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Читать книгу: «Lu die Kokotte», страница 18

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XLIII

»Denke dir, wem ich begegnet bin,« sagte Geheimrat Walther zu seiner Frau, als er ganz gegen seine Gewohnheit zum Lunch nach Hause kam, »nun, du wirst es nicht raten: Berthe de Cyliane.«

»Was?« rief seine Frau erfreut. »Sie ist in Berlin und sucht uns nicht auf? Womöglich hat sie in einem andern Hause eine Stellung angenommen. Theodor, die muß sie aufgeben und wieder zu uns kommen, um jeden Preis! Du mußt es versuchen; du hattest immer Einfluß auf sie. Du weißt, was wir mit unsern Mädchen durchgemacht haben, seit sie fort ist. Ich stehe bei dem Temperament unserer Kinder für nichts ein, wenn Berthe de Cyliane nicht wieder ins Haus kommt – und zwar sobald wie möglich.«

»Das schlag’ dir nur aus dem Kopf«, erwiderte der Geheimrat.

»Wieso?« fragte sie wütend.

»Nu, du wirst staunen.«

»Also bitte«, drängte sie ungeduldig.

»Weil Berthe de Cyliane seit ein paar Tagen die legitime Braut des jungen Helldorf ist.«

»Theo!« rief Frau Walther laut.

»Was sagst du dazu?«

»Warum passiert uns so etwas nicht?« sagte sie voll Neid. »Als ob unsere Mädels nicht mindestens ebenso hübsch wie diese Gouvernante sind. Ich hatte im stillen immer für unsere Annemarie mit ihm gerechnet.«

»Er muß sich doch in sie verliebt haben«, meinte der Geheimrat.

»Geschmacklos genug«, erwiderte sie, »für einen Mann mit dem Vermögen, sich in eine Gouvernante zu verlieben.«

»Sonderbar find’ ich’s auch«, bestätigte der Geheimrat.

»Aber ganz gut,« meinte sie, »daß man auf diese Weise wenigstens seinen Charakter kennenlernt. Das wäre ein netter Reinfall gewesen, wenn wir ihn als Schwiegersohn bekommen hätten.«

»Ich wünsche mir alle Tage so’n Reinfall,« sagte der Geheimrat, »der Junge erbt mal fünfundsiebzig Millionen.«

»Theo!« rief Frau Walther wieder; sah ihren Mann vorwurfsvoll an und sagte: »Warum haben wir das nicht?«

»Wenn ich mit Helldorfs in geschäftlicher Verbindung stände, könnte ich der Deutschen Bank Konkurrenz machen.«

»Und warum tust du’s nicht?« fragte sie.

»Als wenn das so leicht wäre,« erwiderte der Geheimrat, »das möchte jeder.«

»Bist du mit deinen fünfzehn Millionen etwa jeder?« fragte sie gereizt.

»Es gibt ein Dutzend Privatbankiers in Deutschland mit dem Vermögen.«

»Blamabel genug für uns«, erwiderte Frau Walther.

»Ich könnte das Doppelte verdienen, wenn ich mit Helldorfs arbeiten würde, und dazu bietet sich jetzt die Möglichkeit.«

»Wieso?« fragte sie; und nun erzählte ihr der Geheimrat von der engen Freundschaft Berthes und Luises; von Luises Verlobung; von dem Widerstand des Professors; von der Bereitwilligkeit des alten Geldern und den Bedingungen seiner Tochter; von der Zusage Berthes für den Verkehr mit Helldorf, der sich dann ja von selbst ergäbe; und schließlich sprach er davon, daß Fritz Helldorf ja noch einen jüngeren Bruder habe, und daß man diesen ja unter Umständen —

»Ich begreife dich nicht«, unterbrach ihn Frau Walther vorwurfsvoll. »Du willst nun ein Geschäftsmann sein; ja, warum hast du denn diese Luise nicht aufgefordert, zu uns zu kommen? Warum hast du sie überhaupt nicht gleich mitgebracht? Warum wohnt sie nicht bei uns?«

»Was?« fragte der Geheimrat ganz erstaunt.

