Читать книгу: «Serva I», страница 5

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Wer war der Mann, der so schlecht über sie gesprochen hatte? Sie wusste es nicht und im Grunde wollte sie es auch gar nicht wissen. Sie wollte nur, dass er für seine Lügen bestraft wurde. Doch ihr Vater wollte, dass sie dabei war.

Nervös ging sie auf und ab, während ihr Vater in seinem Thron saß. Ein mächtiger hölzerner Stuhl der mit rotem Samt überzogen war.

«Vater, ich möchte diesen Mann nicht sehen!», sagte sie plötzlich.

«Du hast nichts zu befürchten!», meinte er leise, stutzte dann und schaute sie an: «Oder war da doch etwas? Du musst es mir sagen. Es wäre peinlich wenn eine vermeintliche Lüge sich dann doch als Wahrheit herausstellt!»

«Bei den Göttern, nein!», seufzte sie. Und ihre Stimme ließen keine Zweifel zu. Sie war noch Jungfrau. Kein Mann hatte sie bisher berührt. Erst recht nicht dieser totgeweihte Delinquent. Ein Söldner. Ein Veteran aus der alten Armee, die einst gegen die Shiva gekämpft hatte. Nein, Katharina hatte sich auf keinen Mann eingelassen. Sie kannte diesen Mann vermutlich nicht einmal.

«Ich verspreche dir, ich werde ihn hinrichten lassen für diese Lüge!», sagte ihr Vater.

Sie nickte stumm. Es war ihr egal was mit ihm passierte. Ob er im Kerker landete oder am Galgen. Sie wollte mit ihm nichts zu tun haben. Nicht mit einem Mann der solche Lügen über sie verbreitete.

Von der Kälte, die Hedda erfuhr, bekam im Königspalast des Königshauses Manis niemand etwas mit. Auch die Ängste der jungen Ragna waren weit weg von der Welt der Prinzessin Katharina, die aufgeregt im Königssaal neben ihrem Vater stand. Ein warmes Feuer loderte in einem Kamin. Es war angenehm warm im gesamten Raum. Recht früh am Morgen heizten die Bediensteten ein. Allzu kalt war es draußen nicht, auch wenn im Moment die Sonne nicht schien. Eingeheizt wurde trotzdem.

Nervös blickte Katharina zur Türe, wo eine Wache erschien. Sie blieb im Eingang stehen. Schließlich folgten zwei weitere Soldaten und der Gefangene.

Die Männer des Königs entfernten die Fesseln an den Handgelenken und führten dann Eydir in den Raum.

«Wenn ihr einen Schritt zu nahe an den König macht, dann seid ihr des Todes!», drohte einer der beiden Soldaten. Es war eine uralte Sitte, dass niemand in Fesseln vor den König treten durfte. Allerdings war es auch unüblich, dass überhaupt ein zum Tode verurteilter Mann eine Audienz beim König bekam.

König Leopold schaute Eydir von oben bis unten prüfend an. Sein Gegenüber war kräftig und gutaussehend, auch wenn er kein junger Mann mehr war: «Ihr kennt meine Tochter?»

Eydir schaute hinüber zu Katharina und grinste. Die Prinzessin senkte beschämt den Blick: «Sicher, wer kennt sie nicht?»

«Ihr habt behauptet, Ihr hättet ihr in der Nacht beigewohnt ...»

«Sie gefickt?», grinste Eydir.

Katharina wurde knallrot. Die Sprache des fremden Mannes war derb und seine Höflichkeit ließ zu wünschen übrig.

Der König versuchte ruhig zu bleiben: «Meine Tochter sagt, dass sie Euch nie gesehen hat. Geschweige denn ... Ihr wisst, was ich meine ...»

«Tja, da muss ich ihr wohl recht geben!», grinste Eydir und blickte sie scharf an.

Sie schaute demonstrativ weg. Sie wollte dem Blick des Mannes nicht begegnen.

«Ihr habt also gelogen?»

«Das ist wahr, Majestät!», sagte Eydir: «Ich habe gelogen. Auch wenn Eure Tochter eine Sünde wert wäre, so habe ich sie doch nicht angerührt!»

«Wie könnt Ihr es wagen die Ehre der königlichen Familie derart zu beschmutzen?», schrie der König: «Ich werde euch hängenlassen. Auf der Stelle!»

«Nun, das geht leider nicht!», meinte Eydir und ging zur Tafel des Königs gleich hinter sich. Er nahm einen Becher und schenkte sich aus dem Krug, der danebenstand, Wein ein.

