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Читать книгу: «Lu die Kokotte», страница 17

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XLI

Als Liane eine Stunde später mit Helldorf zusammentraf, tat sie sehr verstimmt. Ein halbes Dutzend Male fragte er sie, was denn passiert sei, bis sie endlich gestand: »Ich schäme mich, es dir zu sagen.« Und als er energisch von ihr verlangte, daß sie nun endlich erzähle, was denn geschehen sei, da rückte sie nahe an ihn heran, legte den Arm um seine Schulter und sagte:

»Sieh mal, ich habe dich doch so sehr um diese Reise gebeten.«

»Mehr als mir lieb war«, erwiderte Helldorf. »Und wenn ich dich bei Held und seiner Blanka auch in bester Gesellschaft und gut geborgen weiß, so fällt mir die Trennung von dir doch schwerer als ich dachte.«

»Lieber,« sagte sie zärtlich und küßte ihn, »wenn du wüßtest, wie glücklich mich das macht.«

»Also, was hat das mit deiner Traurigkeit zu tun?« fragte Helldorf.

»Erst mußt du mir versprechen, daß du mich nicht auslachst«, forderte Liane.

»Gut, ich versprech’ es dir.«

»Nein, ernstlich! Du muß mir dein Wort darauf geben; es würde mich kränken.«

Und Helldorf versprach es und gab ihr die Hand.

»Also, dann will ich es dir nur offen gestehen: mir geht es genau so.«

»Wie geht es dir?« fragte er.

»Mich macht der Gedanke, morgen von dir fort zu müssen, krank.«

»Nanu,« erwiderte Helldorf, »das ist ja fabelhaft! Das sieht ja beinahe nach Liebe aus.«

»Pfui, Fritz,« schmollte Liane, »als ob du nicht wüßtest, wie sehr ich an dir hänge.«

»Ich muß dir ganz offen sagen,« gestand Helldorf, »daß mir das in meiner langen Praxis nicht ein einziges Mal passiert ist. Ich gebe allerdings zu, daß es auch bei mir der erste Fall ist, wo mich der Gedanke einer Trennung verstimmt.«

»Siehst du«» sagte Liane, »und mich macht er krank. Ich werde mich nach dir sehnen und, anstatt mich zu erholen, nervöser zurückkommen, als ich fortgefahren bin. Und so leicht ich Geld ausgebe, das wäre doch sündhaft.«

»Ah so,« sagte Helldorf, »du willst lieber das Geld als die Reise . . . Nein, meine Liebe . . .«

»Pfui,« wandte sich Liane ab, »du scheinst wirklich reich an schlechten Erfahrungen zu sein.«

Helldorf staunte immer mehr, und allmählich fing er wahrhaftig an zu glauben, daß Liane ihn liebe.

»Und deshalb bin ich entschlossen zu bleiben«, erklärte Liane bestimmt.

»Nein,« sagte Helldorf, »das Opfer dulde ich nicht.«

»Wenn ich dir doch sage, daß es kein Opfer ist,« schmeichelte sie, »daß es im Gegenteil ein Opfer für mich wäre, jetzt von dir fortzugehen. Daß du mir nicht zu danken hast, wenn ich bleibe, sondern ich dir . . .«

Da nahm er sie in seine Arme und küßte sie und nahm sich vor, sie morgen mit einem schönen Smaragd, den sie mehr als alle andern Steine liebte, zu überraschen.

Als sie eine Stunde später bei Hiller saßen, erwähnte Liane so nebenbei:

»Ach richtig, das hatte ich beinahe vergessen; ich habe eine Bitte.«

»Erfüllt«, sagt Helldorf.

»Hand darauf«, bat Liane.

»Kostenpunkt?« fragte er.

»Rien«, erwiderte Liane.

Eine billige Frau, dachte Helldorf und schlug ein; dann sagte er: »Also?«

»Du mußt dich auf acht Tage mit mir verloben.«

»Du bist verrückt«, antwortete er.

