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Читать книгу: «Der Mime», страница 4

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Drittes Capitel

Die ersten Strahlen der Sonne, die über dem esquilinischen Berg trübroth aufdämmerten, fielen durch das Oberlicht einer Schenke der Subura in ein verräuchertes, schmutziges Zimmer auf einen roh gezimmerten Tisch, auf dessen Platte der Wein in Verbindung mit Bratensaft mehrere kleine Teiche bildete. Mitten in dieser Weinüberschwemmung lagen, in die aufgestemmten Arme gepreßt, die Häupter verschiedener, stadtbekannter Jünglinge, die es sich in ihrem Rausch angelegen sein ließen, sich gegenseitig im Schnarchen zu überbieten, derart, daß, sobald der am lautesten Schnarchende die Grenze seiner Fähigkeiten erreicht, eine Pause entstand, worauf das Concert mit erneutem Eifer begann. Während das Schnarchen dieser jungen Wüstlinge nicht einmal das Weib zu erwecken vermochte, das, den Becher in der Hand, das geröthete Gesicht von einem zerknitterten Rosenkranz überdeckt, unter dem Tisch ruhte, beschaute die Flamme des Candelabers trübselig die Stätte der Verwüstung, die entleerten Mischkessel, die umgestürzten Stühle, die Austernschalen, die zertretenen Rosen. Die sich blaufärbende Flamme kämpfte zuckend mit dem Morgenwind, der durch das geöffnete Dach mit kühlem Schauer die öden Hellungen des Morgens in diese wüste Trümmerstätte genossener Lust hereingoß und zuweilen das Kraushaar eines der schlafenden Häupter erzittern ließ, zuweilen ein Rosenblatt aus dem Kranz eines Zechers davontrug, als wolle er an die Vergänglichkeit der Genüsse mahnen. Immer ängstlicher kämpfte die Flamme mit dem hereinbrechenden Morgenroth, während die vier Personen gleich athmenden Leichen von dem Zurückweichen der Nacht keine Ahnung hatten, sondern sich ihrer öden, übersättigten Bewußtlosigkeit hingaben. Tiefe Stille herrschte noch in der Taverne, der Wirth schlief noch, die Sklaven ebenfalls jedoch begann auf dem Hofe ein Hahn bereits seine mahnende Heroldsstimme zu erheben. Nun erschien auf dem Dachrand ein Sperling, schwang sich, nachdem er neugierig herabgelauscht, auf den reichbesetzten Tisch, auf die Fruchtschale und naschte, zuweilen piepsend, emsig an einer Traube. Da er die Traube verließ, um sich an einem zerbröckelten Brode zu weiden, erschienen am Dachrand seine Genossen, die ihm eifrig zuzwitscherten. Der Sperling, als wolle er seinen Brüdern: durch seine Kühnheit imponiren, schwang sich auf den Rand eines halbgefüllten Bechers, hatte aber, da er das Gesetz der Schwere unberücksichtigt gelassen, das Unglück, den Becher zu Fall zu bringen. Schwirrend verließ er den Ort seines Verbrechens, indeß der schwere Holzbecher dem unter dem Tische liegenden Frauenzimmer derb auf die linke Wange schmetterte, dabei noch seinen Inhalt über sie ergießend.

Die Dirne griff sich im Schlaf an die verletzte Wange und murmelte mit geschlossenen Augen:

»Nun, was ist das für ein Spaß? Welche Rohheit, Paris!«

Dann wollte sie sich von neuem dem Genuß des Morgenschläfchens hingeben, da sie aber fühlen mochte, daß ihr eine kalte Feuchtigkeit den Hals hinabrann, öffnete sie den Mund zu jenem in guter Gesellschaft nicht gern gehörten Thiernamen, mit dem wir die Abwesenheit von Reinlichkeit auszudrücken pflegen. Während dieses Schimpfwort ihre schönen Lippen kräuselte, versetzte sie am Fußboden hinstampfend, dem Bein, das ihr zunächst stand, einen tüchtigen Tritt, ohne sich weiter um die Folgen dieses Trittes zu kümmern. Der Getretene hob das Gesicht aus den Armen und starrte tiefaufathmend eine Zeitlang vor sich hin, als könne er sich nicht mehr besinnen, wo er sei. Zu gleicher Zeit, als dies geschah, ereignete sich jedoch noch etwas anderes, höchst geheimnißvolles. An der gegenüberliegenden Wand des Zimmers befand sich ein kleines, verhangenes Fensterchen, das gar nicht der Rede werth wäre, wenn sich nicht plötzlich der Vorhang bewegt hätte. Der Vorhang verschwand und hinter dem Drahtgeflecht tauchte das grinsende Gesicht eines Zwerges, dann das üppige Auge eines nicht mehr ganz jungen, aber immer noch schönen Weibes auf. Dies Auge überflog hastig das Innere des Gemachs, wandte sich dann zu dem Begleiter, worauf letzterer das Fenster behutsam aufstieß.