«Selbstverständlich geht das!», sagte der König verblüfft. Wie der Mann sich bediente war mehr als frech.

Eydir nahm einen Schluck und nickte dann: «Einen herrlichen Tropfen habt Ihr da!»

«Ihr macht die Sache nur noch schlimmer ...», meinte der König. Aber keiner hielt den fremden Mann auf.

«Ihr könnt mich nicht hängen!», Eydir stellte den Becher wieder ab: «Ihr seid mit der Lybri Deux vertraut?»

«Selbstverständlich!», sagte der König empört.

«Nun. Dann wisst Ihr wohl, dass nach dem Urteil zum Tode noch am selben Tag das Urteil vollzogen werden muss!»

«Das ist mir bekannt!», schimpfte König: «Und ich verurteile euch hiermit zum Tode!»

«Es steht aber auch darin, dass wenn einer am Tag seiner Hinrichtung dem Tod von der Schippe springt, verzeiht mir, wenn ich es nicht wörtlich wiedergebe, dass er dann nicht mehr hingerichtet werden darf. Weil die Götter ihn verschont haben!»

«Was redet ihr da?», der König stand auf.

Der Ratsvorsitzende, Lord Lenningten von Hingston hob die Hand: «Majestät. Er hat recht. Denjenigen, den die Götter am Tag seiner Hinrichtung verschonen, der darf nicht mehr gerichtet werden. Ihm sind alle Sünden vergeben. Und es darf kein Urteilsspruch mehr für vergangene Verfehlungen geschehen. Das ist der Wille der Götter!»

Der König starrte ungläubig auf den Becher Wein. Gerade so als wäre die Tatsache, dass der Gefangene aus dem Becher getrunken hatte, schlimmer als die ganzen Lügengeschichten und Verbrechen: «Das ... das ist nicht möglich. Das ist Eure Auslegung der Worte in der Lybri Deux. Das ist seine Auslegung!»

«Die Regeln sind klar! Wer dem Schafott, dem Galgen oder dem Andreaskreuz lebend den Rücken zukehrt, so heißt es wörtlich, der wurde von den Göttern verschont!», sagte der Ratsvorsitzende: «Verzeiht mein König. Aber ...»

«Du bist mein Onkel!», schrie der König den Ratsvorsitzenden der Mani an: «Und du stellst dich gegen mich!»

«Ich stelle mich nicht gegen euch!», wehrte dieser ab: «Aber die Gesetze der Götter stehen nun mal über den Gesetzen der Könige!»

«Das heißt wir müssen ihn ... laufen lassen?»

«Begnadigen ist das bessere Wort!», grinste Eydir und nahm erneut den Becher in der Hand: «Ihr habt doch nichts dagegen, wenn ich darauf noch einmal trinke?»

«Ich kann Euch nicht hinrichten lassen. Und vielleicht kann ich Euch auch nicht mehr einsperren lassen. Aber ich kann Euch verbannen. Aus dieser Stadt. Aus diesem Land. Man wird Euch in ein Boot setzen. Ihr werdet Manis nie wiedersehen!»

«Im Lande der Shiva soll es recht angenehm warm sein!», grinste Eydir und trank einen weiteren Schluck Wein: «Bitte, Eure Majestät. Schickt mich nicht in den Norden. Schickt mich in wärmere Gefilde. Hier hat es zwei Wochen lang geregnet. Mein Hinrichtungstag war der erste schöne Tag seit langem.»

«Ihr seid ein Narr!», sagte der König.

Eydir drehte sich zur Prinzessin um. Sie wich ihrem Blick erst aus, dann schaute sie jedoch zurück. Er grinste sie an: «Tut mir leid, Prinzessin. Aber es ging nicht anders. Vielleicht treffen wir uns ja mal auf einen Tee. Privat bin ich eher der sinnliche Typ!»

«Bringt diesen gottverdammten Menschen weg von hier!», schrie der König.

«Nun ja. Für einen, der von den Göttern gerade begnadigt worden ist, passt „gottverdammt“ vielleicht nicht gerade so gut!», sagte Eydir: «Aber wir sehen uns wieder, König Trotzkopf. Euch und Euer hübsches Töchterchen mit den süßen Mäusetittchen!»

Der Becher fiel zu Boden, als die Wachen ihn ergriffen und nach draußen brachten.

