Читать книгу: «Morgen kommt der Weihnachtsmann», страница 3

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Betriebsweihnachtsfeier

»Ich weiß, das ist jetzt sehr schwer für Sie. Wenn Sie das Gefühl haben, dass unser Gespräch zu anstrengend ist, sagen Sie mir das bitte«, bat Roolfs die Witwe, nachdem Klaus Tjarksen gegangen war. »Aber je eher und schneller wir mit unseren Ermittlungen anfangen, umso wahrscheinlicher ist es, dass wir den Mörder fassen.«

»Sie müssen sich nicht entschuldigen. Sie machen Ihren Job. Ich hoffe, dass Sie das Schwein kriegen, das meinen Mann auf dem Gewissen hat.« Renate Tjarksen führte ihre Kaffeetasse zum Mund, setzte sie aber gleich wieder ab, ohne zu trinken. »Im Fernsehen wird immer als Erstes die Ehefrau nach ihrem Alibi gefragt. Wir drei, also Tammo, Klaus und ich, waren auf einer Adventsfeier in unserem Stammgeschäft in Norden. Wir machen mit den Belegschaften aus jedem größeren Geschäft eine eigene kleine Feier, und die Mitarbeiter aus den kleineren Filialen holen wir dann mit dazu. Das sind vier bis fünf Feiern pro Jahr. Tammo wollte das immer so, das ist ein bisschen persönlicher.« Sie trank einen Schluck Kaffee. »Klaus und ich sind gegen Mitternacht nach Hause gefahren. Tammo bleibt als Chef immer bis zuletzt.«

»Und Sie haben Ihren Mann gar nicht vermisst?«

»Nein. Wenn Tammo spät nach Hause kommt, dann schläft er im Zimmer neben seinem Büro, damit er mich nicht stört.«

»Und am Sonnabendmorgen?«, fragte Roolfs.

»Sonnabends schlafe ich immer aus. Ich bin so gegen halb zehn nach unten gekommen, und da stand schon Ihr Kollege vor der Tür und klingelte.«

»Oberinspektor Janssen«, erklärte Roolfs.

»Ja, richtig. Er war auch gestern Nachmittag hier, aber ich war ihm sicher keine große Hilfe. Ich war fix und alle. Das bin ich jetzt auch noch, ehrlich gesagt.« Tränen traten in ihre Augen, und schnell zündete sie die nächste Zigarette an. »Also, ein richtiges Alibi habe ich nicht. In der Nacht habe ich geschlafen, und da mein Mann nicht da war, kann das niemand bezeugen. Ich habe allein in meinem Bett gelegen.«

Zum ersten Mal lächelte sie. »Aber Klaus hat sein Schlafzimmer genau über unserem. Und wenn ich in der Nacht das Garagentor geöffnet hätte und mit dem Auto weggefahren wäre, hätte er das sicher gehört. Er hat einen leichten Schlaf. Das hat der Junge von mir.«

»Dann ist Klaus so eine Art Alibi für Sie?«, fragte Roolfs.

»Wenn Sie so wollen. Möchten Sie noch eine Tasse Kaffee?«

Spekulatius

»Nehmen Sie auch einen Keks!«, forderte Renate Tjarksen den Hauptkommissar auf, nachdem sie Kaffee nachgeschenkt hatte. Sie hielt ihm einen Teller mit Spekulatiusgebäck hin.