»Ja, bist du denn blind? Siehst du denn nicht, daß es das einfachste ist, sie jetzt zu uns zu nehmen. Wenn sie bei uns ist, wird Berthe mit ihrem Bräutigam zu uns kommen, so oft wir’s wünschen; und die alten Helldorfs werden, wenn sie Luise einladen, auch uns und die Mädel bitten müssen. So ein Mann ist doch das Kurzsichtigste und Hilfloseste von der Welt. Verlaß dich darauf, wenn du morgen mittag zum Lunch kommst, ist Luise hier.«

»Und du meinst,« fragte der Geheimrat zaghaft, »daß wir das ohne Besorgnis um die Kinder tun können?«

»Du scheinst verwirrt zu sein!« schalt sie und schüttelte den Kopf. »Warum sollen wir nicht die künftige Schwiegertochter des alten Geldern zu uns ins Haus nehmen?«  – Dann rief sie ihre Töchter Annemarie und Lotte herein, setzte eine feierliche Miene auf und sagte:

»Von morgen ab wird Luise Kersten bei uns wohnen.« —

»Was?« rief Lotte erstaunt. »Ich denke, die ist Kokotte?«

»Lotte!« schalt Frau Walther und sah besorgt zur Tür. »Was sind das für Ausdrücke! Wenn das einer hört.«

»Du hast es uns doch selbst verboten, von ihr zu sprechen«, meinte Lotte, und Annemarie bestätigte es.

»Wir durften ja nicht einmal mehr ihren Namen nennen?«

»Eine schreckliche Person ist sie, hast du von ihr gesagt?«

»Und man müßte sich geradezu schämen, sie je gekannt zu haben!«

»Eine Verworfene, hast du sie beschimpft!«

»Und zu Papa hast du gesagt, man hätte sie ans Ende der Welt schicken sollen und nicht nach Paris.«

»Und du würdest aus Furcht, ihr da zu begegnen, im Mai lieber auf deine Pariser Reise verzichten.«

»Das alles hat sich als ein schwerer Irrtum erwiesen«, erklärte der Geheimrat. »Mademoiselle Berthe de Cyliane hat sich ihrer angenommen,« – Lotte und Annemarie sahen sich verständnisvoll an – »es liegt nicht das geringste mehr gegen sie vor.«

»Ihr werdet ihr also genau wie früher begegnen und vor allem in ihrer Gegenwart mit keiner Silbe über das sprechen, was ihr hier im Hause oder von anderen über sie gehört habt.« —

Nach dem Lunch fuhr der Geheimrat zum Professor.

Er verschwieg zunächst den Grund, aus dem er kam, schützte Geschäfte vor und bot dem Professor einen Aufsichtsratsposten an, den er ihm schon seit Jahren versprochen hatte.

Der Geheimrat wußte, wie sehr ihm daran lag. Verging doch kaum eine Woche, in der der Professor nicht unter irgendeinem Vorwand bei ihm anrief, um dann wie zufällig auf bewußten Hammel zu sprechen zu kommen.

Der Geheimrat wußte daher auch, daß es Heuchelei und Verstellung war, wenn der Professor jetzt – statt, wie es ihm ums Herz war, auszurufen: Gott sei Dank! Endlich! und ihm um den Hals zu fallen – sehr reserviert tat und erklärte:

»Du weißt, lieber Theodor, was alles auf mir lastet. Wenn du aber meinst, daß ich dir und dem Unternehmen damit einen Dienst erweise, so wird mir wohl nichts anderes übrigbleiben, als ja zu sagen.«

Und anstatt daß der Professor dem Geheimrat dankte, versicherte der Geheimrat, daß er sehr glücklich sei, bei der nächsten Generalversammlung das prinzipielle Einverständnis des Professors mitteilen zu können.

