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Читать книгу: «Die katholische Kirche und die Medien», страница 4

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3. Keine Verkündigung ohne Medien

Für das Auftreten Jesu, wie es in der Unterschiedlichkeit der vier Evangelien überliefert wird, ist die Botschaft von dem beginnenden Reich Gottes unter den Menschen von zentraler Bedeutung. Diese findet sich jedoch nicht nur in den Predigten Jesu oder dem, was die Evangelien als Wunderberichte überliefern, sondern grundlegend auch in der Konstituierung des Kreises von Jünger_innen und Aposteln. Die Konstituierung eines Zwölferkreises hat vor allem als Rückgriff auf die zwölf Stämme Israels und die darauf aufbauenden eschatologischen Erwartungen große symbolische Bedeutung. Diesem Zwölferkreis (dessen namentliche Zusammensetzung in den Evangelien uneinheitlich erfolgt) kommt vor allem die Aufgabe zu, den Menschen die Botschaft vom Reich Gottes auch nach dem Tod und der Auferstehung Jesu für die Mitmenschen erlebbar zu machen. Die Predigt, also die Verkündigung der Botschaft Jesu, ist zentrales Element dieser Beauftragung. Die Ausbildung einer christlich-kirchlichen Identität im Verlauf der ersten Jahrhunderte ist durch die Öffnung gegenüber „Heidenchristen“ als gleichberechtigte Gruppe neben der jüdischen Tradition und einer Absetzbewegung gegenüber der jüdischen Tradition geprägt. Dazu gehört auch die Ausbildung eines profilierten Missionsverständnisses, also des Anliegens, Menschen für die Reich-Gottes-Botschaft Jesu zu gewinnen. Vor allem im 20. Jahrhundert kommt es einerseits zu einer vielfältigen kritischen Reflexion des Missionsbegriffs, der über weite Strecken der Kirchengeschichte mit einem eurozentrischen Kolonialismus wie auch einer gewalttätigen Missionspraxis einherging. Dieses problematische Missionsverständnis konnte in der katholischen Kirche aufgrund langanhaltender Bedenken gegenüber den Idealen der Menschenrechte, gerade im Verständnis einer allgemeingültigen Religionsfreiheit, und daraus resultierender Toleranzdefizite erst in der Mitte des 20. Jahrhunderts überwunden werden. Die Frage der Mission stellt daher ein wichtiges Diskussionsfeld dar, wenn das Verhältnis von Religion und Gewalt reflektiert wird. Bis heute kann der Missionsbegriff nicht unter Absehung der problematischen Missionsgeschichte und der auch im Christentum zu identifizierenden Gewaltpotenziale verwendet werden. Der Begriff wird daher von Ansätzen der Evangelisierung (in Bezug auf weitgehend säkularisierte Gesellschaften wird häufig von Neu-Evangelisierung gesprochen) und der religiösen Kommunikation flankiert. Angesichts dieser Entwicklung im 20. Jahrhundert, bei der in Theologie und Kirche der Missionsbegriff kritisch hinterfragt wurde, kann in jüngerer Zeit seine neue Etablierung in kirchlichen Kreisen beobachtet werden. Mission wird dabei zunehmend wieder in einer inhaltlichen Verengung als strategisches Agieren zur Werbung um Kirchenmitglieder oder als Vermittlung von Glaubenssätzen verstanden. Dies stellt häufig eine Reduktion gegenüber solchen Ansätzen dar, die Verkündigung als religiöse Kommunikation und als ein dialogisches Geschehen verstehen und damit auch den biblischen Auftrag zu christlicher Glaubensverkündigung, die für christliches Glaubensleben als konstitutiv gelten kann, gegenüber modernen Kommunikationstheorien anschlussfähig macht. Als Beispiel für solch ein weiterentwickeltes Verständnis kirchlicher Verkündigung kann das Konzept gelten, das die katholischen Bischöfe Frankreichs 1996 mit einem Hirtenbrief prägnant vorstellen: Den Glauben anbieten.186 Dieses Verständnis religiöser Kommunikation unter den Vorzeichen pluralisierter Gesellschaften und eines positiven Gestaltens religiöser Toleranz kann als theologischer und kommunikationstheoretischer Ansatz verstanden werden, der eine eigene theologische Vergewisserung über das zentrale Fundament christlichen Glaubens ermöglicht: die Selbstmitteilung Gottes in seinem Sohn Jesus Christus. Diese zentrale Glaubensaussage des Christentums ist für die theologische Reflexion des Verhältnisses von Kirche und Medien von zentraler Bedeutung. Sie konkretisiert sich im Verständnis einer Verkündigungspraxis, wie sie etwa in der Kenosis-Christologie187 ausformuliert wird: Gott teilt sich mit, indem er eine Hinwendung zur Schöpfung vollzieht. Es ist eine Hinwendung, die keine Eindeutigkeit anstrebt und gerade darin einen Ethos zwischenmenschlicher Kommunikation auch für die kirchliche Verkündigung darstellt.

