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Читать книгу: «Herz und Wissen», страница 9

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»Warte, bis Du zurückkommst«, sagte sie mit aller ihr zu Gebote stehenden Munterkeit, denn in seinem Tone lag etwas Trauriges, das sie bekümmerte. »Du wirst Dich dann Deiner jetzigen Befürchtungen schämen. Und vergiß nicht, Ovid, daß ich außer Deiner Mutter noch eine, die beste und freundlichste Freundin besitze, die sich um mich bekümmern wird.«

»Eine Freundin im Hause meiner Mutter?« fragte Ovid überrascht.

»Gewiß!«

»Wer ist das?«

»Miß Minerva.«

»Was!« rief er in einem Tone das Erstaunens der Carmina’s Gerechtigkeitsgefühl aufstachelte, ihre neue Freundin zu vertheidigen.

»Wenn ich Miß Minerva anfangs Unrecht that, so hatte ich die Entschuldigung eine Fremde zu sein«, sagte sie warm. »Du aber kennst sie schon seit Jahren und hättest ihre guten Eigenschaften schon längst entdecken sollen! Sind denn die Männer alle gleich? Selbst mein Vater pflegte häßliche Frauen unverzeihliche Mißgriffe der Natur zu nennen. Die arme Miß Minerva sagt selbst, daß sie häßlich ist, und erwartet von Niemanden: etwas Anderes, als daß er sie falsch beurtheile. Ich aber beurtheile sie nicht falsch. Teresa hat mich verlassen und Du gehst nun auch fort – das ist eine schreckliche Aussicht, Ovid, aber doch nicht hoffnungslos, denn Frances – ja, ich nenne sie bei ihrem Vornamen und sie mich gleichfalls! – Frances wird mich trösten und mir das Leben so glücklich machen, als es nur sein kann, bis Du zurückkommst.«

»Ich darf annehmen, daß Du zu dem eben Gesagten Deine guten Gründe hast«, bemerkte Ovid, der, trotzdem er von der Gouvernante außer ihrem schlechten Temperamente und der unbarmherzigen Weise, den Geist der Kinder zu bilden, nichts wußte, was sein Vorurtheil gegen dieselbe rechtfertigen konnte, doch über Carmina’s plötzliche Bekehrung eine gewisse Unruhe empfand.

»Die besten Gründe von der Welt«, entgegnete Carmina auf’s bestimmteste.

Er überlegte einen Augenblick, wie er am zartesten nach diesen Gründen forschen könnte. »Willst Du mir behilflich sein, Miß Minerva Gerechtigkeit widerfahren zu lassen?« begann er dann vorsichtig, um nicht etwa die günstige Gelegenheit vorübergehen zu lassen. »Willst Du mir sagen, was sie gethan hat —«

»Pst!« unterbrach ihn Carmina plötzlich. »Rief da nicht Jemand nach mir?«

Sie horchten schweigend. Von außerhalb der Anlagen ertönte eine Stimme, bei deren Klange beide schuldbewußt auffuhren – die Stimme Mrs. Gallilee’s.

Capitel XVIII

Carmina! bist Du in den Anlagen?«

»Ueberlaß mir die Sache«, flüsterte Ovid und rief dann zurück. »Wir kommen sofort.«

Mrs. Gallilee erwartete sie an der Pforte, und sowie sie einander ansichtig wurden, sagte Ovid in munterem Tone: »Du wirst jetzt keine Ursache mehr haben über mich zu klagen; ich reise am Ende dieser Woche ab.«

Ihre Antwort war an Carmina gerichtet anstatt an ihren Sohn. »Danke Dir, meine Liebe«, sagte sie und drückte ihrer Nichte die Hand.

