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Читать книгу: «Die Welt in hundert Jahren», страница 8

Various
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Dora Dyx.
Die Frau und die Liebe

In den wenigsten Fällen, in denen wir heutzutage von Liebe sprechen, ist Liebe, Liebe. Wir haben, so paradox dies auch klingen mag, und so lebhaften Protest ich mit meiner Behauptung bei all denen, die zu lieben wähnen, auch wecken mag, den Begriff der Liebe verloren. Sie hat sich unter unseren Händen so verwandelt, daß sie, von einzelnen Fällen abgesehen, keine Liebe mehr ist. Nicht nur die materielle Basis, auf welche unser Jahrhundert gestellt ist, ist zum Grabe jener feinen und feinsten Regungen geworden, aus denen die Liebe besteht, sondern noch mehr haben unsere Moralbegriffe dazu beigetragen, sie so zur Unkenntlichkeit zu verwandeln, daß man gerade von dem als Liebe spricht, was absolut mit ihr nichts zu tun hat, und von dem was Liebe ist, entweder gar nicht, oder nur mit Entsetzen gesprochen werden kann. Es muß zugegeben werden, daß der aktive Eintritt der Frau in den Kampf ums Dasein viel dazu beigetragen hat, das Liebesbedürfnis der Frau herabzumindern. Die körperliche Ermüdung und Uebermüdung ist ebenso wenig wie die geistige Erschlaffung ein Erregungsmittel der Liebe, und wir sehen, daß unter dem als leichtfertig verschrienen Volk der Artisten die Turnerinnen und Akrobatinnen geradezu als unnahbar gelten können, insofern bei ihnen nicht auch die „Liebe“ Mittel zum Zweck, d. h. Berechnung ist. Andererseits hat die durch die Berufstätigkeit der Frau nahezu aufgehobene Trennung der Geschlechter viel dazu beigetragen, jenen Nimbus des Geheimnisvollen zu zerstören, der bisher die jungen Männer und die Mädchen wechselseitig umgab. Und damit ist ein Hauptreiz zum Fortfall gekommen, denn gerade das Geheimnisvolle, das sozusagen Verbotene wirkte auf die Phantasie der Sinne. Die Liebe ist aber, wie wir jetzt wissen, nichts weiter als Seelenphantasie, und daß diese von der Sinnesphantasie ganz gewaltig beeinflußt wird, ist selbstverständlich. Bei uns gibt es drei Hauptformen von dem, was wir „Liebe“ nennen. Die Ehe, die Prostitution und die freie Liebe, zu welcher auch die zwischen Ehe und Prostitution liegenden vorübergehenden Verhältnisse gerechnet werden können. Daß die Ehe nur in den seltensten Fällen ein wirkliches Liebesband schlingt, wissen wir alle. Die Ehe ist vor allem zur Versorgung geworden und alle Bedenken „ich liebe ihn nicht“ werden durch den selbstlügnerischen Trost niedergeschlagen: „Die Liebe kommt schon in der Ehe“. In den meisten Fällen aber kommt sie nicht, und im Punkte der Liebe herrschen darum nur noch Entsagung oder Betrug, die zu den bekannten Erschütterungen führen, welche bei uns den dramatischen Stoff – und nicht fürs Theater nur – liefern. Hie und da allerdings werden solche „Vernunftehen“, wie man sie nennt, auch ganz „glücklich“. Man lebt sich ineinander ein, keiner verlangt etwas oder viel von dem andern und ist überrascht, wenn er mehr findet, als er erwartet. Meist sind es auch resignierte Naturen, deren Seele keine Ansprüche stellt, so maßlos oft auch die anderen, ans Leben gestellten Ansprüche sein mögen. Die meisten Ehen aber – wenn schon nicht alle – sind unglücklich, und in jedes, auch des glücklichsten Menschen Leben, werden Augenblicke vorkommen, in denen er sich dies eingesteht. Dabei darf nicht verschwiegen werden, daß auch die „Liebesehen“ unglücklich werden und gerade deshalb noch viel unglücklicher, weil die Ehe mit Illusionen begonnen wurde, auf welche die dürre Ernüchterung folgen muß; Und so wandelt sich auch in diesen Ehen die Liebe in Gleichgültigkeit und diese in Haß. Der große Philosoph hat recht, der zuerst das Wort sprach: „Die Ehe ist das Grab der Liebe“. Die Liebe ist ja das freieste Gefühl, das unserer Seele gegeben, und jeder Zwang – und als solcher ist die Ehe vom Standpunkt der Liebe nur aufzufassen – muß diese Freiheit lähmen, einengen und bedrücken. Von der Prostitution rede ich nicht. Sie ist das schmachvolle Kainszeichen, das unsere Zeit sich selber aufgedrückt hat. Bleibt – die freie Liebe. Aber auch hier, wo wir eigentlich den Inbegriff der heißen, schrankenlosen Liebesglut finden müßten, ist davon wenig zu merken. Selten ist es wirklich die Liebe, die „zwei Menschen die müssen“ zueinander treibt. Meist sind es der Leichtsinn, die Laune, die Eitelkeit und die Vergnügungssucht, die ihr gewichtiges Wort mitsprechen.

