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Читать книгу: «Adams Söhne», страница 20

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III. Kapitel

So begann denn schon am ersten Abend, was der Alte begehrt und gehofft hatte: Bertholds wohllautende Stimme ließ sich in seinem Salon – oder seiner ›Halle‹, wie er ihn nannte – vernehmen, und die junge Frau hörte geduldig und aufmerkend zu. Diesmal nahm die ganze Gesellschaft teil, um den Tisch versammelt; mehrere Lampen brannten, nach dem Nachtmahl fuhr man hier fort, goldigen Wein zu trinken. Auf Saltners Wunsch las Berthold aus Goethes Gedichten vor, und der Alte schlug selber dieses und jenes auf, das, ohne belehren zu wollen, die Lust am Leben und den Wert des Daseins betont und die Schwingen anregt. Wittekind, die Absicht verspürend, musste lächeln, obwohl diese Bemühungen des ›Seelenarztes‹ ihn rührten; Marie saß ruhig da, als bemerkte sie davon nichts. Ihre Augen hingen, wenn sie sie nicht schloss, an Berthold, der sich mit jugendlicher Lust seinem Amte hingab. Ein schwärmerisches Feuer brannte bald auf seinen Wangen; er vermied es nicht ganz, sich zu überstürzen, aber er las freier, sicherer, kunstverständiger als damals auf der ›Gemse‹, und auch das singende Pathos wusste er etwas besser zu bekämpfen. Der schlichte Adel, die himmlische Natürlichkeit dieser Gedichte war wie ein kräftiger Strom zwischen festen Ufern, auf dem sein Gefühl nicht verirren konnte, sondern leicht getragen dahinschwamm; und so trug er auch die Zuhörer in süßem Zwang mit sich fort. Saltners Brauen – sonst saß er still – kamen kaum zur Ruhe; Marie nahm sich wie die vermeinte Statue im ›Wintermärchen‹ aus, die sich beim Klang der Musik nach und nach belebt; und auch Wittekind, von dem ein beengender Seelendruck nicht mehr weichen wollte, schwamm diesen Strom mit hinab, als ginge es in die jungen Tage zurück, wo Goethes Liederbuch ihm eine Welt war und all dieser Wohllaut von Lust und Leid ihn wie ein himmlisches Vorspiel zum Drama des kommenden Lebens berauschte.

Als er dann aber allein in seinem Zimmer stand – alles hatte sich zur Ruhe begeben – und die schöne, milde Nacht ihm in die offenen Fenster hereinwehte, fiel ihm die ganze Beklemmung dieses Tages wieder auf die Brust. ›Ja, ja, sie hat schweres Blut‹, dachte er, – denn seine Gedanken konnten von Marie nicht lassen; ›hat’s von dem Vater geerbt, dem Unglücklichen: den „brütenden Stolz“ – oder wie sagte der Alte? – — Nun ja, und wenn auch – was tut das? Ach, wenn sie nur wollte – mit all ihrem „schweren Blut“, das du nur so nennst, weil sie zu edel ist, ihr selbstgewähltes Schicksal leicht zu nehmen, – mit alledem nähmst du sie so gern, so gern, und wärst wie gesegnet. Leugne dir’s doch nicht! Den ganzen Winter hast du auf den Sommer gehofft, und sie dann wiederzuseh’n; und es gibt für dich – ja, ja, ja, so ist es – es gibt für dich nur diese eine Frau. Ach, sie immer um dich zu haben, diese seelenvollen Augen, diese edle Stimme. Aber sie „achtet dich hoch“ – wie er sagt – wohl gar mit ein wenig „Verehrung“ – und will weiter nichts von dir. Als sie gute Nacht sagte – sie gab mir die Hand, o ja; die so warm und weich war; aber flach und still lag sie auf meiner Hand. Dann kam Berthold; dem dankte ein warmer Blick, dass er ihr wohlgetan, und sie drückte seine Hand so herzlich, dass ich’s sehen musste; ja, sie schüttelte sie.‹

Er trat ans Fenster und sah in die Nacht hinaus.

Wunderbar tot war die Welt. Der Mond, etwas mehr als halb, streute wieder diesen kalten Schein des Lebens aus, von dem sie damals auf der ›Hedwigsruhe‹ sprachen – — wie lange war das nun her. Dieses matte, dämmernde Halbleben fröstelte, widerte ihn an. Der Untersberg lag ihm gegenüber wie ein Haufen Nichts, wie der Schatten einer Leiche. Alles blutlos, leer; das rechte Bild der Entsagung, des lebendig Totseins. So sah es nun aus in der jungen Frau; so sollte er sie lassen, weiter nichts begehren. ›Lasst mich da in Frieden!‹ hörte er sie wieder sagen. ›Stört mich nicht mehr auf!‹

Er dachte endlich die Fenster zu schließen und beugte sich hinaus; schreckhaft fuhr er aber zusammen, als er plötzlich und unerwartet im Nebenfenster einen zweiten Kopf sah, der sich gleichfalls hinausstreckte. Der Mond spielte nur auf dessen Haaren, das Gesicht war im Schatten. Es war Berthold, den er schon schlafend glaubte. Der Jüngling lag mit den Armen auf seinem Fensterbrett, und schaute oder träumte so versonnen, dass er das Erscheinen des Vaters nicht bemerkte. Wittekind betrachtete ihn still.

