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V. Die Begründetheitsprüfung

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Für die Begründetheitsprüfung einer Klage gelten die für die Zulässigkeitsprüfung maßgeblichen Grundsätze in gleicher Weise. Insbesondere sind auch bei der Formulierung des gedanklichen Ergebnisses der Begründetheitsprüfung die normativen Vorgaben in §§ 108 Abs. 1 S. 2 VwGO, 313 Abs. 3 ZPO zu beachten. Das erfordert, nach der gedanklichen materiellrechtlichen Lösung eines Falles zu überlegen, welche Prüfungspunkte in den Entscheidungsgründen des Urteils erörtert werden. Das sind nur die für die rechtliche Lösung des Falles wesentlichen Prüfungspunkte und damit solche Aspekte, die den Tenor des verwaltungsgerichtlichen Urteils tragen und problematisch sind oder von den Beteiligten als zweifelhaft angesehen werden.

1. Der gerichtliche Prüfungsmaßstab

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Die Begründetheitsprüfung muss stets mit der Darstellung des bei der Begründetheitsprüfung anzulegenden Prüfungsmaßstabes beginnen. Der gerichtliche Prüfungsmaßstab hat im Verwaltungsprozess besondere Bedeutung, weil die einzelnen Klagearten nach der Verwaltungsgerichtsordnung unterschiedliche Prüfungsmaßstäbe haben. So kommt es bei der Anfechtungsklage darauf an, ob der angefochtene Verwaltungsakt rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO), während die Begründetheit der Verpflichtungsklage einen Anspruch auf Erlass des Verwaltungsaktes (§ 113 Abs. 5 S. 1 VwGO) oder einen Anspruch auf Neubescheidung (§ 113 Abs. 5 S. 2 VwGO) voraussetzt. Fehler bei der Herausarbeitung des gerichtlichen Prüfungsmaßstabes führen regelmäßig zu einer fehlerhaften Klausurlösung. Erst Recht gilt dies, wenn der Prüfungsmaßstab zu Beginn der Begründetheitsprüfung überhaupt nicht erörtert wird.

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Derartige Fehler können leicht vermieden werden. Denn eine (Vor-)Festlegung des in der Begründetheitsprüfung anzulegenden Prüfungsmaßstabes ist bereits in der Zulässigkeitsprüfung erfolgt. Mit der Klärung der statthaften Klageart ist zugleich geklärt, welchen Prüfungsmaßstab das Verwaltungsgericht bei der Begründetheitsprüfung anlegen muss. Aufgrund dieses engen Zusammenhangs zwischen der Statthaftigkeit und dem Prüfungsmaßstab ist es erforderlich, stets die statthafte Klageart anzugeben, auch wenn deren Bestimmung keine Schwierigkeiten bereitet. In diesem Fall genügt die nicht näher begründete Angabe der statthaften Klageart (Rn. 266).

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Der Prüfungsmaßstabdarf in der Klausurbearbeitung nicht lediglich umschrieben werden. Außerdem muss in den Entscheidungsgründen die einschlägige Vorschrift angegeben werden, aus der sich der Prüfungsmaßstab ergibt.

Formulierungsbeispiel:

Die Klage ist als Anfechtungsklage im Sinne des § 42 Abs. 1 VwGO zulässig, aber unbegründet. Die angefochtene Ordnungsverfügung des Beklagten vom 1.2.2020 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).

Oder

Die Klage ist als Verpflichtungsklage im Sinne des § 42 Abs. 1 VwGO zulässig, aber unbegründet. Der Ablehnungsbescheid des Beklagten vom 27.3.2020 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Er hat keinen Anspruch auf Erteilung der beantragten Gaststättenerlaubnis (§ 113 Abs. 5 S. 1 VwGO).

2. Der gerichtliche Beurteilungszeitpunkt

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Eine strittige Frage im Verwaltungsprozessrecht betrifft den maßgeblichen Zeitpunkt für die Prüfung der Begründetheit der Klage. Hierzu werden die unterschiedlichsten Auffassungen vertreten.[127] Kommt es für die Klausurlösung auf den maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt an, ist dies unmittelbar nach der Darstellung des Prüfungsmaßstabes zu erörtern, weil die gesamte nachfolgende rechtliche Prüfung entscheidend von der Klärung dieser Frage abhängt.