In jedem Falle ist die Liebe heutzutage ein Opfer, das die Frauen bringen. Unsere ganzen verkehrten Anschauungen haben die Liebe dazu gemacht und wenn es in diesem Schritt weiterginge, so würde man bald überhaupt nicht mehr wissen, was Liebe ist. Unsere Seelen scheinen für die Schwingungen der Liebe eben nicht mehr empfänglich zu sein; die Seele hat die Sensibilität dafür verloren, und unser Seelenapparat muß erst wieder darauf gestimmt werden. Und auch diese Zeit wird kommen. Mit eilendem Schritte gehen wir der Zeit entgegen, wo für den Menschen die Arbeit nicht Arbeit, sondern nur Lust, Zerstreuung und Erholung sein wird. Die Lebensbedingungen werden sich so gewaltig verändern, daß uns um unsere „Versorgung“ nicht mehr bange sein wird; die Herzensfragen werden daher keine Magenfragen mehr sein, und die Schwingungen der Liebe werden wieder gefühlt, gesehen und verstanden werden. Die Liebe ist ja weiter nichts als das Resultat einer Anziehungskraft und infolgedessen auch denselben Gesetzen unterworfen wie diese. So wie der Mond durch die nähere Erde mehr angezogen wird, als durch die entferntere mächtige Sonne, so wird ein Mann durch ein in seiner Nähe weilendes liebliches Geschöpf natürlich mehr angezogen, als durch ein anderes Wesen, dem er und das ihm ferner bleibt, von dem er sich aber unter anderen Verhältnissen weit stürmischer angezogen fühlen würde, als durch das erste. Den Gesetzen der Anziehungskraft zufolge kann nun das Herz gleichzeitig aus verschiedenen Richtungen angezogen werden. Es gibt keinen Himmelskörper, der nicht zu kleinen Abweichungen von der ihm zugewiesenen Bahn gezwungen würde, die man Störungen nennt. Bei uns im menschlichen Leben werden diese Störungen Sünde genannt, Verrat und Betrug. Die Flammen der Liebe gehen dann in die Flammen der Eifersucht und des Hasses über, und bald suchen die einen, den geliebten Gegenstand wieder zu umfassen und zu umhüllen, bald lodern sie zuckend zurück, weg von dem Gegenstand des Hasses und Abscheus! In jener kommenden Zeit aber – wird es keine Eifersucht mehr geben und daher auch keine Liebestragödien.

Man wird die Radioaktivität der Seele und ihre Wechselwirkung aufeinander sehen und messen können. Man wird die „Flammen der Liebe“, von denen unsere Dichter so lange schon geträumt und gesungen haben, einander in heißer Sympathie entgegenschlagen sehen und wird genau den Grad der Sympathie und der Liebe aus dem stürmischen einander Entgegenlodern der Flammen oder dem ruhigen in einander Uebergehen derselben erkennen können, und niemand wird mehr Liebe verlangen, als des anderen Herz für ihn zu empfinden und als des anderen Herz ihm selber zu geben vermag. Der Fall ist ja nun allerdings denkbar, daß die Flammen des Herzens einem und demselben „Gegenstande“ von zwei Seiten zulodern, daß sie selber aber nur nach einer Seite hin sich gezogen fühlen. Dann wird sich der, dessen Flammen unerwidert nach des andern Gluten reichen, ruhig bescheiden, denn allmählich legen sich ja auch die heißesten Flammen, und des Dichters Wort bleibt auch für die Zukunft bestehen: „es ist die Zeit das Oel, das all die wilden Wogen unseres Herzens glättet“. Natürlich werden und müssen sich bei dieser Erkennbarkeit oder Sichtbarkeit der Liebe auch alle unsere Anschauungen über diese ändern. Ein Vortäuschen und Vorspiegeln von Liebe wird es nicht mehr geben können. Treue in unserem Sinne des Wortes wird man weder mehr verlangen noch wollen, aber ebensowenig wird der Betrug möglich sein. Man wird einander gehören, solange die Sympathie da ist, und wird sich trennen, sobald sie im Erlöschen ist; trennen in guter Freundschaft, in freudigem Erinnern an das, was man sich gewesen ist. An die Stelle der Ehe wird die Gemeinschaft getreten sein, die so lange dauern wird wie die Seelengemeinschaft besteht. Denn ein einander Angehören ohne das Fortbestehen dieser Gemeinschaft der Seele ist Prostitution, und Prostitution wird es dann nicht mehr geben. In gar keiner Hinsicht. Man wird aber andererseits auch seine Liebe nicht verbergen. Vor niemandem schon aus dem Grunde nicht, weil man sie nicht wird verbergen können. Man wird aber nicht wie jetzt laut ankündigen: „ich will mich in nächster Zeit oder in einem oder in zwei Jahren mit dem oder jenem vereinen“, und wird noch weniger allen guten Freunden und Bekannten und Verwandten feierlichst Nachricht geben, ich werde heute oder an dem und dem festgesetzten Tage mich dem von mir Auserwählten hingeben, sondern man wird es nicht für möglich halten, daß in einem Zeitalter, das sich für gesittet hielt, so etwas Brauch sein konnte; ebenso wie wir den Kopf darüber schütteln, daß im Mittelalter sogar das Beilager als Krönung der Hochzeitsfestlichkeiten öffentlich stattfinden durfte. In solch einer Sittenroheit, die die feinsten, heißesten Seelenregungen öffentlich preisgibt, wird das Jahrhundert der Zukunft nicht mehr befangen sein. Niemand wird wissen, wann und wo sich ein Paar angehört hat, das zu einander gehört, und er wird einfach die Tatsache vermerken, daß zwei eine Gemeinschaft geschlossen haben, die auf der Harmonie der Seelenschwingungen beruht. Denn, wie gesagt, einen anderen Grund wird es nicht mehr geben und nicht geben können, und die niedrigen, materiellen Gründe von heute werden nicht bestimmend sein können, weil ihnen der Boden der Notwendigkeit fehlen wird.