Man konnte in der Dunkelheit nur die schattenhaften Umrisse der Gesichter erkennen, aber der Ton der gelehrten Dame war die vollendete Liebenswürdigkeit. Sie schickte Ovid über die Straße voraus, um das Haus öffnen zu lassen, ergriff vertraulich Carmina’s Arm und flüsterte derselben zu: »Du kleine Närrin! wie konntest Du glauben, daß ich Dir böse sei? Ich kann nach diesem reizenden Briefe, den Du mir geschrieben hast, nicht einmal Deinen Fehler bedauern.«

Von der Halle, wo Ovid auf sie wartete, gingen sie in die Bibliothek und hier schloß Mrs. Gallilee ihren Sohn in inbrünstiger mütterlicher Zärtlichkeit in die Arme.

»Das macht den Genuß eines köstlichen Abends vollständig«, sagte sie. »Erst eine wundervolle Vorlesung – Sind dann die Befreiung von der überwältigenden Besorgniß um meinen Sohn. Deine medicinischen Studien haben Dich wohl nie zu den transatmosphärischen Regionen hinaufgeführt, Ovid? Wir waren heute Abend ein immenses Auditorium, um den Herrn Professor über dieses Thema zu hören, und ich bin wirklich noch gar nicht wieder zu mir gekommen. Fünfzig Meilen über uns – denkt Euch! nur fünfzig Meilen – ist eine Atmosphäre von Kälte, die das ganze Menschengeschlecht in einer Secunde zu Tode würde erstarren machen. Feuchte Substanzen würden in dieser entsetzlichen Leere explodieren und zu Stein werden; und – hör’ nur, Carmina – die Explosion selbst würde ersticken und keinen Laut verursachen. Sollte man sich denken, daß ernste Leute nach jenen schrecklichen Regionen aussehen und vom In-den-Him1nel-Kommen sprechen können? O, was « für ein Nichts ist doch der Mensch, ausgenommen – ein Scherz, Ovid – ausgenommen, wenn er seiner alten Mutter das Vergnügen macht, seiner Gesundheit wegen fortzugehen! Und wohin reist Du? Hat Dir unsere verständige Carmina nicht gerathen? Ich stimme ihr im voraus bei, was sie auch gesagt haben mag.«

Ovid theilte seiner Mutter Benjulia’s Rath mit und fragte sie, was sie davon hielte, und sofort ergoß sich ihre überfließend gute Laune über den abwesenden Doctor. Derselbe wäre ja, so meinte sie, derb und häßlich, aber dafür auch ein unschätzbarer Freund, der ihm einen herrlichen Rath gegeben. Da Ovid bei seinem Gesundheitszustande keine Feder in die Hand nehmen dürfe, so wolle sie dem Doctor schriftlich danken und um Empfehlungen an die örtlichen Granden bitten, die eine Stellung in der colonialen Gesellschaft einnähmen. Dann nahm sie die Zeitung zur Hand: am Sonnabend fuhr ein Dampfer von Liverpool nach Canada. Ovid konnte sich am andern Morgen eine Kajüte, wenn möglich eine Mittelkajüte, bestellen und am Freitag von London fortfahren. In ihrem Eifer, ihm die Abreise zu erleichtern, erbot sie sich, für das Verschließen seines Hauses zu sorgen und für das Gesinde die nöthigen Verfügungen während seiner Abwesenheit zu treffen, falls er dasselbe sollte behalten wollen; ja sie dachte sogar an die Katze, die natürlich am leichtesten versorgt gewesen wäre, wenn man sie vergiftet hätte, ein praktischer Rath, der aber bei Ovid wegen seiner Excentricität in manchen Dingen weggeworfen war. »Ein halber Schilling wöchentlich für Katzenfutter spielt keine Rolle«, rief sie in einem Ausbruch von Großmuth. »Wir werden Snooks zu uns nehmen.« Carmina entging es nicht, daß Mrs. Gallilee’s überschwängliche Lebhaftigkeit ihren Sohn zu bedrücken anfing.

