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2. Kritikpunkte an der Lehre von der objektiven Zurechnung

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Nach wie vor gibt es jedoch auch eine ganze Reihe von Stimmen im Schrifttum, welche dieser Rechtsfigur vor allem beim Vorsatzdelikt sehr kritisch bis ablehnend gegenüberstehen.[178] Man gewinnt sogar den Eindruck, dass in den letzten Jahren die Zahl der Kritiker nicht unerheblich zugenommen hat. Gössel spricht davon, die Lehre von der objektiven Zurechnung sei „zunehmend in die Defensive“ geraten,[179] und Frisch merkt an, es sei letztlich offen, ob sich die objektive Zurechnungslehre unter dem Eindruck einer stärker werdenden grundsätzlichen Kritik in ihrer heutigen Form langfristig wird halten können.[180] Was sind nun die Kritikpunkte, die gegenüber der Lehre erhoben werden? Sie sollen im Folgenden dargestellt sein:

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Immer wieder wird vor allem die Unbestimmtheit der Lehre kritisiert. So frage die weit fortgeschrittene deutsche Dogmatik am Eingangstor in ihr System, ob es gerechter, verhältnismäßiger oder billiger ist, dem Täter oder dem Opfer die Verantwortung für das Geschehen zuzuschreiben; auf diese Weise habe die objektive Zurechnung die Rechtssicherheit zerstört.[181] Die objektive Zurechnung werde als Passepartout für sämtliche schwierige Tatbestands- und Rechtswidrigkeitsprobleme benutzt. Die Lehre sei zu unbestimmt, um wesentlich mehr zu bieten als ein bequemes Vehikel zur Beförderung des eigenen Rechtsgefühls.[182] Die Leitformel sei zu vage und stelle eine fast beliebig einsetzbare Legitimationshülse zur Begründung intuitiv als richtig empfundener Ergebnisse dar.[183] Die objektive Zurechnung umfasse ganz heterogene Fallgruppen, die pauschal unter die Allzweckformel von der „rechtlich relevanten Gefahrschaffung“ und „Gefahrrealisierung“ subsumiert werden.[184] Ganz unterschiedliche dogmatische Fragen würden in der Rubrik „objektive Zurechnung“ vereint.[185] Stelle man darauf ab, ob dem Täter der Erfolg „als sein Werk zurechenbar“ ist, könne über diese allgemeine Klausel die jeweils intuitiv als richtig empfundene Entscheidung jederzeit legitimiert werden.[186] Damit stehe aber für den Einzelnen nicht von vornherein mit hinreichender Klarheit fest, was verboten ist und was nicht. Die Lehre von der objektiven Zurechnung sei überflüssig und schädlich, da sie den Boden der präzisen juristischen Aufarbeitung eines Falls verlasse.[187] Mit den Kriterien der objektiven Zurechnung könne man recht freihändig und schöpferisch verfahren, da man dabei nicht an gesetzliche Regelungen gebunden sei und im Gewand der Dogmatik Kriminalpolitik betreiben könne.[188] Die Kategorie der objektiven Zurechnung werfe neue Fragen auf und beantworte nichts.[189]

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Das Kriterium der „Realisierung des unerlaubten Risikos“ werde praktisch zur Lösung jeder Problematik objektiver Zurechnung herangezogen und rechtfertige sowohl die Begründung als auch die Ablehnung der Zurechnungseinschränkung; die objektive Tatbestandsfeststellung sei mit einem Konglomerat von Wertungen befrachtet, die sachgerechter und durchschaubarer bei der Prüfung anderer Strafbarkeitsvoraussetzungen zu erörtern seien.[190] Bei der objektiven Zurechnung stünden dogmatischer Aufwand und praktischer Ertrag in keinem Verhältnis zueinander.[191] An die Stelle der Gleichwertigkeit aller Bedingungen trete die Gleichwertigkeit aller unerlaubter Risiken.[192]

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Gegen die Lehre spreche auch, dass sie die objektiven Unrechtstatbestände von fahrlässigen und vorsätzlichen Delikten gleichsetzt und erst auf der Ebene des subjektiven Tatbestands einen Unterschied machen will, obwohl das Unrecht des Vorsatzdelikts erst mit dem Versuch beginne, das Unrecht des fahrlässigen Delikts dagegen zeitlich erheblich früher liegen könne.[193]