Ein anderes wichtiges Moment aber wird schwer in die Wagschale fallen: Die Kinder. Heutzutage gilt es häufig noch als anstößig, Mädchen wissen zu lassen, daß der Zweck der Ehe die Kinder sind, obwohl Gott sei Dank die sexuelle Aufklärung sich in unserer Erziehung immer mehr Bahn bricht; die ganz aufgeklärten, hypermodernen Braut- und Eheleute schwören dagegen auf Kinderlosigkeit und suchen späterhin den Kindersegen auch wirklich tunlichst einzuschränken. Auch das hat seine Begründung in unseren heillosen ökonomischen Verhältnissen, in denen die Existenz nur weniger so gesichert ist, daß sie den Kindersegen nicht als direkte Schädigung ihrer Vermögenslage auffassen müssen. Andererseits aber hat sich auch in jenen Kreisen, denen es nicht gerade darauf ankommt, die Ansicht befestigt, daß es nicht zum guten Ton gehört, mehr als zwei Kinder zu haben. In Newyork wird aus den Kreisen der oberen Zehntausend die geradezu köstliche Geschichte kolportiert, daß Mrs. Astor sich über Mrs. Gould (beide bekannte Milliardärinnen) mißbilligend geäußert habe: „Etwas direkt Böses kann man ihr ja nicht nachsagen, aber unanständig ist es doch, daß sie so viel – Kinder hat“. – In den kommenden Zeiten, den Zeiten, da die Liebe sich auf sich selbst und somit auch auf ihren Zweck besinnen wird, wird eine solche, sei es selbst erfundene, Anekdote nicht gut möglich sein. Denn da werden nicht nur die Mädchen, nicht nur die Frauen, sondern vor allem die Mütter in hohem Ansehen stehen. Die Mütter werden eine besondere Ehrenstellung in der Gemeinschaft der Menschen einnehmen. Natürlich wird es dann die große Ambition der Mädchen sein, Mütter zu werden, und die der Frauen, gesunde, schöne und begabte Kinder zu gebären. Und es wird auch ein Nachwuchs erstehen, der an Kraft, Schönheit und Geist weitaus alles übertreffen wird, was wir heute als solche bewundern. Denn unser Geschlecht ist, namentlich nach der Seite der Seele und des Geistes hin, ganz gewaltig im Erstarken begriffen. Ein gesundes Geschlecht bereitet sich vor, und da dieses Geschlecht nur Kinder der Liebe erzeugen wird, nicht auch wie wir Kinder der Pflicht, so werden in erhöhtem, verfeinertem, vergeistigtem Maße alle die Eigenschaften des Vaters und der Mutter auch auf sie übergehen und in potenzierter Kraft in ihnen zum Ausdruck gelangen. Das aber kann, wie gesagt, mit Sicherheit nur geschehen, wo die Liebe den Bund geflochten hat. Die Natur selbst verlangt, daß die Rechnung stimme und die Anziehung eine gegenseitige sei, weil nur so der Zweck erreicht werden kann, den sie sich mit der Liebe gesteckt hat. Der Geschlechtstrieb hat allerdings die Aufgabe, das menschliche Geschlecht zu erhalten, die Liebe aber hat die Aufgabe, es zu veredeln. Die Liebe ist die Zuchtwahl in edlerem Sinne und nur in diesem veredelndem Sinne wird die Liebe künftig geübt werden. Wir in unseren, von Kurzsichtigkeit und Engherzigkeit regierten Verhältnissen sind davon weit entfernt und sind im Gegenteil in dem Begriffe der Liebe derart verroht, daß uns sogar das Urteil über das Vernünftige im Haushalte der Natur abgegangen ist, und daß – was viel, viel schlimmer ist – unsere Zeit Lüstlinge und Wüstlinge herangebildet hat, deren Opfer zu Tausenden und Abertausenden ihrem Dasein fluchen.