»Ich brauche Dich nicht zu bemühen, Mutter«, sagte er, »da meine häuslichen Angelegenheiten alle geordnet wurden, als ich zuerst die Nothwendigkeit empfand, Ruhe zu suchen. Der Diener begleitet mich auf die Reise, das Haus- und das Küchenmädchen gehen zu ihren Verwandten auf’s Land, die Köchin wird nach dem Hause sehen und der kleine Bursche, der die Katze beinahe ebenso gern hat als ich, wird für Snooks sorgen. Wenn Du eine Droschke holen lassen willst, möchte ich jetzt nach Haus fahren; ich fühle mich, gleich Anderen in meinem elenden Zustande, gegen Bettgehenszeit recht müde.«

Während seine Mutter ihnen den Rücken wandte, um zu klingeln, berührten seine Lippen eben Carmina’s zartes Ohr. »Erwarte mich morgen«, flüsterte er: »Ich liebe Dich! – ich liebe Dich! – ich liebe Dich!« Die Wiederholung dieser Worte schien ihm den höchsten Genuß zu bereiten.

Als Ovid gegangen war, erwartete Carmina etwas über die Entdeckung ihrer Tante in den Anlagen zu hören; aber Mrs. Gallilee’s Unschuld war undurchdringlich. Sie hatte, als sie ihre Nichte nicht im Hause getroffen, es ganz natürlich gefunden, daß dieselbe mit ihrem Vetter einen Abendspaziergang in einer der reizendsten Anlagen London’s machte. Gegenwärtig schienen die Hoffnungen auf Ovid’s Genesung und die Bewunderung für Carmina’s Ueberredungstalent die einzigen activen Ideen dieses umfassenden Geistes zu sein. Als der Diener das Brett mit Claret und Sodawasser brachte, ließ sie Miß Minerva einladen, zu ihnen zu kommen, um die guten Nachrichten zu hören, dabei die Unterbrechung ihrer gegenseitigen freundschaftlichen Beziehungen am Nachmittage vollständig ignorierend. Beim Anblick des Sodawassers wurde sie lustig und scherzhaft. »Lassen Sie uns den Herren nachahmen, Miß Minerva, und einen Toast trinken, ehe wir zu Bett gehen. Fröhlich, Carmina! komm, theile eine halbe Soda mit mir. Daß Ovid eine angenehme Reise habe und wohlbehalten zurückkehre!« Durch den Einfluß der Tafel aufgemuntert, verfiel die Freundin von Professoren, die zärtliche Pflegerin halb entwickelter Kaulquappen, wieder auf das gelehrte Gebiet und improvisierte eine kleine Vorlesung über Canada – über die Botanik und die Geologie des Vicekönigreichs, und über die Anzahl Gallonen Wasser, welche die Niagarafälle jede Stunde vergeudeten. »Die Wissenschaft wird es wieder gut machen, meine Lieben; wir werden das müßige Wasser bald für uns arbeiten lassen. Gute Nacht, Miß Minerva. Angenehme Träume, liebe Carmina!«

In der sicheren Einsamkeit ihres Schlafzimmers zog die Gouvernante viel bedeutend die Augenbrauen zusammen. »In solcher Laune habe ich Mrs Gallilee noch niemals gesehen«, dachte sie. »Welches Unheil brütet sie nur, wenn sie ihren Sohn erst los ist?«

Capitel XIX

Der Verlauf einiger Stunden übte auf Mrs. Gallilee’s Liebenswürdigkeit keinen abschwächenden Einfluß aus. Ovid konnte am folgenden Tage ungestört Carmina’s Gesellschaft genießen, denn nicht nur Miß Minerva, sondern sogar Mr. Gallilee und die Kinder wurden mit einer gewandten Delicatesse, an der auch der Argwöhnischste nicht hätte Anstoß nehmen können, von ihnen fern gehalten. Alles was Sympathie und Nachsicht thun konnten, Ovids Vertrauen zu erwecken, geschah unaufdringlich und bescheiden, und nie hatte die Meisterin der häuslichen Diplomatie ihre Zwecke mit feinerer Kunst erreicht.

Nachmittags überbrachte ein Bote Benjulia’s Antwort auf Mrs. Gallilee’s am Morgen an ihn abgesandten Brief, in welchem sie ihm von der beabsichtigten Reise ihres Sohnes Mittheilung gemacht hatte. Ein Anfall von Podagra fesselte den Doctor an das Haus; wenn Ovid also Auskunft über Canada haben wollte, müßte er ihn aufsuchen Das war Alles.