Für die Bestimmung des Christentums ist sein Verständnis als Offenbarungsreligion vor diesem Hintergrund von zentraler Bedeutung, demzufolge Gott mit dem Menschen in seiner Geschöpflichkeit in Dialog tritt.188

3.1. Biblische Grundlagen

Insofern Medien in einer sehr allgemeinen Bestimmung als Vergrößerung des menschlichen Wirkradius verstanden werden, gehören sie selbstverständlich zum menschlichen Leben und finden sich damit auch in biblischen Texten. Eine besondere Bedeutung erhalten sie jedoch dort, wo sie religiös konnotiert sind und als zentraler Bestandteil der Kommunikation zwischen Gott und dem Menschen beziehungsweise im Speziellen dem Volk der Israeliten gedeutet werden. Wenn das Blut an den Türen der Israeliten (Ex 12,7) sie von den Ägyptern unterscheidet und damit ihre Flucht aus der Sklaverei in das Gelobte Land ermöglicht, erhält es eine mediale Funktion und ermöglicht erst die Kommunikation zwischen Gott und den Israeliten. Die Liste derartiger Medien in den biblischen Texten ist lang, sodass sie hier nur exemplarisch benannt werden sollen: Motive wie die Feuersäule (Ex 13,21) als Medium göttlicher Kommunikation werden so konstitutiv für das Gelingen dieser Beziehung, dass sie zum Symbol der Gottesnähe generell avancieren und sich durch biblische Bücher, unterschiedliche Gattungen und verschiedene Epochen hindurch bis zur Offenbarung des Johannes als letztem Buch des Neuen Testaments fest etablieren (Offb 10,1 und Offb 14,15).

Parallel zu diesen besonderen Symbolen, die als Medien im Dienst göttlicher Kommunikation stehen, gibt es die Vorstellung, dass Menschen als personales Medium fungieren, durch die hindurch Gott seinen Willen mitteilt. Dies gilt biblisch in besonderer Weise für Moses, der in der biblischen Tradition Inbegriff der menschlichen Indienstnahme wird. Diese Vorstellung setzt sich in der Tradition der Propheten fort. Das Prophetenbuch Jona kann hierbei als Beispiel für die Herausforderungen betrachtet werden, die sich aus dieser Indienstnahme als göttliches Medium ergeben können: Nicht nur die Konflikte zu den Zeitgenossen, die in göttlichem Auftrag zur Umkehr gerufen werden sollen, stellen sich Jona als bedrohlich dar. Auch scheint es immer wieder zu Missverständnissen zwischen ihm und Gott zu kommen, in deren Entwicklung Fauna und Flora in Dienst genommen werden müssen, um Jona einen Lernprozess zu ermöglichen. Damit er versteht, worum es Gott geht, braucht es nicht nur den großen Fisch, um seine Flucht zu verhindern. Es braucht nach Jonas Predigt in Ninive auch noch eine kleine Pflanze und einen Wurm, mit deren Hilfe Jona erst versteht, warum Gott so barmherzig und liebevoll mit den störrischen Menschen umgeht. Hier kommen mehrere Medien zum Einsatz, um den Kontakt zwischen Gott und Mensch halbwegs gelingen zu lassen.

Das Bewusstsein für die besondere Erwählung einzelner Menschen neben dem Wissen um die Erwählung Israels als Gottes eigenes Volk bildet in den biblischen Texten des Alten Testaments einen eigenen Traditionsstrang, auf dem die neutestamentliche Überlieferung selbstverständlich aufbaut. Die Rolle Johannes’ des Täufers, Mariens oder auch die symbolische Erwählung von Aposteln zum Zwölferkreis erfolgen auf dieser Grundlage. Und insbesondere das Verständnis Jesu als erwarteter Messias mit den Titeln Menschensohn, Kyrios und später Christus führen das personale Medienbewusstsein fort,189 bis hinein in das christliche Bekenntnis von der Menschwerdung Gottes. Jesus selbst fungiert hier für den Theologen der frühen Kirche, Origenes, zur personifizierten Botschaft vom Reich Gottes, zur „autobasileia“190. Er ist das Medium schlechthin, in dem nach frühkirchlicher Überzeugung der Mensch Gott begegnen kann.