»Ist erʼs?« frug sie leise den verkrüppelten Sklaven, der hinter ihr stand, »ich kann ihn nicht erkennen in der Dämmerung.«

»Es ist Paris, der Schauspieler,« entgegnete der Zwerg grinsend, »schau ihn dir nur genugsam an, Herrin, das Anschauen schadet weder deiner noch seiner Tugend!«

»Sprich nicht so laut, Unverschämter,« gab die Frau zurück, »er bemerkt uns«.

»Und was hätte das zu sagen,« flüsterte der Verwachsene, sich die unförmliche Nase kratzend.

Der erwachte Jüngling hatte von dem Geflüster der Beiden nichts vernommen, völlig geistesabwesend starrte er die Fruchtschale an, die vor ihm stand und drückte mit beiden Händen die schmerzende Stirn. Es war eine schöngeformte, elfenbeinweiße Stirn, die da unter dem schwarzen Gelock halbverborgen glänzte, eine jener Stirnen, die, wie wir es bei Hermesbildsäulen finden, eine obere und eine untere sanft ausgeprägte Wölbung zeigen, und die, von energischen Augenbrauen abgegrenzt, in eine zart gebildete Wange, ein weich gerundetes Kinn auslaufen. Der junge Mann bezwang ein Gähnen, das sich jedoch so oft wiederholte, daß ein kaum bemerkbares Lächeln seine von ein wenig Selbstironie belebten Lippen kräuselte und er schließlich dem Drange, von neuem einzuschlafen, nachgab. Während ihm der Kopf zwischen den jugendlich geformten Armen auf den Tisch herabglitt, benutzte die noch immer an dem Fenster lauernde vornehme Dame die Gelegenheit. Sie zog einen kleinen Zettel aus ihrem Gewande, sah sich alsdann hilfsbedürftig um und flüsterte, erregt athmend, mit ihrem Zwerge, der abzurathen schien.

»Es ist gefährlich,« flüsterte der Zwerg, »bedenke – ein Brief – dein Gemahl —«

Sie hingegen schüttelte den Kopf. Nachdem sie mehrmals versucht, den Zettel in die Nähe des schlafenden Jünglings zu werfen, aber wohl fürchtete, ihr Ziel zu verfehlen, riß sie sich rasch entschlossen eine Spange vom Arm, um deren goldnen Schlangenschweif sie das Blättchen befestigte, und schleuderte, obgleich ihr Diener sie zurückhalten wollte, Spange nebst Zettel so geschickt, daß beide die Locken des Schläfers streifend, in dessen Gewandfalten hängen blieben.

Flüchtig erröthend, heftig athmend beobachtete sie die Wirkung ihres Wurfs.

»Er erwacht,« lispelte sie.

»Die Spange trug deine Anfangsbuchstaben,« zischelte der Sklave vorwurfsvoll.

»Einmal muß er doch Kunde erhalten,« gab sie nervös zitternd zurück, »nun fort!«

Beide verschwanden; das Fenster klirrte herab! Paris, denn wir haben in dem Schlummernden längst unsern Freund erkannt, Paris hob, als ihm ein kühler Windhauch die Wange streifte, plötzlich den Kopf.

»Es ist schon früh,« stieß er zusammenfröstelnd hervor, sah dann zur geöffneten Decke nach dem dämmernden Himmel, räusperte sich, betrachtete die berauschten Genossen und schüttelte, als er nach und nach zu sich kam, mißmuthig den Kopf.

»Unsinn,« murmelte er sich selbst tadelnd, »warum ließ ich mich verleiten. Unsinn!«

