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Читать книгу: «Die Welt in hundert Jahren», страница 9

Various
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Alexander von Gleichen-Rußwurm.
Gedanken über die Geselligkeit

Die meisten Träumer und Verfasser utopischer Weltbilder verirrten sich in einem Wald politischer Ideale und vertraten den Standpunkt, daß Staatsverfassungen, Gesetze, öffentliche Einrichtungen, den Kern des Lebens ausmachten. Alle diese Dinge umgeben uns wie die Landschaft, wirken wohl ab und zu auf die Stimmung, bilden einen Gesprächsstoff, greifen aber in das eigentliche intime Dasein nur in außergewöhnlichen Fällen ein und dann meist auf unangenehme, störende Weise. Vielleicht trägt gerade das störende Element dieser Eingriffe die Schuld, daß bei allen Zukunftsträumereien eine durchdringende Veränderung der öffentlichen Verhältnisse hauptsächlich ins Auge gefaßt war. Von Plato bis Bellamy und Laßwitz, der die Erdbewohner mit den Marsleuten in Verbindung brachte, haben die Autoren soziale Märchen erzählt und die Frage ausgeschaltet oder höchstens gestreift, ob sich seine anmutige Geselligkeit in den neuen Zustand der Dinge einfügen könne.

Die „große“ und die „schöne“ Welt, wie nach französischem Beispiel die Kreise genannt werden, in denen man sich unterhält oder wenigstens unterhalten soll, haben noch jeden Umsturz überdauert und tauchten immer aus der Unordnung gewaltsamer Katastrophen empor, sobald nur ein wenig Ruhe eintrat und ein bißchen Ordnung Platz schaffte. Es ist merkwürdig, wie gering die Einwirkung großer, historischer Ereignisse auf das tägliche Leben und seine Sitten ist. Nur langsam ändern sie sich infolge bahnbrechender Erfindungen, indem sich die Gesellschaft die Arbeit der Gelehrten zunutze macht, sobald sich die Industrie ihrer bemächtigen konnte. Die Leichtigkeit, mit der wir uns fortbewegen, die Schnelligkeit, mit der fremde Genüsse eingeführt werden, die Billigkeit angenehmer Dinge tragen viel bei zum Wechsel der moralischen Anschauungen, unter denen die Geselligkeit seit alters steht.

Der harmlose Verkehr zwischen den beiden Geschlechtern ist der Angelpunkt jeglicher Geselligkeit. Ob anmutiges Gespräch und sinnig heiteres Spiel, ob der Tanz oder die Karten, ob schließlich ein Sport diesen Verkehr beherrscht, entscheidet vorübergehende Mode. Der Charakter unserer Entwicklung, der auf starker Individualisierung beruht, läßt dahin schließen, daß in einem Jahrhundert – je nach Geschmack der einzelnen Kreise – die verschiedensten Unterhaltungen nebeneinander ihr Recht behaupten und daß die strengen Gesetze, die heute eine sogenannte herrschende „Koterie“ vorschreibt, bei steigender Kultur an Bedeutung verlieren. Anmutig feine Geselligkeit, die aus Memoiren und Briefen noch einen Abglanz auf spätere Zeiten wirft, war immer selten und auf wenig Auserlesene beschränkt. Daß die Zahl dieser Auserlesenen sich vermehrt, ist wünschenswert und wahrscheinlich, denn ein Rundblick über Literatur, Kunst und Kunstgewerbe zeigt eine Sehnsucht nach heiter ausgefüllter Muße, wie sie nur vornehm froher Verkehr im Salon gewähren kann.

