Читайте только на ЛитРес

Книгу нельзя скачать файлом, но можно читать в нашем приложении или онлайн на сайте.

Читать книгу: «Liebesdramen», страница 20

Шрифт:

Fünftes Capitel.
Wo unerwartet Hilfe kommt

Inzwischen war Emma wieder nach Hause gekommen.

Wenn sie bedachte, wie nachtheilig seit einiger Zeit der Gram auf ihre Gesundheit gewirkt hatte, wunderte sie sich, daß sie Kraft hatte, so viele Leiden zu ertragen. Denn ihr jetziger Kummer war weit größer, als der, den ihr der Marquis verursacht hatte.

Diesen Muth konnte sie nur aus der Liebe schöpfen. Sie liebte noch immer; ihr zweimal so tief verwundetes Herz konnte nicht von ihrem Geliebten lassen. Jedes aufrichtige, tiefe Gefühl ist ja unvergänglich wie Alles, was aus den Händen des Schöpfers hervorgegangen ist. Solche Gefühle werden wohl verändert, geläutert, aber sie leben so lange wie das Herz, in welchem sie geboren sind.

Ihr blindes Vertrauen war verschwunden; sie errieth die Gedanken Fontanieu’s, ihr Ahnungsvermögen ersetzte die in die Augen springenden Beweise, welche sie gar nicht suchte. Sie betrachtete mit stiller Ergebung die ewige Liebe als einen schönen Traum; sie beweinte das schnelle Zerrinnen desselben; aber sie fühlte weder Verachtung noch Zorn gegen den Mann, der den Traum so schnell zu Ende gebracht. Sie erkannte endlich den Wankelmuth des Träumers, der es einst, wie jetzt, ehrlich gemeint hatte, und sie fühlte für ihn das zärtliche, innige Mitleid, mit welchem eine Mutter die Verirrungen ihres Sohnes betrachtet. Sie hielt sich für berufen, über den Geliebten zu wachen, den seine Schwäche in Gefahr brachte, und sie war überzeugt, daß sie darin ausharren müsse, bis der Todesengel sie abrufe. Sie waffnete sich mit Geduld; sie bekämpfte den Schmerz, den ihr die nur zu offenbaren Verirrungen Fontanieu’s verursachten. Sie hoffte, es werde ein Augenblick kommen, wo, wenn nicht sie, doch die Vernunft einige Gewalt über diesen Flattergeist bekommen werde. Bis dahin wollte sie dem Geliebten Alles ersparen, was ihm das Leben verbittern konnte.

Aber die Last ihrer Trübsal war schwer zu tragen; zu ihrem Gram waren noch die quälenden Nahrungssorgen gekommen.

Jeder Rausch hat die gleiche Wirkung. Louis von Fontanieu hatte in dem seinigen kein Bewußtsein von dem, was in ihm vorging. Seine immer größer werdenden Bedürfnisse erschöpften die Casse. Emma erröthete für ihn; aber sie war eine vornehme Dame geblieben, sie würde sich noch tiefer beschämt gefühlt haben, wenn materielle Interessen neben ihren Seelenleiden zur Sprache gekommen wären, und sie wußte es so einzurichten, daß Fontanieu’s Börse nie leer war.

Die Schulden häuften sich, und eines Tages mußte sie für einen sehr nothwendigen Waarenankauf einen Wechsel ausstellen. Diesen Wechsel konnte sie zur Verfallzeit nicht bezahlen. Sie bat den Giranten, der klagbar gegen sie wurde, um eine kurze Verlängerung der Frist; aber er zeigte eine ihr unerklärliche Härte. Sie konnte die hinter dem Banquier Verdières verborgene Hand Margarethens nicht sehen.

Sie hatte ihrem Geliebten alle diese Sorgen verschwiegen. An dem zur Pfändung bestimmten Tage sollte er auf ihr dringendes Verlangen seine Mutter besuchen Sie wollte allein sein, während das Ungewitter sich entladen würde; vielleicht hegte sie noch die leise Hoffnung, ihn durch ihre aufopfernde Hingebung und Selbstverleugnung wieder an sich zu fesseln.

Nachdem sie die treue Susanne in ihre trostlosen Verhältnisse eingeweiht, und nachdem sich Louis von Fontanieu entfernt hatte, ging sie am Morgen dieses traurigen Tages ebenfalls fort, um noch einen Versuch zu machen. Sie begab sich zu dem Advocaten, der sie in ihrem Prozesse vertheidigt hatte. Dieser rieth ihr, sich an den in Paris lebenden Marquis von Escoman zu wenden. Dies lehnte Emma jedoch entschieden ab.

