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Читать книгу: «So sey es », страница 22

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IX

Es lag in Edmée’s ganzem Wesen, in dem Ausdrucke ihrer in unseren Lebensverhältnissen so ungewöhnlichen und daher für mich ganz neuen Liebe etwas Mysteriöses Verklärtes, so daß ich mich gleichsam dieser Erde entrückt fühlte. Und wenn ich von ihr getrennt war, schwand der Zauber nicht, die Erinnerung trat an die Stelle der Wirklichkeit, und ich lebte in einer Traumwelt, die noch poetischer war, als die hinter mir liegende Welt.

Ich verließ Edmée jedesmal mit dem sehnsüchtigsten Wunsche, sie wiederzusehen denn ich fürchtete immer, es sei nur ein Phantasiegebilde gewesen, das einst zerrinnen werde und an der Stelle, wo ich es zurückgelassen nicht wieder zu finden sei. Ich tröstete mich dann mit dem kindlichen Glauben an den Schutzengel, den der Schöpfer dem Menschen gegeben. Aber trotzdem war ich nicht ruhig; selbst ihr feierliches Versprechen vor unserem Abschiede erfüllte mich mit neuer Besorgniß.

So erwartete ich denn in Reuilly mit Sehnsucht die Aufforderung, mich nach Courfeuille zu begeben.

Am Morgen nach meiner Rückkehr kam der Ortspfarrer, um Alfred für seine Verwendung zu danken und ihm sein nur aus hundertzwanzig Einwohnern bestehendes Dörfchen zu empfehlen. Er schied sehr ungern von den guten Leuten, die er alle kannte und als seine Angehörigen betrachtete; auch die kleine Gemeinde sah ihn mit Bedauern fortziehen, man wußte ja noch nicht, was für ein Mann sein Nachfolger sein werde.

Mir war die Ernennung des Herrn Claudin – so hieß der Pfarrer – zum Nachfolger Morins sehr angenehm; an die Stelle des Feindes kam ja ein Freund, und nöthigenfalls ein Tröster.

Er wollte morgen fortziehen, denn er hatte die Nachricht erhalten, daß das Pfarrhaus den folgenden Tag geräumt sein werde. Alfred aber bat ihn zu meinem Erstaunen, seine Abreise noch einen Tag aufzuschieben.

Der Pfarrer willigte ein; er konnte noch einen Tag länger in seiner lieben Gemeinde bleiben.

Als Herr Claudin fort war, fragte ich Alfred, warum er dessen Abreise um vierundzwanzig Stunden verzögert.

»Lieber Freund,« antwortete Alfred, »es ist ein Staatsgeheimniß, das ein Präfect nicht verrathen darf.«

Ich beugte mich in Demuth.

Als wir den andern Morgen beim Frühstücke saßen, kam Gratian und brachte mir einen Brief von Edmée, der nur das Eine Wort enthielt: »Komm!«

Alfred erkannte den Boten und lächelte.

»Auf Wiedersehen!« sagte er und reichte mir die Hand.

Dann schellte er und rief dem eintretenden Diener die inhaltschweren Worte zu:

»Georges und der Tilbury!«

»Warum denn Georges und der Tilbury?« fragte ich lachend.

»Weil ich Monsieur Gratian hier behalte,« sagte er, »er müßte Dir denn ganz unentbehrlich sein.«

»O nein, ich brauche ihn nicht.«

»Dann machen Sie mir das Vergnügen, Monsieur Gratian, in mein Cabinet zu treten,» sagte Alfred.

Er ließ den Tischler vorangehen, als ob er mit einem Minister zu thun gehabt hätte, folgte ihm und verschloß die Thür.

Ich war an Alfreds Sonderbarkeiten gewöhnt und kümmerte mich daher nicht im Mindesten um das angebliche Staatsgeheimniß in welches er vermuthlich Gratian einweihen wollte. Ich eilte auf die Freitreppe.

Alfreds Befehl war pünktlich vollzogen worden, wie die Befehle der Prinzen in den Feenmärchen, Georges und der Tilbury waren schon bereit.

Als ich eben die Zügel ergreifen wollte, rief mir Alfred zu:

»Du weißt, daß Du nöthigenfalls deine zwölf Meilen in vier Stunden ohne anzuhalten machen kannst.»

»Ich danke Dir,« antwortete ich und fuhr ab.

Ich hatte wirklich den besten Traber aus Alfreds Stalle; in fünf Viertelstunden waren wir in Bernay. Dort ließ ich das Pferd eine halbe Stunde ausruhen, denn Villiers war noch sieben Meilen entfernt. Während ich vor der Thür wartete, hielt ein Fuhrmann, der einen Wagen mit Hausgeräth führte, vor dem Gasthause an, fragte nach dem Pfarrhause.