Fall:

Die Behörde B entzog dem A die Gewerbeerlaubnis gemäß § 35 Abs. 1 S. 1 GewO, weil er im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides vom 2.1.2020 Steuerrückstände in Höhe von 23 000 € hatte, die über einen Zeitraum von zwei Jahren aufgelaufen waren. A hat rechtzeitig Klage erhoben; der Durchführung eines Vorverfahrens bedarf es nicht. Während des Klageverfahrens hat A seine Steuerrückstände vollständig beglichen. Wird das Verwaltungsgericht der Klage aufgrund der Tilgung der Steuerrückstände bei seiner Entscheidung stattgeben?

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Die Frage nach dem für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts im Klageverfahren maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt wird insbesondere dann relevant, wenn sich während des Verwaltungs- oder des Klageverfahrens eine Änderung der Rechtslage oder, wie im Beispielsfall, der Sachlage ergeben hat. Erfahrungsgemäß bietet die Orientierung an der Rechtsprechung eine verlässliche Orientierungshilfe und die Gewähr für eine prüfungsrechtlich vertretbare Klausurlösung. Danach bestimmt sich der Beurteilungszeitpunkt maßgeblich nach dem materiellen Recht.

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a) Allerdings gibt es in der Rechtsprechung unterschiedliche Ansätze. Diese betreffen die Frage, was der Regel- und Ausnahmefall ist. Einige Senate des Bundesverwaltungsgericht gehen davon aus, dass es für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage grundsätzlich bei Anfechtungsklagen auf den Zeitpunkt der (letzten) Behördenentscheidung und bei Verpflichtungsklagen auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung des (Tatsachen-) Gerichts ankomme, soweit sich nichts Abweichendes aus dem materiellen Recht ergebe.[128] Andere Senate des Bundesverwaltungsgerichts leiten demgegenüber aus dem Prozessrecht ab, dass ein Kläger im verwaltungsgerichtlichen Rechtsstreit ebenso mit einem Aufhebungsbegehren wie mit einem Verpflichtungsbegehren nur dann Erfolg haben könne, wenn er im Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Entscheidung einen Anspruch auf die erstrebte Aufhebung des Verwaltungsaktes oder auf die erstrebte Leistung habe. Ob ein solcher Anspruch bestehe, beurteile sich aber nach dem materiellen Recht, dem nicht nur die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Ermächtigungsgrundlage oder eines Anspruchs, sondern auch die Antwort auf die Frage zu entnehmen sei, zu welchem Zeitpunkt diese Voraussetzungen erfüllt sein müssten.[129] Im Ergebnis besteht damit in der Rechtsprechung Einigkeit darüber, dass für den maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt letztlich das materielle Recht entscheidend ist.

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b) Mit dieser Erkenntnis allein lässt sich der maßgebliche Beurteilungszeitpunkt aber nicht stets verlässlich bestimmen. Denn das materielle Recht enthält nicht immer eindeutige Regelungen darüber, wie sich Änderungen der Sach- und Rechtslage in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren auswirken. Bei einer Änderung der Rechtslage geben zwar regelmäßig die mit der Rechtsänderung erlassenen Übergangsvorschriften eine Antwort auf die Frage, ob weiterhin das bisherige oder ausschließlich das neue Recht anzuwenden ist. Regelungen darüber, wie sich eine Änderung der Sachlage im Verwaltungsprozess auswirken, finden sich demgegenüber auch in den Übergangsvorschriften allenfalls selten. Beim Fehlen einer eindeutigen materiellrechtlichen Vorschrift über die Auswirkungen einer Änderung der Sach- und Rechtslage ist bei Anfechtungsklagen maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt der Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung und bei Verpflichtungsklagen der Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Entscheidung.[130]