Sie fand den Gerichtsdiener und seine Handlanger im Laden. Das Gesetz hatte ihm in der Gestalt eines Polizeicommissärs und eines Schlossers den Zutritt eröffnet. Die Leute machten bei ihrer Arbeit plumpe Bemerkungen über die Schönheit der jungen Putzmacherin.

Emma suchte Susanne und fand sie nicht. In ihrer Verzweiflung schöpfte sie Verdacht gegen die treue Dienerin. Der Wankelmuth Fontanieu’s machte ja Alles möglich, und in ihrer Verlassenheit fühlte sie, daß ihr Muth weichen werde. Sie sank mitten unter den durcheinander geworfenen Schachteln auf einen Stuhl und fing an zu weinen.

Plötzlich hörte sie vor der Thür die wohlbekannten Schritte Susannens. Sie sprang erfreut auf, riß die Thür auf und sank der alten Amme in die Arme.

Susanne war blaß, und gleichwohl rann ihr der Schweiß über das Gesicht. Man sah ihr an, daß sie trotz ihrer Beleibtheit sehr schnell gegangen war. Sie gab ihrem »lieben Kinde« nur einen flüchtigen, aber zärtlichen Kuß.

Mit einem Blick erkannte sie, was vorging.

»Stellen Sie Alles wieder an seinen Platz!« rief sie dein Gerichtsdiener und seinen Handlangern mit einer Stentorstimme zu.

Und als die Diener des Gesetzes sie höhnisch lachend ansahen, setzte sie hinzu:

»Nur geschwind! Ich werde Euch sogleich das Maul stopfen.«

Bei diesen Worten ließ sie einen mit Thalern gefüllten Sack, den sie bis dahin unter ihrem Tuche versteckt gehalten hatte, auf den Ladentisch fallen, während sie mit der andern Hand eine Elle faßte und drohend erhob.

Der erste Theil dieser doppelten Pantomime machte auf den Gerichtsdiener einen weit größern Eindruck, als der zweite. Er musterte den Geldsack und maß in Gedanken den Umfang desselben; dann wandte er sich an die Marquise und fragte:

»Wenn gehört dieses Geld, Madame?«

»Was liegt Dir denn daran, Du Unhold?« antwortete Susanne, während Emma, die noch an ihrem Halse hing, sie dringend fragte, woher sie das Geld habe. – »Dieses Geld gehört meiner Herrin, Du garstiger Mensch!«

»Sie behaupten also, daß Madame die Eigenthümerin dieses Geldes ist?«

»Allerdings.«

»Susanne,« bat Emma, »sage mir doch wenigstens —«

»Schweigen Sie! Ich habe mir’s in Ihrem Dienste erspart und ich habe es geholt. – Sie sehen also, daß es Ihnen gehört.«

»Wenn das ist,« erwiederte der Gerichtsdiener, »so nehme ich das Geld als hier vorgefunden in Beschlag. Dieser Beutel kann nicht mehr als dreitausend Franks enthalten, es müßten denn Gold oder Banknoten sein. Die Schuldforderung, wegen welcher wir die Pfändung vornehmen, beläuft sich freilich nur auf zweitausendachthundert Franks: aber mit den Gerichtskosten beläuft sich die ganze Schuld auf dreitausendzweihundertsiebenundvierzig Francs, und um die Differenz zu decken, fahren wir in der Pfändung fort.«

Der Gerichtsdiener hatte einige Augenblicke vorher das Billet von Margarethe erhalten, und er hielt sich genau an den erhaltenen Auftrag.

Susanne war außer sich vor Zorn. Wenn die Marquise ihren Arm nicht zurückgehalten hätte, so würde die strafende Waffe, welche sie in der Hand hielt, das Gesicht des Gerichtsdieners getroffen haben.

»Mein Gott!« sagte Emma. »Arme Susanne, sollte deine Aufopferung wirklich vergebens sein!«

»Nichts ist unnütz in der Welt, selbst nicht ein alter Knabe, wie ich bin,« sagte eine Stimme hinter der Marquise und Susanne. »Der Himmel bereitet mir zum zweiten Male das Glück, Frau Marquise, Ihnen einen Dienst zu erweisen.«

»Der Chevalier von Montglas!« rief Emma erstaunt, als sie sich umsah und den Chevalier bemerkte, der in der Thür stand und die zierlichste Verbeugung machte, wie er sie in Versailles gelernt hatte.

Zugleich war auch Louis von Fontanieu erschienen. Er stand hinter dein Chevalier und betrachtete mit verstörten Blicken das Innere des Ladens.

»Louis!« sagte Emma, indem sie durch ihre Thränen zu lächeln suchte.

»Still!« unterbrach aber der Chevalier. »Lassen Sie mich zuerst diese Unglücksvögel fortschicken. Wie hoch beläuft sich die Schuldforderung?« fragte er den Gerichtsdiener.