4

Ewiges Eis,

Land der Ragni

Einen Finger zu opfern, dass man selbst überleben konnte. Die Vorstellung war so absurd, dass Hedda kaum klar denken konnte. Aber sie hatte keine andere Chance. Sie musste sich an diese Möglichkeit klammern. Entmutigt stapfte sie zum Schlitten um das Messer zu holen. Warum sie es oben gelassen hatte, konnte sie gar nicht erklären. Ihr fiel ohnehin das Denken schwer. Sie durfte es nachher nicht noch einmal vergessen. Sie musste sich sowieso entscheiden, ob sie ihre Idee nicht lieber wieder unten am Wasser umsetzen sollte.

Einen Finger. Vielleicht dachte sie zu kompliziert. Vielleicht reichte ein Stück Haut. Aber woher. Ein Stück aus ihrem Arm? Das konnte zumindest heilen. Ein Finger konnte nicht wieder anwachsen. Der blieb fort.

Hedda kam oben beim Schlitten an. Die Hunde waren unruhig. Sie schienen zu spüren, dass Hedda innerlich völlig aus der Bahn geworfen war. Allerdings war es verwunderlich, dass sie in eine ganz andere Richtung blickten. Verwirrt schaute die junge Ragna in die Richtung. Sie schaute nach Westen und sah eine Schar Vögel. Ungewöhnlich. Woher kamen sie? Hier gab es keine Nahrungsquellen für die Vogelschar, die aufgeregt irgendwo kreiste. Oder doch?

Hedda blickte zu ihren beiden Jagdhunden, die ihre Nasen hochgestreckt hatten und schnupperten. Da war was. Irgendetwas lag dort im Eis und die Vögel kreisten darum.

«Komm her, Mio!», befahl sie. Neben den beiden Jagdhunden war er der Einzige, der im Moment frei herumlief.

Irgendetwas war da vorne.

Sie spannte Mio vorne ein.

Hastig öffnete Hedda die Bremsen aus dem harten Schnee und trieb die Hunde an. Der Schlitten setzte sich in Bewegung. Es war nicht die Richtung, in die sie wollte. Zumindest nicht ganz. Sie musste südlicher weiter. Zudem durfte sie nicht allzu weit weg vom Meer.

Aber irgendwas musste dort sein. Sonst würden die Vögel dort nicht kreisen.

Der Schlitten fuhr durch den Schnee, dessen Oberfläche ziemlich hartgefroren war. Würde es Neuschnee geben und der konnte durchaus mal schnell einen Meter ausmachen, dann war ein Durchkommen auch mit den Hunden fast unmöglich.

Immer näher kam sie der Vogelschar, die wild kreiste und deren aufgeregtes Schnattern immer lauter wurde. Und dann sah sie, um was die Vögel kreisten. Drei Pinguine. Woher sie wohl kamen? Hedda konnte es sich nicht vorstellen. Vermutlich vom großen See in der Mitte des Ewigen Eises. Ein See, der durch unterirdische warme Quellen gespeist wurde und deshalb teilweise schneefrei war. Die Erde war an dieser Stelle rissig und immer wieder entluden sich warme Gase. Der einzige See im ganzen Land Ragnas, der auch noch eisfrei war. Hedda hatte ihn noch nie gesehen aber von ihm gehört. Nein, warm war der See natürlich nicht. Aber zumindest so warm, dass sich kein Eis bilden konnte. Und damit war er wichtiger Lebensraum für Tiere. Für Pinguine, die dort nach Fischen jagten. Für Robben, die ebenfalls nach Fischen jagten. Und für Eisbären, die wiederum Pinguine und Robben auf ihrem Speiseplan hatten.

Alle drei Pinguine lagen im Sterben. Vermutlich hatten sie sich verirrt. Vielleicht aufgescheucht von einem Eisbären und tagelang in die falsche Richtung marschiert. Jetzt verhungerten sie qualvoll.

Ich werde euch erlösen ...

Hedda bremste den Schlitten ab. Die Hunde jaulten und bellten wie verrückt. Der Anblick der Pinguine machte sie fast wahnsinnig. Die Jagdhunde umkreisten die sterbenden Tiere. Bereit zuzuschlagen, wenn einer fliehen wollte. Aber das war ohnehin nicht möglich. Die Pinguine waren noch geschwächter als Hedda und ihre Hunde.

Sie nahm ihr Beil und ging dann auf die drei Tiere zu. Die Vögel, die immer und immer wieder um die langsam sterbenden Pinguine kreisten, waren noch aufgeregter. Sie ahnten vermutlich, dass sie um ihre Beute gebracht wurden.