»Übrigens, da ich gerade hier bin,« sagte der Geheimrat so nebenbei, »ich stehe im Begriff, eine neue geschäftliche Verbindung anzuknüpfen, die auch für dich sehr wertvoll werden kann, falls du noch Zeit und Lust dazu hast, Reichstagsabgeordneter zu werden.« —

Der Geheimrat wußte, daß der Professor das Leben nur von dem Gesichtswinkel aus: »Wie werde ich Reichstagsabgeordneter?« betrachtete. Und wie etwa der Parvenu alles nur nach dem Preis, nichts nach Schönheit und Wert beurteilt, wie sich der junge Student seine Universität nur nach dem Renommee der Mädchen, nicht nach dem Ruf der Professoren wählt, so beurteilte der Professor kein Geschehnis als Ding an sich, sondern immer nur in der Wirkung auf seine Chancen als Reichstagskandidat. Er fühlte wohl instinktiv, daß das bei seiner Durchschnittsbegabung die Grenze des für ihn überhaupt Erreichbaren war. Aber er hielt sich auch für fähig – und es kamen sogar Stunden, in denen er sich für berufen hielt – als Volksvertreter »für die Befestigung der sittlichen Grundlagen des Volkes und der Einordnung des einzelnen in das Staatswesen« – das war die Quintessenz seines politischen Glaubens – zu kämpfen.

Und als jetzt der Geheimrat anfing, davon zu sprechen, da war dem Professor zumute wie einem, der aus dem Lärm der Straße in eine Kirche tritt; wie der Klang der Orgel zu Gott rief, so mahnte ihn jetzt eine Stimme an seine Pflicht; ja, es war durchaus echt und ehrlich, als er sagte:

»Ich weiß, daß es eine Sünde an der Wissenschaft ist, wenn ich ihr einen Teil meiner Kraft entziehe. Aber ich fühle doch deutlich, wo meine höhere Pflicht liegt; ja, ich könnte mich zur Aufgabe meiner Lehrtätigkeit entschließen, um mich ganz nur der Befestigung der sittlichen Grundlagen unseres Volkes zu widmen.«

Der Geheimrat glaubte nicht an das Pathos. Natürlich, dachte er, aus Ärger, daß er zeit seines Lebens Extra-Ordinarius bleibt. Aber er hütete sich wohl, es auszusprechen. Vielmehr sagte er:

»Nun, wenn dem so ist, lieber Onkel, dann freut es mich, auch dir einmal gefällig sein zu können. Ich stehe nämlich im Begriff, mit dem einflußreichsten Mann deiner Partei, dem bekannten Großindustriellen Helldorf, in allerengste Verbindung zu treten.«

Den Professor störte es, daß er seine freudige Überraschung nicht unterdrücken konnte; er fühlte deutlich, daß man es ihm ansah, wie froh er über diese Nachricht war.

»Nun, da gratuliere ich,« sagte er, »das wird ja von einem großen Vorteil für dich sein.«

»Bestimmt!« antwortete der Geheimrat. »Und für dich nicht minder.«

»Es ist wahr,« gab der Professor zu, »daß der alte Helldorf, von dem unsere Partei ja materiell abhängig ist, bei der Besetzung der Wahlkreise das entscheidende Wort spricht.«

»Eben! Das hat man mir gesagt«, erwiderte der Geheimrat.

»Und so sehr ich seit fünfzehn Jahren an meinen Liegnitzern hänge – schließlich würden sie es auch begreifen und nicht als Treubruch ansehen, wenn ich mal in einem aussichtsreicheren Wahlkreis kandidiere; ich denke dabei – vielleicht notierst du’s dir – vornehmlich an Marienwerder und Friedberg-Büdingen.«

Der Geheimrat schrieb es auf.

»Das dürfte sich ohne besondere Mühe erwirken lassen«, sagte er. »Übrigens wirst du ihn ja bei uns kennenlernen.«

»Ist er in Berlin?« fragte der Professor.

»Nein, augenblicklich nicht, sein Sohn hat sich – das heißt, vorläufig ist das noch strengstes Geheimnis —«

»Ich bin verschwiegen«, versicherte der Professor.