»Dreitausendzweihundertsiebenundvierzig Francs,« antwortete dieser; »hier sind die Schriften.«

Der Chevalier schnellte mit einer raschen Handbewegung die Papiere zum Plafond empor, nahm die Hälfte eines Banknotenbündels und sagte:

»Machen Sie sich bezahlt und geben Sie den Geldsack zurück.«

»Aber —« begann Susanne, die ihren Antheil an dem ihrer Herrin erwiesenen Dienste haben wollte.

Der Chevalier gab ihr einen gebieterischen, aber durch eine gewisse Vertraulichkeit gemilderten Wink. Sie schwieg.

Dann wandte er sich wieder zu der Marquise und küßte ihr mit so zierlichem Anstande die Hand, als ob er in ihrem Salon zu Châteaudun gewesen wäre.

Unterdessen gab der Gerichtsdiener den Geldsack an Susanne zurück und zählte ab, was er dem Chevalier herauszugeben hatte.

»Sie haben mir viertausend Franks gegeben,« sagte er; »Sie bekommen siebenhundertdreiundvierzig zurück. Hier ist das Geld.«

»Geben Sie den Ueberschuß Ihren Leuten,« sagte Montglas, ohne sich umzusehen.

»Mein Herr,« erwiederte der Gerichtsdiener stolz, »meine Leute werden besoldet und nehmen von Niemand Almosen an.«

»Zu meiner Zeit nahmen sie gern; sie wurden freilich oft durchgeprügelt. Die Revolution hat Alles umgekehrt, und ich finde, daß wir bei dem Tausch mehr verloren als gewonnen haben.«

Während die Diener des Gesetzes fortgingen, traten Louis von Fontanieu und die Marquise auf den Chevalier zu und drückten ihm die Hände.

»Montglas,« sagte der junge Mann, »wir soll ich Ihnen danken für den Dienst, den Sie mir erwiesen haben?«

»Sind Sie mir nicht in weit mißlicheren Verhältnissen gefällig gewesen? Sie haben mir fünfzig Louisd’or geliehen, als Sie sie hatten; ich leihe Ihnen zweihundert, da ich sie eben habe. Seit wann wägt man denn unter Edelleuten die Wichtigkeit eines Dienstes nach der Größe der Summe ab?«

»Aber wie kommt es, daß Sie gerade zur rechten Zeit erschienen, Chevalier?« fragte die Marquise, welche sich weder die Dazwischenkunft noch den Reichthum des früher fast nothdürftigen alten Roué zu erklären wußte. »Louis wußte also, daß Sie in Paris sind?«

»Frau Marquise, die Romantik ist nicht so phantasiereich als der Zufall. Ich wollte Herrn **, unserem gemeinsamen Freunde, eben einen kleinen Besuch machen. Er gibt am hellen Mittage einen Ball, und unter dem Vorwande, daß ich keine Eintrittskarte hatte, wollten die dienstbaren Geister den Chevalier von Montglas ohne weiteres zur Thür hinauswerfen. – Wahrhaftig,« setzte der alte Edelmann hinzu, »ich hätte nicht gedacht, daß man dort eine Eintrittskarte haben müsse, wie in den Tuilerien.«

Louis von Fontanieu warf seinem alten Freunde einen bittenden Blick zu. Aber der Chevalier fuhr fort:

»Fontanieu ging gerade fort, als ich mich mit den unverschämten Kerlen zankte. Er kam mir zu Hilfe, und während ich mit ihm sprach, fand ich sein Gesicht bedenklich. – Sie werden jetzt wissen, schöne Dame, daß unser Freund seine Gefühle nicht zu verbergen weiß.« – Emma seufzte. – Ich witterte Sorgen, wie ein Schweißhund den Hirsch wittert. Mein Herz war seit langer Zeit ausgedorrt, ich fühlte das Bedürfniß, es zu erfrischen. Ich verzichtete auf die Züchtigung der unverschämten Bedienten und entschloß mich, Fontanieu zu begleiten. Er wollte mir sein Geheimnis nicht mittheilen; aber ich wußte wohl, daß ich das Räthsel hier lösen und überdies das Vergnügen haben würde, Ihnen meine Huldigung darzubringen.«

»Aber Sie müssen wissen, Herr Chevalier,« entgegnete Emma, »daß wir in langer Zeit nicht im Stande sein werden, Ihnen die vorgestreckte Summe zurückzuzahlen.«

»Das freut mich, liebe Marquise. Das Geld ist in guten Händen; es wird mir mehr Glück bringen, als aus dem grünen Tische. Ich werde bald ein reicher Mann sein.«

»Haben Sie etwa eine reiche Erbschaft gemacht?« fragte Fontanieu neugierig.