Aber unser allgemein anerkanntes Nützlichkeitsprinzip – höre ich sagen – widerspricht solch rosafarbenem Optimismus, der im Jahrhundert der Arbeit einen Triumph der großen und der schönen Welt prophezeit. Und ein gelehrter Freund erzählt mir von Madachs berühmter „Tragödie des Menschen“, deren Zukunftsbilder zu meiner leichten Plauderei in schärfstem Widerspruch stehen. In dieser tiefen Dichtung ist ein Staat entworfen, der das Prinzip absoluter, nüchterner Nützlichkeit endgültig zum Sieg brachte. Alles ist durchaus sachlich und praktisch geordnet, Phantasie, die gute Fee, die einst zu Spiel und Vergnügen geleitete, hat den Menschen verlassen und alles, was einst den Schönheitsdurst stillte, gehört zum vergessenen Plunder. Es ist mit Etiketten versehen, in einem Museum gesammelt und wird den Kindern gezeigt. Alle Ueberflüssigkeiten des Lebens sind darin, die Erinnerungen an harmlosen Verkehr, auch die letzte Rose, denn die ausgenutzte Erde hat keinen Platz mehr für solches Zeug. Diesem düstern Bild halte ich aber die schöne Wirklichkeit entgegen, in der die Blumen mehr Platz einnehmen denn je, und in der vornehmer, geselliger Verkehr endlich bewußt von den Gebildeten als Kulturträger anerkannt wird. Diese Anerkennung verbindet den modernen Wunsch, die Gegenwart schön und die Zukunft noch schöner zu gestalten mit dem praktischen Gesichtspunkt, die Dinge in ihrem Gebrauchswert entsprechend zu behandeln. Die Wichtigkeit des geselligen Lebens als Bildungsmittel für Geist und Gemüt, als anregende Ruhezeit nach den Stunden des Erwerbs steht allgemein fest. Aber seine Bedeutung in einer Zeit, in der alle Anschauungen naturgemäß freier werden, wird meiner Ansicht nach in einem Jahrhundert noch besser geschätzt sein als heute. Denn nur der freiwillige Zwang, den edler Verkehr den Gebildeten auferlegt, mildert die Sitten und schafft ein hohes Kulturbild, wie es als Ideal den heutigen Aestheten vor Augen schwebt. Ideale werden aber – wenigstens zum Teil – Selbstverständlichkeiten der Zukunft. So ist es mit der Gedankenfreiheit, mit der politischen Selbstbestimmung, mit dem gleichen Recht für alle gegangen. So wird es auch sein mit den Träumereien von einem „schönen“ Leben, zu denen vor allem anmutige Geselligkeit zur Feierstunde gehört.

Der kultursuchenden Gegenwart schweben die „mondainen“ Verhältnisse Englands als Beispiel vor Augen. Wir verehren darin die absolute Sicherheit, mit der die klassische Mahlzeit, der richtige Anzug, die bestimmte Art des Vergnügens, Ort und Zeit entsprechend gewählt werden. In hundert Jahren hat wohl die ganze gebildete Welt jene Fehlgriffe überwunden, die heute den eingefleischten Provinzler, den Parvenü, den Snob bei großstädtischen Gelegenheiten so possierlich erscheinen lassen. Man wird in den Regeln des Anstands und der feinen Sitte auch in Kreisen Bescheid wissen, denen heute die geistige Bildung nicht mangelt, sondern nur die gute Kinderstube. „Also Uniformierung, keine Originalität mehr, stilgerecht durchgeführte Langeweile!“ wirft mir eine lebhafte Gegnerin ein. – Wenn langweilige Menschen im Salon sind, gewiß, aber ich glaube, daß es weniger langweilige Menschen geben wird, denn sie werden weniger abgespannt, weniger müde, weniger nervös zusammenkommen und die ausreichende Freiheit, die beiden Geschlechtern eine neue Weltanschauung gewährt in bezug auf Moral, Berufswahl und vielleicht Familienleben, läßt sie den äußeren Zwang eines wohlgeregelten Salons um so angenehmer empfinden. Die Geselligkeit wird blühen, weil dann gute Manieren so selbstverständlich sind wie frische Wäsche und alle, die unter Menschen gehen, sich geistig wie körperlich ein Festgewand anlegen.