Roolfs winkte ab. »Vielen Dank, es wird zu viel gegessen in diesen Tagen. – Die Tatwaffe ist eine Pistole, wie sie im Krieg viele deutsche Offiziere besaßen. Eine Walther PPK. Gibt es eine solche Waffe im Haus?«

»In diesem Haus gibt es überhaupt keine Waffen. So etwas würde ich niemals dulden!«

»Hatte Ihr Mann Feinde? Können Sie sich vorstellen, wer ihm so etwas angetan haben könnte?«

Renate Tjarksen spielte mit dem Feuerzeug. »Wenn Sie mich so fragen, weiß ich gar nicht, was ich antworten soll. Mein Mann hatte viele Gegner. Er war ein knallharter Geschäftsmann. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Konkurrent ihn umgebracht hätte. Er war hart, aber fair.«

»Und einer von seinen Angestellten?«

Renate Tjarksen schüttelte den Kopf. »Er war als Chef nicht immer einfach, er hat von seinen Leuten viel verlangt. Aber er hat gute Arbeit auch gut bezahlt.«

»Bitte denken Sie noch einmal darüber nach, ob es irgendwelche Anrufe oder Briefe gab. Ist etwas Außergewöhnliches passiert? Hat er sich irgendwie bedroht gefühlt? Hatte er Angst?«

»Tammo und Angst? Angst kannte der nicht. Der ist immer auf alles losgegangen. Der ist keinem Streit aus dem Weg gegangen, dieser Sturkopf.« Renate Tjarksen konnte ihre Tränen nicht mehr zurückhalten. Sie betupfte ihre Augen mit einem Taschentuch, um die Wimperntusche nicht zu verschmieren. »Ich glaube, ich möchte jetzt einen Moment allein sein. Ich rufe Sie an, wenn mir noch etwas einfällt.«

Roolfs nickte. Er gab ihr seine Karte und dachte darüber nach, wie oft er diesen Satz in all seinen Dienstjahren schon gehört hatte.

Licht

Gerrit Roolfs tastete sich im dunklen Flur die Treppe hoch und ging auf eine Tür zu, unter der ein Streifen Helligkeit durchschimmerte. Er stolperte. Die Tür wurde geöffnet.

»Machen Sie sich doch Licht, Herr Hauptkommissar.« Klaus Tjarksen drückte einen Wandschalter. »Sie kommen ja noch zu Fall.« Er machte eine einladende Handbewegung, und Gerrit Roolfs trat ein.

Der Raum war eine Mischung aus Jugendzimmer und Seniorenappartement, die Möbel in Eiche rustikal gehalten, über dem Sofa das unvermeidliche Stickbild vom pfeiferauchenden Seemann im Ölzeug mit Kappe. In der Schrankwand waren Gläser, Sammeltassen und die ebenfalls unvermeidlichen noch eingeschweißten Pflichtexemplare aus dem Bücherklub versammelt.

Auf dem Schreibtisch stand ein riesiger Computermonitor, und ein Bücherregal war vollgestopft mit DVDs und Computerspielen. An den fast zwei Quadratmeter großen Fernseher war eine Playstation angeschlossen, wie Gerrit Roolfs sie von seinen beiden Neffen kannte. Die Tür an der gegenüberliegenden Wand schien ins Schlafzimmer zu führen. Diesen Raum hätte Gerrit Roolfs gern inspiziert.

»Sie leben noch bei Ihren Eltern?«

»Ja, ich habe keine eigene Familie. Hier ist es ja viel praktischer, und das Geld kann ich sparen. Nehmen Sie doch Platz, Herr Hauptkommissar.«

Roolfs setzte sich. »Haben Sie noch Geschwister?«

»Ja, einen Bruder, Heiko. Der ist ein paar Jahre jünger als ich. Aber der will nichts mehr von uns wissen. Der kommt schon seit über zehn Jahren nicht mehr. Ich bin mal gespannt, ob der sich bei Vaters Beerdigung überhaupt blicken lässt. Am besten, man ruft ihn gar nicht erst an.«

»Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie das doch täten«, sagte Roolfs bedächtig. »Sicher muss ich in den kommenden Tagen auch mit ihm einmal reden.«

»Da gibt es nichts zu reden, Herr Roolfs«, erregte sich Tjarksen. »Der schießt doch nur quer. Das hat er immer schon gemacht. Wir könnten eine so harmonische Familie sein …!«

Familienharmonie

»Und was hat die Familienharmonie gestört?«, fragte Roolfs.

