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Читать книгу: «Die Welt in hundert Jahren», страница 11

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3. Das Wachstum der Arbeiterklasse

Fünf große Berufsabteilungen unterscheidet die deutsche Reichsstatistik: 1. die Landwirtschaft mit Gärtnerei, Forstwirtschaft, Fischerei; 2. die Industrie mit Bergbau und Baugewerbe; 3. den Handel mit den Verkehrsgewerben; 4. die häuslichen Dienste und Gelegenheitslohnarbeit; 5. den öffentlichen Dienst mit den „freien“ Berufsarten. Als Gruppe Nr. 6 kommt dann noch die der sogenannten Berufslosen (Rentner, Pensions- und Almosenempfänger, Schüler usw.) hinzu. Von diesen sechs Abteilungen hat die fünfte – öffentlicher Dienst usw. – fast im gleichen Verhältnis wie die Gesamtbevölkerung an Köpfen zugenommen, die vierte – häuslicher Dienst usw. – ist im Prozentsatz der Köpfe zurückgegangen, das Gleiche ist, wie wir gesehen haben, bei Nr. 1, der Landwirtschaft, der Fall. Dagegen haben die Abteilungen 2, 3 und 6 – Industrie, Handel und Berufslose – im Verhältnis stärker zugenommen als die Bevölkerung. Nehmen wir das gleiche Vierteljahrhundert von 1882 auf 1907, so vermehrten sich in dieser Zeit in der Abteilung Industrie usw. die Erwerbstätigen von 6 2/5 auf 11 1/3 Millionen und die Berufsangehörigen (die Erwerbstätigen mit ihren Angehörigen) von 16 auf 26 2/5 Millionen. In der Abteilung Handel und Verkehr war der Zuwachs: Erwerbstätige von 1,6 auf 3,5 Millionen, Berufszugehörige von 4 1/2 auf 8 3/10 Millionen, und in der Abteilung der „Berufslosen“: Erwerbstätige, d. h. Zins-, Renten- usw. Empfänger, von 1,3 auf 3,4 Millionen und Berufszugehörige von 2,2 auf 5,2 Millionen.

Was geht aus diesen Zahlen hervor? Daß von den 16 1/2 Millionen Menschen, um die sich das Deutsche Reich von 1882 bis auf 1907 vermehrte, mehr als zwei Drittel der Industrie zugefallen sind. Ja, da unter den „Berufslosen“ ein großer Teil Rentiers sind, deren Vermögen hauptsächlich in Aktien und Obligationen von Industrieunternehmen besteht, sowie eine noch größere Zahl von Invaliden- und Altersrentnern der Industrie, ist tatsächlich der Prozentsatz unseres Volkes, der aus der Industrie sein Einkommen zieht, noch wesentlich größer. Und in der Industrie wächst, wie wir gesehen haben, die Abteilung der Angestellten und Lohnarbeiter unverhältnismäßig schneller als die Gesamtbevölkerung, während die Zahl der selbständigen Unternehmer und Hausgewerbetreibenden zurückgeht. 1882 kamen auf je 100 Lohnarbeiter noch gegen 45 Selbständige verschiedener Art, d. h. große, mittlere, kleine und Zwerg-Unternehmer, 1895 waren es nur noch etwa 30, 1907 aber nur noch 20.

So nimmt mit dem Wachstum der Industrie die industrielle Lohnarbeiterschaft einen immer größeren Raum in der Bevölkerung ein. Mit ihren Angehörigen, sowie der ihr gleichgestellten und gleichartig fühlenden Lohnarbeiterschaft in Handel und Verkehr samt Angehörigen umfaßte sie 1907 gegen 23 Millionen Seelen. Diese Volksschichten machen die große Mehrheit der städtischen Bevölkerung des Reiches aus, die sich 1905 auf gegen 35 Millionen Seelen belief. In den Städten, wo das öffentliche Leben des Landes am lebhaftesten pulsiert, wo die großen Fragen der Zeit am schärfsten erfaßt und erörtert werden, die Geister am lebhaftesten auf einander platzen, hier tritt die Klasse der um Lohn Arbeitenden immer stärker in den Vordergrund. Sie entfaltet sich in wirtschaftlichen Kämpfen, die an Ausdehnung zunehmen, sie macht sich durch die Wucht der Zahl im politischen Leben geltend, sie fällt auch als Konsumentin immer stärker ins Gewicht. So schafft sie allmählich eine ganz neue öffentliche Meinung. Je geschlossener sie auftritt, je eindrucksvoller sie ihr Klassenempfinden offenbart, um so mehr spielt das Gravitationsprinzip des sozialen Lebens zu ihren Gunsten, und von den sozialen Schichten, die keine feste Klasse der Gesellschaft mit bestimmten gesellschaftlichen Ideen und Interessen bilden, fühlen sich immer mehr Elemente zu ihr hingezogen, stimmen sie bei Wahlen mit ihr und sprechen sie ihre Sprache.

