Читайте только на ЛитРес

Книгу нельзя скачать файлом, но можно читать в нашем приложении или онлайн на сайте.

Читать книгу: «Adams Söhne», страница 25

Шрифт:

»Marie!« stammelte er. »Ja, das Leben – gib es mir wieder – hast es mir genommen…«

Seine Küsse unterbrachen immer seine Worte.

»Du bist’s wirklich! – Dein Kuss! – Ich starb ja ohne dich! – Wie du lächelst! – Marie!«

Sie hatte ihn fest umschlungen, ihm alle seine Küsse stumm zurückgegeben; ihr Kopf lag nun, wie in seliger Mattigkeit des Glücks, zufrieden an seiner Brust.

»Und du hast mich wirklich lieb? Mich?« fragte er, sie und den blonden Mantel ihrer Haare an sich drückend.

»Können Sie noch fragen?« gab sie ihm mit süßen Lächeln zurück; einen Strahl des Glücks in den Augen, der zu ihm hinanflog. »Nein – kannst du noch fragen? – Ich will dir’s sagen, ein für alle Mal: ich bin dir schon lange gut; aber nie, nie hätt’ ich dir’s gesagt – ich achtete dich zu hoch, konnte mich nicht achten. – — Nun kann ich’s wieder. Belüg’ ich mich nicht? Sag’ mir: kann ich’s wieder? – Wie gut nickst du mir zu … Ach, und doch dacht’ ich diese ganze Zeit: er sieht’s nicht, er fühlt es nicht, er ist kalt und still geworden, er hat mich vergessen. Bis dein Berthold kam – um dessen willen du – — O du törichter Mann! O wie seid ihr blind – ja, auch ihr – ihr klugen, ihr großen, ihr alles ergrübelnden Männer!«

»Sag’: ihr verliebten Männer!« antwortete Wittekind und verschloss ihr den Mund.

Nach einer Weile nahm er ihren umwallten Kopf zwischen seine Hände:

»Und du willst nun wirklich«, fragte er, als fasse er es nicht, »meine Hausfrau sein? Willst auf dem Land mit mir leben? Eine Gutsherrnfrau? Mit Sommer und Winter, Sonnenschein und Regen?«

»Ja, das alles will ich«, sagte sie, seine Hände fassend; »und ich will noch mehr: will auch auf der See mit dir leben, auf deiner ›Möwe‹ segeln, von der du uns erzählt hast, deine Wasserfrau sein. Und ich will deines Sohnes beste Freundin werden.«

Sie las auf seinem Gesicht, das mit einer raschen Wendung in die Ferne sah; dann setzte sie mit einem klugen und guten, ernsten Lächeln hinzu

»Ich seh’, was du denkst; und ich denk’ es auch. Du willst zu Berthold. Der ist noch allein. Willst ihm danken; ihm sagen … Komm’ wir geh’n zusammen. Du führst mich. Mein Liebster führt mich. – In ein neues Leben … Wittekind! Karl! Ich kann’s nicht begreifen!«

»Denkst du, ich kann es?« sagte er, sie an sich drückend, als begriff er’s dann besser. Sie stiegen die Terrassen hinab. Die zum Teil noch brennenden Fackeln beleuchteten von unten ihren Weg. Wittekind kam wie im Traum bis zur letzten Laube; hier ließ Marie ihn los.

»Ich werd’ es meinem lieben Vater Saltner sagen«, flüsterte sie.

Er nickte, und ging ins Haus.

Erst als er in Bertholds Zimmer stand, löste sich der Traum. Berthold saß aufrecht im Bett, eine samtene Joppe über die Schultern gehängt, den Kopf vorgebeugt, wie in banger oder ungeduldiger Erwartung. Es waren allerlei Worte durch Wittekinds Kopf gerauscht, die er seinem Sohn hatte sagen wollen; da er ihn aber nun vor Augen hatte, kam kein einziges über seine Lippen. Er ging zu ihm, legte die Arme um Bertholds Nacken und drückte ihn an die Brust.