»Seht im Gegentheil.

Die viertausend Francs, die ich Ihnen leihe, lieber Freund, sind gerade die Hälfte dessen, was mir von dem letzten Oheim geblieben ist, den die Vorsehung an meine Speisekammer gehängt hatte.«

»Ach mein Gott!« sagte Emma, die untröstlich war, daß sie das großmüthige Darlehen angenommen hatte.

»Ich will Ihnen Alles sagen, um Ihre Bedenklichkeiten zu beschwichtigen, liebe Marquise. Ich kam unlängst nach Paris, um mich zu verheiraten,« setzte der Chevalier ganz ernsthaft hinzu und zog seine Halsbinde in die Höhe.

Diesen Griff hatte er sich unter dem Directorium angewöhnt.

»Sie wollten sich verheiraten?« sagte Louis von Fontanieu erstaunt.

»Sie sind gar nicht höflich, Theuerster. Allerdings, ich will mich verheiraten. Man muß sich doch endlich dazu entschließen. Seit zwanzig Jahren gehe ich mit dem Gedanken um, mein Junggesellenleben zu begraben. Nun kann ich doch vernünftigerweise nicht länger warten. Ich bin entschlossen, den verhängnißvollen Schritt zu thun.«

Diese letzten Worte begleitete der Chevalier mit einem tiefen Seufzer.

»Wen heiraten Sie denn, Chevalier?«

»Nur nicht so hastig, mein junger Freund Warten Sie doch. Ich warte ja auch. Sobald ich den Namen der künftigen Marquise von Montglas weiß, werde ich nicht ermangeln, Ihnen denselben mitzutheilen. Morgen gehe ich auf die Brautschau. In Berücksichtigung der schlechten Zeiten bin ich geneigt, einige kleine Zugeständnisse zu machen. Das neue Königthum ist ja von Bürgersleuten umgeben, und man darf es heutzutage mit der Geburt nicht so genau nehmen. Und da ich in meinem Archiv ein altes vergilbtes Pergament, das mich berechtigt den Grafentitel zu führen, gefunden habe, so werde ich hoffentlich bald in der Lage sein, der Frau Marquise von Escoman eine Gräfin vorzustellen; vorausgesetzt, daß sie es mir gütigst erlaubt.

Der Chevalier sprach in so ernstem Tone, daß an der Wirklichkeit seines Entschlusses nicht zu zweifeln war. Der Scharfblick des alten Edelmannes hatte die Schwermuth der Marquise und die Befangenheit Fontanieu’s bemerkt. Die erzürnten Blicke, welche Susanne von Zeit zu Zeit dem jungen Manne zuwarf, klärten ihn vollends über die Lage der Dinge auf. Aber mit dem feinen Takt des Weltmannes vermied er jede Anspielung, welche ein Geständniß hätte herbeiführen können. Seine heitere Gesprächigkeit versuchte gegen die Verstimmung seiner Freunde anzukämpfen.

Er wünschte seine Rückkehr durch ein Fest zu feiern. Er bat so dringend, daß Emma, die dem Helfer in der Noth diese kleine Gefälligkeit nicht abschlagen mochte, die Einladung zu einem Diner auf den Abend annahm.

Nach Tische führte Montglas die Marquise und Fontanieu in die Oper.

In einem Zwischenacte schützte er heftige Kopfschmerzen vor und bat Fontanieu ihn zu begleiten. Sie entfernten sich Beide, nachdem sie der Logenschließerin befohlen, Niemand in die Loge zu lassen, in welcher die Marquise von Escoman allein blieb.

Der Chevalier führte Louis von Fontanieu auf den Boulevard.

»Lieber Freund,« sagte er, »ich habe mir große Mühe gegeben, Sie von vielen Thorheiten abzuhalten. Werde ich glücklicher sein, wenn ich Sie verhindern will, schlecht zu handeln?«

Fontanieu machte eine rasche Bewegung, um dem alten Manne seinen Arm zu entziehen. Aber der Chevalier hielt ihn mit einer in seinen Jahren staunenswerthen Muskelkraft fest.