›Wie rührend jung er noch ist!‹ dachte er. ›Aber doch ein so eigener, tiefer Ernst um die weichen Wangen. – Wovon er nun träumen mag?‹

Die jungen Lippen bewegten sich.

»Marie! Marie!« flüsterten sie seufzend.

Wittekind fuhr zurück. Wie wenn ihm ein kühler Wind durch die Haare ginge, lief ein schauerndes Frösteln in seinen Nacken hinab. Er stand wieder im Zimmer und horchte. Doch er hörte nichts mehr. Nebenan und überall war es still.

»Nun ja!« flüsterte er endlich lautlos vor sich hin und versuchte zu lächeln. Er trat aber nicht wieder ans Fenster, und er schloss sie nicht. ›Die Nacht ist mild‹, dachte er, entkleidete sich und streckte sich auf dem Bett unter seine Decke. So lag er noch lange mit offenen Augen da; erst gegen Morgen entschlief er. – —

Das Pfingstfest brach an; diese schönsten Feiertage verlebten die Freunde gemeinsam, auch Marie mit ihnen; nur dass sie bei ihren Morgen- und Abendwanderungen die Ziele mieden, wohin die Menge strebte, und einsamere Wege suchten, an denen in dieser reichen Landschaft auch kein Mangel war. Saltner kannte sie alle; er führte seine Gäste um den Gaisberg herum gegen die Ischler Straße, auch an der Salzach aufwärts, auch über das ›Moos‹, das er im Geist zum ›Salzburger See‹ umgeschaffen hatte. In seinem Feuereifer, wie der alte Faust, zeigte er ihnen rechts und links und gegen den Untersberg zu die Grenzen dieser geträumten Wasserfläche, die mit Villen bevölkerten Ufer, auch den zierlichen Dampfer, auf dem er sie an diesen Gestaden entlangführte. In den Mittagsstunden zog sich der alte Einsiedler dann in sein Zimmer zurück; und auch Wittekind flüchtete in seinen Frieden hinauf. Durch die offenen Fenster hörte er aber seines Berthold Stimme, der unten in der ›Halle‹ wieder zu den Büchern griff, und dem die junge Frau Stunden lang ein offenbar williges Ohr schenkte.

Kamen sie am Abend zum zweiten Mal nach Haus, so ermutigte ihn schon ihr zunickendes Lächeln, mit diesem Liebesdienst fortzufahren; Berthold errötete vor Freude, und nach wenigen Augenblicken saß er ihr gegenüber und las. Der Alte ging ab und zu, auf den schweigsamen Teppichen; Wittekind setzte sich lieber in ein Nebenzimmer, wo er zuhören oder in seine Gedanken versinken konnte, wie eben seine beladene Seele es begehrte. ›Und sie?‹ dachte er. ›Hört sie jedes Wort? Ist sie wirklich ganz Ohr? Oder sitzt sie in ihrem „Wald“ und horcht nur so hin, wie wenn die Vögel in den Bäumen singen? – Oder ist sie mehr Aug’ als Ohr? Schon auf der „Hedwigsruhe“ sagte sie von ihm: beinahe hätt’ ich gesagt, wie holdselig … Findet sie nun, er ist es?‹

Zuweilen erschien auch Kathi irgendwo in der Tür; öffnete sie leise ein wenig, lauschte eine Weile, wenn man sie nicht wahrnahm, und schlich dann geräuschlos in ihren Winkel zurück. Das Mädchen war am ersten Abend unsichtbar geblieben, hatte dann am Morgen Vater und Sohn scheu und verlegen begrüßt, auf ihre freundlichen Worte ihnen einmal zugelächelt und sich dann plötzlich, flüchtig wie ein Reh, wieder davongemacht. So blieb sie während der Feiertage: nur wenn sie der ›Dienst‹ zu den Gästen führte, ließ sie sich seh’n, und verschwand sogleich, wenn ihre Pflicht erfüllt war. Am dritten Morgen aber, als Berthold sein Zimmer noch nicht verlassen hatte, trat sie nach schüchternem Klopfen bei ihm ein, mit hochrotem Gesicht. Sie schien geweint zu haben, aber nicht vor Kummer: denn sie sah ihn tiefgerührt und mit so kindlich warmer Herzlichkeit an, dass ihm fast wieder so sonderbar zu Mute wurde wie vor einem Jahr auf der ›Gemse‹. Nachdem sie ihn von der Tür aus begrüßt und eine Weile in hilfloser Bewegung ihre Füße hin und her gewiegt hatte, trat sie mutiger auf ihn zu.