»Ihr seid einig?« flüsterte Berthold, dem die Arme doch zitterten.

Wittekind nickte stumm, und küsste ihn.

»Um mich hab’ nur keine Sorge«, sagte Berthold lauter, nachdem er dem Vater den Kuss zurückgegeben hatte. »Mir tut dies alles sehr gut! Erstens bin ich schon viel gesünder, seit ich gestern – das losgeworden bin, was mir auf dem Herzen lag; und wie schnell, Vater, o wie schnell werd’ ich nun genesen! Dann aber, was die Gefühle betrifft – die lass’ nur; die geh’n von selbst. Sind schon fast vergangen. Ich bin ja auch nicht der Knabe mehr, wie vor einem Jahr noch; bin härter geworden. Und bin ich nicht dein Sohn? Hab’ ich nicht von dir gelernt? Lieb’ ich dich nicht über alles auf der Welt? – Sag’ mir nur, du bist mit mir zufrieden … Oder bist du’s nicht?«

Wittekind streichelte ihm das Haar, die Stirn, die Wangen, vor Bewegung stumm; bis er Berthold erröten sah.

»Verzeih’«, sagte er nun; »mir war wie in alten Zeiten, wo ich dich, mein Kind, mein Glück, so liebkoste … Jetzt bist du ja ein Jüngling, ein Mann. – Ob ich zufrieden bin? Ich danke Gott und bin glücklich, dich zum Sohn zu haben; nicht weil du mein Blut bist, sondern weil du der Mensch bist, als den ich dich nun kenne!«

Berthold schloss die Augen vor Freude.

»Dieses Wort«, flüsterte er, »soll mich nie verlassen … Ich muss dir noch etwas sagen: seit gestern bin ich auch darin mit mir einig – und ich weiß, dir ist’s recht – dass ich zur Marine gehe! Zum Juristen tauge ich nicht; dem Vaterland will ich aber dienen; und noch ist es ja nicht zu spät, sie nehmen mich noch an. Es war nur eine feige Schwäche damals, dass ich mich nicht entschloss: die strenge, soldatische Zucht, die gefiel mir nicht; und ich hatte so schöne, knabenhafte Träume, die Welt zu beglücken … Dafür hab’ ich ein blutiges Lehrgeld gezahlt; das hat mir gut getan. Und die strenge Zucht – die kann ich noch brauchen. O könnt’ ich dir nur einst Ehre machen, Vater! Dir und dem Vaterland! Dass dieses Wort wahr wird, das du mir eben gesagt hast; dass du’s wiederholen musst – du und sie«, fuhr er leiser fort – »die ich verehre, Vater – die dein Glück sein wird – und so auch das meine!«

»Kind! Kind!« sagte Wittekind mit versagender Stimme, und wie einem Jüngling, der vor Überfülle des Glücks sich nicht fassen kann, flossen ihm die Tränen.

X. Kapitel

Saltner sah erfüllt, was er heimlich gewünscht, aber kaum mehr gehofft hatte; seine Freude war umso tiefer, es lag diesen ganzen Abend ein strahlender, feierlicher, geheimnisvoller Glanz in seinen Augen, der selbst Wittekind und Marie, die mit ihrem eigenen Glück so ganz beschäftigt waren, ergriff. Erst gegen Mitternacht zog er sich zurück; als dann Marie noch einmal an sein Zimmer kam, weil sie ihn für den kommenden Tag etwas zu fragen hatte, fand sie die Tür offen gelassen und sah zu ihrer Überraschung den Alten, den sie nie hatte beten seh’n, am Fenster auf den Knien, den rechten Arm auf das Gesims gelegt, die Hände darauf gefaltet; so sah er in die Nacht hinaus. Sie wäre gern still zurückgegangen, fürchtete ihn aber durch irgendein Geräusch zu stören und blieb eine Weile steh’n. Auf einmal erhob sich seine tiefe Stimme, und mit einem erschütternd heiligen Ernst fing er an, zu sprechen.