»Lassen Sie mich ausreden,« setzte er hinzu. »Ich bin einmal so, ich menge mich in Dinge, die mich eigentlich gar nicht kümmern sollten. Aber ich bin bereit, Ihnen Genugthuung zu geben, wenn Sie sich durch meine Worte beleidigt fühlen; ich will meine grauen Haare durchaus als Blitzableiter benutzen. Ich fahre also in meinem Texte fort. Sie lieben die Marquise nicht mehr, und sind in die Dirne von Châteaudun vernarrt.«

»Chevalier, diese Fabel hat Ihnen Emma erzählt.«

»Wie können Sie das glauben?« erwiederte der Chevalier mit aufrichtiger Entrüstung. »Ich habe zu große Achtung vor einer gebildeten Dame, als daß in einem Gespräch mit ihr ein solcher Name genannt werden könnte. Ich bin fünfundsechzig Jahre alt, aber ich habe noch gute Augen, mein junger Freund. Die Abgeschmacktheit der Ehestandsgedanken, welche Sie diesen Morgen so in Erstaunen setzten, wird dadurch bedeutend gemildert. Ich habe Margarethe, die ebenfalls in der Oper ist, sehr gut erkannt. Sie sitzt im ersten Range. Ich habe Ihre verstohlenen Blicke wohl bemerkt. Ich habe gesehen, wie zornig sie ist, wie sie in ihrem Aerger eine Blume nach der andern aus ihrem Strauß riß, wie sie die Marquise mit giftigen Blicken ansah. Und warum waren Sie diesen Morgen bei ihr, während die arme Emma in der schrecklichsten Lage war? Treiben Sie mich nicht in meine letzten Verschanzungen, Fontanieu! Mein Scharfblick könnte Ihnen noch weit unangenehmer werden.«

»Und wenn es wäre, wenn ich mich durch die Erinnerung an ein früheres Verhältniß zu weit hätte hinreißen lassen, kommt es denn Ihnen zu, Montglas, Ihnen, dem alten Roué, mir Vorwürfe darüber zu machen?«

»Sie thun mir Unrecht, Freundchen. Ich will zugeben, daß ich ein alter Bruder Liederlich bin; aber auf Ehre! ich habe noch Niemand betrogen. Ich habe meine Vorzüge und Mängel immer offen zur Schau getragen. Die Schöne, der sie gefielen, nahm mich, wie ich mich eben gab; wenn sie es zu bereuen hatte, so war’s ihre Schuld, und nicht die meinige. Ich hatte eine Husarenliebe versprochen, es war also keine elegische, sentimentale Stimmung von mir zu erwarten. Ist dies etwa die Rolle, welche Sie der Marquise gegenüber gespielt haben?«

»Können Sie mir denn einen Vorwurf machen, daß ich sie nicht mehr liebe?«

Dies irae auf dem Friedhofe zu Châteaudun anstimmten; aber ich glaubte, Sie würden, obschon ein gewöhnlicher Sterblicher, bedenken, daß Sie die Ehre haben ein Edelmann zu sein; ich hoffte, Sie würden sich von der Unglücklichen, die Ihnen Alles geopfert, nicht nachsagen lassen, daß Sie sich wie ein —«

»Was sollte ich denn thun?«

»Aufrichtig sein, ihr sagen, was in Ihrer Seele vorging. Sie würde vielleicht den Tod davon gehabt haben, und das wäre ehrenvoller gewesen, als die Rolle zu spielen, welche Sie bei ihr spielen, und zugleich menschlicher, als die Arme so lange zu martern.«

»Emma hat gar keine Ahnung.«

»Glauben Sie? – Ich bürge Ihnen dafür, daß sie Alles weiß, was in Ihrem Innern vorgeht. – Ich will Ihnen noch einen Rath geben,« setzte der Chevalier mit sanfterer Stimme hinzu. »Sie lieben Emma nicht mehr. Das ist ein Unglück für Beide, ein noch größeres für Sie. Aber Sie sollten bedenken, welche Pflichten Ihnen durch die Hingebung und das Zartgefühl dieses edlen Wesens aufgelegt werden. Ich sage Ihnen dies sowohl aus Mitleid als aus Theilnahme an Ihrem Geschick. Das Pflichtgefühl allein vermag Sie zurückzuhalten von dem Abgrunde, dem Sie zueilen. Zeigen Sie, daß Sie ein Mann sind; betrachtete Sie Ihre Lage mit dem festen Willen, nicht zu wanken. Bedenken Sie, daß Sie arm sind und daß Sie zwei Gläubiger haben, mit denen Sie sich abfinden müssen: die Marquise von Escoman, die Ihnen ihr Leben anvertraut hat, und die arme Dienerin, die Ihnen heute ihren Sparpfennig brachte. Bequemen Sie sich zur Arbeit, und trachten Sie, daß Sie kein Montglas werden. – Endlich, lieber Freund, denken Sie an die Worte der Schrift: Wenn Dich dein Auge ärgert, so reiße es aus und wirf es ins Feuer. Gehen Sie nicht wieder zu Margarethe. Versprechen Sie mir’s?«

Louis von Fontanieu schlug die Augen nieder und antwortete nicht.