»Ich hab’ die halbe Nacht ja nicht schlafen können«, sagte ihre tiefklingende, weiche Stimme.

»Und warum nicht, Kathi?«

»Das wissen Sie ja doch«, gab sie ihm zur Antwort; es kam beinahe wie ein Vorwurf heraus.

»Ich weiß gar nichts; wahrhaftig«, erwiderte Berthold lächelnd.

»Aber der Herr von Saltner hat mir’s ja gestern Abend gesagt … An mich schlechte Person haben Sie gedacht – sich was abgespart … Mein Gott, ich versteh das nicht!«

»Wozu auch alles versteh’n, Kathi? Man muss die Welt nehmen, wie sie ist, und nicht so viel nachdenken, dass man den Schlaf verliert. Ich will Ihnen nur sagen, Kathi: weil ich Sie nicht für eine ›schlechte Person‹ halte, sondern für eine recht gute, die – — die einmal zu gut war, so hab’ ich mir – — hab’ ich für Sie – —«

Die Unsicherheit kam nun über ihn. Er ging um seine Worte herum, als hätte jedes einen Stachel, der ihr wehtun könnte.

»Nun, Herr Saltner hat’s Ihnen ja gesagt«, stieß er endlich heraus.

»Ja«, seufzte sie. »Und dass auch Ihr Vater – und dass auch Herr von Saltner – – Wie komm’ ich dazu! Alle so gut zu mir – —«

Sie schluchzte auf einmal laut auf, wie ein Kind, und die augenrötenden Tränen begannen nun wieder ungehindert zu fließen.

»Na, da haben wir’s!« sagte Berthold, der, je länger sie weinte, sich desto mehr wie ihr Onkel, wie ihr Vater fühlte. »Kathi! Wer weint denn um Geld. Geld ist ja doch das Wenigste, was einer dem andern antun kann – wenn er’s grade hat. Wir haben es, und Sie nicht. Also geben wir Ihnen so viel, als Sie brauchen, um – — Nun, Sie wissen schon. Ich wünsch’ Ihnen einen guten Mann, Kathi, und ein gutes Glück!«

»Wir wollen’s hoffen«, sagte sie mit erstickter Stimme. »Und ich dank Ihnen für Ihre Gutheit. Geben Sie mir doch die Hand!«

»Was wollen Sie damit?« fragte er, da sie sich niederbückte, während sie danach haschte.

Sie antwortete nicht, sondern versuchte stumm seine Hand zu küssen. Er zog sie aber weg und versteckte beide Hände hinter seinem Rücken.

»Lassen Sie das«, sagte er mit milder Strenge; »das gehört sich nicht. Das mögen die Hunde tun. Menschen küssen sich —«

›Auf den Mund‹, wollte er sagen; er ward aber rot und brach ab. Alle seine Vatergefühle zusammennehmend sah er ihr in die nahen, treuherzigen, nassen Augen und murmelte endlich, beinahe flüsternd:

»Ich werde Sie auf die Stirn küssen, Kathi.« —

Das Mädchen erwiderte nichts und hielt ihm die sanftgebräunte Stirn unverlegen hin.

Er näherte sich ihr. In diesem Augenblick überkam ihn ein sonderbares, tolles Gefühl: als sei er Eugen Dorsay, dem diese Kathi so willig sich zum Kusse darbiete … Alles, was sie auf der ›Gemse‹ erlebt hatten, stand ihm vor der Seele. Es ward ihm unhold zu Mut. Er zog sein Gesicht zurück.

Seine Herzensgüte trieb es jedoch wieder hin. Er berührte ihre Stirn mit seinen Lippen, wie ein Fisch den Köder berührt, vor dem er sich scheut.

»Ich – — ich danke Ihnen«, murmelte er dann.

»Für was?« sagte sie leise.

Sie ging dann schweigend, rückwärts, zur Tür. Mit halb gesenktem Kopf flüsterte sie, noch einmal aufseufzend:

»Vergelt’s Ihnen Gott! – Ich werd’ für Sie beten. – — Ich hab’s ihm auch heilig gelobt – — und ich werd’s auch halten.«

»Was haben Sie ihm gelobt?«

So lange sie noch im Zimmer stand, gab sie keine Antwort. Erst als sie von draußen die Tür halb geschlossen hatte und nur die Hälfte ihrer zierlichen Gestalt noch sichtbar war, hauchte sie durch die Spalte hinein:

»Brav sein!«

Dann machte sie die Tür mit einer Bewegung, aber lautlos, zu.