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Im Lichte des Tatvorsatzes verringere sich die Problematik der objektiven Zurechnung zur Bedeutungslosigkeit. Wenn der Vorsatz fehlt, sei jede Spekulation innerhalb des objektiven Tatbestands darüber, ob die objektive Zurechnung vorliegt, „in einer schon qualvollen Weise überflüssig“.[194] Da der Vorsatz als Verwirklichungswille die finale Tatherrschaft und den Kausalverlauf dirigiere, bestehe kein Bedürfnis nach objektiver Zurechnung.[195] Im Übrigen gehe es oftmals um Probleme der jeweiligen Tatbestandsauslegung, also um eine Frage des Besonderen Teils.[196] Die Lehre von der objektiven Zurechnung sei nicht erforderlich, da sich gerechte Ergebnisse über die Korrektive Vorsatz, Rechtswidrigkeit und Schuld erzielen ließen.[197]

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Die Lehre schaffe sich ihren eigenen Legitimationsgrund, indem sie behaupte, bestimmte Fälle – so der Erbonkel-Fall[198] – könnten nur über eine Einschränkung des objektiven Tatbestands gelöst werden, da der Vorsatz in diesen Fällen vorliege. Damit reduziere sie jedoch den Vorsatz auf ein bloßes Wollen und missachte, dass auch der Kausalverlauf zwischen Handlung und Erfolg und damit die Kenntnis aller die eigene Herrschaft begründenden Faktoren Gegenstand des Vorsatzes sei.[199] Es sei zudem ein Systembruch, Sonderwissen bei der objektiven Zurechnung zu berücksichtigen, also in der Sache subjektiv zuzurechnen, und dieses Wissen dann nochmals zur Bejahung des Vorsatzes heranzuziehen.[200]

3. Stellungnahme

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Das seitens der Lehre von der objektiven Zurechnung verfolgte Grundanliegen ist durchaus positiv zu würdigen: Man will dem Umstand, dass nach der Äquivalenztheorie aufgrund der Gleichwertigkeit der Bedingungen zahlreiche Personen ursächlich für den eingetretenen Erfolg sein können, eine Grenze gegenüberstellen, um in bestimmten Konstellationen das Unrecht der Tat zu verneinen. Andererseits wird dabei zu wenig beachtet, dass sich das Unrecht der Tat letztlich insgesamt erst ergibt aus der Erfüllung nicht nur des objektiven, sondern auch des subjektiven Tatbestands sowie der Rechtswidrigkeit. Die von der objektiven Zurechnung genannten Fälle[201] können nun aber auch sehr gut ganz ohne die Heranziehung dieser Lehre gelöst werden, indem zum Beispiel der Vorsatz zu verneinen ist oder die Ebene der Rechtswidrigkeit. Die Lehre von der objektiven Zurechnung vereint dagegen ganz unterschiedliche Fallgestaltungen in einer Kategorie, die noch dazu zahlreiche Unsicherheiten in sich trägt und aufgrund ihrer Weite und Unbestimmtheit jedes gewünschte Ergebnis zu legitimieren vermag. Tatsächlich wird durch die Lehre von der objektiven Zurechnung die dogmatisch saubere Lösung von Fällen aufgegeben zugunsten einer Lösung nach dem allgemeinen Rechtsgefühl. Damit erheben sich jedoch gravierende rechtsstaatliche Bedenken gegenüber dieser Lehre, da die Frage, ob ein Verhalten den Tatbestand erfüllt, letztlich nur noch zur Gefühlsentscheidung wird.[202] Es ist zwar richtig, dass im Fall der Ablehnung der Lehre von der objektiven Zurechnung auch dann noch Wertungsfragen zu beantworten bleiben, etwa beim Vorsatz danach, ob sich der Geschehensablauf im Rahmen des nach allgemeiner Lebenserfahrung Vorhersehbaren hält und keine andere Bewertung der konkreten Tat rechtfertigt. Nur wird diese Frage eben nicht mehr in einer allgemeinen Kategorie, die unterschiedlichste Konstellationen umfasst, generell vorab entschieden, sondern jeweils an der sachlich richtigen Stelle im Verbrechensaufbau, sodass insofern schon vom Ausgangspunkt das Problem richtig loziert ist, was erst den Weg für dessen zutreffende Lösung eröffnet.

