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Читать книгу: «Liebesdramen», страница 9

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Vierzehntes Capitel.
Worin gezeigt wird, daß man scheinbar verstehen kann, ohne sich verstanden zu haben

Louis von Fontanieu hatte Recht, die Erfahrung benutzen und sich in ehrerbietiger Entfernung von der gefährlichen Versucherin halten zu wollen. Er war allerdings mit den muthigen Vorsätzen eines Joseph gekommen; da er aber keinen Mantel in den Händen der Frau Potiphar zurückzulassen hatte, so konnte dieser ihm von dem Chevalier aufoktroyierte Besuch keineswegs das Resultat haben wie vormals die Leidenschaft der Egypterin für den Sohn Jacobs.

Ein Rückfall dient gemeiniglich zur Befestigung solcher von der Gesellschaft nicht anerkannter Bande. Ein Kaufmann läßt gern die angebotenen Stoffe betasten, gibt sogar unentgeltlich ein Muster; wenn matt aber zweimal in dass Tuch schneidet, so ist hundert gegen eins zu wetten, daß er‘s auf die Rechnung setzt.

Das ganze Bertrand’sche Haus, von dem Oberbefehlshaber bis zum Küchenjungen, von der »Traiteuse« bis zur Magd, stellte sich in Reihe und Glied auf, als Louis von Fontanieu zu Margarethe kam. Die Wände des Hauses waren dünn, die Schmerzensworte Margarethens waren hindurchgedrungen; seit dem frühen Morgen feierten sämmtliche Dienstleute, um die Frage zu erörtern, ob die schöne Dunenserin nicht in der Lage von Buridan’s Esel sei. Die Neugierigen sehnten sich also eben so sehr wie Margarethe nach der Lösung des Knotens. Sie folgten Louis auf dem Fuße, als er in Begleitung des alten Chevaliers ankam, aber noch zudringlicher waren sie, als er fortging. Waren die Wände daran Schuld? Oder geschah es, weil Margarethe ihm oben auf der Treppe nachrief: »Diesen Abend?« Die Geschichte schweigt über diesen Punkt; wir wissen nur, daß die Gesichter, welche der Glückliche beim Fortgehen sah, einer jener alten Lithographien, wo zehn neben einander abgebildete Köpfe das gleiche Gefühl mit verschiedenen Ausdrücken zu erkennen geben, als Muster hätten dienen können. Alle Gesichter lächelten; aber während das Lächeln Bertrand’s Verachtung ausdrückte, sah man dem Koch an, daß er neidisch war. Frau Bertrand hätte gern ihre Entrüstung zu erkennen gegeben, aber sie brachte es nur bis zum Aerger; das Kichern der Mägde gab Zeugniß von aufrichtigen Sympathien, und der Küchenjunge lachte ins Fäustchen.

Die Anwesenheit dieser Herren und Damen machte es dem jungen Secretär fast unmöglich zurückzutreten. In den ersten Tagen dachte er euch nicht daran. Vernunft, Grundsätze sind eine Frucht des reiferen Alters; die Männer gleichen den Bäumen, man muß sie alt werden lassen oder zustutzen, um schmackhafte Früchte von ihnen zu bekommen; die Früchte ihrer Jugend oder ihrer unbezähmten Kraft sind wild und herbe.

Louis von Fontanieu war eine Zeit lang wider Willen glücklich; es war freilich ein Rausch, der ihm aber Alles im rosigen Licht zeigte. Er vergaß Alles, sogar Emma.

Ader in nüchternen Momenten kam die Ueberlegung, und diese ist den erregten Leidenschaften immer gefährlich. Für Margarethe wurden diese Momente ruhiger Ueberlegung um so nachtheiliger, da Louis von Fontanieu mit der ihm eigenen Neigung zur Träumerei oft Vergleiche anstellte, die keineswegs zu ihrem Vortheil ausfielen.u Er hatte sich nach und nach in das Land der Chimären locken lassen und dasselbe nicht wieder verlassen. Wir haben gesehen, wie sehr diese träumerische Stimmung seine Willenskraft lähmte; in der gegenwärtigen Lage mußte sie nicht minder folgenreich werden. Sobald er Zeit und Muße zu ruhigerem, klarem Nachdenken fand, kehrte er zu seinem lieben Traume und zu seinem Ideal zurück.

