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Читать книгу: «Die Welt in hundert Jahren», страница 10

Various
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Björn Björnson.
Die Religion in 100 Jahren

Seine Religion hat jeder, auch der, der sie leugnet. Denn die Religion ist das Ideal und jedes Ideal kann zur Religion werden. Also auch ihr Leugnen. Und wir sehen tatsächlich, daß dem Atheismus Propheten entstehen, und daß Jünger sich um sie scharen, die nachbeten, was diese verkünden, und daß diese verkünden, was sie wissen und auch das, was sie nicht wissen so, als wüßten sie es. Denn im Grunde ist der Quell aller Religion nur unser Nicht-Wissen. Denn wüßten wir, brauchten wir nicht zu glauben. Wer aber grübelt über das, was er nicht begreift, nur um nicht glauben zu müssen, sondern um endlich zu wissen, der schafft sich selbst eine Religion, selbst wenn er nur darum grübelt, um sie zu zerstören. Er denkt eben dem Weltwunder nach und kommt zu dem Punkt, wo er nicht mehr weiß. Nicht wissen kann.

Und an diesem Punkte beginnt – die Religion.

Für ihn.

Und er baut sich um diesen Punkt eine Welt auf und zieht andere mit in diese hinein, und ist diese Welt, die er sich erbaut hat, nicht auf totem Wissensvorrat allein aufgebaut, und hat nicht bloß der Verstand sondern auch der Geist, das Herz, das Verständnis mitgebaut an diesem Baue, so daß auch andere, daß Viele, daß eine Menge sich daran erfreuen und sich darin wohl fühlen können, dann wird er der Schöpfer einer Religion, die um so mehr Jünger zählen wird, je mehr sie auf den Ton gestimmt ist, der den Hoffnungen, der Sehnsucht ihrer Seele entspricht. Denn das große Sehnen liegt ja in jedem. Das Sehnen nach dem, was einem hier nicht geboten.

Nicht hier?

Also wo?

Und diese Frage, auf die man sich Antwort gibt oder geben läßt, ist der Kern aller Religionen.

Wie einem Kinde, das die Mühsal der Arbeit erträgt und spielend bewältigt, weil ihm nach ihr eine Freude versprochen ist, so muß dem Menschen ein Lohn, eine Freude versprochen werden, soll er das Leben ertragen. Denn jedes Leben muß einen Zweck haben. Es hat ihn, aber man muß ihn auch erkennen. Und da man ihn häufig beim besten Willen nicht zu erkennen vermag, so muß man sich selber einen schaffen.

Einen Zweck für sich.

Den Zweck, der erklärt: warum arbeite ich, warum schufte ich, warum leide ich? Und der die Erklärung gibt, daß ein großer Preis winkt, der dieses Lebens und noch größerer Drangsale und Qualen wert ist.

Ein Preis, der uns für alles belohnt.

Wann?

Und in diesem „Wann“ liegt der Wesenszweck aller Religionen. Durch die Antwort darauf werden sie – einerlei wie sie auch heißen – zum großen Troste der Menschheit. Und zum vollen Menschentume gehört solch ein Trost, der nicht alle Hoffnung, nicht alle Poesie, nicht alle Initiative vernichtet.

Die Poesie! Die ist es. Die braucht man.

Man braucht nicht die nackten Wände des Lebens. Sie müssen auch ein klein wenig geschmückt sein. Und die Religion, die durch solchen Schmuck, durch solches Beiwerk am meisten erfreut, zu der werden auch die meisten sich drängen. Die Phantasie, auf der ja alle Religionen mit aufgebaut sind, will auch ihr Recht haben. Sie will angeregt sein, belebt, befruchtet.

Märchen?! mag sein.

Aber nehmt einmal einem Kind seine Märchen und ihr zerstört eine ganze Welt in ihm. Und erzählt ihr ihm keine, dann schafft es sie sich ja selber.

Dem Soldaten aus totem Blei haucht es mit dem Hauche seiner Phantasie das Leben ein.