IV. Kapitel

Schon am Pfingstmontag hatte ein frischer Nordost die sommerwarme Luft wieder abgekühlt; am Dienstag drang er auch in die erwärmten Mauern und Wände ein und füllte die Zimmer mit frostigen Gefühlen, die man, wie die Winterkleider; schon abgelegt zu haben vermeint hatte. Saltner allein machte ein vergnügtes Gesicht, als sei dieser Rückfall in den Nachwinter auf seine Bestellung gekommen: er liebte die gemischten Tage, an denen die Sonne vom blauen Himmel heiter herunterbrennt, im Kamin aber das Feuer lodert, diese traulichste von allen Flammen, in die er so gerne hinein träumte. Er schleppte sogar am Morgen selber Buchenscheite herbei; denn in seinem Hause durfte nur das edle Buchenholz brennen, dies war die einzige Verschwendung, deren er sich rühmte. Man sah ihn auch an diesem Tag stundenlang am Kamin, in die Flamme guckend. Er wollte den Rückfall genießen, er traute dem Wetter nicht, das sich in den Sonnenschein fest einzusommern drohte, denn nicht das kleinste Wölkchen stieg am Himmel auf, und das aus allen Zweigen brechende Grün war nicht mehr zu halten.

Frau Marie blieb am Nachmittag zu Haus und auf ihrem Zimmer; Wittekind schrieb, der Alte saß sinnend am Kamin; zuletzt ging Berthold, da er keinen Menschen hatte, allein vor die Tür und in die Stadt hinein. Er kam an die alte Brücke und auf denselben Weg, auf dem er damals Kathi gesucht und endlich im Wasser gefunden hatte. Jetzt war aber das Ufer nicht einsam wie an jenem Morgen, großes und kleines Volk schlenderte an der Salzach hin und schien diesen sonnig frischen Abend als dritten Feiertag zu genießen. Sich selber überlassen und die Leute betrachtend, erinnerte sich Berthold seiner alten Bekannten aus dem Volk, der ›Weltverbesserer‹, an die er in diesen Tagen kaum einmal gedacht hatte, denn die großen Augen der Frau von Tarnow ließen ihm keine Zeit dazu. Auch war er noch nicht in die Stadt gekommen, weder mit den andern, noch allein.

Er blickte ohne Neugier umher, mehr als einmal glaubte er die untersetzte, stämmige Gestalt Afingers zu seh’n; wollte auf ihn zu, strebte wieder zurück; – verwundert bemerkte er, wie zwiespältig seine Empfindungen waren, und wie wenig wir eigentlich wissen, wie über diesen und jenen Menschen unsre innerste Stimme spricht. ›Möchte’ ich Afinger wiedersehn?‹ dachte er. ›Weiß ich das wirklich nicht? Oder haben nur seine Kameraden mir auch ihn verleidet? Ginge ich denen lieber aus dem Weg, und darum auch ihm?‹ – Übrigens täuschte er sich, denn jener, den er von weitem für Afinger hielt, war ihm unbekannt. Er kehrte endlich wieder um, denn es zog ihn nach Haus. Ein so wunderbares, neues Leben war in ihn gekommen: ganze Tage in der Gesellschaft dieser Frau zu sein, deren Schicksal für ihn so geheimnisvoll und romantisch war, ihrem edlen Gesicht gegenüber sich in Poesie zu berauschen, seine laute Stimme zu hören, ihre verschlossene Seele damit aufzuschließen. Der David dieses weiblichen Saul zu sein, wie er mit Stolz bei sich dachte; ›denn sie hört mir zu, sie lächelt, ihre Wangen beleben sich, ihre Augen leuchten … Was für Augen. Sterne! Und sie leuchten mich an – leuchten durch mich hindurch – als flögen sie hinter mir weiter zu den andern Sternen. Und mich durchschauert’s … Aber ich lese weiter. Ich fasse mich wie ein Mann. Obwohl sie – — obgleich mein Herz…‹ – —

»Kurz, ich liebe sie! Ich bete sie an!« murmelte er in die Luft.

»Was reden Sie da vor sich hin?« hörte er jetzt eine Stimme sagen, und eine Hand legte sich ihm auf den Arm. »Dabei geh’n Sie so rasch, dass ich Sie kaum einholen kann. Kennen Sie mich nicht mehr?«

Berthold sah Riedau vor sich, als er sich gegen die Stimme gewendet hatte. Er erkannte ihn im ersten Augenblick nicht, weil das an sich so scharf gezeichnete Gesicht unnatürlich gerötet und durch ein unruhiges, übertriebenes Lächeln entstellt war. Sobald jedoch dieses Lächeln schlichter wurde, war ihm bewusst, wen er vor sich hatte.

