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dd) Die materielle Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes bildet regelmäßig den Schwerpunkt der rechtlichen Prüfung in den Entscheidungsgründen eines verwaltungsgerichtlichen Urteils. Die Prüfung betrifft die Frage, ob der Verwaltungsakt seinem Inhalt nach mit dem geltenden Recht in Einklang steht. Das ist der Fall, wenn er mit seiner Rechtsgrundlage und sonstigem höherrangigen Recht, insbesondere den Grundrechten des Adressaten und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in Einklang steht.

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Fehler bei der Prüfung der materiellen Rechtmäßigkeit eines belastenden Verwaltungsaktes haben ihre Ursache nicht nur in einer unzureichenden Subsumtion, also in einer fehlerhaften Unterordnung des entscheidungserheblichen Sachverhalts unter den Voraussetzungen der Rechtsgrundlage des belastenden Verwaltungsaktes. Bereits vor der Subsumtion erfolgt häufig eine falsche Weichenstellung, weil die Struktur der anzuwendenden Normen nicht hinreichend herausgearbeitet und erfasst wird. Derartige Fehler lassen sich leicht durch aufmerksames Lesen der Normen vermeiden. Der Klausurbearbeiter muss in diesem Zusammenhang erkennen, ob es sich bei dem belastenden Verwaltungsakt um gebundenes Verwaltungshandeln oder um eine Ermessensentscheidung handelt. Außerdem muss zwischen den Tatbestandsvoraussetzungen der Norm und dem Ermessen auf der Rechtsfolgenseite sowie unbestimmten Rechtsbegriffen und Beurteilungsspielraum unterschieden werden. Diese Unterscheidungen muss beherrscht werden, weil sie für den Umfang der gerichtlichen Kontrolle von ausschlaggebender Bedeutung ist.

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(1) Anhand des Wortlauts der Norm lässt sich regelmäßig ohne Schwierigkeiten erkennen, ob das Verwaltungsgericht gebundenes Verwaltungshandeln zu überprüfen hat. Gebundenes Verwaltungshandeln liegt vor, wenn der Behörde auf der Rechtsfolgenseite kein Entscheidungsspielraum verbleibt.

Fall:

A betreibt das Gewerbe „Hoch- und Tiefbau“. In den vergangenen zwei Jahren ist er seinen steuerrechtlichen Zahlungsverpflichtungen nur gelegentlich nachgekommen. Er schuldet dem Finanzamt inzwischen mehr als 250 000 €. Die zuständige Behörde hat ihm deshalb die Ausübung des Gewerbes „Hoch- und Tiefbau“ untersagt. A fragt Rechtsanwalt R, ob der Behörde bei ihrer Entscheidung ein Ermessen oder ein Beurteilungsspielraum obliegt. Was wird R antworten?

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R wird antworten, dass der Behörde weder Ermessen noch ein Beurteilungsspielraum zusteht. Nach § 35 Abs. 1 S. 1 GewO „ist“ die Ausübung eines Gewerbes von der zuständigen Behörde ganz oder teilweise zu untersagen, wenn Tatsachen vorliegen, welche die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden oder einer mit der Leitung des Gewerbebetriebes beauftragten Person in Bezug auf dieses Gewerbe dartun, sofern die Untersagung zum Schutze der Allgemeinheit oder der im Betrieb Beschäftigten erforderlich ist. Aus der Formulierung „ist“ ergibt sich eindeutig, dass es sich bei der Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 1 S. 1 GewO um eine gebundene Verwaltungsentscheidung handelt, weil bei Vorliegen der Voraussetzungen der Vorschrift die Gewerbeausübung zwingend untersagt werden muss, ohne dass der Behörde ein Entscheidungsspielraum verbleibt. Bei der Untersagung des konkret ausgeübten Gewerbes gemäß § 35 Abs. 1 S. 1 VwGO erfolgt damit keine Ermessensentscheidung. Das Verwaltungsgericht prüft im gerichtlichen Verfahren nur das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen gemäß § 35 Abs. 1 S. 1 GewO und die Frage, ob die Gewerbeuntersagung mit den Grundrechten des Gewerbetreibenden, insbesondere Art. 12 und 14 GG, und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in Einklang steht. Gebundenes Verwaltungshandeln lässt sich regelmäßig zweifelsfrei erkennen an Formulierungen wie „ist“ zu untersagen, „hat“ zu untersagen oder „muss“ untersagt werden.