Diese Frage erregte meine Aufmerksamkeit. Ich warf einen flüchtigen Blick auf den Wagen und sah eine einfache, aber neue Hauseinrichtung.

»Diese Hausgeräthe gehören wohl Herrn Claudin?« fragte ich den Fuhrmann.

»Wenigstens sind sie für ihn bestimmt,« antwortete dieser mit der pfiffigen Miene eines normännischen Bauern, der nicht viel sagen will.

Ich errieth nun, warum Alfred den Pfarrer ersucht hatte, seine Abreise noch einen Tag aufzuschieben, er dachte, die ärmliche Einrichtung Claudins sei nicht hinreichend für die neue Wohnung, und der würdige Geistliche sollte diese völlig eingerichtet finden.

Dies war das Staatsgeheimniß das er mir nicht hatte verrathen wollen.

Alfred gab dadurch einen Beweis von großem Zartgefühle; ich konnte immerhin in die Lage kommen, auf Claudin’s Nachsicht zählen zu müssen, und er ließ mich an seinem guten Werke nicht theilnehmen, um dem Pfarrer keine Verlegenheit zu bereiten.

Der Fuhrmann trieb seine Pferde wieder an, als er die nöthige Auskunft erhalten hatte.

Die halbe Stunde war verflossen, ich bestieg wieder den Tilbury.

Gegen zwei Uhr war ich in Villiers.

Ich nahm Abschied von Georges, dem ich die Wartung des Pferdes dringend empfahl, und begab mich an den Strand.

Mein Handel war bald abgeschlossen Der Wind war günstig. Ein Schiffer verpflichtete sich, mich für einen Louisd’or in einer Barke nach Courfeuille zu führen. Man sah den Ort am Horizont in dem weiten Golf, den die normännische Küste zwischen Honfleur und Cherboury bildet.

Die Vorbereitungen waren bald gemacht; das Segel wurde aufgespannt und wir stießen vom Ufer ab.

Je weiter wir in nordwestlicher Richtung segelten, desto deutlicher trat die Küste, welche anfangs nur wie ein bläulicher Nebelstreif erschienen war, mit anfangs kaum, bemerkbaren, aber immer größer werdenden weißen Punkten hervor. Endlich erkannte ich das Dorf Courfeuille mit dem Gasthause der Mama Gervais. Vor dem Gasthause lagen die Barken auf dem Strande und erwarteten die Flut, um wieder flott zu werden. – An einem Fenster- bemerkte ich eine mit dem Tuche winkende weibliche Gestalt.

Es war Edmée. Sie hatte die Barke längst gesehen.

Als ich dem Ufer bis auf etwa hundert Schritte näher gekommen war, verschwand sie vom Fenster, kam gleich darauf aus der Thür und eilte mir so weit entgegen, wie es die bereits im Steigen begriffene Flut gestattete. Ich machte mit Hilfe eines Ruders einen zehn Schritte weiten Sprung und stand vor ihr.

Wir sanken einander in die Arme. Die anwesenden Fischer fragten nicht, ob wir Geschwister oder Gatten wären; sie sahen, daß wir uns liebten – wie wir uns noch lieben und immer lieben werden.

Unvergeßlich sind mir jene Abende, welche wir am Fenster zubrachten Schweigend saßen wir dann Hand in Hand und betrachteten das im Feuer der untergehenden Sonne erglühende Meer und die nach und nach sichtbar werdenden Sterne. Und zugleich mit den Sternen begann der Leuchtthurm von Haare in der Ferne zu schimmern, um mit ihnen zugleich in der Morgendämmerung zu erlöschen.

Aber trotz unseres unendlichen Glückes konnten wir uns einer gewissen ahnungsvollen Bangigkeit nicht erwehren. Edmée schien zuweilen einen düstern Schleier vor ihren Augen wegziehen zu wollen.

Dann fragte ich sie: »Was fehlt Dir?«

»Nichts,« antwortete sie; »ich bin zu glücklich, und ich fürchte, daß das Glück selbst eifersüchtig auf mich werde.«

Manchmal wurde ich durch einen halb unterdrückten Klageton geweckt. Ich richtete mich dann auf und sah die schlummernde Edmée an. Die Bangigkeit, das drückende Gefühl verließ sie auch im Schlafe nicht; ihre Brust hob sich schwer, bis endlich Thränen zwischen ihren geschlossenen Augenlidern hervordrangen. Ein paar Mal weckte ich sie und fragte nach der Ursache ihrer Thränen; aber jedes Mal antwortete sie mir, daß sie sich nach dem Erwachen nie eines beängstigenden Traumes erinnere.