»Ja, lass’ mich dir danken!« sagte er, die Augen hinausgerichtet. »Du ewige Macht – lass’ mich sagen: ewige Vorsehung, denn alles, was wird, schwebt als seiend vor deinem Geist – hab’ Dank, dass du diesen Fluch von mir genommen hast, eh’ ich weitergehe; dass mir das Schicksal Mariens nicht mehr auf der Seele liegt, dass ich mir sagen kann: sie wird glücklich sein! Ihr zerstörtes Leben fühlt’ ich als meine Schuld, als ein Verhängnis, von ihrem Vater vererbt; und es beugte mich tief … Nun lässest du mich noch in Frieden fahren. Lass’ sie glücklich werden! So, wie es in deinem Sinn Glück ist, nicht nach der Menschen Sinn. Meinen Abend hast du übers Maß gesegnet. Nimm mich nun, wann du willst!«

Er lag noch eine Weile so, dann erhob er sich; und nun sah er Marie. Sie war auf der Schwelle steh’n geblieben, mit auch gefalteten Händen.

»Vergeben Sie mir«, sagte sie mit ihrer weichsten Stimme. »Ich hab’ alles gehört – weil ich fürchtete, Sie zu unterbrechen. Aber glauben Sie mir, lieber Vater, ich hab’ Ihre Andacht nicht entweiht. Ich war in der Kirche.«

»Ich auch«, antwortete er.

Langsam ging er dann auf sie zu, die vom Leben zerpflückten Brauen niedergezogen, aber mit freundlichem Blick; in seinem erzbraunen Gesicht war eine leichte Röte aufgestiegen. Er legte seine beiden Hände gegen ihre Schultern; »Kind«, sagte er schlicht, »machen Sie ihn glücklich. Verlangen Sie nicht zu viel, vom Leben oder von ihm; stören Sie nie seinen Seelenfrieden: es ist auch der Ihre. Glauben Sie mir, es gibt nicht viel solche Männer; so ohne Falsch, ohne Eitelkeit, ohne Ehrbegierde, aber ganz von Ehre erfüllt; so auf das Rechte gerichtet. Sie werden noch ›entschädigt‹, Marie; das geschieht nicht jedem. Und nun gehen Sie zu Bett; wenn Sie auch nicht schlafen. Das sind die schönsten Nächte, wo man nicht schläft vor Glück!« – —

Am nächsten Morgen litt es den Alten nicht zu Hause; er bat die Freunde, ihn an diesem Tag sich selber zu überlassen, wie er sie ihrem Glück überlasse, und wanderte, seiner alten Liebe treu, dem Untersberg zu. Es lockte ihn, einen ähnlichen Weg zu geh’n, wie vor einem Jahr; er durchschritt das ›Moos‹, aus dem er seinen See hatte stechen wollen, und kam nach Glanegg; von da ging er auf dem Weg, den er damals mit Wittekind durchmessen hatte, bis zum Veitl-Steinbruch, und stieg hier an den Abhängen des Untersbergs empor. Der Tag war sonnig und warm, doch nicht heiß zu nennen; nur stieg der Alte etwas hastig, weil er die heimliche Sorge hatte, es könnte ihm diesmal langsamer von Statten geh’n, da er wieder ein Jahr älter geworden sei, und nach der Art rüstiger Greise gebärdete er sich wie die Jugend, der die Ungeduld keine Ruhe lässt.

So kam er noch schneller hinauf, als vor einem Jahr; ermüdet war er nicht, aber der Schweiß rann ihm von den Schläfen. Tausend Erinnerungen aus dem langen Leben hatten ihn unterwegs durchflogen, und das neue Glück ging immer neben ihm her. Oben auf der Klingeralp rastete er lange, stärkte sich an einem gewaltigen ›Jager-Schmarren‹, aus Milch und Mehl, dem ›Mark der Männer‹, gebacken.