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Mit der Feststellung, dass die Gewerbeuntersagung gemäß § 35 Abs. 1 S. 1 GewO eine gebundene Verwaltungsentscheidung ist, ist die Normstruktur noch nicht hinreichend erfasst. Auf der Tatbestandsseite einer Norm muss stets darauf geachtet werden, ob sie unbestimmte Rechtsbegriffe enthält. Die Tatbestandsvoraussetzungen einer Norm sind mitunter von verschiedener Präzision. Während der Begriff der Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsaktes in § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG eindeutig dahin zu verstehen ist, dass ein Verwaltungsakt im Falle des Verstoßes gegen formelles oder materielles Recht rechtswidrig ist, bedürfen etwa die in den ordnungs- und polizeirechtlichen Generalklauseln enthaltenen Begriffe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung einer näheren Auslegung, ohne die eine Subsumtion im Einzelfall unmöglich ist. Derartige Tatbestandsvoraussetzungen, die erst durch Auslegung präzisiert werden müssen, bevor beurteilt werden kann, ob ein Sachverhalt die jeweilige Tatbestandsvoraussetzung erfüllt, werden als unbestimmte Rechtsbegriffe bezeichnet. Ein solcher unbestimmter Rechtsbegriff ist auch das Tatbestandsmerkmal „Unzuverlässigkeit“ in § 35 Abs. 1 S. 1 GewO. Es ist erfüllt, wenn der Gewerbetreibende nicht die Gewähr dafür bietet, dass er sein Gewerbe künftig in Einklang mit den gesetzlichen Vorschriften ausübt. Ob Letzteres der Fall ist, erfordert eine Prognose in die Zukunft unter Abwägung aller für und gegen den Gewerbetreibenden sprechenden Aspekte. Unbestimmte Rechtsbegriffe bedürfen damit einer wertenden Konkretisierung im Verwaltungsverfahren durch die Verwaltung und im gerichtlichen Verfahren durch die Verwaltungsgerichte.[147]

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Das Erfordernis einer wertenden Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe wird häufig vorschnell mit einem Beurteilungsspielraum der Verwaltung gleichgesetzt. Auch diese Vorstellung lässt erkennen, dass die Normstruktur nicht hinreichend herausgearbeitet worden ist. Nach heute gefestigter Auffassung ist mit unbestimmten Rechtsbegriffen nicht zwingend ein Beurteilungsspielraum der Verwaltung verbunden, der einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle unterliegt. Ein Beurteilungsspielraum obliegt der Verwaltung vielmehr nur ausnahmsweise. Aufgrund der verfassungsrechtlichen Garantie effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) unterliegen unbestimmte Rechtsbegriffe, wie das Tatbestandsmerkmal „Unzuverlässigkeit“ in § 35 Abs. 1 S. 1 GewO, grundsätzlich der uneingeschränkten gerichtlichen Kontrolle. Eine Ausnahme kommt nur dann in Betracht, wenn der Verwaltung ausdrücklich ein Letztentscheidungsrecht eingeräumt worden ist oder sich ein Beurteilungsspielraum durch Auslegung der Norm, insbesondere aus dem Sinn und Zweck der Norm, ergibt. Allein die Verwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs rechtfertigt nicht die Annahme eines Beurteilungsspielraums.

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Eine solche eingeschränkte gerichtliche Kontrollmöglichkeit besteht etwa im Prüfungsrecht, soweit prüfungsspezifische Bewertungen in Rede stehen. Im Unterschied zu den fachwissenschaftlichen Wertungen eines Prüfers, die das Verwaltungsgericht ggf. unter Hinzuziehung von Sachverständigen voll überprüft, betreffen prüfungsspezifische Wertungen die Zuordnung der Prüfungsleistung zu einer Note. Die Annahme eines Beurteilungsspielraums der Prüfer findet ihre besondere Rechtfertigung darin, dass prüfungsspezifische Wertungen von subjektiven Einschätzungen und Erfahrungen des Prüfers geprägt sind, die sich nicht regelhaft erfassen lassen und auch unter Hinzuziehung von Sachverständigen gerichtlich nicht in vollem Umfang nachvollzogen werden können.[148] Außerdem sind Beurteilungsspielräume bei der Beurteilung der Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung eines Beamten, planerischen Entscheidungen, Risikobewertungen im Bereich des Umwelt- und Wirtschaftsrechts sowie Entscheidungen wertender Art durch weisungsfreie Ausschüsse, z.B. der Feststellung der Eigenschaft einer Schrift als jugendgefährdend, anerkannt.[149]