Der Schuß, der aus dem kleinen Kanönchen abgefeuert wird, knallt, blitzt, donnert und streckt ganze Kolonnen von Soldaten nieder, die oft nur aus einem Bleisoldaten bestehen.

Sagt das dem Kinde, und ihr nehmt sein alles. Sagt es der Menschheit, daß es keinen Gott, keine Religion, keinen Lohn nach dem Tode mehr gibt, und ihr nehmt ihr ihr alles.

Ihr glaubt nicht daran? Ihr wollt den wunderbaren, den Wunderglauben zerstören? Warum? Weil es doch keine Wunder gibt?

Wirklich?

Ein Samenkorn, das zu einem riesigen, mächtigen Baume wird, ist das kein Wunder? Ein Ei, das zu einem laufenden, krähenden Hahne wird, ist das kein größeres Wunder als in dem Märchen des Kindes der Bär, der zu einem Prinzen, und die Gans, die zu einer Prinzessin geworden?

Gebt dem Kind dieses Märchen oder seine, das ist einerlei, aber gebt es ihm so, wie ihm das Märchen gegeben wird, so, daß es in dem toten Ei schon den lebendigen Hahn zu sehen vermag.

Das Wunder – das ist das Leben.

Das Wunder – das ist die Religion.

Nehmt dem Menschen das Wunder, und ihr treibt ihn dem Tod, der Verzweiflung, dem Wahnsinn entgegen.

Nun sind gar viele Religionen geschaffen und auf das Wunder aufgebaut. Luftig, hell, voll Sonne und Licht. Dann aber kamen die, die dieses Gebäude verschließen wollten. Abschließen vor allen denen, die in einem anderen Hause wohnten, einem Hause, das anders geartet war als das ihre, obwohl es auf denselben Wundern aufgebaut war und demselben Zwecke diente: denen Zuflucht zu gewähren, die Zuflucht brauchten. Und sie bauten Mauern um das luftige Gebäude göttlicher Phantasie; starre, einengende, zwingende Mauern, und nahmen also dem Glauben die Freiheit. Aber – sie schmückten wenigstens die Mauern mit Flittern und Bildern und bauten Nieschen hinein, in denen sich jeder noch das Bild hineinstellen konnte, das seinem Herzen am nächsten war und zündeten Kerzen und brennende Lampen an, die ein mystisches Dunkel ganz schwach nur erhellten, und füllten den Raum mit Myrrhendüften und Weihrauch, mit heiligem Singen und heiligem Klingen, und suchten so auf die Seelen und die Gemüter zu wirken und ihnen die Empfindung zu nehmen, als seien sie in diesem herrlich erhebenden Raume nicht frei.

Doch da waren andere, die fühlten die Mauern trotz alledem und fühlten den Zwang und wollten die Mauern durchbrechen. Und andere, denen die Mauern die Hauptsache waren, und die den Schmuck von den Wänden rissen, den Schmuck und die Bilder, und die dann hingingen, sich selber ein Haus zu bauen, das nach ihrem Sinn war, ganz ohne Schmuck und ganz ohne Nieschen, nur aus kahlen Wänden bestehend. Und andere, die sich sagten: was brauche ich ein Haus? Ich trage mein Elend auch ohne.

Keiner aber wollte des andern Haus gelten lassen, und hielt es für ein Pechhaus. Und war doch auf demselben Boden des Wunders aufgebaut wie das seine..

Wird es so bleiben?

Nein.