In der That, als ihm die zerstreut liegenden Gegenstände, das am Boden liegende Weib die Scenen des vergangenen Abends wieder inʼs Gedächtniß riefen, stieg ihm die Röthe der Scham und des Ekels auf die Wangen. Da lagen sie noch in wüstem, viehischem Schlaf, die Genossen seiner Ausschweifungen, vornehme Jünglinge, ein heruntergekommenes Weib! Da standen sie noch, die Gefäße, die von tollster, sinnlosester Ausgelassenheit hätten erzählen können, von Scherzen, die ihm jetzt zu hören gegraust haben würde, von Handlungen, die er, wenn es ihm möglich gewesen wäre, jetzt gern ungeschehen gemacht haben würde. In welchʼ abscheulicher Stimmung er sich befand, wie ihm das Gehirn brannte, die Augen schmerzten  – — und das Alles – wozu? Zu welchem Zwecke hatte er seine Kräfte vergeudet, seine Nerven erschlafft; o Albernheit! Jawohl! er war immer der Ausgelassenste gewesen, sein Witz fachte das Bacchanal immer wieder zu neuen Flammen an, sein weltverachtender Humor schwang sich über alle Grenzen des Schicklichen wie ein berauschter Faun hinweg. Er fühlte sich verachtet, sein Beruf war ein gering geschätzter, dies Bewußtsein zu übertäuben, gab er sich Mühe, seinerseits alles, was Andere heilig und erhaben nennen, zu belächeln, herabzuziehen. Aber, wenn er auch mit der ihm eignen Grazie sündigte, die Reue ließ sich schließlich doch nicht wegscherzen, und sein verachteter Beruf wurde dadurch, daß er die Welt verhöhnte und sich im Schlamme wälzte, kein geachteter. Nun drängte es ihn, diesen Ort seiner Erniedrigung so rasch als möglich zu verlassen. Wie ihm diese im Schlafe verzerrten Gesichter der Wüstlinge, die sich seine Freunde nannten, unerträglich waren. Freunde! Es zuckte ihm in der Hand, er hätte, seinem Aerger folgend, gerne auf allen diesen gerötheten Wangen sichtbare Zeichen seiner Verachtung zurückgelassen, da er aber Mitschuldiger war, sich also nicht überheben durfte, begnügte er sich, die rohen Gesellen zu belächeln. Gern hätte er sich aus dieser Gesellschaft weggestohlen, allein indem er sich erhob, wurde an die Thüre geklopft, der Wirth der Taverne begehrte Einlaß. Paris öffnete, und der dicke Wirth schlug, als er seine Gäste so friedlich schnarchen hörte, um seine höfliche Theilnahme zu bekunden, ein solches Gelächter auf, daß sich die Gesellen Einer nach dem Andern zu recken und zu strecken begannen, gähnten und, theilweise über Kopfweh klagend, verlangten, man solle sie ausschlafen lassen.

»Das nenne ich eine anständige, feine Gesellschaft«, sagte der Wirth, mit aufrichtiger Hochachtung sein Käppchen ziehend. Ei, sieh da, nicht einmal eine Schüssel zerbrochen, auch die Stühle sind mit heiler Haut davon gekommen, und die Polster tragen – ich will sie doch genauer untersuchen – nein, beim Herkules, sie tragen keine Spuren genossener Mahlzeit. Auch das Silberzeug alle vollzählig.«

Er beugte sich über den Tisch und begann zu zählen: »Eins, zwei, drei! Das lobʼ ich mir, ihr Herrn, das bin ich wahrhaftig nicht mehr gewohnt.«

»Ja, ja, rothköpfiger Höllenhund!« brummte gähnend einer der Halberwachten: »was glaubst du denn! Du meinst wohl, du hättest Schweine zu Gästen gehabt?«

Der dicke Wirth bog den Nacken, als habe ihm einer einen Schlag auf die Magengegend versetzt, eine bestürzt devote Miene heuchelnd. »Wie du nur dieses Wort in den Mund nehmen magst, Hochgeehrtester?« stammelte er, »Schw – nein! ich sehe, daß ich sehr vornehme, feine Gäste bewirthe, man sieht es schon an der Menge des genossenen Weins, und wenn – das Silberzeug,« setzte er leise hinzu, rasch mit den Augen die Tafel überfliegend.

»Dort vor dem,« unterbrach ihn lallend einer der Berauschten, mit unsicherer Hand in die Luft deutend, »vor dem dort verbeuge dich, das ist Paris – der berühmte Paris, der macht deiner Schenke mehr Ehre, als wenn du den Kaiser beherbergst.«

»Ei, was ich höre!« stieß der Wirth hervor, indeß ein ekelhaft süßliches Lächeln auf seinem Doppelkinn zerschmolz, »die Götter meinen es gnädig mit mir; du also bist der Vielbewunderte, der Vergötterte« – er trat näher und nahm die Miene eines bescheidenen Kunstkenners an. »Beim Herkules, ich sah deine Bildsäule auf dem Forum prangen, ah, jetzt erkenne ich dich, ihr Götter, ich finde es, nachdem ich dich leibhaftig gesehen, begreiflich, daß die Frauen Roms dich anbeten – ach! – und wenn du erst auf der Bühne stehst, und – deine Beine! – ihr Götter! welche Beine, Waden, Füße und Arme und —. Nein! der Bildhauer gab nur unvollkommen wieder, was unsere Weiber in Entzücken versetzt!«

Er schloß, wie von einer Verzückung befallen die Augen, die indeß zwischen den Wimpern hindurch die Vollzähligkeit des Silberzeuges prüften, während Paris den lebhaftesten Drang fühlte, ihm den Becher, der vor ihm stand, an den Kopf zu werfen.