Und war dieses Ideal, war die für ihn unerreichbare Emma nicht unvergleichlich schöner als Margarethe? Wie prosaisch, wie gemein erschien ihm die Wirklichkeit, wenn seine Phantasie die Schwingen regte und ihn weit über das niedere Treiben auf der Erde emportrug! Da er natürlich von den hehren Himmelsräumen wieder zur Erde herabsteigen, den Nektar gegen sauren Landwein vertauschen, die Sylphide verlassen und zu der armen Margarethe zurückkehren mußte, so wurde er zu Vergleichen getrieben, welche für Letztere sehr nachtheilig ausfielen. Welches Weib könnte auch wohl kämpfen gegen das Phantom, dessen Schöpfer der Liebesgott ist!

In der ersten Zeit wurde Louis von Fontanieu seiner neuen Geliebten nur selten im Geiste untreu; er gab sich alle Mühe, diese beunruhigenden Gedanken zu verbannen: er war ja, wie er meinte, von Emma auf immer getrennt. Aber nach und nach wurden die Krisen häufiger, bis diese Träumerei endlich chronisch wurde. Seine Unruhe, seine Sehnsucht wurde größer. Die Hindernisse, die ihn von Emma trennten, schienen ihm nicht mehr unüberwindlich. Margarethe, das Haupthinderniß, ward ihm verhaßte er verwünschte den Tag, wo er sie zum ersten Male gesehen; er verwünschte seine Schwäche, seinen Wankelmuth. Es erschienen nun einige Wollfäden unter den goldenen und seidenen, aus denen, wie Montglas behauptet, seine Tage durch die Hand des tändelnden Liebesgottes gewoben werden sollten. Louis von Fontanieu wurde traurig und mürrisch; er mied nicht nur seine Bekannten, sondern sogar den alten Chevalier; er suchte die Einsamkeit, um sich im Geiste ungestört mit seinem Ideal zu beschäftigen; seine Abende verlebte er größtentheils am Ufer der Loir. Er betrachtete oft stundenlang das über die Kiesel laufende, hier und da schäumende oder kleine Wasserfälle bildende Wassers er wurde nicht müde, auf das eintönige Säuseln des Windes im Espenlaube zu lauschen. Ob er aber bei diesen Träumereien wirklich Augen und Ohren hatte? Es ist wohl zu bezweifeln, denn oft standen die lustwandelnden Bürgersleut still und betrachteten kopfschüttelnd den Secretär des Herrn Unterpräfecten, ohne daß er es bemerkte.

Die dunensische Chronik behauptete, er sei etwas verrückt geworden. Vielleicht würde sie ihn nachsichtiger beurtheilt haben, wenn die Geisteskrankheit, von welcher Louis befallen war, nicht offenbare Beweise ihres ansteckenden Charakters gegeben hätte.

Margarethe Gelis war nicht mehr zu erkennen. Ihr Verstand war etwas kurzsichtig; die feinen, zarten Gefühle des Herzens waren für sie dasselbe, was die Infusionsthierchen für die Wassertrinker sind: sie hatte sie zu wenig gesehen, um daran zu denken, ihr volksthümliches Naturell war unverändert geblieben. Sie hatte mit mikroskopischen Untersuchungen und kleinlichen Classificirungen keine Zeit zu verlieren.

Die Liebe war für sie nicht jene Destillierung der Gefühle, der die zartfühlendem nichtsthuenden Seelen diesen Namen gegeben haben; sie fand das Wesen der Liebe in derben, leidenschaftlichen Gefühlsäußerungen, mehr suchte und wünschte sie nicht. Ihre kräftige, üppige Schönheit schien sich noch mehr entfaltet zu haben, seitdem sie Louis von Fontanieu angehörte. Wir würden sagen, daß sie dafür dankbar gewesen sei, wenn die Dankbarkeit nicht auch eine Berechnung wäre, und bis jetzt war ihrer Liebe jeder Nebengedanke fremd geblieben. Sie liebte mit jener vielleicht sinnlichem aber aufrichtigen uneigennützigen Hingebung, die man im Naturzustande findet und die das Wesen der Leidenschaft bedingt.

Louis von Fontanieu hatte seinerseits zu viel Zartgefühl, um Margarethen ohne Ursache Schmerz zu machen; er verbarg soviel als möglich seinen wirklichen Gemüthszustand und schrieb seine trübe Stimmung fremden Ursachen zu.

So kam es denn, daß sich Margarethe sehr leicht über ihr Verhältniß zu Louis von Fontanieu täuschte, daß sie sich innig geliebt und glücklich glaubte. Und dieses Glück, das sie früher nicht gekannt, bewirkte in dem Charakter Margarethens die Veränderungen, welche die ganze Stadt in Erstaunen setzten.

