auf die Bril­lan­ten, von de­nen sie, wie alle La­den­mäd­chen, zu­wei­len ge­träumt hat­te, sie woll­te eine an­stän­di­ge Frau und eine gute Haus­mut­ter sein und hat­te vom Le­ben die ge­wis­sen­haf­te Auf­fas­sung der Mit­tel­klas­sen. Und die­se An­schau­ung paß­te auch viel bes­ser zu ihr, als die ge­fähr­li­chen Ein­bil­dun­gen, die die Phan­ta­sie so vie­ler jun­ger Pa­ri­se­r­in­nen ver­füh­ren. Von be­schränk­ter In­tel­li­genz, war Kon­stan­ze der Ty­pus der klei­nen Bour­geoi­se, de­ren Tun sich nicht ohne et­was Lau­nen­haf­tig­keit voll­zieht, die erst ver­wei­gert, was sie selbst wünscht, und dann böse ist, wenn man sie beim Wort nimmt, de­ren ge­räusch­vol­le Tä­tig­keit sich auf die Kü­che und auf die Kas­se er­streckt, auf die schwer­wie­gends­ten An­ge­le­gen­hei­ten und dar­auf, Aus­bes­se­run­gen der Wä­sche nicht sicht­bar wer­den zu las­sen, die liebt und da­bei schilt, nur die ein­fachs­ten Ge­dan­ken, das geis­ti­ge Klein­geld, be­greift, die über al­les ur­teilt, sich vor al­lem fürch­tet, al­les be­rech­net und im­mer an die Zu­kunft denkt. Ihr schö­nes küh­les aber ehr­li­ches Ge­sicht, ihr herz­li­ches We­sen, ihre Fri­sche lie­ßen Bi­rot­teau kei­nen ih­rer Män­gel emp­fin­den, die üb­ri­gens durch die den Frau­en ei­ge­ne fei­ne Recht­schaf­fen­heit, durch un­ge­wöhn­li­che Ord­nungs­lie­be, durch fa­na­ti­schen Fleiß und eine ge­nia­le Be­ga­bung als Ver­käu­fe­rin wett­ge­macht wur­den. Kon­stan­ze war da­mals acht­zehn Jah­re alt und be­saß elf­tau­send Fran­ken. Cäsar, des­sen Ehr­geiz die Lie­be aufs äu­ßers­te an­sta­chel­te, kauf­te die Ro­sen­kö­ni­gin und ver­leg­te den La­den in die Nähe des Ven­dô­me­plat­zes, in ein hüb­sches Haus. Erst ein­und­zwan­zig Jah­re alt, mit ei­ner an­ge­be­te­ten Frau ver­hei­ra­tet, Be­sit­zer ei­nes Ge­schäfts, des­sen Preis er zu drei Vier­teln be­zahlt hat­te, sah er und muß­te er in eine ro­si­ge Zu­kunft se­hen, be­son­ders wenn er an den Weg dach­te, den er seit dem Ver­las­sen der Hei­mat zu­rück­ge­legt hat­te. Ro­guin, Ra­g­ons No­tar, der den Ehe­kon­trakt auf­ge­setzt hat­te, gab dem neu­en Par­fü­me­rie­in­ha­ber einen klu­gen Rat, in­dem er ihn hin­der­te, den Rest des Kauf­prei­ses mit der Mit­gift sei­ner Frau zu be­zah­len.