»O! eine feine Gesellschaft, eine vornehme Gesellschaft!« begann der Wirth aufʼs Neue, darauf mit einer Stimme, die einen Anhauch von Poesie hatte, hinzufügend: »Und wenn diese ehrenwerthe Gesellschaft ihre Feinheit nun auch beim Zahlen der Rechnung nicht verleugnet . . .« Das letzte Wort zog er absichtlich so in die Länge, daß es in der Luft angenehm zu verschweben schien.

»Du sollst befriedigt werden,« unterbrach ihn Paris zornig, »entferne dich jetzt!« —

»Ganz wie dirʼs beliebt,« stammelte der Wirth, seinen fetten Stiernacken rückwärts nach der Thür hinschiebend, »ganz wie dirʼs beliebt!« und da Paris von ihm abgewendet stand, benutzte er die Gelegenheit, einen in der Nähe der Thür liegenden goldnen Zahnstocher als sein Eigenthum zu betrachten, das heißt ihn in den Falten seines Gewandes mit bemerkenswerther Geschicklichkeit verschwinden zu lassen.

»Ein unverschämter Schwätzer!« murmelte einer der Zechbrüder im Halbschlaf; »werft ihm doch einen dieser Schweinsknochen nach!«

»Wer spricht da von Knochen?« stöhnte das unter dem Tisch liegende Weib, »die meinen thun mir weh, – Paris, hilf mir empor! – Ich bin wohl in eine Kloake gefallen?« —

Paris rührte sich indeß nicht, sondern betrachtetet mit Widerwillen, wie die Betrunkene sich vergebens bemühte unter dem Tischbein hervorzukriechen, und schließlich, nachdem sie sich einigemal den Kopf an der Tischplatte angestoßen, es vorzog, liegen zu bleiben.

»Wo habʼ ich meine Flöte?« flüsterte sie, »zerbrecht sie mir nicht! – das sechste Loch! – hier! – hier! – du Dummkopf! – blasen!« – —

»Einen Napf«, ächzte jetzt mit schwerer Zunge der junge Lepidus, indeß sich eine Todtenblässe in seinem Gesichte verbreitete, »wo ist der Hund von Sklave – eine Schüssel, Bestie! – rasch! —« doch es war zu spät.

Paris wandte den Kopf von dem, sich durch unerhörtes Würgen ankündigenden Gefühlsausbruch des jungen Lepidus ab.

»Ach! es geht mit mir zu Ende, Kameraden!« wimmerte der Würgende. »Da strömen sie hin die Lebensgeister! – O Unterwelt, habe Erbarmen!«

»Das ist die Folge deines unmäßigen Austernessens,« hörte Paris Crassus sagen, während ein anderer junger Mann, der erwacht war, aufstand und taumelnd nach der Thüre schwankte, schlaftrunken vor sich hinmurmelnd: »Des Lepidus Schwierigkeiten wirken ansteckend.«

Ein Dritter hielt sich den Leib mit beiden Armen und seufzte, der Wein müsse vergiftet gewesen sein, während der ältere Fulvius, der dicht neben Lepidus saß, letzterem eine derbe Ohrfeige versetzte, ausrufend: er habe ihm seine neue Toga gänzlich ruinirt. Der Geschlagene, die geschwollenen Augenlider aufreißend, richtete sich mühsam an der Tischplatte empor, unaufhörlich gegen das Vorfallen kämpfend. »Das ist wider alles Völkerrecht,« lallte er, »helft! ein Mitbürger – ein Römer wurde entehrt; – ich werde sterben, wie es einem Cäsar ziemt, aber man soll mich nicht ohrfeigen!«

»Still!« entgegnete ihm Fulvius, »sonst wird einer hinausgeworfen! —«

»Hinausgeworfen?« lallte Lepidus, »Genossen, hört!« Und er hielt den jungen Mann, der sich soeben schleunigst durch die Thür entfernen wollte, mit solcher Energie am Gewand fest, daß sich derselbe verzweiflungsvoll an dem Thürpfosten anklammerte. »Da! sieh her! wie du mir die Toga zugerichtet,« schalt Fulvius, das eine Ende der verunreinigten Toga in die Höhe haltend, »soll ich etwa in den Unterkleidern am hellen Morgen nach Hause gehen? —«