Ich bestürmte sie nun nicht weiter mit Fragen; aber ich war überzeugt, daß diese Unruhe und Bangigkeit die Vorahnung einer sie bedrohenden Gefahr sei. Ich beschloß daher, die erste sich darbietende Gelegenheit zu benutzen, um sie aus dem natürlichen in den magnetischen Schlaf zubringen, und sie dann zu befragen.

Es fand sich bald eine Gelegenheit dazu. In der Nacht vom 12. zum 13. October wurde ich durch ihr Schluchzen geweckt. Sie schluchzte so laut, daß ich anfangs glaubte, sie sei erwacht; aber ich irrte mich, sie schlief.

Ich faßte ihre Hand und setzte mich in magnetische Verbindung mit ihr.

Kaum waren ihre Hände in den meinigen, so fühlte ich sie zucken, aber ihre Augen blieben geschlossen. – Bald gab sie Zeichen des magnetischen Schlafes: ihre Unruhe hörte auf, ihr Gesicht wurde wieder heiter, ihre Thränen hörten auf zu fließen.

»Schläfst Du, mein Kind?« fragte ich.

»Ja,« antwortete sie leise.

Ich war unschlüssig; ich selbst war unruhig geworden.

»Was fehlt Dir denn?« fragte sie mich, warum schläferst Du mich ein, ohne daß ich es verlangt habe?«

»Weil ich wissen will, welche Gefahr Dich bedroht und beunruhigt.

Edmée versuchte mir ihre Hände zu entziehen, aber ich hielt sie fest.

»O mein Gott!« sagte sie, sich sträubend.

»Sprich!« sagte ich; »ist denn das Geheimniß so furchtbar, daß Du es mir nicht mittheilen magst?«

»Ja wohl,« antwortete sie. »Wecke mich, Max!«

»Nein, ich will wissen, was Du fürchtest. Sprich, ich will es!«

»Du weißt, daß ich mich nach dem Erwachen nicht erinnere, was ich gesprochen; sage mirs nicht. Wenn wir nur noch einige Tage bei einander sein können, so wollen wir sie wenigstens glücklich verleben.«

»Was sagst Du da, Edmée?« fragte ich schaudernd.

»Warte nur, laß mich zählen. – Ich zähle bis zum 7. November,« setzte sie nach einer Pause hinzu; »weiter kann ich nicht zählen.«

»Wie! nicht weiter?«

»Nein.«

»Kannst Du denn nicht weiter sehen?«

»Nein.«

»Warum nicht?«

»Weil es Nacht ist.«

»Aber Du kannst doch in der Nacht sehen . . .«

»Ja, in der Nacht des Lebens, aber nicht in der Nacht des Todes.«

»Was sagst Du da, Edmée Sprich, ich will es!«

»Du willst es?«

»Ja,« antwortete ich in athemloser Spannung.

»O!« seufzte sie nach einer Pause; »ich sehe eine weibliche Gestalt in meinem Zimmer, auf meinem Bette liegen. Sie schläft nicht . . . sie ist todt! . . . Man begräbt sie . . . man nagelt ihren Sarg zu . . . man senkt sie in eine Gruft – in meine Gruft! . . . Armer Max, wie wirst Du leiden!«

»Aber wann wird es geschehen? Ich will den Tag,die Stunde wissen.«

»Am Morgen des 8. November, zwischen sieben und acht Uhr. Mein letzter Hauch, mein letzter Gedanke wird Dir gewidmet sein, mein geliebter Max!«

Sie hatte sich bei den letzten Worten aufgerichtet und sank regungslos nieder auf ihr Kissen zurück. – Sie war ohnmächtig.

Ich sprang ans dem Bette. Ich war leichenblaß ein Bild des Schreckens. Ich sah mich im Spiegel und wich entsetzt zurück.

Ich riß das Fenster auf und trug die Ohnmächtige in einen Lehnstuhl, um sie der frischen Nachtluft auszusetzen.

Sie war blaß und regungslos; in ihrem langen weißen Nachtgewande glich sie einer Todten.

Ich spritzte ihr Wasser ins Gesicht . . . ich glaubte den Verstand zu verlieren. Endlich schlug sie die Augen auf und lächelte mich an.

»Edmée! Edmée!« rief ich, auf die Knie fallend.

»Nun, was gibts denn?« fragte sie.

»Du hast . . . oder vielmehr ich habe einen schauerlichen Traum gehabt,« antwortete ich. »Aber zum Glück ist nur ein Traum.«

Ich war zu tief erschüttert; ich warf mich aufs Bett und weinte wie ein Kind.

X

Sie können sich vorstellen , lieber Freund , was für ein Leben ich von jenem Tage an führte. Ich mußte heiter und ruhig scheinen , mich glücklich preisen und gleichwohl das Gespenst des Todes vor Augen haben.