Alles das kann man heute fast mit Händen greifen. Eine ganze Fülle von Erscheinungen im politischen und geschäftlichen Leben und Treiben, in Literatur und Kunst legen Zeugnis davon ab. Und wenn die wirtschaftliche Entwicklung weiterhin die geschilderte Bahn innehält, so kann es keinem Zweifel unterliegen, daß die politischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Ideen der Arbeiterklasse, die sich aus ihrer Klassenlage ergeben, die volle Herrschaft in der Gesellschaft erlangen. Schon heute kann die Durchdringung des Gesellschaftskörpers durch diese Ideen nur durch Festhalten von Ungleichheiten in den Wahlsystemen und ähnliche politische Mittel zurückgedämmt oder verlangsamt werden. Aber die Gesetze der sozialen Entwicklung haben sich noch immer auf die Dauer als stärker erwiesen als die politischen Gesetze. Die Wirtschaftspolitik des Deutschen Reiches ist mit Ausnahme der wenigen Jahre der Kanzlerschaft des Grafen Caprivi seit Anfang der achtziger Jahre überwiegend agrarisch gewesen, sie hat es aber mit allen Liebesgaben an die Landwirte nicht einmal durchzusetzen vermocht, daß die Landbevölkerung auf ihrem alten Kopfbestand erhalten blieb. Das durch die Ungleichheit der Wahlkreise bewirkte politische Vorrecht des platten Landes hat dessen Ueberflügelung durch Industrie und Handel nicht verhindern können. Es wird, wenn die Bedingungen des sozialen Lebens, welche diese Entwicklung bewirkt haben, andauern, auch seine Beseitigung durch jene nicht verhindern können.

Heute steht die Industrie und Handel verkörpernde Bevölkerung zur landwirtschaftlichen Bevölkerung im Verhältnis von 2:1. Bei gleicher Entwicklung würde in weiteren 25 Jahren das Verhältnis sich auf 4 1/2:1 stellen. Man braucht diese Zahl nur niederzuschreiben, um sich auch klar zu werden, daß bei solcher Proportion das Privilegium der Landwirtschaft eine Unmöglichkeit sein würde. Wenn auch nur durch das bloße Gewicht ihrer Zahl würden Industrie und Handel sich ihr Recht erzwungen haben. Der Sieg von Industrie und Handel aber würde, da alsdann das Verhältnis der Klasse der Lohnarbeiter zur Klasse der Unternehmer sich auf über 10:1 stellen würde, gar nichts anderes heißen können, als der Sieg der sozialen Ideen der Arbeiterklasse.