Nicht nur als strategische Notwendigkeit, sondern als zentrales Element der Reich-Gottes-Botschaft ist der Auftrag zur Verkündigung von Beginn der sich bildenden Gemeinschaft um Jesus an zu finden. Die Aussendung von Jünger_innen bildet ab, was sich mit der Entstehung erster christlicher Gemeinschaften vor allem in Verbindung mit Synagogen beobachten lässt: eine Verkündigungspraxis, die weit mehr ist als bloßes Marketing oder Öffentlichkeitsarbeit.

Es gehört zu den tragischen und nicht biblisch fundierten Missverständnissen insbesondere der christlichen Geschichte, dass derartige religiöse Indienstnahmen von Menschen zunehmend exklusiv verstanden wurden und damit unterschiedliche Facetten von Herrschaftsgebaren ermöglichten.

Die expansive Kraft der Reich-Gottes-Botschaft Jesu bewirkt durch Zeugenschaft eine Faszination, die ihrerseits zur wichtigsten Grundlage der Osterbotschaft wird. Die historisch-kritische Frage nach Verlässlichkeit des leeren Grabes oder der Zeugen für Begegnungen mit dem Auferstandenen relativiert sich angesichts der entstehenden Jesus-Bewegung, der Separierung eigener Gemeinden neben den Synagogen und dem beginnenden kirchlichen Leben. Diese Entwicklung, die bis heute kaum schlüssig erklärt werden kann, wäre ohne eine überzeugende Verkündigungspraxis nicht vorstellbar. Zu ihr gehört auch die Ausweitung des Wirkradius mit Hilfe der Reisetätigkeit des Paulus und vor allem seiner Briefe. Zu ihr gehört die redaktionelle Arbeit der Evangelisten und die Jahrhunderte anhaltende und zunehmend verbindliche Bildung des Kanons biblischer Schriften. Neben den personalen Medien der Menschen, die ihren Glauben bezeugen, stellen die biblischen Schriften die wichtigste Ausformung mediengestützter Verkündigungspraxis dar. Und weil Verkündigung immer aus Auslegung sowohl der biblischen Schriften als auch der je neu gegebenen gesellschaftlichen Umstände und Herausforderungen besteht, ergeben sich an diesen Konkretisierungen immer auch heftige Auseinandersetzungen.

Eine besondere Dominanz der medialen Prägekraft entsteht für den Medien-Historiker Jochen Hörisch mit der Etablierung des Abendmahls als zentraler symbolischer Akt. In Brot und Wein als Grundlage der sakramentalen Feier der Eucharistie sieht er gerade seit der Konstantinischen Wende und bis hinein in die Neuzeit „Formationen semontologischer bzw. ontosemiologischer Synthesis“191.

3.2. Buchdruck, Reformation und Aufklärung

Grundlegende kulturhistorische Entwicklungen des Mediengebrauchs entstehen etwa durch die gesellschaftliche Etablierung von Geldmitteln und die Ablösung des Tauschhandels, in der Erfindung des Buchdruckes oder gegenwärtig durch die digitalen Medien. Gerade am Medium Geld wird die Verbindung des äußeren Zeichens des Mediums mit seinem bezeichneten Inhalt sichtbar: „Sein und Zeichen fallen zusammen. Seine Erosion erleidet das erste Massen- und Leitmedium Abendmahl in dem Maße, wie sich Geld als neuzeitlich-modernes Massenmedium durchzusetzen beginnt.“192 Hier genügt zunächst die Beobachtung, dass (Massen-)Medien sich in Formen darstellen, die umgangssprachlich sicherlich nicht mit dem Begriff der Medien verbunden werden.

Üblich ist eine Reduzierung des Medienbegriffs auf klassische Formate und damit auch ein tendenziell vereinfachtes Verständnis von Medien als bloßen Mitteln zum Transport von Informationen.

Wie wenig ein solch reduziertes Verständnis ausreicht, wird mit der Verbreitung des Buchdrucks seit der Mitte des 15. Jahrhunderts erkennbar. Erst mit ihm wird nicht nur eine flächendeckende Verbreitung der Bibel und religiöser Bildung möglich, sondern auch die religiösen und politischen Umwälzungen in Folge der Reformation.193 Dem Buchdruck kommt nicht nur in seinen demokratisierenden Effekten (Aufkommen von Flugblättern und ersten Zeitungen), sondern auch aufgrund seiner Impulse für Wissenschaft und Bildung (Bildungszugang für breitere Bevölkerungsschichten) größte gesellschaftliche Bedeutung zu.

