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Читать книгу: «Adams Söhne», страница 19

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II. Kapitel

Saltner kam mit Berthold zurück; sie waren bis zur alten Festungsmauer hinaufgestiegen und wieder zum Haus hinunter; jetzt fanden sie sich wieder ein, noch in ihr Gespräch vertieft. Der Alte schien die Erregung der beiden nicht zu bemerken; er legte einen Arm auf Bertholds Schulter und sagte mit seinem herzhaften Lächeln:

»Der junge Herr da beichtet mir schöne Sachen! Ich hab’ ihm erzählt, dass sich ein braver Mann gefunden hat, ein Salzburger, der die Kathi zur Frau möchte, und dass mir scheint, beinah möchte’ sie ihn auch; darauf gesteht er mir – Ihr Berthold – seit dem vorigen Sommer hat er von seinem ›Wechsel‹ jeden Tag etwas abgespart, ›um doch was zu tun‹, und will das dumme Mädel damit aussteuern helfen. Es ist schon eine ganz annehmbare Summe; denn sein Wechsel, wie er sagt, ist ›gut‹. Und sein Sparsystem offenbar auch. Der junge Herr wollte mich verpflichten, nichts davon zu sagen; aber auf so nichtswürdige Heimlichkeiten lass’ ich mich nicht ein!«

Er sagte dies mit drolliger Schelmerei, während Berthold wie ein ertappter Übeltäter dastand und seine Schulter wegzog. Marie betrachtete den Jüngling mit gerührtem Staunen.

»Ich wusste nichts davon«, erwiderte Wittekind. »So hat dieser junge Mensch doch immer Geheimnisse vor mir! – Nun, wenn es einmal so steht, so will ich meinen Sohn nicht im Stiche lassen; ich lege ebenso viel dazu, damit die Summe rund wird.«

»Sie pfuschen mir da in mein Amt als Pflege-Onkel hinein«, entgegnete Saltner, der seinen Bart in die Höhe strich; – »aber darüber reden wir noch. Jetzt muss ich die Herren vor allem in ihre Zimmer führen. Es will Abend werden. Auf was für Ideen so ein junger Buddha kommt; was tut der bei uns in Europa und in unserer Zeit. In seinem Alter verbrauchte ich meinen ›Wechsel‹ anders. Aber geh’n wir, lieber Freund!«

Er nahm wieder Wittekinds Arm, nachdem er Marie mit einem forschenden Seitenblick gestreift hatte, und stieg die Terrassen hinab. Berthold blieb noch zurück; der Alte beachtete es nicht, es schien ihm lieb zu sein, mit dem Vater allein davonzugeh’n. Sie kamen schweigend ins Haus, und dort die Treppe hinauf, denn die Fremdenzimmer lagen im ersten Stock. Saltner öffnete eine Tür, und sogleich sah Wittekind durch die offenen Fenster den alten Untersberg vor sich, der wie eine Festung aufstieg und seinen Abendschatten über das ebene Land herüberwarf. An ein Fenster tretend suchte er sich dieses Anblicks und der schönen Nähe und Ferne zu freuen, so gut er es jetzt vermochte. Er drückte dem Alten stumm die Hand; denn er sprach nicht gern. Saltner brummte nur etwas, lächelte ihm zu und schwieg.

»Ich werde Sie also jetzt allein lassen«, sagte dieser endlich, indem er ins Zimmer zurücktrat, »und Sie werden, wie wir Deutschen sagen, ›Toilette machen‹. Ja, da haben Sie also Ihren Untersberg … Was unsre Frau Marie betrifft, so wissen Sie nun, glaub’ ich, wie es steht. Nicht gut!«

»Nein, nicht gut«, murmelte Wittekind.

»Nun, dann waschen Sie sich. – Oder wär’ es Ihnen gleich, wenn ich mich unterdessen in den Lehnstuhl würfe und – spräche noch ein paar Worte mit Ihnen über diese Frau? – Genier’ ich Sie, so wissen Sie ja, wo der Zimmermann das Loch gelassen hat, und werfen mich hinaus.«

»Nein, ich – werfe Sie nicht hinaus«, sagte Wittekind, mühsam lächelnd. »Während ich mich ein wenig abspüle, würde ich gern mit Ihnen reden!« —

Er fühlte eine Pein und doch ein Verlangen, über Marie zu sprechen, dies und das zu fragen. Der Alte, mit dem es ähnlich zu stehen schien, sank sofort in einen bequemen, niedrigen Polsterstuhl, auf dem man sich fast ausstrecken konnte, und stieß einen Seufzer aus.