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Ob der Erfolg dem Täter als „sein Werk“ zurechenbar ist, darüber lässt sich angesichts der Weite und Unbestimmtheit dieser Formulierung trefflich streiten. Das offenbart sich auch daran, dass innerhalb der Befürworter der Lehre zahlreiche unterschiedliche und kontroverse Ansichten zu bestimmten Fallkonstellationen existieren.

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Wenn es um die rechtliche Missbilligung geht, müsste letztlich in der Konsequenz auch bei jedem gerechtfertigten Verhalten bereits der objektive Tatbestand verneint werden, da es dann ebenfalls an der rechtlichen Missbilligung fehlt.[203] Damit wäre man aber wieder bei der überkommenen und mit der Gesetzeslage unvereinbaren Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen angelangt, welche die Frage der Rechtfertigung in den Tatbestand zieht,[204] obwohl der Gesetzgeber, wie sich etwa aus § 16 StGB einerseits und §§ 32, 34 StGB andererseits ergibt, sehr wohl zwischen Tatbestand und Rechtswidrigkeit differenziert.[205] Auch derjenige, der in Notwehr tötet, schafft im Ergebnis keine rechtlich missbilligte Gefahr. Zwar wenden die Befürworter der Lehre von der objektiven Zurechnung ein, es gehe bei der rechtlichen Missbilligung nicht um ein Unwerturteil über die gesamte Tat, sondern allein darum, ob der Täter mit Blick auf den tatbestandlichen Erfolg ein grundsätzlich missbilligtes Risiko gesetzt habe.[206] Es handele sich um die generelle Unerlaubtheit, gleichwohl könne das Verhalten im konkreten Fall erlaubt sein, weil etwa im speziellen Fall die Notwehr greift.[207] Der objektive Tatbestand des Erfolgsdelikts sei schon erfüllt, wenn der Erfolg auf eine generell missbilligte Weise verursacht worden ist. Nur wenn sich schon aus der Art und Weise der Erfolgsherbeiführung ergebe, dass das Geschehen gebilligt ist, sei der objektive Tatbestand nicht erfüllt.[208] Aber diese Ausführungen verschleiern mehr als sie erhellen. Wie soll es bei der konkreten Beurteilung des Einzelfalls um die „generelle“ Unerlaubtheit gehen? Wovon soll abstrahiert werden und wovon nicht? Tötet jemand einen anderen in Notwehr, kann man ohne Weiteres sagen, aus der „Art und Weise der Erfolgsherbeiführung“ – nämlich einer Handlung, die über die Notwehr gerechtfertigt ist – ergebe sich, dass das Geschehen erlaubt sei. Auch bei einem Friseur, der mit Zustimmung des Betreffenden die Haare schneidet, könnte man ohne Weiteres davon sprechen, es fehle an der Schaffung eines rechtlich missbilligten Risikos, obwohl zu seinen Gunsten richtigerweise erst auf der Ebene der Rechtswidrigkeit die rechtfertigende Einwilligung greift. Im Ergebnis werden die gesamte ausgefeilte Differenzierung und Abstufung der Prüfung der Strafbarkeit des Einzelnen verlassen. Geht zudem der Täter irrtümlich davon aus, sein Verhalten sei rechtlich nicht missbilligt, müsste die Lehre von der objektiven Zurechnung in der Konsequenz den Vorsatz verneinen, obwohl dieser Irrtum über die Erlaubtheit seines Verhaltens richtigerweise bei § 17 StGB anzusiedeln wäre. Damit bestehen gegenüber der Figur der objektiven Zurechnung nicht nur erhebliche Bedenken im Hinblick auf die Rechtssicherheit, sondern es zeigen sich auch als Konsequenz der Lehre erhebliche Friktionen im Verbrechensaufbau.

