Читайте только на ЛитРес

Книгу нельзя скачать файлом, но можно читать в нашем приложении или онлайн на сайте.

Читать книгу: «Liebesdramen», страница 7

Шрифт:

Zehntes Capitel.
Von der Gebrechlichkeit der menschlichen Tugend

Der Chevalier von Montglas trat auf seinen immer am Fenster stehenden jungen Freund zu.

»Der Fischfang,« erwiederte Fontanieu, »ist allerdings wunderbar; aber ich werde von dem Fische nicht kosten.«

»Sie glauben vielleicht, ich soll ihn essen. Da würden Sie Unrecht haben. Mir ist nur der gute Wille geblieben, und der ist nicht genügend, was auch die Weisen sagen. Aber sagen Sie, lieber Freund, warum zerknittern Sie denn das kostbare Autograph?«

»Es ist ein Primawechsel, auf den gesunden Verstand des Marquis gezogen. Noch eine oder zwei solcher Tratten, und er wird sie gewiß honorieren.«

»Wenn Sie in Räthseln sprechen, so mache ich mich ans dem Staube.«

Louis von Fontanieu war sehr erfreut über seinen Erfolg. Seine Träume hatten ihm nichts Schöneres vorgegaukelt; er fand Geschmack an der Wirklichkeit. Die Ausführung seines Planes wurde so leicht, daß er sich schämte, eine ihm so werthvolle Zuneigung mit so geringer Mühe zu erwerben. Das Glück, vielleicht in Verbindung mit einem leichten Weinrausche, machte ihn mittheilend.

»Sie sind so gütig gegen mich, Chevalier,« sagte er, »daß ich Ihnen aus meinen Absichten unmöglich ein Geheinmiß machen kann. Ich bin um so weniger dazu geneigt, da Sie mit den vernünftigen Grundsätzen, die Sie mir diesen Abend eingeprägt, ganz übereinstimmen.«

»Morbleu! sprechen Sie doch hier nicht von Vernunft. Sollen wir denn hier undankbar sein gegen die Thorheit, die uns diesen Abend so gut gelungen ist?«

Fontanieu ließ sich nicht irre machen.

»Wenn ich an Margarethe dachte,« fuhr er fort, »so geschah es nur, um dem verblendeten Escoman zu beweisen, daß er sich von einem seiner unwürdigen Mädchen täuschen läßt, daß er seine liebenswürdige, vortreffliche Frau einem thörichten Wahne opfert.«

Montglas staute den jungen Mann ganz verblüfft an; er sah, daß alle seine Vermuthungen falsch waren, und dennoch schien ihm die Wirklichkeit die Grenzen des Möglichen zu überschreiten. Er wollte antworten, aber man rief ihnen zu wiederholten Malen. Sie verließen das Fenster und gingen wieder in den Salon. Der alte Chevalier sah noch so bestürzt aus, daß man ihn fragte, was ihm fehle.

»Erschrecken Sie nicht, meine Herren,« antwortete er, »Herr von Fontanieu hat mir so eben eine neue Theorie über das Pharaospiel entwickelt, die mich in Erstaunen gesetzt hat. Ich bin seit einiger Zeit sehr reizbar geworden.«

In den meisten Romanen lassen die Spieler, während sie die Karten einsehen, keine Gelegenheit unbenutzt, geistreich und witzig zu sein, aber in der Wirklichkeit haben sie keine Zeit dazu. Das Spiel nimmt, wie die Seekrankheit, alle Geistes- und Körperkraft in Anspruch.

Die Gäste des Marquis von Montglas saßen stumm und düster um den grünen Tisch; es war bei ihnen nicht mehr Spieleifer, sondern Spielwuth. Nur der Chevalier von Montglas war ruhig und heiter, obgleich er verlor.

Sonderbarer und doch häufiger Widerspruch! Dieser alte Roué, der sich in der ersten Hälfte des Abends über sein Glück so kindisch gefreut hatte, ertrug den Verlust mit stolzer Gleichgültigkeit. Er schob seine Massen mit der Ruhe eines im Feuer der Schlachten erprobten Generals vor, er betrachtete ihre Niederlage mit dem Gleichmuthe eines Stoikers. Noch mehr, er dachte, trotz seiner beständigen Verluste, an die vertrauliche Mittheilung, die ihm Fontanieu gemacht hatte. Wenn der Blick des Letzteren dem seinigen begegnete, so gab der alte Chevalier durch ein Augenblinzeln deutlich zu verstehen, was er von dem sentimentalen Donquichotestreiche seines jungen Freundes dachte.

In einer halben Stunde hatte er das Gold und die Banknoten, die ihn so glücklich gemacht, wieder verloren.