»Möglich, aber ich habe dein Wort.«

»Nur für Dinge, die innerhalb der Vernunft liegen.«

»Das tut’s«, erwiderte sie. »Natürlich braucht außer den paar Leuten, für die es geschieht, kein Mensch etwas davon zu erfahren.«

»Was sind das für Leute?« fragte Helldorf. »Und warum soll es ihnen eingeredet werden?«

Nun erzählte ihm Liane von dem Besuche Werners; doch immer so, als ob sie das Ganze nur sehr nebenbei interessierte.

»Bleibe ich also nun wirklich hier«, sagte sie, »und reise nicht, nun, so werde ich ihr vielleicht den Gefallen tun. Ich kann bestimmt bei Geheimrat Walther etwas erreichen, aber nur, wenn ich auftreten kann, also eine Position habe. Die mußt du mir für ein paar Tage schaffen. Ich brauchte dich ja gar nicht zu fragen und könnte ihm einfach unter dem Siegel der Verschwiegenheit erzählen, daß wir verlobt sind. Dann würdest du gar nichts erfahren. Ich will aber, daß du alles weißt, was ich tue, und darum sag’ ich’s dir lieber.«

»Wenn es das ist und es niemand erfährt, meinetwegen«, sagte Helldorf.

»Vielleicht überleg’ ich’s mir noch anders,« sagte sie; und als Helldorf gegen ihr Erwarten schwieg, fuhr sie fort:

»Nun gut, wenn du durchaus willst, so will ich’s machen. Gern tue ich’s nicht.«

Dann sprach sie von anderem und erst nach einer Weile bat sie ihn: »Weißt du, schreib’ mir doch ein paar Zeilen an den Geheimrat.«

»Wozu?« fragte er.

»Na, des besseren Eindrucks wegen.«

»Aber, was soll ich denn schreiben?« fragte er.

Liane, die sich längst klar war, tat, als ob sie überlegte.

»Drei Zeilen,« sagte sie möglichst gleichgültig, »etwa:

Sehr geehrter Herr Geheimrat! Meine Braut, Fräulein Berthe de Cyliane,« – daß sie unter dem Namen dort im Hause Gouvernante gewesen war, hatte sie ihm längst erzählt – »will sich für ihre Freundin, Fräulein Luise Kersten, bei Ihnen verwenden. Ich bin der Ansicht, daß man derartige Regungen nicht unterdrücken darf. Nur bitte ich Sie, im Sinne meines Vaters, unsere Verlobung vorläufig noch diskret zu behandeln. Mit besten Empfehlungen. Fritz Helldorf.«

Helldorf widersprach erst, nannte diese und jene Bedenken. Liane aber gab nicht nach, bis sie diese Zeilen von ihm hatte, mit denen sie in der Frühe des nächsten Morgens in das Bureau des Geheimrats Walther fuhr.

XLII

Liane gelangte mit einiger Mühe bis zum Vorzimmer des Hofbankiers Walther und gab einem jungen Mann, der dort beschäftigt war, ihre Karte.

Der holte eine Tabelle hervor, auf der die Tagesbesuche standen, sah sie durch und sagte dann:

»Gnädige Frau sind nicht avisiert.«

»Nein – aber ich muß den Herrn Geheimrat trotzdem sprechen, und zwar sofort.«

Der junge Mann zog die Schultern in die Höhe.

»Ich bedaure unendlich,« sagte er, »aber das geht nicht.«

»Es muß gehen«, forderte Liane bestimmt und sah sich den jungen Mann genau an, um zu fühlen, ob er durch Liebenswürdigkeit oder durch Geld leichter zu gewinnen sei.

Sie entschied sich für das erste.

»Wenn ich Sie doch aber bitte,« und trat nahe an seinen Tisch heran.

»Ich darf nicht«, wiederholte der junge Mann nur um so bestimmter.

Sie beugte sich leicht über den Tisch.