Ob dieses Festgewand dem unseren gleicht? – Wer zurückblättert in den dicken Bänden der Kulturgeschichte wird eine verneinende Antwort herauslesen. Mit den äußeren Lebensbedingungen ändert sich der Witz und das Gebiet, das den Unterhaltungsstoff liefert. Wer nicht durch historische Studien belastet ist, lacht kaum über die Witze unserer Vorfahren und würde schwerlich mit Vergnügen an ihren Gesprächen teilnehmen. Wir können es ebensowenig von den Nachkommen für unsere Bonmots und Interessen verlangen. Mit der geistigen Toilette ändert sich aber auch die Tracht. Nach den Bestrebungen der Gegenwart zu schließen, wird sie immer bunter und prächtiger für die Frau und dürfte auch für den Mann geschmeidiger und farbiger werden. Da sich unter veränderten Verhältnissen die Geselligkeit nicht mehr auf die Welt der Müßiggänger vorzugsweise beschränkt und deshalb auf die Abendstunden fallen wird, kann sich der künftige Gesellschaftsanzug Farben und Stoffe erlauben, wie sie ganz moderne Menschen heute vielleicht in kühnen Augenblicken träumen.

In einer Zeit, in der sich die Verkehrsbedingungen von Jahr zu Jahr bedeutend verbessern, in der sich aber die Grundlagen eines eigenen eleganten Haushalts jährlich verschlechtern, tauchen neue Fragen auf für die Zukunft der Geselligkeit. Der Kommunismus, dessen rohe, kulturzerstörende Elemente ängstlichen Gemütern meist allein bewußt sind, hat auch seine reiche, elegante Seite. Leute, die sich zu unterhalten wissen, lieben es nicht, sich außerhalb ihres Berufs oder sonstigen Interessenkreises zu plagen. Da nun allem Anschein nach nicht nur der Mann sondern auch die Frau außerhalb des Haushalts in steigendem Maße beschäftigt sind, und da fremde Leute, das heißt hauptsächlich Dienstboten, sich immer weniger zuverlässig erweisen, wächst das Bestreben, die Bürde der eigenen Wirtschaft abzuwerfen und im frohen, komfortablen Kommunismus des vornehmen Hotels aufzugehen.

Die offiziellen Feste der großen Welt werden ihren Charakter auch in hundert Jahren wenig geändert haben. Vertreter der unteren Volksschichten erscheinen vielleicht zahlreicher als heute, aber ihre Gegenwart wird noch weniger auffallen, da sie durch die steigende, verallgemeinerte Kultur gelernt haben werden, sich den feinen Sitten geselligen Verkehrs einzufügen, aber die kleinen, gemütlichen Veranstaltungen der schönen Welt, in denen sich immer der lieblichste Zauber menschlicher Zusammengehörigkeit zeigte, sind in hundert Jahren wohl hauptsächlich in jenen lichtdurchfluteten, geschmackvoll eingerichteten Hotelräumen zu finden, in denen der neueste Komfort, die eleganteste Mode, der Schein des größten Reichtums zu den Selbstverständlichkeiten gehören. Da knarrt kein Rädchen einer schlecht geölten Haushaltungsmaschine und stört das Gespräch mit seinem Geräusch, da schaut die Dame des Hauses nicht mehr ängstlich auf die Diener, ob sie nichts vergessen und nichts zerbrechen. Die ganze Mühe ist auf Bestellen und auf Zahlen beschränkt. Ein Privathaus – es sei denn, daß ihm vielfache Millionen den Glanz eines Fürstenhofs verleihen – wird kaum in der Lage sein, den Anforderungen künftiger verwöhnter Generationen zu genügen. Wenn ein Teil der Gäste im Luftschiff heransaust und am Dachstuhl landet, ein anderer durch unterirdische Bahnen herangeführt aus dem Keller emporsteigt und einige altmodische Leute vielleicht noch im Auto am Straßentor anfahren, muß überall für Empfang gesorgt sein. Mit den Erfindungen, die man gebrauchen und genießen möchte, aber beschränkter Mittel wegen sich nicht dienstbar machen kann, wächst auch für den geselligen Kulturmenschen der Wunsch nach Zusammenschluß. So wird der große soziale Gedanke, der im neunzehnten Jahrhundert gefahrdrohend auftauchte, auch der feinen Kultur unterworfen, im geselligen Leben unserer Enkel und Urenkel gute Früchte tragen.