»Herr Riedau«, sagte er kurz. »Guten Tag. Sind Sie wieder hier?«

»Irgendwo muss der Mensch ja sein«, erwiderte der Andre, wieder mit dieser aufgeregten Lustigkeit, für die es an einem Anlass fehlte. »Ich hab’ Sie gleich erkannt, obgleich Sie sich jetzt ein Bärtchen stehen lassen.«

Riedau fuhr durch seinen eigenen dichten, schwarzen Bart und lachte.

»Machen Sie nur nicht so große Augen«, fuhr er dann mit etwas unsicherer, aber doch geläufiger Zunge fort; »wundern Sie sich nicht. Ich hab’ halt viel getrunken. Die Feiertage; und überhaupt … Was kann der Mensch Besseres tun, als trinken; wenn’s ein edler Stoff ist. Aber zu viel hab’ ich darum nicht. Die Zunge ist etwas komisch, aber der Kopf ist frei. Ich weiß, was ich sage – und auch was ich will!« —

Er lachte wieder auf; dann betrachtete er aber den Jüngling mit seinen forschenden, unruhig wandernden Augen, während er sein gewohnheitsmäßiges, stilles Lächeln annahm.

»Ja, und ich werd’ Ihnen das heute noch beweisen!« setzte er, ein Auge eindrückend, hinzu.

Berthold beachtete diese Behauptung nicht; er fragte, von Riedaus Zustand und Benehmen nicht eben erbaut:

»Sind Sie mit Ihrem Diplomaten, oder was er war, wieder auf der Reise?«

»Nein«, entgegnete Riedau und zeigte seine Zähne. »Der hat eine Reise gemacht, die ich noch nicht mitmachen wollte. Er ist für immer abgereist, versteh’n Sie. Abgeschrammt, wie man sagt! Ah! Ja, die Canaille ist tot. Ich wollte dann bei einem Baron in Dienst treten; aber das – zerschlug sich. Da hab’ ich mich an einen hohen Herrn geschmiegt, der sich für – gelehrt hielt und einen Sekretär brauchte. Wieder Paria! Das bekam ich doch endlich satt. Ich spritzte eines Tages meine Feder aus, sagte: gute Nacht, Herrendienst! und wurde ein freier Mann. Freiheit über alles! Freiheit, die ich meine – — «

Er stellte sich vor Berthold hin, sodass dieser nicht weitergehen konnte, fasste seinen Rockärmel und schloss die Augen halb zu, wie er es vor Zeiten von Waldenburg gelernt hatte.

»Mit Ihnen kann man ja reden«, fuhr er leiser fort – sie waren übrigens an einen menschenleeren Platz in der Nähe des Wassers gekommen – »und Sie versteh’n mich. Das Volk! Alles durch das Volk! Weg mit unsern Tyrannen. Befreiung der Gesellschaft! Dafür leb’ ich jetzt. Hab’ ich Recht, oder nicht?«

Er blickte, während er sprach, Berthold wieder so spürend an, dass über den arglosen Jüngling doch ein unbehaglich misstrauisches Gefühl kam.

»Und wovon leben Sie, wenn ich fragen darf?« sagte er unwillkürlich.

Riedau beantwortete diese Frage nicht, er lächelte ihm nur geheimnisvoll zu.

»Kurz, vor Ihnen kann ich mich aussprechen«, entgegnete er dann. »Es muss etwas gescheh’n, und es wird gescheh’n … Oder denken Sie nicht mehr so frei wie damals?«

»Ich denke ebenso wie damals«, erwiderte Berthold trocken. »Aber Sie – — Sie wollten ja nur ›oben bleiben‹, wie Sie mir damals sagten; so oder so!«

»Hab’ ich das gesagt?« – Riedau lachte. – »Ja, das sieht mir gleich! Ich hatte mir das angewöhnt – es ist eigentlich dumm – so allerlei verruchtes, blödes Zeug in den Tag hinein zu reden, den verfluchten Kerl zu spielen, wenn mir’s grade Spaß machte. Die mich wirklich kennen, dacht’ ich, die wissen ja doch, wer ich bin!«

»Und was tun Sie jetzt? Spielen Sie auch jetzt wieder nur den Freiheitsmann, den Volksmann, oder ist der echt?«

»Ah! Wie fein Sie sind!« antwortete Riedau, indem er vor Bewunderung die Brauen anzog und mit seinem Schwarzkopf nickte. »Und Sie haben eigentlich Recht. Man soll keinem Menschen trauen, der sich überhaupt den Spaß macht, Komödie zu spielen. Darum hab’ ich diese Maskenscherze jetzt auch aufgegeben, die schaden einem nur; hab’ mich auf den eigentlichen Kern in mir zurückgezogen, der verteufelt ernst ist – und lebe wirklich nur noch für meine Ideale. Hab’ ich darin Recht oder nicht?«

»Gewiss haben Sie Recht«, entgegnete Berthold, noch etwas ungewiss und mit einem schrägen Blick.