Für Hedda war es kein Problem den drei Pinguinen ihre Erlösung zu bringen. Mit ihrer Axt schlug sie die flugunfähigen Seevögel tot. Sie hatten ohnehin keine Überlebenschance. Hier im Eis waren sie so oder so verloren. Zu weit weg vom großen See, der vermutlich ihre Heimat war.

Hedda hatte noch nie einen Vogel gegessen, geschweige denn eine Ente. Und auch Rinderfleisch hatte sie noch nie probiert. Sonst hätte sie gewusst, dass das Fleisch der Pinguine vom Geschmack her ein wenig zwischen Ente, Rind und Fisch lag. Das Fleisch war besonders fett, was vor allem für die Hunde gut war, die Energie brauchten.

Es war keine einfache Aufgabe. Mit dem Beil zerhackte sie vorsichtig die Körper der drei Vögel. So richtig wusste sie nicht, wie sie vorgehen sollte. Deshalb machte sie es ein wenig so, wie sie es bei Fischen gewohnt war. Sie öffnete den Bauch und nahm vorsichtig die Eingeweide heraus. Mit dem Messer schnitt sie alle Teile heraus. Es war eine blutige Angelegenheit, aber die Wärme des soeben sterbenden Körpers war nicht unangenehm.

Sie wusste nicht, ob man die Eingeweide problemlos verzehren konnte und deshalb entschied sie es nicht zu tun und auch den Hunden nichts davon zu geben.

Die Hunde wirkten leicht aggressiv. Allerdings lag das nicht an der Schlachtung, die Hedda vornahm, sondern an den Seevögeln, die wie wildgeworden über der Szene kreisten. Vermutlich hatten sie einige Kilometer zurückgelegt und die Pinguine verfolgt. Nun wurden sie um ihre Beute gebracht worden.

Hedda zerlegte die Tiere in mehrere Teile. Den Hunden gab sie jeweils gut fünfhundert Gramm, die sie gierig aufaßen. Die meisten Fleischstücke hängte sie an den Schlitten. Sie würden relativ schnell gefrieren. In jedem Fall hatte sie Vorrat für einige Tage, was ihr die Möglichkeit gab schneller voran zu kommen. Sie selbst aß als Letzte.

Schweigend saß Hedda da und kaufte auf dem rohen Fleisch. Es schmeckte ihr nicht. Die Tiere waren zäh und sie musste sich bemühen gut zu kauen. Anfänglich hatte sie sich ein größeres Stück herausgeschnitten und versucht abzubeißen. Schließlich schnitt sie das größere Stück jedoch in kleinere Streifen. Auch wenn ihr das Fleisch nicht wirklich schmeckte und schwer zu essen war, so war sie doch froh. Sie hatte wieder Energie. Und es konnte weitergehen.

Es war ein gutes Gefühl weiter vorwärts zu kommen. Stück für Stück bahnten sich die Schlittenhunde ihren Weg über das Ewige Eis von Ragnas. Schier endlos kam Hedda das Land vor. Noch nie war sie so weit weg von zuhause gewesen. Ihr Vater hatte ihr immer versprochen, sie einmal mit zur Hauptstadt zu nehmen. Auch vielleicht um sie Männern vorzustellen. Möglichen Ehemännern. Allerdings hatte Hedda das immer abgelehnt. Sie wollte lieber einen Mann im Ewigen Eis. Einen Jäger, mit dem sie in einer der Siedlungen wohnen konnte. Doch die Auswahl an potentiellen Heiratskandidaten war klein. Vielleicht hatte ihr Vater doch recht und sie musste irgendwann einmal in die Stadt ziehen.

Mit Trauer dachte Hedda an ihren Bruder. Der sie in der Nacht geärgert hatte. Mit seinen anfänglichen pubertären Gedanken. Nun war er tot. Und das Bild würde nie aus ihrem Kopf gehen. Da war sie sich sicher. Sie hatten ihn abgeschlachtet wie einen Seehund. Er, der ansonsten einmal die Siedlung hätte übernehmen sollen.

Gedankenverloren schaute die junge Ragna vor zu ihren Hunden. Sie leisteten ausgezeichnete Arbeit. Mit schnellen aber gleichmäßigen Schritten gingen sie voran. Ohne Hetze, ohne Eile. Die würde schnell an ihrer Ausdauer zehren. Nein. Sie hatten die Ruhe weg. Manchmal, dass konnte man sehen, ließ sich einer der Hunde etwas zurückfallen. Immer dann, wenn er ein wenig müder wurde. Wenn es vereinzelte Hunde taten, dann war es kein Problem. Bei zwölf zugkräftigen Schlittenhunden war immer enorm viel Power vor dem Schlitten.