Prophezeien ist zwar eine mißliche Sache, weil man die Grundbedingungen des gegenwärtigen Zustands nicht verlassen kann und über die Grenzen des menschlichen Geistes gar nicht Bescheid weiß, aber ein gesunder Rückblick auf die Vergangenheit ermöglicht, die allgemeine Richtung festzustellen. Ein kleines Buch „l’an deux mille“, das anonym im achtzehnten Jahrhundert erschien, enthält manche ganz richtige Meinung, indem es die großartige Entwicklung voraussah, die entdeckte und bezähmte Naturkräfte später hervorriefen. Damals herrschte das Vertrauen auf eine allein seligmachende Wissenschaft. Heute hat der Wunsch nach höchster Kultur sich mit der Sehnsucht vermählt, durch Abwerfen falscher Zivilisation mit der Natur wieder in innigere Verbindung zu kommen. Diese erstrebte Harmonie öffnet günstigen Ausblick auf das künftige Weltbild.

So können wir hoffen, daß schönere und gesündere Menschen im Salon der Zukunft heiterer Muße pflegen. Doch spätere Zeiten gleichen für uns einem Spiegel, in dem nichts anderes erscheint, als die Erfüllung der eigenen Wünsche.

Jehan van der Straaten.
Unterricht und Erziehung in 100 Jahren

Es war einmal ein alter, weiser Mann, der war fast so alt wie die Spitzen der Berge und noch älter. Und er war so weise und hatte eine solche Macht, daß ihm alle Feen, Gnomen, Elfen auf einen Wink gehorchten, so verschieden sie auch in ihrer Art voneinander waren.

Aber mein Gott! Er war schon zu alt, daß er keines jener Wesen mehr verstand; kein Faun und kein Gnom konnte ihm mehr ein Lächeln abzwingen, kein Kobold konnte ihn durch seine Streiche ergötzen, keine Fee, so herrlich und schön sie auch war, konnte ihm noch gefallen, er war schon zu alt, und das war sehr schlimm, um so schlimmer, als er sich manchmal doch wünschte, er könne diese Wesen wieder verstehen. Und so dachte er sich, er würde das Verständnis für sie wieder finden, wenn er sie durch die Augen des Kindes betrachten würde, und er sagte zu einem der Kinder: „O, Du liebes, junges Kind, laß mich doch durch Deine Augen sehen.“ Und das liebe, junge Kind sagte: „Warum nicht?“ Und da versuchte der alte weise Mann durch die Augen des lieben, jungen Kindes zu sehen, aber er vermochte es nicht, denn ihm fehlte das Verständnis für die Seele des Kindes, durch das dieses mehr sieht als durch sein leibliches Auge. Und er verstand die Späße der Kobolde und Gnomen und die Schönheit der Fee und all der phantastischen Gestalten weniger als je, und da wurde er totbleich und seine Lippen zitterten und seine Hände auch und er sagte: „Meine Zeit ist um, jetzt bist Du an der Reihe!“ Und das liebe, junge Kind war glücklich und selig, als wäre ihm ein Stein vom Herzen gefallen.