». . . Also, sein Sohn hat sich mit der besten Freundin unserer Mädel verlobt, du kannst dir denken, daß da auch die gesellschaftlichen Beziehungen von selbst gegeben sind.«

»Das trifft sich ja ausgezeichnet«, sagte der Professor; und nach einer Weile fuhr er fort: »Es hat doch manches für sich, Kinder zu haben.«

»Wie meinst du das?« fragte der Geheimrat.

»Nun, bei der Besetzung des Ordinariats in Bonn kamen diesmal drei Kollegen in Frage. Der eine hatte ein grundlegendes Werk über die Vergeistigung des Materialismus, der andere eine ungewöhnliche Lehrbegabung, die in der großen Zahl seiner Hörer eklatant zum Ausdruck kam, in die Waagschale zu werfen. Der dritte hatte sich weder als Lehrer hervorgetan, noch eine irgendwie beachtenswerte wissenschaftliche Leistung aufzuweisen; er bekam aber den Lehrstuhl, da sich seine Tochter sechs Monate vorher mit dem Dezernenten im Kultusministerium verheiratet hatte.«

»Ich freue mich,« erwiderte der Geheimrat, »daß du dir als Gelehrter einen so klaren Blick für das praktische Leben bewahrt hast; das erleichtert mir meine Aufgabe ungemein. Ich als Kaufmann betrachte alle Dinge zunächst vom geschäftlichen Standpunkt.«

»Wie meinst du das?« fragte der Professor.

»Sehr einfach,« erwiderte der Geheimrat, »ich biete dir durch Helldorfs Vermittlung die Chancen eines sicheren Wahlkreises. Ich verlange von dir als Äquivalent nichts weiter als eine Formalität.«

»Bitte!« sagte der Professor.

»Daß du der Ehe Luises mit dem jungen Geldern zustimmst und Luise als seine Braut auch gesellschaftlich rehabilitierst.«

Der Professor wollte widersprechen.

»Laß mich ausreden«, bat der Geheimrat; und er erzählte in einer für den Professor zubereiteten Färbung die Gründe, aus denen für die gesamten Interessen der Familie die Rehabilitation Luises ratsam, ja geradezu notwendig sei.

Der Professor überlegte nicht lange; dann sagte er:

»Die Verlobung mit dem jungen Geldern ist an sich noch kein zwingender Grund, um für Luise ein Institutio in integrum, eine Wiedereinsetzung in den früheren Stand zur Familie, zu rechtfertigen; wäre es auch dann noch nicht, wenn dieser Geldern, an dessen sittlicher Integrität, wie du wohl weißt, ebenfalls Zweifel bestehen, nach jeder Richtung hin einwandsfrei dastünde. Obschon sich, was ich zugebe, in diesem Falle darüber reden ließe. Die sittlichen Verfehlungen Luises aber sind so schwerer Natur, daß in einem Ausgleich nach meinem Gefühl mehr als bloß eine Milde, ja geradezu eine Art Billigung läge. Und das, lieber Theodor,« erklärte er mit großem Pathos, »hieße am letzten Ende, sich mitschuldig machen. Nein!« sagte er und stand auf, um seinen Worten besonderen Nachdruck zu geben: »Diesen Vergleich lehne ich ab.«

»Das ist eine Härte gegen Luise«, erwiderte der Geheimrat, »und daneben, entschuldige, wenn ich es offen sage . . .«

»Bitte!«

». . . eine große Dummheit, —«

Der Professor bekam einen roten Kopf. —

». . . die ich nicht mitmache.«

»Was soll das heißen?« fragte der Professor in großer Erregung.

»Nun, für dich«, erwiderte der Geheimrat, »heißt das zunächst, daß du deinen lieben Liegnitzern erhalten bleibst und aller Voraussicht nach als der ewige Reichstagskandidat in die Grube fährst.«

»Ich verbiete dir . . .« schrie der Professor.

»Laß nur,« unterbrach ihn der Geheimrat in aller Ruhe, »es hört uns niemand. – Auch wird es mit der Zeit nicht ausbleiben, daß sich die Witzblätter deiner Kandidatur annehmen. Du weißt, wer Pech hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen . . .«

»Ich gehöre . . .«, begann der Professor mit großem Pathos.