Sie erinnerte sich daran, wie ein Teil dieses Rudels entstanden war. Sie hatten eine Hündin gehabt, die besonders leistungsstark war. Eines Tages hatte ihr Vater sie, als sie läufig wurde, mit zwei anderen Männern in den Süden gebracht, wo es Wölfe gab. Dort hatten sie die Hündin schließlich an einen Baum gebunden. Drei Tage lang hatten sie gewartet. Es gab zwei Möglichkeiten: die Wölfe würden sie als Eindringling in ihr Revier töten oder aber decken. Glücklicherweise war Letzteres der Fall. Das Alphatier des wölfischen Rudels fand Interesse an der Hündin und schließlich kam es zum Deckakt.

63 Tage später war es schließlich soweit. Sechs gesunde Welpen kamen zur Welt. Allesamt deutlich wilder und rauer. Die Vermischung mit dem wilden Blut des Wolfes zollte seinen Tribut. Aber das war durchaus so gewollt. In jeder siebten Generation unternahm man den Versuch die domestizierten Schlittenhunde mit Wölfen zu kreuzen. Und die Chance, dass die Hündin nicht gedeckt wurde, sondern ihr Leben verlor, wehrlos angebunden an einen Baum ohne Möglichkeit zur Flucht, stand bei etwa 50 Prozent.

Mio war einer der Welpen. Der treue Leithund hatte sich als dominantester Rüde herauskristallisiert. Er hatte seinen Geschwistern das Futter weggefressen und sie ständig drangsaliert.

«Wenn er zu viel wölfisches Blut in sich hat und nicht mehr kontrolliert werden kann, dann müssen wir ihn töten!», hatte ihr Vater damals gesagt. Das war nun gut vier Jahre her.

«Bitte nicht! Wir könnten ihn doch aussetzen!», hatte Hedda erwidert. Sie hatte gehofft, dass sein Wölfisches dann so stark war, dass er Überlebte. Allerdings war dies hier oben im Ewigen Eis fast gänzlich unmöglich. Wölfe lebten etwas weiter unten Richtung Gunnarsheim. Wo auch die Wälder begannen.

«Er wird immer wieder zurückkommen!», hatte ihr Vater den Kopf geschüttelt: «Das können wir nicht riskieren.»

Aber zum Glück war es nicht soweit gekommen.

5

Königspalast Hingston,

Gemächer der Prinzessin

Viele Mädchen auf Ariton träumten davon Prinzessin zu sein. Schöne Kleider zu haben, sich frisieren zu lassen, Tee zu trinken und mit Freundinnen zu plaudern. Katharina wünschte sich oft einfach nur eine normale junge Frau zu sein. Lord Lenningten, ihr Großonkel väterlicherseits, hatte ihr einmal erklärt, dass man immer das wollte, was man nicht hatte. Glücklich wurde nur derjenige, der sein Schicksal annahm. Und sie war nun mal Prinzessin.

Die Türe ihrer Gemächer gingen auf. Mit langsamen Schritten kam Katharinas Mutter herein.

«Kannst du nicht anklopfen, Mutter?», fragte die Prinzessin sauer. Sie wollte sich gerade umziehen und war nackt. Sie nahm rasch das Handtuch und wickelte es um ihren entblößten Körper.

«Ich habe gehört, was heute vorgefallen ist!», meinte die Königin. Sie hörte sich müde an. Langsam nahm sie sich einen Stuhl und setzte sich.

Katharina schaute ihre Mutter misstrauisch an. Es war zu sehen, dass sie getrunken hatte. Ihre deutlich verlangsamten Bewegungen und ihre Stimmlage verrieten das. Doch die Prinzessin ließ sich nichts anmerken: «Ja schlimm, Mutter. Da kommt dieser Mann und beschmutzt die Ehre unserer königlichen Familie!»

«Oh Gott, bitte. Verschone mich mit der Ehre unserer Familie, Kind!«, sagte Elisabeth mit zittriger Stimme. Zehn Jahre war sie nun die Königin und an der Seite ihres Mannes. Und jedes dieser Jahre hatte sie bereut.

Katharina erwiderte darauf nichts, sondern ging hinter die Trennwand, die dazu diente sich vor dem Personal umzuziehen.