Von Zeit zu Zeit fürchtete ich wahnsinnig zu werden. Ich wollte mit Edmée in die weite Welt gehen, um sie in einer Einöde vor der drohenden Gefahr zu schützen. Ein paar Mal versuchte ich das Gespräch auf die Gefahr zu lenken, deren dunkle Vorahnung sie beunruhigte. Aber sie antwortete dann:

»Sind wir denn nicht glücklich, lieber Max?«

»O ja, überglücklich,« erwiederte ich.

»Du hast Recht, Max.« sagte sie seufzend, »ein solches Glück ist nicht von dieser Welt.«

So vergingen zwei Wochen.

Ich hörte viel von den Wundern der heiligen Jungfrau von La Délivrande. Wie viele Schiffe hatte sie vom Untergange gerettet! Wie viele Schiffbrüchige waren von ihr an das rettende Ufer getragen worden! Wie viele Kinder waren ihren Müttern, wie viele Mütter ihren Kindern erhalten worden!

Eines Morgens ging ich, als kaum der Tag graute, an die Küste und kühlte meine heiße Stirne in dem von England herüberwehenden kalten Nordwinde. Auf dieser ziellosen Wanderung hörte ich einen Fischer erzählen, die wunderthätige Schutzheilige habe sein Kind von einer tödtlichen Krankheit gerettet.

Ich trat auf ihn zu, faßte seine Hände und ließ mir die Geschichte noch einmal erzählen; dann eilte ich auf der nach Caen führenden Straße fort. Ich lief wohl eine halbe Stunde, ohne zu rasten – endlich erreichte ich die Kirche und sank zu den Füßen des wunderthätigen Bildes nieder.

Was ich zu der Helferin sprach, habe ich vergessen, ich weiß nur noch, daß ich viele Thränen dabei vergoß.

Plötzlich fiel mir ein , daß Edmée erwacht sei und mich suche; ich verließ daher die Kirche und kehrte eben so schnell, wie ich nach Délivrande gekommen war, nach Courfeuille zurück.

Ich war mit Staub bedeckt; meine Stirn triefte von Schweiß. Auf der Treppe stand ich eine Weile still, um den Staub abzuschütteln und meine Stirne zu trocknen. Dann lauschte ich auf dem Gange. Edmée hatte meine Fußtritte erkannt.

«»Komm doch herein!« rief sie mir zu.

Ich gehorchte. Sie erschrak, als sie mich sah.

»Was fehlt Dir denn? was ist geschehen?« fragte sie.

»Mir? Nichts,« antwortete ich mit erzwungenem Lächeln.

Dieses Lächeln war so weit von meinem Herzen entfernt, daß Edmée immer ängstlicher wurde.

Sie sank in meine Arme.

»Wo bist Du gewesen?« fragte sie; dein Herz pocht, dein ganzer Körper zittert.«

Ich sah wohl, daß ich nicht ausweichen konnte.

»Zu La Délivrande,« antwortete ich.

»Was hast Du dort gemacht?«

»Du weißt ja, daß es ein bekannter Wallfahrtsort ist; ich habe die heilige Jungfrau gebeten, über unser Glück zu wachen. Wir fürchten ja, daß es nicht von langer Dauer sein werde, weil es zu groß ist.«

»Warum hast Du mir das nicht gesagt, lieber Max? Warum hast Du mich nicht erwartet? Wir hätten dort zusammen sein können; Du weißt ja, daß mir mein Gewissen nichts vorwirft und daß ich mit Dir gemeinschaftlich beten kann.«

»Wir können ja zusammen hingehen,« sagte ich, in einen Lehnstuhl sinkend.

»Wann Du willst. – »Was schaust Du?« fragte sie.

Als sie meine Schritte gehört und erkannt hatte, war sie mit ihrem Anzuge beschäftigt gewesen; ich betrachtete ihr anfgelöstes Haar.

Ich faßte das wunderschöne, fast bis zur Erde herabrollende Haar und küßte es.

Edmée aber trat zurück und sah mich erstaunt an.

Du hast ein Geheimniß,« sagte sie; »Du willst deinen Schmerz allein tragen. Das ist nicht schön von Dir.«

Ich mußte mich bezwingen, um nicht in Thränen auszubrechen.

In diesem Augenblicke wurde leise an die Thür geklopft.

»Wer ist da?« fragte Edmée.

»Ich bins, mein Herzchen.«

»Es ist Josephine,« sagte sie, mir zuwinkend. – »Was willst Du? fragte sie ihre alte Amme, ohne sie einzulassen.

»Gratian ist da; er bringt einen Brief.«

»Von wem?«

»Von dem Herrn Grafen.«

Edmée wandte sich zu mir.

»Du siehst,« sagte ich, »daß ich auch meine Ahnungen habe.«

Sie zog einen Schlafrock an und öffnete die Thür.