»Be­wah­ren Sie das Geld lie­ber für gute Un­ter­neh­mun­gen auf, mein Jun­ge«, hat­te er zu ihm ge­sagt. Bi­rot­teau sah mit Be­wun­de­rung zu dem No­tar auf, frag­te ihn fer­ner stän­dig um Rat und mach­te ihn zu sei­nem Freun­de. Wie Ra­gon und Pil­ler­ault hat­te er ein sol­ches Ver­trau­en zu ei­nem No­tar, daß er ihm ohne je­den Ver­dacht in al­les Ein­blick ge­währ­te. Dank Ro­gu­ins Rat hät­te Cäsar, im Be­sitz der elf­tau­send Fran­ken Kon­stan­zes für neue Ge­schäf­te, sei­ne Aus­sich­ten nicht ge­gen die des ers­ten Kon­suls ein­ge­tauscht, wie glän­zend auch Na­po­le­ons Zu­kunft zu sein schi­en. Zu­erst hielt sich Bi­rot­teau nur eine Kö­chin, be­zog den über sei­nem La­den ge­le­ge­nen Zwi­schen­stock, eine Art von Rum­pel­kam­mer, die von ei­nem Ta­pe­zie­rer ziem­lich hübsch in­stand ge­setzt wur­de und in dem für das jun­ge Paar ein dau­ern­der Ho­nig­mond be­gann. Im Kon­tor er­schi­en Frau Kon­stan­ze wie ein Wun­der. Ihre be­rühmt ge­wor­de­ne Schön­heit war von au­ßer­or­dent­li­chem Ein­fluß auf den Ver­kauf, und un­ter den jun­gen Ele­gants der Em­pi­re­zeit war fort­wäh­rend die Rede von der schö­nen Frau Bi­rot­teau. Wenn Cäsar auch roya­lis­ti­scher Ge­sin­nun­gen be­schul­digt wur­de, so er­kann­te man doch sei­ne Recht­schaf­fen­heit an, und wenn et­li­che be­nach­bar­te Kauf­leu­te ihn auch um sein Glück be­nei­de­ten, so hielt man ihn doch des­sen für wür­dig. Die Ver­wun­dung, die er auf den Stu­fen von Saint-Roch er­hal­ten hat­te, ver­lieh ihm den Nim­bus ei­nes in die po­li­ti­schen Ge­heim­nis­se ein­ge­weih­ten und ei­nes tap­fe­ren Man­nes, ob­wohl er we­der ir­gend wel­chen mi­li­tä­ri­schen Mut im Her­zen, noch ir­gend­ei­ne po­li­ti­sche Idee im Ge­hirn be­saß. Auf die­ser Ba­sis wähl­ten ihn die recht­schaf­fe­nen Leu­te des Ar­ron­dis­se­ments zum Ka­pi­tän der Na­tio­nal­gar­de; er wur­de aber von Na­po­le­on kas­siert, der nach Bi­rot­te­aus An­sicht ihm ihr Ren­kon­tre im Ven­dé­mi­aire noch nachtrug. Cäsar wur­de so um bil­li­gen Preis vom Glan­ze des Ver­folg­ten um­ge­ben, was ihn in den Au­gen der Op­po­si­ti­on in­ter­essant mach­te und ihn eine ge­wis­se Be­deu­tung ge­win­nen ließ.

Be­trach­ten wir nun, wie das Schick­sal die­ses Ehe­paars wei­ter ver­lief, des­sen Ge­fühl ge­gen­sei­ti­ger Zu­nei­gung nicht nachließ, und das höchs­tens durch kauf­män­ni­sche Sor­gen be­un­ru­higt wur­de.