»Genosse, bleibe hier, ich bedarf deines Schiedspruchs,« rief Lepidus, immer noch den an der Thür Stehenden festhaltend, »gieb dein Urtheil ab! Ist ein Sterbender schuldig, wenn sein Kostbarstes, seine Seele, die Toga eines alten Weinschlauchs befleckt?«

»Bei allen Göttern, laßt mich los!« jammerte der Festgehaltene, »ich muß – ich muß – es giebt ein Unglück!, . .«

Paris, obgleich ihn die Scene zu erheitern begann, benutzte den Augenblick, da Lepidus den Wehklagenden von der Thüre weg in das Gemach gezogen hatte, um sich zu entfernen. Er sah noch, wie Lepidus eines der Messer ergriff, um auf den, seine Toga mit Wein reinigenden, Fulvius zuzustürzen und schloß aus einem dröhnenden Getöse, daß der Mordsüchtige auf seinem Wege gestrauchelt und zu Boden gefallen sein mußte. Auf dem Hausgange begegnete ihm der Wirth, der, als er den Lärm vernahm, bedenklich den Kopf schüttelte, einem Sklaven den Befehl ertheilend, sich mit einem dicken Knüttel zu bewaffnen und vor allem das Silberzeug zu retten. – Der Tänzer schritt durch die noch menschenleeren Straßen dahin, den Kopf gesenkt, mit sich selbst sehr unzufrieden, im Stillen überlegend, wie eigentlich dies Leben enden solle, ob er sich nicht aus diesem Sumpfe emporarbeiten könne. Seufzend gestand er sich jedoch seine Schwäche ein, die, da er ihr von jeher nachgegeben, für ihn zu einer unüberwindlichen Macht geworden. So sehr ihn auch diese Gesellschaft und ihr Treiben anekelte, ein eigner Reiz lag für ihn darin, ihr Abgott zu sein. Als er nach langem Wandern das Forum erreicht hatte, fiel ihm, als er seinen Mantel enger um die Glieder zog, die Spange in die Hand, die jene Dame so geschickt geworfen, daß sie sich in der Falte des Mantels festgehakt.

»Schon wieder,« murmelte er unwillig und zerriß, nachdem er es überflogen, das Blatt, dessen Bruchstücke er dem Morgenwinde überließ. Die Spange nahm er sich vor, in die Tiber zu werfen, denn schließlich konnte ihm das Weib, – er hatte sie natürlich längst als Domitia erkannt – noch gefährlich werden.

Im Uebrigen trug dieser Fund nicht dazu bei, seine Stimmung irgendwie zu verändern; er vergaß Brief und Spange und schritt mürrisch seines Wegs.

Nach einiger Zeit, da er in die Nähe des Gemüsemarkts gelangt war, fiel ihm eine Statue ins Auge, die einen kleinen freien Platz unweit des Marcellustheaters zierte und vor der er, nachdem er schärfer hingesehen, stehen blieb.

Es war damals in Rom nichts Ungewöhnliches, daß man Personen, selbst wenn sie sich in ganz untergeordneter Art Verdienste erworben, Denkmale errichtete. Bei der großen Vorliebe der Römer für die Tanzkunst und bei der großen Beliebtheit, deren sich Paris erfreute, konnte es nicht auffallen, daß man ihn an mehreren Orten durch die Aufstellung seines Marmorbildnisses zu ehren suchte.

Als der junge Mann seine eignen Züge, ein wenig idealisirt, dem Merkur angeähnelt, in Marmor erblickte, leuchtend im Frühstrahl, von dem schönen Postamente herabgrüßend, schmeichelte übrigens dieser Anblick nicht im geringsten seinem Stolz; im Gegentheil, er wußte seinen Verehrern keinen Dank, für seine Unsterblichkeit auf diese Weise gesorgt zu haben. Ja es kam sofort jene selbstquälerische Stimmung über ihn, die ihn seinen Beruf als den niedrigsten aller Berufe empfinden ließ und ihm stets die heftigsten Verwünschungen in Beziehung auf die Verständnißlosigkeit des Publicums in den Mund legte. Vor dem Volke zu tanzen – er konnte sich oft kaum dazu entschließen, und wenn er im Kostüm hinter der Scene stand, mit welchem Neid blickte er dann oft auf seine glücklicheren Collegen, die den Gebildeten die großen Menschen Sophokleischer Trauerspiele, die feinen Charaktere griechischer Lustspiele, vorführen durften. Und doch mußte er hinaus auf die Bühne, irgend ein oberflächliches Machwerk abzutanzen und das Publicum klatschte wie rasend und er wußte in erbitterter Seele, durch welchʼ niedere Mittel dieser Beifall errungen war, wie verächtlich die Collegen auf den Pantomimen herabsahen, der eine Helena, eine Venus nicht etwa declamirte, sondern mittelst Arm- und Beinbewegungen zur Darstellung brachte. Als er sich nun so im weiblich ausstaffirten Kostüm dachte, üppige Bewegungen, verlockendes Lächeln nachahmend, lehnte sich in seinem Innersten eine vernichtende Selbstverachtung gegen eine solche Herabwürdigung auf, er beschloß ernstlich die tragischen Rollen zu studiren und zu versuchen, ob er nicht als Schauspieler zu wirken vermöge. Seine Bildsäule ekelte ihn dermaßen an, als er sie mit seiner Bühnenerscheinung in Zusammenhang brachte, daß er nach einem Steine griff, und ohne zu zielen, denselben der Statue an den Kopf schleuderte. Zum Glück war der Platz noch menschenleer. Der Stein fiel zu Boden, mit ihm aber auch die halbe Nase des Marmorgesichts, und Paris lachte bitter in sich hinein, als er sich so verunstaltet erblickte, schlich sich dann aber davon, denn die Polizei verstand keinen Spaß, wenn es sich um die Demolirung der Bildwerke Roms handelte.