»Laß Gratian heraufkommen,« sagte sie.

Einige Secunden nachher erschien Gratian in der Thür. – Er hatte einen Brief in der Hand.

»Verzeihen Sie, Frau Gräfin sagte er; »dieser Brief kam gestern um vier Uhr Nachmittags an; Zoe erkannte die Handschrift des Herrn Grafen und sagte zu mir: Gratian, Du mußt Dich auf den Weg machen und der Gräfin diesen Brief bringen.«

»Und Du bist zu Fuß gekommen, armer Gratian?« sagte die Gräfin indem sie den Brief nahm.

»Ja, Madame, von Caen hierher; aber da die-Poststunde noch nicht vorüber war, so bin ich von Bernay nach Caen auf dem Eilwagen gefahren.«

»Guter, braver Freund!« erwiederte die Gräfin und reichte ihm die Hand. – »Wir wollen sehen, was dieser Brief enthält.«

Gratian verließ das Zimmer; die neugierige Josephine mußte durch einen Wink entfernt werden.

Als die Thür geschlossen war, kam Edmée auf mich zu und reichte mir den Brief.

»Lies,« sagte sie.

»Gott bewahre,«– erwiederte ich; »ein Papier, welches dieser Mann in der Hand gehabt, rühre ich nicht an.

Sie lächelte.

»Du hassest ihn,« sagte sie; »ich verzeihe ihm. Seine Laster sind ja die Quelle unseres Glückes.«

Sie erbrach den Brief und las:

»Madame, ich werde am 2. November in Bernay eintreffen; ich hoffe, daß Sie die kleinen Zerwürfnisse, die vor meiner Abreise stattgefunden, vergessen haben. Meine Anwesenheit in Bernay wird übrigens weder von langer Dauer noch lästig sein; ich will nicht als Herr vom Hause meinen Platz einnehmen, sondern mich auf acht Tage bei Ihnen zu Gaste bitten.

»Graf von Chambray.«

Ich kannte meine Angst kaum verbergen, während Edmée diesen Brief vorlas.

»Nun, lieber Max,« sagte sie sehr ruhig, »was ist denn in diesem Brief, das Dich so ergreift?«

»Acht Tage! Siehst Du denn nicht, Edmée, daß er acht Tage bleiben will?«

»Hast Du denn geglaubt, lieber Max, er werde gar nicht wiederkommen?«

»Nein . . . aber gerade diese acht Tage . . .«

»Ich verstehe Dich nicht.«

»Vom 2. bis zum 10. November! Gerade die acht Tage; die ich um keinen Preis der Welt hätte fern von Dir sein mögen.«

»Lieber Max, diese acht Tage werden allerdings langsamer vergehen, als die Zeit, welche wir zusammen verleben; aber sie werden vergehen, und dann sind wir wieder frei und glücklich.»

Ich sank ihr zu Füßen, legte meinen Kopf auf ihre Knie und ließ meinen Thränen freien Lauf.

»Kind,« sagte sie, eine Hand auf meinen Kopf legend, »hast Du denn diese Rückkehr nicht vorausgesehen?«

»O, ich will nichts voraussehen!« rief ich.

»Soll ich Dir die Sache erklären?«

»Sprich; es wird mir ein Trost sein, deine Stimme zu hören.«

»Es ist ganz natürlich. Die Badesaison wird am 1. November geschlossen. Er war nach Homburg gegangen, um zu spielen. Ob er gewonnen oder verloren hat, ist mir ziemlich gleichgültig; hat er gewannen, so kommt er nach Bernay, um zu spielen; hat er verloren, so will er Geld auftreiben, natürlich um sein Glück wieder im Spiel zu versuchen. Er wird also den Winter in Paris zubringen. – Wann solltest Du ihm die zweite Zahlung für das Gut leisten?«

Drei Monate nach der ersten. Aber auf den Tag kommt es nicht an; er gehe nur zu meinem Notar, der ihm jeden beliebigen Betrag auszahlen wird – wenn er nur Bernay verläßt.«

»Aber was sind denn acht Tage?«

»Nichts, ich weiß es wohl; aber gerade diese acht Tage . . .«

»Was haben denn diese acht Tage so Absonderliches?«

»Nichts; ich bin von Sinnen und . . . Thränen werden mich beruhigen.«

»Theuerster Max, ich sage Dir mit Ugo Foseolo: Gott gebe, daß Du nie das Bedürfniß der Einsamkeit,der Thränen und zumal einer Kirche fühlest.«

XI

Diesen Brief erhielten wir am 31. October; wir konnten also noch vierundzwanzig Stunden in Courfeuille bleiben.