»Ich weiß«, unterbrach ihn der Geheimrat abermals.

»Du gehörst seit fünfzehn Jahren als Extra-Ordinarius dem Lehrkörper der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität an; bist Mitglied des Stadtverordnetenkollegiums und seit mehr als zehn Jahren . . . das übrige können wir uns wohl schenken? – Wie gesagt, ich weiß es, und es hört uns niemand.«

Der Professor wechselte die Farbe.

»Aber ich will dir noch etwas sagen«, fuhr der Geheimrat fort. »Deine moralischen Grundsätze in allen Ehren; ich lasse sie gelten und habe bisher auch in allem, was Luise anging, dein Verhalten gebilligt. Sobald aber deine moralischen Grundsätze mit meinen geschäftlichen Interessen kollidieren, mache ich nicht mehr mit. Wenn es sich um Werte wie Helldorfs handelt, hat die Moral einfach zu schweigen. Denn schließlich kann doch ihr Sinn und Zweck unmöglich darin liegen, uns das Leben zu erschweren und uns um Chancen zu bringen, die vielleicht nie wiederkehren.« – Daß ihm an dem Besitz Berthe de Cylianes fast ebensoviel wie an der geschäftlichen Verbindung mit Helldorfs lag, verschwieg er. – »Also, überleg’ es dir! Und laß dir gesagt sein: es geht auch ohne dich.«

Er streckte ihm die Hand hin, nach der der Professor mechanisch griff, sagte Adieu und ging.

Er überlegte, als er in seinen Wagen stieg, ob es Sinn habe, auch noch den Oberlehrer umzustimmen. Ein Versuch lohnt immerhin, entschied er, zumal er den Professor ja noch nicht sicher hatte, auf den sich durch den Oberlehrer vielleicht ein Druck ausüben ließ.

Also versucht man’s!

Er traf ihn nicht an; seine Frau, die dem Mädchen gerade in der Küche half, empfing ihn mit einer Riesenschürze, die das ganze Kleid bedeckte. Sie war geniert und entschuldigte sich ein über das andere Mal; aber für ein zweites Mädchen reiche das Gehalt eines Oberlehrers nicht aus, und das Kindermädchen wäre so träge, daß es nicht einmal des Abends beim Abwaschen helfe. Es sei ein Kreuz, zumal wenn man sehe, wie es anderen ginge und wie es beispielsweise Kerstens gehabt hätten.«

»Die wollen wir uns nicht gerade als Vorbild nehmen«, meinte der Geheimrat. »Aber natürlich, wenn die Liebe größer ist als das Einkommen: fünf Kinder und —« er sah sie an – »das sechste unterwegs —«

»Nein!« rief sie. »Um Himmels willen! Wie kommst du darauf; dies Jahr nicht.«

»Ich dachte,« sagte er und wies auf die Schürze – »nun, um so besser, wenn es nicht der Fall ist.« Dann nahm er auf dem Diwan Platz, so daß auch ihr nichts übrig blieb als sich zu setzen, und begann.

»Ich bin nämlich gekommen, um euch mitzuteilen, daß Luise sich verlobt hat.«

»Was?« fragte sie. »Luise? Verlobt? Ja, das ist doch ein Witz! Wer wird denn so eine heiraten?«

»Geldern heißt er, stammt aus einer der allerbesten Berliner Familien; sein Vater ist Millionär; er selbst soll ein ausgezeichneter Mensch sein.«

»Wie ist das möglich?« fragte Frau Oberlehrer. »Er weiß natürlich nicht . . .«

»Er weiß alles!« kam ihr der Geheimrat zuvor. »Er liebt sie und verzeiht ihr.«

Die Frau des Oberlehrers hielt sich den Kopf.

»Ja, wo bleibt denn da die Moral!« rief sie entsetzt.