»Bester,« sagte sie, »wenn ich Ihnen doch sage, ich muß!« Dabei nahm sie ganz ungeniert die Tabelle. »Sehen Sie, hier zum Beispiel ist Platz, wenn Sie hier meinen Namen einfügen; ich kann mich ja gestern angemeldet haben« und sie drückte seine Hand und sah ihm in die Augen.

»Tun Sie’s!« bat sie.

Der junge Mann 9wußte sich nicht zu helfen. Unter der Tabelle, auf der einige Namen durchstrichen waren, stand die Unterschrift des Geheimrats.

»Ich verliere meine Stelle und mache mich strafbar«, sagte er hilflos; nahm aber schon den Halter und war entschlossen, ihren Namen einzufügen.

Da entdeckte Liane auf dem Schreibtisch unter einem halben Dutzend Apparaten, die ins Sekretariat, zur Kasse, zum Prokuristen, in die Kanzlei führten, auch einen mit dem Vermerk: Chefzimmer.

»Halt!« rief sie, als der junge Mann eben die Feder ansetzte und ihren Namen in die Tabelle tragen wollte, und riß den Hörer hoch. Im selben Augenblick meldete sich: »Hallo!«

»Ah, endlich!« rief Liane durch den Apparat.

»Einen Augenblick, Frau Geheimrat, ich rufe Ihren Herrn Gemahl sofort.«

Liane riß den Mund weit auf.

»Was tun Sie da?« fragte der junge Mann.

»Himmel!« sagte Liane. »Wer war denn da?«

»Voraussichtlich der Privatsekretär des Herrn Geheimrats«, erwiderte der junge Mann in großer Erregung. »Was haben Sie nur gesagt?«

»Sie haben es ja gehört,« erwiderte Liane in aller Ruhe, »nichts! Ah! habe ich gesagt! Und das genügte ihm, um mich für Frau Geheimrat Walther zu halten und ihn selbst ans Telephon zu ru – ah – da ist er!«

»Ja, Lotte?« rief es durch den Apparat. »Was ist denn? Ich habe zu tun.«

»Ich muß dich sprechen«, sagte Liane.

»Hat’s nicht Zeit, bis ich nach Hause komme?« fragte er wenig freundlich.

»Nein!« rief Liane.

»Ich bitte dich, nimm doch ein wenig Rücksicht. Ich habe den Kopf mit Geschäften voll. Was wird denn schon sein? – Gewiß hast du dich wieder über die Kinder geärgert – aber da kann ich dir doch auch nicht helfen . . . also, nicht wahr, du wartest, bis ich nach Haus komme, adieu!«

»Nein! Jetzt!« schrie Liane so laut, daß der junge Mann ganz bleich vor Schreck wurde und aufsprang.

»Wie du sprichst, wenn du erregt bist,« antwortete der Geheimrat, »nicht wiederzuerkennen.«

»Ich bin’s ja auch gar nicht«, sagte Liane.

»Was soll das heißen, du bist es gar nicht – du sprichst so komisch.«

»Nein, ich bin ja hier im Bureau, im Vorraum« – und zu dem jungen Manne gewandt, fragte sie: »Schnell, sonst läuft er mir fort, wie nennt sich das hier?«

»Anmeldezimmer«, zitterte der junge Mann mehr als er sprach.

Und Liane rief in den Apparat:

»Ich bin im Anmeldezimmer.«

»Im Bureau? Um Himmels willen, was ist denn . . .«

»Ich höre nichts mehr«, sagte Liane und rief fortwährend »Hallo« in den Apparat.

»Eine schöne Geschichte«, stammelte der junge Mann ein über das andere Mal und rang die Hände.

Da riß jemand an der Tür, und der Geheimrat Walther trat mit den Worten:

»Was ist denn . . .?« weiter kam er nicht, ins Zimmer.

»Berthe!« rief er und blieb stehen.