»Sie sollen mich kennenlernen, wie ich wirklich bin; das heißt, wenn Sie wollen; mein ganzes Herz schlägt jetzt für die Enterbten, für die Unterdrückten … Seit wann sind Sie hier? Haben Sie Afinger schon geseh’n?«

»Nein, noch nicht. Ich bin erst wenige Tage hier.« —

Indem Berthold dies sagte, betrachtete er den andern verwundert: so sehr hatte dessen ganze Erscheinung sich mittlerweile ernüchtert; sogar die Röte im Gesicht war schon halb verschwunden.

»Afinger ist mein Mann! Der hat sich entwickelt. Den müssen Sie wiedersehn! Ich lebe jetzt hier, weil dieser Magnet mich fesselt; und in unserm kleinen Kreise, sag’ ich Ihnen, rühren sich Gedanken, Ideen. Mit der Zeit auch Taten. … Wir tagen aber nicht mehr zwischen unsern vier Wänden, sondern, wie die Irländer Curleys, im Freien, im Busch!«

»Warum tun Sie das?«

»Warum? Weil die Polizei ein altes Weib ist, das alles wissen will; weil dieses alte Weib uns nachspürt, in die Schlüssellöcher kriecht, an den Wänden horcht, in die Türen einbricht. Ja, so sind die Zeiten! – Der Stierkopf, der Metzner, hat’s verlangt, dass wir auswandern – und ich hab’ ihm zugestimmt. Sonst hätt’ er mich wohl gar selber für ‘nen Spitzel gehalten.« – —

Riedau lachte wieder; aber mäßiger, trockener als zuvor. Er nahm Bertholds Hand.

»Herr Wittekind!« sagte er plötzlich, mit dem breiten, herzlichen Ton, den er gleichfalls in der Schule seines toten Meisters gelernt hatte. »Alle, die es gut meinen, müssen jetzt zusammenhalten Als ich Sie sah, dacht’ ich gleich: Bravo! Unser Sankt Georg ist wieder da! Denn so heißen Sie noch immer bei uns. Wir hoffen noch immer auf Sie. Afinger voran. Kommen Sie morgen Abend, wo wir wieder tagen, zu uns hinaus in den Busch?«

Berthold schwieg verwirrt; er sah an dem andern und an sich hinunter. Dies alles überraschte, überrumpelte ihn; er hatte hier wie im Märchen gelebt, nicht in Sankt-Georgs-Gedanken, er war auch nicht mehr der Träumer von damals, wie ihm heute däuchte. Was zog ihn noch hin? War es mehr als Neugier? Was stieß ihn ab? War es wirklich die Vernunft? – Und dieser Riedau, was war er?

»Sie antworten mir nicht«, sagte Riedau, nachdem er eine Weile gewartet hatte. »Das soll wohl heißen: da man euch nachstellt, tu’ ich nicht mehr mit; ich fürchte mich vor der Polizei!«

»Herr!« fuhr Berthold auf. »Wie können Sie sich erdreisten … Ich fürchte mich nie. Ich kenne keine Furcht!«

»Dann entschuldigen Sie gütigst; beleidigen wollt’ ich Sie nicht. Ich dachte ganz naiv: er will nicht, aus Furcht. Denn wenn Sie sagen: ›ich denke noch ebenso wie damals‹, aber Anstand nehmen, sich unter uns zu zeigen – nun, dann sieht’s doch so aus.« – —

»Ich werde also kommen!« unterbrach Berthold ihn stolz und kurz. Seine Augen blitzten. Er fuhr mit der Hand durch seinen jungen Bart. »Nur damit Sie sehen, dass es ›nicht so aussieht‹ … Wann find’ ich euch denn? Und wo?«

»Wir ›tagen‹, wenn es Nacht wird«, entgegnete Riedau, der nun seinen geschmeidigen Rücken wieder freundlich krümmte. »Seien Sie nur wieder gut; ich werde einen Mann wie Sie doch nicht kränken wollen.«

»Wo?«

»Stromauf, an der Salzach. Kennen Sie den Weg am Fluss hinauf, der später seitwärts nach Hellbrunn führt, und auch nach Anif?«

»O ja; schon von früher; und auch dieser Tage sind wir da gewandert.«

»Desto besser, verehrter Herr! – Da, wo dieser Weg – — Ich wusste ja recht gut: an Schneid’ fehlt’s Ihnen nicht —«