»Was sagt sein Vater dazu und was der Professor?«

»Ja und Amen – na, und ich meine, wir werden dasselbe tun.«

»Über meine Schwelle kommt diese Person mir nicht«, sagte sie entschieden. »Wenn ich auch nur eine einfache Lehrersfrau bin, so weiß ich doch, was sich schickt, und daß eine anständige Frau, wie ich, mit so etwas nicht zusammenkommt.«

»Schade«, sagte der Geheimrat.

»Was ist schade?« fragte sie.

»Nun, da meine Frau Luise bis zur Hochzeit zu sich nehmen will, so werden wir auf euch leider . . .« »Wie? – Deine Frau, die Charlotte, nimmt sie, – wo ihr selbst erwachsene Töchter im Hause habt? – Ja, ist denn das denkbar?« fragte sie ganz entsetzt.

»Es gibt gesellschaftliche Rücksichten – aber das verstehst du nicht, denn dir liegen andere Sorgen näher«, sagte er.

»Leider«, bestätigte sie.

»Wie gesagt, es öffnen sich uns da ganz neue Kreise, die natürlich auch geschäftlich nutzbar zu machen sind. So hoffe ich bestimmt, durch diese Verbindung in die Lage zu kommen, euch euer Geld vom nächsten Jahre ab statt mit vier mit viereinhalb Prozent verzinsen zu können.«

»Das wäre mir äußerst angenehm,« sagte sie, »dann könnte ich mir noch ein Mädchen halten und mich entlasten.«

»Gewiß,« sagte der Geheimrat, »es wäre dir sehr zu wünschen.«

»Und ich könnte meinem Mann dann öfter mal eine Freude machen.«

»Womit erfreut man ihn denn?« fragte der Geheimrat.

»Mit allem,« erwiderte sie, »mit der geringsten Kleinigkeit; schon wenn ich ihm eine Flasche rote Tinte kaufe, freut er sich; so braucht er jetzt neue Jägerwäsche – ja, mir fehlt das Geld, sie ihm zu kaufen. Oder, daß wir mal ins Theater kämen. Dabei ist er wochenlang ein ganz anderer Mensch, wenn er mal im Königlichen Schauspielhause war.«

Rote Tinte – Jägerwäsche – Königliches Schauspielhaus; darin lag eine erschöpfende Charakteristik des Oberlehrers.

»Das Vergnügen kann er alle Woche haben«, sagte der Geheimrat. »Wir haben alle Freitag, glaube ich, Abonnementsbillette, die liegen bei uns herum und verfallen meist, da die Kinder nicht zu bewegen sind und meist auch etwas anderes vorhaben. Die könnt ihr regelmäßig bekommen. – Überhaupt sieht man sich viel zu selten und entfremdet sich auf diese Weise vollständig. Schließlich ist man doch verwandt und hat doch auch Interesse aneinander. Ich weiß kaum noch, wie deine Kinder aussehen.«

»Bis jetzt hast du sie dir ja auch noch nie angesehen«, erwiderte Frau Oberlehrer.

»Das muß eben anders werden«, sagte er bestimmt. »Ich habe nur die beiden Mädel; was liegt also näher, als daß ihr mir eure Jungen mal ins Geschäft gebt.«

Die Frau des Oberlehrers, die seit Jahren mit diesem Gedanken spielte, und jeden Abend den Wunsch in ihr Gebet flocht: Lieber Gott, schenke Walthers keinen Sohn, reichte dem Geheimrat die Hand und sagte:

»Wenn du das tätest, Theodor!«

»Ich verspreche es dir«, sagte der Geheimrat. »Aber ich verlange auch, daß ihr mir in Kleinigkeiten entgegenkommt. Mir liegt daran, daß sich meine Familie wieder zu Luise stellt. Es liegt das augenblicklich in unserer aller Interesse. Im übrigen ist sie in den Händen Berthe de Cylianes eine völlig andere geworden.«

»Ist das jene Erzieherin, die früher bei euch war?« fragte sie.

»Eben die«, antwortete der Geheimrat.

»Das soll ja eine so ungewöhnlich tüchtige und zuverlässige Person sein.«

»Das ist sie«, bestätigte der Geheimrat.