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Die gerichtliche Kontrolle der Ausübung eines Beurteilungsspielraums beschränkt sich auf die Prüfung, ob das Verfahren ordnungsgemäß durchgeführt worden und die Behörde von zutreffenden Tatsachen ausgegangen ist, ob sie allgemeine Bewertungsmaßstäbe beachtet und keine sachfremden Erwägungen angestellt hat sowie ob die Entscheidung auch sonst willkürfrei ist. Wichtig ist in diesem Zusammenhang die Feststellung, dass der Beurteilungsspielraum und das Ermessen nicht gleichzusetzen sind. Beurteilungsspielräume betreffen die Tatbestandsseite einer Norm, während das Ermessen die Rechtsfolgenseite einer Norm betrifft.[150]

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Nach den vorstehenden Grundsätzen hat § 35 Abs. 1 S. 1 GewO folgende Normstruktur: Es handelt sich um eine gebundene Verwaltungsentscheidung, die auf der Tatbestandsseite unbestimmte Rechtsbegriffe enthält („Unzuverlässigkeit“, „zum Schutz der Allgemeinheit oder der im Betrieb Beschäftigten erforderlich“), die der Auslegung bedürfen. Auch aus dem Sinn und Zweck des § 35 Abs. 1 S. 1 GewO ergibt sich kein Anhalt dafür, dass der Behörde bei der Auslegung der unbestimmten Rechtsbegriffe ein Beurteilungsspielraum obliegt. Insbesondere erfordert die Feststellung der Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden keine wertende Erkenntnis der Behörde, die das Verwaltungsgericht nicht in vollem Umfang nachvollziehen kann. Die unbestimmten Rechtsbegriffe sind deshalb voll gerichtlich überprüfbar. Erst nach dieser Klärung der Normstruktur kann in einem zweiten Schritt die Subsumtion im Beispielsfall erfolgen.

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(2) Ob die Behörde eine Entscheidung nach Ermessen zu treffen hat, lässt sich ebenfalls anhand des Wortlauts der einschlägigen Rechtsgrundlage des belastenden Verwaltungsaktes feststellen. Ermessen ist eröffnet, wenn die Behörde die Wahl hat, ob sie eine normativ angeordnete Rechtsfolge ergreift (Entschließungsermessen) und wie sie von dieser Ermächtigung Gebrauch macht (Auswahlermessen).

Fall:

Abwandlung des vorhergehenden Beispielsfalles: Die zuständige Behörde hat dem A nicht nur nach § 35 Abs. 1 S. 1 GewO die Ausübung des Gewerbes „Hoch- und Tiefbau“, sondern gemäß § 35 Abs. 1 S. 2 GewO auch die Ausübung aller Gewerbe untersagt. A fragt Rechtsanwalt R, ob der Behörde bei ihrer Entscheidung über die Untersagung jeglicher Gewerbeausübung ein Ermessen oder ein Beurteilungsspielraum obliegt. Was wird R antworten?

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R wird antworten, dass der Behörde bei der Untersagung aller Gewerbe kein Beurteilungs-, aber ein Ermessensspielraum zusteht. Aus dem Wortlaut des § 35 Abs. 1 S. 2 GewO folgt zweifelsfrei, dass die Untersagung jeglicher Gewerbeausübung anders als die Untersagung des konkret ausgeübten Gewerbes gemäß § 35 Abs. 1 S. 1 GewO keine gebundene Verwaltungsentscheidung, sondern eine Ermessensentscheidung ist. Denn nach § 35 Abs. 1 S. 2 GewO „kann“ die Untersagung auch auf die Tätigkeit als Vertretungsberechtigter eines Gewerbetreibenden oder als mit der Leitung eines Gewerbebetriebes beauftragte Person sowie auf einzelne andere oder auf alle Gewerbe erstreckt werden, soweit die festgestellten Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Gewerbetreibende auch für diese Tätigkeiten oder Gewerbe unzuverlässig ist. Bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 35 Abs. 1 S. 2 GewO hat die Behörde damit auf der Rechtsfolgenseite einen Entscheidungsspielraum. Neben dem Wort „kann“, deuten auch die Formulierungen „darf“, „ist berechtigt“ oder „soll“ darauf hin, dass die Verwaltung ermächtigt ist, nach Ermessen zu entscheiden, ob und wie sie die normativ vorgesehene Rechtsfolge ergreift.