»Ja, ja, diese Frauen!« fing er an, während Wittekind seinen Koffer aufschloss. »Seh’n Sie, diese Marie … Das ist der Unterschied: die kleine Sünderin, die Kathi, ist schon ganz getröstet und hat nichts dagegen, mit einem wackeren Mann zum Altar zu geh’n; – nun, sein Schade wird’s wohl auch nicht sein. Marie von Tarnow aber, ein schuldloser Engel – dafür leg’ ich beide Hände ins Feuer – eine Frau, die nur das Verbrechen begangen hat, unglücklich zu wählen, die findet nicht wieder in die Welt zurück. Ihr Stolz ist gebrochen, ihre Würde und Ehre hin: so sieht sie es an. Dass sie diesen Eugen Dorsay zum Mann nehmen konnte, das hält sie für eine Schuld, die nicht zu sühnen ist … Nicht wahr, Sie genieren sich nicht, und plätschern. Da ist Seife, alles … Und ich alter Mann, dem sie gut ist, den sie ihren Vater nennt, muss dem Ding so zuseh’n, wie ein Haubenstock, kann ihr nicht helfen, kann das Ding nicht ändern; – das ist auch ein höllischer Spaß, ein dummer – hol’ ihn der Teufel!«

»Wie lebt sie denn?« fragte Wittekind, immer abgewandt.

»Wie sie lebt? – Nun, wie lebt sie denn? Wie die reine Vernunft! Wirtschaftet im Haus, im Garten; führt für mich die Bücher; ist viel in der Luft. Geht stundenlang spazieren, mit mir oder allein; – aber sie geht nicht sie rennt! Wie von bösen Geistern getrieben rennt sie gradaus, oder bergan; so rastlos und so rasch, dass ich langer Kerl kaum mitkomme – und Sie wissen wohl noch, ich bin gut zu Fuß. Als wollte sie sich selber weglaufen; aber ja, das könn’ einer! Sitzt sie dann zu Hause am Klavier oder bei einem Buch, so ist’s aus: drei Töne, eine Seite, dann sinkt der Kopf auf die Brust, oder sie starrt in die Luft, wie von Stein, und denkt an – — Gott weiß es!«

»Ich begreife wohl«, murmelte Wittekind.

»Zerstreuen … Man sollte sie zerstreuen … Nicht wahr, das denken Sie auch. Aber ich alter Einsiedler, wie fing’ ich das an; – und dann, sie will ja auch nicht. Da kam mir endlich ein ganz verteufelt prächtiger Gedanke: ihr vorlesen! Denn aus ihrer Kinderzeit wusste ich, das hat sie gern. Ich nahm ihr also das Buch vom Schoß, das sie hatte fallen lassen, und las. Und sie hörte zu. O ja; das ging an. Damit hatt’ ich sie! – Das ist so eine eigene Freude, ihre aufmerksamen Augen zu seh’n – nicht wahr, die hat Augen! – Wenn ein Buch sie fesselt, und ein guter Vortrag – — Aber da hapert’s. Das ist wieder der Teufel: Vortrag hab’ ich nicht. Ich schmettre das nur so heraus, wie eine alte Trompete. Und wenn’s im Buch lyrisch oder ›stimmungsvoll‹ oder rührend wird und ich in meinem Drang und Eifer, es recht gut zu machen, mich zusammennehme und zu säuseln suche – dann fängt sie an zu lächeln. Ich kann’s nicht. Seh’n Sie – Ihr Berthold kann’s! Der hat die junge, weiche Stimme – die richtige Musik – und, wie soll ich sagen: das Säuseln im Gemüt. Der wär’ der Rechte; hab’s ihm auch gesagt. Und gleich fing er Feuer … Der kann’s!«