Im Ver­lauf des ers­ten Jah­res weih­te Cäsar Bi­rot­teau sei­ne Frau in den Ver­kauf und die Ein­zel­hei­ten der Par­fü­me­ri­en ein, wo­für sie ein aus­ge­zeich­ne­tes Ver­ständ­nis be­wies; sie schi­en ge­schaf­fen und in die Welt ge­setzt zu sein, um Kun­den zu be­die­nen. Aber am Ende die­ses Jah­res war der ehr­gei­zi­ge Par­füm­händ­ler ent­setzt über die Bilanz; nach Ab­zug al­ler Kos­ten wür­de er in zwan­zig Jah­ren kaum das be­schei­de­ne Ka­pi­tal von hun­dert­tau­send Fran­ken, das er sich als Ziel ge­setzt hat­te, er­spart ha­ben kön­nen. Er be­schloß da­her, schnel­ler zu Ver­mö­gen zu kom­men, und woll­te zu­nächst die Fa­bri­ka­ti­on mit dem De­tail­ge­schäft ver­bin­den. Ge­gen den Rat sei­ner Frau mie­te­te er einen Schup­pen und et­was Ter­rain im Fau­bourg du Tem­ple und ließ dar­auf mit großen Buch­sta­ben ma­len: Fa­brik von Cäsar Bi­rot­teau. Er mie­te­te sich in Gras­se einen Ar­bei­ter aus, mit dem er zu glei­chen An­tei­len die Fa­bri­ka­ti­on von Sei­fen, Es­sen­zen und Köl­ni­schem Was­ser be­gann. Aber die So­zie­tät mit die­sem Ar­bei­ter dau­er­te nur sechs Mo­na­te und en­de­te mit Ver­lust, den er al­lein zu tra­gen hat­te. Ohne sich ent­mu­ti­gen zu las­sen, woll­te Bi­rot­teau um je­den Preis zu ei­nem Er­fol­ge kom­men, ein­zig des­halb, weil er nicht von sei­ner Frau ge­schol­ten wer­den woll­te, der er spä­ter ge­stand, daß ihm in die­ser Zeit der Verzweif­lung der Kopf wie ein Schlot rauch­te, und daß er mehr­mals, wenn ihn nicht sei­ne re­li­gi­öse Über­zeu­gung ge­hin­dert hät­te, in Ver­su­chung war, sich in die Sei­ne zu stür­zen. Nie­der­ge­schla­gen über meh­re­re er­geb­nis­lo­se Ver­su­che, ging er ei­nes Ta­ges lang­sam die Bou­le­vards ent­lang nach Hau­se zum Es­sen, denn der Pa­ri­ser Fla­neur ist eben­so häu­fig ein ver­zwei­fel­ter wie ein mü­ßi­ger Mensch. Da wur­den sei­ne Bli­cke un­ter et­li­chen Bü­chern zu sechs Sous, die in ei­nem Kor­be auf der Erde la­gen, von ei­nem staub­ver­gilb­ten Ti­tel ge­fes­selt: »Ab­de­ker, oder die Kunst, die Schön­heit zu er­hal­ten.« Er nahm das an­geb­lich ara­bi­sche Buch auf, eine Art Ro­man von ei­nem Arzt des vo­ri­gen Jahr­hun­derts, und stieß auf eine Sei­te, wo von Par­füms die Rede war. Er durch­blät­ter­te das Buch, an einen Bou­le­vard­baum ge­lehnt, und las eine Stel­le, wo der Au­tor das We­sen der Un­ter- und der Ober­haut er­klärt und zeigt, wel­che Pas­te oder Sei­fe eine häu­fig der Er­war­tung ent­ge­gen­ge­setz­te Wir­kung her­vor­bringt, wenn die Pas­te und die Sei­fe die Haut zu­sam­men­zie­hen, die ent­spannt ge­hal­ten sein will, oder die Haut ent­span­nen, die nach Zu­sam­men­zie­hen ver­langt. Bi­rot­teau kauf­te das Buch, von dem er ein Ver­mö­gen er­hoff­te. Da er trotz­dem sei­ner Er­leuch­tung nicht trau­te, be­gab er sich zu ei­nem be­rühm­ten Che­mi­ker, Vau­que­lin, von dem er ganz naiv das Re­zept er­bat, um ein Kos­me­ti­kum mit zwie­fa­cher Wir­kung, das den ver­schie­de­nen Spiel­ar­ten der mensch­li­chen Epi­der­mis Rech­nung trug, her­zu­stel­len. Die wah­ren Ge­lehr­ten, die Män­ner, die wirk­lich groß sind in dem Sin­ne, daß ih­nen bei Leb­zei­ten der Ruhm, den ihre un­ge­kann­ten au­ßer­ge­wöhn­li­chen Ar­bei­ten ver­dient hät­ten, nie­mals zu­teil wird, sind fast alle dienst­wil­lig und freund­lich ge­gen die geis­tig Ar­men. Vau­que­lin ge­währ­te also dem Par­füm­händ­ler sei­ne Pro­tek­ti­on, ge­stat­te­te ihm, sich Er­fin­der ei­ner Pas­te, die die Wei­ße der Hän­de er­zielt, zu nen­nen, und gab ihm de­ren Zu­sam­men­set­zung an. Bi­rot­teau nann­te sie Dop­pel­pas­te der Sul­tan­in­nen. Um die Sa­che voll­kom­men zu ma­chen, wen­de­te er das Ver­fah­ren der Pas­te für die Hän­de auf ein Was­ser für den Teint an, das er Eau Car­mi­na­ti­ve nann­te. Bei dem wei­te­ren Vor­ge­hen mach­te er sich das Prin­zip des Pe­tit-Ma­te­lot zu ei­gen und ent­wi­ckel­te, als ers­ter un­ter den Par­füm­händ­lern, je­nen Lu­xus von Pla­ka­ten, An­non­cen und an­dern Re­kla­men, die man viel­leicht mit Un­recht Char­la­ta­ne­rie nennt.