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(a) Die Struktur der Ermessensnormen muss mit besonderer Sorgfalt herausgearbeitet werden. Denn Ermessensnormen haben vielfältige unterschiedliche Strukturen.

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(aa) § 35 Abs. 1 S. 2 GewO gehört zu den Ermessensnormen, die Tatbestandsvoraussetzungen enthalten und erst bei deren Vorliegen auf der Rechtsfolgenseite Ermessen eröffnen. Die Tatbestandsvoraussetzungen derartiger Normen müssen stets sorgfältig herausgearbeitet werden. Bei § 35 Abs. 1 S. 2 GewO sind dies die Gewebeausübung oder die Leitung eines Gewerbetriebes sowie das Vorliegen von Tatsachen, die die Annahme der Unzuverlässigkeit rechtfertigen, wobei sich die Unzuverlässigkeit auf solche Tätigkeiten und Gewerbe beziehen muss, die über das konkret ausgeübte Gewerbe hinaus gemäß § 35 Abs. 1 S. 2 GewO untersagt werden.

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(bb) § 35 Abs. 1 S. 2 GewO hat darüber hinaus die Besonderheit, dass auf der Tatbestandsseite der Ermessensnorm der unbestimmte Rechtsbegriff „Unzuverlässigkeit“ enthalten ist. Ermessensnormen, die auf der Tatbestandsseite einen unbestimmten Rechtsbegriff enthalten, werden als Kopplungsvorschriften oder auch als „Mischtatbestand“ bezeichnet.[151] An sich weisen Kopplungsvorschriften keine Besonderheiten auf, da der unbestimmte Rechtsbegriff und das Ermessen auf der Rechtsfolgenseite jeweils nach eigenen rechtlichen Regeln zu beurteilen sind.

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Kopplungsvorschriften haben aber häufig die Besonderheit, dass bei der Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs bereits Gesichtspunkte zu berücksichtigen sind, die auch für die Ermessensentscheidung relevant sind. Dies hat zur Folge, dass sich der Ermessensspielraum der Verwaltung im Einzelfall stark verengen kann. Denn die Ermessensausübung darf nur auf solche Gesichtspunkte gestützt werden, die nicht (schon) auf der Tatbestandsseite Relevanz haben. Beispiel: Das bei Vorliegen einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit nach den ordnungsbehördlichen Generalklauseln eröffnete Ermessen kann nicht allein darauf gestützt werden, dass eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit vorliegt. Die Gefahr für die öffentliche Sicherheit ist vielmehr eine (Tatbestands-) Voraussetzung dafür, dass überhaupt auf der Rechtsfolgenseite Ermessen eröffnet ist.

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Darüber hinaus kann sich bei den Kopplungsvorschriften die Frage stellen, ob der unbestimmte Rechtsbegriff nicht der Tatbestandsseite, sondern dem Ermessen zuzurechnen ist. Ein Beispiel hierfür ist § 23 Abs. 5 BAföG. Danach kann zur Vermeidung unbilliger Härten auf besonderen Antrag, der vor dem Ende des Bewilligungszeitraums zu stellen ist, abweichend von den vorstehenden Vorschriften des Bundesausbildungsförderungsgesetzes ein weiterer Teil des Einkommens anrechnungsfrei bleiben. Nach dem Wortlaut der Norm handelt es sich um eine Kopplungsvorschrift, weil das Ermessen („kann“) erst bei Vorliegen einer „unbilligen Härte“ eröffnet ist. Die „unbillige Härte“ ist aber dem Ermessen zuzuordnen, weil sie das Ermessen nach Inhalt und Umfang entscheidend prägt. Denn nach dem Sinn und Zweck des § 23 Abs. 5 BAföG zielt die Regelung darauf, unbilligen Härten im Einzelfall zu begegnen. Der unbestimmte Rechtsbegriff prägt insofern den Zweck der Ermessensermächtigung und bestimmt das Steuerungsprogramm für die Ermessensausübung mit der Folge, dass der unbestimmte Rechtsbegriff und das Ermessen letztlich eine Einheit bilden.[152]

