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Kapitel 4
Die Geronin

Symbiose

Mit Symbiose wird das Zusammenleben verschiedener Arten zum gegenseitigen Vorteil bezeichnet. Das, was bei Angehörigen ein und derselben Spezies meist überhaupt nicht funktio­niert, nämlich das friedliche Zusammenleben, gelingt hierbei hervorragend. Man kann die Symbiose unterteilen in lockerere Beziehungen, bei der beide Arten noch getrennt lebensfä­hig sind, und eine enge Beziehung, bei der ein Partner nicht mehr ohne den anderen existieren kann. Bei letzterer sind die Stoffwechsel- und Nahrungsprodukte des einen Partners für den anderen unbedingt lebensnotwendig. Eine spezielle Form der Symbiose ist die Endosymbiose, wobei einer der Partner im Inneren des anderen lebt. Handelt es sich bei den Endosymbionten um intelligente Lebewesen, kann die Symbiose etwas nervig werden, besonders, wenn die Bewohner der Innereien zu allem ihren Senf dazugeben müssen.

Edwina hoffte, dass ihre Rettung noch rechtzeitig kommen würde. Der letzte Symbiont war zwar im Moment noch gesund und munter wie ein eridanischer Teppichklopfer in seiner Staubwolke, aber das konnte sich rasch ändern.

Die anderen waren längst ausgeschieden worden. Sie hatte ihn anfangs von den ursprünglich Fünfen am wenigsten gemocht, weil er mit Vorliebe mit unüberlegten Bemer­kungen zwischen ihre Gedankengänge funkte, aber ohne ihn hätte sie nur noch eine Dekade, bis alle Organe ihre Funktion einstellen würden.

Was am Ende ihres in galaktischen Dimensionen langen Lebens natürlicherweise passieren würde, erwischte sie jetzt, wie manche Völker es ausdrückten, in der Blüte ihrer Tage. Und wenn sie nur noch als ätherischer Energiestrom durch die Weiten des Alls sausen würde, stünde es wahrhaft schlecht um den intergalaktischen Frieden.

Seit die Mo'har ihre aggressiven Feldzüge mit wachsen­der Präzision und Gründlichkeit durchführten, war es schlimm um die Galaxien bestellt. Inzwischen waren siebzehn Völker ausgelöscht und dreiundzwanzig kämpften ums Überleben. Immerhin hatte Edwina in den Krisensitzungen des Intergalaktischen Rates bewirkt, dass die meisten die Notwendigkeit zur Zusammenarbeit der Völker aller Spezi­es, die aus Gründen der Bequemlichkeit nur noch als ZVS bezeichnet wurde, einsahen. In letzter Zeit waren die Sitzungen einige Male außer Kontrolle geraten und die ehrwürdigen Ratsmitglieder waren kurz davor gewesen, sich wie in einem schlechten terrestrischen Science-Fiction-Kinofilm aus grauer Vorzeit gegenseitig umzubringen. Nicht mit primitiven Laserschwertern wie damals allgemein üblich, sondern mit dunkler Energie. Die Ladung sah aus wie ein schmutziger Schneeball, hatte aber eine gänzlich andere Wirkung beim Auftreffen: Lebende Materie löste sich sofort in ein paar dünne Rauchfähnchen auf, die beim Lüften des Versammlungsraumes rasch das Weite suchten. Insgeheim fand Edwina dies gar nicht so unpraktisch, da auf diese Weise die Beerdigungskosten entfielen, die bei Ratsmitgliedern rasch ruinöse Ausmaße annahmen.

Sie erinnerte sich an die letzte ergebnislose Ratssitzung, als sich die Mitglieder gegenseitig angeschrien, angerülpst und angeblitzt hatten, je nach Kommunikationsart der Spezies. Einige hatten auch ganz einfach mörderische Gedan­ken versendet, die dem Empfänger noch tagelang solche Kopfschmerzen bescherten, als hätte er sich ein Dutzend Gläser Kosmischen Eingeweidebeißer in den Verdauungstrakt geschüttet.