Um so spät wie möglich zu scheiden, verabredeten wir, den andern Tag in einem Miethwagen abzureisen und die Zeit so zu berechnen, daß wir um sechs oder sieben Uhr Abends, also in der Dunkelheit, zu Caen eintreffen wurden. Unweit Caen sollte ich absteigen und Edmée ihre Reise nach Bernay fortsetzen, ich aber mit der Post nach Evreux fahren.

Den folgenden Tag reisten wir gegen drei Uhr ab. Ich nahm wehmüthigen Abschied von dem ärmlichen Wirthshauszimmer wie von einem lieben, trauten Freunde,– Wie schnell waren die anderthalb Monate vergangen die wir hier zugebracht!

Drei Viertelstunden nach unserer Abreise kamen wir nach La Délivrande. Ich ließ den Wagen vor der Kirche halten. Wir Beide stiegen aus. Während Edmée ihre Andacht verrichtete, gab ich dem Meßner zwei Louisd’or mit dem Auftrage, den ganzen November täglich zwei Wachskerzen anzuzünden.

Lachen Sie immerhin über meine Einfalt, lieber Poet; aber wenn Sie je von der Seelenangst, die ich empfunden, gemartert werden, so werden Sie vielleicht noch abergläubiger sein als ich.

Wir setzten unseren Weg fort. Gratian, der dieses Mal unser Kutscher war, saß mit der alten Josephine auf dem Bock; Edmée schmiegte sich auf dem Rücksitz an meine Schulter.

Die Trennung von ihr war einer der schmerzvollsten Momente meines Lebens. Versetzen Sie sich, Freund, in die Lage eines Mannes, der gezwungen ist, den Gegenstand seiner Liebe einer furchtbaren, wenn auch unbekannten Gefahr preiszugeben; der scheinbar ruhig bleiben muß, wenn er die Geliebte in seine Arme schließt und dabei denkt: Es ist vielleicht das letzte Mal, daß diese Hand in der meinigen ruht – dieser Scheidekuß ist vielleicht der letztes!

Und da schied ich von ihr! – Ich blieb freilich wie vernichtet stehen – ich vermochte mich nicht aufrecht zuhalten und wankte auf einen Baum zu, um mich zu halten. Als der Wagen in der Dunkelheit verschwunden war, sank ich kraftlos in das Gras.

Gleich darauf hörte ich meinen Namen nennen. Ich richtete mich auf – Gratian stand vor mir.

Edmée hatte gesehen, daß ich mich an den Baum lehnte und Gratian zurückgeschickt, um zu erfahren, ob mir etwa ein Unfall zugestoßen sei.

»Kann ich sie noch einmal sehen?« fragte ich.

»Ja wohl,« antwortete er; »sie nimmt im Hotel d’Angleterre einen anderen Wagen und frische Pferde.«

»Dann sagte ich; »ich muß sie noch einmal sehen – wenn auch nur einen Augenblick.«

Ich eilte auf die Stadt zu. Gratian konnte mir kaum folgen. Zum Glücke war es Nacht; man hätte mich sonst für einen dem Narrenhause entsprungenen Wahnsinnigen gehalten.

Ich trat in den Hof des Hotels.

Der Wagen, in welchem wir gesessen, war ausgespannt und eine Art Cabriolet mit frischen Pferden bespannt. – Die alte Josephine saß auf dem Reisegepäck.

»Wer ist sie?« fragte ich.

Josephine erschrak über meine Hast und über die Blässe meines Gesichtes.

»Mein Gott! was ist denn geschehen?« fragte sie, die Hände faltend.

»Nichts, gar nichts,« antwortete ich; »aber wo ist sie?«

»Im ersten Stocke, Thür Nr. 3.«

Ich eilte in zwei Sprüngen die Treppe hinan. Durch eine halb offene Thüre sah ich Edmée, die an einem Tische saß und schrieb.

»Ich bin’s!« rief ich ihr von draußen zu, um sie durch mein plötzliches Erscheinen nicht zu erschrecken.

Sie kam mit offenen Armen auf mich zu.

»Ich ahnte deine Nähe,« sagte sie. »und ich hatte schon aufgehört zu schreiben – Armer Narr,« fügte sie hinzu und wischte mir die Stirne ab, »glaubst Du denn, ich hätte Dich nicht gesehen, wie Du Dich an den Baum lehntest und zu Boden fielest?«

»Wie konntest Du mich denn sehen? Der Wagen war ja in der Dunkelheit und hinter dem Abhange verschwunden?«

»Ich sah Dich mit den Augen meines Herzens, mein geliebter Max.«

»Es ist also wirklich wahr, daß Du sehen kannst, was anderen Augen verborgen ist?« sagte ich. »O mein Gott!«

Es lag ein so verzweifelter Ausdruck in meinen Worten, daß Edmée mir um den Hals fiel und sich an mich schmiegte wie ein Kind an die Mutter.