Sie gingen schweigend einige Schritte weiter; dann stand der Chevalier plötzlich still.

»Meine Kopfschmerzen werden unerträglich,« sagte er.

»Ich gehe nicht in die Oper zurück. Empfehlen Sie mich unserer schönen Marquise und sagen Sie ihr, daß es mir unendlich leid thut, sie diesen Abend nicht nach Hause begleiten zu können. Wenn Sie meiner bedürfen, so bin ich im Hotel Rivoli zu finden. Adieu, lieber Freund!«

Der Chevalier entfernte sich, ohne seinem jungen Freunde die Hand zu drücken. Fontanieu begab sich wieder zu Emma; er wunderte sich über die sonderbaren Gewissensscrupeln, welche der Chevalier von Montglas in seinen alten Tagen hatte.

Sechstes Capitel.
Wo der Louisd’or wieder aufs Tapet kommt

Die Hilfe, welche die Freundschaft des Chevalier von Montglas der Marquise geleistet, war vergebens.

Nach den Gesetzen der Schwere nimmt die Schnelligkeit eines fallenden Körpers im Verhältniß der Höhe zu. Dieses Phänomen der Physik läßt sich auch in den gewöhnlichen Lebensverhältnissen beobachten. Niemand vermag die furchtbare Schnelligkeit zu berechnen, mit der das Unglück seine Opfer in den Abgrund stürzt.

Das Unglück hatte Emma in ihren theuersten Gefühlen getroffen. Sie überlebte diesen furchtbaren Schlag. Dann kamen die materiellen Sorgen, welche immer schonungsloser auf sie einstürmten.

Ihr Credit war verloren, ihre Kundschaft vernichtet; jede noch so geringe Schuldforderung wurde mit einer Härte eingetrieben, welche sie noch weniger als früher zu erklären wußte. Es war ihr nicht möglich, sich des so theuer bezahlten Geschäfts zu entledigen. Sie mußte sich, um dem Bankerott zu entgehen, zu ihrem größten Kummer entschließen, die ihr mit großer Hartnäckigkeit aufgedrungenen Ersparnisse Susannens anzunehmen. Die brave Dienerin konnte nicht begreifen, warum man dem Chevalier von Montglas, der ihrer Herrin doch nicht so nahe stand, einen Vorzug einräumte.

Durch die dreitausend Francs und den Verkauf der Einrichtung des Clos-beni wurde die Marquise in den Stand gesetzt, die Rue du Seze mit Ehre zu verlassen. Sie hatte in dieser Wohnung so viel gelitten, daß sie trotz des Mißgeschicks, welches sie vertrieb, mit wahrer Freude fortzog. Für den Dulder ist ja jede Veränderung der Lage eine Erleichterung.

Zumal für Emma. Sie bezog ihre neue und bescheidene Wohnung in der Rue de la Pepinière mit einer frisch keimenden Hoffnung.

Geliebt werden ist ein großes Glück, aber für manche hochbegabte Gemüther ist lieben ein noch größeres Glück. Seitdem Louis von Fontanieu so zerstreut, so kalt, so gleichgültig gegen sie geworden war, hatte sie stillschweigend auf das erstere Glück verzichtet; aber sie hoffte, daß ihr der Himmel den Trost des andern lassen werde. Sie glaubte, dieses könne ihr genügen; sie hatte sich diesem Gedanken mit Freude hingegeben, sie hatte ihre ganze Hoffnung darauf gesetzt.

Die Seelenkrankheiten haben ihr Delirium wie ihr Fieber. Die Marquise hatte trotz aller schweren Prüfungen die Klarheit des Geistes bewahrt. Um in die dritte Phase ihres Lebens zu treten, hatte sie einen Plan entworfen, dessen einziger Fehler die Unausführbarkeit war.

Sie hatte den Charakter Fontanieu’s studirt; sie hatte den beständigen Widerspruch zwischen seinem Herzen und seinen Handlungen beobachtet und daraus den Schluß gezogen, daß er nur in der Ideenwelt lebe. Sie meinte, er sei zum Dichter, zum Künstler geboren, und wollte ihn auf die Bahn führen, zu der er bestimmt zu sein schien. Sie glaubte ihn dadurch vor Abwegen und Täuschungen zu bewahren. Sie hoffte, der Umgang mit den Musen werde seiner rastlosen Phantasie eine bestimmte Richtung geben.

Die Marquise von Escoman irrte zuerst darin, daß sie die Künstler, die fleißigen Gefangenen unserer Civilisation, mit den Träumern, den Eunuchen derselben, verwechselte.