Auch mit unseren Begriffen von Schande und Ehre stehen wir derart im Banne starrer, längst als falsch und verächtlich erkannter, trotzdem aber noch immer zu Recht bestehender gesellschaftlicher Dogmen, daß wir ein Mädchen fallen lassen, weil es Mutter geworden ist, und das Kind zugrunde gehen lassen, weil es die unglaubliche Frechheit hatte, sich erzeugen zu lassen!! Und keiner denkt daran, welche Menschenwerte in diesen Kindern verloren gehen. Denn – ich erwähnte es früher schon flüchtig – gerade die sogenannten Kinder der Liebe, bei deren Entstehen vielleicht wirklich die Liebe, in den meisten Fällen aber zumindest das Liebesbedürfnis und das Temperament mitgewirkt haben, die geistig veranlagtesten sind, gerade so wie bei unseren Ehen das erstgeborene Kind meistens das gewecktere ist. Und das erinnert mich an ein chinesisches Sprichwort. Dieses Sprichwort lautet: „Das erste der Arbeit, das zweite der Schönheit, das dritte dem Geist“. Das erste, zweite und dritte Kind nämlich. Das würde nun allerdings dem, was ich früher gesagt habe, widersprechen, aber – in China und überhaupt im Osten ist das mit der Ehe und Liebe ganz anders als bei uns. Ein Chinese selber setzte mir in Frisko den Unterschied einer europäischen und asiatischen Ehe in folgender drastischen Weise auseinander. „Ihr füllt den Teekessel, zu dem ihr euch hinsetzt, gleich mit heißem, glühendem Wasser, und immer mehr und mehr kühlt der Tee sich darin ab, bis er ganz kalt wird und ihr keine Freude daran haben könnt, wir aber setzen das Wasser kalt auf und zünden dann erst das Flämmchen an, das das Teewasser allmählich durchwärmt, bis er schließlich den Grad von Wärme erreicht, der es zu einem uns angenehmen, anregenden und durchwärmenden Getränk macht.“ Und der Mann hat mit seinem Vergleiche, so wie die Dinge heute stehen, leider, von seinem Standpunkt aus, recht, aber – sie werden anders werden, ganz anders. Bei uns ebenso wie dort. Bei uns natürlich zuerst. Die Kinder, die die Liebe gezeugt hat, werden nicht mehr die Parias der Welt sein, denn es wird keine anderen mehr geben, und eine einzige große Liebe wird alle diese Kinder umfassen, die Liebe der Menschheit. Keines der Kinder aber wird um dessentwillen, weil es auf die Welt kam, seelisch, moralisch und physisch verkommen müssen, sie alle werden sich sonnen in dem Glück ihrer Kindheit, und es wird keinen Vorzug der Geburt mehr geben, weil es keinen Makel einer solchen mehr geben wird. Es wird das Reich der Liebe sein, der großen, unendlichen, allumfassenden Liebe, und man wird über unser Jahrhundert als das Jahrhundert der Lieblosigkeit, Grausamkeit und Härte stillschweigend hinweggehen.

Baronin von Hutten.
Die Mutter von einst

Es gab eine Zeit, in der man Mütter nur aus dem einzigen Grunde verachtete, weil sie Mütter geworden waren. Doch man verachtete nicht alle. Aber einige davon und gerade die, die der Stimme der Natur allein gehorchend und sich nicht um die banalen Gesetze der Gesellschaft kümmernd, die den höchsten Beruf erreicht hatten, den ein Weib überhaupt zu erreichen vermag. Diese wurden verurteilt, verfemt und geächtet; diese wurden aus der Gesellschaft als unwürdig ausgeschlossen, diese wurden womöglich hinausgestoßen in Verzweiflung, in Elend und Schande, denn sie hatten einen Makel an sich:

 
Den Makel der Mutterschaft,
 

und schleppten ihn das ganze Leben lang mit sich fort. Es gab solch eine Zeit, und es war eine sittlich erbärmliche, verkommene Zeit, die der Heuchelei voll war. Denn in dieser Zeit galt die Liebe nichts, galten die Impulse der Natur nichts, die alle eingezwängt waren in den schnürenden Panzer wahnwitziger gesellschaftlicher Lügen und Vorurteile, die man zum Gesetz erhoben hatte. Und nicht nur die Mutter wurden verfemt, auch auf den Kindern – merkt wohl auf – lastete zeitlebens der Makel ihrer Geburt, und sie hatten unter ihm zu leiden schwer, schwerer noch als der Galeerensklave unter der Kettenkugel des Bagno. Ja, es gab diese Zeit, und das war eine böse, grausame Zeit, die der Ungerechtigkeit und Unvernunft voll war. Aber diese so häßliche Zeit kannte doch auch die Achtung vor Müttern. Sie neigte sich tief vor den Müttern, die mit dem Manne, mit dem sie nicht im Herzen eins, wohl aber im Range und der „Geburt“ eins waren, und dem sie sich nicht aus Liebe, sondern nur aus kühlster Berechnung, vielleicht sogar mit dem Ekel des Herzens hingegeben hatten, um Mütter zu werden, vor diesen Müttern neigte sie sich und pries sie und lobte sie, vorausgesetzt, daß sie – nicht zu oft Mutter wurden. Ja, es gab solch eine Zeit, und es war eine verwerfliche Zeit, eine Zeit, auf die wir zurückblicken als auf eine Zeit, die uns unbegreiflich, unfaßbar ist, und vor der uns graut und ekelt. Denn wir schreiben ja jetzt das Jahr 2010, und diese Zeit, in der das Höchste im Weibe so erniedrigt und so in den Staub gezerrt wurde, liegt hundert Jahre zurück. Nur hundert Jahre, ja, nicht einmal so viele. Viel, viel weniger noch. Und in diesem kurzen Zeitraum, welch ein wundervoller Wandel, der unsere Zeit förmlich

 
zum Zeitalter der Mutter
 

gemacht hat.

Mutter! Kein herrlicheres Wort hat bisher noch die Sprache geschaffen. Keinen herrlicheren Begriff hat ein Wort jemals gedeckt. Kein größeres Mysterium hat die Natur jemals hervorgebracht. Neigt Euch, Ihr Frauen und Männer, neigt Euch, ihr Jungfrauen, die Ihr Euch nach der Mutterschaft sehnt, vor dem Weibe, das schon Mutter geworden. Drängt Euch, Ihr Kinder, um sie, denn nur sie kann Euch verstehen, nur sie, die in dem Stolze einhergeht, ein Wesen wie Euch geschaffen zu haben, ein Wesen, bestimmt, die Menschheit emporzuführen bis zu dem weit, weitab liegenden Ziele der Vollkommenheit.

Auch damals schon, in jener häßlichen Zeit, von der ich früher gesprochen,5 nährte man den Keim, die Ahnung der Mutterschaft in dem Kinde. Man gab ihm in richtiger Erkenntnis seines künftigen großen Berufes Puppen in die Hand und ließ es Kind und Mutter damit spielen, ja, man ging sogar schon so weit, eigene Schulen zu errichten, in denen man das Kind, in dem man die künftige Mutter schon sah, ahnte oder sehen wollte, in denen man dieses Kind unterwies, seine Puppen als wirkliche Kinder zu behandeln, zu behüten und zu betreuen, und in denen man künstlich für die Puppen alle jene „Lebens“lagen schuf, in die ein Kind später vielleicht kommen konnte, so z. B. Krankheiten, Unfälle und allerlei Ereignisse, die eben das Leben ausmachen, und in die sich das Kind so hineinzufinden und hineinzuleben erlernte.6 Dann aber – wenn die Ahnungen wirklicher Mutterschaft in dem zur Jungfrau heranblühenden Kinde erwachten, zerstörte man wieder die Saat, die man vorher gestreut, zerstörte den Keim, der sich aus dieser entwickelte und zerstörte damit alles, was man geschaffen, eine Verwirrung in dem Gefühlsleben des Kindes hervorrufend, die die größten Sinnes- und Gewissenskämpfe zur Folge hatten. Die Natur wurde unterdrückt, ihr Geschrei durfte kein Echo in dem Herzen der heranwachsenden und herangewachsenen Mädchen mehr finden, die ehernen Gesetze der Konvention, die Gesetze der „Gesellschaft“ hatten die Forderungen und Gesetze der Natur zu Verbrechen und Vergehen gestempelt. Das war die Kultur jener Zeit, die Kultur, die wir heute nicht mehr begreifen.