Als die Sonne dann ernstlich gegen Westen sank, brach er wieder auf und stieg auf einem andern steilen Pfade abwärts, um entweder in Glanegg zu übernachten, oder noch spät nach Salzburg zurückzugeh’n.

Zwischen Fels und Wald war er schon ein gutes Stück hinabgekommen und dem Weg auf einer starken Biegung nach rechts gefolgt, als ihn ein Anblick überraschte, der ihn aus weit entlegener Vergangenheit in die jüngste rief und durch eine plötzliche Ahnung seine Wangen färbte. Er sah seitwärts aus einer Art von Höhle drei junge Gesellen hervortreten; sie waren in abgetragene, grobe Lodenjoppen gekleidet und hatten derbe Nägelschuhe an den Füßen. Dennoch fuhr ihm sofort der Gedanke durch den Kopf: das sind keine Leute vom Berg, das sind die drei, die man sucht, die von der Zehnkaser-Alp! – Sie kamen etwas müde oder auch scheu daher; nach Bertholds Schilderungen glaubte er die Gestalten und, als er ihnen näher kam, die Gesichter zu erkennen. Er ging ruhig auf sie zu, wie von einer magnetischen Kraft gezogen; was er von ihnen wollte, war ihm noch unbewusst; ein dunkles Gefühl murmelte ihm zu, sein Schicksalstag sei da. Doch diese seltsame, abergläubische Empfindung beirrte ihn nicht. Er verlor nicht die Gelassenheit, die feierliche Ruhe, die über seine Seele ausgebreitet lag. Erst als er die jungen Männer fast erreicht hatte und nun das bartlos knochige Gesicht dieses Afinger, Metzners untersetzte, athletische Gestalt, die glotzenden Augen Grabowskis vor sich sah – er konnte nicht mehr zweifeln – da überkam ihn das erste leidenschaftliche Gefühl. Er hätte diese Menschen, die er hasste, weil er den Berthold liebte, gern über den nächsten Fels hinabgestürzt. Um sich wieder zu fassen, blieb er steh’n; er wusste nun, was er wollte. Er war ein alter Mann und hatte dem Gesetz zu dienen. Entkommen aber sollten sie nicht. Mit seiner furchtlosen, rollen den Stimme rief er sie an.

»Sind Sie der Afinger?« fragte er den Ersten. – »Bleibt steh’n!«

»Was für ein Afinger?« erwiderte der Angeredete mit einem trotzigen Lächeln. »Wer sind denn Sie, alter Herr?«

»Ihr kommt aus Bayern herüber«, sagte Saltner, um es kurz zu machen. »Ihr wollt versuchen, ob ihr hier noch ins Freie kommt. Ihr habt den Berthold Wittekind erstechen wollen, bei einem Haar wär’ er hin gewesen; ihr wollt die Kaiser und Fürsten ermorden, ihr Bluthunde. Hier kommt ihr nicht mehr vorbei. Legt eure Messer auf die Erde und geht mit mir zur Kugelmühle hinunter!«

»Mit Ihnen allein?« fragte Metzner und lachte auf.

»Ja, mit mir allein.«

»Sie sind wohl toll, alter Herr! So toll, wie Sie lang sind. Mit Ihrem Bergstock da wollen Sie drei Leute wie wir —? Geh’n Sie aus dem Weg. Wer wir sind und was wir wollen, das ist unsre Sache. Lassen Sie uns geh’n, oder es wird nicht gut!«

»Junger Mensch«, erwiderte der Alte, »reden Sie nicht zu viel. Sie kennen mich nicht. Einem Mörder wie du geh’ ich nicht aus dem Weg. Grins’ mir nicht ins Gesicht! Wollt Ihr tun, was ich sagte, oder soll ich rufen?«

»Rufen Sie nur«, sagte Afinger; Grabowski rührte sich nicht. »Hier hört Sie kein Mensch. Und eh’ einer kommt, der Sie etwa doch gehört hat, sind Sie lange hin; denn wir stoßen zu! Reizen Sie uns nicht!«