»Ach, Heiko hatte immer Streit mit Papa. Unser Vater ist kein einfacher Mann, aber er hat nur das Beste für alle gewollt. ›Halt dich doch still‹, hat Mutti immer zu Heiko gesagt. Aber er musste dauernd gegen Papa aneseln. Und dann, Weihnachten vor zehn Jahren, da ist Papa die Hand ausgerutscht und er hat Heiko eine gescheuert und ihn rausgeschmissen. Das war vielleicht auch nicht ganz richtig, aber der Heiko hat immer provoziert, der wollte immer mit Papa diskutieren!«

»Wie alt war Ihr Bruder, als das passierte?«, bohrte Gerrit Roolfs weiter.

»Fünfundzwanzig. Er hatte gerade sein erstes Examen als Lehrer gemacht. Aber das hat ja jetzt mit der Sache nichts zu tun, oder? Verdächtigen Sie Heiko?«

»Ich verdächtige noch niemanden. Aber alle Einzelheiten sind hilfreich, damit ich mir ein Bild von Ihrem Vater machen kann.«

»Da haben Sie mich ja gut ausgehorcht, Herr Hauptkommissar.« Klaus Tjarksen lächelte.

»Tja, das ist nun mal mein Beruf. Das habe ich gelernt«, antwortete Gerrit Roolfs trocken. »Und was machen Sie beruflich?«

»Ich habe BWL studiert. In Oldenburg. Dort arbeite ich für zwei Tage in der Woche bei einem Wirtschaftsförderungs-Projekt mit. Bisher hatte ich ja Zeit dazu, weil mein Vater noch viel in unserer Firma gemacht hat. Das wird sich nun wohl ändern.«

Klaus Tjarksen zögerte einen Moment. »Aber dass Sie mir daraus kein Mordmotiv machen! Vater wollte sich in zwei oder drei Jahren sowieso zur Ruhe setzen. Und seine Hilfe hätte ich noch dringend gebraucht.«

»Und wer hilft Ihnen jetzt?«

»Wolfgang Hinrichsen, unser Prokurist. Aber der scheidet auch als Täter aus. Der arbeitet schon so viele Jahre bei uns, der gehört richtig mit zur Familie.«

»Meinen Sie, dass der Hinweis auf die Verbundenheit mit Ihrer Familie ihn entlastet?«

»Mein Vater hatte viele Gegner. Er hat ein paar kleine Geschäfte kaputtgemacht. Und er hat sich mit dem Fürsten angelegt, und mit der Gewerkschaft. Und zuletzt wegen dieser Weihnachtssache auch noch mit der Kirche. Aber ich will nichts gesagt haben.«

»Wurde Ihr Vater bedroht?«, fragte Roolfs. »Hatte er jemals das Gefühl, in Gefahr zu sein? Bekam er Briefe oder Anrufe, vor denen er sich fürchtete? Haben Sie davon mal etwas mitbekommen?«

»Nee, davon habe ich nie etwas bemerkt. Vater redete auch nicht über so etwas.«

»Was war Ihr Vater eigentlich für ein Mensch?«

Klaus Tjarksen sah Roolfs mit großen Augen an und antwortete erst nach einem Moment des Schweigens. »Also, er war irgendwie ganz normal.«

Montag, 2. Dezember

Rührung

»Wieso lebt einer mit vierzig Jahren noch bei Mama und Papa? Kann mir das einer von euch erklären?« Gerrit klopfte mit seinem Teelöffel auf die Tischkante.

Lothar Uphoff und Habbo Janssen schauten ihn erstaunt an und rührten in ihren Teetassen.

In aller Ruhe trank Janssen seine Tasse aus. Dann antwortete er gutmütig: »Wenn er noch keine eigene Familie hat, warum soll er …«

»Ja ja«, unterbrach ihn Roolfs, »ich weiß, was du sagen willst. Warum soll er dann Geld für ein Haus ausgeben, in dem er einsam auf dem Stuhl sitzt und traurig aus dem Fenster guckt? Aber irgendwie ist das doch nicht ganz normal, oder? Was meinst du, Lothar?«

»Irgendwie komisch ist es schon«, räumte Uphoff ein.