Wittekind lächelte; aus Vaterfreude. ›Wie ich ihn beneide‹, musste er dann denken. Er hatte nur leise mit den Händen im Wasser gespielt, während Saltner sprach; es rührte ihn, dass der Alte nicht länger hatte warten können, sein Herz zu lüften. Verstohlen schaute er ihn an, wie er am Fenster saß; es fielen noch schräge Sonnenstrahlen aus Nordwest herein und durchglühten den silbernen Bart, der ihm auf die Brust hing. Wie ein alter Ritter saß er in diesem altdeutsch eingerichteten, halbhoch getäfelten, mit schweren, dunkel gebeizten Möbeln ernst und einfach ausgestatteten, übrigens etwas niedrigen Gemach. Die alte Festung draußen auf der umwaldeten Höhe, die malerische, kirchenreiche Stadt, die Berge, alles stimmte zu dieser ritterlichen Greisengestalt und dem erzfarbenen, sorgenvollen, sonderbar geheimnisvoll träumenden Gesicht.

»Nun, was denken Sie jetzt?« fragte Saltner, als er Wittekinds Blicke wahrnahm. »Sie denken wohl: wie diese junge Frau dem alten ›Einsiedler‹ zu schaffen macht. Ja, ja«, fuhr er mit einem hilflosen Lächeln fort, »ich hab’s gut getroffen! Erst geht mir die Kathi ins Wasser, und ich muss den kleinen Spaß hier wieder ans feste Land gewöhnen; dann schneit mir eine junge Witwe als Pflegetochter ins Haus. Familienvater, Seelenarzt, Erzieher – alles, was Sie wollen. Nicht wahr, das dachten Sie nicht – und ich auch nicht – als ich Ihnen beim Veitl-Bruch von den alten Indiern und vom ›Wald‹ erzählte, dass es so weltlich mit mir enden würde. Ein ›Wald‹ voll Menschen; Haussorgen und kein Ende! – — Tut aber nichts. Nur zu, nur zu! Ich hab’s ja gewollt!«

Der Alte stand auf – Wittekind, mit der ›Toilette‹ fertig, war wieder ans Fenster gegangen – und durchmaß das Zimmer. Als er in der andern Ecke angekommen war, drehte er sich langsam und sagte:

»Übrigens werd’ ich mich doch vor Ihnen nicht verstellen? Das wär’ doch zu dumm. Wegen dieser Pflegetochter, der Marie, hab’ ich Sie hergebeten … Das heißt, alle Wetter, versteh’n Sie mich nicht falsch: ich hab’ Sie sehr lieb, es macht mich, Ulrich Saltner, glücklich, dass Sie mich besuchen; aber so was man den Anlass nennt, das ist die Marie. Denn ich allein – was kann ich? Ein einsamer Mensch, der es Not hat, oft allein zu sein; der – — und so weiter. Für Sie aber hat diese Frau ein herzliches, hochachtendes, beinahe verehrendes Gefühl; so manches Ihrer Worte hat sie sich gemerkt, sucht danach zu leben – soweit man das noch Leben nennen kann, was diese Weltwittib treibt. Kurz, ich sehe, Sie steh’n ihr hoch. Freund, das will viel sagen: denn wie oft haben Sie sie denn überhaupt geseh’n? Also haben Sie nun auch eine Pflicht! Wirken Sie auf die Frau! Nehmen Sie ihre arme Seele bei der Hand und führen sie aus der Unterwelt ins Leben zurück!«

»Ich?« sagte Wittekind und konnte nicht umhin, bitter zu lächeln. »Dass ich ihr zum Orpheus tauge, – Herr, das glaub’ ich nicht. Und wenn auch – was kann man in einer Woche?«

»In einer Woche wollen Sie wieder fort? Papperlapapp! Daraus wird nichts!«

Wittekind setzte sich auf das Fensterbrett und sah mit äußerer Ruhe auf den lebhaften Alten, der auf seiner Zimmerwanderung wieder steh’n geblieben war und die Arme so eifrig schwenkte, dass sie fast an die Decke stießen.

»Diese Frau Marie liegt Ihnen sehr am Herzen«, sagte er, auf das andre nicht antwortend.