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(cc) Darüber hinaus gibt es Ermessensnormen, die keine Tatbestandsvoraussetzungen beinhalten, also die Verwaltung ermächtigen, in den von der Ermessensnorm erfassten Lebenssachverhalten nach „pflichtgemäßem“ Ermessen zu handeln. „Pflichtgemäße“ Ermessensausübung bedeutet, dass die Behörde ihr Ermessen nicht gleichsam rechtsfrei ausüben kann, sondern bei der Ermessensausübung den sich aus § 40 VwVfG ergebenden Bindungen unterliegt.[153] Danach hat die Behörde ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten. Ermessensnormen, die keine Tatbestandsvoraussetzungen enthalten, sind im Bereich der Eingriffsverwaltung selten. Größere Bedeutung haben sie im Bereich der Leistungsverwaltung, insbesondere bei der öffentlich-rechtlichen Subventionierung.

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(dd) Bei den Ermessensnormen ist weiter zu prüfen, ob eine sog. intendierte Ermessensentscheidung in Rede steht. Das ist der Fall, wenn nach dem Willen des Normgebers die Ermessensentscheidung im Regelfall in einem bestimmten Sinn ergehen soll.[154] Das kann sich aus dem Sinn und Zweck der Ermessensnorm, aber auch aus der häufig vorkommenden Formulierung „soll“ ergeben. Eine solche Sollvorschrift ist etwa § 17 Abs. 1 S. 2 BImSchG. Derartige Sollvorschriften binden das Ermessen der Behörde dahin, dass sie bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen im Regelfall in dem von der Norm vorgegebenen Sinne tätig werden soll. Lediglich in atypischen Fällen ist der Behörde eine Abweichung vom vorgesehenen Regelfall gestattet. Auch bei der Aufhebung öffentlicher Subventionsbescheide kann das Ermessen aufgrund des Grundsatzes der wirtschaftlichen und sparsamen Verwendung von Haushaltsmitteln intendiert sein.[155] Die Annahme des vom Normgeber gewollten Regelfalls hat zur Folge, dass die Behörde keine umfassende Abwägung der widerstreitenden Interessen vornehmen muss. Sie muss aber zum Ausdruck bringen, dass sie den normativ vorgegebenen Regelfall bejaht und kein Ausnahmefall vorliegt, der eine Abweichung vom Regelfall rechtfertigt.[156]

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(ee) Gelegentlich kann gebundenes Verwaltungshandeln durch Bezugnahme in einer anderen Norm zu einer Ermessensentscheidung werden. Ein sehr klausurrelevantes Beispiel hierfür ist das Gewerberecht.

Fall:

A ist Geschäftsführer der „Hoch- und Tiefbau GmbH“. Die zuständige Behörde hat der GmbH die Ausübung des Gewerbes „Hoch- und Tiefbau“ gemäß § 35 Abs. 1 S. 1 GewO und die Ausübung aller Gewerbe gemäß § 35 Abs. 1 S. 2 GewO untersagt. Die Behörde möchte auch dem A die Ausübung des Gewerbes „Hoch- und Tiefbau“ sowie aller anderen Gewerbe untersagen. Obliegt der Behörde ein Ermessen?

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Nach dem sorgfältigen Lesen der in Betracht kommenden Ermächtigungsgrundlage kann die Frage ohne Schwierigkeiten beantwortet werden. Gemäß § 35 Abs. 7a S. 1 GewO „kann“ die Untersagung auch gegen Vertretungsberechtigte oder mit der Leitung des Gewerbebetriebes beauftragte Personen ausgesprochen werden. § 35 Abs. 7a GewO nimmt insofern Bezug auf die Gewerbeuntersagung gemäß § 35 Abs. 1 S. 1 und S. 2 GewO und ermächtigt die Behörde, die künftige Ausübung des konkret ausgeübten Gewerbe durch den Vertretungsberechtigten oder der mit der Leitung des Gewerbebetriebes beauftragten Person (§ 35 Abs. 7a i.V.m. Abs. 1 S. 1 GewO) und hinsichtlich aller Gewerbe (§ 35 Abs. 7a i.V.m. Abs. 1 S. 2 GewO) zu untersagen. Aufgrund der Formulierung „kann“ in § 35 Abs. 7a GewO ist die Behörde zur Untersagung der Vertretung oder Leitung eines Gewerbebetriebes im konkret ausgeübten Gewerbe entgegen dem Wortlaut des § 35 Abs. 1 S. 1 GewO nicht verpflichtet, sondern sie kann hierüber bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 35 Abs. 1 S. 1 GewO ebenso wie über die Untersagung gemäß § 35 Abs. 7a i.V.m. Abs. 1 S. 2 GewO nach Ermessen entscheiden.