Die Sul­tan­in­nen­pas­te und das Eau Car­mi­na­ti­ve wand­ten sich an die ge­sam­te ga­lan­te und kom­mer­zi­el­le Welt mit bun­ten Pla­ka­ten, an de­ren Kopf die Wor­te stan­den: »Ap­pro­biert von der Aka­de­mie der Wis­sen­schaf­ten!« Die­se zum ers­ten­mal ge­brauch­te For­mel hat­te eine ma­gi­sche Wir­kung. Nicht nur Frank­reich, der gan­ze Kon­ti­nent wur­de mit gel­ben, ro­ten, blau­en Pla­ka­ten von dem Be­herr­scher der Ro­sen­kö­ni­gin be­pflas­tert, der al­les, was hier in Fra­ge kam, be­reit hielt, lie­fer­te und fa­bri­zier­te. Zu ei­ner Zeit, da man von nichts als vom Ori­ent re­de­te, ein Schön­heits­mit­tel Sul­tan­in­nen­pas­te nen­nen und die ma­gi­sche Wir­kung die­ser Wor­te in ei­nem Lan­de ah­nen, wo je­der Mann eben­so­sehr ein Sul­tan, wie jede Frau eine Sul­ta­nin zu sein wünscht, das war eine Ein­ge­bung, die ei­nem ge­wöhn­li­chen wie ei­nem geist­vol­len Man­ne zu­teil wer­den kann; aber da das Pub­li­kum im­mer nach dem Er­fol­ge ur­teilt, galt Bi­rot­teau um so mehr für einen, kauf­män­nisch ge­spro­chen, her­vor­ra­gen­den Men­schen, als er selbst einen Pro­spekt ver­faß­te, des­sen al­ber­ner Stil ein we­sent­li­ches Mo­ment sei­nes Er­fol­ges wur­de; in Frank­reich lacht man nur über Din­ge und Men­schen, mit de­nen man sich be­schäf­tigt, und nie­mand be­schäf­tigt sich mit et­was, das kei­nen Er­folg hat. Ob­wohl Bi­rot­te­aus Al­bern­heit nicht ge­macht war, sprach man ihm doch die Fä­hig­keit zu, sich ge­ge­be­nen­falls dumm stel­len zu kön­nen. Nicht ohne Mühe ist es ge­lun­gen, ein Exem­plar die­ses Pro­spekts im Hau­se Po­pi­not & Co., Dro­gis­ten, Rue des Lom­bards, auf­zu­fin­den. Die­ses amüsan­te Stück ge­hört im wei­te­ren Sin­ne zu de­nen, die die His­to­ri­ker »Quel­len­do­ku­men­te« nen­nen. Es lau­tet so:

Dop­pel­pas­te der Sul­tan­in­nen

und Eau Car­mi­na­ti­ve.

Von Cäsar Bi­rot­teau.

Wun­der­ba­re Er­fin­dung.

Ap­pro­biert von der

Aka­de­mie der Wis­sen­schaf­ten.

Seit lan­ger Zeit wird eine Pas­te für die Hand- und eine Es­senz für die Ge­sichts­pfle­ge, die eine bes­se­re Wir­kung als das Köl­ni­sche Was­ser er­zie­len, all­ge­mein von den Da­men und Her­ren Eu­ro­pas ge­wünscht. Der als Par­füm­lie­fe­rant in Pa­ris und im Aus­lan­de vor­teil­haft be­kann­te Herr Bi­rot­teau hat nun vie­le schlaflo­se Näch­te dem Stu­di­um der Un­ter- und Ober­haut bei­der Ge­schlech­ter ge­wid­met, die nicht ohne Grund das größ­te Ge­wicht auf die Zart­heit, die Ge­schmei­dig­keit, den Glanz und die Weich­heit der Haut le­gen, und hat eine Pas­te und eine Es­senz er­fun­den, die mit Recht von der ele­gan­ten männ­li­chen und weib­li­chen Welt von Pa­ris gleich nach ih­rem Er­schei­nen als wun­der­bar be­zeich­net wur­den. In der Tat be­sit­zen die­se Pas­te und die­se Es­senz er­staun­li­che Wir­kun­gen auf die Haut und zwar ohne die Ge­fahr früh­zei­ti­ger Run­zeln, was bei den bis auf die­sen Tag un­be­dach­ter­wei­se an­ge­wand­ten, von pro­fit­gie­ri­gen Igno­ran­ten er­fun­de­nen Dro­gen un­ver­meid­lich war. Die­se Er­fin­dung stützt sich auf die Un­ter­schei­dung der Tem­pe­ra­men­te, de­nen ent­spre­chend für die zwei Haupt­grup­pen die Pas­te und die Es­senz in zwei Far­ben her­ge­stellt sind, und zwar sind die ro­sa­far­be­nen für die Ober- und Un­ter­haut der Per­so­nen von lym­pha­ti­scher Kon­sti­tu­ti­on, die wei­ßen für sol­che von san­gui­ni­schem Tem­pe­ra­ment be­stimmt.