* * *

Es war nicht leicht möglich, besser und eindringlicher als dies James Arthur Colton in den wenigen Zeilen tat, die ich meinen Ausführungen voranschickte, die unglaubliche Verständnislosigkeit zu schildern, mit der unsere Lehrer – nein, unsere Unterrichts- und Erziehungsmethoden, den Kindern gegenüberstehen, die sie zu Männern zu machen berufen sind. In der Zwangsjacke der sogenannten Erziehung verkümmert heutzutage jede Bewegungsfreudigkeit des kindlichen Geistes, die Phantasie, die das herrliche Prärogativ der Jugend ist, wird unterbunden, und sie darf um Gotteswillen ihre Flügel nicht regen, der Gedanke, der hinausschweifen möchte, Gott weiß in die Ferne und alles erfassen, was ihn wie ein Mysterium umgibt, wird an die kalten, starren Buchstaben gefesselt, in dessen Geiste die ganze Erziehung vor sich geht. Statt daß der Lehrer die Kinder versteht, verlangt man, die Kinder sollen den Lehrer verstehen, und das allein charakterisiert das ganze Absurde unserer Unterrichtsmethoden und unseres Erziehungssystems. Es ist kein Zufall, daß gerade die größten Männer meistens die schlechtesten Schüler waren, d. h. die Schüler, die sich durch ihren geringeren Fleiß, ihre größere Unruhe und Lebhaftigkeit, also durch ihr schlechtes Betragen und ihre Unaufmerksamkeit ausgezeichnet haben, wobei allerdings die Lehrer stets die gleichzeitig sich zeigende schnelle Denkfähigkeit und das rasche Erfassen übersehen haben. Gerade alle die gerügten Mängel aber sind oft – natürlich nicht immer – aus dieser großen geistigen Regsamkeit der Kinder zu erklären. Es ist nicht Sache des lebendigen Geistes, über einem Buche zu hocken; nicht Sache des Temperaments (und Temperament und Geist sind im Kinde fast ein und dasselbe) stundenlang auf einem Flecke zu hocken; es ist nicht seine Sache, immer nur auf die eine Seite des einen Buches die Blicke zu heften, wo sie hinaus schweifen können, hinaus, wo es des Schönen und Rätselhaften und Wissenswerten so viel gibt, nein, nein, das Kind will und muß aus sich selbst heraus, es muß aufatmen können nach Herzenslust und will mit der eigenen Lunge atmen, und sich nicht die Luft einblasen lassen, die es einatmen will und einatmen darf, damit es nur ja nicht Schaden nehme an Leib und an Seele. Glücklicherweise bricht sich die Erkenntnis von der Verkehrtheit unserer Erziehungsmaximen immer mehr Bahn, und die Zeit ist wohl nicht mehr fern, in der das ganze Jammergebäude, das wir „Schule“ nennen, in sich zusammenstürzt und auf dessen Trümmern der Tempel der Vernunft glorreich ersteht. Es wird dazu keiner Revolution bedürfen, sondern die Sache wird sich ganz von selber ergeben.