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aa) Für die Anfechtungsklage lässt sich dieses Ergebnis aus § 49 Abs. 2 Nr. 3 und Nr. 4 VwVfG herleiten. Die Regelungen ermächtigen die Behörde einen rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsakt im Falle einer Tatsachen- (Nr. 3) oder Rechtsänderung (Nr. 4) mit Wirkung für die Zukunft zu widerrufen. Den Regelungen liegt damit die Wertung des Gesetzgebers zugrunde, dass der Verwaltungsakt trotz der Änderung der Sach- und Rechtslage rechtmäßig geblieben ist, denn die Behörde wird bei Vorliegen der Voraussetzungen gemäß § 49 Abs. 2 Nr. 3 und Nr. 4 VwVfG nicht zur Aufhebung eines rechtswidrigen, sondern zum Widerruf eines rechtmäßigen Verwaltungsaktes ermächtigt. Insofern liegt den Regelungen der Rechtsgedanke zugrunde, dass nachträgliche Änderungen der Sach- und Rechtslage für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der behördlichen Entscheidung unerheblich sind.[131]

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bb) Konsequent wäre es, diesen Rechtsgedanken auch auf die Verpflichtungsklagezu übertragen. Dieser Weg wird von der Rechtsprechung jedoch nicht gegangen. Sie geht davon aus, dass beim Fehlen einer abweichenden materiellrechtlichen Regelung nicht nur für die Verpflichtungsklage, sondern auch für die allgemeine Leistungsklage und die allgemeine Feststellungsklage der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung des Tatsachengerichts maßgeblich ist. Eine überzeugende Begründung für diese Auffassung gibt es allerdings nicht. Es kann deshalb in den Klausurlösungen nicht erwartet werden, dass der Bearbeiter den maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Begründetheit einer Verpflichtungsklage im Einzelnen begründet. Prüfungsrechtlich genügt der Hinweis darauf, dass diese Auffassung der ständigen Rechtsprechung entspricht.

Formulierungsbeispiel:

Die Klage ist als Anfechtungsklage im Sinne des § 42 Abs. 1 VwGO statthaft, aber unbegründet. Die Ordnungsverfügung des Beklagten vom 2.1.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Düsseldorf vom 27.4.2020 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).

Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei Anfechtungsklagen der Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung, hier des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Düsseldorf vom 27.4.2020. Aus dem materiellen Recht ergibt sich kein anderer Beurteilungszeitpunkt. Aus § 49 Abs. 2 Nr. 3 und Nr. 4 VwVfG lässt sich vielmehr der Rechtsgedanke herleiten, dass nachträgliche Änderungen der Sach- und Rechtslage für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der behördlichen Entscheidung unerheblich sind. § 49 Abs. 2 Nr. 3 und Nr. 4 VwVfG ermächtigen die Behörde, einen rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsakt im Falle einer Tatsachen- oder Rechtsänderung mit Wirkung für die Zukunft zu widerrufen. Den Vorschriften liegt damit die Wertung des Gesetzgebers zugrunde, dass der Verwaltungsakt trotz der Änderung der Sach- und Rechtslage rechtmäßig geblieben ist, denn die Behörde wird bei Vorliegen der Voraussetzungen gemäß § 49 Abs. 2 Nr. 3 und Nr. 4 VwVfG nicht zur Aufhebung eines rechtswidrigen, sondern zum Widerruf eines rechtmäßigen Verwaltungsaktes ermächtigt.

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cc) Aufgrund der auch im Verwaltungsprozess geltenden Dispositionsmaxime kommt es für den maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt bei der Fortsetzungsfeststellungsklage auf den Antrag des Klägers an. Beantragt er die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes bezogen auf einen bestimmten Zeitpunkt, ist dieser Zeitpunkt maßgeblich. Enthält der Antrag des Klägers keine nähere zeitliche Bestimmung, ist für die Begründetheit der Fortsetzungsfeststellungsklage der Zeitpunkt der Erledigung des Rechtsstreits maßgeblich.[132] Für die Zulässigkeit der Fortsetzungsfeststellungsklage kommt es dagegen wie bei der Zulässigkeit jeder anderen Klage auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts an.[133]