»Ja doch; wie ein Kind! – Sie wissen ja nicht, wie ich zu ihr gekommen bin, warum sie mir so im Herzen sitzt – — sollen’s aber wissen. Das gehört sich so; wenn ich will, dass Sie mir helfen, muss ich auch vor Ihnen mein bisschen Heimlichkeit auskramen. Hab’ ohnehin immer das Gefühl: dem Mann sag’ ich alles; hatt’ es gleich in der ersten Stunde – wahrhaftig – damals am Veitl-Bruch! Es gibt solche Menschen, vor denen das Herz gleich sein Türl aufmacht; – nicht viele! Aber es gibt deren!« – —

Der Alte legte die Hände auf den Rücken und fing wieder an, hin und her zu geh’n; im langsamen Geh’n fuhr er fort:

»Also diese Marie war ein kleines Ding, so etwa zwei Jahre alt; und ich hart an fünfzig, aber leider Gottes noch voll Feuer und Blut. – — Da muss ich Ihnen aber doch erst sagen«, unterbrach er sich und stand still, »wie ich bis an die Fünfzig hingekommen war … Oder interessiert Sie das nicht?«

»Mich interessiert alles«, antwortete Wittekind herzlich, »was Sie mir von sich sagen wollen. Ihr Vertrauen tut mir so gut!«

Saltner nickte ihm zu, mit gesenkten Brauen, setzte sich darauf langsam wieder in Bewegung. Die Hände auf dem Rücken, wie zuvor, räusperte er sich laut, murmelte etwas und begann mit halber Stimme:

»Es war nämlich bei meiner Geburt schon etwas verfehlt, muss ich Ihnen sagen; ich kam nicht ganz ordnungsmäßig auf die Welt – und hab’s zeitlebens gespürt. Mein Vater war ein großer Herr, ein Fürst; meine Mutter ein Bürgerskind. Nach der Mutter heiß’ ich … Nun, sie sind beide lange, lange tot. Wie solche Väter sind: der hohe Herr nahm sich meiner an, und ließ mich doch in meinem Rest am Erdboden; so gab das nicht Fisch, nicht Fleisch – und mich jungen Laffen zog’s in meiner Zwiespältigkeit immer hin und her. Bald kitzelte es mich, dass ich doch eigentlich zu den ›Allerobersten‹ gehörte; dann warf ich mich wieder bürgerstolz in die Brust und dachte: ignoriert mich nur, ich ignoriere euch auch, ich veracht’ euch, ich brauch’ euch nicht! – Da war nun aber doch das Ritterblut in mir; mein Vater, ein heißblütiger Herr voll Schneid’, Saft und Mark, ein Waidmann, ein Reiter, ein Held im Krieg und auch bei den Frauen, der hatte mir eine tüchtige Portion davon mitgegeben, und das werd’ einer nun los, wenn’s in seine bürgerliche Haut nicht passt! Lieber Freund, ich hab’s versucht, Handwerksmann zu werden; dann lief ich davon, ward Soldat, ward auch Offizier – auf dem ›Kriegspfad‹ nämlich, in Galizien, Anno sechsundvierzig – und dachte: nun wird’s! Aber da kriegte das Herz einmal einen so starken Schuss, dass es zur Hochzeit kam; ich quittierte den Dienst, ward bürgerlich, idyllisch – kam damals zuerst in dieses Salzburger Land – freilich noch nicht in dies Haus. Kinder zeugen, dacht’ ich, und mein Feld bebauen, und das bis an meinen Tod! Es war eine liebe Frau – kamen auch liebe Kinder. – — Aber das langweilt Sie«, unterbrach er sich wieder und nahm eine Hand vom Rücken. »Kurz – was sag’ ich Ihnen – die Unrast brach wieder durch; konnte nicht anders sein. Ich hab’ mir noch viel versucht, weil mich’s hin und her zog; auch bei unsrer Kriegsmarine war ich eine Zeit lang – da gab’s aber damals nichts zu tun, und Bootfahren und Festschmäuse waren mir nicht genug. Dann die Reiselust; – ich hab’ viel geseh’n, Herr! Lange redet man sich ein und freut sich, wie die Berge, die Städte, die Menschen doch verschieden sind; endlich wundert man sich: wie sind sie einander doch gleich! – Zuletzt saß ich in Deutschland, ganz still, lebte in den Büchern, um als alter Knabe nachzulernen, was ich als junger versäumt hatte; – hat’s gefleckt? Ich weiß nicht. Weib, Kinder, Freunde – alles starb mir so weg. Auf einmal sah ich: Herrgott, ich bin ja allein! Da lernt’ ich die kleine Marie kennen – das heißt: ihre Mutter.«

Er blieb steh’n; ein tiefes »Hm!« kam ihm aus der Brust.

