Читайте только на ЛитРес

Книгу нельзя скачать файлом, но можно читать в нашем приложении или онлайн на сайте.

Читать книгу: «Lu die Kokotte», страница 16

Шрифт:

XXXVIII

In der Tat hatten Laqueurs, um sich mit Berthe de Cyliane, die doch ihre Entdeckung war, nicht zu kompromittieren, auf eine Anfrage hin an Walthers nichts weiter nach Berlin berichtet, als daß Luise das Pensionat längst verlassen habe und, wie es hieße, wegen Erpressung an einem ihrer Liebhaber aus Paris ausgewiesen und ins Ausland gegangen sei.

Das erfuhr denn auch Ilse Brehmer-Geldern, als sie am nächsten Tage den Professor aufsuchte; sie erfuhr ferner alle Vorgänge, die der Pariser Reise in Berlin vorangegangen waren. Natürlich so, wie der Professor es sah; alles tendenziös und mit der Absicht, die Ehe zu verhindern.

Ilse Brehmer-Geldern, sonst voll Dünkel und Hochmut, überschüttete den Professor mit Versicherungen ihrer Bewunderung und Verehrung, und sie sagte ihm so viel von den Dingen, die er so gern hörte und an denen sein Leben hing, daß er ihr beim Abschied die Hand drückte und sagte:

»Also doch wenigstens ein Mensch in Ihrer Familie, der mich versteht; ich kann wohl sagen, gnädige Frau, daß Sie meinen durch die Erfahrungen der letzten Tage ins Wanken geratenen Glauben an die Menschen wieder aufgerichtet haben.«

»Wir werden also bald das Vergnügen haben, Sie und Ihre Frau Gemahlin bei uns zu sehen?« fragte Ilse Brehmer-Geldern, als sie ging.

»Selbstverständlich; und ich hoffe, daß es meinen reicheren Erfahrungen gelingen wird, Ihren Mann von seinen politischen Irrwegen abzubringen.«

»Versuchen Sie’s«, sagte Frau Brehmer-Geldern in der Tür und lächelte ihm zu. Dann stieg sie in den Wagen und fuhr mit ihren reichen Kenntnissen gerüstet zu den wenigen Menschen, die bei ihrem Vater verkehrten, und auf deren Urteil er, wie sie wußte, etwas gab.

Nicht einmal den Pastor ließ sie aus, der, hoch in den Siebzigern, zwar sein Amt nicht mehr übte, aber bei ihrem Vater, mit dem er enge Freundschaft hielt, in gutem Ansehen stand.

Er war der einzige, mit dem sie Mühe hatte; er widerlegte alle ihre Argumente mit Bibelsprüchen, so daß sie schließlich ganz verzweifelt sagte:

»Das klingt ja alles sehr schön, aber bedenken Sie doch, wie alt das ist!  Das paßt doch nicht mehr in unsere Zeit. Wir leben doch heute im zwanzigsten Jahrhundert.«

Als ihn selbst dieses Argument nicht zu überzeugen vermochte, verlegte sie sich aufs Weinen, rang die Hände und rief ein über das andere Mal:

»Die Schande! Unser guter Name! Meine armen Kinder!«

Und als auch das nichts half, schluchzte sie:

»Ach, wenn wir doch Katholiken wären!«

Der Pfarrer sah sie ganz erstaunt an.

»Mein ganzes Vermögen würde ich der Kirche opfern, um Ihr hartes Herz weich zu stimmen.«

Dann stand sie auf und ging, ohne ihm die Hand zu reichen.

Dem Pfarrer lag der Besuch noch lange in den Gliedern. Auf Schritt und Tritt verfolgte ihn der Gedanke, ob es wohl recht war, seine Vermittlung von der Hand zu weisen. Um da zu raten, muß man die Menschen kennen, entschied er; nicht nur ihre Taten, deren Sinn man nur zu leicht falsch deutet. Werner freilich kannte er als ehrenhaften Menschen, und durch sein Unglück war er ihm nur noch enger ans Herz gewachsen. Mußte der nach seinen Erfahrungen nicht wissen, was er tat?