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c) Im Beispielsfall wird das Verwaltungsgericht die Anfechtungsklage des Klägers abweisen. Die Gewerbeuntersagung ist materiell rechtmäßig. Auf die Tilgung der Steuerrückstände kommt es insoweit nicht an. Denn maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt für die Begründetheit der Anfechtungsklage gegen eine Gewerbeuntersagung ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts der Zeitpunkt des Erlasses der letzten behördlichen Entscheidung, im Beispielsfall der Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides vom 2.1.2020. Das ergibt sich aus § 35 Abs. 6 S. 1 GewO. Danach ist dem Gewerbetreibenden von der zuständigen Behörde aufgrund eines an die Behörde zu richtenden schriftlichen Antrages die persönliche Ausübung des Gewerbes wieder zu gestatten, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass eine Unzuverlässigkeit im Sinne des § 35 Abs. 1 GewO nicht mehr vorliegt. Nach dieser gesetzlichen Wertung berührt die spätere Wiedererlangung der Zuverlässigkeit die Rechtmäßigkeit einer auf die Unzuverlässigkeit gestützten Gewerbeuntersagung nicht. Der Gewerbetreibende muss vielmehr ein Verfahren auf Wiedergestattung betreiben, so dass es auf Änderungen der Sach- und Rechtslage nach Erlass der letzten behördlichen Entscheidung nicht ankommt.[134]

3. Die Anfechtungsklage

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Für die Anfechtungsklage ergibt sich der in der Begründetheitsprüfung anzulegende Prüfungsmaßstab aus § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO. Danach setzt die Begründetheit der Anfechtungsklage voraus, dass der angefochtene Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist. Damit müssen zwei Voraussetzungen erfüllt sein: Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes und Rechtsverletzung des Klägers.

Beide Voraussetzungen sind in den Entscheidungsgründen eines verwaltungsgerichtlichen Urteils aber nur dann zu prüfen, wenn der Anfechtungsklage stattgegeben wird. Wird die Anfechtungsklage abgewiesen, genügt es, in den Entscheidungsgründen auszuführen, dass entweder der Verwaltungsakt rechtswidrig oder der Kläger nicht in seinen Rechten verletzt ist. Die Erörterung beider Voraussetzungen im Falle der Klageabweisung hätte gemessen an §§ 108 Abs. 1 S. 2 VwGO, 313 Abs. 3 ZPO zur Folge, dass die Entscheidungsgründe überflüssige Ausführungen enthalten, weil sowohl die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes als auch die fehlende Rechtsverletzung jeweils für sich und selbstständig tragend die Klageabweisung rechtfertigen.

a) Die Rechtswidrigkeitsprüfung

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aa) Rechtswidrig im Sinne des § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO ist ein belastender Verwaltungsakt, wenn ihm die erforderliche Rechtsgrundlage fehlt oder wenn er gegen formelles oder materielles Recht verstößt. Von der Rechtswidrigkeit sind die Wirksamkeit und Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes zu unterscheiden.

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(1) Der Begriff der Wirksamkeit eines Verwaltungsaktes ist gesetzlich nicht näher definiert. § 43 VwVfG regelt lediglich den Beginn (Abs. 1) und das Ende (Abs. 2) der Wirksamkeit eines Verwaltungsaktes. Außerdem enthält § 43 Abs. 3 VwVfG eine negative Bestimmung der Wirksamkeit dahin, dass ein nichtiger Verwaltungsakt unwirksam ist. Bei der Wirksamkeit eines Verwaltungsaktes ist zwischen äußerer und innerer Wirksamkeit zu unterscheiden. Die äußere Wirksamkeit des Verwaltungsaktes beginnt mit seiner ordnungsgemäßen Bekanntgabe an einen Betroffenen und hat zur Folge, dass der Verwaltungsakt rechtlich existent ist und angefochten werden kann. Innere Wirksamkeit bedeutet, dass der Verwaltungsakt die mit ihm intendierten oder mit ihm kraft Gesetzes verbundenen Wirkungen (Bindung für den Adressaten und die Behörde, Tatbestands- und Feststellungswirkung) auslöst.[135]

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Die Prüfung der Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsaktes setzt deshalb voraus, dass er wirksam geworden ist. Fehlt es daran, ist die Anfechtungsklage bereits unstatthaft und damit unzulässig. In Betracht kommt allenfalls eine Feststellungsklage gemäß § 43 VwGO, weil beispielsweise die Behörde irrig der Auffassung ist, der Verwaltungsakt sei wirksam.