Wir Menschen werden nämlich allmählich beginnen, uns daran zu erinnern, daß uns selber Kräfte innewohnen, die in den meisten von uns völlig latent liegen blieben, und von deren Vorhandensein wir gar keine Ahnung haben, ja, deren Bestehen wir bei anderen heut noch als etwas nahezu Uebernatürliches empfinden. Außerdem werden sich in uns selber jene Wunder vollziehen, die wir tagtäglich in der Wissenschaft vor sich gehen sehen. So wie es ganz zweifellos ist, daß wir die Welt und deren Farben heutzutage ganz anders sehen als die Menschen vor tausenden, zehntausenden und hunderttausend Jahren sie gesehen haben, so wie unser Auge erst vor Jahrzehnten vorerst in der Kunst und darauf in der Natur die violetten Strahlen für sich entdeckt hat, so ist es gar kein Zweifel, daß über kurz oder lang auch die X- und anderen Strahlen für uns sichtbar sein werden, und es uns gegeben sein wird, mit unseren Blicken auch die Materie zu durchdringen. Möglich, daß wir uns dazu noch besonderer optischer Vorrichtungen werden bedienen müssen, wie wir ja auch jetzt unser schlechtes oder falsches Sehen mit Brillen korrigieren; möglich, oder vielmehr sehr wahrscheinlich, daß unser Auge allein die neuen Fähigkeiten sich aneignen wird. Aber nicht nur unser physisches Auge wird sich in der angedeuteten Richtung wesentlich schärfen und vervollkommnen, sondern unser geistiges auch. Es ist ein alter tiefer Bauernglaube, daß bei der Geburt die Kinder alles Wissen dieser Welt besitzen. Bevor sie aber so gut sprechen gelernt haben, daß sie’s uns mitteilen könnten, haben sie’s auch wieder vergessen. So naiv diese Ansicht ist, so ist doch eine tiefe Wahrheit darin verborgen. Wir lernen das verhältnismäßig Geringe, um das Große, Gewaltige, uns Innewohnende zu – vergessen. Wir lernen und werden erzogen, um eingeschränkt zu werden in unseren Kräften. Unsere Sinne verlieren ihre Schärfe, ja selbst unsere Gliedmaßen lernen wir nur einseitig gebrauchen. Der hervorragende Spürsinn, mit dem der Mensch begabt ist, geht in der Kultur vollständig unter, die „Witterung“ geht uns verloren, der gesunde Blick schwindet, Kurzsichtigkeit nimmt überhand, der Tastsinn, dessen Feinfühligkeit die Blinden wiedergewinnen, ist abgestumpft, das Gehör ist durch das Eindringen von tausenderlei von Geräuschen, für die feinen Schwingungen nicht mehr empfänglich. Und ist dies alles mit unseren groben Sinnen der Fall, die förmlich gewaltsam zum Verkümmern gebracht werden, so tritt das bei unseren feinen und feinsten Sinnen erst recht in die Erscheinung, so zwar, – daß ihr Bestehen geradezu geleugnet wird. Gerade im Kinde sind aber die Schwingungen der Seele ganz außerordentliche, und wehe dem Kinde, dessen Schwingungen keine Resonanz finden. Nun ist aber das Trostlose an der Sache, daß diese Resonanz sehr schwer zu finden ist. So schwer, daß man dreist behaupten kann, daß unter den Millionen von Kindern nicht eines das richtige Verständnis findet, nicht eines den Anschluß an „das Leben“, den es in seiner Seele sucht. Das Kind fühlt sich infolgedessen jenes trostlosen Gefühles voll, das im Unverstandenwerden liegt und rückt – wenn es es selbst bleibt – , auch immer mehr vom Verstehen der anderen ab. Andere wieder, und es ist dies die gewaltige Masse der Kinder, tauchen in der verdammten Alltäglichkeit unter, in der auch die meisten von uns leben und über die sie sich nicht mehr erheben können. Diese Alltäglichkeit wurde dadurch zur Norm. Unter der Norm sind alle die Wesen, die – durch Vererbung, Krankheit, Entbehrung, Mißhandlung idiotisch sind oder werden. Ueber der Norm, d. h. also ganz ebenso anormal sind die Genies oder – die Narren. Und kein Mensch weiß oder ahnt es, daß gerade der allumfassende, schaffende und schöpfende Geist, daß gerade das Genie das Normale ist. Jedes Kind kommt (von krankhafter Degeneration abgesehen) als Genie auf die Welt. Es gilt nicht einmal, den Genius zu erwecken; er ist wach; er strebt mit allen Kräften danach, sich zu offenbaren und wird – getötet. Das Kind wird zum Menschen (!) erzogen. Zum Alltagsmenschen ohne Schwung, ohne Energie, ohne eigene Initiative. Schon unsere Erziehung im Hause legt das Fundament dazu, und die Schule gibt dem Genie dann den Gnadenstoß… Nehmen wir, um den Vorgang zu illustrieren, Zuflucht zu einem Bilde aus unserer genialsten, modernsten Wissenschaft. Drahtlose Telegraphie. Vom Transmitter geht, von den Herzschen Wellen getragen, eine Botschaft aus und sucht den auf ihn, auf seine Schwingungen gestimmten Reciver. Findet sie ihn, so wird die Botschaft gehört, sie hat ihren Zweck erfüllt, und neue Botschaft geht herüber und hinüber.