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(b) Die gerichtliche Kontrolle einer Ermessensentscheidung unterliegt den sich aus § 114 S. 1 VwGO ergebenden Einschränkungen. Soweit die Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht gemäß § 114 S. 1 VwGO auch, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsaktes rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Diese Ermessenskontrolle bildet häufig den Schwerpunkt in Klausuren, denen eine Anfechtungsklage zugrunde liegt. Es ist deshalb dringend erforderlich, dass der Klausurbearbeiter die Ermessenskontrolle durch das Verwaltungsgericht im Einzelnen kennt.

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(aa) Nach § 114 S. 1 VwGO ist das Verwaltungsgericht nur zu einer Ermessenskontrolle nicht aber dazu befugt, eine Ermessensentscheidung der Behörde durch eine eigene Entscheidung, die das Gericht für sachdienlicher hält, zu ersetzen. Ebenso wenig darf es aus seiner Sicht fehlende Ermessenserwägungen ergänzen. Das Verwaltungsgericht ist nach § 114 S. 1 VwGO und auch mit Blick auf den Grundsatz der Funktionentrennung (Art. 20 Abs. 3 GG) nicht zu einer Zweckmäßigkeitskontrolle, sondern nur zu einer Rechtskontrolle der Ermessensentscheidung befugt.[157] Lediglich die Widerspruchsbehörde überprüft im Widerspruchsverfahren nicht nur die Rechtmäßigkeit, sondern auch die Zweckmäßigkeit der Entscheidung der Ausgangsbehörde (§ 68 Abs. 1 S. 1 VwGO). Formulierungen wie „die Ermessensausübung ist fehlerhaft, weil der Beklagte unnötig zu Ungunsten des Klägers entschieden hat“ gehören deshalb nicht in die Entscheidungsgründe eines verwaltungsgerichtlichen Urteils hinein. Sie lassen erkennen, dass dem Klausurbearbeiter die Grenzen der Ermessenskontrolle durch das Verwaltungsgericht nicht bekannt sind. Die Korrektoren werden dies als schwerwiegenden Grundlagenfehler bewerten, der zu einem deutlichen Punktabzug führen kann.

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(bb) Ein weiterer Grundlagenfehler in den Klausurbearbeitungen liegt darin, dass die Klausurbearbeiter häufig den bei der Anfechtungsklage maßgeblichen gerichtlichen Kontrollmaßstab überschreiten.

Fall:

Das Verwaltungsgericht führt in den Entscheidungsgründen seines Urteils aus, der Beklagte habe dem Kläger zu Recht die Ausübung aller Gewerbe gemäß § 35 Abs. 1 S. 2 GewO untersagt. Er biete angesichts bestehender Steuerrückstände in Höhe von 250 000 € nicht die Gewähr dafür, dass er irgendein Gewerbe in Einklang mit der Rechtsordnung ausübe. Deshalb sei auch das Ermessen des Beklagten gemäß § 35 Abs. 1 S. 2 GewO auf Null reduziert. Sind diese Ausführungen des Verwaltungsgerichts zutreffend?