Er stand auf und nahm seinen Hut zum größten Erstaunen der Anwesenden.

»Was fällt Ihnen ein, Montglas?« sagte der Marquis von Escoman; »Sie werden doch nicht der Erste sein, der fortgeht?«

»Ich gehe sehr leicht von dannen, lieber Marquis,« erwiederte der Chevalier, an seine Westentaschen schlagend.

»Bah! Sie wissen wohl, daß wir Alles halten, was Sie wollen,« sagte der Marquis, der wieder gut bei Laune war, denn er hatte einen Theil des verlorenen Geldes wieder gewonnen.

»Ich hätte es glauben können, Marquis, bevor Sie so aufrichtig waren, mir das Gegentheil zu sagen.«

»Montglas, der Degenstoß, den Sie dem armen Guiscard gegeben, hat Ihre üble Laune nicht beruhigt. Sie zürnen mir noch ob meines vorgestrigen schlechten Witzes; aber ich wills nicht, ich bitte Sie hiermit öffentlich um Verzeihung. Wie könnte ich auch der Feind eines Mannes sein,« dem ich den Wiedergewinn von tausend Louisdor zu danken habe? Wenn Sie wirklich diesen Abend fein spießbürgerlich sein wollen, so müssen wir zuvor wenigstens aus Ihre Gesundheit trinken. Unsere Aussöhnung wird dann vollständig. Meine Herren, auf das Wohl des Herrn Chevalier von Montglas, des edlen Musters einer andern schöneren Zeit, des heldenmüthigen Repräsentanten der Lebemänner von ehedem.«

Der Toast wurde mit Jubel angenommen.

»Sie sind in der That zu gütig,« erwiederte der Chevalier. »Ich werde wenigstens mit dem Troste aus dem Leben scheiden, daß die Ueberlieferung der guten alten Zeit nicht verloren sein wird; daß Sie den künftigen Geschlechtern ein Beispiel geben werden, um zu kämpfen gegen den schlechten Geschmack eines Zeitalters, welches das Spiel zu einem Geschäfte, den Wein zur Arznei, die Mädchen zum Vorwande der Sentimentalität macht. Auf das Wohl Escoman‘s, dem die Gesellschaft ihre Wiedergeburt verdanken wird!«

Der Marquis bemerkte nicht den Anflug von Ironie in den Worten des Chevaliers; er schien sich auf die vortheilhafte Meinung, welche dieser Kenner über ihn aussprach, sehr viel einzubilden.

Louis von Fontanieu hätte den Chevalier gern begleitet; er wünschte dessen bis dahin nur durch Geberden ausgedrückte Meinung zu kennen. Der alte Roué las diesen Wunsch in seinen Augen; er trat auf ihn zu und flüsterte ihm in‘s Ohre »Morgen sehen wir uns; aber Sie müssen mir versprechen, sich zu nichts zu verpflichten, bevor Sie mich wiedergesehen.«

»Aber wann werde ich Sie sprechen?«

»Ich sage Ihnen ja, morgen.«

»Sie haben mein Wort, Chevalier.«

Als Montglas fort war, gab der Marquis von Escoman dem Bankhalter einen Wink, noch einige Augenblicke zu warten.

»Glauben Sie an seinen Vorwand?« sagte er. »Er hat etwas Anderes zu thun, sonst würde er den Spieltisch nicht verlassen. Vielleicht hat er ein Stelldichein mit unserer hübschen Wirthin. Hören Sie nur: ich wette, daß wir die Hausthür nicht zumachen hören.«

Die Gesellschaft lauschte, und es verging wirklich eine geraume Zeit, ohne daß im oberen Stockwerke, wo sich die Gäste befanden, ein Geräusch gehört wurde. Die Vermuthung des Marquis schien sich zu bestätigen. Man flüsterte einander die abenteuerlichsten Vorschläge zu. Einer wollte den Chevalier überraschen; ein Anderer wollte Bertrand warnen; aber es ging mit diesen Vorsätzen wie mit den Ratten in der Fabel.

Bald wurde die Neugierde durch die Spiellust verdrängt, die Karten fielen wieder tactmäßig auf den Teppich.

»Still!« sagte plötzlich ein Spieler. »Escoman hat Recht. Ich höre auf der Treppe das Rauschen eines Kleides.«

Fünf oder sechs junge Leute standen auf und eilten auf die Treppe; aber es war zu spät, die Hausthür that sich auf und wurde vorsichtig wieder zugemacht.

Die Nacht war so finster, die Straßenbeleuchtung so mangelhaft, daß sie durch das Fenster nur eine nicht erkennbare, in der Dunkelheit verschwindende Gestalt bemerkten.