»Aber so selten ist das doch gar nicht«, protestierte Habbo Janssen zaghaft. »Der Sohn meiner Schwester wohnt mit einunddreißig Jahren auch noch zu Hause, und in unserem Bekanntenkreis …«

»Habbo!«, unterbrach ihn Roolfs. »Das ist wie bei der Bausparkassenwerbung. ›Ich wohne oben bei Mutti.‹ Da kann ich nur sagen: ›Wie uncool‹!«

»Ich kenne den Werbespot auch«, erwiderte Habbo Janssen beleidigt. »Ich will dir mal was sagen: So uncool ist der Thomas in der Fernsehwerbung doch gar nicht. Der sieht noch sehr jugendlich aus, während sein ehemaliger Mitkonfirmand mit seinem Superhaus mindestens zehn Jahre älter wirkt, vor allem in so einem komischen Cordanzug.«

Genervt ging Kriminaldirektor Uphoff dazwischen: »Fakt ist: Tammo Tjarksen wurde in den frühen Morgenstunden erschossen und dann erhängt. Das hat die Obduktion klar ergeben. Die Gerichtsmedizin hat vorhin angerufen, der Bericht wird uns gleich gefaxt. Die genaue Uhrzeit haben wir nicht, aber es muss zwischen zwei und halb vier gewesen sein. Präziser geht es nicht. Niemand auf der Weihnachtsfeier weiß, mit wem Tjarksen nach Hause gefahren ist. Und bisher haben wir noch niemanden gefunden, der etwas von dem mitbekommen hat, was auf dem Weihnachtsmarkt passiert ist. Wir haben nichts Konkretes. Auch nicht gegen Klaus. Wir müssen uns in alle Richtungen vorarbeiten.«

»Trotzdem habe ich da so ein komisches Gefühl«, bemerkte Roolfs.

Uphoff überging den Einwurf. »Gerrit, ihr klappert heute die leitenden Angestellten von Tjarksen ab. Fangt in der Norder Filiale an. Da war ja auch die Adventsfeier. Und dann müssen die Anwohner des Marktplatzes befragt werden. Übrigens: Morgen fängt die neue Kollegin an. Seid ein bisschen nett zu ihr. Sie ist uns für ein halbes Jahr überstellt. Die Stelle von Hauptkommissarin Wessels wird nicht wieder besetzt, aber als Überbrückung macht die neue Kollegin ein paar Monate bei uns mit, und dann wird man etwas für sie finden.«

»Geht klar«, antwortete Roolfs.

»In Ordnung«, brummt Uphoff und räusperte sich. »So, Leute, ich muss wohl nicht sagen, dass dieser Fall so schnell und so sauber wie möglich geklärt werden sollte. Ich werde euch Oosterhuis vom Hals halten, aber dafür will ich Ergebnisse sehen. Es geht schließlich um das Fürstenhaus!«

»Und um eine schöne Adventszeit!«, ergänzte Janssen mit gutmütigem Lächeln.

»Und um das Weihnachtsgeschäft«, sagte Roolfs.

Klischee

Nadine Becker, die Geschäftsführerin von Tammo Tjarksens Norder Hauptgeschäft, residierte in ihrem Büro, das mit einer futuristischen Schreibtischlandschaft und nach Feng-Shui-Regeln platzierten Sitzmöbeln ausgestattet war. Für sich selbst hatte Tjarksen das ganze obere Stockwerk als Chefetage ausbauen lassen.

Vor drei Jahren hatte Nadine Becker ihr BWL-Studium abgebrochen und war wieder nach Norden gekommen. Ihr Vater hatte ihr damals eine Stelle bei Tammo Tjarksen besorgt. Inzwischen leitete sie das Norder Stammhaus von Tjarksens Ladenkette Koop in! mit zwölf Angestellten. Auch wenn sie ihr Studium nur bis vor die Diplom-Vorprüfung absolviert hatte, inszenierte sich Nadine gern als akademisch gebildete Managerin und erfolgreiche Geschäftsfrau.