Gerade die Wirkmächtigkeit von Medien in ihren gesellschaftlichen Bezügen steigert in der Neuzeit das Bewusstsein für ihre politische Instrumentalisierung.

Hatte der Buchdruck für das Verständnis der aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen zentrale Bedeutung und bildete die Grundlage für das eigene wissenschaftliche und theologische Selbstverständnis, kann dies für die katholische Kirche nur in deutlich geringerem Umfang beobachtet werden. Hier erlangen der Buchdruck und das Zeitungswesen in den Auseinandersetzungen des Kulturkampfes des 19. Jahrhunderts und der kirchlichen Konzeption des Milieukatholizismus größere Bedeutung. Die konfessionalistische Abgrenzung des katholischen Milieus in den entstehenden Großstädten und industriellen Ballungsräumen ist einer Abschottung gegenüber Andersgläubigen verpflichtet und konstruiert eine kirchliche Welt, in der Einzelne von der Geburt an durch ein kirchliches Bildungssystem, pfarrliche und verbandliche Aktivitäten bis ins hohe Alter abgeschlossen begleitet und vor Irritationen durch Andersgläubige bewahrt werden sollten. Ein wichtiger Bestandteil dieses Milieukatholizismus, der bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts aufrechterhalten wurde und erst mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil auch theologisch in Frage gestellt werden konnte, stellen katholische Zeitungen und Zeitschriften dar. Sie wurden zu dem wichtigsten Medium für religiöse Bildungsarbeit, politische Meinungsbildung und moralische Stabilisierung.

Diözesane Kirchenzeitungen wie auch die Mitgliederzeitschriften von kirchlichen Verbänden lassen bis in die Gegenwart den großen Stellenwert der konfessionellen Presse in der katholischen Kirche in Deutschland und die Bedeutung für die Pflege einer katholischen Identität erkennen.

Diese verstärkt sich durch das Aufkommen von bildgebenden Medien (zunächst Film) und dem Rundfunk im 20. Jahrhundert und gipfelt in den dunklen Auswüchsen der Propaganda diktatorischer Regime und Ideologien, insbesondere des Nationalsozialismus. In bis dahin nicht gekannter Form wird das manipulative Potenzial von Medien zur Steuerung von breiten Bevölkerungsteilen eingesetzt. Unabhängig von der propagandistischen Beanspruchung der Medien hat sich die Präsenz der Manipulation vor allem in Werbung194 und Marketing195 erhalten.

3.3. Massenmediale Aufbrüche

Das konfessionelle Zeitungswesen konnte auch aufgrund der Förderung durch die alliierten Siegermächte nach dem Zweiten Weltkrieg neu errichtet werden und erlangte eine beachtliche Vielfalt.196

Erst mit der stärkeren Verbreitung von Fernsehen und Rundfunk197 als Elemente bürgerlichen Lebensstandards bricht das Ende der „Gutenberg-Galaxis“ an. Für die kirchlichen Printmedien ergibt sich am Ende des 20. Jahrhunderts sowohl aufgrund der veränderten Medienlandschaft als auch durch eine fortschreitende gesellschaftliche Säkularisierung eine massive Krise.

Mit der Zulassung privater Fernsehsender198 zeichnet sich ab, was dann im Internet und mit dem Web 2.0 am Beginn des 21. Jahrhunderts vollends beobachtbar wird: die De-Monopolisierung von Meinungsbildungsprozessen und Informationsvermarktung, in der auch die Profile journalistischer Berufsbilder zunehmend nivelliert werden. Politische Debatten sind im Zuge dieses Prozesses nicht mehr vorrangig in Parlamenten verortet, sondern auch in Medienformaten, in denen die Gegenüberstellung von Sender und Hörer_in, von Produzent_in und Rezipient_in aufgelöst ist. Jeder und jede kann nun live Informationen verbreiten, Meinungen äußern und kommentieren. Hier ereignet sich mit den Social Media von Facebook, Instagram, WhatsApp, YouTube199 und Snapchat eine bislang ungeahnte Dezentralisierung, eine beeindruckende Zunahme der Innovationsintervalle200 in der Etablierung neuer Medienformate201 und die (durchaus auch ambivalente) Auflösung von Kontrollmöglichkeiten, was erklärt, warum in stark hierarchisch entwickelten Institutionen die Vorbehalte ausgeprägt sind, die allen Institutionen zur Herausforderung werden, wie der Soziologe Michael N. Ebertz formuliert:

„Der kommunikative Kontrollverlust der Religion über die Religion dürfte in der durchmedialisierten Gegenwartsgesellschaft die zentrale Herausforderung für jede Religion darstellen. (…) Das Kontrollproblem wird zur zentralen Herausforderung aller herkömmlichen Institutionen, nicht nur der Religionen, sondern auch von Wissenschaft, Medizin, Militär und Diplomatie.“202

Häufig bauen diese Ressentiments203 auf der Unterscheidung von realer und virtueller Wirklichkeit auf, die sich jedoch spätestens mit der Beobachtung von politisch-gesellschaftlichen, wirtschaftlichen Konsequenzen als absurd entlarvt: Die virtuelle Welt ist Teil der ganzen geschöpflichen Realität und nicht davon zu separieren.204 Die schrittweise Verbreitung des Internet mit einer hundertprozentigen Zugangsmöglichkeit in westlichen Industrienationen verändert auch kirchliche Debatten. Sie gleichen sich allen anderen gesellschaftlichen Debatten in Form und Stil weitgehend an. In Erinnerung an die expansive Kraft der Reich-Gottes-Botschaft nach Tod und Auferstehung Jesu fällt jedoch die kommunikationshistorische Parallele der scheinbar unaufhaltbaren Expansion auf – diesmal freilich ohne erkennbar jesuanische Prägung. Elemente und Fragestellungen wie die unendliche (ewige?) Präsenz von Account-Inhaber_innen in Internetforen bringen Vorstellungen von Ewigkeit und Auferstehung hervor, die zunächst kaum mit christlichen Vorstellungen vereinbar scheinen, doch mit gleichen oder ähnlichen Begrifflichkeiten verbunden sind. Hier wird zunehmend unübersehbar: Digitale Medien sind – gegen die Annahme einer scharfen Kontrastierung205 – auch ein religionsproduktiver Ort,206 der Steuerungsversuchen und Deutungsmonopolen entzogen ist.207

Schon früh wurden Talkshows zu alternativen Beicht-Settings. Die Prägekraft der Fernsehsendung „Traumhochzeit“ bestimmt bis in die Gegenwart die Details auch von kirchlichen Trauungen. Und das „Dschungelcamp“ avanciert zum alternativen Initiationsritus. Das sind nur wenige Beispiele, in denen sich die Rede von einer „TV-Religion“208 nahelegt.

Dabei verläuft ihre Entwicklung jedoch erkennbar kontrastierend zum christlichen Inkarnationsgedanken und dessen Grundausrichtung vom Wort zum Fleisch (Joh 1). Deshalb bedarf es einer Medienhermeneutik, bei der mit prophetischer Kraft im Sinne Hans-Joachim Höhns nicht Künftiges vorhergesagt, sondern vor allem Gegenwärtiges in seinen hintergründigen Strukturen wahrgenommen und gedeutet wird: „Es hat zuerst etwas mit Ästhetik (als Kunst der Wahrnehmung) und Kritik (als Kunst der Unterscheidung von Chance und Gefahr) und dann erst mit Ethik (als Kunst der Gestaltung und Darstellung gelungenen Daseins) zu tun.“209 In dieser Grundstruktur einer Medienhermeneutik wird eine Parallele zu theologischen Ansätzen erkennbar, von denen bei dem Bemühen um die Deutung von Medienstrukturen Lerneffekte erhofft werden können.

3.4. Gesellschaft gestalten und Themen setzen

Um die öffentliche Ausrichtung des Christentums zu verstehen, wäre es unzureichend, sich lediglich auf Jesu Aussendung von Jünger_innen zur Verkündigung seiner Botschaft und zum Heilungs- und Heiligungsdienst zu fokussieren. Zwar stellt diese missionarische und evangelisierende Form des Weltbezugs ein zentrales Element des Verhältnisses von Gesellschaft und Christentum dar, allerdings längst nicht den einzigen. Wenn sich die Kirche im Zweiten Vatikanischen Konzil selbst zur Wahrnehmung der „Zeichen der Zeit“ verpflichtet, drückt sich darin ein wichtiger Bestandteil des Anliegens aus, jegliche Gegenüberstellung zwischen Gesellschaft und Kirche zu überwinden und sich dadurch mit ihren jeweiligen Zeitgenoss_innen zu solidarisieren.