4. Gegenkräfte der Verstadtlichungstendenzen

Soweit kann die Soziologie mit einiger Sicherheit sprechen. Aber es ist zunächst nur eine soziale Wahrscheinlichkeitsrechnung. Denn ob es nun genau dahin kommen wird, hängt von vielen mitwirkenden Faktoren ab, die sich nicht mit mathematischer Sicherheit vorausbestimmen lassen. Greifen wir einen davon heraus: die Gestaltung der Dinge in der Landwirtschaft. Heute deckt die Landwirtschaft nur einen Teil des Nahrungsbedarfs des deutschen Volkes. Der Mehrwert der Einfuhr solcher landwirtschaftlichen Produkte, für welche die heimische Landwirtschaft in Betracht kommt, über den Wert ihrer Ausfuhr belief sich im Jahrfünft 1903/1907 im Deutschen Reich auf weit über eine Milliarde Mark. Bei der Bevölkerungszunahme, wie sie hier vorausgesetzt ist, müßte er in den nächsten fünfundzwanzig Jahren eine solche Steigerung erfahren, daß es als zweifelhaft betrachtet werden muß, ob das Ausland die Lieferung all der in Frage kommenden Produkte ohne sehr erhebliche Preissteigerungen wird fortsetzen wollen oder auch nur können. Denn andere Länder machen eine ähnliche Entwicklung durch. In den Vereinigten Staaten von Amerika, bis jetzt noch das Hauptgetreideland der Welt, nimmt die industrielle Bevölkerung erheblich rascher zu, als die landwirtschaftliche Bevölkerung, so daß die Getreideausfuhr schon jetzt im Abnehmen begriffen ist und die Oekonomen die Zeit schon voraussehen, wo dieses gewaltige Staatswesen Getreide, statt auszuführen, selbst einführen wird. Die Ersatzgebiete der Getreideproduktion aber – Kanada, Argentinien usw. – entwickeln sich nicht so schnell, wie man einst annahm, und für alle diese Länder kommt die Zeit, wo der Boden nicht mehr so willig Ernten hergibt, wie in den ersten Epochen der Urbarmachung. Kurz, es ist ziemlich wahrscheinlich geworden, daß wir einer Zeit höherer Weltmarktpreise für Getreide und ebenso für Vieh und Viehprodukte entgegengehen. Je nachdem dies nun früher oder später eintritt, ist eine starke Rückwirkung auf die deutsche Landwirtschaft zu gewärtigen. Sie wird noch intensiver als bisher betrieben werden und mehr Arbeitskräfte in Anspruch nehmen, teils als Landarbeiter, teils aber auch als selbständig wirtschaftende Bauern. Eine Rückwanderung aufs Land wäre damit nicht aus dem Bereich der Möglichkeit gerückt, und jedenfalls würde die Abwanderung vom Land einen Stillstand erleiden.

Eine zweite Möglichkeit, die wir in Betracht zu ziehen haben, ist die Verlangsamung des Bevölkerungszuwachses.

Zurzeit kann in Deutschland zwar von einer solchen noch nicht gesprochen werden, die Bevölkerung des Deutschen Reiches nimmt nicht in allen Jahren gleichmäßig zu, aber auf Jahre, die ein Nachlassen des Zuwachses zeigen, sind andere mit einer erheblichen Steigerung der Zunahme gefolgt. Unzweifelhaft ist jedoch die Abnahme der Geburtenziffer. Sie ist von 4 Lebendgeborenen auf jedes 100 der Bevölkerung im Durchschnitt der Jahre 1872/74 in fast ununterbrochenem Abstieg auf 3,31 vom Hundert im Jahre 1906 zurückgegangen. Einstweilen wird dieser Rückgang durch die Abnahme der Sterblichkeitsziffer und die Zunahme der Einwanderung ausgeglichen. Aber die Einwanderung steigt und fällt mit der Beschäftigungsmöglichkeit, und die Abnahme der Sterblichkeitsziffer allein kann, wie Frankreich und jetzt auch England zeigen, von einem gewissen Punkt ab für die Abnahme der Geburten keinen Ersatz mehr bieten. Nun ist es eine überall beobachtete Tatsache, daß die moderne Großstadt auf diesen Punkt hintreibt. Für Berlin hat A. Böckh, der verstorbene Direktor des städtischen statistischen Amts, wiederholt nachgewiesen, daß seine Geburtenzahl nicht einmal ausreicht, die Bevölkerung auf ihrem Höhestand zu erhalten, so daß, wenn kein Zuzug von außerhalb stattfände, die Bevölkerung Berlins tatsächlich zurückgehen würde. Die ganzen Lebensbedingungen der heutigen Großstädte, vor allem die Wohnungsweise in den großen Etagenhäusern, wirken der natürlichen, d. h. eben der durch Geburten bewirkten Bevölkerungszunahme, im höchsten Grade entgegen. Je mehr also die „Verstadtlichung“ zunimmt, je dichter sich die Bevölkerung in großen Städten zusammendrängt, um so mehr wird sich der Bevölkerungszuwachs verlangsamen. Vom technischen Standpunkt aus mag die Zukunftsstadt „aus Stein und Eisen“ mit turmhohen Häusern und brückenartigen Galerien statt der Straßen etwas Großartiges sein, für die Bevölkerungsentwicklung bedeutete sie ein Grab: in die „Wolkenkratzer“ gehören keine Kinder. Man brauchte das Einführen von Kindern nicht erst zu verbieten, die Bewohner würden ohnehin darauf verzichten.