Vormals war sie träge und gleichgültig; nichts war im Stande, sie ihrer Apathie zu entreißen; ein Lächeln schien ihr zu viel Mühe zu machen – und nun war sie lebhaft und munter, fast ausgelassen. Wenn sie allein war, jauchzte und tobte sie in der Freude ihres Herzens oft so laut, daß sich die Nachbarn darüber beklagten.

Wenn sie Louis von Fontanieu am offenen Fenster erwartete, so sang sie zum Zeitvertreib wie ein Vogel, und wenn er an der Straßenecke erschien, gab sie ihr Entzücken so stürmisch und rücksichtslos zu erkennen, daß sich die Vorübergehenden umsahen.

Endlich war ihre Freude in Sprödigkeit, in Männerscheu ausgeartet: außer ihrem Geliebten mochte sie keinen Mann in ihrer Nähe dulden; sie gab es ihren Freunden sehr deutlich zu verstehen, und da diese etwas schwer von Begriffen waren, so schlug sie ihnen die Thür vor der Nase zu, und Margarethe, einst die Seele und die Leuchte aller Soupers, das Idol sämmtlicher Roués von Dunois, geberdete sich zum größten Aergerniß der letzteren wie eine Carmeliterin.

Jedermann machte seine Bemerkungen über diese Umwandlung. Im Allgemeinen fand man die Ursache derselben in der Eifersucht Fontanieu’s, und obgleich Margarethe das Zimmer im Bertrand’schen Hause gegen eine sehr hübsche Wohnung vertauscht hatte, obgleich Louis ihr mit großer Freigebigkeit den größten Theil der vom König Pharao erhaltenen Geschenke zuwendete, so beklagte man doch das Los des vermeinten Opfers der Eifersucht.

Margarethe brach immer in ein lautes Gelächter aus, wenn sie hörte, wie sie bedauert wurde; aber die Zeit kam, wo sie das Bedauern nicht mehr unzeitig finden sollte.

Fünfzehntes Capitel.
Eine Idee Susannens und deren Folgen

Zwei Monate nach den eben erzählten Ereignissen hatte die Stadt Châteaudun wieder ihr früheres ödes Aussehen bekommen. Die Familien hatten die Abwesenheit des Clubbpräsidenten benützt, um dem liederlichen Leben der fashionablen Jugend ein Ende zu machen, oder dasselbe wenigstens in die engsten Schranken zu bannen. Einige Eltern hatten theils durch liebevolle Vorstellungen, theils durch den Köder reicher Heiraten ihre verirrten Schafe zurückzuholen gesucht. Andere gingen schlauer zu Werke: sie ließen sich in den Club aufnehmen und verschafften dadurch dem bisher sehr schwach vertretenen ruhigen, gemäßigten Element ein entschiedenes Uebergewicht. Ein grüner Saal, den sich seit der Gründung des Clubbs die Raucher und die spottweise sogenannten »Perücken« streitig gemacht halten, blieb endgültig den letzteren, welche mit dem Whist zu zwei Sous die Marke zugleich Wohlanständigkeit und gute Sitte einführten.

Das war ein furchtbarer Schlag für den leichtfertigen Theil des Clubbs. Die auseinandergesprengten jungen Leute gaben nach und nach die ihnen aufgedrungenen Gewohnheiten aus, schaarten sich wieder um den häuslichen Herd, tanzten auf anständigen Bällen, wurden eifrige Landwirthe und ließen sich das Essen aus den so lange verschmähten väterlichen Töpfen wohl schmecken.

Der Chevalier von Montglas war bei dem besten Willen nicht im Stande gewesen, dieser Niederlage vorzubeugen; er besaß nicht die Mittel, welche den Marquis von Escoman in den Stand gesetzt, mit gutem oder schlechtem Beispiel vorauszugehen und den Enthusiasmus warm zu erhalten. Mit den durchschwärmten Nächten und Soupers und Spielpartien war’s nun aus. Die Pferdeställe wurden leer, die Equipagen abgeschafft, die ehrsamen Bürgersleute konnten wieder ungestört in der Mitte der Straße gehen, die Frommen wurden nicht mehr in ihrer Andacht gestört, das Gras keimte üppig zwischen den Pflastersteinen hervor, und das Gesicht des alten Edelmannes, der sich auf die Zerstreuungen bei Madame Bertrand beschränkt sah, war unnatürlich lang geworden.

Er fing an zu finden, daß der Marquis von Escoman doch auch seine guten Seiten gehabt und daß er den Liebhaber Margarethens etwas zu hart behandelt habe.