»Schon gut«, unterbrach ihn Berthold. »Also wo?«

»Da, wo dieser Fußweg den Fluss verlässt, geh’n Sie zum Wasser hin; dann am Ufer fort, unter dem höher liegenden Wald, der Sie verdeckt – bis einige Büsche kommen. Da finden Sie die ›Gruppe‹ beisammen, wenn es Nacht ist. Bleibt das Wetter klar, so haben Sie Mondschein, können’s nicht verfehlen.«

»Ich verfehl’ es auch ohne Mondschein nicht, wenn ich hinkommen will. Und, wie gesagt, ich will. Also auf Wiederseh'n morgen an der Salzach!«

Berthold, noch immer erregt vor beleidigtem Stolz, winkte mit der Hand zum Abschied und ging nach links, seiner Straße zu.

Fast verblüfft durch diese rasche Trennung öffnete Riedau die dicken Lippen, ohne etwas zu sagen. Bald aber fasste er sich, und in seinen Augen funkelte eine heimliche Freude auf.

»Ich danke Ihnen!« rief er dem rasch davon gehenden Jüngling nach.

Indem er dann wie Waldenburg zu schmunzeln suchte, setzte er hinzu: »Vogue la galère

Berthold kam an sein Haus. So eilig, wie er es erreicht hatte, so zögernd trat er nun ein. War es nicht eine Torheit, eine Übereilung, dieses Stelldichein anzunehmen? Was wollte dieser Riedau von ihm? Was wollte er, Berthold Wittekind, von diesen wilden Gewaltmenschen? Warum zog ihn sein Schicksal wieder so sonderbar in diese Gesellschaft, zu der er doch in seinem innersten Herzen nicht gehörte? – Sein Schicksal? ›Ist es nicht mein Stolz‹, dachte er, ›meine Eitelkeit, dass ich mir von diesen wulstigen Negerlippen nicht wollte sagen lassen: er fürchtet sich vor der Polizei!? – — Hingeh’n muss ich nun. Gescheit war’s wohl nicht. – Ach was! Gescheit! Was sollte mir gescheh’n? Und dieser Obenaufschwimmer sollte etwa zu Afinger und Metzner sagen können: Der hat sich gefürchtet?‹

Er sammelte sich noch eine Weile, kühlte mit Wasser, das er im Vorzimmer in seine Hände goss, sein erhitztes Gesicht, dann trat er in den Salon. Marie und die beiden Männer gingen eben ins Speisezimmer; man aß, man plauderte lebhaft über dies und das, endlich beschloss man, wieder eine schöne Stunde mit einem Dichter zu verleben, Berthold als Vorleser.

»Aber lasst uns heute nichts von Turgenjew hören!« rief Wittekind mit einer Art von Unwillen aus; »nein, etwas Erfreuliches, Markiges, Urmännliches! Mein Junge hat sich ganz in diesen Russen vernarrt; in allen Taschen trägt er ihn mit herum, er lebt jetzt förmlich mit diesen slawischen, elegischen, zartbesaiteten, geistreich kraftlosen Menschen. Ja, ja, ich gebe es zu, das ist ein Poet, er kennt das menschliche Herz, er hat die feinen beobachtenden Augen einer Frau, er versteht zu schildern – manche sagen, wie kaum ein Zweiter – ich bin ein Laie und verstehe das nicht. Aber man fliegt nicht auf! Man kommt nicht auf den Berg! Die Luft ist so dick, das Leben wird eine Last. Heut’ etwas Shakespeare, bitt’ ich! Und vom Allerbesten!«

Saltner nickte lächelnd; Marie sah stumm auf Berthold, und dieser, dem noch etwas unsicher und beengt zumute war, vermied es lieber, für seinen Dichter zu streiten.

Sie gingen in die ›Halle‹ zurück, wo im Kamin noch das heilige Feuer brannte; man setzte sich in dessen Nähe, nur Berthold ging zur Lampe an den Lesetisch. Der Vater schlug ihm ›König Lear‹ auf, den dritten Akt. Seine Augen strahlten. Berthold sah es, ermannte sich, nahm alle seine jungen Kräfte zusammen und las. Sein Gefühl, seine innere Flamme wuchs. Zuweilen, wenn er aufblickte, glaubte er am Kamin, in phantastischer Röte beleuchtet, den weißbärtigen Lear zu seh’n; so gewaltig und mystisch erschien ihm der Alte, der ins Feuer starrte. Mariens ernst verklärtes, sinnendes Gesicht konnte ihm Cordelia vorstellen.