Sehr profiliert wurde dies Anliegen von dem Theologen Johann Baptist Metz aufgegriffen. Er entwickelt in der Neuen Politischen Theologie (in Absetzung zur „Politischen Theologie“ von Carl Schmitt in den 1920er-Jahren)210 einen doppelten Gegenakzent: 1. Gegen eine Theologie, die sich aus einer Kontrastierung von Theorie und Praxis heraus versteht (also als Wahrheit, die nur noch zu vermitteln wäre) und sich in einer Ausrichtung allein auf die Welt der eigenen Konfession selbst begrenzt. 2. Gegen ein privatisiertes Religionsverständnis, bei dem auch die Religionspraxis und Spiritualität lediglich auf die Bedürfnisse der Einzelnen ausgerichtet sind und um den Preis der Möglichkeiten zur zivilgesellschaftlichen Mitgestaltung privatisiert wird.211 Gegen diese Versuchungen stellt Metz ein grundlegend verändertes Theorie-Praxis-Verhältnis, aus dem sich nicht nur eine Stärkung der christlichen Sozialethik ergibt, sondern auch die Erkenntnis, dass Theologie immer von den gesellschaftlichen Ereignissen und Entwicklungen der jeweiligen Gegenwart mitgeprägt ist und sein muss. Daraus ergeben sich die zwei zentralen Elemente jeder gegenwartssensiblen Theologie: Aktualisierungen und Konkretion.

Insbesondere die Erfahrung der Shoa gewinnt dabei für Metz als markantes historisches Ereignis Bedeutung, um an einer „Theologie nach Auschwitz“ beispielhaft die Unmöglichkeit einer neutralen Theologie und die Notwendigkeit einer sich immer wieder ihrer Kontextualität212 vergewissernden Theologie aufzuzeigen.

Dem Anliegen der Neuen Politischen Theologie trägt in besonderer Weise auch die Befreiungstheologie213 Rechnung. Sie baut auf der Wahrnehmung von konkreten gesellschaftlichen Missständen auf und ist damit ein Beispiel für die Bereitschaft und Wahrnehmungsfähigkeit einer Theologie, die sich ihre Themen und Fragestellungen aus ihren gesellschaftlichen Kontexten vorgeben lässt. Sie setzt damit die Suche nach und das Ringen um die „Zeichen der Zeit“ fort.214 Ihr gelingt damit die Konfrontation der Glaubenstradition mit den realen und konkreten Gegebenheiten einer gesellschaftlichen Situation und das Ernstnehmen einer „Option für die Armen“, für die Metz vorwiegend im Modus theoretischer Reflexion wichtige Grundlagen geschaffen hat.

Wurde es zum Ende des 20. Jahrhunderts um den Ansatz von der Neuen Politischen Theologie ruhig, sodass von einer „Krise“ gesprochen werden musste, gibt es in jüngerer Zeit Ansätze zu ihrer Aktualisierung.215 Sie sind auch eine Antwort an das neu erwachte gesellschaftliche Interesse an Religionen: Zunächst sind Religionen, insbesondere in ihren extremistischen Ausformungen, seit Beginn des 21. Jahrhunderts stark in den Medien und öffentlichen Debatten präsent. Darüber hinaus kommt es zu öffentlichen Debatten über den gesellschaftlichen Beitrag der Religionen zu den ethischen Grundlagen einer demokratischen Gesellschaft. So ist ein wiedererwachtes zivilgesellschaftliches Interesse am öffentlichen Beitrag der Religionen zu konstatieren.