Stein auf Stein werden die starren, die Freiheit des Glaubens beengenden Mauern auch wieder fallen. Sie verwittern und zerbröckeln für den, der zu sehen weiß, ja schon jetzt, und in luftiger Schöne wird jedes Wundergebein wieder erstehen. Vom selben Himmel umwölkt, von derselben Sonne erhellt, vom selben Lichte erfüllt, von derselben Luft in all ihrer Reinheit durchhaucht. Und die Linien der Häuser werden ineinander verschwimmen, so wie bei der fata morgana ein Haus in das andere verschwimmt, so daß man nicht weiß, wo das eine aufhört und das andere beginnt, und man wird auch hier nicht mehr wissen, welches ist dieses und welches ist jenes. Ein Haus wird es sein, das alle umfaßt, und in ihm wird jeder sein Winkelchen finden, wie es seiner Seele behagt, seinen Winkel oder seinen großen unendlichen Raum, ganz wie er’s braucht. Er, und jene, die so fühlen wie er. Und nicht einer wird verlangen: fühle, denke, glaube so wie ich, denn eines wird ihren Glauben ja dennoch vereinen, wird diesen Glauben zu einem einzigen machen: Das Wunder! und in Jedes Glauben wird man dieses Wunder erkennen und es wird das große, mächtige, unzerreißbare Band sein, das alle umschlingt. Das wird die Religion sein; die Religion der Zukunft.

Ed. Bernstein.
Das soziale Leben in 100 Jahren. Was können wir von der Zukunft des sozialen Lebens wissen?

1. Wovon die soziale Entwicklung abhängt

Was wir soziales Leben nennen, ist eine Summe gegenseitiger Beziehungen und Verhaltungsarten der Menschen eines bestimmten Kulturkreises. Diese Beziehungen selbst sind das Resultat einer Summe verschiedenartiger Kräfte materieller und geistiger Natur, die teils fördernd und teils hemmend auf einander einwirken und sich so stärker oder schwächer gegenseitig beeinflussen. Die Entwicklung der wenigsten dieser Kräfte läßt sich mit annähernder Sicherheit vorausbestimmen. Bei jeder, ob es die Technik, diese Grundlage aller hervorbringenden und formgebenden Arbeit, oder auch nur ein einzelner Zweig der menschlichen Arbeit, ob es die wirtschaftliche Gliederung oder die politische Verfassung, ob es das geschriebene Recht oder die ungeschriebene Sitte, ob es das ästhetische Empfinden oder was immer sonst sei, stets wird die Linie, die wir spekulativ vorausschauend in die Zukunft hinaus zu ziehen versuchen, selbst für den sachkundigsten Fachmann mit der zunehmenden Entfernung immer unsicherer. Wo zuerst Wahrscheinlichkeiten formuliert werden konnten, reicht das wissenschaftliche Voraussehen später nur noch für die „Möglichkeiten“ aus, um noch später sich mit bloßen „Denkbarkeiten“ begnügen zu müssen, und schließlich kommt stets ein Punkt, wo es, mit unseres großen Dichters Wort über die Größe der Welt, selbst für die menschlichen Dinge auf dieser kleinen Erde heißt:

 
„Kühne Seglerin, Phantasie,
Wirf ein mutloses Anker hie.“
 

Immerhin ist der Fachmann eines Spezialgebiets in dieser Hinsicht besser daran, als der Vertreter des zusammenfassenden Wissensgebiets, das wir Gesellschaftslehre – fremdsprachlich Soziologie – nennen. Weil auf das gesellschaftliche Leben alle Kräfte der Umwelt und Innenwelt des Menschen einwirken, wird das Resultat, sobald die einzelnen Faktoren unsicherer werden, in bedeutend höherem Grade unsicher. Wenn von zwei Kräften jede auch nur einer Abweichung fähig ist, sind schon vier verschiedene Kombinationen aus ihnen möglich, tritt eine dritte Kraft gleicher Art, d. h. ebenfalls mit einer Abweichungsmöglichkeit begabt, hinzu, so werden es acht verschiedene Kombinationen, und wenn jede der drei Kräfte zwei Abweichungsmöglichkeiten hat, werden es 27, und so wächst mit jeder weiteren Kraft und den weiteren Abweichungsmöglichkeiten, die in Betracht kommen, die Zahl der denkbaren Verbindungen in immer schnellerer Steigerung zu schwindelerregender Höhe empor. Wie soll da die Schilderung der sozialen Welt in hundert Jahren mehr sein, als ein von der Geistesrichtung des Schriftstellers bestimmtes, also mehr oder weniger willkürliches „Raten“?