Man machte natürlich allerlei spöttische Bemerkungen über den abwesenden Chevalier; endlich hörte man auf zu spielen, und die Gesellschaft brach auf.

Ehe der Marquis das Haus Bertrand‘s verließ, klopfte er leise an Margarethens Thür. Der Schlüssel steckte, aber es erfolgte keine Antwort.

»Sie schläft,« sagte der Marquis und holte seine Freunde ein.

Louis von Fontanieu begleitete ihn bis zum Hotel Escoman. Der Marquis trat ein, und Louis blieb allein auf der Straße.

Wie wenig er auch an Nachtwachen gewöhnt war, so war er doch durch die Ereignisse des Tages so sehr aufgeregt worden, daß er keine Ermüdung fühlte. Er ging vor dem großen düsteren Hause auf und ab. Die materielle Erregtheit steigerte auch seine geistige Kraft, wie sein Gefühlsvermögen.

Er sah ein Licht von einem Fenster des Hauses zum andern wandern. Ohne Zweifel trug es der Marquis. Und hatte dieser nicht das Recht, das Zimmer zu betreten, wo sie ruhte?

Seine Phantasie gaukelte ihm nun ein Bild vor, das seine Eifersucht fast bis zur Raserei steigerte. Sobald er einem selbstsüchtigen Gedanken Raum gegeben, trat seine Leidenschaft klar und deutlich ans dem Nebel des Idealen hervor. Das Blut stieg ihm zu Kopfe, sein ungestüm pochendes Herz raubte ihm fast die Besinnung.

Endlich gewann er wieder einige Fassung. Er entschloß sich fortzugehen. Als er noch einen Blick auf das Haus warf, fühlte er, daß sich ein Arm leise unter den seinigen schob und er hörte eine Frauenstimme, welche halb laut zu ihm sagte:

»Ich habe mit Ihnen zu reden.«

Fontanieu dachte in der ersten Ueberraschung, es könne nur die Marquise sein. Er war so tief ergriffen, daß er kein Wort zu erwiedern vermochte.

Die Dame machte eine rasche Bewegung, um sich zu entfernen; dadurch wurde die Capuze, die ihren Kopf bedeckte, verschoben und Louis erkannte – nicht die Marquise, sondern Margarethe Gelis.

»Margarethe!« sagte er, »zu dieser Stunde!«

»Ja wohl,« antwortete sie, »ich wollte Sie noch diesen Abend sprechen. In meiner Wohnung war es nicht gut möglich. Ich weiß nicht wo Sie wohnen, ich entschloß mich daher Ihnen zu folgen.«

»Darf ich fragen, Mademoiselle, was mir diese Ehre verschafft?« sagte Louis von Fontanieu so gelassen, wie es ihm unter diesen Umständen möglich war.

»Und ich,« antwortete Margarethe, »ich frage Sie, womit ich Ihren Haß verdient habe?«

»Meinen Haß!« erwiederte Louis ganz erschrocken.

»Ich will Ihnen mit dem Beispiel der Aufrichtigkeit vorangehen.

Ich stand in meinem Zimmer am offenen Fenster, als Sie mit dem Chevalier von Montglas an dem nächsten Fenster sprachen; ich habe Alles gehört: Sie wollen mich von Escoman trennen.«

»Nein, Mademoiselle; ich will thun was jeder Ehrenmann an meiner Stelle thun würde: ich will den Marquis seiner Gemalin wieder zuführen.«

»Was für einen Zweck man auch hat,« entgegnete Margarethe, »es ist immer erbärmlich, die Liebe einer Frau zu stehlen, um sie zu verkaufen.«

»Verkaufen?«

»Ja, verkaufen! Sie werden mir nicht einreden, Sie werden die Welt nicht überreden, daß der sonderbare Beweis von Theilnahme, den Sie einem ganz fremden Manne geben wollen, nicht das Resultat einer wenigstens stillschweigenden Uebereinkunft sei. Schwören Sie mir, daß Sie für die Marquise nie eine andere Zuneigung, als die reinste Freundschaft gefühlt – eine Freundschaft, wie sie ein Mann von Ihrem Alter für eine Frau in den Jahren der Marquise fühlen kann – wenn Sie mir diese Versicherung geben können, so will ich Ihren Wünschen förderlich sein und den Marquis von Escoman freiwillig aufgeben.«

Louis von Fontanieu blieb stumm: sein Herz, das noch unter der Einwirkung sämmtlicher Gedanken pochte, konnte keine Lüge finden.

»O mein Gott!« sagte Margarethe, die Hände faltend; »die Menschen verdammen die Sünde, und sie selbst hegen sündige Gedanken!«

Sie fing an zu weinen.