»Ich muß um Entschuldigung bitten, Herr Geheimrat,« sagte sie, »wegen der Störung, in der ich . . .«

»Aber ich bitte . . .« und er nahm ihre Hand und küßte sie und führte sie in sein Zimmer, nachdem er den jungen Mann angewiesen hatte, vorläufig niemand bei ihm vorzulassen.

Der junge Mann hatte versucht, eine Entschuldigung zu stammeln, aber es gelang ihm nicht. Jetzt, als er allmählich sein Gleichgewicht wiederfand, wiederholte er den Namen, den der Geheimrat genannt hatte.

»Berthe«, sagte er laut; las ein über das andere Mal die Karte, auf der ganz deutlich »Liane de Villiers« stand, faßte sich an den Kopf, öffnete das Fenster, suchte auf der Karte nach einer Adresse, schlug erst im Telephonbuch, dann im Adreßbuch nach, und schließlich ließ er die Karte ziemlich verzweifelt in seiner Brieftasche verschwinden. Dann mühte er sich vergeblich wieder zur Arbeit. —

Drin beim Chef aber gab es ein frohes Wiedersehen.

»Berthe! Meine süße Berthe!« rief der Geheimrat ein über das andere Mal und bedeckte ihre Hände mit Küssen. »Solch eine Freude, daß ich dich wieder habe! Und wie du aussiehst!«

»Du hast dich auch nicht verändert, Theodor,« sagte Liane, »nicht eine Spur bist du älter geworden.«

»Und dir geht es so gut wie du aussiehst?« fragte er und wollte sie umarmen.

Liane aber wich ein paar Schritte zurück.

»Unmöglich, Theodor,« sagte sie mit fingierter Feierlichkeit, »ich bin verlobt.«

»Wenn schon«, erwiderte Theodor und wiederholte seinen Versuch.

»Herr Geheimrat!« sagte Liane bestimmt und wandte sich zur Tür. »Entweder Sie respektieren mich als die Braut von Fritz Helldorf oder . . .«

»Was?« rief der Geheimrat, der sich seit beinahe zehn Jahren, wie fast alle Bankiers, vergeblich mühte, eine geschäftliche Verbindung mit Helldorfs und ihren Unternehmungen anzubahnen. – »Mit Fritz Helldorf, dem Sohn von Erwin Helldorf, bist du verlobt?«

»Allerdings«, erwiderte sie.

»Das heißt . . . was man so verlobt nennt . . .«

»Wie meinst du das?« fragte Liane.

»Er hat dir doch nicht etwa versprochen, daß er dich . . .«

»Hm?« fragte sie und tat, als wüßte sie nicht, was er meinte.

»Er wird dich doch nicht regelrecht heiraten?«

»Herr Geheimrat, ich bitte Sie, mich hinauszulassen«, erklärte Liane wütend. »Ich finde Ihr Benehmen wenig gentlemanlike. Weil ich als unerfahrenes Mädchen, das zum ersten Male unter fremde Menschen kam, vor Jahren einmal Ihren Verführungskünsten unterlag – ich könnte noch heute vor Scham darüber unter die Erde sinken – haben Sie noch lange nicht das Recht . . .« sie hielt es für wirksam, jetzt zu weinen, zumal sie nicht recht weiter wußte; zog ihr Spitzentuch hervor und schluchzte.

Der Geheimrat war sehr verlegen, machte ein dummes Gesicht und stammelte ein paar unverständliche Worte von Vergebung und Freude und Wiedersehen und Überraschung und bot ihr an, sich zu setzen.

»Hätte ich nur auf meinen Schwiegervater gehört, dann wäre mir das nicht passiert«, schluchzte Liane, die sofort gemerkt hatte, wie der Geheimrat auf den Namen Helldorf angebissen hatte.

Auch jetzt sah er sie erstaunt an.

»Was ist denn mit dem?« fragte er zögernd.

»Er hat mir gleich gesagt, es paßt sich nicht, allein zu Ihnen zu gehen, so sehr er Sie als Menschen und Kaufmann auch respektiere.«

»Hat er das gesagt?« fragte der Geheimrat erfreut. Liane überhörte es, oder sie tat doch so.