Mutet es uns nicht unfaßbar an, daß in jener Zeit die zartesten Regungen des Herzens und des Temperaments geradezu mit Stolz an die Oeffentlichkeit gezerrt wurden? Daß es „Verlobungen“ gab, durch welche aller Welt mitgeteilt wurde, ich, das bisher keusche Mädchen, habe beschlossen, mich diesem und diesem Manne hinzugeben? Aber nicht heute, nicht wenn die Natur, wenn die heiße Liebe mich dazu drängt, mich dem Geliebten selig und beseligend in die Arme zu werfen, sondern in einigen Monaten, in einem Jahre, an dem und dem Tage und zu der und der Stunde? Erinnert das nicht an jene barbarischen, schamlosen Zeitalter, in denen das erste Beilager sogar öffentlich und mit gewissem Prunke gefeiert wurde? Und weitab war man in jenen seltsamen Zeiten, die nur hundert Jahre fernab von uns liegen, auch tatsächlich nicht, denn auch der Tag, der festgesetzt war für „das Opfer, das die keusche Scham der Liebe bringt“, wurde prunkvoll begangen, und der heilige Bund wurde in heimlicher Stille, unbemerkt und unbelauscht von jedermann, geschlossen, nein, man wies selbst durch allerlei prunkvolle Zeremonien darauf hin, und forderte niedrige Menschen dadurch heraus, schamlosen, unreinen Gedanken hämischen Ausdruck zu geben. Wie ganz anders heut! Sich selber unbewußt, sinken die Liebenden, von heißer Sehnsucht übermannt, sich in die Arme, und im Kusse der Liebe wird der heilige Bund wortlos und zeugenlos geschlossen. Im übrigen wurde auch damals mehr als ein Bund auf diese Art geschlossen. Wer’s aber tat, der war für immer gerichtet, der hatte sein Recht auf die Gesellschaft für immer verloren! Außerdem war der Bund, der „nach den Gesetzen“, also unfrei, geschlossen wurde, sehr schwer nur lösbar. Die Liebe wurde also förmlich für’s ganze Leben durch Unfreiheit bezahlt. Das freieste aller Gefühle wurde in Fesseln geschlagen und zu einem Zwang umgewertet. Was Wunder, daß man an andere Münze dachte, die Liebe, die man brauchte, zu bezahlen, und daß die größte Schmach, die je die Welt gekannt hat, daß die Prostitution geschaffen, gestärkt und großgezogen wurde. Was Wunder, daß der Zwang die Liebe gar oft in ihr Gegenteil verkehrte, und die liebeleer gewordenen Herzen, die sich nach einer Liebe sehnten, diese suchten und sich ihr ergaben. Damit aber.. damit hatten sie sich abermals gegen die Gesetze der Gesellschaft vergangen und verfielen wieder dem Spott und der Mißachtung. Freilich nicht immer. Denn da die Menschen damals nicht gleich in allen ihren Rechten waren, half der „Rang“ auch über diese „Mißachtung“ hinweg.