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Die Frage der Strafbarkeit des Einzelnen führt man unter der Rubrik „objektive Zurechnung“ losgelöst von hinreichend bestimmten Maßstäben einer gefühlsmäßig scheinbar richtigen statt einer dogmatisch klaren und ausreichend nachvollziehbaren Lösung zu. Ebenso gut könnte man den juristischen Laien entscheiden lassen, ob er die Bestrafung des Betreffenden für richtig empfindet oder nicht und somit das allgemeine Rechtsgefühl zum Maßstab für die Frage der Strafbarkeit machen. Im Ergebnis erfolgt nichts anderes, als dass intuitiv als richtig empfundene Ergebnisse über die schillernde Figur der objektiven Zurechnung legitimiert werden.

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Hinzu kommt, dass die Lehre von der objektiven Zurechnung sich dahingehend versteht, bereits im objektiven Tatbestand eine Einschränkung vorzunehmen, und sie in ihrer historischen Dimension dabei einen Gegenpol zum neoklassischen Verbrechensaufbau bildet, bei dem der Vorsatz erst im Rahmen der Schuld berücksichtigt wurde, nachdem bereits Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit feststanden.[209] Da nun teilweise die Fälle, die man im Rahmen der objektiven Zurechnung behandelt, im Vorsatz gelöst werden,[210] wollte man demgemäß mit der objektiven Zurechnung erreichen, dass nicht erst nach Bejahung von Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit, sondern schon im Tatbestand die relevanten Fälle ausscheiden. Nachdem sich nun jedoch in der Strafrechtswissenschaft die Einsicht durchgesetzt hat, dass der Vorsatz Teil des Tatbestands ist und als subjektiver Tatbestand zu erörtern ist, entfällt damit für die objektive Zurechnung eine grundlegende Berechtigung.[211] Sie berücksichtigt nicht hinreichend, dass ein neoklassisches System längst überwunden ist und die erörterten Fragen jetzt u.a. im subjektiven Tatbestand diskutiert werden können.

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Wenn die Befürworter der Lehre argumentieren, die Frage, ob das Opfer selbst oder ein Dritter wesentlich zum Schadenseintritt beigetragen habe, knüpfe eindeutig an eine objektive Betrachtung des Geschehens an, sodass allein die Verortung der Frage im objektiven Tatbestand zu sachgerechten Ergebnissen führe,[212] bleibt unberücksichtigt, dass letztlich die gesamte strafrechtliche Beurteilung im Fall der Vollendung im Ausgangspunkt immer an einen objektiven Sachverhalt anknüpft. Das bedeutet aber nicht, dass sämtliche Probleme dann auch nur im objektiven Tatbestand zu erörtern sind. Hierbei blieben die nachfolgenden Voraussetzungen – insbesondere Vorsatz und Rechtswidrigkeit – unbeachtet. Roxin – einer der Hauptvertreter der objektiven Zurechnung – sagt im Übrigen selbst: „Die Rechtsordnung sollte bei dem Prinzip verharren, dass Rechtsgüterbeeinträchtigungen strafbar sind, wenn ihnen nicht ein ausdrücklicher Rechtfertigungsgrund zur Seite steht“.[213] Das kann nur unterstrichen werden.

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Auch sei darauf hingewiesen, dass die Befürworter der Lehre von der objektiven Zurechnung diese überwiegend lediglich beim Erfolgsdelikt anwenden, nicht aber beim reinen Tätigkeitsdelikt. Doch auch bei dieser Deliktsform könnte man insbesondere danach fragen, ob das Verhalten selbst rechtlich missbilligt ist oder mit ihm eine rechtlich missbilligte Gefahrschaffung einhergeht.[214] Von daher zeigt sich, dass die Lehre neben allen anderen erwähnten Kritikpunkten noch dazu Inkonsequenzen in sich trägt.

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Schließlich ist festzustellen, dass die Befürworter der Lehre von der objektiven Zurechnung zirkulär argumentieren. Denn ob das Verhalten rechtlich missbilligt ist, steht doch gerade in Rede und ist erst das Ergebnis der Prüfung von Tatbestands- und Rechtswidrigkeitsebene, so dass man dieses Erfordernis nicht als Ausgangspunkt nehmen kann.[215]

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Zu guter Letzt ist darauf hinzuweisen, dass selbst von Befürwortern der Lehre angemerkt wird, dass im Bereich der Vorsatzdelikte Fälle, die unter dem Blickwinkel der objektiven Zurechnung diskutiert werden, teilweise forensisch „ganz bedeutungslos“ sind oder rechtspraktisch „sehr schnell aus dem Vorsatzbereich herausfallen“.[216] Vor diesem Hintergrund steht der Aufwand, den die Strafrechtswissenschaft mit der objektiven Zurechnung seit nunmehr Jahrzehnten betreibt, in keinem vernünftigen Verhältnis zu der praktischen Bedeutung.