Die­se Pas­te nennt sich Sul­tan­in­nen­pas­te, weil ihre Er­fin­dung schon für das Serail von ei­nem ara­bi­schen Arz­te ge­macht wur­de. Sie ist von der Aka­de­mie ap­pro­biert wor­den, nach­dem un­ser be­rühm­ter Che­mi­ker Vau­que­lin sei­nen Be­richt er­stat­tet hat­te, eben­so wie die Es­senz, die nach den glei­chen Prin­zi­pi­en her­ge­stellt ist, die bei der Zu­sam­men­set­zung der Pas­te maß­ge­bend wa­ren.

Die­se kost­ba­re Pas­te, die den sü­ßes­ten Duft aus­strömt, macht die wi­der­spens­tigs­ten Som­mer­spros­sen ver­blas­sen, läßt die här­tes­te Haut weich wer­den und das Schwit­zen der Hän­de, über das die Da­men nicht we­ni­ger als die Her­ren kla­gen, ver­schwin­den.

Das Eau Car­mi­na­ti­ve be­sei­tigt den leich­ten Aus­schlag, der zu ge­wis­sen Zei­ten un­ver­se­hens die Da­men be­fällt und ihre Ball­pro­jek­te stört; es er­frischt und be­lebt die Haut, in­dem es je nach dem Tem­pe­ra­ment die Po­ren öff­net; es ist be­reits als Mit­tel ge­gen das Al­tern so be­kannt ge­wor­den, daß vie­le Da­men aus Dank­bar­keit es »das Schön­heits­was­ser« ge­nannt ha­ben.

Das Köl­ni­sche Was­ser ist, kurz ge­sagt, ein ge­wöhn­li­ches Par­füm ohne jede spe­zi­fi­sche Wir­kung, wäh­rend die Dop­pel­pas­te der Sul­tan­in­nen und das Eau Car­mi­na­ti­ve zwei Kom­po­si­tio­nen sind, die eine ein­grei­fen­de aber un­ge­fähr­li­che Wir­kung auf die in­ner­li­chen Vor­gän­ge aus­üben, in­dem sie sie un­ter­stüt­zen; ihr ganz be­son­ders bal­sa­mi­scher Duft und ihr an­re­gen­der Hauch er­fri­schen in wun­der­ba­rer Wei­se Herz und Kopf, schmei­cheln den Ge­dan­ken und re­gen sie an; sie sind eben­so er­staun­lich durch ihre Be­deu­tung wie durch ihre Ein­fach­heit; sie brin­gen, mit ei­nem Wort, den Frau­en einen neu­en Reiz und den Män­nern ein Mit­tel der Ver­füh­rung.

Der täg­li­che Ge­brauch der Es­senz ver­hin­dert das Bren­nen der Haut nach dem Ra­sie­ren; er ver­hin­dert das Auf­sprin­gen der Lip­pen und er­hält sie rot; er ver­nich­tet, na­tür­lich bei län­ge­rer An­wen­dung, die Som­mer­spros­sen und gibt schließ­lich der Haut ihre Far­be wie­der. Die­se Ei­gen­schaf­ten be­wir­ken beim Man­ne ein voll­kom­me­nes see­li­sches Gleich­ge­wicht und be­frei­en die­je­ni­gen, die an Mi­grä­ne lei­den, von die­ser fürch­ter­li­chen Krank­heit. Schließ­lich kann das Eau Car­mi­na­ti­ve von den Da­men bei der Toi­let­te in je­der Wei­se ge­braucht wer­den; es be­wahrt vor al­len Haut­lei­den, ohne daß es die Tran­spi­ra­ti­on des Ge­we­bes hin­dert, und er­hält es dau­ernd in sam­met­ar­ti­ger Weich­heit.

Man wen­de sich, mit Frei­mar­ke, an Herrn Cäsar Bi­rot­teau, Nach­fol­ger von Ra­gon, ehe­ma­li­gem Hof­lie­fe­ran­ten der Kö­ni­gin Ma­rie-An­to­i­net­te, in der Ro­sen­kö­ni­gin, Rue Saint-Ho­noré, Pa­ris, nahe dem Ven­dô­me­platz.