Nadine Becker sah durchs Fenster, wie Gerrit Roolfs aus einem Auto stieg und auf das Geschäft zukam. Das Kommissariat hatte ihr vor einer Stunde telefonisch den Besuch von Hauptkommissar Gerrit Roolfs als »reine Routinesache« angekündigt, aber sie ließ sich nicht so leicht Sand in die Augen streuen. Wenn ein Hauptkommissar zu ihr kam, um über Tammo Tjarksen zu reden, dann musste er einen Verdacht haben. Aber wie viel konnte er wissen? Nadine beschloss, genau das in diesem Gespräch herauszufinden.

Als es an die Tür klopfte, griff sie sich schnell ein Handy aus der Schublade und rief »Herein«. Als Roolfs ins Zimmer trat, sprach sie in das Telefon: »Das müssen wir jetzt knallhart durchziehen, Herr de Boer. Das nützt nichts.«

Nadine Becker winkte Roolfs herablassend zum Zeichen, dass er sich setzen dürfe, und nahm ihr gespieltes Telefonat wieder auf: »Hören Sie, de Boer, ich lass mir von Ihnen nichts vormachen. Ich bin ein Profi. Bei mir können Sie mit solchen Ausreden nicht landen, verstehen wir uns?«

Roolfs fixierte sie mit seinem Blick. Nadine Becker drehte sich zur Seite und gab vor, ihrem fiktiven Gesprächspartner zuzuhören. »Ob ich so einverstanden bin?«, fragte sie schließlich wie zur Antwort. »Aber hallo. Ich sehe, wir verstehen uns. Wenn Sie nicht klarkommen, rufen Sie mich einfach an. Okay!« Sie legte das Handy beiseite und strahlte Gerrit Roolfs mit einem liebreizenden Lächeln an. »Und was kann ich für Sie tun, Herr Hauptkommissar?«

Gerrit Roolfs nahm Nadines Handy und betrachtete es einen Moment. Dann sagte er schlecht gelaunt: »Verraten Sie mir doch einfach, wer Tammo Tjarksen ermordet hat. Dann können Sie sich in Ruhe weiter mit Ihrem leeren Handy unterhalten.«

Schneemann-Lichterketten

»Chefin, die Schneemann-Lichterketten sind gerade gekommen. Wo soll ich die hintun?« Eine junge, dicke Frau in Jeanshemd und Leggins stand plötzlich in der Tür.

»Jacqueline, ich möchte, dass du anklopfst, bevor du hier reinkommst«, sagte Nadine Becker überbetont freundlich. »Verstehen wir uns?«

»Schon klar, und was iss nu’ mit die Schneemänner?«, fragte die Angestellte mürrisch.

»Gleich in die Regale damit. Morgen läuft die Sonderaktion, und da sind die Lichterketten mit dabei. So, und jetzt will ich nicht mehr gestört werden. Einen kurzen Moment müsst ihr auch mal alleine klarkommen!«

Den letzten Satz sagte sie mehr zu Roolfs hin, dessen schlechte Laune sich dadurch noch steigerte und der sie gleich belehrte: »Ob unser Gespräch wirklich nur einen ›kurzen Moment‹ dauert, das hängt davon ab, welche Informationen Sie mir liefern.«

Das maulige Gesicht der Angestellten in der Tür verzog sich zu einem breiten Grinsen. Erst als Nadine sie böse anfunkelte, verließ sie das Büro.

»Frau Becker, Sie haben eng mit Herrn Tjarksen zusammengearbeitet. Hatte er Feinde?«, fragte Roolfs.