Edwinas Körpersack hatte sich vor Aufregung zu einem riesigen Ballon aufgebläht, der sie fast einen Meter über dem Boden schweben ließ. Und wie jedes Mal, wenn ihre Nerven ein Kreuzfeuer von Impulsen durch ihren Körper schickten, war der von ihrem Hauptorgan ausgeschüttete Hormoncocktail durch ihren Kreislauf gerast und hatte den Schwächsten ihrer Symbionten getötet. Die Erinnerung an die qualvollen Signale des Kleinen wühlten sie immer wieder auf und es tat weh, dass es nicht in ihrer Macht gestanden hatte, ihn zu retten. Aber wie alle Dinge im Leben hatte sogar dieser Schicksalsschlag eine positive Seite: Der Tod ihres Wurmes führte gleichzeitig zur Abson­derung von speziellen Pheromonen, die auf die meisten Ratsmitglieder eine stark besänftigende Wirkung hatten. In friedfertiger Stimmung hatten sie die Sitzung einstimmig als ergebnislos vertagt.

Edwina unterdrückte einen Hustenanfall; sie wollte nicht sentimental werden. Ihr vorletztes »Würmelchen« war ihr sehr ans Herz gewachsen, das war ihr erst richtig bewusst geworden, nachdem sie ihn ausgeschieden hatte und zu­schauen musste, wie sich seine zart geringelten Segmente im hochfrequenten Wechselstrom-Magnetfeld des Beerdigungsinstitutes langsam auflösten. Was wäre, wenn auch noch ihr allerletzter Wurm sterben würde? Sie dachte an ihr Volk, das in Scharen zu ihrem Monolithengrabstein pilgern würde, auf dem sich ein Hologramm befinden würde mit der Inschrift »Hier ruht die Geronin von Perseus, die ihr Leben für das Wohl der Galaxis opferte. Lasst uns darauf einen trinken!«. Aber tot würde Edwina keinem mehr etwas nützen. Außerdem gab es schon genug Alkoholiker auf ihrem Heimatplaneten.

Ihre morgendlichen Grübeleien vor dem Aufstehen brachten sie nicht weiter. Ihr Symbiont war eben aufgewacht und quasselte zwischen ihre problemwälzenden Gedankengänge. Er wollte, dass Edwina zum Frühstück ihre intrakorporalen Verdauungsausstülpungen nicht nur mit einer großen Portion ökologisch-galaktosophischem Schokomüsli, sondern auch mit einer Packung Siliziumkekse füllen sollte, weil diese dank seiner Mitwirkung auf Edwina äußerst aufbauend wirken würden. Dazu gab es immer eine Tasse des auf Terra angebauten köstlichen Getränks, das sie dort »Grüner Tee« nannten. Das Koffein darin machte Edwina immer zur Ruhe selbst. Sogar als ihre Mitbewohnerin Esmeralda bei einem Sturz den kostbaren Induktions­kochtopf zerbeult hatte – ein Geschenk von Edwinas Großcousine zweiten Grades –, weil Morula, die Dritte im Bunde ihrer Wohngemeinschaft, den Fußboden einmal wieder in eine nicht nur spiegelblanke, sondern auch spiegelglatte Fläche verwandelt hatte und weil Frauen von Terra meist so genannte Schuhe mit rutschigen Sohlen an ihren Fortbewegungsorganen trugen, konnte sie diese Katastrophe innerlich gelassen und in Harmonie mit sich und den Galaxien hinnehmen. Leider durfte sie auf den Ratssitzungen keinen Grüntee mehr trinken, weil der Älteste immer in Ohnmacht fiel, sobald auch nur ein paar Duftmoleküle des Tees seine extrem empfindlichen Geruchssensoren trafen.

Mit einem energischen Ruck erhob Edwina ihren Kör­persack und floss anmutig zur Gemeinschaftsküche. Zum Glück hatte Morula schon aufgeräumt. Sie hatte einen Putzfimmel, der die beiden anderen in der Wohngemeinschaft glücklich machte. Nur den Abwasch erledigten alle gemäß der altüberlieferten Tradition von Edwinas Vorfahrinnen stets gemeinsam.