Wenn mich schon so die Zweifel quälen, dachte er, wie muß es da erst um den alten Geldern stehen, und er nahm Hut und Mantel und ging zu ihm. —

»Wie immer, wenn die Not am höchsten,« empfing ihn der Alte und umarmte ihn, »dann bist du da, ohne daß ich dich rufe.«

Ein Blick zur Tür hinüber genügte, und Martin wußte, daß sein Herr, solange der Pfarrer Weise bei ihm saß, für niemanden zu sprechen war.

»Mein armer Junge«, begann Geldern, als sie saßen. »Aber wenn alle Welt gegen sein Unglück Sturm läuft; ich halte fest und stehe zu ihm.« Und dann erzählte er dem alten Weise alles, was Luise bis zu der Stunde, in der Werner in ihr Leben trat, erduldet hatte. Und er verschwieg nichts, auch nicht das Häßlichste!

Dann machte er eine Pause.

Der alte Weise preßte die Lippen zusammen und nickte mit dem Kopfe; dann drückte er Geldern die Hand, holte tief Atem und sagte:

»Die arme Lu!«

»Ja,« erwiderte Geldern, »die arme Lu! Das sagen Werner und ich auch. – Aber die Welt denkt anders!«

»Laß die Welt reden«, sagte Weise; »seit wann kümmert sich der alte Geldern um das, was die Leute sagen?«

»Als ich meiner Tochter das alles erzählte – genau wie ich es eben dir erzählt habe, – ich hoffte, sie als Frau würde sich voller Empörung gegen so viel Unrecht auflehnen, mir um den Hals fallen und für das arme Geschöpf bitten . . .«

»Nun, und was tat sie?« fragte der alte Weise und sah ihm voll Neugier in die Augen.

»›Pfui Deibel!‹ kreischte sie. ›So etwas gehört auf die Straße!‹«

Weise wandte sich entsetzt ab.

»Heiliger Vater, verzeihe ihr«, murmelte er vor sich hin.

»Und wie sie denkt,« fuhr Geldern fort, »so denken alle andern.«

»Die nach dem Schein urteilen«, sagte Weise; »wer prüft, muß anderer Meinung sein.«

»Wer nimmt sich heutzutage die Zeit, zu prüfen?« erwiderte Geldern. »Man glaubt eben, was man hört, und spricht es nach. Und wenn – wie hier – der Schein gegen einen ist, dann wird man bei allem Unglück, das man hat, auch noch von der Welt verurteilt. Ich kenne das von Werner her. Nimm seinen Fall: noch heute, wo man annehmen sollte, daß selbst die Blinden umgelernt hätten, kommt man ihm mit Vorurteil und Mißtrauen entgegen. Es gibt nur zweierlei: entweder man setzt sich darüber hinweg . . .«

»Das sollte man tun«, erwiderte Weise.

»Solange man allein ist, geht’s«, sagte Geldern. »Ob Werner aber stark genug sein wird, auch für seine Frau zu resignieren? – Und wenn er einmal Kinder hat, ob es ihm dann gleich sein wird, wenn man mit Fingern auf sie zeigt?« – er zog die Schultern in die Höhe – »Ich weiß es nicht.«

»Alles das hat dir deine Tochter in den Kopf gesetzt«, meinte Weise.

»Nicht nur sie«, erwiderte Geldern und rückte nahe an ihn heran.

»Du bist der einzige Mensch, mit dem ich mir offen alles vom Herzen rede. Innerlich, da ist mir mein Kind . . .«

»Du sprichst von deiner Tochter?« unterbrach ihn Weise.