»Ja.« Die Geschäftsführerin sah ihn herausfordernd an. »Wer Erfolg hat, macht sich Feinde. Und manchmal muss man sich auch Feinde machen, um Erfolg zu haben.« Nadine Becker schlug die Beine übereinander, die in ihrem knappen, dunkelgrauen Kostüm gut zur Geltung kamen. Sie rollte mit ihrem Schreibtischstuhl ein wenig zurück, offenbar, damit Roolfs sie gut im Blick hatte.

Roolfs warf einen übertrieben bewundernden Blick auf ihre Beine und bemerkte trocken: »Manchmal führen auch andere Wege zum Erfolg. Sie sind erst sechsundzwanzig und leiten die Norder Traditionsfiliale.«

»Was erlauben Sie sich?« Nadine rollte ganz an ihren Schreibtisch und richtete sich angriffslustig auf. Roolfs merkte, dass er mit dieser Anspielung zu weit gegangen war, aber er musste sie aus der Reserve locken, um etwas zu erfahren. Und inzwischen spürte er, dass sie etwas verbarg.

»Ich muss Ihre Fragen überhaupt nicht beantworten«, sagte sie mit schlecht gespielter Selbstsicherheit. »Ich rufe am besten den Anwalt unserer Firma an.«

»Tun Sie das bitte sofort, wenn Sie Ihrer Meinung nach zu den Verdächtigen gehören«, erwiderte Roolfs. »Ansonsten schlage ich vor, dass Sie meine Fragen beantworten, ohne hier Fisimatenten zu machen. Ich befrage Sie nur als Zeugin, nicht als Verdächtige.« Er wartete einen Moment. »Und? Wie sieht’s aus?«

Nadine Becker nickte. »In Ordnung. Ich arbeite hier seit etwa drei Jahren. Ich habe vor fünfeinhalb Jahren hier in Norden Abi gemacht und ein paar Semester Betriebswirtschaftslehre studiert. Aber das war nichts für mich. Zu viel Theorie-Kram, wenn Sie verstehen, was ich meine.«

Roolfs nickte wissend und dachte daran, dass er vor etwa zwanzig Jahren aus ähnlichen Gründen sein Jurastudium abgebrochen hatte.

»Mein Opa und Tammo Tjarksen sind alte Freunde. Und mit meinem Vater hat Tammo öfter geschäftlich zusammengearbeitet. Wenn Sie so wollen, habe ich den Job durch Beziehungen bekommen. Aber inzwischen habe ich mir meine Position selbst erarbeitet. Geschenkt bekommen habe ich nur die Chance, genutzt habe ich sie selber. Dafür habe ich hart gearbeitet.«

»Und wie wird es jetzt weitergehen mit dem Geschäft?«

»Renate und Klaus werden die Firma übernehmen und Wolfgang Hinrichsen zum Geschäftsführer machen. Alles andere wird weiterlaufen wie bisher. Davon gehe ich jedenfalls aus. Oder haben Sie etwas anderes gehört?« Nadine blickte Roolfs fragend an.

»Wie standen Sie zu Tammo Tjarksen?«

Er bemerkte, dass diese Frage sie verlegen machte. Sie schaute einen Moment zu lange auf ihre Hände, die sie betont ruhig auf eine Mappe auf der Schreibtischplatte gelegt hatte.

Dann schaute sie Roolfs an und beschloss offenbar, zumindest einen Teil der Wahrheit zu sagen. »Da lief nicht wirklich etwas. Tammo ist dreiundsiebzig … war dreiundsiebzig«, verbesserte sie sich und fuhr fort: »Ich bin fünfundzwanzig. Er war kein unattraktiver Mann, auch mit über Siebzig. Er war sportlich, kreativ, hatte Durchsetzungsvermögen und eine unerschöpfliche Energie. Er mochte mich ganz gern. Wir sind auch schon mal zusammen ausgegangen. Aber mehr als ein bisschen Flirten und Händchenhalten war da nicht. Höchstens mal ein Küsschen auf die Wange … allerhöchstens!«

»Und was lief auf der Adventsfeier?«, wollte Roolfs wissen.