». . . und er verlangte, daß Fritz, sein Sohn, mein Bräutigam . . .«

»Ich weiß«, sagte der Geheimrat und machte eine Verbeugung.

». . . mich begleite.«

»Warum hat er es nicht getan?« fragte der Geheimrat. »Es wäre mir eine große Freude gewesen.«

Liane fiel aus der Rolle.

»So?« sagte sie gekränkt; aber sie besann sich schnell.

»Ich wollte es nicht«, sagte sie. »Ich bat ihn, mich allein zu lassen, denn es schien mir sicherer, und ich habe ja nun gesehen, wie recht ich hatte.«

Der Geheimrat bat jetzt ganz förmlich um Entschuldigung; Liane zog Helldorfs Brief aus der Tasche und überreichte ihn mit einem verbindlichen Lächeln. Der Geheimrat las aus diesem Lächeln Vergebung. In Wahrheit aber war es die Freude über ihren Triumph.

Richtig, jetzt entsann sich der Geheimrat, daß man seine Nichte seinerzeit auf Anregung seiner Frau nach Paris zu Berthe abgeschoben hatte; und er wußte auch aus einem Brief seiner Schwägerin, daß Luise wegen versuchter Erpressung an einem ihrer Liebhaber aus Paris fortmußte und irgendwohin, nach Argentinien oder so ähnlich, ausgewandert war.

Als er das damals las, glaubte er bestimmt, nun endlich zum letzten Male etwas von ihr gehört zu haben. Er war daher erstaunt und wenig erbaut, daß sie doch plötzlich wieder, und zwar im Zusammenhang mit Helldorfs und dieser Berthe, an der er noch heute mit Leidenschaft hing, auftauchte.

»Ich bin ganz der Ansicht Ihres Herrn Bräutigams,« sagte der Geheimrat, »daß man derartige Regungen nicht unterdrücken darf. Voraussichtlich geht es meiner Nichte schlecht, und Sie wollen ihr helfen. Ich bin selbstverständlich bereit, mitzutun; und wäre es auch, wenn es sich um irgend jemand anders als um meine Nichte handelte.«

»Danke«, sagte Liane und reichte ihm die Hand. »Sie wissen Bescheid?«

Der Geheimrat sagte, was er wußte.

»Das ist der helle Wahnsinn, von Anfang bis zu Ende«, erklärte Liane. »Davon ist nicht ein Sterbenswörtchen wahr.«

»Aber meine Schwägerin hat es doch meiner Frau geschrieben.«

»Dann hat sie gelogen.«

»Und weshalb meinen Sie?«

»Die Gründe kenne ich schon; ihre sauberen Herren Söhne haben Ihrer Nichte nachgestellt; hielten sie für; Freiwild, nach den Nachrichten, die ihre Familie über sie nach Paris sandte. Und als ihre Mühen keinen Erfolg hatten, da war ihnen als Rache für ihre gekränkte Eitelkeit kein Mittel schlecht genug.«

»Das ist ja skandalös!« rief der Geheimrat erregt.

»Ach nein,« erwiderte Liane in aller Ruhe, »das ist durchaus nicht skandalöser als alles andere, was von Ihrer Seite aus gegen Ihre Nichte geschehen ist.«

»Erlauben Sie mal!« unterbrach sie der Geheimrat; aber Liane fuhr fort:

»Und es ist geradezu harmlos im Vergleich zu dem, was sich Ihre Familie jetzt leistet, um Luise ein für allemal die Möglichkeit zu nehmen, ein anständiges Leben zu führen.«

»Sie meinen diese Ehe?« erwiderte der Geheimrat.

»Allerdings, die meine ich«, bestätigte Liane.