Einstweilen aber haben wir die Tatsache der Abnahme der Geburten, und auch sie wird, wenn sie andauert, die Wirkung haben, daß es zu dem rein rechnerisch gefundenen fünffachen Ueberwiegen der Stadt über das Land sobald nicht kommt. Dann wirken aber noch andere Kräfte gegen diese Zuspitzung: Dezentralisations-Bewegungen aus hygienischen und ästhetischen Rücksichten, bodenreformerische Maßregeln und dergleichen. Sie sind heute erst in Ansätzen vorhanden, können aber bei Fortgang der jetzigen Entwicklung größere Wirkungskraft erlangen.

Wenn indes die Zuspitzung in der extremen Form vermieden werden kann, so ist sie doch insoweit als größte Wahrscheinlichkeit zu betrachten, als sie erforderlich ist, um den Ideen der Arbeiterklasse steigenden Einfluß zu verbürgen. Ein zunehmendes Ueberwiegen der Industrie und des großen Betriebes in Industrie, Handel und Verkehr ist in unseren alten Kulturländern unvermeidlich, sollen sie nicht vor den aufkommenden Ländern die Segel streichen. Und damit ist auch das Ueberwiegen der Arbeiterklasse verbunden, das zu einem stärkeren Durchdringen ihrer Ideen im sozialen Leben führen muß.

Damit ist aber noch nicht gesagt, daß nun alles genau so kommen oder genau die Form annehmen muß, die sich der eine oder andere heute als die Verwirklichung der Ideen der Arbeiterklasse vorstellt. In der Anwendung mag sich da vieles anders gestalten, als im Begriff, weil das Leben noch andere Kräfte erzeugt, die Berücksichtigung verlangen und im Notfall sich erzwingen.

5. Das wahrscheinliche Zukunftsbild

Die Idee der Arbeiterklasse ist die Demokratie, die Demokratie in Staat, Gemeinde und Wirtschaft. Je nach den Umständen, unter denen sie zum Durchbruch kommt, werden sich ihre ersten Wirkungen gestalten: unorganisch oder organisch, das heißt mehr zerstörerisch oder mehr aufbauend. Ob aber das eine oder das andere stattfindet, das Ende wird immer sein, daß das Bedürfnis der Wirtschaft und die Anforderungen der zweckmäßigsten Art, zu wirtschaften, über alle doktrinären Ideen den Sieg davontragen werden. Es wird daher voraussichtlich im Verstaatlichen und Kommunalisieren Maß gehalten, der privaten wirtschaftlichen Betätigung, sei es von Genossenschaften, sei es sogar von Einzelnen, erheblicher Spielraum gelassen werden. Daher wird es zum Beispiel auch innerhalb bestimmter Grenzen wahrscheinlich noch Profit, d. h. Ungleichheit der Einkommen, bezw. Möglichkeiten der Vermögensbildung geben. Aber die großen heutigen Vermögensunterschiede werden unbedingt verschwinden, weil die vielen Quellen arbeitslosen Erwerbs, die heute die Bildung der Riesenvermögen ermöglichen, aufhören werden, in die Reservoirs von Privaten zu fließen. Das Bodeneigentum und die Bodenschätze werden dem Privateigentum teils ganz entzogen, teils nur unter solchen Bedingungen für Wirtschaftszwecke überlassen werden, die die Bodenrente in allen ihren Formen der Gemeinschaft sichern. Neun Zehntel der Riesenvermögen, die wir heute in den Händen der Millionäre und Multimillionäre sehen, stammen aber aus offenen oder versteckten Bodenmonopolen.

Zugleich werden von anderer Seite her die unentgeltlichen Leistungen von Staat und Gemeinden wachsen und dazu beitragen, das zu schaffen, was man in England das „soziale Minimum“ getauft hat: ein Mindesteinkommen aller, das den Verkauf der Arbeit zu Hungerlöhnen unmöglich macht. Denn Arbeit gegen Lohn wird es voraussichtlich auch dann noch geben. Das große Verkehrsleben der Neuzeit, auf das die Menschen schwerlich verzichten werden, macht das Geld und damit auch den Geldlohn unentbehrlich, gleichviel ob in öffentlichen oder in Privatbetrieben gearbeitet wird. Was dagegen anders sein wird, ist das System der Lohnbestimmung. Die Bestimmung der Löhne wird in hohem Grade öffentlichen Charakter tragen. Oeffentliche Lohnämter, zusammengesetzt aus Vertretern der Allgemeinheit und der Berufsgruppen, werden Mindestlöhne festsetzen, und Lohntarifen, die ebenfalls als Mindestsätze zu gelten haben, gesetzliche Kraft geben. In gleicher Weise werden Bestimmungen über die Länge des Arbeitstages in öffentlichen und Privatunternehmungen getroffen werden.