Heute war Edwina mit Einkaufen für die Wohngemein­schaft an der Reihe und floss nach dem ausgiebigen Frühstück zufrieden und mit gut gefülltem Verdauungssack zum nächstgelegenen ALDIU-Discounter. Sie lebte ausschließ­lich mit weiblich gepolten Angehörigen verschiedener Spezies zusammen, meist zwischen fünf und acht Wesen. Nur zurzeit war ihre WG auf drei geschrumpft: Morula, Edwina und Esmeralda, die erst vor vier Monaten ziemlich abgebrannt vor der Tür gestanden hatte und, wie bei ihnen üblich, mit offenen Armen empfangen worden war. Esme­ralda war furchtbar verzweifelt, weil sie den Kontakt zu ihrer einzigen Tochter verloren hatte. Nächtelang hatte sie von Kira erzählt.

»Meine einzige Tochter düst als Pilotin durch das Weltall. Ich sehe sie immer nur kurz und habe das Gefühl, dass ich alles falsch mache, wenn ich mit ihr rede. Meist geraten wir uns in die Haare und dann hören wir monate­lang nichts mehr voneinander. Aus Protest hat sie sich sogar die Haare abgeschnitten und sieht jetzt grauenhaft aus, wie ein Mann! Wie kann sich eine junge Frau nur so verunstalten! Wer soll sich denn jemals in sie verlieben – doch höchstens ein Schwuler!«

Anschließend versuchte sie eine halbe Stunde lang, Morula zu erklären, was das Wort »schwul« bedeutete, aber sie gab entnervt auf. Auf Morulas Planeten gab es nur Zwitter, die keinerlei Probleme mit geschlechtlichen Neigungen hatten.

Esmeralda war seit einer mehrere Jahre zurückliegenden Psychosektion mit anschließender Rekonstruktion klar, dass Kira mit einer Lebenslüge aufgewachsen war und sie ihr unbedingt die Wahrheit beichten musste. Aber die Wahrheit war so ungeheuerlich, dass sie befürchtete, Kira würde sie nicht verkraften.

»Wenn sie erfährt, dass ihr Vater gar nicht der ist, für den sie ihn hält, wird sie mich in alle Ewigkeit hassen!« Diese dramatisch klingenden Worte wiederholte Esmeralda in zahlreichen Variationen immer wieder, unterstrichen mit Gesten, die auf Edwinas Heimatplaneten bedeutet hätten »du hast Haare im Waschbecken liegen lassen, pfui Teufel«.

Insgeheim fragte sich Edwina zwar, was für merkwürdige Lebewesen diese doch eigentlich recht intelligenten und lernfähigen Terra-Bewohner waren, die in Dingen, die ihre Gefühle betrafen, vollkommen unkontrolliert zu den abwegigsten Handlungen neigten. Aber natürlich hatte sie Esmeraldas Tränen mit einem hoch saugfähigen Wischtuch getrocknet, das ursprünglich zur Pflege des teuren Ultrafeinvernebelungs-Düsenkopfes ihrer Dusche gedacht gewesen war, und Morula hatte als Trost fünf neue Pullover für ihre terrestrische Freundin und einen lila, rosa und hellblau eingefärbten Sack aus Treiberpflanzen-Lianenhaaren für Edwina gestrickt.

Sie selbst hatte niemanden, mit dem sie ihre Nöte bereden konnte. Keiner bemerkte ihre internen heißen Diskussionen mit ihrem Symbionten, der mitten in einem ähnlichen Stadium steckte, das Esmeralda in den Geschichten über ihre Tochter »Pubertät« nannte, und alles in Frage stellte, was sie beide aneinander band. Er schien nicht begreifen zu wollen, dass weder Edwina ohne ihn noch er ohne Edwina lebensfähig war. Alles, was ihn interessierte, waren seine eigenen Bedürfnisse. Er meinte, er hätte zu wenige Freiheiten, auf Partys zu gehen (er liebte es, bissige Kommentare zu den Gesprächen dort zu machen), seine Freunde würden alle eingehen (was leider stimmte) und er hätte noch keine Gelegenheit gehabt, ein nettes geschlechtli­ches Gegenstück kennen zu lernen. Edwina versuchte, ihn so gut es ging mit angenehmen Visionen aufzuheitern, die sie in ihrem Hirn erzeugte, aber dieses Heimkino, wie er es verächtlich nannte, stellte ihn nicht mehr zufrieden. Die strikte Weigerung Edwinas, Pornovisionen zu erzeugen, ärgerte ihn mächtig, und immer wieder kam es zu Diskussionen folgenden Verlaufes:

»Alle anderen Symbionten, die ich kenne, dürfen Pornovisionen gucken, nur ich nicht. Du bist der blödeste Muttersymbiont, den ich kenne!«

»Du kannst in meinem Körper weitgehend schalten und walten, wie du möchtest, aber dieser Wunsch geht entschieden zu weit. Ich mag absolut keine Symbiontenpornos und selbst dir zuliebe werde ich mich nicht breitschlagen lassen, welche zu erzeugen.«

»Wenn ich doch nur einen anderen Wirt hätte!«

»Ich wünsche mir auch des Öfteren einen anderen Symbionten!«

Meist beherrschte sich Edwina nach derartigen Wort­wechseln, um den Streit nicht eskalieren zu lassen. Dann schob der Wurm beleidigt einen Siliziumchip vor den Höhlenausgang und schmollte. Aber manchmal platzte ihr der Kragen und der Schlagabtausch ging weiter.

»Kannst du nicht einmal ordentlich deine Darmkaverne aufräumen, du Ferkel von einem Symbionten? Es gärt schon ganz furchtbar da drinnen! Du verjagst noch alle meine Freundinnen, zumindest die mit Geruchssensoren!«

»Das ist meine Kaverne, und hier drin kann ich tun und lassen, was ich will! Kümmere du dich lieber um gescheiten Nahrungsnachschub! Immer muss ich hungrig einschlafen!«

»Wenn du zu fett wirst, bekomme ich noch einen Darmverschluss. Du solltest mehr Chlorophyllbratlinge aufneh­men statt dieser ungesunden Siliziumkekse! Und was ich dir schon lange sagen wollte: Du glaubst anscheinend, ich würde deine metabolische Rauschgiftsynthese nicht bemer­ken, aber so dumm bin ich nicht. Mir wird schwindlig davon. Ein Junkie macht sich in meinem Darm nicht breit! Wenn das so weitergeht, schmeiße ich dich raus!«

»Mach doch, mach doch! Du wirst schon sehen, was du davon hast! Elend krepieren wirst du!«

»Meinst du etwa, du nicht? Wir werden ja sehen, wer von uns beiden länger überlebt!«

»Ich krieche einfach eine Weile bei Esmeralda in den Dünndarm. Für ein paar Wochen überlebt man in einem Terrestrier, habe ich gehört. Ich werde mit dem größten Vergnügen auf deine Beerdigung gehen und eine herzergrei­fende Grabrede halten!«

»Du undankbare Ausgeburt des dreizehnten Sonnensystems, wenn du dich nicht sofort entschuldigst, lasse ich dich verhungern! Ich hätte dich nie aufnehmen dürfen damals! Aber du warst so klein und niedlich. Ich Dummköpfin hatte dich sofort ins Herz geschlossen.«

Edwina war einem Hustenanfall nahe, so aufgewühlt war sie innerlich. Dieser Mistkerl! Er war eindeutig zu weit gegangen. Sie hätte ihm schon viel früher Grenzen setzen sollen, aber ein konsequenter Erziehungsstil war nie ihre Stärke gewesen.

Offensichtlich hatte der Wurm diesmal gemerkt, dass es höchste Zeit für ihn war einzulenken, denn er sendete ganz leise Signale aus der Nähe des Entgiftungsorgans. »Wollen wir uns wieder vertragen? Du wolltest mir doch einen Initiationsnamen aussuchen!«

Immer wieder schaffte es der kleine Schlingel, dass sich Edwinas Zorn in Luft auflöste! Sie hüstelte trocken. Warum besaß sie solch ein weiches Herz?

»Sobald du wieder neue Kameraden bekommst, wirst du einen Namen erhalten. Versprochen!«

»Mit Party?«

»Mit Party.«

»Ehrenwort?«

»Ehrenwort.«

Ein raspelndes Geräusch drang aus Edwinas Innereien: Der kleine Kerl knabberte einen seiner heiß geliebten Kekse. Edwina seufzte. Warum war symbiotisches Zusammenleben nur so kompliziert?