»Ich habe nur beiläufig den Professor davon sprechen hören. Nun, wenn es darauf ankommt: ich für meine Person habe natürlich nichts gegen diese Ehe einzuwenden, nur meine ich, der Professor – Sie kennen ihn doch auch – man mag gegen ihn sagen, was man will; mir ist er auch nicht gerade sympathisch; aber – und das muß ihm sein ärgster Feind lassen: er ist ein so ernster und gerechter und gewissenhafter Mensch – wenn der also mit so großer Bestimmtheit gegen diese Ehe ist, dann muß er auch seine Gründe dafür haben.«

»Die Gründe kann ich Ihnen nennen,« erwiderte Liane, »sein moralisches Gewissen.«

Der Geheimrat sah sie an.

»Ja und weiter?« sagte er.

»Was weiter? Ist das nicht eine genügende Begründung für die Kreise, in denen Sie leben? Ich bitt’ Sie, würden Sie Ihrem Sohn etwa gestatten, daß er Ihre Nichte heiratet?«

»Gott behüte!« sagte der Geheimrat ganz entsetzt.

»Also«, erklärte Liane. »Aber wie erklären Sie nun den Standpunkt des alten Geldern, der – wie ich höre – doch zu einer der allerersten Familien Berlins gehört?«

»Sehr einfach«, erwiderte der Geheimrat. »Einmal, weil sein Sohn nicht mehr taugt als meine Nichte – sie passen also zueinander —«

»Woher wissen Sie das?« fragte Liane.

»Ich weiß es«, erwiderte der Geheimrat.

»Sie kennen ihn?«

»Nein! Gott sei Dank nicht!«

»So haben Sie also gute Freunde, die ihn kennen? Auf deren Urteil Sie sich verlassen können, und die Ihnen Ungünstiges von ihm berichtet haben?«

Der Geheimrat dachte nach, dann schüttelte er den Kopf.

»Nein,« sagte er, »ich weiß eigentlich unter meinen Bekannten niemand, der ihn kennt.«

»Woher stammt also Ihr Urteil?« fragte Liane.

»Nun, man kommt doch unter Menschen; man hört doch . . .«

»Danke, das genügt mir«, sagte Liane. »Wenn die beiden Leute aber derart gut zueinander passen, weshalb läßt man sie dann nicht gewähren?«

»Ich nehme an,« erwiderte der Geheimrat, »daß sich der Professor – und ich muß sagen, das wäre auch mein Standpunkt – für meine zum mindesten doch etwas leichtsinnige Nichte vor allem einen soliden Menschen wünscht und nicht einen wie diesen jungen Geldern . . .«

»Den Sie gar nicht kennen«, ergänzte Liane. »Und da es sich ja nur um eine leichtsinnige Nichte handelt, deren Schicksal entschieden wird, so lohnt es sich auch nicht, sich die Zeit zu nehmen, um ihn kennen zu lernen.«

Der Geheimrat wollte etwas sagen.

»Widersprechen Sie nicht«, forderte sie; dann stand sie auf und rückte mit ihrem Stuhl näher an den des Geheimrats heran.