»Ja, eben sie,« erwiderte Geldern, »innerlich, da wird sie mir von Jahr zu Jahr fremder. Es ist ja furchtbar, daß man so etwas ausspricht; aber es ist doch leider Gottes wahr. Mein Martin hier und meine alte Amalie, die mir das Haus führt – ja, wenn ich es recht bedenke, ich kann mir nicht helfen, aber beide stehen mir innerlich näher als mein eigenes Kind. Begreifst du, Weise, was das bedeutet?« fragte er bewegt und stützte den Kopf in die Hände. »Es ist gewiß traurig,« fuhr er fort, »wenn einem sein Kind wegstirbt, aber es ist doch etwas Natürliches, und sich dagegen auflehnen, wäre töricht. Daß ich aber mein Kind, das hier in diesen Räumen groß geworden ist, in denen seine Eltern und Großeltern gelebt haben, das zwanzig Jahre lang zu mir gehört hat, als wenn es ein Stück von mir selbst wäre, – daß ich das verlieren konnte, ohne daß einer von uns beiden gestorben ist, – siehst du, Weise, daß es das gibt, das dachte ich nicht.«

Weise suchte ihn zu beruhigen; aber Gelderns Leid saß tief; es ließ sich mit Worten nicht lindern; und Argumente gab es nicht.

»Denke, es wäre dein Kind«, sagte Geldern. Und da schwieg der Alte und fand keine Antwort.

»Ich habe sie verloren,« sagte Geldern, »ich weiß es. Und um sie zurückzugewinnen – äußerlich natürlich – denn an unsern Gefühlen würde sich dadurch nichts ändern, müßte ich Werner opfern.«

»Das darfst du nicht«, sagte Weise entschieden.

»Gewiß nicht«, erwiderte Geldern; »nie im Leben! Was ich fürchte, ist etwas anderes. Nach allem, was ich von dieser Luise weiß, wird sie es, ohne daß man es ihr sagt, fühlen, was hier vorgeht.«

Weises Stirn legte sich in Falten.

»Möglich auch,« fuhr Geldern fort, »sogar wahrscheinlich, daß es ihr meine Tochter oder dieser Professor auf irgendeine Art beibringen. Das Ergebnis wäre, soweit ich Menschen kenne, in beiden Fällen das gleiche: sie würde sich opfern; auf Werner Verzicht leisten; verschwinden und – wenn sie die ist, für die ich sie halte, sich ein Leid antun.«

»Furchtbar! Furchtbar!« sagte Weise.

»Ich fühle schon heute für sie, als wenn es mein Kind wäre«, sagte Geldern. »Aber wenn das geschähe, – du kennst Werner so gut wie ich – glaubst du, daß er zum zweiten Male einen solchen Schlag ertrüge?«

»Nein,« sagte Weise, »ich glaube es nicht.« – Und nach einer Weile: »Ich will noch einmal mit deiner Tochter sprechen.«

»Gib dir keine Mühe«, erwiderte Geldern. »Du kennst ihren Starrsinn. ›Überleg du dir’s, Papa‹, sagte sie mir, als sie ging. ›Wir, d. h. mein Mann und ich, können, solange die eigene Familie auf diesem Standpunkt steht, ohne uns selbst herabzuwürdigen, einfach nicht anders!‹ Dann ging sie. – So sitze ich nun seit gestern und finde keinen Ausweg.«

»Wo ist sie denn jetzt, die Luise?« fragte Weise.

»Im Sanatorium, im Taunus. Meine Schwester, die Fanny, ist bei ihr. Und seit gestern auch Werner. – Vor zwei Tagen erst hat er mit mir gesprochen. Als er mir – du kennst ihn ja – treuherzig und unbefangen sein ganzes Herz ausschüttete – weißt du, da war ich seit langer Zeit wieder mal glücklich und habe mich auf die Stunde gefreut, an der ich, hier unter dieser Krone, ihre Hände ineinander legen würde.«

»Ich kann’s dir nachfühlen«, sagte Weise.

»Und Luises Vergangenheit?« – er zog die Schultern in die Höhe – »Mir wär’s gewesen, als wenn sie damit die Schuld der andern gesühnt hätte, so daß man nun auch an die, – was ich bis heute noch nicht kann – ohne Groll zurückgedacht hatte. So legte ich’s mir aus! Aber da kam meine Tochter und der Professor und klärten mich auf über meinen Irrtum.«

»Wann kommt Werner zurück?« fragte Weise.

»Sie wollen heute reisen; natürlich habe ich telegraphiert, sie sollen bleiben, bis ich Nachricht gebe. So wie die Dinge jetzt liegen, ist es ganz unmöglich, daß sie kommen.«

»Laß mich zu ihnen«, bat Weise.