»Wir haben dieses Hundeleben satt«, stieß Metzner zwischen den Zähnen hervor. »Gehetzt wie die Hirsche. Geh’n Sie, alter Herr; uns sind Sie nicht stark genug. Mit diesem Arm da schlag’ ich Sie zu Boden, so lang wie Sie sind. Geh’n Sie still hinunter!«

In Saltner stieg der Grimm; seine grauen Augen füllten sich mit Blut. Dieser Bube, dieser Fleischerknecht wagte ihm zu drohen … Das Zornfeuer, die alte, aufflammende Kampfbegier zog ihm die Faust zusammen.

»Werft eure Messer fort«, wiederholte er; »sonst wird es nicht gut, wie der Bursch da sagte. Euch drei fürcht’ ich nicht. Ich hätt’ mein Leben gern für etwas Großes gegeben; aber solche Mordgesellen wie ihr aus der Welt zu schaffen, auch dafür ist mir das bissel Rest nicht zu gut. Werft eure Messer fort!«

»Fasst an!« rief Metzner aus, ohne etwas zu erwidern, und riss sein Dolchmesser aus der Tasche. Sie standen auf einem Abhang, der sich langsam senkte; hier und da ragte eine Fichte oder Kiefer auf, herabgebröckeltes Felsgeröll lag auf dem Boden verstreut. Afinger, einen wilden Fluch ausstoßend, griff nach einem Stein, den er sich zunächst sah und schleuderte ihn gegen die mächtige Gestalt, die mit dem Messer anzugreifen er sich scheuen mochte. Der Stein ging nicht fehl, er traf Saltner an der rechten Hüfte, sodass der jähe Schmerz sein Gesicht verzog. Als der bleiche Grabowski das sah, gab er den ersten Laut von sich, einen Freudenruf.

»F—f—fasst an!« rief er dann wie Metzner.

Der Alte sah, dass es ernst ward; er fühlte die Kraft in seinen Armen schwellen, er hob ein kantiges Felsstück auf, das ein gewöhnlicher Mannesarm nicht in die Höhe gebracht hätte, und schwang es, auf Afinger zielend. Vor diesem Anblick zusammenfahrend bückte sich Afinger, um noch zu entgeh’n; aber der Stein schmetterte auf sein Haupt herab.

Es krachte unter seinem Hut; er lag auf dem Gras und rührte sich bald nicht mehr.

Im nämlichen Augenblick rannte Metzner wie ein Rasender gegen Saltner heran, das Dolchmesser in der Faust.

Der Alte hielt ihm den linken Arm zur Abwehr entgegen; das Messer fuhr hinein, doch es fleischte nur. Saltners Bergstock, nun unnütz, fiel neben ihm zur Erde; er umschlang den Feind, und die beiden starken Männer rangen mit einander.

Der Junge war kleiner, aber seine Muskeln wie Stein; er stand auf dem Boden fest, wie angewachsen. Der Alte spannte seine Kräfte bis zum Übermaß; ein plötzliches Grauen durchfuhr ihn, als sei er der Saltner nicht mehr, als habe die Riesenkraft der Jugend ihn nun doch verlassen.

Dazu sah er das weiße, blöde, höllische Gesicht des Dritten, der ihn mit dem blinkenden Messer anzufallen, zu umgehen suchte, gegen den er im Ringen sich wenden, ihm den umklammernden, angewurzelten Metzner entgegendrängen musste. Er hörte dessen Zähne knirschen; dann fühlte er einen Schmerz in der Brust; Metzner biss hinein.