»Höre,« sagte sie, »seit einiger Zeit erkenne ich Dich nicht mehr. Du hast einen Schmerz, den Du mir verbirgst.«

»Nein! Nein!«rief ich.

»Höre mich ruhig an, Max.

Du weißt, ich bin ganz dein. Was willst Du von mir? Befiehl, ich werde gehorchen.«

Einen Augenblick war ich im Begriffe ihr zu antworten: Ich will Dich davontragen und dem Tode streitig machen. Aber ich bedachte die Folgen des Verschwinden seiner Frau von dem Stande der Gräfin.

»Nichts,« antwortete ich, alle meine Kräfte aufbietend. »Ich wollte Dich noch einmal sehen, Dir noch einmal Lebewohl sagen. – Wenn deine Sehergabe Dir etwas enthüllen, wenn Du eine Gefahr ahnen solltest, so rufe mich . . . um des Himmels willen, rufe mich! . . . Einstweilen nehme ich diesen Brief . . .«

Ich streckte die Hand nach dem angefangenen Briefe aus.

»Warum denn? Du bist ja da.«

»Nein, Alles was von Dir kommt, ist mir kostbar.«

»In der Scheidestunde kann man nicht genug Erinnerungszeichen austauschen.

Ich nahm den Brief, dessen erste Seite bereits beschrieben war, drückte ihn zusammen, küßte ihn und legte ihn auf mein Herz.

»Später, wenn ich fern von Dir bin, werde ich ihn lesen, sagte ich.

»Und Du wirst darin dasselbe lesen, was ich Dir sage, wenn Du da bist: »Ich liebe Dich und werde Dich ewig lieben.«

Ich hörte Schritte auf der Treppe. Gratian erschien.

Der Wagen ist bereit,« sagte er.

»Kann ich in diesem Zimmer bleiben, nachdem Du es verlassen hast?« fragte ich Edmée; »ich glaube dann noch bei Dir zu sein.«

»Und ich glaubte ihn noch inniger zu lieben, als er mich liebt!« sagte sie mit zauberischem Lächeln. »Max, ich erkläre mich überwunden. Bist Du zufrieden?«

O ja, ohne die an meinem Herzen nagende Schlange wäre ich zufrieden gewesen, hätte ich mich für den Herrn der Schöpfung gehalten.

»Ich habe nicht den Muth, mich von Dir zu trennen.

Trotz der Anwesenheit des Grafen werde ich wenigstens den 8. November in deiner Nähe sein. Ich will mich bei Gratian verstecken.«

»So komme den 7. Abends; ich werde Dich auf jeden Fall sprechen.«

»Du versprichst es mir, nicht wahr?«

»Von Herzen gern.«

»So geh. Ich tröste mich mit dem Gedanken, Dich noch einmal wiederzusehen.«

»Lieber Max,« sagte sie, mich besorgt ansehend, »Du weißt etwas, was Du mir nicht sagen willst. – Doch wir sind unserer Liebe gewiß, alles Uebrige ist in Gottes Hand.«

Sie küßte mich auf die Stirne und ging.

Ich blieb allein und lauschte auf ihre sich entfernenden Schritte, auf das immer schwächer werdende Rauschen ihres seidenen Kleides. Ich saß auf demselben Stuhle, wo sie soeben von mir Abschied genommen; ich schloß die Augen und sah sie im Geiste noch bei mir.

Der Moment der Abreise wäre zu herzzerreißend für mich gewesen, wenn ich ihr gefolgt wäre, und wer weiß, ob ich den Pferden nicht in die Zügel gefallen wäre. Ich blieb also an der Stelle, wo sie mich verlassen hatte.

Der Wagen rollte fort. Ich hatte dreimal Abschied von Edmée genommen: zuerst auf der Landstraße, dann in diesem Zimmer, und endlich als das Getöse des abfahrenden Wagens in der Ferne erlosch. Ich hatte die Trennung zu erleichtern geglaubt, und machte sie nur noch schmerzhafter.

Ich hatte geglaubt, in diesem Zimmer übernachten zu können; aber nach einer halben Stunde fühlte ich, daß es mir unmöglich war. Ich bedurfte der Bewegung und der freien Luft.

Ich sah ein« daß ich mich weiter von ihr entfernen müsse; so lange die Möglichkeit, sie vor dem bestimmten Tage wiederzusehen« vorhanden war, hätte ich nicht für mich bürgen können.

Der Graf von Chambray brauchte wahrscheinlich Geld, um wieder abzureisen; ich beschloß daher nach Paris zu reisen und meinen Notar zu beauftragen, ihm die nöthigen Summen auszuzahlen. Ich hatte, wie immer, meinen Paß bei mir. Ich begab mich zur Post, miethete ein Cabriolet und nahm Pferde.