Plötzlich wurde die Rückkehr des Marquis gemeldet.

Diese Nachricht erregte eben kein großes Aufsehen in der Stadt.

Jedes Gestirn, das am socialen Himmel erblaßt, ist so gut wie erloschen. Der Marquis von Escoman war für Freunde und Feinde abgenutzt, veraltet; er hatte den gewaltigen Einfluß auf die ersteren eingebüßt, die nun seine Vorwürfe und seinen Spott nicht mehr zu fürchten hatten; er hatte den blanken Firniß großartiger Excentricität verloren, der die letzteren nachsichtig machte gegen Laster und Ausschweifungen, die sie in ihrer Ehrbarkeit mißbilligten.

Das Gerücht erzählte, er sei aus Geldverlegenheit nach Châteaudun zurückgekommen, er habe sich endlich entschlossen, der Verwaltung seines Vermögens einige Aufmerksamkeit zu widmen, da die Correspondenz nicht genügt habe, den Widerstand zu besiegen, den die Marquise den sich immer öfter wiederholenden Anleihen entgegenstellte.

Dieses Gerücht enthielt viel Wahres. Die Marquise von Escoman gehörte zu jenen Frauen, denen das Pflichtgefühl eine außerordentliche Willenskraft gibt. Seit einem Jahre würde sie bei aufrichtiger Selbstprüfung erkannt haben, daß ihr Gemal nicht mehr die Stelle einnahm, welche ihm ihre bräutliche Phantasie angewiesen hatte; aber wenn ihr ein sich plötzlich aufdrängender Gedanke ihren Gemüthszustand enthüllte, leugnete sie diesen mit muthiger Entschlossenheit ab; sie gebot der ernst warnenden innern Stimme Schweigen und glaubte ihr widerstrebendes Herz bezähmen zu können.

Dieser innere Kampf nagte an ihrem Leben weit mehr als der Kummer, den ihr der Marquis machte, aber sie hätte es sich selbst um Alles in der Welt nicht gestehen mögen. Wenn sie glaubte, Gott werde ihr Gebet erhören und den Gatten zur Erkenntniß seines Unrechts bringen, so hoffte sie, die Vorsehung werde sich zugleich ihres Gatten und der Gattin erbarmen, ihre zur Pflicht zurückführen und sie auf immer von der marternden Unruhe befreien.

Sie überwand ihren Widerwillen; sie ließ sich wie wir gesehen, durch schlechte Behandlung nicht abschrecken; ihre Tugendschwärmerei berührte eine Saite in ihrem Herzen, die im Grunde schon zerrissen war, und steigerte ihren Wunsch, den Schuldigen wieder zu gewinnen, zur zärtlichsten Sehnsucht.

Der Marquis von Escoman verließ Châteaudun, ohne seiner Gemalin auch nur den Trost eines gewöhnlichen Abschiedes zu gönnen. Er schrieb nicht anders, als wenn er die Unterschrift der Marquise brauchte, um Geld zu bekommen.

Emma hatte nun nicht mehr die Kraft der Verleugnung; sie verzweifelte an Gott, an sich selbst.

Susanne Mottet wußte diese Stimmung ihrer jungen Herrin geschickt zu benutzen. Bis daher war sie durch ihre schwärmerische Liebe zu Emma in ihren Handlungen geleitet worden; das rohe Benehmen des Marquis steigerte ihren Haß und ihre Wuth auf’s höchste. Sobald die Marquise ihrer alten Dienerin nicht mehr Stillschweigen gebot, ließ diese ihren Gefühlen freien Lauf. Sie erzählte ganz rücksichtlos Alles, was sie von dem frühern Leben des Marquis erfahren hatte. Trotz der verschämten Gegenvorstellungen der Marquise hob Susanne den Vorhang jedes Alkovens, wo Escoman seine Jugendliebe vergeudet hatte; sie schilderte alle wüsten Gelage, alle unsinnigen Spielpartien und wußte alle seine Jugendsünden von der lächerlichsten Seite darzustellen. Gott weiß, wie sie die Geschichte mit Margarethe Gelis ausbeutete und die traurige Figur schilderte, die der große Sieger am Ende doch gespielt hatte.

Susanne wollte an dem Marquis einmal kein gutes Haar lassen. Die Zeit der Nachsicht und der zärtlichen Zuneigung war längst vorüber. Liebe ist nicht vereinbar mit Verachtung.