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Die Ausführungen des Verwaltungsgerichts gehen über den bei der Anfechtungsklage maßgeblichen Prüfungsmaßstab hinaus. Soweit das Verwaltungsgericht eine Ermessensreduktion auf Null annimmt, mag dies angesichts der erheblichen Steuerrückstände des Klägers in der Sache zutreffen. Die Ausführungen hierzu sind jedoch gemessen an §§ 108 Abs. 1 S. 2 VwGO, 313 Abs. 3 ZPO fehlerhaft. Danach sind nur die für die Abweisung einer Anfechtungsklage wesentlichen Gesichtspunkte in den Entscheidungsgründen des verwaltungsgerichtlichen Urteils anzuführen. Daraus folgt, dass das Abstellen auf eine Ermessensreduktion auf Null eine fehlerhafte „überschießende“ Prüfung darstellt. Denn eine Anfechtungsklage ist unbegründet, wenn die Behörde ihr Ermessen fehlerfrei ausgeübt hat. Ob sie das Ermessen auch zum Nachteil des Klägers im Sinne einer Ermessensreduktion auf Null ausüben musste, ist für die Entscheidung über die Anfechtungsklage unerheblich. Die Frage nach einer Ermessensreduktion auf Null stellt sich deshalb nur bei Verpflichtungsklagen oder allgemeinen Leistungsklage, wenn der begehrte Verwaltungsakt oder das begehrte schlichte Verwaltungshandeln im Ermessen der Behörde besteht. In diesen Fällen haben die Verpflichtungsklage und die allgemeine Leistungsklage nur dann Erfolg, wenn jede andere Entscheidung als die Gewährung der hoheitlichen Leistung ermessensfehlerhaft wäre, also das Ermessen auf Null reduziert ist. Für den Erfolg einer Anfechtungsklage kommt es dagegen überwiegend auf diese Aspekte nicht an. Eine Ausnahme gilt jedoch dann, wenn die Behörde fälschlicher Weise Ermessen ausgeübt hat, obwohl ihr Ermessen auf Null reduziert war. In diesem Fall ist es irrelevant, ob Ermessensfehler vorliegen, und es kann erörtert werden, ob eine Ermessensreduktion gegeben ist.

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(c) Unerlässlich für eine erfolgreiche Klausurbearbeitung ist darüber hinaus, dass der Klausurbearbeiter eine hinreichende Vorstellung über die für die verwaltungsgerichtliche Kontrolle relevanten Ermessensfehler hat.

Fall:

Der Mandant M ist Adressat einer ihn belastenden Ordnungsverfügung, die eine Ermessensentscheidung der Behörde enthält. M möchte von Rechtsanwalt R wissen, welche Ermessensfehler dazu führen können, dass eine Anfechtungsklage gegen die Ordnungsverfügung Erfolg hat. Was wird R antworten?

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R wird antworten, dass das Verwaltungsgericht seine Kontrolle der Ermessensentscheidung der Behörde an § 114 S. 1 VwGO orientiert. Die Vorschrift nennt zwei Ermessensfehler: die Ermessensüberschreitung und den Ermessensfehlgebrauch. Die Begriffe Ermessensüberschreitung und Ermessensfehlgebrauch werden teilweise als Oberbegriffe verstanden, denen weitere Ermessensfehler zugeordnet werden. Im Bereich der Ermessensfehlerlehre besteht jedoch keine einheitliche Terminologie und Dogmatik. Auch wenn es wünschenswert ist, die Ermessensfehlerlehre zu kennen, ist es für eine praxisgerechte Klausurlösung nicht zwingend notwendig zu wissen, wie die in Teilen strittige Zuordnung und Bezeichnung der einzelnen Ermessensfehler erfolgt. Es handelt sich um dogmatische Fragen, die angesichts des in Teilen bestehenden wissenschaftlichen Streits auch in der verwaltungsgerichtlichen Praxis nicht selten vernachlässigt werden. Für die Entscheidung über eine Anfechtungsklage ist nicht die dogmatische Zuordnung von einzelnen Ermessensfehlern zu den Begriffen Ermessensüberschreitung und Ermessensfehlgebrauch, sondern vielmehr entscheidend, etwaige Ermessensfehler erkennen zu können. Denn trotz aller terminologischen und dogmatischen Unterschiede im Rahmen der Ermessensfehlerlehre besteht in der Sache weitgehend Einigkeit über die gemäß § 114 S. 1 VwGO relevanten Ermessensfehler.[158] Die nachfolgende Darstellung der in Betracht kommenden Ermessensfehler orientiert sich am Wortlaut des § 114 S. 1 VwGO.

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(aa) Die Ermessensüberschreitung betrifft das Ergebnis der behördlichen Ermessensausübung. Das Ergebnis der Ermessensbetätigung ist fehlerhaft, wenn die Behörde ihren Ermessensspielraum weiterzieht, als ihr dies normativ zusteht. Das ist der Fall, wenn die Ermessensentscheidung mit der Ermessensnorm und mit sonstigem höherrangigen Recht nicht in Einklang steht.