Alles das kann man mit großer Sicherheit als Folge des Sieges der Arbeiterdemokratie voraussagen, weil es in Ansätzen schon heute vorhanden ist und Schritt für Schritt weiter entwickelt wird. Das Angefangene wird nur allgemeiner und mit größerer Entschiedenheit und Konsequenz durchgeführt werden. Wie aber wird es wirken? Wird nicht zugleich eine Abnahme und Verteuerung der Produktion die Folge sein? Und wird nicht die politische Herrschaft der Arbeiterklasse alle Disziplin in den Betrieben aufheben?

Auf diese Fragen kann man nur antworten, daß die Arbeiter in ihrer Allgemeinheit genau dasselbe Interesse daran haben, daß viel und billig produziert wird, wie irgend eine andere Klasse der Gesellschaft. Es werden daher früher oder später Einrichtungen geschaffen werden, um das, was heute der Hunger als Einpeitscher und der Geldbeutel als Treiber im Wirtschaftsleben verrichten, soweit auf demokratischem Wege zu sichern, als das Bedürfnis der Produktion es erheischt. Die öffentlichen Arbeitsämter können ganz gut dazu ausgebaut werden, als Instanzen für Uebergriffe von hüben oder drüben sich zu betätigen. Auch dafür liegen schon Ansätze vor. Je mehr Macht die Arbeiterorganisationen erringen, um so mehr entwickelt sich auch bei ihnen das Gefühl der Verantwortung für den Fortgang der Produktion und desto mehr Erfahrung sammeln sie für die Sicherstellung der Bedürfnisse der Produktion. Im übrigen wird schon der Fortfall des „Herrenbewußtseins“ die Wirkung haben, daß die Privatunternehmung selbst dort, wo sie nicht schon der Form nach Genossenschaft ist, genossenschaftliche Charakterzüge erhalten wird.

Eine Verringerung der Arbeit für den einzelnen wird aber schon dadurch möglich, daß sehr viel Arbeitsvergeudung, die heute getrieben wird, gegenstandslos werden oder als für schädlich erkannt, in Wegfall kommen wird. Dahin gehören auf der einen Seite viele der heutigen falschen Kosten der Volkswirtschaft und auf der anderen der allmählich bis zum Wahnsinn getriebene Aufwand des wachsenden Heeres der Millionäre und Milliardäre. Es werden genügend Arbeitskräfte frei werden, um die Arbeitszeit für alle ermäßigen zu können, ohne daß darum die Produktion auf das bloß Notwendige beschränkt zu werden braucht.

Auf der Stufe der Durchführung einer solchen Demokratie können Deutschland und andere Länder der vorgeschrittenen Kulturwelt in einem Vierteljahrhundert angelangt sein. Unzweifelhaft werden sich die Dinge aber nicht sofort völlig glatt machen. Es sind Mißgriffe möglich und sogar zeitweilige Rückfälle nicht ausgeschlossen. Aber eine Wiederholung der Zerrüttungen, an denen die alte Kulturwelt zugrunde ging, ist heute mehr als unwahrscheinlich. Es fehlen die Barbaren, die unserer Kultur ein ähnliches Schicksal bereiten könnten, wie einst die nordischen Barbaren dem römischen Weltreich. Wenn manche Erscheinungen unserer heutigen Epoche zu Vergleichen mit den Zuständen in Rom unter den Kaisern herausfordern, so fehlte jenem Rom doch die große, an Zahl, Intelligenz, Organisation und Tatkraft beständig zunehmende Arbeiterklasse, über welche die moderne Kultur verfügt. Sie, die das Erzeugnis dieser Kultur ist, verspricht auch, ihr Schützer und Fortsetzer in den kommenden Kämpfen der Menschheit zu sein. „Die Barbaren, die in Roms Heeren gedient hatten, eroberten Rom“, schrieb Rodbertus einst im Hinblick auf die Arbeiterbewegung der Gegenwart. Aber jene Rom erobernden und zugleich zerstörenden Barbaren waren Nomaden, denen der Krieg das Höchste war. Den Arbeitern der Gegenwart dagegen ist der Krieg verhaßt, während die schaffenden Werke des Friedens ihnen Lebensgewohnheit und Lebensbedingung sind. Sie werden daher stets selbst wieder herstellen, was vom Erhaltenswerten unserer Kultur in den Kämpfen zeitweise geschädigt werden sollte.