In der Tat wird denn auch die Sozialwissenschaft immer vorsichtiger in ihren Zukunftsbetrachtungen. Solange die Technik nur langsam Fortschritte machte, waren die Menschen viel mehr geneigt, soziale Zukunftsbilder zu verfassen, als heute. Als dann zu Beginn des Zeitalters der großen Erfindungen die Menschheit sich vor unabsehbaren Veränderungen ihrer Lebensbedingungen erblickte, stieg zunächst die Lust an Spekulationen über die kommenden Gesellschaftsformen, und es entstand die kühnste aller Zukunftstheorien, des genialen Franzosen Charles Fourier Werk von den „vier Bewegungen“. Aber von da ab weicht die soziale Spekulation schrittweise zurück, das gesellschaftliche Zukunftsbild gerät als „Utopie“ in Mißkredit, an ihre Stelle tritt die nach Entwicklungsgesetzen forschende Sozialwissenschaft und die Auffassung von der Gesellschaft als eines in seiner Entwicklung aller Willkür spottenden organischen Wesens. Zwar ist unter anderen das von Karl Marx aufgestellte Lehrgebäude ein Beispiel dafür, daß die organische Gesellschaftslehre auch revolutionär aufgefaßt werden kann. Aber den Zukunftsprojektionen gegenüber, welche die spekulative Phantasie zu entwerfen imstande ist, erscheint sie doch selbst in dieser Form noch als „konservativ“.

Und ebenso der technologischen Spekulation gegenüber, wie sie uns heute in allerhand Zukunftsgemälden phantasiebegabter Schriftsteller entgegentritt, die sich mehr oder weniger mit den technischen Wissenschaften beschäftigt haben. Diese Wissenschaften, deren Grundlage rein physikalische Beziehungen sind, bieten der Phantasie auch ein dankbares Feld, denn für sie kommen nur die Gesetze der Mechanik in Betracht, die uns verhältnismäßig einfache Aufgaben stellen, für sie handelt es sich um die Hantierung mit toter Materie. Die soziale Betrachtung aber hat neben den Gesetzen der Mechanik die Gesetze der Lebensbedingungen und Lebensformen zu beachten, von den einfachsten Bedingungen und Wirkungen pflanzlichen und tierischen Lebens bis zu den materiellen und geistigen Bedürfnissen des höchstentwickelten Lebewesens unseres Planeten, als das wir den Menschen erkannt haben. Der Mensch ist allen Lebewesen überlegen, weil die höheren Organe bei ihm zum vielseitigsten Gebrauch entwickelt sind. Diese Vielseitigkeit macht ihn zum freiesten Wesen in der Natur, aber sie befreit ihn nicht von der Natur, weder von der Gebundenheit an die ihn umgebende Welt, noch von den Gesetzen seiner eigenen Natur, wie sie in einer nach Hunderttausenden von Jahren rechnenden Entwicklung sich herausgebildet hat. Seine Intelligenz, seine Fähigkeit, sich Obdach, Bedeckung und Nahrung in der ihm passendsten Form zuzubereiten und die dazu nötigen Pflanzen und Tiere selbst zu züchten, machen ihn anpassungsfähiger, als es selbst die anpassungsfähigsten Tiere sind, aber sie können seinen Organismus nicht grundsätzlich verändern.