Der Preis des Stückes Pas­te be­trägt drei Fran­ken, der der Fla­sche sechs Fran­ken.

Herr Bi­rot­teau be­nach­rich­tigt, um Nach­ah­mun­gen zu ver­hü­ten, das ver­ehr­li­che Pub­li­kum, daß die Pas­te eine Pa­pier­hül­le mit sei­ner Un­ter­schrift hat, und daß die Fla­schen eine in das Glas ein­ge­preß­te Mar­ke tra­gen.

Den Er­folg hat­te Cäsar, ohne daß er es ahn­te, Kon­stan­ze zu ver­dan­ken, die ihm riet, das Eau Car­mi­na­ti­ve und die Sul­tan­in­nen­pas­te in Kis­ten an alle Par­füm­händ­ler Frank­reichs und des Aus­lan­des zu ver­sen­den und ih­nen einen Ra­batt von drei­ßig Pro­zent zu be­wil­li­gen, wenn sie die bei­den Ar­ti­kel gro­swei­se neh­men woll­ten. Pas­te und Es­senz wa­ren in der Tat mehr wert als die an­dern der­ar­ti­gen Schön­heits­mit­tel und ver­lock­ten die Un­wis­sen­den durch die Un­ter­schei­dung zwi­schen den Tem­pe­ra­men­ten; die fünf­hun­dert fran­zö­si­schen Par­füm­händ­ler, an­ge­lockt durch den Ra­batt, kauf­ten ein je­der bei Bi­rot­teau jähr­lich mehr als drei­hun­dert Gros der Pas­te und der Es­senz, was ihm an den Ar­ti­keln selbst nur einen be­schei­de­nen Ge­winn ließ, der aber durch die Quan­ti­tät doch sehr groß war. Cäsar war da­her im­stan­de, die Schup­pen und Ter­rains im Fau­bourg du Tem­ple zu er­wer­ben, dort große Fa­bri­kräu­me zu er­bau­en und den La­den der Ro­sen­kö­ni­gin präch­tig aus­zu­stat­ten; das Ehe­paar ge­noß nun das be­schei­de­ne Glück ei­nes grö­ße­ren Wohl­stan­des und Kon­stan­ze zit­ter­te nicht mehr so sehr.

Im Jah­re 1810 sah Frau Bi­rot­teau eine Stei­ge­rung der Mie­ten sich an­bah­nen und riet ih­rem Mann, Haupt­mie­ter des Hau­ses, in dem sie den La­den und das Zwi­schen­ge­schoß inne hat­ten, zu wer­den und ihre Woh­nung in das ers­te Stock­werk zu ver­le­gen. Ein glück­li­cher Um­stand ver­an­laß­te Kon­stan­ze, sich die großen Aus­ga­ben, die Bi­rot­teau für sie bei der Ein­rich­tung der Woh­nung mach­te, ge­fal­len zu las­sen. Der Par­füm­händ­ler war eben zum Han­dels­rich­ter er­nannt wor­den. Er ver­dank­te die­se Ehren­stel­lung sei­ner Recht­schaf­fen­heit, sei­nem an­er­kann­ten Takt und dem An­se­hen, das er ge­noß, und ge­hör­te nun zu den No­ta­beln un­ter den Pa­ri­ser Kauf­leu­ten. Um sei­ne Kennt­nis­se zu ver­meh­ren, stand er früh um fünf Uhr auf und las ju­ris­ti­sche Re­per­to­ri­en und Bü­cher über Han­delss­trei­tig­kei­ten. Sein Rechts­ge­fühl, sei­ne Lau­ter­keit, sei­ne wohl­wol­len­de Ge­sin­nung, die­se we­sent­li­chen Vor­be­din­gun­gen für eine ge­rech­te Ent­schei­dung der schwie­ri­gen Fäl­le, die dem Spruch der Han­dels­ge­rich­te un­ter­lie­gen, mach­ten ihn zu ei­nem der ge­ach­tets­ten Rich­ter. Selbst sei­ne Män­gel nütz­ten sei­ner Re­pu­ta­ti­on. Da er emp­fand, daß er ein un­be­deu­ten­der Kopf war, ord­ne­te Cäsar wil­lig sei­ne Ein­sicht der sei­ner Kol­le­gen un­ter, die sich ge­schmei­chelt fühl­ten, wenn er ih­nen so auf­merk­sam zu­hör­te; die einen be­müh­ten sich um die still­schwei­gen­de Zu­stim­mung ei­nes Man­nes, den sie, weil er zu­zu­hö­ren ver­stand, für einen tie­fen Geist hiel­ten; die an­dern rühm­ten ihn, weil sie sich über sei­ne Be­schei­den­heit und sei­ne Lie­bens­wür­dig­keit freu­ten. Die Par­tei­en lob­ten sein Wohl­wol­len und sei­ne ver­söh­nen­de Art, und oft wur­de er bei Strei­tig­kei­ten zum Schieds­rich­ter ge­wählt, wo­bei ihn sein ge­sun­der Men­schen­ver­stand wie einen Kadi ur­tei­len ließ. Wäh­rend der Dau­er sei­ner Amt­stä­tig­keit ver­stand er, sich eine Aus­drucks­wei­se an­zu­eig­nen, die vol­ler Ge­mein­plät­ze, durch­setzt mit Grund­sät­zen und Ur­tei­len, die in wohl­ab­ge­run­de­ten Phra­sen vor­ge­bracht wur­den, war, und die von ober­fläch­li­chen Leu­ten für Be­red­sam­keit an­ge­se­hen wur­de. Er ge­fiel so der na­tur­ge­mäß mit­tel­mä­ßi­gen Mehr­zahl, die für im­mer zu all­täg­li­cher Tä­tig­keit und An­schau­ung ver­dammt ist. Aber Cäsar ver­lor bei dem Ge­richt so viel Zeit, daß sei­ne Frau ihn schließ­lich nö­tig­te, auf die­se kost­spie­li­ge Ehre zu ver­zich­ten.