Die ungeheuren Gewitter dieses dritten Aufzugs, in der Natur und im Geschöpf, rauschten in ihrer unerreichbar erhabenen Gewalt vorüber, bis zur ›siebenten Szene‹, der gräulichen in Glosters Schloss: hier klappte Berthold still das Buch zu, stand auf und ging auch, leise, zum Kamin. Alle schwiegen eine geraume Zeit. Es knisterte nur in dem schwälenden und lodernden Buchenholz – wie wenn hier die Flamme der Dichtung eingesunken fortbrennte – und ein leises Sausen wehte aus den züngelnden Gluten.

Wittekind stand auf, ging über den Teppich und löschte die Lampe aus; jetzt leuchtete nur das goldrote Feuer, von unten herauf; in allen Winkeln dämmerten die Schatten. Nachdem er sich wieder gesetzt hatte, nahm er endlich das Wort:

»Vor diesem Shakespeare steht man doch immer aufs Neue wie vor einem Rätsel. Die ›Vererbungstheorie‹ – was heißt das? Kann denn irgendein Mensch wirklich glauben, ein so unaussprechliches Genie wie Shakespeare sei durch Vererbung entstanden, seine braven Eltern und Großeltern hätten ihn aus ihren verschiedenen guten Eigenschaften glücklich zusammengebracht?«

»Es wird wohl auch nicht so sein«, erwiderte der Alte bedächtig.

»Nun, aber wie wär’ es dann? Vom Himmel ist er doch auch nicht gefallen.«

Saltner blickte auf und lächelte.

»Vom Himmel gefallen … Nein, so wörtlich wohl nicht. Aber doch vielleicht – in irgendeiner Weise.«

»Ich verstehe Sie nicht. Wie meinen Sie das? Irgendein besonderer Hauch der Schöpferkraft —?«

Der Alte lächelte wieder.

»Ein besonderer? Dass der Meister von Zeit zu Zeit einmal in seine Schöpfung hineinbliese, um das Geniefeuer anzufachen? Das glaub’ ich nun eben nicht. Aber der William Shakespeare aus Stratford am Avon muss ja nicht Anfang und Ende gewesen sein. Er konnte ja auch eine Fortsetzung sein; nicht seiner ›braven Eltern‹, mein’ ich – was er gewiss zum Teil, gewiss nicht im Ganzen war – sondern eines Unbekannten, der vor ihm gelebt hatte, Gott mag wissen, wo; der auch schon ein Großes war, nur in anderer Weise; der auch eine Fortsetzung war, und zwar von andern ungezählten Fortsetzungen – alle verschieden, alle im Raum verstreut, Gott mag wissen, wo – aber doch alle eins, wie sich etwa ergeben wird, wenn die Zeiten da sind.«

Wittekind starrte, wie die andern, den Alten an, der ruhig, sachlich und doch mit einer gewissen feierlichen Bedächtigkeit gesprochen hatte. Sein verschlossenes Gesicht hatte sich gleichsam geöffnet, wie wenn hinter seiner Stirn das große Buch aufgeschlagen wäre, das sonst sieben Siegel bedeckten.

»Sie sprechen von der Seelenwanderung?« fragte Wittekind.

Saltner zögerte eine Weile; dann antwortete er:

»Ja, man nennt es so. – Ich rede nicht gern davon. Die einen spötteln darüber, die andern tändeln damit. Hab’ schon manches Jahr zu keiner lebenden Seele ein Wort davon gesprochen. Nur weil wir hier grade so am Feuer sitzen – und weil dieser Shakespeare, dieser wunderbare – — Aber nein, das allein ist’s nicht. Ich denke schon lange: mit Ihnen möchte ich davon sprechen. Und auch mit Marie. Und dieser Jüngling da mit den Schwärmer-Augen – für den wär’s wohl auch!«

Berthold errötete. In verlegener Freude sagte er:

»Ich hab’ erst diesen Morgen etwas darüber gelesen; in der Zeitschrift da.« —

Er deutete auf den großen, runden Tisch, auf dem allerlei Hefte und Bücher lagen. —

»Da wird in einer dramatischen Dichtung —«

»Ich weiß«, fiel Saltner ein. »Ich hab’s auch gelesen. Der Herr meint es gut mit der Sache, scheint mir; er lässt aber seine Leute im alten Palmyra leben, und die sogenannte Seelenwanderung kommt nur als eine phantastische Veranstaltung für einen besonderen Fall vor: weiter soll sie nichts. Ich mein’ aber, sie ist wirklich, und sie ist für alle. Und das meint auch einer, vor dem ich ein Knabe bin, den wir alle verehren – und den doch gar wenige recht zu kennen scheinen: denn ich sehe, fast niemand weiß, dass er daran geglaubt hat.«

Возрастное ограничение:
0+
Дата выхода на Литрес:
04 декабря 2019
Объем:
440 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

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