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(2) Die Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes ist im Einzelnen in § 44 VwVfG geregelt und definiert. Abgesehen von den Nichtigkeitsgründen des § 44 Abs. 2 VwVfG setzt die Nichtigkeit des Verwaltungsaktes gemäß § 44 Abs. 1 VwVfG einen Fehler des Verwaltungsaktes und damit seine Rechtswidrigkeit voraus. Der Fehler muss zudem nach § 44 Abs. 1 VwVfG besonders schwerwiegend und bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich sein. Rechtsschutz gegen nichtige Verwaltungsakte kommt nicht nur nach § 43 Abs. 1 VwGO in Betracht, wonach das Verwaltungsgericht auch die Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes feststellen kann. Es ist außerdem anerkannt, dass die Aufhebung eines nichtigen Verwaltungsaktes im Wege der Anfechtungsklage zulässig ist. Denn es besteht ein schutzwürdiges Bedürfnis dafür, den mit einem nichtigen Verwaltungsakt verbundenen Rechtsschein der Wirksamkeit zu beseitigen.[136] Allerdings wird das Verwaltungsgericht im Rahmen einer Anfechtungsklage die Nichtigkeitsvoraussetzungen gemäß § 44 VwVfG regelmäßig nicht prüfen. Denn die Aufhebung des Verwaltungsaktes ist gemäß § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO schon dann gerechtfertigt, wenn der Verwaltungsakt rechtswidrig ist. Ist das der Fall, wäre die weitergehende Prüfung, ob auch Nichtigkeit vorliegt, nicht prozessökonomisch. Denn schon aufgrund der Feststellung der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes und der Rechtsverletzung des Klägers ist die Aufhebung des Verwaltungsaktes gerechtfertigt.

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bb) Die Prüfung der Rechtswidrigkeit eines belastenden Verwaltungsaktes im Rahmen einer Anfechtungsklage beginnt mit der Klärung, ob er auf einer gültigen Rechtsgrundlage beruht. Erst im Anschluss daran erfolgt die Prüfung der formellen und materiellen Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes.

Fall:

Referendar R wird in der mündlichen Prüfung gefragt, ob es erforderlich ist, vor der Prüfung der formellen und materiellen Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes die Rechtsgrundlage des Verwaltungsaktes zu bestimmen. Was wird R antworten?

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R wird antworten, dass die Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes in der Reihenfolge Rechtsgrundlage, formelle Rechtmäßigkeit und materielle Rechtmäßigkeit zu prüfen ist und dass diese Reihenfolge der Prüfung zwingend ist.

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(1) Das folgt zunächst aus dem Vorbehalt des Gesetzes, der aus dem Rechtsstaats- und Demokratieprinzip und den Grundrechten hergeleitet wird. Danach darf die Verwaltung nur dann in Rechte des Bürgers eingreifen, wenn sie hierzu durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes ermächtigt ist. Das gilt auch für feststellende Verwaltungsakte, soweit sie für den Adressaten belastende Wirkung haben.[137] Ein formelles Gesetz ist erforderlich, wenn die Verfassung zwingend eine Ermächtigung durch formelles Gesetz verlangt (sog. Parlamentsvorbehalt). Greift der Parlamentsvorbehalt nicht, genügt eine Verordnung oder Satzung als Ermächtigungsgrundlage, soweit sie ihrerseits eine hinreichende gesetzliche Grundlage haben.[138] Fehlt eine dem Vorbehalt des Gesetzes genügende Ermächtigung für den Erlass des belastenden Verwaltungsaktes, ist er schon deshalb rechtswidrig. Die Frage der formellen und materiellen Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes stellt sich nicht mehr.