Mit einem Aufschrei flog die ultrasensitive Eingangstür, die in Wirklichkeit ein höchst intelligentes Wesen vom Planeten Gwmpwich war, gegen die Wand, die ihrerseits unter dumpfem Stöhnen versuchte, sich wieder in ihre korrekte Form auszubeulen. Esmeralda stürmte polternd in die Küche. Ihr Gesicht war vor Aufregung gerötet und die langen schwarzen, von einzelnen grauen Strähnen durchzogenen Haare hingen wirr und zerzaust ihren Rücken hinunter.

»Ich habe sie ausfindig gemacht! Meine Tochter lebt und ist gesund«, rief sie strahlend und umarmte Edwina, was angesichts der Fülle des Körpersacks nicht ganz einfach war.

»Party, Party!«, klinkte sich der Wurm ein. Edwina klopfte ungehalten auf den Körperbereich, hinter dem er sich vermutlich herumtrieb.

»Das freut mich für dich. Und wo steckt sie?«

Das Lächeln erlosch. »Tja, so genau weiß ich das auch nicht. Auf einem Raumschiff in Richtung des Planeten, auf dem der Intergalaktische Rat tagt.«

»Eine äußerst präzise Angabe, meine Liebe. Woher hast du die Information?«

Esmeralda druckste herum. »Also, dir wird das nicht gefallen, aber auf dem Flohmarkt für Computerschrott traf ich eine Wahrsagerin der Liga der Übermittler der Gesamt­heitlichen Energetik ...«

»Das ist doch alles Lüge!«, unterbrach Edwina kopf­schüttelnd.

»Und wenn! Es besteht immerhin die Möglichkeit, dass sie tatsächlich übersinnliche Kräfte besitzt!«

»Um welche Art Wahrsagerin handelte es sich eigent­lich? Die Sorte mit den drei verschrumpelten Köpfen, die mit Hilfe des Assoziativ-Spieles deine Zukunft ermitteln? Zehn Deutungen, eine gratis dazu? Musstest du eventuell aufzählen, was dir alles zu den Begriffen Friede, Freude, Eierkuchen einfällt?« Edwina verdrehte die Augen, so dass die gelbe Iris hinter den zartblauen Lidern verschwand und nur noch das Violette zu sehen war.

»Die einzigen Wahrsager, denen zu trauen ist, meine Liebe, sind die von Delta Zetis. Alle anderen lügen dir das Schwarze aus dem Weltall.«

Nun schüttelte Esmeralda heftig den Kopf.

»Nein, es waren keine Schrumpfköpfe, sondern ein mit einem Hochleistungsrechner verbundenes Energiefeld, das durch optische Interferenzen manchmal sichtbar wurde, wie ein lebendiger Nebel, absolut ästhetisch und wunderschön anzuschauen ...«

»... ein weibliches Energiefeld also ...«

»Unterbrich mich doch nicht dauernd! Was wollte ich eigentlich sagen? Jetzt weiß ich nicht einmal mehr, wo ich stehen geblieben war!«

»In der Küche.«

Esmeralda ballte die Fäuste und schrie in gespielter Verzweiflung:

»Edwina! Du bist furchtbar!«

»Genau, das finde ich auch!«, ließ sich für Esmeralda unhörbar Edwinas Symbiont vernehmen. Edwina ließ be­schwichtigend ein wenig Gas in ihren Körper einströmen, wodurch sie kurzfristig einen halben Meter über dem Erd­boden schwebte. Mit einer eleganten Drehung, bei der ihr weißes Haar wie ein Schleier emporwehte, berührte sie wie­der die laut Morula nur durch zweimal tägliches sorgfältiges Wischen sauber zu haltenden goldbraun schimmernden Küchenfliesen.

»Gut, gut. Ich werde mich nicht weiter lustig machen. Vielleicht spricht ja ein Energiefeld tatsächlich die Wahrheit. Hast du eventuell den Namen des Raumschiffes ermitteln können?«

»Es heißt Midsummernight'sdream.«

Edwinas Haare sträubten sich strahlengleich in alle Himmelsrichtungen vor Freude.