Dies pflegen aber unsere von der Technologie ausgehenden Zukunftsschilderer bei ihren Spekulationen leicht zu übersehen. Es klingt z. B. wunderschön, was sie uns von dem Reichtum an Nahrungsmitteln erzählen, mit denen die Chemie uns einst beschenken werde. Aber der menschliche Körper ist keine Retorte, bei der es nur darauf ankommt, daß man ihr eine Anzahl chemischer Grundstoffe in einem gewissen Mengenverhältnis zuführt, um ein bestimmtes Resultat zu erzielen. Für seine Ernährung spielen noch andere Eigenschaften der Nahrungsmittel eine entscheidende Rolle, als ihr Gehalt an Stickstoff, Kohlenstoff und so weiter; seine Verdauungsorgane sind für die Verarbeitung pflanzlicher und tierischer Stoffe geschaffen. Sie würden ohne solche verkümmern und mit ihnen der Mensch selbst. Nun ist es vorläufig noch recht zweifelhaft, ob jemals die Chemie es dahin bringen wird, aus Holz oder gar Stein direkt Nahrungsmittel herzustellen. Sie ist bis jetzt nicht weiter gekommen, als ziemlich untergeordnete organische Verbindungen künstlich herzustellen. Die Herstellung von pflanzlichem oder tierischem Eiweiß auf chemischem Wege liegt dagegen in noch sehr weitem Felde. Und nicht viel anders steht es mit den Wunderdingen, die uns auf Grund von Experimenten auf kleinem Raum hinsichtlich der Verwendung der Elektrizität in der Landwirtschaft versprochen werden. Diese Experimente beweisen zwar, daß die Elektrizität als Erreger von Atombewegungen imstande ist, gewisse organische Prozesse zu beschleunigen, es wird sich aber auch hier fragen, wie weit sie das kann, ohne daß die pflanzliche Natur des zu erzielenden Produkts Schaden leidet. Man weiß, wie sehr Uebermaß im Düngen Gemüse und Früchte ungenießbar zu machen vermag. Das ist auch hier möglich, und ferner erhebt sich die Frage, ob die Kosten der Beschaffung der erforderten Elektrizität, da es sich bei Pflanzen doch immer nur um Beschleunigung eines organischen Prozesses handeln kann, der auf jeden Fall Zeit braucht, und nicht um seine Verwandlung in einen rein mechanischen Prozeß, im Verhältnis stehen zu dem Nutzen, den sie zu erwirken vermag. Unsere technologischen Zukunftsverkünder verstehen sich vortrefflich auf die Mathematik, mit der Oekonomie dagegen pflegen sie sich nicht gern abzugeben. Sie interessieren sich für alle möglichen Punkte, nur den Kostenpunkt behandeln sie gern en bagatelle. Er ist aber leider für das soziale Leben keine Bagatelle.

2. Nimmt die menschliche Arbeit ab oder zu?

Und damit sind wir beim dritten Fundament alles sozialen Lebens angelangt: zu den Naturbedingungen und der Technik tritt die menschliche Arbeit als bestimmende Kraft. Die Technik mit all ihren großartigen Leistungen hat die menschliche Arbeit nicht nur nicht überflüssig gemacht, sie hat sie nicht einmal in merklichem Grade verringert. Gewiß braucht für eine bestimmt abgegrenzte Leistung in Produktion und Verkehr heute ein geringeres Quantum menschlicher Arbeit aufgewendet zu werden, als ehedem, aber es wird auch dafür heute unendlich mehr an Leistungen gebraucht. Man kann sich dies an der Zunahme der Arbeiter der sogenannten extraktiven Industrien veranschaulichen, die das heute für die Industrie erfoderte Rohmaterial aus der Erde herausholen. Im jetzigen Gebiet des Deutschen Reiches wurden im Jahre 1852 kaum 6 Millionen Tonnen Steinkohlen produziert, 1882 waren es schon 52 Millionen, 1906 gar 137 Millionen Tonnen, d. h. einundzwanzig Mal mehr, als in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Nun ist zwar auch seitdem die Förderung pro Kopf des beschäftigten Arbeiters infolge der großen Verbesserungen in den Gewinnungsmethoden gestiegen, indes ist diese Zunahme doch nur eine langsame, da immer tiefere Läger in Angriff genommen werden müssen. Und so ist denn die Arbeiterschaft des deutschen Bergbaus zu einem gewaltigen vielhunderttausendköpfigen Heer angewachsen. In Preußen allein vermehrten sich in den zwölf Jahren von 1895 auf 1907 die Erwerbstätigen im Kohlenbergbau von 286000 auf 547000, und im ganzen Berg- und Hüttenwesen des Deutschen Reiches stieg die Zahl der Beschäftigten in dieser Zeit von 568000 auf 963000, wenig unter einer Million. Nahezu eine Million Menschen im deutschen Berg- und Hüttenbetrieb, und davon (Preußen mit Sachsen und Bayern) gut sechsmalhunderttausend Menschen im Kohlenbergbau – daran denken nur wenige, wenn sie von dem „Wunderknopf“ der Techniker hören, der das Tischlein deck’ Dich aus dem Märchen zur Wahrheit mache. Er macht es heute nur für eine bevorzugte Minderheit dazu, und wird es aller Voraussicht nach nie für alle verwirklichen. Je tiefere Gruben in Angriff genommen werden, um so aufreibender wird auch die Arbeit in ihnen, und um so höher die Gestehungskosten des Produkts, der Kohle. Wir stehen schon jetzt steigenden Preisen gegenüber. So sehr die Preise mit der Marktlage wechseln, ist die Grundtendenz doch eine Bewegung nach oben. Im Jahre 1892 kostete die Tonne fetter westfälischer Förderkohle ab Werk 7,3 Mk., sieben Jahre später – 1899 – 9 Mk., und weitere sieben Jahre darauf – 1906 – 10 Mk. Im entsprechenden Grade sind die anderen Kohlensorten und die meisten anderen Produkte der Montanindustrie im Preis gestiegen. Dabei ist an Ersatz der Kohle als Quelle von Wärme und – durch diese – von bewegender Kraft vorläufig nicht zu denken.