»Bist Du je in Doctor Benjulia’s Hause gewesen?« fragte Carmina.

»Nein, nie.«

»Dann ist also Alles, was Du mir über ihn gesagt hast, bloßes Gerücht? Jetzt wirst Du die Wahrheit herausfinden, denn Du gehst doch natürlich?«

Ovid hatte indeß durchaus kein Verlangen, eine Forschungsreise nach Benjulia’s einsamem Hause zu unternehmen, und sprach das offen aus; aber Carmina wandte alle ihre Ueberredungskraft auf, um ihn dazu zu bewegen, und wurde dabei von Mrs. Gallilee unterstützt, die – über mädchenhafte Neugier war sie ja erhaben – es für wichtig hielt, daß er Einführungen in die canadische Gesellschaft bekäme.

»Ich werde den Wagen bestellen«, sagte sie, einen scherzhaft despotischen Ton annehmend; »und wenn Du nicht zu dem Doctor willst, so werden Carmina und ich ihm an Deiner Statt einen Besuch abstatten.«

Angesichts dieser Alternative blieb Ovid nichts Anderes übrig als nachzugeben. Er konnte dem Kutscher übrigens nur Anweisung geben, nach dem Dorfe Hendon an der nordwestlichen Seite Londons zu fahren und von da an weiter nach dem Wege zu fragen. Zwischen Hendon und Willesden, eine Stunde Fahrt von Oxford-Street, liegen Wiesen, Kornfelder und Farmen, und als der Kutscher, der den sich unter schattigen Bäumen dahin windenden Wegen gefolgt war, bei seiner letzten Nachfrage in einem am Wege liegenden Wirthshause zur Antwort bekam, daß Benjulia’s Wohnung jetzt nur noch einige Minuten entfernt wäre, stieg Ovid aus, um Gespann und Kutscher sich im Wirthshause erholen zu lassen, und machte sich zu Fuß auf den Weg.

Er kam an einen eisernen Thorweg, der sich auf einen öden Weg öffnete, und sah ein häßliches, quadratförmiges, aus gelben Backsteinen erbautes und mit Schiefer gedecktes Gebäude vor sich, das von einer niedrigen Mauer umgeben war, die am Eingange wiederum einen eisernen Thorweg hatte. Der eingeschlossene Raum war ebenso öde als das davor liegende Feld, es war auch nicht eine Spur eines Blumen- oder Gemüsegartens darin zu sehen. Einige hundert Schritt vom Hause ab stand noch ein kleineres Gebäude mit einem Oberlicht im Dache, in welchem Ovid der Beschreibung nach das berühmte Laboratorium erkannte. Hinter demselben trennte eine Hecke das Grundstück von dem benachbarten, und hier erhoben sich wieder Bäume und waren die Felder bebaut. Nichts verrieth, daß das Haus bewohnt war, kein lebendes Wesen ließ sich blicken – es war etwas Unnatürliches in der Verlassenheit dieses Ortes, so dicht bei dem belebten London.

Von einem Gefühl der Neugier geleitet, das immer mehr an Argwohn grenzte, näherte sich Ovid dem Laboratorium, ohne sich, an der Vorderseite des Hauses zu zeigen. Kein Hofhund bellte, kein Diener erschien.

Carmina’s Bemerkung über den Doctor hatte einen solchen Eindruck auf ihn gemacht, daß er, obgleich es ihm widerstrebte, die Thür des Laboratoriums zu öffnen versuchte, die indeß verschlossen war. Er wartete und lauschte. Die Blätter der Bäume in seiner Nähe rauschten fröhlich im Sommerwinde – aber war da nicht noch ein Geräusch zu hören? Ja – da, durch das melodische Säuseln des Laubes erhob sich leise und schwach ein wehklagendes Wimmern – hörte auf – wiederholte sich und schwieg dann. Nicht recht sicher, ob der Ton von außen oder aus dem Innern des Gebäudes käme, sah er sich um und rüttelte dann an der Thür; aber nichts ließ sich hören. Das leidende Geschöpf – wenn es ein solches war – schwieg oder war todt. Sollte ein lebendes Wesen zufällig bei einem chemischen Experimente verletzt sein, oder —?