Weihnachtsschnaps

»Das Übliche«, sagte Nadine gelangweilt. »Zuerst die großen Worte, dann das große Fressen und am Ende das große Besäufnis.«

Gerrit Roolfs sah sie fragend an, und sie erklärte: »Zuerst hält Tammo Tjarksen immer seine Dankesrede, dass die ganze Firma wie eine Familie ist, eine große Familie, in der alle zusammenhalten und alle ihr Bestes geben. Und dann kommt das Festessen. Da lässt sich Tammo immer was einfallen. Diesmal gab es ein schwedisches Weihnachtsbüfett mit Weihnachtsschinken, Rentierfilet, Kartoffelklößen. Sogar Weihnachtsbrei war dabei. Kennen Sie das? Das ist ein Brei aus Milchreis mit einer Mandel …« Nadine sah ihn plötzlich mit großen Augen an.

»Und was geschah dann?«, fragte Roolfs.

»Dann kam das Besäufnis. Aber mit Stil, sage ich Ihnen. Skandinavischer Punsch, schwedisches Bier, Weihnachtsschnaps …«

»Weihnachtsschnaps?«

»Ja, herrlich süß. Schmeckt nach Bratapfel und Orange«, schwärmte Nadine. »Aber wenn man danach draußen an die kalte Luft kommt … hui!« Sie wedelte mit der rechten Hand und warf Roolfs einen bedeutungsvollen Blick zu.

»Wann ging Tammo Tjarksen nach Hause? War er betrunken? Ging er allein?«

»Irgendwann so zwischen zwei und halb drei. Er war total besoffen. Wie immer. Er liebte es, sich im Kreis seiner Angestellten zu besaufen.«

»Schließlich ist Ihre Firma ja eine harmonische Familie«, bemerkte Roolfs.

»Werden Sie doch nicht gleich zynisch. Man wird ja wohl noch ein bisschen feiern dürfen. Ich habe ein Taxi für ihn gerufen, und er ist dann nach draußen gegangen, um auf das Taxi zu warten. Das hat er jedes Jahr so gemacht. Seine Frau und Klausi sind ja schon eher gefahren, wie immer.«

»Und Sie?«, fragte Gerrit Roolfs.

»Ich? Was soll das denn? Ich habe doch gar kein Motiv! Ich bin als eine der Letzten gegangen. Dafür gibt es Zeugen. Warum sollte ich Tammo überhaupt so etwas antun?«

»Und wer würde Tammo Tjarksen Ihrer Meinung nach so etwas antun?«

»Ich sagte vorhin schon, dass er nicht nur Freunde hatte. Er hat mir mal etwas von Drohbriefen erzählt. Das muss aber schon ein paar Jahre her sein. Mehr weiß ich auch nicht. Tammo machte mal so eine Bemerkung, und als ich nachfragte, wich er aus.«

»In Ordnung.« Gerrit erhob sich. »Das wär’s. Für’s Erste jedenfalls. Ich werde mich noch mal melden. Schreiben Sie mir eine Liste von allen, die auf der Feier dabei gewesen sind, und schreiben Sie dazu, wann wer gegangen ist – ungefähr. Ach ja, und geben Sie mir noch die Nummer vom Taxi-Unternehmen.«

Als Roolfs das Büro verließ, stieß er mit der dicken Angestellten im Jeanshemd zusammen, die vor der Tür gestanden hatte.

»Oh, Tschulligung, Herr Kommissar«, sagte sie verlegen. »Ich muss da nur eben durch und die Lichterketten einsortieren. Wollen Sie auch eine?« Sie steckte ihm eine Lichterkette mit Schneemännern aus Kunststoff in die Manteltasche. »Schöne Weihnachten!«

956,63 ₽
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Возрастное ограничение:
18+
Дата выхода на Литрес:
25 мая 2021
Объем:
303 стр. 6 иллюстраций
ISBN:
9783839264485
Издатель:
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