Fontanieu ward durch ihre Thränen tiefer gerührt, als durch ihre Vorwürfe. Ein weinendes Weib verwandelt sich. Er faßte die heißen Hände der jungen Dunenserin, und seine Worte wurden milder, seine Manieren minder abstoßend.

»Beruhigen Sie sich, Mademoiselle,« sagte er, »Sie finden in meinem Mitleid für die Marquise Nebenabsichten, die mir ganz fremd sind. Ich gestehe, daß ich gerührt wurde, als ich die junge, reiche, schöne vornehme Dame, die Gott mit allen Erdengütern so reich gesegnet, so verlassen und trostlos sah. Sie waren das Hinderniß, das sie von ihrem Gemal trennte. Ich kannte Sie nicht; ich versuchte das Hinderniß zu beseitigen, sonst nichts, das schwöre ich Ihnen. Ich habe mich in der Wahl der Mittel vielleicht geirrt; es wäre wohl besser gewesen, wenn ich zu Ihnen gegangen wäre, um Ihnen zu zeigen was vorgeht, was Ihnen gewiß nicht bekannt ist; und vor so vielen unverdienten Leiden würden Sie gewiß mein Mitleid getheilt haben.«

Margarethe, die bisher vor Fontanieu gestanden, setzte sich auf einen Schutzstein an der Ecke des Hotels und verbarg ihr Gesicht mit beiden Händen. Nach einer kurzen Pause erwiederte sie mit bewegter Stimme:

»Es ist natürlich, daß sich Ihr ganzes Mitleid ihr zuwendet; sie ist ja reich und vornehm; ihre Leiden sind unverdient, wie Sie sagen – aber glauben Sie denn, daß meine, des armen, niedrig gebornen Mädchens Geschichte minder traurig sei, als die der Marquise? Glauben Sie denn, daß keine Stelle in meinem Herzen sei, die blutet, stark und schmerzhaft blutet? Ich möchte Ihnen diese Geschichte mit kurzen Worten erzählen. Doch warum sollte ich es thun? es ist ja die Geschichte aller Kinder meines Standes. Man ist fünfzehn Jahre alt, rein und unschuldig, man hat die Aussicht, einen jungen braven Handwerker zu heiraten. Aber seit fünfzehn Jahren rüttelt auch die Noth an allen guten Grundsätzen der Mutter. Ein Mutterherz ist sehr stark, aber die Noth zernagt es am Ende, wie der Rost das Eisen. Arme Mutter! mein Herz spricht Dich frei, wie Dich mein Verstand laut anklagt. Sie dachte mit Schrecken an ihre Vergangenheit voll Elend und Kummer; sie wünschte mir eine bessere Zukunft. Sie dachte: meine kleine Margarethe ist heiter und sorgenlos; sie liebt Blumen und Lieder, und jagt gern Schmetterlinge an der Hagedornhecke; die Last der Dürftigkeit, die ich so muthig getragen, wird ihr zu schwer sein, sie wird ihr erliegen, und das will ich nicht. – Während sie so mit sieh selbst sprach, kam ein Mann; er war jung und weit einnehmender, als der arme Arbeiter; er streute das Gold mit vollen Händen aus, sprach von Liebe und Glück, stellte Reichthum in Aussicht. – Mein Gott! haben Sie nie gewünscht in das Land der Feen zu wandern? Die Freuden der Reichen sind unsere Feenmärchen. Die Mutter glaubt ihre Tochter einem jener glänzenden, freigebigen Genien anzuvertrauen; sie schweigt und wendet sich ab. Die Mutter ist der Schutzengel eines armen Mädchens; was vermag das Kind, wenn es von seinem Schutzengel verlassen wird? – Dies ist in den meisten Fällen der erste Schritt zum Verderben. Glauben Sie denn, daß die Gefallenen nicht das Recht haben, das Schicksal und die Welt zu verwünschen? Muß man Ihnen, um Sie zu überzeugen, daß ihre Augen weinen und ihre Herzen bluten, muß man Ihnen erzählen was in ihrem Innern vorgeht, wenn sie die Lüge entdecken, womit man ihr Elend vergoldet, und die Verachtung, welche selbst die Liebe nie ganz verhehlen kann? Soll man ihren Schmerz, ihre Reue schildern, wenn man ihnen sagt, wie Sie: Mit welchem Rechte geht Ihr in Sammt und Seide? Mit welchem Rechte schmückt Ihr euer Haar mit Blumen? Von Allem, was man Euch genommen, wird man Euch nur die Gasse wiedergeben, in welcher Ihr geboren seid. Platz für die vornehme reiche Dame, die allein Ansprüche hat auf die Liebe, die man Euch versprochen, auf das Glück, das man Euch verheißen hat! Ehre der, die ohne Versuchung rein geblieben ist, ohne Kampf gesiegt hat!«

Margarethe sprach mit dem Tone tiefer Ueberzeugung, der jeden Zweifel an der Wahrheit ihrer Worte beseitigte.