Er schrak davor zurück, diesen zweiten Gedanken zu verfolgen; aber das Laboratorium war ihm ein Gegenstand des Entsetzens geworden und er ging auf das Wohnhaus zu. Als er eben die Hand auf den Drücker des Thorweges legte, sah er nach dem Laboratorium zurück und zögerte. Jenes jammervolle, kurze Wehklagen tönte noch in seinen Ohren, und der Gedanke, sich Benjulia zu nähern, wurde ihm so widerwärtig, daß es ihn plötzlich trieb umzukehren, ohne das Haus des Doctors betreten zu haben, einerlei was seine Mutter und Carmina, oder er selbst später, davon denken mochten. Unter dem Einflusse dieses ihn plötzlich beherrschenden Impulses zog er die Hand zurück und wollte sich wieder entfernen – aber es war zu spät. Denn gerade als er sich abwandte, erschien ein Bedienter an der Thür, ging über den eingeschlossenen Platz und öffnete ihm, ohne ein Wort dabei zu sagen, den Thorweg.

Sie traten in den Flur, wo der schweigsame Bediente eine Thür zur Rechten öffnete und den Besucher durch eine Verbeugung einlud näher zu treten. Ovid sah sich in einem Zimmer, das ebenso öde war, wie das Feld draußen, mit geweißten Wänden und nacktem Fußboden, wie es die Handwerker nach Vollendung des Baues verlassen hatten. Nach einer kurzen Abwesenheit erschien der Mann wieder und – sei es, daß er gedrückt oder verstimmt war – genug, er sprach noch immer nicht, sondern öffnete eine Thür an der gegenüberliegenden Seite des Ganges, machte wieder eine Verbeugung – und verschwand.

Ovid trat in das Zimmer. und im selben Momente ertönte die Stimme Benjulia’s: »Kommen Sie mir nicht zu nahe!«

Der Doctor saß in einer Ecke des Zimmers angethan mit einem langen schwarzen, bis an den Hals zugeknöpften Rocke, der nichts weiter von seinem Körper sehen ließ, als das fleischlose Gesicht, die großen Hände und den von Podagra gequälten Fuß. Wuth und Schmerz glänzten in den düsteren grauen Augen und zitterten in den auf der Lehne seines Armstuhles ruhenden geballten Fäusten. »Zehntausend Teufel bohren mir mit rothglühenden Eisen zehntausend Löcher durch den Fuß«, sagte er. »Wenn Sie das Kissen in meinem Stuhle berühren, werde ich Ihnen an den Hals springen.« Dann goß er aus einer Flasche eine kühlende Flüssigkeit in eine kleine Gießkanne und begoß seinen Fuß damit. Dabei fluchte er, um seinen Schmerz zu vergessen, in wilden Baßtönen vor sich hin, die die Gläser auf dem Buffet klirren machten.

Erfreut, der Nothwendigkeit überhoben zu sein, dem Doctor die Hand schütteln zu müssen, nahm Ovid auf einem Stuhle Platz und blickte sich um. Auch hier entdeckte er nur wenig Möbel, und diese wenigen waren schwere, altmodische. Außer dem Buffet bemerkte er einen Eßtisch, sechs Stühle und eine dunkelbraune Fußdecke; keine Gardinen waren vor den Fenstern, keine Bilder an den gelbgraugetünchten Wänden. Der leere Kamin zeigte unverhüllt die schwarze Feuerstätte, und auf dem Sims stand nichts weiter als eine schmutzige stark riechende Pfeife.

Benjulia setzte die Gießkanne nieder, ein Zeichen, daß der Paroxysmus des Schmerzes vorüber war, und bemerkte: »Eine öde Wohnung, nicht wahr?«

»Es ist Ihre Schuld, wenn es hier öde ist. Warum haben Sie keine Bäume gepflanzt und keinen Garten angelegt?« antwortete Ovid, der sich in gereizter Stimmung befand, weil er nun doch gezwungen war, den Doctor zu sehen.