›Hund, das wird dein Tod!‹ dachte er auf einmal. Der Schmerz ward in ihm zur Kraft, schien ihm in die Arme, in die Finger zu steigen; mit einer letzten Anstrengung hob er den andern empor, presste ihn nieder, stöhnend brach er zusammen. Saltner sank über ihm auf die Knie, riss ihm den Dolch aus der erschlafften Hand und stieß ihn ihm in die Brust. —

Auch sein edles Leben sollte verloren sein: hinter ihm stand Grabowski, dessen tückisches Messer ihm in den Rücken fuhr. Er fühlte es, und fühlte auch den mächtigen Willen, der ihn noch einmal emporriss: des sterbenden Metzner Waffe rächte ihn, Grabowski sank, in den Hals getroffen, Saltner schleuderte ihn von sich und den Abhang hinab. Dann brach er selber ohne Laut zusammen.

›Ja, das ist der Tod‹, dachte er. ›Mein Tag ist gekommen.‹ Vor seinem Geist stand wie ein Blitz die Frage, die er sich so oft in seinen gesunden Tagen gestellt: ob er auch im Angesicht des Todes glauben werde, was er im Leben glaubte; Lebenszuversicht? Wiedererwachen der Seele? Oder für immer vergeh’n? – Er fühlte, wie sein Blut dahinfloss, und erstaunte, lächelte fast. ›Ich bin so ruhig‹, dacht’ er. ›Werde nicht vergeh’n … Gott, Du weißt meinen Weg!‹

Von den andern regte sich keiner. Seine Augen wurden schwer, aber sein Geist ward leicht; ›das ist der Tod‹, dachte er nur wieder. ›Im Bett mag er hart sein, wenn man lange stirbt; so ist er nicht hart … Ich hab’ den Berthold gerächt! Den Kaiser und das Land von ein paar Mördern befreit … Ach, es ist nicht viel … Aber doch genug … Lebt wohl!‹

Er dachte ›Lebt wohl‹ und wusste nicht mehr, für wen. Die Gestalten schwanden. Mit dem strömenden Blut, das ihn verließ, zerflossen die Gedanken.

XI. Kapitel

Man fand den Alten und die mit ihm Gefallenen erst am andern Morgen; Metzner und Afinger ganz in seiner Nähe, Grabowski weiter unten. Afinger war gräulich anzuschau’n, die Hirnschale zertrümmert, der Hut in sie hineingetrieben; Metzner war ins Herz getroffen, ein sonderbar finsterer Ausdruck ruhte noch auf seinem Gesicht. Grabowski hatte, wie es schien, noch eine Weile gelebt; seine Hände hielten ausgerissenes Gras und Moos umklammert. Ein ernster, aber nicht unholder Anblick war der Alte, der wie ein Sieger auf dem Schlachtfeld dalag; seine Züge hatten tiefen Frieden; auch das in seinen weißen Bart gespritzte Blut sah mehr einem Schmuck als einer Entstellung gleich.

Man trug ihn nach Salzburg hinab – am Untersberg kannten ihn alle – und in sein Haus. Die Erschütterung und den Schmerz der Seinen fühlt ihnen jeder ohne Worte nach. Sie erlebten wieder, was uns so oft zuteilwird: dass einem großen Geschenk des Glücks sogleich ein Keulenschlag des Schicksals folgt.

Saltner hatte, wie sich ergab, sein Haus und einen Teil seines übrigen Vermögens seinem ›Pflegekind‹ Marie, den Rest, außer kleineren Legaten, zu wohltätigen Zwecken vermacht. Die ›Aussteuer‹ Kathis hatte er schon früher, mit Wittekind gemeinsam, vollendet. Das tiefbetrübte, warmherzige Geschöpf heiratete nach einigen Monaten, aber in tiefer Stille. Vorher, noch im Juli, hatten Wittekind und Marie ihren Bund geschlossen, den sie von ihrem Toten so heiß gewünscht und gesegnet wussten. Sie gingen allein zum Altar, nur von Berthold, dem von Tag zu Tag schneller Genesenen, und dem Arzt begleitet. Als sie die Ringe tauschten, dachten sie beide an Saltner, sahen ihn im Geist daneben steh’n und zufrieden nicken. Von seinem Grab fuhren sie dann zur Bahn und Wittekinds Heimat zu. Dort begannen sie ihr Leben still, in solcher Trauer, wie sie einzig dem Sinn des Alten entsprach: seiner gedenkend wie eines Freundes, der fern verreist und einstweilen verschollen ist, dem tätigen Leben freudig zugekehrt und in gleicher Liebe verbunden.