»Es ist viel Wahres an dem, was Sie sagen,« mein Kind,« erwiederte Fontanieu. »Sie wiederholen ein Thema, welches schon viele Menschenfreunde ohne Erfolg entwickelt haben, und aus dieser Erfolglosigkeit kann man nur den traurigen Schluß ziehen, daß die Menschheit zu immerwährenden Leiden verurtheilt ist. Sie weinen an der Ecke dieses großen stattlichen Hauses und wenige Schritte von Ihnen, hinter den seidenen Vorhängen weint ein anderes weibliches Wesen. Aber glauben Sie mir, die dort oben,« setzte er hinzu und zeigte auf die großen dunkeln Fenster, »die dort oben würde gern Ihre Thränen trocknen, wenn sie es vermöchte, obgleich sie wohl Ursache hätte, sich über Sie zu beklagen. Sie haben mir gezeigt, daß Sie, wie Jene, ein Opfer unserer gesellschaftlichen Einrichtungen sind; jetzt müssen Sie beweisen, daß Sie Anspruch auf Anteilnahme auf Achtung haben. Das Bewußtsein einer guten Handlung wird das Schmerzliche des Opfers mildern, und Ihre Liebe —«

»Ich liebe den Marquis nicht mehr,« unterbrach ihn Margarethe mit starker Betonung, und ihre auf den jungen Mann gerichteten Augen funkelten in der Dunkelheit.

Diese Worte waren bezeichnend, wenn auch der Ton derselben nicht ausgedrückt hätte, was sie zu verstehen geben wollten.

Das freiwillige Geständnis einer Frau erregt bei dem Manne, der es empfängt, entweder großen Widerwillen oder einen unwiderstehlichen Wunsch. Wenn der Becher voll ist, so läuft er über, sobald ein Tropfen Nektar oder Wasser hineinfällt.

»Wirklich!« antwortete Louis von Fontanieu stammelnd, als ob eine unwiderstehliche Kraft die Worte, die sein Herz gern zurückgehalten hätte, seinen Lippen entrisse; »wen lieben Sie denn, Margarethe?«

»Mein Gott, was soll ich denn thun, um mich verständlich zu machen?« sagte Margarethe mit überwallender Leidenschaft und sich an seine Schulter schmiegend.

Fontanieu war wie elektrisirt; er schloß sie in seine Arme und sein Mund berührte den ihrigen.

In diesem Augenblicke wurde über ihnen ein Fenster hastig ausgerissen. Margarethe lief mit einem Schrei des Schreitens davon. Fontanieu eilte ihr nach.

Nach einer kleinen Weile kam der Marquis von Escoman aus dem Hause.

Ohne etwas von Margarethens Erzählung gehört zu haben, hatte er doch an dem Aufschrei ihre Stimme erkannt, und begab sich zu Bertrand, um Gewißheit zu bekommen.

Er fand Margarethe nicht zu Hause.

Der Marquis hatte eine schlaflose Nacht. Der Chevalier von Montglas hatte also Recht: Escoman hatte noch bürgerliche Vorurtheile.

Elftes Capitel.
Was dahinter steckt

Die Schriftsteller unserer Zeit haben das menschliche Herz sehr gelehrt zerlegt; sie haben die Fächer numerirt, aus denen die verschiedenen Gedanken, die Triebfedern der Handlungen kommen sollen. In ihrer geistreichen Zergliederung haben sie die Verwirrung der Gefühle, deren Schauplatz das Herz sehr oft ist, und die daraus entstehenden scheinbaren Widersprüche zwischen den moralischen Ursachen und den Thatsachen vielleicht nicht hinlänglich berücksichtigt.

Was wir jetzt sagen wollen, wird man wahrscheinlich für eine Ungereimtheit halten, aber der Egoist leidet durch den Verrath eines Weibes sicherlich mehr als jeder andere Mann.

Vollständige Selbstverläugnung ist ein leerer Wahn. Der Egoist liebt sich selbst mit größerer Zärtlichkeit, als Andere ihre Mitmenschen lieben; er muß daher, wenn er in seiner Selbstvergötterung verletzt wird empfindlicheren Schmerz fühlen, als ein Herz, das seine Zuneigung getheilt hat.

Großmuth kann den Schmerz mildern. Wie mancher Liebende hat in seinen Thränen aufrichtig gesagt: Möge sie glücklich sein! – Aber den Egoisten vermag nichts zu erheben, zu trösten; er führt nur Verwünschungen im Munde, und diese fallen wie geschmolzenes Blei auf seine Herzenswunde.