355

(2) Die vorhergehende Klärung der Rechtsgrundlage ist (auch) deshalb erforderlich, weil einige formelle Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen, insbesondere die Zuständigkeit der Behörde, davon abhängen, welche Rechtsgrundlage einschlägig ist. So richtet sich die Zuständigkeit nach den ordnungsbehördlichen Zuständigkeitsvorschriften, wenn Rechtsgrundlage des Verwaltungsaktes die ordnungsbehördliche Generalklausel ist. Dagegen sind die polizeirechtlichen Zuständigkeitsvorschriften einschlägig, wenn die Gefahrenabwehr auf der Grundlage der polizeirechtlichen Generalklausel erfolgt.

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(3) Eine hinreichende Ermächtigung zum Erlass belastender Verwaltungsakte erfordert nicht nur, dass die in Betracht kommende Rechtsgrundlage die Verwaltung zu einem belastenden Eingriff ermächtigt. Die Verwaltung muss außerdem ermächtigt sein, den Eingriff durch Verwaltungsakt vorzunehmen. Diese sog. Verwaltungsaktsbefugnis muss nicht notwendig ausdrücklich geregelt sein. Es reicht aus, dass sie sich der Ermächtigungsgrundlage durch Auslegung entnehmen lässt.[139] Fehlt es an einer Verwaltungsaktsbefugnis, ist die Anfechtungsklage schon aus diesem Grund begründet.

Häufig wird in diesem Zusammenhang übersehen, dass im Falle des Fehlens einer spezialgesetzlichen Ermächtigung zum Erlass eines Verwaltungsaktes ein Rückgriff auf § 35 VwVfG nicht in Betracht kommt. Die Vorschrift enthält keine Rechtsgrundlage für den Erlass von Verwaltungsakten. Sie regelt lediglich die Merkmale eines Verwaltungsaktes.[140]

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(4) Bei der Suche nach der in Betracht kommenden Rechtsgrundlage des belastenden Verwaltungsaktes ist insbesondere im Ordnungs- und Polizeirecht der Grundsatz zu beachten, dass speziellere Rechtsgrundlagen in ihrem Anwendungsbereich allgemeinere Rechtsgrundlagen verdrängen. Der Widerruf eines Aufenthaltstitels ist im Ausländerrecht in § 52 AufenthG geregelt. Im Anwendungsbereich dieser Vorschrift ist deshalb ein Rückgriff auf § 49 VwVfG nicht möglich. Das Fehlverhalten eines Schülers in der Schule, das die Schule nach den schulrechtlichen Vorschriften zum Erlass einer Schulordnungsmaßnahme ermächtigt, kann nur nach diesen schulrechtlichen Vorschriften, nicht aber mit einer auf die ordnungsbehördliche Generalklausel gestützten Sanktion geahndet werden.

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(5) Die Gültigkeit, insbesondere Verfassungsmäßigkeit, der Rechtsgrundlage für den Erlass des belastenden Verwaltungsaktes ist in einer Klausur nur dann zu prüfen, wenn sich Zweifel an der Gültigkeit aufdrängen oder ein Beteiligter des Klageverfahrens dahingehende Zweifel geäußert hat. Ist das der Fall, so wird die Gültigkeit der Rechtsgrundlage vor der formellen und materiellen Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes geprüft. Wenn bereits keine gültige Rechtsgrundlage für den Erlass des belastenden Verwaltungsaktes vorhanden ist, so stellt sich nämlich die Frage seiner formellen und materiellen Rechtmäßigkeit nicht mehr. Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Rechtsgrundlage erfordern eine doppelte Prüfung. Zunächst ist die abstrakte Verfassungsmäßigkeit der Rechtsgrundlage zu klären, also ihre Verfassungsmäßigkeit an sich. Bei der Prüfung der konkreten Verfassungsmäßigkeit geht es demgegenüber um die Frage, ob die Anwendung der – abstrakt verfassungsgemäßen – Rechtsgrundlage im konkreten Einzelfall mit Verfassungsrecht in Einklang steht. Diese Prüfung erfolgt im Rahmen der Prüfung der materiellen Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes unter dem Aspekt, ob der belastende Verwaltungsakt mit höherrangigem Recht in Einklang steht. Das setzt unter anderem voraus, dass kein unzulässiger Grundrechtseingriff vorliegt und der Verwaltungsakt dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügt.