»Was willst du tun?« fragte Geldern.

»Ich weiß es nicht; jedenfalls nicht im Augenblick«, erwiderte Weise. »Ich muß sie sehen, sprechen . . . Vertrau’ mir, ich habe schon vielen geholfen, die nicht weiterwußten.«

Geldern gab ihm die Hand.

»Versuch’s,« sagte er, »ich habe wenig Hoffnung. Menschen, die durchgemacht haben wie die zwei – müssen sich selbst helfen.«

XXXIX

Als Werner das Telegramm seines Vaters erhielt, wußte er gleich, aus welchem Loch der Wind pfiff. Seine größte Sorge war Luise. Von ihr mußte er alles fernhalten, was sie irgendwie erregen konnte.

Daß er sofort nach Berlin fuhr, stand für ihn fest. Aber er durfte es ihr nicht sagen. Denn welchen Grund er auch nannte, sie würde doch immer fühlen, daß es mit ihr zusammenhing.

Er war ja doch gekommen, um sie zu holen. Und es war daher nur natürlich, daß sie sich Gedanken machte, wenn er jetzt fortfuhr und sie zurückließ.

»Ich muß nach Stuttgart,« sagte er, »um Geschäftliches für Papa zu erledigen; in zwei Tagen längstens bin ich wieder bei euch; packt ihr inzwischen eure Koffer. Heut ist Mittwoch, am Freitag fahren wir dann zusammen nach Berlin.«

Kurz vor seiner Abreise meldete der alte Weise seinen Besuch an. Werner telegraphierte, daß er bereits zu ihm unterwegs sei. Und am nächsten Tage fuhr er vom Bahnhof aus direkt zu ihm.

Weise brauchte nicht viel zu reden; denn Werner ahnte längst den Zusammenhang: alles war, wie er es vermutet hatte. Nur daß der Widerstand von seiten der Familie Luises fast noch leidenschaftlicher als der seiner Schwester war, überraschte ihn. Und der Standpunkt seiner Schwester, ihr Verhalten von der Stellung, die Luises Familie einnahm, abhängig zu machen, schien ihm fast wie ein Entgegenkommen. Weise erbot sich, zu dem Professor zu gehen; aber Werner duldete nicht, daß sich der alte Mann einer Demütigung seitens dieses Philisters aussetzte. Daß er es selbst bei ihm versuchte, war ebenso zwecklos und konnte die Gegensätze nur verschärfen.

Lange saßen sie da und überlegten, bis endlich Werner ein Gedanke kam.

Er schlug mit der Hand auf den Tisch, sah den alten Weise groß an und sagte:

»Liane!«

»Was?« fragte der Alte.

»Liane!!« wiederholte Werner noch bestimmter.

»Die Pariser Kokotte?« Weise zog die Schultern in die Höhe und schüttelte den Kopf.

»Eben die!«

»Was soll das heißen!«

»Wenn eine es kann, so ist sie’s.« Werner wurde ordentlich froh bei dem Gedanken. »Wenn das gelänge!« rief er. »Der Professor und die Kokotte! Es klingt wie eine Schwankidee, diese Zusammenstellung! Schade! Sie kennen sie beide nicht, sonst würden Sie jetzt lachen, herzlich lachen, so traurig ernst der Fall an sich ist. Dieser Gedanke stimmt mich fast heiter. – Und was wichtiger ist; ich habe das sichere Gefühl, daß es der richtige Weg ist.«

»Ich muß dir schon sagen, lieber Werner,« erwiderte Weise, »daß ich nicht recht verstehe, was du eigentlich vor hast?«

»Ich weiß es selbst noch nicht«, erwiderte Werner; »aber ich habe so das Gefühl, als müsse es auf diesem Wege gehen. Ich fahre sofort zu ihr – kommen Sie mit?«

»Wie?« fragte der Alte ganz entsetzt. »Zu der Kokotte?«

»Warum nicht? Sie werden eine schöne und intelligente Frau kennenlernen.«

Der Alte wies auf sein weißes Haar:

»Zu spät, mein Lieber,« sagte er lächelnd, »es läßt sich nicht mehr nachholen.«

»Nun, dann werden Sie Ihre Freude daran haben, einen hilfsbereiten Menschen zu finden.«

»Wie? In dieser Kokotte?« fragte Weise und wurde immer erstaunter.