»Da wären wir denn bei dieser Frau«, murmelte er nach einer Weile, mit einem Seitenblick auf Wittekind.

»Greift es Sie an, so lassen Sie es heute«, sagte dieser, der still auf seinem Fensterbrett saß.

»Angreifen … Was heißt das? Natürlich greift es an; aber dazu sind ja die Nerven da. Ich dachte nur eben, ob Sie darin anders sind oder auch ein Mensch? In der Liebe nämlich. Den würd’ ich doch auf der Stelle niederschlagen, der mir ins Gesicht behaupten wollte, ich hätte je betrogen, gestohlen, einem die Ehre genommen oder sein Gut angetastet, auch nur in Gedanken; käm’ aber einer und fragte mich: hast du nie, weil ein Weib dich toll machte, böse Gedanken gehabt, unrecht Gut begehrt? – Herr, dem sagt’ ich nichts! Ich müsst ihn steh’n lassen, wie er steht, und beiseite geh’n! – So richtet uns die Leidenschaft zu, die uns zur Eva zieht … Mariens Mutter lernt’ ich also kennen, und meine vereinsamten fünfzig Jahre, noch voll Saft und Kraft und voll Sehnsucht nach allem, was lieb, hold und gut ist, hängten sich da fest. Ihr Mann war mein Freund, – nun, was man so nennt; ein großer Fabrikant, ein vortrefflicher Biedermann, langweilig und kühl wie ein nebliger Wintertag; und Marie – sie hieß auch Marie – die war ungefähr wie die Sonne, die draußen am Nebel zieht, aber nicht hindurch kann; Feuer durch und durch – aber sie äugt nur so rot in den Nebel hinein, und den Wintertag freut das, ist ihm schon genug; so eigentlich zueinander können sie aber nicht kommen … Ich sag’ wohl nicht ganz, was ich meine; indessen, Sie versteh’n mich doch. Ihr war’s nicht genug; und da mich nun das Schicksal hinstellt zwischen sie und ihn – mich, Feuer wie sie. – — Lassen wir das Gleichnis. Kurz, die Glut ist da; es brennt! – Aber denken Sie nicht übel von der Frau; sie war unglücklich, nicht wehrlos; sie hatte ein rechtschaffenes sittlich strenges Herz; sie kämpfte einen großen Kampf. Nie wär’ sie erlegen … Eines Abends nur – wir beide sitzen allein – am Kamin; das flackernde, rote Kaminfeuer liebte sie ebenso wie ich – da seh’ ich sie so bleich und still, und das Mitleid, die Ehrfurcht werden in mir größer als die Liebe, und ich sag’ ihr, mein Herz in die Hände nehmend: morgen reis’ ich fort, ins Ausland; komme auch nicht wieder. Sie sieht mich an, nickt und lobt mich; und wir steh’n auf. Und sie, damit gleich ein Ende wird, gibt mir die Hand zum Abschied; kehren Sie sich nicht an meine Tränen, sagt sie – oder ähnliche Worte – es ist mir nur wehmütig, aber es ist gut so … Drauf brechen ihr die Tränen aus; vor den Augen wird ihr dunkel, sie schwankt, und ich – was soll ich tun – damit sie nicht etwa hinfällt, halt’ ich sie und lehne sie mir an die Brust. Indem tritt ihr Mann ins Zimmer; ihr eifersüchtiger – — Ich hab’ Ihnen noch nicht gesagt, dass dieser Mann, sonst so trocken und förmlich, eifersüchtig war bis ins letzte Mark; eifersüchtig aus Ehrgefühl; und für seine Ehre ging er in den Tod. ›In den Tod‹ – – Da sag’ ich’s! Der Mann findet die Frau so in meinen Armen; er glaubt: Die sind einig und eins, alles ist gescheh’n. Was wir ihm vorreden, hört er an, sieht uns an, wie ein Gespenst geht er fort. Er glaubt uns kein Wort. Will’s nicht überleben. Schreibt noch einen Abschiedsbrief an die Frau und mich – als wären wir ein Paar – und da wir ihn wiederseh’n, liegt er erschossen da, mit einem Gesicht, als sagt’ er uns noch: meine Ehre hab’ ich wieder – tut nun, was ihr wollt! – — Zwei Jahre, wie gesagt, war das Kind damals alt, die Marie; – sie hat viel von der Mutter, einiges auch vom Vater: dieses brütende Ehrgefühl, diesen harten Stolz … Es war übrigens noch ein andrer Kampf über ihn gekommen: die alte Geschichte von großen Fabrikanten, die eine ›Konjunktur‹ über den Haufen wirft; das hatte ihn mit verdüstert – ja seine Freunde und Bekannten glaubten, die Konjunktur hätt’ ihn umgebracht. Nach seinem Tod war die Witwe arm, um es kurz zu sagen. Mit dem Kind saß sie da. Ich dachte: die Mutter darf ich nicht lieben, nie mehr – aber doch das Kind! Und da die Frau Marie, von alledem, wie Sie denken können, durch und durch erschüttert, endlich das Gleichgewicht verliert und in eine Anstalt muss, um in ihrem kranken Hirn zu genesen, so nahmen meine Schwester und ich uns des Kindes an, und die süße Kleine wuchs mir ein paar Jahre lang und für immer ins Herz. Dann ward die Mutter gesund und nahm ihre Marie zurück; ich konnt’s aber nicht lassen, das Kind zu seh’n – — Sie begreifen das. Und da auch das Ding so zärtlich an mir hing; denn die kann liebhaben – oh! – — Kurz, die Mutter, in ihrer Scheu vor mir, in ihrer Gewissensnot, macht nach langem Kampf all dieser Halbheit ein Ende und erhört die Werbung eines braven Menschen, der ihr schon lange gut war: so hatte ihr Kind wieder einen Vater, und von mir war sie frei! Frei«, wiederholte der Alte und hob und senkte den Kopf, mit einem schmerzhaften Lächeln.