So gehen wir einem Zeitalter entgegen, in dem eine weit durchgeführte Demokratie dem sozialen Leben einen starken genossenschaftlichen Charakter verleihen wird. Fourier, hierin ein wirklicher Seher, nannte es in seiner Weltentwicklungstafel Garantismus, was man mit dem schwerfälligen Wort Gewährschaftssystem übersetzt hat. Neuere haben dafür den Ausdruck Solidarismus geprägt. Wir können aber ruhig Sozialismus sagen. Sozialismus jedoch nicht als Uniformierung des ganzen Lebens. Daß es zu dieser kommt, schließt das hochentwickelte Verkehrsleben der Neuzeit aus, auf das die Menschen nicht werden verzichten wollen. Sozialismus vielmehr als maßgebende Rechtsgrundlage des ganzen sozialen Lebens, der Bestimmung der Rechte und Pflichten der Gesellschaft gegen ihre Glieder und dieser gegen die Gesellschaft und untereinander.

Wieviel Zeit es erfordern wird, bis das Prinzip allseitig durchgeführt sein und ohne Störungen funktionieren wird, ob es fünfzig oder hundert Jahre kosten wird, wer kann es voraussagen? Und wer es unternehmen, Einzelheiten zu beschreiben? Gerade, weil sich mit Sicherheit voraussehen läßt, daß die Menschen sich keine Uniform anziehen, sondern der freien Initiative Spielraum lassen werden, ist alle Einzelschilderung verfehlt. Da die Menschen in ihrem Bau und ihren natürlichen Trieben und Anlagen keine anderen Wesen sein werden als heute, wird auch vieles in ihren Einrichtungen sich nicht so diametral von denen der Gegenwart unterscheiden, als manche anzunehmen geneigt sind. Die Menschen werden auch in Zukunft keine reinen Rechenexempel sein, auch in Zukunft neben der Oekonomie den seelischen Bedürfnissen ihr Recht sichern. Und so können wir auch einer kraftvollen Gegenströmung gegen Tendenzen übertriebener Kasernierung des Lebens sicher sein.

Noch einmal, die Menschheit geht keinem Schlaraffenleben entgegen, und es wäre ihr nicht einmal zu wünschen. Dagegen wird die Armut als soziale Erscheinung verschwinden, wie die heutige Art der Reichtumsansammlung und die ihr entsprechenden sozialen Auffassungen und Luxustendenzen verschwinden werden, ohne daß die Pflege des Schönen darunter leiden wird. Sie wird einen öffentlichen Charakter erhalten, mehr als je auf die Veredelung und Vervollkommnung dessen gerichtet sein, was allen gehört, allen zugute kommt. Die Verallgemeinerung der Arbeit wird die pflichtigen Arbeitsleistungen so zu verdrängen erlauben, daß jedem neben ihnen noch genügende Zeit und Frische zur Betätigung individueller Anlagen und Neigungen verbleibt. Die Technik, die heute einseitig darauf gerichtet ist, Arbeitskosten zu ersparen, wird, ohne dies zu vernachlässigen, doch immer stärker das Ziel im Auge haben, Menschenkosten zu ersparen, die Arbeit erträglicher und zuträglicher zu machen. Und immer mehr wird das höchste Kulturgut zur Allgemeinen Errungenschaft werden und alle Beziehungen des öffentlichen Lebens durchdringen und veredeln: die Schätzung des Menschen als freie, keinem Nebenmenschen unterworfene Persönlichkeit.

Das liegt im Wesen der demokratischen Gleichheit begründet, wie sie der heutigen Arbeiterbewegung zugrunde liegt. Und weil diese die größte soziale Triebkraft der Neuzeit ist, ist es auch nicht undenkbar, daß es in spätestens hundert Jahren der Kompaß des ganzen sozialen Lebens sein wird. Nicht undenkbar, nicht unmöglich, sondern vielmehr in hohem Grade wahrscheinlich.

Возрастное ограничение:
12+
Дата выхода на Литрес:
01 ноября 2017
Объем:
280 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

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