IV. Der Standpunkt der Rechtsprechung zur objektiven Zurechnung

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Die Rechtsprechung[217] hat die Lehre von der objektiven Zurechnung bislang nicht ausdrücklich anerkannt. Sie löst mit der objektiven Zurechnung verbundene Problemfälle beim Fahrlässigkeitsdelikt vor allem darüber, ob der Täter den Erfolg fahrlässig verursacht hat, wobei danach gefragt wird, ob das schädigende Ereignis auch dann eingetreten wäre, wenn sich der Betreffende sorgfaltsgemäß verhalten hätte.[218] Beim Vorsatzdelikt werden problematische Fälle insbesondere über den subjektiven Tatbestand unter Heranziehung der Frage erörtert, ob eine wesentliche Abweichung vom Kausalverlauf vorliegt.[219] Vereinzelt benutzt aber auch die Rechtsprechung den Begriff der (objektiven) Zurechnung,[220] insbesondere im Bereich der eigenverantwortlichen Selbstschädigung oder Selbstgefährdung,[221] ohne sich aber mit der Lehre im Grundsätzlichen auseinander zu setzen oder sich ihr ausdrücklich anzuschließen.

V. Die Lehre von der objektiven Zurechnung im Einzelnen

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Im Folgenden soll auf die jeweiligen Fallkonstellationen eingegangen werden, die im Rahmen der Lehre von der objektiven Zurechnung diskutiert werden. Dabei ist nochmals zu betonen, dass es innerhalb der Befürworter der Lehre kein homogenes Bild bei der Lösung der einzelnen Problemfälle gibt, sondern teilweise ganz unterschiedliche Standpunkte und Lösungskonzepte präsentiert werden.

1. Schaffung einer rechtlich missbilligten Gefahr

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Nach der Grundformel ist erste Voraussetzung der objektiven Zurechnung die Schaffung einer rechtlich missbilligten Gefahr. Bereits daran kann es nach den Befürwortern der Lehre im Einzelfall fehlen.

a) Der Täter schafft überhaupt keine Gefahr

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Die erste Konstellation, die zum Zurechnungsausschluss führen soll, ist diejenige, dass der Täter durch seine Handlung überhaupt keine Gefahr hervorruft.[222] Hierzu sei etwa der Fall zu zählen, in dem der Täter einen anderen in der Hoffnung in den Wald schickt, der Betreffende werde vom Blitz erschlagen, was dann auch tatsächlich passiert.[223] Die rein zufällige Todesverursachung sei schon objektiv keine Tötung im Rechtssinne.[224] Eine völlig unwahrscheinliche Möglichkeit des Erfolgseintritts rechtfertige keine Einschränkung der allgemeinen Handlungsfreiheit.[225] Die objektiv zu geringe Gefährlichkeit des Täterhandelns führe zum Zurechnungsausschluss im objektiven Tatbestand.[226] Auch jede andere Veranlassung zu „normalen, rechtlich irrelevanten Lebensbetätigungen“ wie Treppensteigen oder Baden gehöre in diese Fallgruppe, wenn es ausnahmsweise zu einem Unglück kommt.[227] Ein Verhalten, durch das ein Rechtsgut nicht in relevanter Weise gefährdet werde, könne den Erfolg nur zufällig nach sich ziehen.[228] Dabei wird aber teilweise im Schrifttum auch angemerkt, es lasse sich allgemein nur schwer sagen, ab wann die rechtliche Relevanz beginnt.[229] Mitunter wird der Zurechnungsausschluss auch mit der objektiven Unbeherrschbarkeit des Kausalverlaufs begründet.[230] Der Erfolgseintritt liege nicht im Machtbereich des Täters, sondern erscheine als unglücklicher Zufall.[231] Maßgeblich ist dabei nach überwiegender Ansicht eine objektiv-nachträgliche Prognose. Es geht also um die Sicht eines einsichtigen Menschen im Zeitpunkt der Tathandlung (ex ante) in der Situation des Täters, wobei etwaiges Sonderwissen des Täters zu berücksichtigen ist.[232] Danach beurteilt sich, ob das Verhalten als riskant anzusehen war.