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cc) Die formelle Rechtmäßigkeit wird in den Klausurlösungen häufig fehlerhaft geprüft, weil die normativen Vorgaben in §§ 108 Abs. 1 S. 2 VwGO, 313 Abs. 3 ZPO nicht beachtet werden. Es werden mitunter über Seiten formelle Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen erörtert, die zweifelsfrei erfüllt und von keinem Beteiligten angesprochen worden sind. Dies hat regelmäßig Punktabzüge bei der Bewertung zur Folge, weil die Klausurlösung nicht praktischen Anforderungen genügt.

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Die wesentlichen formellen Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen eines belastenden Verwaltungsaktes sind die sachliche, örtliche und instantielle Zuständigkeit der Behörde, die Anhörung (§ 28 VwVfG), die Begründung (§ 39 VwVfG), die Formerfordernisse in § 37 Abs. 3 VwVfG, spezialgesetzlich vorgeschriebene Schriftformerfordernis und die hinreichende Bestimmtheit (§ 37 Abs. 1 VwVfG), die allerdings teilweise auch der materiellen Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes zugerechnet wird.[141] Keine formelle Rechtmäßigkeitsvoraussetzung ist die in § 59 VwGO vorgesehene und nur für Bundesbehörden geltende Verpflichtung, einem schriftlichen oder elektronischen Verwaltungsakt eine Rechtsmittelbelehrung beizufügen. Ein Verstoß gegen § 59 VwGO hat nicht die formelle Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes, sondern nur zur Folge, dass für die Einlegung eines Rechtsbehelfs die Jahresfrist gemäß § 58 Abs. 2 S. 1 VwGO gilt.[142] Die ordnungsgemäße Bekanntgabe des Verwaltungsaktes ist keine formelle Rechtmäßigkeitsvoraussetzung, sondern Voraussetzung dafür, dass der Verwaltungsakt wirksam wird. Die fehlende oder fehlerhafte Bekanntgabe hat deshalb auch nicht die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes, sondern insbesondere zur Folge, dass Rechtsbehelfsfristen nicht zu laufen beginnen.[143]

361

Die Prüfung dieser formellen Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen im Rahmen einer Anfechtungsklage wird regelmäßig überschätzt. So wird in den Klausurlösungen häufig ausgeführt, „die Ordnungsverfügung genügt dem Schriftformerfordernis gemäß §…“, obwohl die Ordnungsverfügung in dem Klausurtext abgedruckt ist, der Kläger nicht bestritten hat, dass ihm die Ordnungsverfügung in schriftlicher Form zugestellt worden ist und deshalb auf der Hand liegt, dass die Voraussetzung gemäß § 20 Abs. 1 S. 1 OBG NRW gegeben ist. Klausurbearbeiter, die gleichwohl in ihrem Urteilsentwurf Ausführungen zum Schriftformerfordernis machen, beachten nicht die sich aus § 108 Abs. 1 S. 2 VwGO herzuleitende Anforderung, dass sich ein verwaltungsgerichtliches Urteil auf die für die Lösung des Falles wesentlichen Gesichtspunkte konzentrieren muss (vgl. im Einzelnen Rn. 224 f.).

362

Viele Klausurbearbeiter haben auch keine hinreichende Vorstellung über die Relevanz der Prüfung der Zuständigkeit der Behörde in einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung.

Fall:

A hat auf seinem Grundstück in Potsdam ohne die erforderliche Baugenehmigung ein Wohnhaus errichtet, das einsturzgefährdet ist. Er klagt gegen die vom Oberbürgermeister der Stadt Potsdam erlassene baurechtliche Abrissverfügung. Wird das Verwaltungsgericht in den Entscheidungsgründen seines Urteils die Zuständigkeit des Oberbürgermeisters erörtern?