Im Bereich evangelischer Theologie hat die Neue Politische Theologie zunächst in der Arbeit von Jürgen Moltmann216 ihre Entsprechung gefunden. Bemerkenswert ist die Wirkung, die auch daraus für den Entwurf einer Öffentlichen Theologie217 im Feld der Sozialethik mit Vorläufer_innen in der US-amerikanischen „Public Theology“ erwachsen ist. Sie wird insbesondere von Wolfgang Huber218 und Heinrich Bedford-Strohm219 entwickelt und konnte durch deren Funktionen als Landesbischöfe und EKD-Ratsvorsitzende über den wissenschaftlichen Kontext hinaus prägend werden. Gegen die Verlusterfahrungen einer gesellschaftlichen Marginalisierung der Volkskirchen in den Säkularisierungsprozessen moderner Gesellschaften setzt die Öffentliche Theologie die profilierte Beteiligung an zivilgesellschaftlichen Diskursen. Damit bringt sich Öffentliche Theologie in zivilgesellschaftliche Diskurse mit Orientierungsangeboten ein: „Kennzeichen öffentlicher Theologie ist der Versuch, die Befragung der eigenen Traditionsquellen der Theologie mit größtmöglicher Kommunikabilität im allgemeinen politischen und gesellschaftlichen Diskurs zu verbinden.“220 Öffentliche Theologie und Politische Theologie221 sind damit in doppelter Hinsicht befreiende222 Theologien: Sie sind leidsensibel gegenüber den Marginalisierten und Bedrängten einer Gesellschaft (Option für die Armen)223 und leisten damit einen Beitrag zum Eigenstand der Gesellschaft.224 Sie haben aber zugleich befreiende Wirkung für eine zum Rückzug neigende und sich selbst marginalisierende Kirche. In dieser doppelten Ausrichtung wäre die Rede von einer „gefährlichen Freiheitserinnerung“225, wie sie Metz in seinem Ansatz entwickelt hat, um damit das kritische Potenzial des Christentums in der Gesellschaft zu markieren und auch in umgekehrter Richtung wahrzunehmen: Christliche Theologie enthält eine für sie selbst „gefährliche Erinnerung“ an ihre eigene Kraft und Größe, wie sie dazu neigt, sich mit den eigenen Strukturen abzufinden, und eine minoritäre Mentalität226 ausbildet. Die auf die Kirche selbst bezogene Freiheitserinnerung steht in den Ansätzen der Neuen Politischen Theologie hinter ihrer Wirkung für und in der Gesellschaft zurück.

Der Blick auf die Strukturen und Mechanismen in einer Mediengesellschaft eröffnet die Chance, diese wechselseitige Ausrichtung der christlichen Verkündigung zu erkennen. Die irritierenden und verunsichernden Wirkungen und Effekte moderner Medien könnten so einen wichtigen Beitrag leisten, der Kirche auch selbst immer wieder zu einem „Befreiungsprozess“227 zu verhelfen. Die hier erkennbare, doppelseitige Wirkung wird in Wissenschaften, wie der Soziologie, im Kontext eines „public turn“ reflektiert. Er symbolisiert das wissenschaftliche Interesse, theoretische Erkenntnisse nicht nur auf die Wirklichkeit zu übertragen, sondern sie aus der Praxis heraus zu entwickeln. Auch hier ergibt sich also jene Wechselseitigkeit, die im Verhältnis von Kirche und Medien konstatiert werden kann.

Für die Beschäftigung mit Medien ergeben sich daraus wichtige Schlussfolgerungen:

1. Sie können nicht nur als Instrument zur Verbreitung eigener Einsichten und kirchlicher Positionen verstanden werden, sondern bieten vor allem die Chancen, öffentliche Debatten und gesellschaftliche Entwicklungen wahrzunehmen und diese auch als Impulse für die Theologie wirksam werden zu lassen. Wer Medienarbeit lediglich auf die Indienstnahme für kirchliches Sendungsbewusstsein reduziert, schadet deshalb der Theologie! Innerhalb der Missionstheologie hat sich diese Veränderung als Abschied von (auch theologischem) Kolonialismus etabliert. Für die konkrete kirchliche Medienarbeit bedeutet dies auch, dass sie sich nicht auf das Verständnis eines identitätsprofilierenden228 Marketings reduzieren lassen darf, indem sie die Botschaft des Evangeliums bruchlos mit der Institution Kirche identifiziert und sich damit selbst ihres theologiegenerativen Irritationspotenzials beraubt.

2. Westliche Gesellschaften werden seit der Mitte des 20. Jahrhunderts zunehmend als Mediengesellschaften charakterisiert. Darin wird erkennbar, dass die gesellschaftliche Funktion der Medien und ihre Prägekraft für öffentliche Debatten wie auch für das alltägliche Leben von Bürger_innen zu einem grundlegenden Strukturprinzip des Zusammenlebens geworden sind. Es wäre also zu fragen, wie sich dieses Strukturprinzip auch auf alle kirchlichen Lebensvollzüge und Grunddienste auswirkt.

Eine Analyse der Mediengesellschaft als „Zeichen der Zeit“ gehört zu den ausstehenden Aufgaben der wissenschaftlichen Theologie und wäre deshalb wichtig, weil mit ihr eine tendenziell pessimistische Grundausrichtung229 und ein Habitus des einseitigen Protestes230 überwunden werden könnten.