Was Wunder, daß in einer solchen Zeit die Mütter nicht jene Achtung, nicht jene große, berechtigte Vorzugsstellung genossen, wie heute, wo wir glücklicherweise dem Jahre 1909 um hundert Jahre voraus sind. Damals gab es mehr Kinder, heutzutage gibt es mehr Mütter. Dieser scheinbare Widerspruch findet in den veränderten Verhältnissen seine Erklärung. Damals war seltsamerweise nicht für jeden Menschen gesorgt. Damals hatte wohl jeder die Pflicht zu leben, nicht aber das Recht. Damals mußte, um sich lieben zu „dürfen“, ein eigener Hausstand gegründet werden, was von Jahr zu Jahr teurer wurde, so unerschwinglich teuer, daß die Frauen und Mädchen, die sich keinen Mann kaufen konnten (durch ihre Mitgift, ihren Erwerb, ihre Stellung), auch keinen oder nur sehr schwer einen fanden. Viele von diesen hielt die Scham zurück, sich einem Manne hinzugeben, selbst wenn man ihn liebte. Dadurch entstand ein seiner ihm von der Natur gegebenen Bestimmung entzogenes Wesen, das man „die alte Jungfer“ nannte, und das merkwürdigerweise deshalb, weil es sich den Gesetzen der Gesellschaft fügte, den leisen oder lauten Spott dieser selben Gesellschaft erfuhr!! Hunderttausenden von Frauen7 wurde es so unmöglich gemacht, zu Müttern zu werden. Dafür trugen die staatlich und gesellschaftlich anerkannten „Ehen“ viel dazu bei, den Kinderreichtum zu vermehren, denn durch das gezwungene Zusammenbleiben wurde die Liebe eine Sache der Gewohnheit, und die Gemeinschaft bestand ruhig auch zwischen nicht harmonierenden, einander gleichgiltigen, ja sich hassenden und verachtenden Eheleuten aufrecht. Heutzutage haben unsere Frauen den richtigen Instinkt. Sie fürchten den Umgang mit Männern, denen sie schon ein Kind geschenkt haben, während die Mädchen gerade den bewährten, reiferen Männern den Vorzug geben, ein Prinzip, das damals schon für richtig anerkannt wurde, aber nur – in der Aufzucht der Tiere. Die Aufzucht der Menschen aber, das hat unser Jahrhundert, das einundzwanzigste, glücklich erkannt, die Aufzucht der Menschen ist doch ein gut Teil wichtiger noch. Und da es heutzutage nicht als eine Schmach gilt, Mutter zu werden, sondern als der größte Stolz, es zu sein, besteht selbstverständlich die größte Ambition unserer Frauen darin, ein gesundes, schönes und begabtes Kind zu gebären. Daher schwärmen unsere Mädchen weit häufiger für Männer, welche das dreißigste Jahr überschritten haben, als für jüngere Elemente. Es war nun damals schon erwiesen, daß Kinder der Liebe im allgemeinen weit geweckter, stärker, kräftiger und gesunder waren, als jene Kinder der Pflicht, die eine Folge jener seltsamen Eheverhältnisse waren. Bei uns nun sind alle Kinder Kinder der Liebe, selbst wenn – was nur vereinzelt vorkommt – einem Paare mehr als ein Kind entstammt. Denn welche Frau würde ihr Leben (und das tut sie bei jeder Geburt) für einen Mann aufs Spiel setzen, den sie nicht liebt? Keine. Aber nicht eine. Und darum sind unsere Kinder so geweckt, so kräftig, so durch und durch nur gesund, und darum vervollkommnet sich unser Geschlecht von Tag zu Tag, ich möchte sagen von Stunde zu Stunde. Freilich nicht darum allein. Auch die Wissenschaft hat uns neue, wunderbare Kräfte erschlossen, die auch beigetragen haben, das Menschengeschlecht zu veredeln. Die Hauptsache aber sind doch immer die Eltern. Vor allem die Mutter. Von dem Augenblick an nun, da sie Mutter geworden, hört sie auf, als solche Pflichten zu haben und genießt nur deren Rechte. Da nämlich jedes Kind das gleiche Anrecht hat, nach allen Errungenschaften der Wissenschaft aufgezogen zu werden, es aber unmöglich ist, diese Errungenschaften jedem individuell zukommen zu lassen, so werden die Kinder der Mutter abgenommen und mit Kinderwartung und Kinderpflege vertrauten Müttern übergeben, die den entsprechenden, wundervoll eingerichteten Kinderanstalten vorstehen, in denen die Entwicklung eines Krankheitskeimes geradezu ausgeschlossen ist. Kinderkrankheiten, Epidemien also, die in früheren Jahrhunderten und Jahrzehnten die Kinder zu Millionen dahingerafft haben, sind ausgeschlossen, ebenso wie es ausgeschlossen ist, daß Kinder darben und an Nahrungslosigkeit oder schlechter Nahrung zugrunde gehen. Es ist aber für jedes Kind gleicherweise gesorgt. Wohl aber ist es den Müttern erlaubt, ihre Kinder zu bestimmten Stunden des Tages und zwar viermal täglich selber zu nähren. Dadurch wird den Kinder die ihnen von der Natur zugedachte Nahrung zugeführt, gleichzeitig aber verhindert, daß die Kinder schlecht gewöhnt oder überernährt werden, was in früheren Zeiten sehr häufig der Fall war, da auch jedes Schreien der Kinder durch die Muttermilch „gestillt“ wurde. Solch eine verständnislose Ernährung hat aber nicht wenig dazu beigetragen, die Krankheits- und Sterblichkeitsziffer der Kinder zu erhöhen, oder aber die Erziehungsfähigkeit der Kinder zu vermindern. Denn bei uns beginnt die Erziehung mit dem ersten Tag. Dadurch nun, daß die Erziehung nicht den Müttern überlassen