Nur auf einer Fahrt konnte man sie seh’n, die sie im Gedanken an Saltner, den Propheten der deutschen Flotte, und an Berthold, den zukünftigen Seehelden, als ihre ›Hochzeitsreise‹ unternahmen: auf der Meerfahrt des deutschen Postdampfers ›König Christian‹ von ihrer Hafenstadt aus, dem von den nordischen Reichen heimkehrenden jungen Kaiser entgegen. Zum ersten Mal, seit es Deutsche gab, zog ein deutscher Kaiser mit seiner Kriegsflotte heim; nicht als Sieger in Schlachten, aber als Friedensfürst, den seine Macht über das Meer begleitet, von dessen Mast die Größe und Ehre des neuen Reichs die fremden Lande gegrüßt hatte. Ihn zuerst willkommen zu heißen, waren von Stadt und Land Hunderte an Bord dieses schnellen, schöngebauten Dampfers aufgefahren; man sah auch das neuvermählte Paar, sie fielen durch ihre Schönheit auf, und weil sie sich so oft, und ohne es zu wissen, in die Augen blickten, oder halbverstohlen bei den Händen hielten. Auch war unter den vielen Damen an Bord die schwarzgekleidete junge Frau eine der wenigen, die völlig seefest blieben: denn eine steife Brise wehte aus Westsüdwest und die See ging hohl. Es gab viele Kranke und ebenso viele stumm gewordene, tief ernste Gesichter; Wittekind, wetterfest wie ein alter Seebär, sah mit stillem Entzücken, dass auch Marie wohl und heiter blieb und, von mancher Spritzwelle durchnässt, die Schönheit des bald besonnten, bald wolkengeschwärzten Meeres mit frischer Wonne bestaunte.

»Du hast nicht zu viel versprochen«, sagte er ihr leise; »du bist meine richtige ›Wasserfrau‹ … Nun ist alles gut!«

Man sah aber schon die dänische Küste in der Ferne und noch keine Flotte; dem Kapitän und seinen Gästen kam die Sorge, sie möchte schon auf ihrer Fahrt von Kopenhagen her vorübergedampft sein. Um darüber gewiss zu werden, steuerten sie dem dänischen Feuerschiff von Gjedser zu, das, im Meer vor Anker liegend, leuchtend rot bemalt, wild geschaukelt und doch auf einen Fleck gebannt, wie ein Geisterschiff auf den Wellen tanzte. Sie zogen Signale auf und fragten im langsamen Vorüberfahren an, ob Kriegsschiffe vorbeigekommen seien. Die Leute auf dem Feuerschiff verneinten es, durch Zeichen und mit der Stimme; und den Seefahrern auf dem Dampfer, auch den leidenden, wuchs ein neuer Mut. Noch eine Weile mussten sie erwarten, dann stiegen im Norden nebeneinander dunkle Rauchwölkchen auf; sie breiteten sich aus, die hohen Masten erschienen, die schwarzen Rümpfe wuchsen aus der Wasserwüste, die Sonne strahlte sie an, das Herz schlug ihnen entgegen. Und wie von sicheren, unsichtbaren Händen auf festen Linien dahingeführt zogen sie heran, im Geschwader, die herrlichen Kolosse, die Wunderwerke verwegener Menschenhand, den Willen des Geschöpfes rund um die Schöpfung, seine Erde, tragend, mit den Wellen spielend, gefüllt mit der strotzenden Kraft der Männerjugend, die einem Willen gehorcht, wie am Faden gelenkt, deren Ehre ist, für aller Ehre zu sterben. Die deutsche Flotte, die erste, mit dem deutschen Kaiser! Er auf seiner schlanken Yacht, der ›Hohenzollern‹, voran, die Panzerschiffe folgend, die Riesenleiber mit den vierfach zusammengedrängten Rauchfängen, dann die Fregatten mit den gewaltigen, abgetoppten Masten; die Avisos zur Seite, ihre Schnelligkeit mäßigend, um wie Soldaten auf der Parade mit den Geschwaderschiffen Schritt zu halten. Die ›Hohenzollern‹ war da, ›König Christian‹ fuhr vorbei; die Paradeflaggen flogen in die Höhe, die Musik spielte die Kaiserhymne, alle Tücher wehten, alle Kehlen schrien, ihre Jubelrufe in den sausenden Wind hineindonnernd. Wittekind hielt Marie mit der linken Hand, sein Tuch flatterte hoch, Tränen der Freude stürzten ihm aus den Augen. Er sah den Traum seiner Jugend leiblich, herrlich vor Augen; er hörte die ahnungsvollen Worte des Alten von der ›blutgetauften deutschen Flotte‹; er glaubte seinen Sohn, seinen Berthold schon unter den andern zu seh’n, die da drüben auf den Kolossen standen und die Mützen schwenkten. Ja, bald wird er dort steh’n … Es schwellte sein Vaterherz.