3.5. Freiheit oder Freiheitsverlust?

Zu den elementaren Bestandteilen der Reich-Gottes-Botschaft Jesu gehört die Befreiung von sehr realen Erfahrungen des Leids, der Einschränkung von Entwicklungsmöglichkeiten und nicht zuletzt der Armut. Damit kommt der Reich-Gottes-Botschaft eine umfassend befreiende Wirkung zu. Es war zu sehen, dass diese Effekte insbesondere von der Politischen Theologie und der Befreiungstheologie reflektiert und auf ihre theologischen und kirchlichen Konsequenzen hin befragt werden. Die Beschäftigung mit modernen Medien nicht nur im Zusammenhang mit Fragen der kirchlichen Verkündigung zu realisieren, wirft die Frage auf, wie deren Verhältnis zur Reich-Gottes-Botschaft zu bestimmen ist.

Zunächst lassen politische Umwälzprozesse des 21. Jahrhunderts erkennen, dass diese eng mit der Nutzung von digitalen Medien verbunden sind: die Vernetzung von Protestbewegungen gegenüber diktatorischen Regimen, die Koordination oppositioneller Gruppierungen und Menschenrechtsaktivist_innen.

Die langjährige Inhaftierung des Bloggers Raif Badawi in Saudi-Arabien und vieler anderer Dissident_innen in China, Russland und der Türkei zeigen, dass Einschränkungen der Meinungs- und Pressfreiheit im 21. Jahrhundert meist mit Eingriffen in die Nutzung digitaler Medien durch undemokratische Regime verbunden sind. Denn sie ermöglichen schwer zu kontrollierende Informationsflüsse und konstituieren als bedrohlich empfundene Netzwerke.

Kurzum: Digitale Medien sind für diktatorische Regime bedrohlich, weil sie freiheitsfördernde Effekte generieren. Darin liegt eine ihrer größten politischen Chancen und ein wichtiger Anknüpfungspunkt für die kirchliche Rede von der Reich-Gottes-Botschaft in der Moderne.

Zugleich sind jedoch die freiheitsmindernden Effekte digitaler Medien mit zu berücksichtigen.

Sie werden im deutschen Sprachraum vor allem von dem Philosophen Harald Welzer vertreten, der den Mechanismen digitaler Medien selbst diktatorische Züge unterstellt: Sie erlauben Formen der digitalen Überwachung durch „Selbstzwangtechnologien“ ohne rechtsstaatliche Achtung vor der Privatsphäre.231 Sie speichern Konsum- und Mobilitätsgewohnheiten, wie es bis dahin keinem Unrechtsregime in vergleichbarer Effektivität gelungen war. Sie befördern über das öffentliche „Shaming“ bis hin zu „Shitstorms“ auch soziale Ausgrenzung. Am deutlichsten werden diese Mechanismen in der Analyse von Sortierungsalgorithmen, wie sie in den Social Media zum Einsatz kommen: die Auswahl bestimmter Postings, die einem zuvor analysierten Nutzungsverhalten entsprechen;232 die Angebote von YouTube-Videos, die anhand der schrittweise zunehmenden „Personalisierung“233 ergänzt werden. Wenn Internetsuchmaschinen die Priorisierung von Informationsangeboten an Konsum- und Bewegungsschemata der Nutzer_innen orientieren, ohne diese Vorsortierung zu einsehbar zu gestalten, sind sie zugleich Bestandteil einer „Kultur der Digitalität“234. Diese Algorithmen haben nicht nur einen massiv steuernden Einfluss, sie bewirken „Selbstredundanz“, bei der einzelne User nur die Informationen und Angebote erreichen, die ihnen auch entsprechen und ihre Meinung oder ihren Geschmack bestätigen. Sie erscheinen gerade aufgrund ihrer Intransparenz natürlich schnell als manipulativ.235 Damit beinhalten die technischen Algorithmen zugleich die Tendenz, wertvolle Irritationen236 zu vermeiden, die jedoch für kreatives Ringen unerlässlich sind.237 Sie stellen jedoch lediglich eine technische Form der Komplexitätsreduktion von einer schwerlich handhabbaren Informationsmenge dar, die auch außerhalb digitaler Medien selbstverständliche Praxis ist. Sie sind deshalb nicht einfach eine Kombination aus „Logik plus Kontrolle“238, sondern von Logik und Steuerungsversuchen. Sichtbar wird in ihnen jedoch ein zentrales Element der Digitalität, das der Soziologe Armin Nassehi als „Rekombination“239 beschreibt, als Mechanismus, in dem Phänomene in immer neuen Kombinationen zusammengefügt werden und zum Inbegriff für den Verlust einer Zentralperspektive auf die Wirklichkeit in der Postmoderne werden. Für Nassehi sind damit die Unübersichtlichkeit und Unordnung als wesentliche Grundzüge der Digitalität entscheidende Indikatoren postmoderner Gesellschaft.240

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9783429063887
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