»So! Nun ertrag ich diesen konventionellen Ton nicht länger!« sagte sie wütend und schlug auf den Tisch, daß der Geheimrat erschreckt auffuhr. »So wie wir eben gesprochen haben, können Sie in Ihrer Gesellschaft reden; stundenlang; Sie werden sich an Ihren Phrasen begeistern, ohne in der Sache auch nur einen Schritt weiterzukommen, weil Sie immer um den Kern der Sache herumreden; und herumreden müssen, denn Sie wissen genau: wehe Ihrer Moral, wenn Sie den Dingen wirklich mal auf den Grund gehen. Dann stimmt’s in den meisten Fällen nicht mehr! Dann ist es mit der Logik wenigstens zu Ende; und die nackte Moral, der die elegante Umhüllung und die große Aufmachung fehlt, entpuppt sich dann meistenteils als Heuchelei. Sie fällen immer nur Urteile; und da Ihre gesellschaftliche Moral vorsichtigerweise für alles Bestimmungen getroffen hat, so kommen Sie nie in die Verlegenheit, nachzudenken; wissen ganz genau, wie Sie sich in jedem einzelnen Falle zu verhalten haben. Wird beispielsweise ein junges Mädchen aus Ihren Kreisen in einen Skandal verwickelt, so sind die Folgen genau so bestimmt, wie etwa für einen Verbrecher, der einen Mord begeht; nur daß es bei Ihnen nicht einmal mildernde Umstände gibt; Ursache und Begleitumstände spielen keine Rolle; der Erfolg entscheidet; in allem. Ihre Nichte hat sich Dinge zuschulden kommen lassen, auf die nach der heute herrschenden Moral gesellschaftlicher Tod steht; würde man überlegen und den Dingen auf den Grund gehen, so würde aus der Verbrecherin wahrscheinlich eine Märtyrerin werden; das aber würde die Begriffe über Moral verwirren; also hütet man sich und hält sich an das Tatsächliche. – Ich als Kokotte brauche diese Heuchelei ja, Gott sei Dank, nicht mitzumachen.«

Der Geheimrat fuhr entsetzt auf und wollte widersprechen.

»Aber bitte! Gnädigste!« sagte er; weiter kam er nicht.

»Bemühen Sie sich nicht,« bat Liane, »ich weiß Bescheid. Ich pfeife auf Ihre Moral und weiß, daß ich als ehrliche Kokotte genau so viel oder so wenig wert bin wie jeder von Ihnen. Sie brauchen mich also nicht gegen mich selbst in Schutz zu nehmen.«

»So sind Sie also gar nicht die Braut des Herrn Helldorf?« fragte der Geheimrat.

Liane lachte laut auf.

»Bravo, mein Freund!« rief sie. »Und woraus schließt du das? Weil ich mir als Braut des Herrn Helldorf nicht derart über mich selbst klar sein dürfte, sondern die Pflicht hätte, mir etwas vorzuheucheln?«

»Auf diese Weise kommen wir jedenfalls nicht weiter«, sagte der Geheimrat.

»Nur so,« erwiderte Liane, »nur, indem wir die Moral aus dem Spiele lassen. Was ich will, ist nichts weiter, als daß du und deine Frau, vor allem auch der Professor, überhaupt deine ganze moralische Familie, erklären: die Vorwürfe gegen Luise haben sich als unbegründet erwiesen; wir nehmen sie wieder bei uns auf und billigen ihre Ehe mit Werner Geldern.«

»Das ist ganz unmöglich«, erwiderte der Geheimrat.

»Es wird eben möglich sein«, erklärte Liane.

»Wollen Sie mir sagen, wie Sie sich das denken?« fragte er.

»Indem du den Anfang machst«, erwiderte Liane, »und die andern auf irgendeine Art bestimmst, dir zu folgen.«

Der Geheimrat schüttelte den Kopf.

»Bist du noch, wie damals, der Vermögensverwalter deiner Familie?« fragte Liane.

»Allerdings.«

»So wird man den Herrschaften also leicht klar machen können, wie vorteilhaft für sie alle eine Verbindung mit dem Hause Helldorf wäre.«

»Das entspräche der Wahrheit«, erwiderte der Geheimrat.

»Ich würde mich verpflichten, diese Verbindung herzustellen,« erklärte Liane, »falls du meine Bedingungen erfüllst.«

»Können Sie das?« fragte der Geheimrat, der sofort auf die geschäftliche Behandlung der Angelegenheit einging und im Augenblick ganz vergaß, wem er gegenüber saß. »Das wäre in der Tat ein sehr wertvolles Äquivalent.«

»Ich glaube, dieser Brief« – und sie wies auf Helldorfs Schreiben, das sie ihm zuvor überreicht hatte – »genügt, daß du dich und die andern davon überzeugst.«

»Sie werden ihn also tatsächlich heiraten?« fragte der Geheimrat.