Ein Verstoß gegen die Ermessensnorm liegt vor, wenn die Behörde eine Rechtsfolge wählt, die nach der Ermessensnorm nicht vorgesehen ist. Beispiel: Nach der Subventionsrichtlinie der Stadt Münster kann der Oberbürgermeister der Stadt für eine in wirtschaftliche Existenznot geratene Bank mit Sitz in Münster nach Ermessen eine Bürgschaftserklärung in Höhe von 100 000 € abgegeben. Auf Antrag der Bank B gewährt der Oberbürgermeister der Stadt Münster der Bank eine einmalige Geldzahlung in Höhe von 50 000 €. Diese Ermessensentscheidung ist im Ergebnis fehlerhaft, weil sie mit der in der Subventionsrichtlinie vorgesehenen Rechtsfolge nicht in Einklang steht. Ein Verstoß gegen die Ermessensnorm ist auch dann gegeben, wenn die Ermessensentscheidung mit dem Sinn und Zweck der Ermessensnorm nicht in Einklang steht. Das ist der Fall, wenn die Behörde ein intendiertes Ermessen als freies Ermessen versteht[159] oder ein Entschließungsermessen annimmt, obwohl ihr nur ein Auswahlermessen eingeräumt ist.

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Eine Ermessensüberschreitung liegt außerdem vor, wenn die Ermessensentscheidung nicht gegen die Ermessensnorm verstößt, sondern mit anderen gesetzlichen oder verordnungsrechtlichen Vorschriften nicht in Einklang steht. Derartige Ermessensfehler sind nicht selten und kommen insbesondere dann in Betracht, wenn die Ermessensnorm selbst gegen ein Gesetz oder eine Verordnung verstößt. Ist das Fall, verstößt also die Ermessensnorm gegen höherrangiges (einfaches) Recht, ist auch die Ermessensentscheidung auf der Grundlage der fehlerhaften Ermessensnorm fehlerhaft. Das Verwaltungsgericht überprüft also die Ermessensnorm und deren Anwendung im konkreten Einzelfall. Beispiel: Die Gewährung einer im Ermessen stehenden Subvention ist auf der Grundlage der städtischen Subventionsrichtlinie nicht zu beanstanden. Nach einer landesrechtlichen Verordnung sind aber die in der Subventionsrichtlinie vorgesehenen Subventionen gar nicht zulässig. Damit ist die Gewährung der Subvention fehlerhaft, weil sie ebenso wie die Subventionsrichtlinie gegen höherrangiges Recht verstößt.

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Eine Ermessensüberschreitung liegt schließlich dann vor, wenn die Ermessensentscheidung selbst und/oder die Ermessensnorm gegen Verfassungsrecht verstoßen. In Betracht kommen Verstöße gegen Grundrechte, die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes (Art. 20 Abs. 3 GG) oder den Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG). Verstöße gegen den Gleichheitsgrundsatz können sich insbesondere daraus ergeben, dass die Behörde bei ihrer Ermessensentscheidung eine Selbstbindung der Verwaltung nicht beachtet, also die Behörde in anderen im Wesentlichen gleich gelagerten Fällen eine andere Entscheidung trifft. Art. 3 Abs. 1 GG verlangt insofern, dass die Behörde ihre Entscheidungspraxis in im Wesentlichen gleich gelagerten Gründen nicht ohne sachlich rechtfertigenden Grund anders ausübt. Voraussetzung ist aber, dass die ständige Verwaltungspraxis rechtmäßig ist. Denn Art. 3 Abs. 1 GG vermittelt keinen Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht. Die Behörde ist nicht gehindert, ihre bisherige Verwaltungspraxis für die Zukunft zu ändern. In diesem Fall muss sie aber einen eventuell bestehenden Vertrauensschutz beachten. Darüber hinaus darf die Behörde gerade im Bereich der Eingriffsverwaltung bei ihrer Ermessensausübung den Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung nicht schematisch heranziehen. Im Einzelfall ist zu prüfen, ob ein Ausnahmefall vorliegt, der eine Abweichung von der ständigen Verwaltungspraxis gebietet.[160]

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(bb) Der Ermessensfehlgebrauch, der teilweise auch als Ermessensmissbrauch bezeichnet wird, betrifft das Verfahren der Ermessensbetätigung auf dem Weg zu dem Ergebnis der Ermessensbetätigung. Hier lassen sich in Anlehnung an die im Baurecht geläufige und einprägsame Abwägungsfehlerlehre die nachfolgenden Ermessensfehler unterscheiden. Die Aufzählung ist nicht abschließend.

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