Aber Susanne war damit noch nicht zufrieden: nachdem sie das glühende Eisen aus die Wunde gehalten hatte, wollte sie diese auch heilen. Sie baute prächtige Luftschlösser, um ihren Liebling darin einzuquartieren. Im Grunde war man doch nicht so sehr zu beklagen. Eine geistreiche Frau hat ja gesagt, man müsse heiraten, um Witwe zu sein, und in dieser angenehmen Lage befand man sich ja. Emma war jung, sie besaß einen schönen klingenden Namen, ein trotz der Verschwendung des Marquis immer noch glänzendes Vermögen. Die Marquise von Escoman konnte immerhin zufrieden sein, wenn sie auch nur den alltäglichen Trost hatte, den man im Verkehr mit der Welt findet.

Um der jungen Dame diesen Trost zu sichern, ernannte sich Susanne zur Verwalterin und Intendantin ihrer Güter. Nach ihrer Angabe schrieb Emma den Brief, in welchem sie dem Marquis die verlangte Unterschrift entschieden verweigerte.

Die glänzenden Bilder, welche Susanne ihrer Herrin vor die Augen hielt, vermochten Emma jedoch reicht ihrer gewohnten Verstimmung zu entreißen. Die alte Dienerin meinte, sie bedürfe zur Vollendung ihres Werkes einer Nachhilfe, und begann zum hundertsten Male das Capitel von dem sündhaften Marquis; aber Emma unterbrach sie bei den ersten Worten und erklärte ihr lächelnd, daß ihre Mühe vergeblich sei, der Marquis sei fortan nichts mehr für sie. Durch dieses Lächeln etwas beruhigt, glaubte Susanne schon einen Sieg errungen zu haben; nun fand sie die Schwermuth, deren Ursache sie reicht zu ergründen vermochte, einigermaßen bedenklich.

Inzwischen kam der Marquis von Escoman wieder nach Châteaudun.

Er kam Abends an, und am andern Morgen vor derer Frühstück ließ er fragen, ob Madame ihre empfangen könne.

Susanne wäre bei der Unterredung gern zugegen gewesen; sie fürchtete, daß die wiederholten Ermahnungen, welche sie der jungen Frau über ihr zu beobachtendes Benehmen gegeben, fruchtlos sein würden, wenn ihre Zärtlichkeit wieder die Oberhand über den Unwillen gewönne. Aber Emma, welche die ungestüme Heftigkeit der alten Dienerin fürchtete, machte ihr begreiflich daß ihr Wunsch nicht erfüllt werden könne.

Der Marquis war nicht der Mann, sich aus einer einmal eingenommenen Stellung ohne Widerstand verdrängen zu lassen: er sprach von der Verweigerung seines Verlangens in hochfahrenden Ausdrücken und spielte den Beleidigten.

Emma antwortete ihm kalt und entschieden durch vernünftige Vorstellungen über seine Verschwendung, welche in den verflossenen Jahren ihr Vermögen beträchtlich vermindert habe. Sie habe keineswegs aus Selbstsucht so gehandelt; sie habe sich nie vor beschränkten Verhältnissen gefürchtet, aber der Marquis sei an Aufwand gewöhnt und man müsse sich so einrichten, daß dieser Aufwand bestritten werde. Endlich erklärte sie, daß sie bereit sei, ihm einige zur Unterstützung Nothleidender bestimmte Ersparnisse zu opfern und ihm alles verfügbare Geld zu übergeben, aber in fernere Belastungen ihres Capitals nie einwilligen werde.

Der Marquis war ganz erstaunt über die Ruhe und die würdevolle Sprache der jungen Frau, die ihre sonst nie hatte ansehen können, ohne zu erblassen oder zu erröthen, und die heute mit der Entschiedenheit und Sachkenntniß eines alten Advocaten von Geldangelegenheiten sprach. Und vollends unheimlich ward ihm zu Muthe, als sie das erwähnte Geld vor ihrer niederlegte.

Er kam in Versuchung, das Geld zurückzuweisen, aber er befand sich vermuthlich in einer dringenden Verlegenheit, wie so manche vornehme junge Wüstlinge, die dann nur zu oft die Gebote der Ehre vergessene denn er bekämpfte diese ehrenhafte Regung – und nahm das Geld.

Im Clubb, den der Marquis nach dieser für ihn so beschämenden Unterredung besuchte, bemerkte er, daß er hier eben so viel Terrain verloren hatte, wie in seinem Hause.

Dieses Terrain mußte wieder erobere werden.