Die Selbstsucht beruht auf der Eigenliebe; in den zärtlichen Verhältnissen des Egoisten spielt die Eigenliebe die erste Rolle, die übrigen Gefühle haben nur eine untergeordnete Bedeutung. Wenn der erste Liebhaber ausgepfiffen ist, fällt das ganze Stück durch.

Der Marquis von Escoman wurde nicht durch die Liebe in seiner Nachtruhe gestört, als er in die Lage kam, an Margarethens Treue zu zweifeln; er schlief nicht, weil er »etwas auf sie hielt« – sie stand also zu ihm etwa indem selben Verhältniß wie ein schönes Pferd oder ein Lieblingshund.

Der Ehrgeizige hält etwas auf eine Geliebte, weil sie ihm durch ihre Stellung oder ihr Ansehen nützen kann; der eitle Geck, weil sie im Rufe der Eleganz und des feinen Geschmacks steht und von dem sie umgebenden Nimbus immer etwas auf den erklärten Verehrer fällt; der Gimpel, weil sie vor ihm schon mehre sehr bekannte Verehrer gehabt hat. Der Geizige hält etwas auf seine Geliebte, weil sie ihm wenig Geld kostet; die meisten Männer dagegen halten etwas auf die ihrigen, weil sie viel für sie ausgegeben haben. Diese letztere Situation hat große Aehnlichkeit mit der eines Spielers, der alle verlornen Summen aus einen einzigen Wurf setzt; man sagt von ihm: er läuft seinem Gelde nach. Eben so »doublirt« man den Einsatz in der Schmuggelliebe, ehe man sich entschließt, den Verlust mit Gleichmuth zu betrachten; man würde die Totalsumme lieber verzehnfachen, als sie demüthig unter der Rubrik Gewinn und Verlust eintragen. Man sucht sich sogar durch die triftigsten Gründe einzureden, daß die Speculation sehr gut gewesen sei.

Wir haben diese speculative Zärtlichkeit ins Auge gefaßt, weil der Marquis von Escoman in die Kategorie der speculativen Liebhaber gehört. Er hatte zwei Gründe, die Sache so anzusehen. Margarethe kostete ihm zugleich viel Zeit und viel Geld.

Sie war durch ihn geworden, was sie seht war. Wie sie Louis von Fontanieu erzählt hatte, war sie ein armes Mädchen aus dem Volke, deren Geist eben so wenig cultiviert war wie ihr Haar, deren Naivität von zartfühlenden Seelen für plumpes, ungehobeltes Wesen gehalten werden konnte. Er hatte sie nach seiner Weise geformt und zugestutzt; er hatte ihr nach und nach alle Grundsätze der Eleganz und seinen Weltsitte beigebracht; sie hatte von ihm gelernt, wie man Landsknecht spielt und wie man mit Anstand Suppe ißt, wie man schlüpfrige Lieder ohne Erröthen singt und die Strumpfbänder gehörig anlegt. Die Kunst, Handschuhe anzuziehen, hatte ihm allein mehr als einen Monat täglichen Unterrichtes gekostet. Endlich war er überglücklich, wie er sah, mit welcher wunderbaren Leichtigkeit sie die Manieren und die Ausdrucksweise der von ihr besuchten Gesellschaften annahm. Er schmückte sein Spielzeug, wie ein Kind seine Puppe ansputzt; er gab für Kleider, Schmuck und Spitzen ein Capital aus, von dessen Renten eine Familie hätte anständig leben können.

Nur diese eigennützigen Beweggründe machten ihm Margarethe theuer. Sie unterhielt ihn in Stunden, wo er sonst nichts zu thun wußte, sie schmeichelte seinem Stolz, sie stellte eine beträchtliche Summe dar, und überdies fand der frühzeitig abgelebte Marquis Wohlgefallen an den derben Reizen dieser plebejischen Schönen.

Dazu kam noch ein anderer und zwar der allertriftigste Grund. Was würden die Leute dazu sagen? Was würde der Clubb, was der Chevalier von Montglas sagen, wenn man in Erfahrung brächte, daß der Marquis von Escoman, der chevalereske Edelmann, der sich um die Wiederherstellung eines wirklich »noblen Lebens« in der Hauptstadt von Dunois so große Verdienste erworben, von einer armen Grisette gefoppt, betrogen worden sei!

Der Gedanke an den wahrscheinlichen Verlust entlockte ihm wohl einige Seufzer, aber der Gedanke an das, was ihn erwartete, versetzte ihn in Wuth. Als er den ersten Aufwallungen des Zornes freien Lauf gelassen hatte, füllten sich seine Augen mit Thränen; er weinte aus Aerger, der Thau des Schmerzes kam nicht aus dein Herzen.