»Wir wollen die privaten Gespräche bis nach Erledigung dieses Falles zurückstellen«, bat Liane. »Wenn Helldorf auf meine Bitte hin sich bereit fand, dir diesen Brief zu schreiben, so darfst du mir auf alle Fälle auch so viel Einfluß auf ihn zutrauen, um ein intimes, freundschaftliches Verhältnis zwischen dir und ihm herzustellen. Diese Freundschaft geschäftlich auszunutzen, wird deine Sache sein.«

»Das leuchtet mir ein«, sagte der Geheimrat.

»Außer deiner Familie«, fuhr Liane fort, »mußt du noch den Rittergutsbesitzer Brehmer-Geldern und seine Frau auf irgendeine Form dazu bestimmen, diese Ehe gutzuheißen.«

»Wer ist das?« fragte der Geheimrat.

»Das sind Verwandte von Geldern,« erwiderte Liane, »die sich ebenfalls aus moralischen Rücksichten ablehnend verhalten.«

»Aber das ist ja unmöglich,« erwiderte der Geheimrat, »ich kenne die Leute ja gar nicht.«

»Dann wirst du sie eben kennenlernen«, erklärte Liane.

»Wie?« fragte er.

»Das wirst du dir überlegen. Die einzige Mühe, die du dir machen mußt, ist die, bei jedem einzelnen die Stelle herauszufinden, an der er anfängt, auf die Moral zu pfeifen. Das wird Mühe machen, bestimmt auch Geld kosten. Existieren tut die Stelle bei jedem. Sie zu finden und nicht mehr zu opfern als unbedingt nötig ist, wird Sache deiner Intelligenz sein.« – Sie rückte nahe an ihn heran, sah ihm kokett in die Augen und legte ihre Hand auf seine. – »Genau, wie es Sache meiner Intelligenz war, lieber Freund, deine Zusicherung nicht teurer zu erkaufen, als es unbedingt nötig war. – Die Verbindung mit Helldorfs mag ja gewiß sehr wertvoll für dich sein – aber . . .« und sie suchte, so verführerisch wie möglich zu erscheinen, stand auf, stellte sich vor ihn hin, legte ihre Hand auf seine Schulter, beugte sich zu ihm, kam ihm mit dem Gesicht so nahe, daß sie ihn fast streifte, lächelte, zeigte die Zähne und sagte:

»Ich hätte auch mehr geboten . . .«

»Berthe!« rief er laut und streckte die Arme nach ihr aus; aber schon stand sie aufgerichtet vor ihm, legte ihre Hände auf seine Schultern, sah ihn zärtlich an und sagte:

»Als Lohn, Theo! – Ich versprech’ es dir.«

»Einzige Berthe!« himmelte der Geheimrat und streichelte zärtlich ihre Hände. – »So oft du kommst« – stammelte er mit belegter Stimme – »sollst du – den Himmel auf Erden haben – alles, was du dir wünschst . . .«

»Ich nehme dich beim Wort, Theo,« sagte sie schelmisch, »und je mehr du dich eilst, um so deutlicher wirst du mir zeigen, daß du mich lieb hast.«

»Noch heute versuch’ ich’s«, versprach er.

Sie nickte zärtlich und dankte ihm.

»Aber Helldorf?« fragte er ängstlich.

»Dem werden wir nichts sagen,« erwiderte Liane und küßte ihm die Stirn, »ich werde ihm in der Liebe Hörner aufsetzen – und du geschäftlich!« rief sie, drückte ihm die Hand und ging.

Als sie draußen war, setzte sich der Geheimrat auf einen Sessel, der neben dem Schreibtisch stand, zog sein Taschentuch aus der Brusttasche und fächelte sich Luft; dann stand er auf, rieb sich vergnügt die Hände, lachte über das ganze Gesicht und setzte sich wieder an seinen Schreibtisch.

Возрастное ограничение:
0+
Дата выхода на Литрес:
30 ноября 2019
Объем:
320 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

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