«Herrje, was versteckst du deinen Körper vor deiner eigenen Mutter?», sagte Elisabeth und stand auf. Sie ging ein paar Schritte auf das Fenster zu und starrte hinaus auf den Marktplatz: «Was würde ich dafür geben einen Körper wie du zu haben. Ich würde ihn der ganzen Welt zeigen, so stolz wäre ich darauf!»

Katharina wurde rot. Sie mochte es nicht, wenn ihre Mutter so sprach. Nach außen spielte sie perfekt die Rolle der großartigen eleganten Königin, aber tief in ihr brodelte es: «Du siehst gut aus, Mutter. Das weißt du!»

«Ich hoffe, dass ich alt werde nur um dich daran zu erinnern, wenn du selbst Vierzig wirst.», sagte die Königin: «Wenn die Brüste der Schwerkraft nicht mehr trotzen und du trotz täglichem Hofgang die Speckröllchen am Bauch spürst. Herrgott, Kind. Genieße die Jugend. Lass dich pflücken, bevor du verwelkst!»

Erneut wurde Katharina rot. Sie zog sich rasch ihren Jagdanzug an und kam dann hinter der Wand hervor: «Ich muss los, Mutter!»

«Sieh dich an. Du siehst aus wie ein Bursche mit langen Haaren!», sagte die Königin mit Blick auf den Aufzug der jungen Lady. Aber sie musste zugeben, dass ihre Tochter selbst im Jagdanzug eine gute Figur machte.

«Wir gehen auf die Jagd!», sagte Katharina entschuldigend.

«Du bist eine junge Lady, also verhalte dich auch so!», die Königin ging zur Türe. Sie drehte sich noch einmal um: «Dein Vater ist schwach. Er vergöttert dich. Und er lässt dir zu viel durchgehen. Das Gerede eines Mannes zu verdammen ist ihm wichtiger als dafür zu sorgen, dass seine Tochter sich auch tatsächlich wie eine Lady verhält. Verwöhnt von vorne bis hinten bist du. Schau dich doch an!»

Katharina spürte, wie ihr die Tränen in die Augen schossen. Der heutige Tag war nicht wirklich ihr Tag. Erst die Verleumdung dieses Fremden vor dem Volk und nun die Worte ihrer Mutter. Im Grunde hatte sie gar keine Lust mehr auszureiten und auf die Jagd zu gehen. Vor allem aber hatte sie keine Lust Prinzessin zu sein. Sie war schon immer Prinzessin gewesen. Auch schon als ihr Großvater an der Macht gewesen war. Manchmal wünschte sie sich nichts sehnlicher, als eine normale junge Frau zu sein. Zur Schule zu gehen, Freunde zu haben. Aber ihr Schicksal wollte es so, dass sie Prinzessin war.

Die Wälder rund um Hingston waren weitläufig und ein Paradies für viele Tierarten. Es waren Laubwälder, die vor allem aus Eichen und Birken bestand. Gerade dort, wo es trockener war und arm an Mineralstoffen, waren es vor allem Eichen deren tiefreichende Pfahlwurzeln weit ins Erdreich reichten, um dort an Grundwasser zu gelangen. In der Nähe der zahlreichen Flüsse und Bäche hingegen dominierten Eschen, Ulmen, Linden und der Spitzahorn. Zahlreiches Großwild fand hier in den Wäldern genügend Nahrung. Die Herden von Damm- und Schwarzwild waren teilweise riesig. Die scheuen Wolfsrudel mieden die Waldbereiche rund um die Stadt Hingston. Sie zog es mehr in die bevölkerungsärmeren Gegenden im Festlandinneren. Vor allem nahe der Berge waren sie beheimatet. So konnten sich Hirsche und Wildschweine besonders in den Wäldern rund um die Städte ungehindert ausbreiten. Für die königliche Familie waren sie beliebtes Ziel der Jagd.

«Eure Mutter wird sich schon wieder beruhigen!», meinte der Jagdbursche und spannte die Armbrust.

Katharina schüttelte den Kopf: «Ich denke nicht. Sie wird von Tag zu Tag schlimmer!»

«Es ist nicht leicht für eine Frau alt zu werden!», grinste der Bursche.

Sie haute ihm freundschaftlich aber bestimmt auf die Schulter: «Du bist nicht nett. Das sagt man nicht!»

«Verzeiht, Prinzessin!», sagte er und legte den Pfeil auf die Armbrust.

«Wann schießen wir eigentlich nicht mehr auf Äpfel, sondern auf Wild?», fragte sie und schaute nach vorne. Auf dem Baumstumpf lag in einer Entfernung von gut zehn Fuß ein rotbackiger Apfel.