»Mein Mann hat sie mehrmals bei euch getroffen und sich mit ihr über Erziehungsmethoden unterhalten.«

»So?« sagte der Geheimrat. »Davon wußte ich nichts.«

»Gewiß! Sie sind auch häufig des Abends auf einem englischen Fortbildungskursus zusammengetroffen.«

»Ach nein,« meinte der Geheimrat, »wie interessant! – Und nun geht er immer ohne sie zu diesem Fortbildungskursus?« fragte er.

»Er ist, seitdem sie fort ist, nicht mehr dagewesen, – wohl aus Rücksicht auf mich, um mich nicht allein zu lassen.«

»Das finde ich rührend!« sagte der Geheimrat.

»Er hat sich damals auch alle Mühe gegeben, ihr beim hiesigen Mädchengymnasium eine feste Anstellung zu verschaffen.«

»Das ist mir alles ganz neu«, versicherte der Geheimrat.

»Leider ist es ihm nicht gelungen.«

»Ich würde das an deiner Stelle nicht so übermäßig bedauern. Wenn er aber – und ich glaube, daß wir darin vollständig übereinstimmen – eine so hohe Auffassung von Berthe de Cyliane hat, dann wird er ja wohl auch ihre beste Freundin – und die ist Luise – respektieren.«

»Selbstverständlich!« rief Frau Oberlehrer. »Wenn Berthe de Cyliane sich für sie einsetzt, weiß ich, daß mein Mann nicht nein sagt.«

»Also!« sagte der Geheimrat. »Und du?«

»Ich folge in allem meinem Mann«, erklärte sie.

Der Geheimrat stand auf.

»Und du bist in diesem Falle seiner sicher?« fragte er.

»Absolut!« erwiderte sie.

»Und wirst ihn nicht davon abzubringen suchen?«

»Ich werde ihm zureden.«

Er reichte ihr die Hand.

»Danke,« sagte er, »und grüß’ ihn, und auf baldiges Wiedersehen!«

»Willst du die Jungens nicht sehen?« fragte sie.

»Ein anderes Mal,« erwiderte der Geheimrat; »ich bin heute knapp bei Zeit.«

Dann ging er.

Frau Oberlehrer ging zu ihren Jungen; streichelte und küßte sie. Die saßen gerade beim Abendbrot und waren ganz erstaunt; denn sie rechneten auf eine Tracht Prügel, da sie gegen das Verbot wieder einmal die Wurst von ihren Stullen heruntergegessen und das schwach bestrichene Brot beiseite geschoben hatten.

Tröstet euch, dachte Frau Oberlehrer, eure Jungens werden es einmal besser haben! – —

Als der Geheimrat wieder ins Bureau kam, fand er unter anderem einen Rohrpostbrief von dem Professor vor, der schrieb:

»Lieber Theodor! Du hast mich vor eine schwere Entscheidung gestellt. Nach reiflichem Erwägen bin ich bereit, Deinen Wunsch zu erfüllen. Luise soll rehabiliert werden. Ich muß dies Opfer meiner persönlichen Überzeugung bringen, weil es im Interesse der Allgemeinheit liegt. Bin ich mir auch bewußt, in diesem Einzelfalle gegen die Moral zu verstoßen, so geschieht’s, weil ich mir dadurch die Möglichkeit schaffe, als Volksvertreter meine ganze Persönlichkeit für die Befestigung der sittlichen Grundlagen des deutschen Volkes einzusetzen.

Vergiß nicht Marienwerder, Friedberg-Büdingen.

Beste Grüße

Dein Onkel.«

Der Geheimrat lächelte, dann nahm er einen Rotstift und unterstrich dick die Worte: »Luise soll rehabilitiert werden.«

Er schloß den Schreibtisch auf, nahm einen Briefbogen und schrieb an Berthe de Cyliane, daß er alles ihrem Wunsche gemäß geregelt habe und voller Sehnsucht die Einlösung ihres Versprechens erwarte.

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Дата выхода на Литрес:
30 ноября 2019
Объем:
320 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

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