»Das ist gut,« murmelte Paris vor sich hin, »sie werden Nachforschungen anstellen, wer das Bildniß des großen Tänzers beschimpft? Geschieht ihr schon Recht, der Fratze! Geschieht ihr schon Recht!«

So schritt er mit schwerem Haupte weiter, die zweifelhafte Art seiner Weltberühmtheit verdammend.

»Was wird von mir auf die Nachwelt kommen?« grübelte er; »sie werden meiner spotten, wenn sie lesen: er habe die Dido vorzüglich getanzt, und des alten Virgil Staub wird sich über meine Verunglimpfung seines Meisterwerks in der Urne zusammenballen!«

Dann, nachdem er sich fast den Kopf an einen Eckpfeiler gestoßen, setzte er beinahe laut hinzu:

»Nein, das muß anders werden! Ich bin es müde, die Affektirtheit der Weiber durchzuhecheln, man soll mich als ersten Oedipus bewundern, mich als Ajax sterben sehn. —«

In derartige Selbstgespräche vertieft, gelangte er an die Stelle des Tiber, wo der Fluß sich in zwei Arme theilend, eine Insel bildete. Hier, gegenüber dem Tempel des Jupiter, der die Insel mit seinen Säulenmassen krönte, war in der Nähe der cestischen Brücke eine Landungsstelle für kleinere Fahrzeuge angebracht. Noch hüllte sich der Landungsplatz in das schläfrige Grau der Morgendämmerung, aber schon ließen die dünnen blauen Nebel, die der Tiber über die breiten Stufen der Anfahrt gehaucht, schon ließen diese Wolkenstreifen in schwankenden Umrissen die fremden Schiffsbäuche und Masten durchschimmern, schon blinkte röthlich in dem ehernen Arm des Merkur, der von seiner Säule herab das alte Rom musterte, der erst zweifelnde Strahl der Morgensonne, schon scheuchte dieser sich immer purpurner färbende Strahl den violetten Duft, der sich um die Bogen der cestischen Brücke gelagert und ließ allmälig die mächtigen Quadern dieses Bauwerks erkennen. Zuweilen erscholl halbersticktes Hundegebell aus dem Inneren eines der Fahrzeuge, hie und da vernahm man einen gedämpften Befehl, den Anfang eines verklingenden Fischerlieds, den Schrei eines ausländischen Vogels. Unweit der gemilianischen Brücke saß ein Fischer, der sein Netz flickte, sonst war außer einigen Sperlingen, die sich um einen Fischkopf stritten, kein lebendes Wesen zu erblicken.

Paris gähnte, drehte sich um und betrachtete das noch schlummernde Rom, drehte sich wieder um und starrte in die gelben Tiberwogen, die langsam aber majestätisch dem Meere zueilten. Das unter seinen Füßen hineilende sich drehende Gewässer machte ihn schwindlig, er hob, ein Gefühl aufsteigender Ueblichkeit im Magen, den Kopf, schüttelte sich und dachte, halb lachend, an den Weinjammer der Zechgesellschaft, die er eben verlassen. Auf dem der Anfahrt zunächst gelegenen Schiff öffnete sich jetzt die Kajütenthüre; ein schmutziges, altes Weib trat auf das nägelbeschlagene Verdeck, goß den unsauberen Inhalt einer Waschschüssel über Bord in die Wellen, sah dann schlaftrunken erst in das Aufplätschern des Flusses, dann in das sich allmälig grauröthlich färbende Häusergewirr Roms und drückte die Hand auf den gähnenden Mund, einen unartikulirten Laut der Verdrießlichkeit ausstoßend. So stand sie einige Zeit, schloß die Augen, reckte sich, daß alle ihre Gelenke knirschten, und schwankte dann unbeholfen nach der Kajütenthüre zurück. Als nun aus dieser Thür ein halbersticktes Wimmern scholl, blieb sie stehen, sah hinunter und rief mit heiserer Stimme: »Will sie sich auflehnen?« Eine rauhe unverständliche Männerstimme gab aus dem Innern der Kajüte herauf Antwort, und das alte Weib rief in den Schiffsraum hinab:

»So züchtige sie doch, Fabius, die Geißel liegt in der Truhe rechts.«

Bald darauf vernahm Paris ein nicht mißzudeutendes Klatschen, dem das leise Stöhnen einer Weiberstimme folgte, vermischt mit dem hämischen Auflachen einer schimpfenden Männerstimme.

»Es ist jetzt genug!« rief die Alte nach einiger Zeit, da das Klatschen gar nicht enden wollte, in den Schiffsraum hinab.

»Du ruinierst sie ja, bedenke doch, es ist kostbare Waare!«

Paris, dem das Schluchzen der Mißhandelten zu Herzen ging, wollte sich entfernen, denn was konnte er der Sklavin, die hier gezüchtigt wurde, nützen, wenn er sich in die Angelegenheiten ihres Besitzers mischte. Und doch, wenn er an das Loos der Gezüchtigten dachte, die vielleicht noch vor einigen Wochen im Arm ihrer Familie geruht, fühlte er den Drang, ihr beizustehen. War er doch im Grunde auch ein Sklave, der bewunderte Sklave des Publicums. Doch untersagte er sich diese Mitleidsregung und hatte sich schon einige Schritte vom Ufer entfernt, als er plötzlich aus jener Kajütenthüre ein Mädchen stürzen sah, das, die Haare wirr um den Nacken, nur von einem dünnen Gewand nothdürftig bedeckt, sich mit dem Blick der Verzweiflung rings umsah.

»O! nur nicht schlagen!« preßte sie, die Hände faltend, heraus, »was habe ich euch gethan?«

»Halte sie, halte sie!« schrie es von unten herauf. »Was du uns gethan hast?« rief die Alte ihr zu, »gehorchen sollst du!«

»O gewiß, gerne, gerne!« stöhnte das Kind, indeß die Alte auf sie zuschritt. Als sie das bemerkte, sah das Mädchen mit rollenden, krassen Augen um sich, drückte die zitternden Arme an den schwerkeuchenden Busen, und entwischte mittelst eines heftigen Rucks gerade noch der krallenhaft zugreifenden Hand der alten Megäre.

»Komm, hilf mir!« rief die letztere, »sie entwischt!«

Und nun zeigte sich an der Kajütenthüre der rothhaarige Kopf des Fabius. Bald tauchte das stumpfnasige Gesicht des Sklavenhändlers aus der Vertiefung auf. Dem Gesicht folgte allmälig der übrige, zwar kleine, aber ungemein breitschuldrige Körper.

»Dort, dort steht sie!« rief das Weib, dem die Kleider wüst um die Beine schlotterten.

»Willst du wohl gleich herkommen, Lydia!« knirschte der Händler, die Peitsche schwingend.

»Wo? Wohin?« lispelte das Kind athemlos, die Blicke suchend überall hinwendend. Er stürzte auf sie zu und streckte seine stark behaarte Hand nach ihr aus. Sie jedoch, wie zu sich kommend, zuckte zusammen, stieß einen kurzen Schrei aus, und rannte sinnlos an den Rand des Schiffes.

»Hier, hier!« stammelte sie, und, die Augen schließend, ließ sie sich nicht eigentlich hastig, sondern mehr widerstrebend über Bord gleiten.

»Halte sie! Mein Geld und Gut!« wimmerte der Händler, die Hände ringend, während das Mädchen, noch in der Luft schwebend, die beiden Hände in ihr Haupthaar einkrallte, und so zur Tiefe schoß. Das Wasser schlug klatschend empor, dann schloß es sich zischend über dem Haupt der Lebensmüden, und der Händler starrte bald in den Schaumstrudel hinab, den ihr Körper gebildet, bald rang er verzweiflungsvoll die Hände gen Himmel.

»Herr, rettet mich!« schrie er, als er Paris auf der andern Seite des Ufers bemerkte.