»Eben in ihr«, bestätigte Werner.

Der Alte schüttelte den Kopf.

»Das kann ich nicht mitmachen«, sagte er. »Soll sie etwa dem Professor Schlingen legen?«

Werner lachte laut.

»Nein, Papa Weise«, sagte er. »Ich glaube, eher bestimmt sie den Papst, daß er sie zu seiner Geliebten macht, als daß sie den Professor auch nur für eine Viertelstunde« – und er wurde pathetisch – »vom Wege der Tugend abbringt.«

»Also, was willst du tun?«

»Kommen Sie mit,« bat Werner, »sie nimmt es ernster, wenn Sie dabei sind.«

»Du weißt, mein Junge, wie gern ich dir helfe und alles für dich tue, was in meinen Kräften steht. Verlange, was du willst, von mir. Aber lieber fahre ich für dich nach Australien, als daß ich dich zu dieser Kokotte begleite. – Ich bin achtzig Jahre geworden, ohne so etwas kennengelernt zu haben.«

»Wahrhaftig?« fragte Werner erstaunt.

»Mein Wort darauf: ich habe jung geheiratet.«

»Sie machen sich sicher ein ganz fabelhaftes Bild von diesen Frauen«, sagte Werner.

»Ich habe mir nie ein Bild von diesen armen Geschöpfen gemacht,« erwiderte Weise, »ich habe sie immer nur von ganzem Herzen bedauert.«

»Wozu in diesem Falle kaum ein Grund vorliegt«, erwiderte Werner.

»Ich hatte es mir früher oft gewünscht, auch mal auf diesem Gebiete Gutes zu wirken und arme, verlorene Mädchen wieder aufzurichten. Sonderbar! Ich hatte in den fünfunddreißig Jahren, in denen ich im Amt war, nicht ein einziges Mal Gelegenheit dazu.«

»So nehmen Sie’s also als eine Sendung des Himmels,« erwiderte Werner, »machen Sie mit ihr den Anfang.«

»Wie? – Ich sollte . . .« fragte Weise erstaunt.

»Gewiß! Warum nicht – eins schließt ja das andere nicht aus«, sagte Werner. »Das ist ein guter Gedanke; – also kommen Sie.«

Der alte Weise war etwas verwirrt.

»Versuchen täte ich’s schon gern; aber ich weiß so gar nicht, wie man mit diesen armen, kleinen Mädchen umgeht.«

»Das sieht man bald,« versicherte Werner, »am Ende sind’s ja auch nur Menschen. Und wer’s nicht weiß, merkt es ihnen nicht einmal an, daß sie – nun, ich möchte nicht gern behaupten, daß sie schlechter sind; denn schlechter sind sie nicht; auch leichtsinniger trifft nicht das Richtige, – also sagen wir, daß sie anders sind. – Aber sind sie denn anders?« – Er schüttelte den Kopf. »Sie sehen, der Unterschied ist so gering, daß ich nicht einmal den Ausdruck dafür finde; Sie dürfen also getrost wie mit jedem andern Menschen mit ihr reden.«

»Aber beim Vornamen nennt man sie – und Du sagt man zu ihnen?« fragte der Alte.

»Man behandelt sie als Menschen«, wiederholte Werner. »Das ist der Schlüssel, der das Herz jeder Kokotte öffnet.«

Der alte Weise verstand ihn und entschloß sich, ihn zu begleiten. Beide nahmen Hut und Mantel und fuhren zu Liane.

XL

Auf dem Wege zum Hotel Esplanade, in dem Werner Liane noch immer vermutete, überlegte Weise, wie er wohl am wirksamsten seinen Bekehrungsversuch einleiten könne.

Armes Kind, wollte er sagen; ich weiß von deinem Unglück; ich habe Mitleid mit dir und bin gekommen, um dir zu helfen.

Dann würde sie gleich wissen, daß er nicht war wie die andern; daß er, statt ihr Unglück auszunützen, den ernsten Willen hatte, ihr zu helfen.