«Wenn ihr den Apfel endlich trefft, Hoheit!», lachte der Jagdbursche und gab ihr die Armbrust.

«Du bist blöd!», erwiderte sie ein wenig beleidigt. Aber lange konnte sie nicht sauer auf ihn sein. Sie mochte den jungen Mann, der keine zwei Jahre älter als sie war: «Wann wirst du mir einen Heiratsantrag machen?»

Der Busche wurde knallrot: «Ihr wisst, dass das nicht geht! Ich bin euer Untertan!»

«Aber, wenn ich es wollte? Wenn ich es gar befehlen würde?», grinste sie süffisant.

«Das würde euer Vater niemals erlauben!», der junge Mann zeigte auf die Armbrust, die in der Hand der Prinzessin lag. «Und nun schießt!»

Sie drückte ab und der Pfeil flog durch die Luft. Wie immer verfehlte er sein Ziel. Wenn auch nur noch knapp.

«Schade!», meinte sie: «Aber ein Bock ist doch auch viel größer.»

«Ein Bock bleibt hingegen nicht ruhig stehen!», meinte er und lud die Waffe nach: «Was war eigentlich heute bei der Hinrichtung? Die Leute reden darüber ...»

«Ein Mann hat unsere königliche Familie entehrt!», sagte sie und nahm dann die geladene Waffe.

«Und er kam mit dem Leben davon?»

«Durch eine List!»

«Jemand hat den König überlistet?», der Bursche grinste: «Was muss das für ein Mann sein. Jeder sagt, dass der König einer der größten Strategen unserer Zeit ist.»

«Durch eine hinterlistige List!», sagte sie und schoss. Erneut ging der Pfeil daneben: «Ich hätte ihn am liebsten eigenhändig aufgeknüpft. Aber das Gesetz verbietet es!»

«Ich dachte, euer Vater mach die Gesetze!»

«Erstens macht der Volksrat die Gesetze und nicht der König. Und zweitens stehen die Gesetzte der Götter höher als die von uns Mani! Und er hat sich die Gesetze der Lybri Deux zu eigen gemacht.»

«Ein wirklich kluger Mann!», sagte der Bursche anerkennend: «Was geschieht mit ihm?»

«Ein Narr ist er, mehr nicht. Und bald ein Verstoßener. Er muss Manis verlassen!»

«In jedem Fall hat er es geschafft, dass die Leute über ihn reden. Ich glaube, bald spricht ganz Manis über ihn. Man nennt ihn den Mann mit der scharfen Zunge!»

«Wir hätten sie ihm besser herausschneiden sollen!», sagte Katharina zornig: «Du solltest die Geschichte nicht noch befeuern!»

«Oh, das tue ich nicht, eure Majestät!», meinte der junge Mann.

«Ja sicher tust du es. Du redest ja Ununterbrochen von ihm!»

«In einem Volk bei dem alle sieben Wochen die Hinrichtungen das Großereignis schlechthin sind, nun, da ist es doch ganz nett ein wenig Abwechslung zu bekommen!»

«Lass uns zurück zum Schloss gehen!», meinte Katharina ein wenig beleidigt. Sie hatte keine Lust über die Ereignisse des Tages zu sprechen.

6

Palast von Hingston,

Königssaal

Der oberste Rat der Mani bestand aus insgesamt vierzehn Mitgliedern.

Neben dem König waren der Ratsvorsitzende, der Schatzmeister, der Zeremonienmeister, der Kriegsminister, der Volksminister, der Oberste Priester von Manis und insgesamt sieben adelige Vertreter aus den Städten und den dazugehörigen Regionen Hingston, Meraton, Raditon, Lessington, Charlston, Venaton und Battleton. Bis auf den Oberen Priester, dessen Ankunft man sehnlichst erwartete, waren alle anwesend.

«Er ist bereits in der Stadt!», meinte der Zeremonienmeister: «Er wird jeden Augenblick kommen!»

«Nun, er hatte eine weite Reise!», sagte König Leopold.

Der Ratsvorsitzende und Onkel des Königs war das älteste Mitglied im Volksrat. Er war bereits in der Amtszeit seines Bruders, dem Vater von Leopold, Minister gewesen. Er nickte dem König zu: «Ich bin gespannt, was er uns von der großen Versammlung der sieben Priester berichtet!»

«Deine Tochter ist eine ungezogene Göre!», meinte Elisabeth. Sie stand plötzlich in der Türe.

«Was tust du hier?», fragte König Leopold: «Der Rat hat sich versammelt!»