Der Verkehr ist angebahnt, das Verständnis ist geschaffen. Nehmen wir aber an, der Reciver arbeitet nicht; die Botschaft umkreist, umflutet, umzittert und umschwingt die ganze Welt; nirgends aber wird sie gehört, nirgends erfaßt, und immer neue und neue Kunde entzittert dem gebenden Apparat, der nach dem Widerhall sucht. Vergebens. Endlich erlahmt die Lust, die Kraft, das Mühen und Suchen. Resigniert wird der Apparat abgebrochen, oder er verrostet und versagt, es sei denn, man habe ihn auf ein anderes Schwingungsniveau gestellt und habe, den eigenen Schwingungen entsagend, ihn auf die Schwingungen eingestellt, für die die Reciver massenhaft da sind. Das Bild ist klar. Und es ist gut. Denn unsere Seele ist im Grunde nichts als der feinste, auf die feinsten Schwingungen eingestellte Apparat. Und es kommt die Zeit, das ist ganz unzweifelhaft, in der wir für die Feinfühligkeit dieses Apparates wieder das Verständnis erhalten. Wo uns die Feinmechanik der Seele kein verschlossenes Rätsel mehr sein wird, sondern auf die volle Entfaltung der Seele und somit des Geistes das Hauptgewicht gelegt werden wird. Wir stehen heute noch vor dem Gedankenlesen als vor etwas Fremdem. Und doch waren wir in unserer Kindheit alle Gedankenleser. Wer hat jemals ein Kind oder besser noch eine Reihe von Kindern beim Märchenerzählen betrachtet! Wie hängen sie an den Lippen des Erzählers, wie lesen sie förmlich von seinen Lippen die Worte ab. Wie leben sie auf in der Gedankenwelt, die sich ihnen da eröffnet und die sie als die ihre erkennen. Denn – das Reich der Phantasie ist die Domäne, in der das Kind unumschränkt herrscht. Die Grenzen dieser Phantasie kennen zu lernen, wird das erste Ziel der zukünftigen Erziehung sein, nicht aber ihr Grenzen zu stecken. Denn je größer die Phantasie, desto größer die damit Hand in Hand gehende Aufnahmefähigkeit des Geistes. Die Phantasie allein vermag die Eindrücke, die der Geist aufnimmt, selbständig zu verarbeiten und sie zu neuen Formen umzugestalten. Der Lehrer wird also in den Geist der Kinder eindringen müssen, er wird ihre Seelenregungen und Seelenschwingungen alle erfassen müssen und wird erkennen müssen, wieviel „Eindrücke“, d. h. wieviel Wissen, Kenntnisse und Erkenntnisse er dieser Seele zur Nahrung geben darf. Wie viele und welche. Denn wie nicht jedem Magen dieselbe Nahrung zuträglich ist, so um so weniger jedem Geiste. Die Erziehung wird also weit früher beginnen müssen als jetzt. Sozusagen vom ersten Lebenstage an, und der Lehrer wird kein solcher, sondern ein Lernender sein. Er wird das ihm anvertraute Kind und wird von diesem lernen müssen. Er wird jede seiner Seelenvibrationen erfahren müssen und wird erkennen müssen, welchem anderen Lehrer die einzelnen Kinder zur geistigen Weiterentwicklung am passendsten überantwortet werden müssen, um den Schatz von Geistesenergie, der in dem Kinde liegt, nutzbar zu verwerten. Denn nicht jeder Lehrer wird für alle Schwingungen gleich empfänglich sein, und es wird Abstufungen geben, die den Seelenabstufungen der zu Entwickelnden entsprechen werden. Auf diesem Seelenverständnis allein wird das ganze Wesen des Unterrichts und der Erziehung beruhen. Das Wissen des Lehrers wird einfach auf das Kind übergehen und diesem nie mehr zugemutet werden können, als es zu erfassen, zu verarbeiten und sich als dauernden geistigen Besitz zu erwerben vermag. Er werden Gespräche sein, ein Gedankenaustausch, weiter nichts, und es wird sehr oft die Frage sein, wer der Lernende sein wird, ob der Lehrer oder – das Kind. In weitestgehender Weise wird den verschiedenen Geistes- und Seelenrichtungen Folge gegeben werden. Jede Veranlagung wird als solche erkannt, keiner Gewalt angetan