Im Esplanade-Hotel fragte Werner nach der Zimmernummer von Madame Liane de Villiers.

»Sie meinen die Baronesse Lu de Courcelles?« erwiderte der Portier.

Werner nahm von dieser neuen Veränderung gebührend Kenntnis, lächelte und sagte: »Ja, eben die.«

»Wohnt seit einer Woche Alsenstraße 14; von morgen ab – einen Augenblick« – er schlug das Postbuch auf – »ja, – also von morgen ab haben wir Order, alle Post nach Kairo, Savoy-Hotel, nachzusenden.«

»Danke«, sagte Werner; gab dem Chauffeur die neue Adresse und stieg wieder in den Wagen.

»Unsere Chancen stehen schlecht,« sagte er, »Ihre wie meine.«

»Wieso?« fragte Weise.

»Vierundzwanzig Stunden später, und sie war weg«, erwiderte er.

»Wohin?« fragte Weise.

»Nach Ägypten.«

»Entsetzlich!« rief Weise. »Nein, diese armen Mädchen.«

Werner sah ihn erstaunt an.

»Entsetzlich finden Sie das?« fragte er.

»Verschleppt natürlich«, sagte Weise und war entrüstet. »Diese Mädchenhändler sind die gewissenlosesten Verbrecher.«

»Na, ich glaube doch, Sie sind da nicht ganz im Bilde«, erwiderte Werner.

»Aber ich werde noch in letzter Stunde alles versuchen, um das zu verhindern.«

»Wie? Sie wollen sie zurückhalten?« fragte Werner.

»Allerdings, und wenn es sein muß, mit Hilfe der Polizei.«

»Was wollen Sie tun?«

»Den Kerl verhaften lassen, der sie da unter wer weiß welchen Vorstellungen und Versprechungen nach Ägypten lockt.«

»Um des Himmels willen, tun Sie das nicht«, bat Werner und sah, daß es doch wohl ein Fehler gewesen war, den Alten mitzunehmen.

»Ein vornehmes Haus«, sagte Weise, als sie in den Flur traten. »Daß solche Leute an Kokotten vermieten.« Und er las das Parterreschild: De Courcelles. – »Was? Sie hat ihre eigene Wohnung?«

»Es scheint«, erwiderte Werner.

»Ich entsinne mich, im Jahre 1876 mal eine Broschüre über die schlechten Wohnverhältnisse der Berliner Prostituierten gelesen zu haben; das scheint sich demnach ja erheblich gebessert zu haben.«

Werner lächelte.

Drin wurde das elektrische Licht angeknipst, und ein Diener in Livree und Kniehosen öffnete die Tür.

»Verzeihung,« sagte Weise verlegen, »wir sind hier falsch.«

»Zu wem wollen die Herren?« fragte der Diener.

»Wohnt hier die Baronesse de Courcelles?« rief Werner über Weises Schulter hinweg.

»Das wohl! Die Baronesse kann aber nicht empfangen.«

»Was sagt er?« wandte sich Weise zu Werner und zog den Hut.

Werner hatte inzwischen seine Visitenkarte herausgenommen und reichte sie dem Diener.

»Bitte, geben Sie der Baronesse meine Karte und fragen Sie, wann ich sie vor ihrer Reise noch sprechen kann.« Und er schob ihm einen Zehnmarkschein in die Hand.

»Wollen die Herren solange hier eintreten?« bat der Diener.

Weise sah Werner an.

»Gehen wir!« sagte er ängstlich.

»Aber nein,« erwiderte Werner, »treten Sie nur ein.« Und beide warteten im Flur, der voll mit Koffern stand.

Auf jedem Koffer prangte eine breite Krone.

»Wir sind doch falsch?« fragte Weise schüchtern.

»Das wird sich gleich zeigen«, erwiderte Werner, der bestimmt wußte, daß er bei Liane war.

Im selben Augenblick kam auch schon der Diener zurück.

»Die Baronesse läßt bitten!« Und er schob eine große Flügeltür auseinander und ließ Weise und Werner in einen eleganten und geschmackvollen Louis-XVI.-Salon treten.