Ich fuhr die ganze Nacht durch; die körperliche Ermüdung milderte den Seelenschmerz einigermaßen.

Vor dem Abgange des ersten Eisenbahnzuges war ich in Rouen; gegen Mittag kam ich in Paris an.

Auf einer Station glaubte ich in einem uns entgegenfahrenden Zuge den Grafen von Chambray zu erkennen. Ich wandte mich ab, denn ich hatte einen unbeschreiblichen Widerwillen gegen den Mann. Wenn er nur vor dem 8. November wieder abreiste! Wenn ich nur an diesem Unglückstage bei Edmée bleiben könnte!

Aber er hatte geschrieben, daß er acht Tage bleiben werde.

Ich eilte zu meinem Notar. Dieser hatte hunderttausend Francs zur Verfügung des Grafen von Chambray. Und mehr würde er wohl nicht brauchen.

Als ich diese Versicherung erhalten, hatte ich in Paris keine Geschäfte mehr. Ich machte einige Einkäufe, welche den Rest des Tages in Anspruch nahmen.

Wenn das Unglück, welches mich bedrohte, wirklich geschah und meinen Tod nicht zur Folge hatte, so mochte ich nicht in Frankreich bleiben.

Ich vermehrte meinen Waffenvorrath noch um zwei Flinten und eine Büchse, und ließ mir eine Reiseschatulle machen. Darüber verging der 3. November.

Abends ging ich in die Oper; aber ehe die Overture zu Ende war, verließ ich den Saal.

Ein Gedanke, der sich mir plötzlich aufdrängte, ließ mir keine Ruhe; ich wollte um jeden Preis einen der besten Pariser Aerzte mitnehmen. Aber was sollte ich zu ihm sagen? Die Person, für welche ich einen Rath einholen wollte, war voll Leben und Gesundheit. Womit sollte ich mein Ansuchen rechtfertigen?l Die Aerzte würden mich für einen Narren halten, wenn ich von magnetischen Enthüllungen spräche.

Ich sann hin und her. Die Nacht brachte mir keinen Schlaf. Am andern Morgen war ich aufs äußerste erschöpft; aber es war der 4. November.

Ich begab mich mit dem um eilf Uhr abgehenden Zuge wieder nach Rouen. Dort fand ich das Cabriolet wieder, welches ich in Caen gemiethet hatte. Ich ließ es mit Postpferden bespannen. Abends war ich in Reuilly.

Ich mußte mich schrecklich verändert haben, denn Alfred fragte mich theilnehmend:

»Bist Du krank?«

»Ich habe die Hölle im Herzen,« antwortete ich.

»Der Graf von Chambray ist seit dem 2. wieder in Bernay.«

»Ich weiß es; aber das kümmert mich wenig.«

»Was denn?«

»O, Du kannst nichts dazu thun.«

»Du irrst Dich, lieber Max. Ich kann deinen Schmerz theilen, wenn ich die Ursache kenne.«

Du hast Recht,« sagte ich, in seine Arme sinkend; »mein Herz wallt über. O lieber Freund!«

Ich erzählte ihm Alles. – Ich glaubte, der Zweifler werde über meinen Schmerz spotten; ich irrte mich, er widmete mir seine innigste Theilnahme.

»Du liebst sie also recht innig?« fragte er.

»Ich würde Dir antworten: mehr als mein Leben, wenn ich damit meine Gefühle ausdrücken könnte.«

»Hast Du etwas beschlossen?«

»Nein; was soll ich gegen eine unbekannte Gefahr beschließen?«

»Glaubst Du, daß diese Gefahr wirklich vorhanden sei?«

Lieber Freund« Edmée hat sich in ihren Visionen nie geirrt; ich kann an dieser Gefahr nicht zweifeln.«

»Dann mußt Du deine Vorkehrungen treffen.«

»Ich habe gethan, was ich konnte.«

Ich erzählte ihm alle meine Vorkehrungen, zeigte ihm meine Wechsel, meinen Paß.

»Warte – sagte Alfred, als er meinen Paß sah; »man muß auf Alles bedacht sein.«

»Wie so?« fragte ich.

Er schellte. Ein Diener erschien.

»Geh zu meinem Secretär und hole mir ein Paßformular!« Der Diener brachte das Formular.

»Setze Dich an den Tisch,« sagte Alfred zu mir, »und fülle den Paß aus.«

»Warum denn?«

»Du könntest vielleicht etwas hinzuzufügen haben; der Zusatz wäre dann von deiner Handschrift«

Ich gehorchte wie ein Kind, ohne zu wissen, wozu mir dies vielleicht nützen könne.

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Дата выхода на Литрес:
06 декабря 2019
Объем:
400 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

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