»Vielleicht werde ich Sie überraschen«, entgegnete Benjulia ruhig; »aber ich rede immer, wie mir um’s Herz ist. Mir gefällt die Oede ganz gut, und ich mache mir nichts aus Bäumen und Gärten.«

»Sie scheinen sich auch nichts« aus Möbeln zu machen«, sagte Ovid.

Jetzt, da der Schmerz eine Zeit lang vorüber war, stellte sich bei dem Doctor seine angeborene Gleichgültigkeit gegen das, was Andere von ihm denken oder zu ihm sagen mochten, in gewohnter Stärke wieder ein. Er schien nun zu glauben, daß Ovid’s Neugier sich nur auf Kleinigkeiten bezöge; und da machte es ja weniger Mühe ihm hierüber Auskunft zu geben, als seinen Motiven nachzuforschen.

»Da mögen Sie Recht haben«, sagte er. »Die Tische, Stühle, Betten und Becken hat meine Schwägerin für mich gekauft – wußten Sie, daß ich eine derartige Verwandte hatte? Es macht mir eben kein Vergnügen, Einkäufe in den Läden zu machen, daher gab ich ihr einen Cheque, und trug ihr auf, mir ein Eßzimmer und ein Schlafzimmer einzurichten – nicht zu vergessen der Küche und der Bodenkammern für die Domestiken. Was brauche ich mehr?«

»Wirklich eine ganz selbstsüchtige Auffassung«, brach Ovid los, dessen Gereiztheit bei der unausstehlichen Gelassenheit des Doctors nur zunahm. »Brauchen Sie an Niemand anders zu denken als an sich selbst?«

»An Niemanden – wie ich zu meiner Freude sagen kann.«

»Das ist wirklich zynisch, Benjulia!«

»So?« sagte der Doctor nach einigem Nachsinnen. »Da mögen Sie vielleicht wieder Recht haben. Ich für meine Person halte es nur für Gleichgültigkeit Sonderbarerweise sah mein Bruder die Sache von demselben Gesichtspunkte aus an wie Sie – er gebrauchte sogar dieselben Worte wie Sie eben; und er fand, glaube ich meinen »Zynismus« unverbesserlich. Jedenfalls kann er nicht wieder hierher, so daß ich den auf leichte Weise los wurde. Was meinen Sie? Diese unhumane Redeweise sei meiner unwürdig? Das glaube ich wirklich doch nicht. Ich bin kein Wilder – es ist einfach Gleichgültigkeit.«

»Erwidert Ihr Bruder Ihre Gleichgültigkeit? Dann müssen Sie ein hübsches Paar sein.«

Benjulia, welcher ein gewisses trauriges Vergnügen daran zu finden schien, die Frage Ovid’s in Erwägung zu ziehen, antwortete:

»Meines Bruders Intelligenz mag vielleicht zu einer so geringfügigen Anstrengung, wie Sie vermuthen, ausreichen. Er hat eben soviel Grütze, um vor der Idiotenanstalt bewahrt zu werden. Soll ich Ihnen in zwei Worten sagen, was er ist? – ein zügelloser Fresser. Ich lasse seine Frau manchmal hierherkommen und weinen. Mich stört das nicht, und sie scheint es zu erleichtern Wieder Gleichgültigkeit? – he? Nun, ich weiß nicht. Ich gab ihr das Geld, was sie nach dem Möbeleinkaufe wieder mitbrachte; damit sie sich einen neuen Hut dafür kaufe. Sie nennen das vielleicht Gleichgültigkeit und mögen wieder Recht haben. Ich mache mir nichts aus dem Gelde. Wollen Sie etwas trinken? Ich kann mich, wie Sie sehen, nicht rühren noch regen; klingeln Sie doch, bitte.«