bleibt, sind auch die Gefahren vermieden, die in der mütterlichen Erziehung früher oft lagen. Und diese Gefahren waren keine geringen, denn wenn eine Liebe blind ist, so war es und ist es zum Teil noch heute die mütterliche gewiß. Wie jeder Mensch, jeder Künstler das Werk, das er selber geschaffen, für das beste hält, so hält zweifellos jede Mutter ihr Kind für das beste und liebste und schönste, und die Schwachheit der Mutter gegen dieses ihr Werk hat mehr Schaden geschaffen als Nutzen. Sehr viele Knaben sowohl wie Mädchen haben sich jenem „Kampf ums Dasein“, von dem wir heute glücklicherweise nur vom Hörensagen noch wissen, der aber in den früheren Zeiten die Individuen förmlich zerrieben hat, nicht gewachsen gezeigt, weil sie von ihren Müttern zu „Muttersöhnchen“ erzogen, in ihrem Charakter nicht gefestigt und in ihrer Widerstandsfähigkeit lahmgelegt waren. Das ist ja nun anders. Der Kampf ums Dasein hat dank der sozialen Einrichtungen, die unser herrliches neues Jahrhundert eingeführt und getroffen hat, aufgehört zu bestehen. Jeder, der lebt, hat als Teil der Gesamtheit auch Teil an der Gesamtheit. Die Arbeit ist nicht zur bitteren Lebensnotwendigkeit, sondern zur Lust und zur Freude geworden, und die Mütter nehmen an dieser Freude teil, wie sie früher am Spiel ihrer Kinder teilgenommen haben. Denn die Arbeit ist Spiel. Sie wird von Anfang an als Spiel nur gelehrt, als Spiel nur geübt, und es gibt daher keine Unlust zur Arbeit, zumal jedes Kind nur das arbeitet oder spielt, was es arbeiten will. Die Haupterziehung richtet sich nun danach, des Kindes Wollen auf das nur zu richten, was es auch erreichen kann, und was ihm durchzuführen möglich ist. Dem Geiste des Kindes diese Richtung zu geben, ist nun vornehmlich die Sache der Mütter, da sie ja durch die angeborene Intuition der Mutter am ehesten imstande sind, die geheimsten Seelenregungen des Kindes zu erkennen und seine Neigungen und Wünsche kennen zu lernen. Der Hauptstolz der Mutter wird es nun sein, um ihrem Kinde im Wettstreit des Arbeitsspiels die Palme zuerkannt zu sehen, die Geistesrichtung ihres Kindes zu erforschen und es auf dem eingeschlagenen Wege zu leiten und zu bestärken. Die Mutter wird die vornehmste Beraterin, der Vater der beste Freund seiner Kinder werden. Nicht nur seiner freilich, sondern aller, hauptsächlich aber doch der eigenen. Und die Liebe der Kinder wird sich allen Müttern, allen Vätern, vor allem aber natürlich den eigenen zuwenden. Diese Liebe wird aufgebaut sein auf dem großen Gefühle der großen, echten, grenzenlosen Dankbarkeit. Der Dankbarkeit für das größte Geschenk, das einem zuteil werden kann, der Dankbarkeit für das Leben. Denn das Leben ist, was es heute ist, nichts als eine Kette edelster Freuden, und es ist uns unfaßbar, daß es in früheren Zeiten für die Menschen ein Kampf, für alle ein Fluch war. Die Geschichte von jenem großen, unglücklichen Mann, der nach schwerer, grausamer Jugend, in einem Augenblick unerwarteten Glücks, von dem ungeahnten Wonnegefühl übermannt, seiner Mutter um den Hals fiel und ihr schluchzend und jubelnd zurief: „Mutter, Mutter! ich verzeihe Dir, daß Du mir dieses Leben gabst“, erschüttert uns wie alles für uns unbegreifliche uns erschüttert. Heutzutage aber ist das eine Unmöglichkeit. Heute ist es das überströmende Dankgefühl, das uns unseren Müttern gegenüber niemals verläßt. Und aus diesem Dankgefühl wächst die große Verehrung hervor, die sich fast zu einer Religion verklärt hat, zur Religion der Mutter. In der Mutter hat die Natur ihr höchstes Wunder vollbracht, und das Gefäß dieses Wunders ist für uns geheiligt. Natürlich fällt ein Abglanz von diesem Strahle auch auf die Liebe, die nicht mehr in den Staub und Kot getreten wird, wie dies noch im vergangenen Jahrhundert der Fall war, sondern die als die einzige von der Natur gewollte, von der Natur geheiligte Wandlung zum hehren Berufe der Frau, zum Berufe der Mutter aufgefaßt wird. Nie wagt sich daher mehr, so wie einst, schmähliche Nachrede an ein Paar, das sich liebt, nie heftet sich an dessen Sohlen Spott, Niedertracht und Verachtung, denn jeder weiß, daß echte Liebe jederzeit rein ist, und daß die Natur sie will und verlangt. In unserem Jahrhundert gilt nur das, was die Natur von uns fordert. Nur ihren Satzungen folgt man, denn die Natur ist zum Gesetze der Menschheit geworden. Eine Zeit des Lichts ist angebrochen in allem und jedem, eine Zeit glänzenden alles überflutenden Lichts, in welchem am hellsten eines erstrahlt, das Licht der Mutterschaft und der Liebe.

5.Gemeint ist das Jahr 1909, das soll nochmals ausdrücklich betont werden.
6.Solche Puppenspielschulen wurden in London errichtet und in vielen englischen Städten jetzt nachgeahmt.
7.Das Mädchen gibt es zurzeit nach einem bestimmten Alter nicht mehr.
Возрастное ограничение:
12+
Дата выхода на Литрес:
01 ноября 2017
Объем:
280 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

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