«Ach, tatsächlich?», grinste sie und ging näher an den Tisch. Ihr Gang war wackelig. Die Anwesenheit der Ratsmitglieder scherte sie nicht: «Warum hast du heute keine Eier gezeigt? König Leopold!» Die letzten beiden Worte klangen verächtlich.

«Du siehst müde aus!», sagte der Ratsvorsitzende und stand auf.

«Ich bin nicht müde. Ich möchte wissen, warum dieser Schuft dem Galgen entkommen ist? Er hat meine Tochter beleidigt!»

«Er hat die Prinzessin beleidigt!», korrigierte der König: «Aber die Gesetze sind klar und wir mussten uns ihnen beugen.»

«Warum? Weil sonst ein Blitz vom Himmel gekommen wäre und uns alle getötet hätte?», lallte sie.

«Du bist betrunken!», sagte der Ratsvorsitzende und ging auf sie zu. Er sprach es aus, obwohl er das nicht gewollt hatte. Schnell winkte er zwei Wachen her: «Bringt sie ins Bett.»

«Ich bin nicht müde, verdammt!»

«Bringt sie raus!», sagte der König. Er kämpfte mit sich. Seine Wut stieg. Sie blamierte ihn vor dem gesamten Rat. Es war nur eine Frage der Zeit, bis man auch im Volk darüber sprach.

«Der Priester ist da!», sagte einer der Wachen.

König Leopold schaute zu, wie seine Frau rausgebracht wurde und nickte dann: «Gut! Er soll gleich reinkommen!»

Der Obere Priester Zacharias war das religiöse Oberhaupt des Volkes der Mani. Er war ein mächtiger Mann mit enorm viel Einfluss auf die Politik des Landes. Er nutzte vor allem eines: die Angst der Mani vor dem Zorn der Götter. Niemand wollte in ewiger Verdammnis leben. Niemand wollte von den Göttern bestraft werden. Da der Oberste Priester auch der Hüter der göttlichen Gesetze war und sie auslegen konnte, wie er wollte, war es schwer sich gegen seinen Willen zu stellen. Der König hatte durchaus das eine oder andere Mal Entscheidungen oder Meinungen von Zacharias in Frage gestellt. Am Ende hatte er sich jedoch immer gebeugt. Etwas das alle Völker gemeinsam hatten. Lediglich bei den Nehatanern war das anders und Verhältnis des Königs zu seinem Oberen Priester ausgeglichen, da Atlacoya sich wenig um die Religion scherte. Er glaubte, dass er selbst ein Gesandter der Götter war. Aber die Mani widersprachen ihren Priestern, vor allem dem Oberen Priester, grundsätzlich nicht. Selbst der König nicht.

«Was gibt es Neues vom Priesterrat aller Völker!», fragte der König.

Zacharias, der ein rotes Gewand trug, setzte sich. Er hatte einen weißen langen Bart, der ihm über die ganze Brust ging. Sein Kopfhaar hingegen hatte er geschoren: «Wir haben viele Entscheidungen getroffen, die alle unsere Völker betreffen!»

«Wir haben das Jahr 799 nach der Erschaffung unserer Welt durch Regnator!», sagte der König: «Uns ist wichtig, dass unsere Götter uns auch für das kommende Jahrhundert segnen und wir weiter auf dieser Welt sein dürfen!»

«Wenn wir ihren Willen erfüllen!», meinte der Obere Priester: «Dann werden uns die Götter wohlgesonnen sein und uns in das neunte Jahrhundert begleiten. Ansonsten können wir nicht mit ihrer Gnade rechnen!»

Stille breitete sich im Rat aus. Der Obere Priester hatte die volle Aufmerksamkeit aller Mitglieder.

«Wir werden selbstverständlich den Willen der Götter erfüllen. Ich sorge höchstpersönlich dafür!», sagte der König: «Und auch der Rat hat geschworen Regnator und seinen Göttern zu dienen!»

«Gut!», meinte Zacharias und winkte einen Burschen her: «Bringt mir Wein!»

Es war eine unbequeme Stille, die im Raum lag. Jeder wartete auf die Worte des Oberen Priesters. Der wiederum wartete auf seinen Becher Wein. Bevor er den ersten Schluck nicht genommen hatte, sprach er auch nicht weiter. Dann aber war es soweit: «Wir haben im Kreis der Priester aller Völker zu Regnator gebetet. Im Tempel von Deux ...»

Alle Augen hingen an den Lippen des Priesters.

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