Wittekind fragte zögernd:

»Also diesen neuen Vater meinte Frau Marie, als sie damals in Grödig von dem Arzt sprach, dem zuliebe sie etwas Medizin studierte?«

»Nu freilich«, erwiderte Saltner. »Ihr Stiefvater war’s. Gerecht muss man sein: sie hat’s gut bei ihm gehabt. Ich sah sie noch zuweilen … Ach, sie war so lieb! So treu! – Endlich gingen sie nach Amerika. Aber die Mutter starb. Die Marie wuchs heran. Einmal fuhr ich hinüber – es riss mich so – und sah sie auch wieder, nun schon ein Jungfräulein; und das kleine goldene Herz hatte mich nicht vergessen. Ach was, vergessen! Ihr ›Väterchen‹ nannte sie mich, zur Erinnerung an die alten Zeiten. Und als ihr Stiefvater, der Arzt, dann gestorben war und die junge Waise diesen Eugen liebgewonnen hatte – und doch zweifeln musste, ob’s der Rechte sei – da fuhr sie herüber und kam auch zu mir und schüttete – da hinten am Untersberg war’s – schüttete ihr armes Herz gegen mich aus. Meinen väterlichen Rat sollte ich ihr geben; und nicht so, wie’s oft ist: ›Rate mir gut, aber rate mir nicht ab!‹ Nein, sie wollte rechtschaffen Wahrheit, Belehrung, und vor Beschämung und Herzweh fürchtete sie sich nicht. Aber – was konnt’ es helfen? Ich hörte ja nur so die Glocken läuten, ich kannt’ ihn ja nicht. Nur nach ihren Worten und seinem Bild hatt’ ich das Gefühl: das ist nicht der Rechte! Und das arme Mädel – sie glaubte mir – glaubte mir auch nicht. Warum sie dann hinging und doch seine Frau ward? Die sogenannten Sinne haben das nicht gemacht, die hat Charakter, ich kenn’ sie; aber ihr Stolz kam ins Spiel, sie hielt es für ihre Ehre, dieses schwanke Bäumchen an ihr Herz zu binden, bis es grade und fest in den Himmel wüchse. Wie diese jungen Dinger sind; so gescheit und so dumm … Dem war nicht zu helfen. Und ihre Ehre, ihr Stolz, wie sind die geschleift worden, bis sie sich von ihm losrissen, über und über voll Staub und Blut. Erst in Grödig sah ich sie dann wieder – ich ahnt’s nicht. – Sie wissen ja – und da oben auf der ›Hedwigsruhe‹ drückt’ ich mein unglückliches Kind, die ärmste Frau auf der Welt, wieder an die Brust! – — So, nun wissen Sie’s«, sagte Saltner nach einer kleinen Stille, mit veränderter, absichtlich trockener Stimme.