werden; der Unterricht wird ein Werk der Befreiung sein, der Befreiung von allen Fesseln des Geistes, in die er jetzt gleich einem Fronsklaven geschlagen wird. Dadurch aber wird die eine große Energie zur ungeahnten Erstarkung gelangen: der Wille und dieser Wille wird Wunder vollbringen. Wunder, die aufhören werden, Wunder zu sein, denn sie werden zu Selbstverständlichkeiten geworden sein. Keinem, der so erzogen, so unterrichtet worden ist, wird auch nur ein Gedanke, der in seinem Fähigkeitsradius liegt, fremd sein. Und jeder andere Gedanke wird – in diesem von seiner eigenen Psyche abgegrenzten Kreise – klar und offen wie ein Buch vor ihm liegen. Es wird kein Mißverstehen mehr geben und darum keine Zweifel und Kämpfe der Seele. Das bedrückende Gefühl der eigenen Unzulänglichkeit wird aufgehört haben und alle die Genies, die heute zugrunde gehen oder auf ihrer Seele fremden Gebieten Mittelmäßigkeiten werden und geworden sind, werden das Große, das Aufbauende leisten können, das zu schaffen sie von ihrer Neigung und von ihren Fähigkeiten gedrängt werden. Von überall her wird der Geist neue Nahrung aufsaugen; kein Eindruck wird verloren gehen, denn er wird sich einprägen mit der suggestiven Gewalt des freiwillig Gewollten. Und wir wissen es alle: nur was man gern lernt, ist wirklich gelernt. Nur das trägt dauernde Frucht und prägt sich uns ein. Das eiserne Muß, das in unsern Schulen herrscht, hat aber zur traurigen Folge, daß wir das, was wir in der Schule lernen, im großen und ganzen nur lernen, um es zu vergessen, nicht um es zu wissen. Angeblich – und ein deutscher Gelehrter hat es bestätigt – wird ein Dutzend Kinder jetzt schon – und seit Jahrhunderten schon so erzogen, wie ich es oben in kurzen Zügen angedeutet habe: die Kinder, aus denen der Dalai-Lama hervorgeht und die hohen Priester des Badhisatra und in denen sich die Seele dieser immer wieder regeneriert. Und tatsächlich ist es ja die eigene Seele der Lehrer, die mit auf die unberührte der Kinder überströmt mit all ihrem Wissen, all ihrem Empfinden, all ihrem Vermögen und die die Schätze der eigenen Erfahrung auf sie ebenso mit überträgt, wie das auf sie selbst übergegangene ihrer eigenen Vorgänger. Und so ist es denn gar nicht unglaubhaft, wenn der oben erwähnte Gelehrte – Prof. Dr. Rosenfeld – erklärt: „im Angesichte des Dalai Lama“ (der damals, als er ihn sah, ein kränklich aussehender Knabe von dreizehn Jahren war) falle jede Verkleidung der Seele, jede Verhüllung der Gedanken von selber und diesem „Kind“ gegenüber seien alle Worte vergebens, denn ehe sie sich noch geformt, gebe er schon Antwort auf jenen Gedanken, dem sie bestimmt waren, Ausdruck zu geben. Es ist eben die höchste Konzentration der Seele und des Geistes vorhanden und beide sind für alle Schwingungen empfänglich, die auf sie zuströmen. Daß wir ein ähnliches Resultat durch all die in uns verborgen liegenden aber zum Durchbruch drängenden, jahrtausendelang gewaltsam in uns zurückgedrängten Kräfte erreichen müssen, ist klar, und daß die Schulmauern fallen werden und statt der Zwingburgen des Geistes freie blumige Auen erstehen werden, auf der sich an der Hand und der Seite des Lehrers die Seele des Kindes ergehen und den Kraft- und Schönheitstrank der Natur in sich einziehen wird, das ist gewiß. Und sehr, sehr fraglich ist es, ob es noch hundert Jahre dauern wird, ehe wir es erreichen, denn auf den Aetherwellen, die uns umströmen, zieht es einher, das neue tausendjährige Reich, das Reich des Kindes, der Menschheit.

Возрастное ограничение:
12+
Дата выхода на Литрес:
01 ноября 2017
Объем:
280 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

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