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In diese Kategorie soll auch der Fall einzuordnen sein, dass jemand in die den Damm durchbrechenden Meeresfluten einen Wassertrog ausschüttet; hier sei nicht wegen Herbeiführens einer Überschwemmung gemäß § 313 StGB zu bestrafen, denn die Gefahren, denen diese Strafbestimmung vorbeugen will, würden durch das Hinzufügen einer solchen geringen Wassermenge nicht vergrößert.[233]

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Auffallend ist bereits, dass innerhalb der Lehre von der objektiven Zurechnung ganz unterschiedliche Kriterien zur Begründung des Zurechnungsausschlusses herangezogen werden, die noch dazu partiell in Widerspruch zueinanderstehen. So wird teilweise angeführt, der Täter schaffe überhaupt keine Gefahr, dazu im Gegensatz ist aber auch von der objektiv zu geringen Gefährlichkeit die Rede. Insofern ist Folgendes anzumerken: Wenn A den O bei einem aufkommenden Gewitter in der Hoffnung in den Wald schickt, O werde vom Blitz getroffen, dann ist dieses Verhalten des A aus der Sicht ex ante durchaus gefährlich, denn es besteht die Möglichkeit und ist nicht von vornherein auszuschließen, dass O tatsächlich vom Blitz tödlich getroffen wird. Je nach Stärke des Gewitters und den Ort, an den sich der O begibt, mag es sogar sehr gefährlich sein, den O zu dem Spaziergang zu veranlassen. Pauschal von einer geringen Gefährlichkeit oder völligen Unwahrscheinlichkeit des Erfolgseintritts zu sprechen, trifft daher nicht den Kern. Ebenso verhält es sich, wenn A den O überredet, ins Schwimmbad zu gehen oder mit dem Rad zu fahren.[234] Auch dann besteht aus der Sicht ex ante die Möglichkeit, dass O ertrinkt oder beim Radfahren unglücklich fällt und verstirbt. Das wird noch deutlicher, wenn man den Fall in der Form abwandelt, dass auf hoher See geschwommen wird, eine Bergfahrradtour gemacht wird oder es sich bei O um ein Kind handelt. Kommt es dann zum Erfolgseintritt, dann realisiert sich gerade diese Gefährlichkeit des Verhaltens. Die maßgeblichen Kriterien werden daher verschleiert, wenn man meint, der Täter schaffe überhaupt keine Gefahr.

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Weiterführend hingegen ist es, wenn zur Begründung des Ergebnisses auf die Zufallskomponente abgestellt wird oder man von der Unbeherrschbarkeit des Kausalverlaufs spricht. Zu berücksichtigen ist nämlich, dass letztlich die Frage im Raum steht, ob A Täter eines Totschlags oder Mordes ist. Sämtliche Täterschaftsformen – Alleintäterschaft, Mittäterschaft, mittelbare Täterschaft und Nebentäterschaft – setzen nun aber voraus, dass der Betreffende Tatherrschaft besitzt.[235] Das Tatherrschaftskriterium ist ein Merkmal jeder Täterschaft.[236]

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Wenn A den O zu dem Spaziergang im Gewitter veranlasst, dann ist er zwar ursächlich für den Tod des O geworden im Sinne der Äquivalenztheorie, A ist aber deswegen kein Täter eines Tötungsdelikts, da er das Geschehen im finalen Augenblick gar nicht beherrscht.[237] Ihm fehlt die für die Täterschaft notwendige Tatherrschaft.[238] Für dieses Ergebnis bedarf es damit nicht der Heranziehung der Lehre von der objektiven Zurechnung, sondern es handelt sich insofern um eine unmittelbar aus dem § 25 StGB zu ziehende Konsequenz.[239] Es trifft daher durchaus zu, wenn man den Zufallsaspekt bei dieser Fallgruppe heranzieht: Zufall bedeutet nämlich gerade Nichtbeherrschbarkeit des Geschehens.[240] Erst wenn A die Rahmenbedingungen so gestalten würde, dass der Erfolgseintritt nicht als bloß zufällig anzusehen ist, er mit anderen Worten das Geschehen beherrscht, wird er zum Täter eines Tötungsdelikts; so etwa, wenn A den O bei einem Gewitter an die Antenne eines Hochhauses fesseln würde, von dem bekannt ist, dass dort bei Gewittern regelmäßig Blitze einschlagen.