Alle Versuche, die Sonnenwärme mittels entsprechender Apparate zu technischer Verwertung bezw. Aufspeicherung aufzufangen, sind bisher fehlgeschlagen, und dasselbe gilt von den vielen Versuchen, die ungeheuere Kraftleistung von Ebbe und Flut für technische Zwecke nutzbar zu machen. Jene Versuche hatten zwar insofern Erfolg, als es gelang, hier Sonnenwärme und dort Meereskraft so einzufangen, daß eine Uebertragung möglich war – rein technisch war die Lösbarkeit der Aufgabe dargetan. Aber zugleich zeigte sich jedesmal, daß die Kosten der Anlagen, des Betriebs und der Apparate den möglichen Nutzeffekt ganz bedeutend überstiegen. Von einer wirtschaftlichen Lösung des Problems, die auf das soziale Leben zurückwirken könnte, scheinen wir noch ebenso weit entfernt, wie vor fünfzig und hundert Jahren.

Inzwischen aber verbraucht die Menschheit von Jahr zu Jahr mehr Steinkohle. Im Jahrfünft 1876/1880 wurden in Deutschland jährlich 850 Kilogramm Kohle pro Kopf der Bevölkerung verbraucht, 25 Jahre später, im Jahrfünft 1901/05 waren es 1787 Kilogramm. Bei gleicher Steigerung müßten es zu Anfang des 21. Jahrhunderts über 7000 Kilogramm pro Kopf sein, und da man alsdann noch viel, viel tiefer würde graben müssen, als heute, würden inzwischen die Kosten der Kohlen vielleicht auf eine Höhe gestiegen sein, daß dann die Einfangung der Sonnenwärme und Meereskraft, um es, in heutiger Sprache auszudrücken, doch „rentabel“ erschiene. Aber das Leben wäre dann eben entsprechend teurer geworden.

Wir treiben heute Raubbau mit den Schätzen der Erde. Wenn sich der Verbrauch von Kohle in einem Vierteljahrhundert in Deutschland verdoppelt hat, so hat sich in der gleichen Zeit der von Eisen verdreifacht, der von Kupfer versiebenfacht. Es ist undenkbar, daß nicht eines Tages darin wiederum eine Verlangsamung oder sonst ein Stillstand einsetzen wird. Denn während gegenüber früheren Zeitaltern die Produktivität der Arbeit in der Gewinnung und Ausnutzung der Erze ungemein gestiegen ist, hat sie nunmehr einen Grad erreicht, der von der Zukunft gleich große Fortschritte nicht erhoffen läßt. Wir müssen vielmehr auch mit einer Verteuerung der Metalle rechnen. Ungeachtet der großen technischen Umwälzungen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war in Deutschland im Jahrzehnt 1898/1907 der Preis des Doppelzentners Roheisen, der 1851 5,58, 1861 6,18 war, 6,82 Mk. Und ähnlich – meist sogar noch schlimmer – steht es mit den anderen Rohmaterialien, und voraussichtlich auch mit einem Teil der Lebensmittel.