»Hunderttausend Denare – ich bin ruinirt – Hunderttausend Denare, – — ihr Götter! Ich bin ein Bettler! Mit ihr ersäuft meine Existenz! Zieht sie heraus, das Scheusal!«

Paris, der näher gekommen war, dachte allerdings daran, der Lebensmüden nachzuspringen und sie, was, so nahe am Ufer, ein Leichtes gewesen wäre, dem Tod zu entreißen. Als er aber den erbarmungslosen, nur an sich denkenden Händler jammern hörte, beschloß er, sie, die den Tod gesucht, ihn finden zu lassen.

»Ihr ist wohler,« sagte er sich, »warum sie einem Leben zurückgeben, das nur Qual für sie hat, sie würde es mir nicht Dank wissen.«

Indeß schlugen die aufgeregten Wellen an die Steintreppe an und nun hob es sich weißlich-grün aus der gelbwirbelnden Fluth, deutlicher und in immer schärferen Umrissen. Nun fluthete schwarzes Haar auf der Oberfläche des Wassers, ein verzerrtes, blasses Gesicht tauchte, jäh gen Himmel gerichtet, empor, und den festgeschlossenen, violetten Lippen dieses Gesichts entrang sich ein:

»O, ihr Götter!« Dann kamen wirre, quirlende Laute, zugleich mit ausgespieenem Wasser aus dem Munde der Ertrinkenden, indeß der Sklavenhändler tobte.

»Da ist sie – rasch – einen Kahn – eine Stange – infame Schlange, willst du mich ruiniren? O hätte ich dich zwischen den Fäusten, Bestie, Hündin!«

Paris war die Stufen hinabgesprungen; der Anblick dieser, sich den Wellen willenlos Ueberlassenden, die nach der feuchten Finsterniß das Sonnenlicht wieder über sich sah, beklemmte ihm die Brust mit Mitleidsschauern. Fürchtete sie vielleicht doch den Tod der Wellen mehr, als die Geißel ihres Besitzers? Sehnte sie sich zurück nach der lichten Wärme aus dem kalten Abgrund? – Aber er würde dennoch nicht zur Hülfe herbeigeeilt sein, wenn nicht ein kleiner Kahn, den er bisher nicht bemerkt, dicht an die eben wieder langsam Versinkende herangerudert worden wäre. Ein angelnder Fischer, der unter der aemilianischen Brücke gesessen, hatte die Scene von weitem beobachtet und war, in der Hoffnung, reichen Lohn zu ernten, herangeeilt. Dem Fischer gelang es, eine mit einem Haken versehene Stange derart in das Wasser zu tauchen, daß sich das scharfe Eisen in den Kleidern der Sinkenden fing. Es kostete den kräftigen Armen des Mannes nicht allzuviel Anstrengung, und zum zweiten Male zeigte sich gewaltsam gehoben der Körper der Unglücklichen auf der Oberfläche des Wassers. Nun griff Paris seinerseits zu einem am Boden liegenden Ruder und zog den Nachen gänzlich an die Steintreppe heran, sodaß der Fischer seine schwebende Last mit Leichtigkeit auf die untersten Stufen zu heben vermochte. Hier faßte Paris den Körper um die Hüften und brachte die Bewußtlose gänzlich in Sicherheit. So lag sie nun zu seinen Füßen, eine kaum athmende, triefende, langausgestreckte Masse, den blauen Mund hielt sie halb geöffnet, die Augen, als haßten sie die Sonne, blieben ineinander gekniffen, die Arme hingen schwer herab, nur zuweilen zuckte es über ihre ängstlich gespannten Züge. Er bückte sich, ein wunderliches Gemisch von Mitleid und Neugierde im Herzen, zu ihr nieder, faßte ihr triefendes Haupt zwischen die Hände und erleichterte ihr, indem er das Haupt ein wenig hob, das Ausspeien des eingeschluckten Wassers, wobei ihn jetzt das zwischen den Wimpern durchblitzende Weiße ihres Auges zuweilen gespenstisch anstarrte.

»Wird sie mir nicht fluchen?« frug er sich, »wenn ich sie zum Leben zurückbringe? Wäre es nicht besser, ich machte mich davon, so schnell wie möglich?« Wirklich, als er ihr nun mit seiner Toga heftig die Brust rieb und sie unter seinen Bemühungen einmal tief aufathmete, konnte er nur mit Schaudern an den Moment denken, da sie die Augen aufschlagen würde. »Doch freilich! ein so junges Leben!« entschuldigte er wieder seine Belebungsversuche, es wäre doch schade um diesen frischaufblühenden Leib, wenn er bereits als fühlloser Schatten hinabsteigen sollte, kein Auge mehr erfreuend!

Возрастное ограничение:
0+
Дата выхода на Литрес:
04 декабря 2019
Объем:
230 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

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