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Das hier herangezogene Kriterium der Tatherrschaft kommt mittelbar auch bei den Befürwortern der Lehre von der objektiven Zurechnung zum Ausdruck. So ging es bereits Larenz und Honig maßgeblich um die Ausschaltung des Zufalls und um die Beherrschbarkeit des Geschehens.[241] Auch heute noch wird nicht selten darauf abgestellt, dass die Zurechnung entfalle, da der Betreffende den Geschehensablauf nicht beherrsche.[242] Dass es sich hierbei um einen Aspekt handelt, der mit der eigentlichen Grundformel „Schaffung einer rechtlich missbilligten Gefahr und deren Realisierung im Erfolg“ zumindest nicht unbedingt etwas zu tun hat, wird dabei eher ignoriert.[243] Vor allem aber missachtet man, dass es sich hierbei nicht um ein Zurechnungskriterium im Rahmen der objektiven Zurechnung handelt, sondern um den mit der Täterschaft zwingend verbundenen Gesichtspunkt der Tatherrschaft, also um ein unmittelbar mit § 25 StGB verbundenes Kriterium. Es geht deswegen hierbei auch nicht um Aspekte der Adäquanz.[244] Soweit an dem Gesichtspunkt der Beherrschbarkeit kritisiert wird, dieses Kriterium sei zu ungenau und undifferenziert,[245] wird nicht beachtet, dass es tatsächlich um das bekannte Kriterium der Tatherrschaft im Sinne des § 25 StGB geht, das durchaus präzise und ausdifferenziert anwendbar ist.

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Wie verhält es sich nun mit dem Fall, dass A einen Wassertrog in die Fluten schüttet? Macht sich A gemäß § 313 StGB strafbar? Eine Überschwemmung ist das Austreten von Wasser über seine natürlichen und künstlichen Grenzen hinaus in solcher Menge und Stärke, dass es für die im überfluteten Gebiet befindlichen Menschen gefährlich ist.[246] Unter Herbeiführen versteht man das Verursachen der Überschwemmung, wobei die Vergrößerung einer bestehenden Überschwemmung genügt.[247] Insofern bedarf es der Differenzierung: Bewirkt das Ausschütten des Wassertrogs als „letzter noch notwendiger Tropfen“ tatsächlich, dass etwa ein Damm bricht und sich die Wassermassen über Flächen ergießen – ein doch sehr theoretischer Fall –, dann scheint kein Grund ersichtlich, warum dieses Verhalten nicht vom Tatbestand des § 313 StGB erfasst werden soll; der Täter hat in diesem Fall durch sein Verhalten die Überschwemmung im Sinne der Vorschrift herbeigeführt, er entfesselt die Naturgewalt genauso wie derjenige, der ein Schleusentor öffnet. Schüttet dagegen jemand den Wassertrog in die Fluten einer schon bestehenden Überschwemmung, dann kann dieses Verhalten nur unter dem Gesichtspunkt der Vergrößerung einer Überschwemmung von Relevanz sein. Hier nun aber wird man – vergleichbar etwa mit § 223 StGB – die Vorschrift nur dann bejahen können, wenn der Täter die Erheblichkeitsschwelle überschritten hat, was bei dem Ausschütten eines Wassereimers nicht der Fall ist. So wird im Zusammenhang mit § 313 StGB zutreffend in Bezug auf den Begriff des „Herbeiführens“ ausgeführt, bei der Vergrößerung einer Überschwemmung genüge nicht jedes zusätzliche Zuleiten von Wasser, vielmehr müsse die Überschwemmung einen deutlich größeren Umfang annehmen.[248] Der Täter macht sich also nicht strafbar. Dieses Ergebnis resultiert aus einer unmittelbaren Auslegung des § 313 StGB und der dort genannten Voraussetzungen, ohne dass dazu die Figur der objektiven Zurechnung bemüht werden muss.

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