Er richtete sich auf – denn er hatte etwas gebückt gestanden – und kam in scheinbarer Ruhe ans Fenster; ein Tropfen lief ihm aber in den Furchen der rechten Wange entlang.

Als er sah, dass Wittekind diesen Tropfen bemerkte, zuckte er mit der Wange und warf den Kopf auf die Seite; »nun ja!« sagte er unwirsch, »da sitzt was, ich weiß es; dieses alte Augenwasser will mir nicht austrocknen, ich mag alt werden wie ich will. Ihr Norddeutschen spöttelt ja wohl gern über solche Tropfen; habt euch mächtig in der Gewalt, und seid stolz darauf.«

»Ich nicht«, entgegnete Wittekind.

»Sie nicht? – Aber wie seh’n Sie jetzt marmorn ruhig aus; und der Teufel mag wissen, was dabei doch in Ihnen vorgeht … Ich hab’ oft gestaunt über euch Nordische, und den Kopf geschüttelt. Ich bin doch auch ein Germane – bilde mir ein, ich stamm’ von den alten Goten ab – aber so zu Eisen und Eis kann ich mich nicht machen. Ist wohl auch nicht nötig. Also, dass wir noch einmal von der jungen Frau reden: was können wir tun, um sie wieder aus dem ›Wald‹ zu holen, in den so ein junges Blut nicht gehört? Und Sie, Nordgermane, wollen Sie mir helfen?«

Wittekind, statt zu antworten, deutete aus dem Fenster auf die Straße hinaus, wo soeben ein Paar erschienen war, dem seine Augen nachgingen. Frau Marie war mit Berthold aus der Tür getreten, und in ein Gespräch mit ihm vertieft, vielmehr seiner jugendlichen Beredsamkeit zuhörend, ging sie die Straße entlang, die nun ganz im Abendschatten lag. Sie nickte ihm mehrmals freundlich lächelnd zu. Ihr Gang ward zuweilen so hastig, wie Saltner ihn beschrieben hatte; dann bemerkte sie aber, dass Berthold zurückblieb, hielt an und mäßigte selber ihren Schritt. Nach einiger Zeit kehrten sie um – die beiden hatten vom Fenster aus ihnen nachgesehen – und Marie begann nun auch mit einiger Lebhaftigkeit zu sprechen, und wieder zu lächeln, während der Jüngling ihr zunickte.

»Ich glaube, der jungen Frau können auch andre helfen«, sagte Wittekind jetzt, mit etwas gezwungenem Lächeln.

»Gut, desto besser«, entgegnete der Alte. »Doppelt, sagt man ja, reißt nicht!«

Die Spaziergänger kamen bis an das Haus zurück und sahen hinauf. Sie blieben nun steh’n; Marie nickte sanft, ihr ernstes Gesicht war Wittekind noch nie so reizend erschienen. Berthold, dessen Wangen rosig leuchteten, rief seinem Vater zu:

»Ich bin angenommen! Die gnädige Frau hat mir schon erlaubt, dass ich ihr vorlesen darf. Noch diesen Abend fangen wir an!«

»Ja, er will so gut sein«, sagte Marie, mit einem freundlich ergebenen Ausdruck, wie wer sich hat bereden lassen, eine neue Arzenei zu nehmen. »Ich denke, Sie wünschen es auch!«

»Gewiss wünsch’ ich es«, gab Wittekind zurück.

Er verstand nicht, wie ihm geschah: die Freude seines Berthold machte ihn selber froh, und doch legte sich ihm ein dumpfer Druck auf die Brust. Mariens Augen warfen noch einen Blick hinauf, dann trat sie ins Haus, und Berthold ging ihr nach.

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Дата выхода на Литрес:
04 декабря 2019
Объем:
440 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

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