Alles das zeigt an, daß wir keinem Schlaraffenland entgegengehen. Die Technik wird auch weiterhin dazu beitragen, das Leben reichhaltiger, wechselvoller zu gestalten, das, was man den Stil des Lebens nennt, zu erhöhen, aber gerade, weil sie dies tut, ist es ziemlich zweifelhaft, ob sie das Leben wesentlich billiger machen, d. h. die Summe der zu verrichtenden Arbeit sehr verringern wird.

Jedenfalls hat sie es bisher nicht getan. Noch hat das melancholische Wort John Stuart Mills in der Formulierung, die Karl Marx ihm gegeben hat, wenig an Wahrheit verloren, daß es „zweifelhaft ist, ob die Maschine die Arbeitskraft irgend eines jener Menschen verringert hat, die nicht von der Arbeit anderer leben.“ Die Maschine als Inbegriff der Technik hat im Gegenteil die Klasse derer, die um Lohn arbeiten, sehr vermehrt. Diese Klasse nimmt der Zahl nach stärker zu, als irgend eine andere Klasse der Gesellschaft. Von 1895 auf 1907 vermehrte sich im Deutschen Reich in Industrie, Gewerbe und Bergbau die Zahl der Lohnarbeiter von rund 6 Millionen auf rund 8600000 oder um über 44 Prozent, während die Bevölkerung sich nur um 19 Prozent vermehrte. Noch stärker wuchs in der Abteilung Handel und Verkehr die Klasse derjenigen Angestellten, welche die offizielle Reichsstatistik als Arbeiter bezeichnet, weil ihre Bezahlung und soziale Stellung sich nicht wesentlich von der der gewerblichen Arbeiter unterscheidet. Sie vermehrte sich von 1233000 auf 1960000 oder um 58,9 Prozent. Insgesamt bildeten diese beiden Schichten nahezu drei Viertel aller Erwerbstätigen in Industrie, Bergbau, Handel und Verkehr zusammengenommen. Das sind aber gerade diejenigen Erwerbszweige, denen sich in der Gegenwart die übergroße Mehrheit der Erwerbsuchenden zuwenden. Zwischen 1895 und 1907 vermehrte sich das Deutsche Reich um gegen 10 Millionen Menschen, und von diesem Zuwachs entfielen auf die vier bezeichneten Erwerbsgruppen nahezu 3 1/2 Millionen, nämlich etwas über 4 Millionen Erwerbstätige mit ihren Angehörigen.

Und das ist keine Ausnahme. Von Zählungsjahr zu Zählungsjahr zeigt sich uns dasselbe Bild. Seit 1882 geht in Deutschland die landwirtschaftliche Bevölkerung schrittweise zurück. Sie umfaßte in jenem Jahr etwa 19 1/4 Millionen Seelen, 1895 18 1/4 Millionen Seelen und 1907 nur noch 17 2/3 Millionen Seelen. Der große Bevölkerungszuwachs vom ersteren bis zum letzteren Jahre, der zusammen über 16 1/2 Millionen Seelen betrug, ist, bildlich gesprochen, über die Landwirtschaft hinweggerauscht, ohne ihr auch nur eine Seele abzugeben, sondern hat vielmehr noch über anderthalb Millionen von ihr mit sich hinweggenommen. Wo ist der ganze Zuwachs mit den Ueberlaufern aus der Landwirtschaft geblieben? Eine kleine Untersuchung dieser Frage wird uns einen Fingerzeig geben, in welcher Richtungslinie sich das soziale Leben bewegt, und wie wir uns daher seine Zukunft vorzustellen haben.

Возрастное ограничение:
12+
Дата выхода на Литрес:
01 ноября 2017
Объем:
280 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

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