Es fehlte dem Marquis nicht an Verstand. Er dachte, durch eine gänzliche Aenderung seiner Lebensweise könne er den Drachen kirren, der die goldenen Aepfel der Hesperiden bewachte, und zugleich die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich lenken.

Noch denselben Abend nach Tische gab er den Wunsch zu erkennen, einen Theil des Abends bei der Marquise zuzubringen. Dies war seit seiner Vermählung vielleicht kaum zweimal geschehen. Er war sehr artig und zuvorkommend gegen Emma; er machte sogar einige Versuche, Susanne für sich zu gewinnen, aber ohne Erfolg; der Haß gegen den Marquis war bei der alten Dienerin zu tief eingewurzelt. Sie saß, ihrer täglichen Gewohnheit gemäß, mit dem Strickzeuge auf einem Tabouret zu den Füßen ihrer jungen Herrin.

Emma war den ganzen Tag unruhig und verstimmt; trotz der schönen Worte; mit denen der Marquis sehr freigebig war. Gegen zehn Uhr wünschte sie ihm gute Nacht und begab sich in ihr Zimmer. Sobald Susanne den Riegel vorgeschoben hatte, sank die junge Frau in die Arme ihrer Amme und brach in Thränen aus.

Susanne suchte vergebens die Ursache dieses Schmerzes zu erforschen, die Marquise blieb stumm.

Der Marquis ging noch in den Clubb. Sein Erscheinen in dem unlängst streitigen, nunmehr aber tractatmäßig eroberten grünen Saale machte einiges Aufsehen. Die glücklichen Besitzer fürchteten, der Marquis werde noch genug Einfluß und Keckheit haben, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu verlangen.

Aber zum allgemeinen Erstaunen entschloß sich der Marquis, die schwere Probe zu bestehen. Er warf bescheiden seine Cigarre in den Camin, setzte sich an einen Whisttisch, an welchem »der vierte Mann fehlte« und fragte sehr höflich, wie hoch die Marke gespielt werde.

Sein Partner, ein alter emerierter Präfecturrath, antwortete ihm stammelnd und ihn durch seine große runde Brille verlegen ansehend, man spiele gewöhnlich um zehn Centimen die Marke, aber wenn‘s dem Herrn Marquis gefällig sei —

Escoman ließ ihn nicht ausreden.

»Ich bin vollkommen einverstanden,« sagte er mit zugleich ernster und höflicher Miene; »ich habe mich natürlich nach dem hier eingeführten Brauch zu richten.«

Zugleich nahm er eine Handvoll Kupfergeld aus der Tasche und legte es vor sich auf den Tisch.

Jede Brust athmete nun freier, den Whistspielern fiel ein Stein vom Herzen; es war das erste Mal, daß Spieler durch Kupfergroschen geblendet wurden.

Der Marquis wußte einige halbe Franken so hartnäckig zu vertheidigen und dabei sein Gähnen so geschickt zu verbergen, daß Spieler und Zuschauer ihn lieb gewannen.

Auf die Kunde von der Rückkehr des Marquis gab Louis von Fontanieu sein bisheriges eingezogenes Leben auf und erschien wieder im Clubb. Der Chevalier von Montglas hatte ihm von dem Briefe, den der Marquis in extremis an Margarethe geschrieben, eine so erschütternde Schilderung gemacht, daß er vermuthete, hinter dieser schnellen Rückkehr stecke die Absicht einer neuen Aufforderung, und er wollte sich nicht das Ansehen geben, als meide er den Marquis. Louis schien ein Duell eher zu wünschen als zu vermeiden, denn mehr als einmal schienen seine Blicke Streit zu suchen. Aber der Marquis stand vom Spieltische auf, trat auf seinen früherer Gegner zu, drückte ihm mit Wärme die Hand, sprach in den herzlichsten Ausdrücken mit ihm und als sich alle Anwesenden entfernt hatten, als der Chevalier allein noch da war, erkundigte er sich sogar mit der größten Unbefangenheit nach Margarethens Befinden.

Louis von Fontanieu nahm dieses Entgegenkommen ziemlich kalt auf, der Chevalier hingegen war sehr erfreut darüber.

»Bravo!« dachte er, »er zeigt, daß er zu leben weiß. Er werde wohl noch ein bischen blaß, als er den Namen der Schönen nannte, aber es gibt ja hienieden nichts Vollkommenes.

Der alte Roué rieb sich schmunzelnd die Hände. Im Allgemeinen glaubte er an keine Ueberzeugung, am wenigsten an die Ueberzeugung eines herzlosen, von schlechtere Grundsätzen geleiteten Mannes. Er witterte eine Kriegslist hinter dieser Resignation, und versprach sich davon noch einige heitere Lichtblicke in seinen letzten Tagen.