Er war bleich, seine Lippen waren fest zusammen gepreßt, sein verstörtes Gesicht hatte denselben Ausdruck, wie Abends vorher bei dem großen Verlust im Spiel.

Er sann nach, wer ihm Margarethe wohl geraubt, wer ihre Zuneigung gewonnen haben könnte. Er ließ in Gedanken alle seine Bekannten die Musterung passiren; aus Louis von Fontanieu fiel sein Verdacht weniger als auf einen Andern. Endlich vermuthete er ein Einverständniß mit einem Schauspieler oder einem Unteroffizier der Garnison.

Dieser Gedanke trug wesentlich dazu bei, Margarethe aus seiner Erinnerung zu verbannen; hatte sie wirklich ein gemeines Liebesverhältniß angeknüpft, so verdiente sie nicht, daß er sich nach ihrem Besitz zurücksehnte. Im Grunde besaß sie wenig Geist; sie war nur eine schöne Statue; das Verhältniß hatte auch schon lange gedauert; der Marquis würde zu der Zeit, wo er neue Pferde anzukaufen pflegte, auch eine Maitresse genommen haben, wenn er die andern Mitglieder des Clubs, an deren Bewunderung ihm sehr viel lag, hätte überzeugen können, daß es sein Wille gewesen. Aber er mochte die Mängel Margarethens immerhin übertreiben, eine innere Stimme sprach lauter zu ihrem Vortheil. Um diese Stimme nicht zu hören, versuchte er sich in jenen halbwachen träumerischen Zustand zu versetzen, in welchem es sich für den Menschen um »Sein oder Nichtsein« handelt, in welchem er gleichsam zwischen Himmel und Erde schwebt und seine Gedanken ineinander verschwimmen. Er glaubte nun die eintönigen Klänge einer Todtenglocke zu hören, und allmälig wurde aus diesen Klängen eine menschliche Stimme. Er rief wiederholt den Namen Margarethe mit allen Ausdrücken schwärmerischer Zärtlichkeit, und zugleich zog die Vergangenheit an seinem geistigen Auge vorüber.

Dieses Traumgesicht weckte seinen Zorn. Er erwachte und nun beschuldigte er Margarethe des Undanks; er warf ihr die Wohlthaten vor, mit denen er sie überhäuft, und in die erste Reihe dieser Wohlthaten stellte er die Verführung, deren Opfer sie geworden war. Dann fing er an auf Rache zu sinnen.

Diese Gedanken erinnerte ihn an die Rolle, die er in der vornehmen Welt zu spielen hatte. Er bedachte, daß er sich durch Rache doppelt lächerlich machen würde; er sah ein, daß er ganz gleichgültig scheinen und sich das Ansehen geben müsse, als habe er, dieses Verhältnisses überdrüssig, den Bruch selbst veranlaßt.

Diese Erwägung gab ihm einige Fassung wieder; um sich nicht lächerlich zu machen, konnte er seinen Verdruß verbergen und seinen Zorn mäßigen.

Er kleidete sich an und ging fort, um der Erste zu sein, der die Nachricht erzählte.

Die meisten seiner Freunde mußten noch schlafen; aber unter der gestrigen Tischgesellschaft waren zwei Dragonerlieutenants, und diese hatten das Recht im Quartier zu sein, um ihre nächtlichen Strapazen zu vergessen.

Sie bemerkten den Marquis von Escoman, der absichtlich diesen Weg genommen, und redeten ihn an. Es entspann sich ein Gespräch, und der Marquis erzählte mit scheinbarer Gleichgültigkeit, daß er Margarethe entlassen, und setzte hinzu, er werde ihnen mit Vergnügen behilflich sein, falls sie Absichten hätten. Es folgte nun eine frivole Schilderung der Vorzüge Margarethens.

Der Marquis wußt, daß die Herren beim Frühstück, von nichts Anderem sprechen würden; im Kaffeehause gab es natürlich viele Zuhörer, und so war vorauszusehen, daß sich die interessante Nachricht bald wie ein Lauffeuer unter den vornehmen Müßiggängern verbreiten werde.

Er ging wieder nach Hause; er legte die nun nicht mehr nothwendige Maske ab und war gegen Emma noch mürrischer als je zuvor. Es war natürlich, daß er seiner Frau die Ungezogenheit der ihr oktroyierten Nebenbuhlerin entgelten ließ.

Zur gewohnten Stunde war er im Clubb. Die Gesellschaft war zahlreich, aber nicht zerstreut, wie gewöhnlich. Alle anwesenden Mitglieder bildeten einen Kreis um einen Spieltisch, an welchem zwei junge Leute Karten spielten.