Sie bedachte nicht, daß es ein großer Unterschied ist, sich von seiner Phantasie fortreißen zu lassen, der Sclave derselben zu werden, allen ihren Launen zu gehorchen, ihr träge nachzuschlendern auf dem Gebiete des Widersinnigen und Unmöglichen, oder sie zu bezähmen, zu beherrschen, in den Schmelztiegel zu bannen, um das ihr in wohnende Schöne und Nützliche auszuscheiden. Sie fühlte zu tief den Stolz des liebenden Weibes, als daß sie zu dem schonungslosen Schlusse hätte kommen können, daß der Trübsinn nur ein Beweis der Schwäche ist, daß die Fehler, selbst die Laster für einen Mann weniger zu fürchten sind, als die sogenannten negativen Tugenden, welche gemeiniglich nur ein Zeichen moralischer Trägheit sind. Ueberdies hatte sie nur oberflächlich beobachtet; sie hatte die Augen geschlossen, weil sie fürchtete, der Anblick der Wunde werde ihrer Liebe zu abschreckend sein. Sie konnte sich keinen Begriff machen von der Versunkenheit des Mannes, auf dessen Sinnesveränderung sie noch immer so große Hoffnungen setzte.

Leider kam zu diesem Irrthum noch ein zweiter, welcher noch unmittelbarer in ihr Leben eingreifen sollte.

In dem Uebermaße ihres Schmerzes hatte sie die Mutterrolle, die einzige, welche sie dem Verirrten gegenüber spielen zu müssen glaubte, buchstäblich genommen; in ihrer Furcht vor gänzlicher Verlassenheit hatte sie sich in eine Art Juste-Milieu zwischen Liebe und Freundschaft geflüchtet; ohne ihr Herz um Rath zu fragen, hatte sie beschlossen, daß es sich fortan damit begnügen solle. Das Herz schwieg, und dieses Schweigen hatte sie für Zustimmung gehalten. Sie war aufrichtig in ihren Planen; sie vermuthete nicht, daß dieser Heroismus in der Selbstverläugnung, dieses Uebermaß in der Hingebung ihr den wankelmüthigen Geist wieder zuführen werde; aber sie war überzeugt, daß alles dies ihren Geliebten zu einer Theilung bewegen werde, in welcher ihr das Einzige zufallen müsse, was im Leben noch Werth für sie hatte: die reine, uneigennützige Zuneigung des Mannes, der sie einst so leidenschaftlich geliebt hatte.

Während sie in seine geistigen Saiten griff, denen sie eine so große Kraft der Töne zuschrieb, suchte sie das zur Ausführung ihrer Plane nothwendige Vertrauen zu gewinnen.

Diese Aufgabe war schwierig. Einerseits fand sie wohl Begeisterung, die aber nur flüchtig war und schnell zusammensank, wie der Schaum auf dem Glase, und wie günstig sie ihn auch gern beurtheilte, so konnte sie sich doch nur mit Mühe länger der Täuschung hingeben, er sei zu hohen Dingen bestimmt.

Andererseits fand sie nicht minder große Hindernisse. Wo es sich um Gefühle handelt, versteht der Mann gemeiniglich nur das sinnlich Wahrnehmbare, das Naheliegende. Zu der erhabenen Uneigennützigkeit in der Liebe konnte sich Fontanieu’s Geist nicht erheben. Er glaubte nicht daran, er sah darin eine Falle und sein Mißtrauen verweigerte jede Mittheilung mit einer Hartnäckigkeit, die man gemeiniglich nur bei der Lüge zeigt.

Emma war entschlossen, diese Herzensergüsse, welche man ihrer Großmuth verweigerte, zu erzwingen. Nachdem sie nichts hatte wissen wollen, wollte sie Alles wissen. Der Chevalier von Montglas war in ihrer Wohnung nicht wieder erschienen. Sie fürchtete, durch dieses Ausbleiben nach dem großen Freundschaftsdienste, den er ihnen erwiesen, gebe er einen Tadel über das Verhalten seines jungen Freundes zu erkennen. Sie ersuchte ihn schriftlich um eine Zusammenkunft. Der Chevalier war zu höflich, um nicht zu antworten, aber er entschuldigte sich mit einer hartnäckigen Unpäßlichkeit, und bedauerte, auf die ihm zugedachte Ehre verzichten zu müssen.

Susanne sagte gar nichts. Sie wußte indeß die Ursache der Gleichgültigkeit Fontanieu’s gegen ihre Herrin. Die sinnreichen Mittel, welche sie angewandt hatte, um die Wahrheit zu erforschen, waren auch dieses Mal nicht erfolglos geblieben. Sie wußte recht gut, warum Fontanieu immer häufiger abwesend war; aber Emma empfing ihn trotz ihres mütterlichen Programmes immer mit so zärtlichen Blicken; sein Lächeln, ein Wort von ihm machte ihr so große Freude, daß Susanne ihr diesen Trost nicht rauben mochte. Sie hütete sich wohl, den schwachen Grashalm wegzublasen, der sie über dem Abgrunde hielt; sie reichte ihr vielmehr die Hand, um sie zu halten. Sie spielte eine doppelte Rolle: in Emma’s Gegenwart war sie höflich, fast zutraulich gegen Fontanieu; nur wenn sie mit ihm allein war, gab sie ihren Haß durch giftige Blicke zu erkennen.