Der Marquis hatte seinen Zweck schon halb erreichte die ganze Stadt sprach von der wunderbaren Veränderung, die durch eine kurze Abwesenheit in seiner Person bewirkt worden war. Er war Gegenstand des Gesprächs in vornehmen und bürgerlichen Häusern, in Hotels und Kaufläden, und da sich Jedermann persönlich von der Wahrheit des wunderbaren Gerüchtes überzeugen wollte, so mußte die arme Emma die Glückwünsche von Freundinnen und Bekannten über sich ergehen lassen.

Ja, sie mußte es über sich ergehen lassen, denn wie sehr sie sich auch zwang, heiter zu sein oder zu scheinen, so fand sie ihr Herz doch nicht mehr so willfährig wie vormals; es blieb traurig, und da die junge Frau nicht die Kunst verstand, ein ihr fremdes Gefühl zu erheucheln, so war ihr Gesicht während dieser Besuche der Spiegel ihres Herzens.

Alle Besucherinnen schieden daher von der armen Emma mit der Ueberzeugung, daß der Marquis mit seiner Rückkehr eine Nebenabsicht verbinde.

Der Marquis schien diesen Argwohn nicht rechtfertigen zu wollen. Seine Liebe zu Margarethe war freilich nicht erloschen; die Erinnerung an die undankbare Dunenserin war weder durch das große Unrecht, das sie sich hatte zu schulden kommen lassen, noch durch die Pariser Zerstreuungen geschwächt worden; aber trotz dieser immer noch lebhaften Erinnerung ging es dem Marquis wie allen Wüstlingen, er konnte keine schöne Frau sehen, ohne deren Besitz zu wünschen – und wär‘s auch die seinige. Er ging in seine eigne Falle: er nahm die einstudirte Rolle für Ernst und Wahrheit.

Am sonderbarsten war, daß er anfangs die Veränderung in der Stimmung der Marquise nicht bemerkte. Durch ihre kalte Zurückhaltung gereizt, ward er immer zuvorkommender in seinem Benehmen, immer dringender in seinen Bitten, immer feuriger in seinen Betheuerungen.

Emma hörte ihrer gewöhnlich mit zerstreuter Miene zu; zuweilen sah sie ihn mit traurigen, ängstlich fragenden Blicken an. Sie schien sich zu fragen: Ist es denn nicht mehr der Raoul, den ich so innig geliebt habe? Wie kommt es, daß er mein Inneres nicht mehr von Wonne durchschauert wird, wenn er mir nahe kommt? – Dann folgte ein Seufzer, oft auch eine Thräne.

Der Marquis meinte, nur die Erinnerung an seine Verirrungen habe diese trübe Stimmung hervorgerufen. Er fiel seiner Frau zu Füßen und schwor ihr hoch und theuer, daß die Vergangenheit begraben sei, um nie wieder zu erwachen.

Diese Worte hatten den Ausdruck der Wahrheit und gemeiniglich verdoppelten sie die Thränen der Marquise.

Susanne sah diesen Aussöhnungsscenen mit angstvoller Spannung zu. Sie liebte Emma zu sehr, um nicht zur Verzeihung geneigt zu sein, wenn es nothwendig gewesen wäre ihren Groll gegen den Marquis zu opfern; aber ihrem Scharfblick entging weder die Befangenheit noch der geheime Schmerz der Marquise. Sie gewann immer mehr Ueberzeugung, daß Emma die Wahrheit gesagt, daß der Marquis vergebens seufzen werde.

Susanne fing an bitter zu bereuen, daß sie zur Erreichung dieses Resultates so wesentlich beigetragen; sie klagte sich selbst an und erbot sich in brünstigem Gebet, ihr Leben opferte zu wollen, wenn sie damit das Glück ihrer lieben Emma erkaufen könne.

Aber es fanden bald neue Ereignisse statt, und die Vermuthungen Susannens bekamen neuen Spielraum.

Der Marquis von Escoman war nie der Mann gewesen, lange vor einer, wenn auch stark verrammelten Thür zu schmachten. Und hier hatte er als rechtmäßiger Eigenthümer den Schlüssel! Wenn er den Abend bei Emma zugebracht hatte, so bemerkte Susanne bei ihr Thränenspuren und eine Niedergeschlagenheit, welch sie sehr besorgt machte.