Er dachte gerührt an den ehrenfesten Jungen, der sich so kräftig ermannt, dem es, sobald er geheilt war, keine Ruhe mehr gelassen hatte: er saß schon in Kiel, sich für seinen Beruf zu rüsten, seine Luft zu atmen. ›Er hat diesen Freudentag nicht mit uns erlebt‹, dachte Wittekind: ›er wird, wenn Gott es will, andere, größere erleben!‹

Sie fuhren am Geschwader entlang, jedes Schiff begrüßend; dann schwenkten sie und dampften hinter ihnen drein. Auf der Flotte hatten sie Volldampf aufgemacht, ›König Christian‹ tat desgleichen und blieb in ihrem Kielwasser; noch eine Stunde lang fuhr er, von den Wogen gepeitscht, als freiwilliger Aviso mit. Dann steuerte er, sie mit einem letzten Flaggengruß verlassend, dem heimischen Ufer zu. Wittekind sah die Türme seiner Vaterstadt über dem Wasser schweben, noch ohne Land; allmählich erhob sich auch die flache Küste. Dahinter lag sein Gut, sein Haus; das er vor zehn Wochen so gerne verlassen hatte, in dem ihm nun so wohl war. Er hielt wieder Mariens Hand.

Doch konnt’ er an diesem Tag nicht an sein Einzelglück denken; das Vaterland sah über sein Dach, sah seiner Frau über die Schulter, alles Teure, Gute und Große bewegte sich in seinem Herzen.

Auch der Alte mit dem Mosesbart stand wieder mittendrin, der teuerste Freund, den sie verloren hatten. Marie sah ihn an, sie las auf seinem Gesicht; sie hatte schon gelernt, seine Gedanken davon abzulesen.

»Saltner!« sagte sie leise.

Er nickte.

»Saltner!« wiederholte er nach einer Weile. »Ob er Recht hat mit seinem Glauben? – Wer weiß es? – Ich weiß nur, dass es gut ist, so zu leben, als hätte er Recht: uns so ›reif‹ zu machen, wie wir irgend können, so menschlich, so gut zu werden, als in uns gelegt ist.«

Sie drückte seine Hand. Das Ufer, die Hafendämme wuchsen heran; der Dampfer rauschte nun langsamer in die Einfahrt, ins stille Wasser.

»In einer Stunde«, sagte sie, »sind wir wieder zu Haus!«

Er beugte sich zu ihr nieder, als wollte er leise etwas erwidern. Aber er küsste sie nur auf die vom Wind gerötete Wange, in einem so hellen Gefühl des Glücks, dass er lächeln musste.

Ende
Возрастное ограничение:
0+
Дата выхода на Литрес:
04 декабря 2019
Объем:
440 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

С этой книгой читают

Новинка
Черновик
4,9
181