Die Ankunft des Marquis schien Allen sehr angenehm zu sein. Er nahm alle seine Kraft und Besonnenheit zusammen: er wußte wohl, daß der bevorstehende Auftritt entscheidend sein müsse, um so mehr, da er in dem Gesicht des Chevalier von Montglas eine gewisse Schadenfreude bemerkte.

»Sie kommen wie gerufen, lieber Escoman; wir haben nun nicht mehr nöthig diese alberne Partie, zu welcher uns Montglas verleitet hat, zu Ende zu spielen,« sagte einer der beiden Spieler, dessen Gesicht seit dem Erscheinen des Marquis eine gewisse Unruhe ausdrückte.

»Seit wann hat denn meine Gegenwart Ihre Unterhaltungen gehindert oder unterbrochen? Branchen Sie einen Partner? Da bin ich.«

»Ich sagte Ihnen ja, daß Escoman die Idee gut finden würde,« sagte Montglas.

»Warten Sie doch, bis er Ihre Idee kennt, um Ihnen so rauschenden Beifall zu spenden,« erwiederte der Andere. »Denken sie sich, lieber Marquis, man hat in der Stadt das Gerücht Ihres Bruches mit Margarethe verbreitet; wir wollten es nicht glauben.«

»Ich danke Ihnen für die Meinung, die Sie von mir, haben,« erwiederte Escoman mit berechneter Ironie. »Warum sollte ich denn Margarethe nicht verlassen? Ist es denn nicht das natürlichste, folgerichtigste Ende eines solchen Verhältnisses? Es hat ja drei Jahre gedauert und bekam bereits das Ansehen eines Hauswesens. Pfui! ich bekomme eine Gänsehaut, wenn ich an die sentimentalen Faseleien und Thränen und Augenverdrehungen denke – ich habe also der Sache schnell ein Ende gemacht.«

»Das arme Kind hat geweint,« sagte der Chevalier mit erheucheltem Mitleid.

»Bravo!« erwiederte der Spieler, dessen Gesicht merklich heiterer geworden war. »Wir können nun in unserer Partie fortfahren. Geben Sie Karten.«

»Was hat denn meine Angelegenheit mit Ihrer Partie zu thun?«

»Sehr viel, lieber Marquis. Da die Schöne frei ist, so wollten wir Beide uns um ihre Gunst bewerben. Eine solche Erbschaft wird nicht sub beneficio inventarii angetreten. Montglas gab uns nun den Rath, unsere Degen und Pistolen ruhen zu lassen und Margarethe auszuspielen.«

In der Hitze eines physischen oder geistigen Kampfes wird die Kraft des Kämpfenden verdoppelt; aber der Marquis konnte diesen frevelhaften Uebermuth doch nicht gleichgültig anhören.

»Finden Sie meine Idee nicht allerliebst?« sagte der Chevalier.

»Ich finde diese Reminiscenz an die Zeiten der Regentschaft sehr abgeschmackt,« erwiederte der Marquis. »Ehe Sie die Karten mischen, hätten Sie die Zustimmung Margarethens einholen sollen. Wissen Sie denn, ob der Posten, um den Sie sich bewerben, nicht schon vergeben ist? Ich gestehe, daß ich es sehr wahrscheinlich finde. Die festen Plätze bleiben nicht gern ohne Garnison.«

Montglas trat der Meinung des Marquis in aller Demuth bei; er gab zu bedenken, daß Niemand besser als Escoman, der doch gewiß ein väterliches Wohlwollen für Margarethe hege, ihre Stimmung zu erforschen vermöge. Der alte Roué sprach mit solcher Gewandtheit, daß der Marquis sich nicht gut weigern konnte, einen Schritt zu thun, durch den er endgültig beweisen würde, wie gleichgültig ihm Margarethe sei.

Der Chevalier drang nicht ohne Absicht auf eine so baldige Zusammenkunft des Marquis mit Margarethe. Er wußte was Escoman dachte und empfand, seinem Scharfblick war das Mienenspiel des Letzteren nicht entgangen. Er sah voraus, daß in dem Gemüthe und zumal in den Gewohnheiten des Marquis eine große Lücke entstehen müsse und er zählte auf seine Schwäche, um diese Lücke auszufüllen, wenn auch der Marquis den Ruf eines vollendeten Roué, auf den er so großen Werth legte, dadurch einbüßen mußte. Sein Groll gegen den Marquis fand durch diese Demüthigung eine Befriedigung.

Возрастное ограничение:
0+
Дата выхода на Литрес:
30 ноября 2019
Объем:
410 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

С этой книгой читают