Um 1813 be­gann für das Ehe­paar, dank ih­rer be­stän­di­gen Ei­nig­keit und dem wei­te­ren gu­ten Fort­schrei­ten auf ih­rem Le­bens­we­ge, eine Ära des Wohl­stan­des, den nichts mehr er­schüt­tern zu kön­nen schi­en. Herr und Frau Ra­gon, ihre Vor­gän­ger, ihr On­kel Pil­ler­ault, der No­tar Ro­guin, die Ma­ti­fats, Dro­gis­ten in der Rue des Lom­bards und Lie­fe­ran­ten der Ro­sen­kö­ni­gin, Jo­seph Le­bas, Tuch­händ­ler und Nach­fol­ger von Guil­lau­me in der »Ball­spie­len­den Kat­ze«, eine Leuch­te der Rue Saint-De­nis, der Rich­ter Po­pi­not, Frau Ra­g­ons Bru­der, Chif­fre­ville, vom Hau­se Pro­tez & Chif­fre­ville, Herr und Frau Co­chin, An­ge­stell­ter beim Schatz­amt und Kom­man­di­täre des Hau­ses Ma­ti­fat, der Abbé Loraux, der Beicht­va­ter die­ser Ge­sell­schaft, und ei­ni­ge an­de­re Per­so­nen bil­de­ten ih­ren Freun­des­kreis. Trotz sei­ner roya­lis­ti­schen Ge­sin­nung ur­teil­te die öf­fent­li­che Mei­nung güns­tig über Bi­rot­teau, der auch für sehr reich galt, ob­wohl er nur hun­dert­tau­send Fran­ken au­ßer sei­nem Ge­schäft be­saß. Sei­ne re­gu­lä­ren Ge­schäf­te, sei­ne Pünkt­lich­keit, sein Prin­zip, nie et­was schul­dig zu blei­ben und nie­mals Wech­sel zu es­komp­tie­ren, da­ge­gen aber Si­cher­hei­ten von sol­chen an­zu­neh­men, de­nen er da­mit hilf­reich sein konn­te, sei­ne Ge­fäl­lig­keit – all das ver­schaff­te ihm einen au­ßer­or­dent­li­chen Kre­dit. Er hat­te üb­ri­gens in der Tat viel Geld ver­dient; aber sei­ne Bau­ten und die Fa­brik hat­ten viel da­von ver­schlun­gen. Auch kos­te­te ihm sein Haus­halt an­nä­hernd zwan­zig­tau­send Fran­ken jähr­lich. Schließ­lich er­for­der­te die Er­zie­hung Cäsa­ri­nes, der ein­zi­gen, von Kon­stan­ze und ihm in glei­cher Wei­se an­ge­be­te­ten Toch­ter, star­ke Aus­ga­ben. We­der er noch sei­ne Frau sa­hen auf das Geld, wenn es sich dar­um han­del­te, ih­rer Toch­ter, von der sie sich nicht hat­ten tren­nen wol­len, ein Ver­gnü­gen zu be­rei­ten. Man stel­le sich die Freu­de die­ses ar­men, her­auf­ge­kom­me­nen Bau­ern­sohns vor, wenn er sei­ne süße Cäsa­ri­ne eine So­na­te von Stei­belt auf dem Kla­vier spie­len, oder eine Ro­man­ze sin­gen hör­te; wenn er sah, wie sie kor­rekt Fran­zö­sisch schrieb und wenn er sie be­wun­der­te, wie sie Ra­ci­ne, den Äl­te­ren und den Jün­ge­ren, las und ihm de­ren Schön­hei­ten er­klär­te, und wie sie eine Land­schaft zeich­ne­te oder ein Blatt in Se­pia mal­te! Was für ein