Gleich darauf trat Liane in großer Abendtoilette ins Zimmer, ging auf Werner zu, begrüßte ihn mit großer Herzlichkeit.

»Nein, Doktor, wie ich mich freue, daß Sie Wort halten; ich hatte schon vor, Ihnen zu schreiben, bevor ich reise.«

Werner küßte ihr höflich wie einer Dame der Gesellschaft die Hand, was dem alten Weise, der so schon längst außer Fassung war, den Rest gab.

»Ich habe Ihnen, liebe Baronesse, einen alten Freund unseres Hauses, Herrn Pastor Weise, mitgebracht, der den Wunsch äußerte, Sie kennenzulernen.«

»Ah«, sagte Liane, die ihn erst jetzt bemerkte. Armes Kind, hatte er sagen wollen; ich weiß von deinem Unglück; ich habe Mitleid mit dir und bin gekommen, um dir zu helfen.

Aber als Liane jetzt mit großer Gewandtheit an ihn herantrat, ihm die Hand reichte und sagte:

»Ich freue mich sehr und weiß die Ehre zu schützen«, da verbeugte er sich zu Werners Erstaunen ganz tief und sagte: »Ganz auf meiner Seite, Baronesse« und wollte durchaus nicht eher auf dem Sessel, den ihm Liane heranschob, Platz nehmen, bevor nicht auch sie sich gesetzt hatte.

»Also, was macht meine liebe Luise?« fragte Liane lebhaft. »Sie sind doch noch mit ihr zusammen?«

»Wir wollen jetzt heiraten«, erwiderte Werner.

»Also ist es wahr!« rief sie erfreut und drückte Werner die Hand. »Ich habe es auf den ersten Blick erkannt, was für ein guter Mensch Sie sind!«

»Aber leider geht das nicht so ohne weiteres«, fuhr Werner fort.

»Natürlich! Die Polizei!« rief Liane.

»Was? – Wieso meinen Sie, daß die Polizei . . .?« fragte Werner erstaunt.

»Oh, ich kenne das! Sie ist schrecklich, diese Berliner Polizei mit ihren Papieren! Was sie nicht alles von einem einzigen Menschen verlangen: Geburts- und Tauf- und Impf- und Heirats- und Abzugs- und Zuzugs- und Führungs-Atteste; tausend Dinge, die man bei uns in Frankreich gar nicht kennt; sie lassen einem keine Ruhe; alle Tage kommen sie mit was Neuem.«

Werner gab ihr recht; während Weise dasaß, die Augen aufriß und Liane wie ein Weltwunder anstaunte.

»Ja, denken Sie, vor einer Woche erkundigten sie sich nach Liane de Villiers! – Die existiert längst nicht mehr, sagte ich; die bin ich nicht mehr; ich heiße Lu de Courcelles. Was glauben Sie, das geschieht? Am nächsten Tage kommt wieder so ein Beamter in blauer Uniform – ich versichere Sie, ich kann die Farben nicht mehr ertragen – und verlangt von mir einen Totenschein und eine Sterbeurkunde von Liane de Villiers. Ja, was wollen Sie, ich kann das doch unmöglich beschaffen; aber die Leute nehmen keine Vernunft an und sehen das nicht ein, – na, ich bin froh, drei Monate vor diesen Menschen Ruhe zu haben.«

»Sie haben gewiß recht«, sagte Werner. »Bei uns liegen die Schwierigkeiten aber woanders, – und zwar bei Luises Familie.«

»Unmöglich!« rief Liane. »Die sollten doch von Herzen froh sein, daß die arme Luise nun endlich zur Ruhe kommt.«

»Das sollte man annehmen«, meinte Weise, und Werner sagte:

»So denken Sie, liebe Baronesse; aber die Familie, der die Moral über alles geht, denkt anders. Also« – und er wandte sich an Weise – »muß es doch wohl unmoralisch sein, so zu denken.«

»Eine nette Moral, das,« rief Liane, »die einen innerlich anständigen Menschen nicht auf anständige Weise glücklich werden läßt.«

Werner zog die Schultern in die Höhe.