Ovid lehnte es ab zu trinken und sagte, um ein anderes Thema anzufangen: »Ihr Diener ist ein merkwürdig schweigsamer Bursche.«

»Das ist das Gute an ihm«, antwortete Benjulia. »Mit jedem anderen, den ich gehabt, haben die Mädchen noch gezankt, was sie mit diesem nicht können; und ich habe seinen Lohn in Anerkennung seiner Brauchbarkeit erhöht. Ich hasse Lärm.«

»Darum halten Sie auch wohl keinen Hofhund?«

»Ich mag keine Hunde leiden – des Bellens wegen nicht.«

Der Doctor hatte augenscheinlich noch eine unangenehme Ideenverbindung in Betreff der Hunde, denn seine hohlen Augen starrten düster in’s Leere und er schien Ovid’s Anwesenheit einen Augenblick ganz zu vergessen. Dann aber faßte er sich wieder mit dem gewohnten heftigen Reiben seines Kopfes und brachte das Gespräch auf Ovid’s Besuch.

»Also – wollen Sie meinen Rath befolgen und nach Canada gehen und möchten sich nun Auskunft bei mir holen. Nun, hier ist mein Tagebuch, das wird meinem Gedächtnisse nachhelfen.«

Auf einem an seinen Stuhl geschraubten, verstellbaren Tische lagen seine Schreibmaterialien und neben ihnen ein mit einem Schlosse versehenes schäbiges Buch, in dem er zehn Minuten blätterte, bis er Alles, was er nöthig hatte, wußte. Dann instruierte er seinen Gast in seiner stäten, gründlichen Weise, dabei sich ohne die geringste Abschweifung nur auf die praktischen Bedürfnisse der Reise beziehend. Nicht mit einem Worte berührte er den Nationalcharakter oder die Naturschönheiten, und wenn Mrs. Gallilee die Niagarafälle als ein Reservoir vergeudeter Kraft kritisiert hatte, so bewies sich des Doctors wissenschaftliche Ueberlegenheit über die Frau auf’s Eklatanteste – denn er erwähnte des Niagara überhaupt nicht.

»Bin ich Ihren Zwecken als Führer gerecht geworden?« fragte er dann. »Bitte, behalten Sie den Dank – ja oder nein genügt. Gut. Ich werde Ihnen nun einige Zeilen mitgeben.« Während er dann seinen Gänsekiel in Stand setzte, bemerkte er: »Haben Sie je beachtet, daß die Frauen ein Vergnügen haben, das bis an’s Ende aushält? Sie haben, seien sie jung oder alt, dasselbe unerschöpfliche Vergnügen an Gesellschaft und sind, ob jung oder alt, alle zusammen gleich unfähig, es zu verstehen, wenn man sagt, daß man sich nichts daraus macht, zu einer Gesellschaft zu gehen. Selbst Ihre kluge Frau Mutter denkt, daß Sie in Canada in Gesellschaft gehen wollen.« Mittlerweile hatte er seine Feder probiert und begann seinen Brief.

Als Ovid die großen Hände ansah, fiel ihm wieder Carmina’s Entdeckung ein. Seine Augen schweiften etwas seitwärts nach der Ecke an der Kamineinfassung wo der dicke Bambusstock stand. Derselbe hatte einen hellen Horngriff und auf diesem Griffe waren einige Flecke, in denen das geübte Auge des Doctors bei näherem Hinsehen trockene Blutflecke erkannte. Hatte er sich nach der letzten Benutzung des Stockes die Hände gewaschen und vergessen, den Stock auch zu reinigen?

Als Benjulia den Brief geschrieben hatte, steckte er ihn in ein Couvert, schrieb die Adresse und nahm ihn auf, um ihn Ovid zu geben, zögerte aber plötzlich, als ob ihm ein Zweifel ankäme – doch nur einen Moment, dann gab er Ovid den Brief, der an einen Arzt in Montreal adressiert war.