Glücks­ge­fühl, wenn er sich in ei­ner so schö­nen, so rei­nen Blü­te wie­der auf­le­ben sah, die sich noch nicht von der müt­ter­li­chen Hut ge­trennt hat­te, kurz, in ei­nem En­gel, des­sen auf­kei­men­de Rei­ze und Ent­wick­lung mit lei­den­schaft­li­chem An­teil be­ob­ach­tet wur­den, ei­ner ein­zi­gen Toch­ter, die nie dar­an dach­te, ih­ren Va­ter ge­ring zu ach­ten oder sich über sei­nen Man­gel an Bil­dung lus­tig zu ma­chen, so sehr war sie eine ech­te Jung­frau. Als er nach Pa­ris kam, konn­te Cäsar le­sen, schrei­ben und rech­nen, aber da­mit war sei­ne Bil­dung zu Ende, sein ar­beit­sa­mes Le­ben hat­te ihm nicht ge­stat­tet, Ge­dan­ken und Kennt­nis­se, die in kei­ner Be­zie­hung zum Par­fü­me­rie­ge­schäft stan­den, sich an­zu­eig­nen. In stän­di­gem Ver­kehr mit Leu­ten, de­nen Wis­sen­schaf­ten und Li­te­ra­tur gleich­gül­tig wa­ren, und de­ren Bil­dung sich nur auf Spe­zi­al­ge­bie­te er­streck­te, und da er kei­ne Zeit hat­te, sich mit hö­he­ren Stu­di­en zu be­fas­sen, wur­de er ein Mann der Pra­xis. Er nahm not­wen­di­ger­wei­se die Spra­che, die Irr­tü­mer, die An­sich­ten der Pa­ri­ser Bour­geoi­sie an, die Mo­liè­re, Vol­taire und Rous­seau auf ih­ren Na­men hin be­wun­dert, die ihre Wer­ke kauft, sie aber nicht liest; die be­haup­tet, man müs­se or­moi­re sa­gen, weil die Frau­en in die­sem Mö­bel ihr »Gold« und ihre Klei­der auf­be­wahr­ten, die frü­her fast im­mer aus »Mo­hair« ge­macht wa­ren, und daß ar­moi­re ein kor­rum­pier­tes Wort sei. Po­tier, Tal­ma, die Mars sei­en zehn­fa­che Mil­lio­näre und leb­ten nicht so wie an­de­re mensch­li­che We­sen; der große Schau­spie­ler äße ro­hes Fleisch, die Mars ge­nös­se zu­wei­len auf­ge­lös­te Per­len, um es ei­ner be­rühm­ten ägyp­ti­schen Schau­spie­le­rin gleich­zu­tun. Der Kai­ser habe in sei­nen Wes­ten le­der­ne Ta­schen, um sei­nen Ta­bak gleich hand­voll zu sich neh­men zu kön­nen, er rei­te im Ga­lopp die Trep­pe der Oran­ge­rie in Ver­sail­les hin­auf. Die Schrift­stel­ler und Künst­ler stür­ben im Ho­spi­tal in­fol­ge ih­rer Ab­son­der­lich­kei­ten; sie sei­en üb­ri­gens alle Atheis­ten und man müs­se sich sehr hü­ten, sie bei sich zu emp­fan­gen.

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5534 стр. 474 иллюстрации
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9783962815226
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Bookwire
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