Das Verwaltungsgericht wird die Zuständigkeit in den Entscheidungsgründen nicht ansprechen. Denn es liegt auf der Hand, dass nur der Oberbürgermeister der Stadt Potsdam dafür zuständig ist, für das Gebiet der Stadt Potsdam baurechtliche Abrissverfügungen zu erlassen. Die Klausurbearbeiter, die im Beispielsfall die Zuständigkeit erörtern, gehen von der fehlerhaften Vorstellung aus, dass die Prüfung der Zuständigkeit der Behörde im Verwaltungsrecht unerlässlich sei. Dies trifft so nicht zu. In den Entscheidungsgründen eines Ausgangs- oder Widerspruchsbescheides wird zwar häufig zunächst die Zuständigkeit etwa mit dem Satz hervorgehoben, „Ich bin zur Entscheidung über ihren Widerspruch gemäß §§ … zuständig.“.[144] Für das Verwaltungsgericht kommt es jedoch gemessen an § 108 Abs. 1 S. 2 VwGO darauf an, dass die Entscheidungsgründe eines Urteils sich auf die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Fragestellungen konzentrieren. Ist die Zuständigkeit der Behörde, wie im Beispielsfall, zweifelsfrei gegeben, wird deshalb das Verwaltungsgericht zur Zuständigkeit in den Entscheidungsgründen seines Urteils nichts ausführen. Es ist zwar regelmäßig überaus mühsam und schwierig, die einzelnen Zuständigkeitsvorschriften herauszusuchen. Allein der Aufwand und die Mühe rechtfertigen aber aus sich heraus nicht, in den Entscheidungsgründen eines verwaltungsgerichtlichen Urteils die Zuständigkeit der Behörde zu erörtern. Vielmehr muss der Klausurbearbeiter sich stets vor Augen führen, dass der Klausur eine praktische Aufgabenstellung zugrunde liegt. In der Verwaltungspraxis ist aber das Handeln unzuständiger Behörden, die über fachkundiges Personal verfügen, selten.

363

Häufig wird bei der Prüfung der formellen Rechtmäßigkeit vorschnell formelle Rechtswidrigkeit angenommen, ohne eine etwaige Heilung (§ 45 VwVfG) in den Blick zu nehmen. So kann etwa eine nicht erfolgte Anhörung (§ 28 Abs. 1 VwVfG) gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG geheilt werden. Die Heilung ist nicht nur im Widerspruchsverfahren, sondern gemäß § 45 Abs. 2 VwVfG bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens möglich. Eine ständige Fehlerquelle liegt in diesem Zusammenhang darin, dass in den Klausurlösungen eine Heilung schon mit der Einreichung eines begründeten Widerspruchs angenommen wird. Das ist unrichtig, weil die Heilung gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG voraussetzt, dass die Ausgangs- oder Widerspruchsbehörde das nachträgliche Vorbringen des Klägers auch gewürdigt hat. Heilung tritt deshalb erst mit Erlass des Widerspruchsbescheides ein, soweit die Widerspruchsbehörde sich mit dem nachträglichen Vorbringen des Klägers auseinandergesetzt hat. Erfolgt die Heilung im gerichtlichen Verfahren, muss erkennbar sein, dass die Behörde den nachträglichen Vortrag nicht nur zur Kenntnis genommen, sondern auch zum Anlass genommen hat, ihre Entscheidung selbstkritisch zu überdenken. Die Anhörung durch das Verwaltungsgericht stellt keine Nachholung durch die Behörde dar und führt deshalb nicht zu einer Heilung gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG.[145]

364

Die Regelung in § 46 VwVfG wird in der Klausurbearbeitung ebenfalls häufig nicht beachtet. Danach kann die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 44 VwVfG nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Das Kausalitätserfordernis nach § 46 VwVfG ist erfüllt, wenn auszuschließen ist, dass ohne den Verfahrens- und Formfehler oder den Verstoß gegen die örtliche Zuständigkeit die Entscheidung in der Sache anders ausgefallen wäre.[146] Der Unterschied der Regelungen in §§ 45, 46 VwVfG liegt darin, dass nach § 45 VwVfG die dort angeführten Rechtsverstöße geheilt werden, während der Verwaltungsakt bei Vorliegen der Voraussetzungen gemäß § 46 VwVfG rechtswidrig bleibt, eine Aufhebung des Verwaltungsaktes gemäß § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO im Klageverfahren aber ausgeschlossen ist.

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