»Das ist das Schiff meines Freundes Arthur Shakespeare. Es wäre großartig, wenn ich ihn wiedersehen würde! Er hat mich vor vielen Jahren gerettet, als sein vorheriges Raumschiff, die All'swellthatendswell angegriffen wurde. Ein paar Sekunden später wäre ich als atomarer Staub ins All gebla­sen worden.«

Esmeralda ergriff Edwinas trotz der sieben Finger men­schenähnliche Hand und drückte sie fest.

»Da hat bestimmt dein persönlicher Schutzengel die Hände im Spiel gehabt!«

»Ich würde eher sagen, dein persönlicher Schutzwurm«, mischte sich Edwinas Symbiont ein. »Wenn du dich genau an die Situation erinnern würdest, dann würdest du ...«

»Ruhe!«, formte Edwinas Gehirn mit voller Kraft und schickte die neuronalen Signale über Verstärkerkaskaden in ihre Eingeweide. Zuckungen deuteten an, dass die Kette aus elektrischen und molekularen Impulsen ihren Zielort er­reicht hatte.

»Ein wenig Glück gehört immer zum Überleben. Reden wir aber lieber über dich. Wie willst du deine Tochter treffen? Ihr hinterherreisen?«

»Das habe ich schon zweimal getan und beide Male haben wir uns knapp verfehlt. Nein, ich möchte ihr diesmal eine Nachricht senden, um einen Treffpunkt zu vereinbaren.« Esmeralda seufzte. »Mein kleines Häschen, so lange habe ich sie nicht mehr in die Arme schließen können! Und wenn wir uns nach Monaten sehen, plappere ich nur bedeutungsloses Zeugs. Ich nehme mir immer wieder vor, dieses Mal das zu sagen, was mir schon seit Jahren auf der Seele liegt und was sie endlich über ihren vermeintlichen Vater erfahren sollte. Und dann verlässt mich der Mut und ich er­zähle ihr etwas von der Heavy-Metal-Gruppe »Riders on the Solar Storm«, mit deren Sänger ich einige aufregende Wochen verbrachte.«

Sie lächelte melancholisch. Edwina fand es aufs Neue erstaunlich, dass Menschen so viel Zeit für die Partnersuche aufwendeten. Lebten sie allein, waren sie unglücklich. Nach dem Finden eines als passend angesehenen Partners folgte eine kurze Phase des Glücks, um anschließend wieder in ein unglückliches Stadium überzugehen, das aber im Unter­schied zu vorher diesmal durch den leider doch nicht so gut passenden Partner bedingt war. Anschließend folgte im Normalfall die Trennung, wonach sich der gesamte Vorgang wiederholte. Ein Glück, dass sie ihre Zeit nicht mit einer solch nutzlosen Beschäftigung verschwenden musste!

»Dabei ist Kira so unglücklich, weil sie auf ihre große Liebe wartet, die einfach nicht erscheinen will!«, redete Esmeralda weiter. »Und sie ist fest davon überzeugt, dass ihre romantische Ader ein Erbe ihres Vaters ist! Von mir kann sie es nicht haben. Allein in den letzten vier Jahren verliebte ich mich fünf Mal unsterblich in irgendwelche sentauxguloj – für ein paar Wochen. Aber sie taugten wirklich alle nichts.«

»Meinst du nicht, dass du ihr diese Illusion nicht zerstören solltest? Nach allem, was ich über eure menschliche Psyche gelernt habe, könnte es deiner Tochter doch genauso gut schaden, die Wahrheit zu erfahren!«

Esmeralda schwieg einen Moment lang. Sie strich sich mit der Hand über die Wange, während sie angestrengt überlegte. Die gentechnisch hergestellten gefühlssensitiven Äpfel, die in einer filigranen Schüssel mitten auf dem Küchentisch standen, missverstanden die Geste und einer von ihnen schnellte hoch und sprang in elegantem Bogen in Esmeraldas Gesicht. Geistesgegenwärtig öffnete sie den Mund und der Apfel landete genau zwischen ihren Zähnen. Sie ergriff den vitaminangereicherten Solarstar, nahm einen herzhaften Bissen und kaute gedankenverloren, während sich die kräftiggrüne Apfelschale vor Freude darüber zart­blau verfärbte.