Eines Abends endlich, als der Marquis fort war, bekam Emma einen heftigen Nervenanfall, Susanne war außer sich, kaum behielt sie die Besonnenheit, über die Ursache nachzudenken. Emma mußte ein Geheimniß haben, welches sie ihrer treuen Amme sorgfältig verbarg, und diese Vermuthung machte dieser den tiefsten Schmerz, den sie je im Leben empfunden. Einen solchen Schmerz aber mit Geduld zu ertragen vermochte sie nicht. Sie glaubte das größte Recht auf das Vertrauen ihrer Herrin zu haben und hielt sich für berechtigt dieses Vertrauen zu erzwingen, wenn es ihr durch eine ihr unbegreifliche Kinderei vorenthalten wurde.

Sie begann nun alle Ereignisse in dem Leben der Marquise zu mustern; sie prüfte die Gesichter genau aller Personen, die seit einem halben Jahre im Hause gewesen waren. Sie erinnerte sich nicht nur aller Handlungen, sondern sogar aller Gedanken, welche sie in den Blicken der jungen Frau gelesen. Doch die sorgfältigste Zergliederung blieb fruchtlos, sie fand den Faden nicht, der sie durch dieses Labyrinth hätte führen und in das Geheimniß ihrer Herrin einweihen können.

Die Vergangenheit der Marquise war so rein und heiter wie ein schöner blauer Himmel, die gewitterschwangere Wolke war am Horizont nicht zu bemerken.

Susanne richtete nun ihre Batterie anders, ohne jedoch ihre fixe Idee aufzugeben. Statt in die Vergangenheit zurückzublicken, forschte sie in der Gegenwart.

Aber auch diese schien einen Argwohn nicht zu rechtfertigen.

Die Marquise führte ein streng geregeltes Leben. Sie ging wenig ans. Morgens besuchte sie die Messe; Nachmittags vor Tische machte sie eine kurze Spazierfahrt. Susanne begleitete sie in die Kirche. Abends hatte Emma den Kutscher und einen Bedienten bei sich, und diese Leute wußten zu gut, wie viel die alte Amme im Hause galt, als daß sie nicht nach ihrer Gunst gestrebt hätten; sie würden ihr gewiß nicht verschwiegen haben, wenn sie einen bedeutenden Vorfall bemerkt hätten.

Es war zum Verzweifeln! – Susanne griff in ihrer Rathlosigkeit zu den trivialsten Mitteln: sie horchte an den Thüren, erbrach die ankommenden Briefe. Nie hat wohl eine bezahlte Duenna mit mehr Schlauheit und Ausdauer beobachtet.

Emma blieb unergründlich; aber zugleich wurde ihre Stimmung immer trauriger. Die Krankheitsanfälle, welche die alte Dienerin so besorgt gemacht halten, nahmen einen bedenklicheren Charakter an.

Susanne gab endlich ihren Argwohn auf, um die Ursache des Uebels in einer abzehrenden Krankheit zu finden. Sie bekämpfte ihre Abneigung gegen den Marquis und bat ihn einen Arzt kommen zu lassen.

An denselben Tage, als die Marquise eben in den Wagen gestiegen war und der Bediente den Schlag zugemacht hatte, hörte Susanne, daß der Kutscher seinen Cameraden fragte, wohin er fahren solle.

»Madame macht ihre gewöhnliche Spazierfahrt. «

Susanne wollte reicht bis zum Abend warten, um die Lieblingspromenade der Marquise kennen zu lernen. Sie hatte die feine Nase eines Schweißhundes, sie fand die Führte, wenn diese auch schon alt war. Sie setzte schnell ihre Haube auf, warf ihren leichten Mantel über, nahm den Regenschirm, dessen sie sich so erfolgreich als Schutzwaffe gegen den vermeinten Banditen Louis von Fontanieu bedient hatte, und eilte dem von zwei englischen Pferden gezogenen Wagen der Marquise nach.

Als sie aus dem Hotel trat, sah sie den Wagen links fahren. Vermuthlich war die sogenannte Avenue-de-Paris das Ziel der Spazierfahrt. Sie eilte durch einige Seitenstraßen, um den Weg abzukürzen, und befragte einige Bekannte, die ihr in der Vorstadt begegneten.

Keiner von ihnen hatte den wohlbekannten Wagen der Marquise von Escoman gesehen. Susanne hatte die Führte verloren und sie kehrte um, und nach wiederholten Erkundigungen erfuhr sie endlich, daß der Wagen dem Loir zugefahren sei.

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0+
Дата выхода на Литрес:
30 ноября 2019
Объем:
410 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

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