Während die Marquise mit den ersten Schwierigkeiten kämpfte, welche die Ausführung ihres Planes hinderten, klopfte die Noth an ihre Thür.

Emma hatte kein Bedenken getragen zu arbeiten, aber sie bedachte nicht, daß diese Hilfsquelle gewöhnlich unzureichend ist.

Susanne befolgte gewissenhaft das Beispiel ihrer Herrin. Die Schwache ihrer Augen machte ihr das Nähen unmöglich; aber ein anderer kleiner Erwerb, den sie nicht genauer bezeichnete, erlaubte ihr, zu den gemeinsamen Auslagen ihr Scherflein beizutragen.

Louis von Fontanieu hatte seinen Dienst bei dem Banquier wieder angetreten; aber die Bedürfnisse des Hauswesens konnten von seinem geringen Gehalt und von dem Erwerb der beiden Frauen für die Dauer nicht bestritten werden.

In dem Wechsel der Verhältnisse hatte Susanne ihre früheren Dienste geleistet: in Clos-beni, wie in der Hinterstube des Putzladens deckte sie den Tisch mit derselben Genauigkeit und Sorgfalt, wie die Dienerschaft im Hotel Escoman. Sie meldete mit demselben Pomp wie vormals, wenn die Speisen auf dem Tische standen.

Sie hatte freilich nur wenig aufzutischen, aber sie blieb bei ihrer alten Gewohnheit. Ihr neuer Erwerb nahm nur die Abendstunden in Anspruch.

Eines Tages, als sie den Tisch besorgt, die Teller und Bestecke in regelmäßigen Entfernungen vertheilt und zwei Flaschen mit klarem Wasser aufgestellt hatte, ging sie fort, um – wie sie es nannte – das Essen »für die Herrschaft« aus einem benachbarten Speisehause zu holen. Gleich darauf kam sie mit zornglühenden Augen und bebenden Lippen zurück.

Die Marquise erfuhr nur mit Mühe die Ursache dieses Zornes.

Die Lieferanten verweigerten die Verlängerung eines Credits, der ihnen nicht ohne Gefahr zu sein schien.

Man machte einige Ueberreste des frühern Reichthums zu Gelde; aber dieses Strandgut des Schiffbruchs verschwand bald, und Emma hatte fast täglich mit der Noth zu kämpfen.

Ihre größte Sorge war, Fontanieu könne merken, zu wie traurigen Hilfsmitteln sie ihre Zuflucht nehmen mußte; sie war beständig darauf bedacht, es ihm zu verbergen. Eines Tages jedoch, als nichts mehr zu verkaufen war, als die Lieferanten unerbittlich waren, konnte sie nicht umhin, ihm die Wahrheit zu gestehen. Sie that es mit Thränen.

Louis von Fontanieu ward tief gerührt durch den Anblick dieser bittern Noth. Er weinte mit ihr, er fand für sie die lange vermißten zärtlichen Worte wieder; er bat sie um Verzeihung, daß er sie in solche Noth gebracht; er machte sich selbst die bittersten Vorwürfe, er pries ihren Muth und ihre Hingebung und sprach endlich so zuversichtlich von dem nahe bevorstehenden Ende ihrer Drangsale und von einer bessern Zukunft, daß die Neugierde der Marquise geweckt wurde.

Am andern Morgen ging sie aus, um von der Wäschehändlerin, für welche sie arbeitete, etwas Geld zu holen. Sie blieb lange aus und schien ganz außer Fassung, als sie nach Hause kam. Sie wankte, ihr Gesicht war sehr blaß ihre Augen glühten fieberhaft, und von Zeit zu Zeit wurde sie von Fieberschauern befallen. Sie schien mit äußerster Anstrengung eine innere Bewegung zu bekämpfen Susanne bestürmte sie mit Fragen. Emma schützte eine leichte Unpäßlichkeit vor; sie bat ihre treue Dienerin ihrem gewöhnlichen Erwerbe außer dem Hause nachzugehen. Fontanieu merkte nichts; er selbst schien unruhig, verlegen, zerstreut.

Возрастное ограничение:
0+
Дата выхода на Литрес:
30 ноября 2019
Объем:
410 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

С этой книгой читают