»Kira hat sich einen idealen Vater gebastelt, dessen Ebenbild sie in sämtlichen Galaxien sucht. Wenn sie endlich die Wahrheit erfährt, wird sie nicht mehr jeden Mann an ihrem vermeintlich idealen Vater messen.«

»Ich wusste, warum ich nur in einer Wohngemeinschaft mit weiblichen Spezies leben möchte«, ertönte es laut hinter ihnen. Beide fuhren herum und erblickten eine glucksende Morula, in deren durchsichtigem Inneren Nahrungsbläschen hin- und herflitzten, feine Lichtblitze durch Nervenäste sausten und sich räderähnliche Organellen auf verschlungenen Pfaden zu ihren Bestimmungsorten drehten.

»Lasst mich rasch noch die Küche wischen, dann ko­chen wir uns gemeinsam etwas Schönes. Das ist das beste Mittel gegen trübe Gedanken!«

Edwina und Esmeralda tauschten einen bedeutungsvol­len Blick aus. Hastig fügte Morula hinzu:

»Keine Sorge, den Abwasch erledige ich diesmal allein. Ich hole schon einmal unser neues Kochbuch, die ›Sammlung garantiert nicht toxischer Gerichte für hundert Spezi­es‹.«

Edwina schwebte hinauf zur obersten Etage ihrer Kochtopfsammlung, die bereits ihre Urgroßmutter angelegt hatte und die sie ab und an um ein paar begehrte Sammlerstücke ergänzte. Irgendwann würde sie die Kostbarkeiten an ihre Tochter weiterreichen, wie es auf ihrem Heimatplaneten Brauch war.

»Und danach schicken wir eine Nachricht an die Midsummernight'sdream. Ich habe ihren Empfangscode in meinem Adresschip gespeichert. Wir werden in Kürze ein Treffen mit deiner Tochter arrangieren! Ähm, welche Pfanne nehmen wir – die mit supraleitendem Boden oder die mit geschmacksverstärkender Antihaftbeschichtung?«

Ein durchdringendes Pfeifen unterbrach Edwinas Suche. Rasch sank sie zu Boden und floss zu der in den Mikrowel­lenherd integrierten Empfangsstation. Die beiden anderen hörten nicht, welche Nachricht Edwina erhielt, da die Frequenz jenseits ihres Hörvermögens lag – Morula benötigte ohnehin einen zusätzlichen Frequenzumwandler zur Verständigung, da sie keine Ohren besaß –, aber an den Re­aktionen ihrer Mitbewohnerin erkannten sie, dass die Lage ernst war. Die Erklärung folgte wenige Augenblicke später.

»Sie haben beim Intergalaktischen Rat bemerkt, dass ich mich aus dem Staub gemacht und nur mein Holodouble zurückgelassen habe. Das heißt, zum Glück hat es erst mein persönlicher Freund Jota spitzbekommen. Ich muss sofort abreisen, ehe mein kleiner Betrug auffliegt, sonst werfen sie mich aus dem Rat und dann versinken sämtliche Nachbar­galaxien im Chaos. Eine reine Männerwirtschaft im Präsidi­alrat wäre ähnlich katastrophal wie damals auf der Erde bei euch, Esmeralda, als euer Planet dank der Kriegstreiberei einiger Präsidenten um ein Haar in Schutt und Asche versunken wäre. Also seid nicht böse, wenn ich zur Rettung des Universums aufbreche, Schwestern!«

»Ich komme mit nach Delta Centauri«, entschied Esme­ralda. »Ich will meine Tochter finden.«

Statt des geplanten gemütlichen Beisammenseins folgten ein hastiges Packen und ein überstürzter Aufbruch. Morula blieb traurig zurück und schied ein paar Dutzend gelbgrün gestreifte Gallertwürfel aus, mit denen sie anschließend so lange eifrig den Wohnzimmerfußboden bohnerte, bis sie selbst darauf ausrutschte.

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Возрастное ограничение:
0+
Дата выхода на Литрес:
22 декабря 2023
Объем:
320 стр. 1 иллюстрация
ISBN:
9783946433101
Издатель:
Правообладатель:
Автор
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