»Der Herr wird Sie nicht in Gesellschaft einführen«, bemerkte er, »und Sie nicht mit Berufsfragen belästigen. Aber enthalten Sie sich Ihrerseits eines Themas, der Vivisection. Ein rasender Stier ist nichts gegen meinen Freund, wenn Sie davon zu sprechen anfangen.«

Ovid sah ihn fest an, aber Benjulia erwiderte den Blick ebenso fest.

Beargwöhnten sich die beiden Doctoren in diesem Augenblicke gegenseitiger Prüfung? »Was Ovid betraf, so nahm er sich vor, das Haus nicht zu verlassen, ohne seinen Argwohn auf die Probe gestellt zu haben.

»Ich danke Ihnen für den Brief«, begann er; »und werde die Mahnung nicht vergessen.«

»Kann ich sonst noch etwas für Sie thun?« unterbrach ihn Benjulia, dessen Leistungsfähigkeit in Betreff der gesellschaftlichen Tugenden ihre Grenze hatte.

»Sie können mir eine einfache Frage beantworten«, entgegnete Ovid. »Meine Cousine Carmina – —«

»Meinen Sie nicht, daß wir von Ihrer Cousine genug im zoologischen Garten gesprochen haben?« fiel Benjulia wieder ein.

»Sie haben es Ihrem eigenen mitleidigen Herzen vorzuwerfen, wenn ich auf die Sache zurückkomme«, parierte Ovid mit einer Gewandtheit, die fast seiner Mutter würdig gewesen wäre. Meine Cousine kann ihre Freundlichkeit gegen den Affen nicht vergessen.«

»Je eher sie dieselbe vergißt, desto besser – der Affe ist todt.«

»Das freut mich zu hören.«

»Warum?«

»Ich glaubte, das Thier hätte Schmerzen auszuhalten.«

»Was meinen Sie?«

»Ich meine, daß ich vorher ein Jammern hörte —«

»Wo?«

»In dem Gebäude hinter dem Hause.«

»Da haben Sie den Wind in den, Bäumen gehört.«

»Durchaus nicht. Machen Sie auch chemische Experimente an Thieren?«

Der Doctor begegnete diesem Angriff, ohne um Haaresbreite zu weichen.

»Wissen Sie, was ich sagte, als ich Ihnen das Empfehlungsschreiben überreichte?« fragte er. »Ein rasender Stier, sagte ich, ist nichts gegen meinen Freund, wenn Sie mit ihm von Vivisection sprechen. Nun lassen Sie sich noch gesagt sein, daß ich ganz genau wie mein Freund bin.« Er wartete einen Augenblick und fragte dann: »Genügt Ihnen das?«

»Ja«, antwortete Ovid; »das genügt mir.«

Bis zu offenem Streit war nur noch ein Schritt, und so nahm denn Ovid seinen Hut, um zu gehen; aber selbst in diesem kritischen Augenblicke zeigte sich Benjulia’s sonderbare Eifersucht auf seinen jungen Collegen – als einen möglichen Nebenbuhler auf irgend einem Felde der Entdeckung, das er als das Seinige beanspruchte – noch einmal. Genau in demselben unveränderten Tone, wie ihn ein erfahrener Freund dem jüngeren Freunde gegenüber anwendet, sprach er:

»Ich will Ihnen noch einen letzten Rath geben. Sie reisen Ihrer Gesundheit wegen; lassen Sie sich nicht mit neugierigen Fremden in Gespräche ein – es möchten Physiologen darunter sein.«

Als Ovid wieder draußen war, sah er den Brief an den Doctor in Montreal an, und sein erster Gedanke war, denselben zu vernichten; aber auch er zögerte. Das Couvert war, entgegen dem Gebrauch in solchen Fällen, geschlossen, und das bestimmte ihn, die Empfehlung zu benutzen. Es sollte noch einige Zeit vergehen, ehe ihm die Ereignisse die Augen über die Wichtigkeit dieser seiner Entscheidung öffneten; aber nie sollte er vergessen, daß Benjulia nahe daran gewesen war, den Brief zu behalten, und wie wenig gefehlt, daß er selbst denselben zerrissen hätte.

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Дата выхода на Литрес:
06 декабря 2019
Объем:
490 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

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