»Ich weiß nicht, Teuerste, ob wir da gerade kompetent sind, denn wir haben doch . . .«

»Was haben wir?« unterbrach ihn Liane. »Bitte, werden Sie nicht kränkend. Ich bedaure es oft, daß ich es mir nicht leisten kann, auf anständige Weise glücklich zu sein. Wenn ich es aber auch vorziehe, auf meine Art glücklich zu sein, statt im tiefen Elend zu sitzen und dafür das Bewußtsein zu haben, ich handle moralisch, so weiß ich darum doch ganz genau, wo eure Moral anfängt, kindisch zu werden. Das wird sie im Falle Luises bestimmt.«

»Bravo!« rief Werner. »Wollen Sie diese Überzeugung nicht Ihrem früheren Dienstherrn, dem Geheimrat Walther, beibringen und dafür sorgen, daß er sie auch auf den Professor – Sie kennen ihn ja aus Luises Erzählungen – überträgt?«

»Aber mit dem allergrößten Vergnügen; wenn ich Luise damit einen Gefallen tue.«

»Mehr als einen Gefallen«, sagte Werner. »Damit diese Ehe schnell und glatt und ohne Skandal vor sich gehen kann, ist es nötig, daß sich Luises Familie ganz offiziell damit einverstanden erklärt.«

»Das setze ich Ihnen durch!« rief Liane bestimmt. »Nichts leichter als das.«

»Sie unterschätzen das moralische Rückgrat dieser Laute«, erwiderte Werner.

»Oh nein,« sagte Liane, »ich habe nur eines vor Ihnen voraus: ich weiß, wo die Defekte dieses Rückgrates sitzen. – Freilich . . .« sie überlegte.

»Sie haben Bedenken?« fragte Werner.

»Nein, nein!« erwiderte Liane. »Nur meine dumme Reise« – sie dachte noch einmal nach – »nur einen Augenblick« – dann stand sie entschlossen auf und sagte: »Aber es ist meine Pflicht, zu bleiben, bis das erledigt ist.«

»Sie wollten?« sagte Werner.

»Selbstverständlich! – Ich werde versuchen, die Billette loszuwerden. Geht das nicht . . .«

»So ersetze ich selbstverständlich«, erwiderte Werner.

Aber Liane winkte ab.

»Das ist ganz ausgeschlossen«, sagte sie und wies an die Wand, an der das Bild des jungen Helldorf hing.

»Sie kennen ihn; ich habe Glück; er liebt mich sehr.« – Und zu Weise gewandt, sagte sie: »Verzeihung, ich vergaß ganz, das schickt sich nicht.«

Der alte Weise machte eine Verbeugung und sagte schüchtern:

»Aber bitte.«

»Und wem anders danke ich es am Ende, als ihr«, sagte Liane. »Ich gehe noch heute an die Arbeit und gebe Ihnen Nachricht. Grüßen Sie mir meine Luise und sagen Sie ihr, wie glücklich ich bin, daß ich ihr helfen kann.«

»Sie wird selbst kommen und Ihnen danken«, sagte Werner.

Liane schüttelte den Kopf.

»Das soll sie nicht«, und zu Weise gewandt, fuhr sie fort: »Denn, nicht wahr, das wurde sich nicht schicken?«

»Das sehe ich nicht ein, wieso sich das nicht schicken sollte«, erwiderte der Alte.

Und als er sich von ihr verabschiedete und sie ihm die Hand reichte, führte er sie an die Lippen und küßte sie.

Werner lächelte, als er das sah.

Als der Diener die Tür hinter ihnen schloß, sagte Werner:

»Sehen Sie, wie gut es war, daß Sie mitgekommen sind: sie wird nun nicht nach Ägypten reisen.«

Der Alte schüttelte nur immer den Kopf und sagte: »Nein! Diese Manieren! Diese Hilfsbereitschaft! Diese Güte! – Ein prächtiger Mensch!«

»Aber, aber,« erwiderte Werner, »was reden Sie da; vergessen Sie denn ganz, Sie sprechen von einer Kokotte!«

Возрастное ограничение:
0+
Дата выхода на Литрес:
30 ноября 2019
Объем:
320 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

С этой книгой читают