Читайте только на ЛитРес

Книгу нельзя скачать файлом, но можно читать в нашем приложении или онлайн на сайте.

Читать книгу: «Herz und Wissen», страница 8

Шрифт:

Mit einer Gelassenheit, in der es ihr eine wirkliche Schwester Carmina’s, auch wenn dieselbe noch so schlicht gewesen wäre und ein noch so gutes Gewissen besessen hätte, nicht hätte zuvorthun können, entgegnete Miß Minerva:

»Mir ist die glückliche Gabe nicht zu Theil geworden, mich so ausdrücken zu können wie Sie, gnädige Frau. Wäre ich aber an Ihrer Stelle gewesen, so würde ich mich bemüht haben, so gütlich gekonnt hätte, dem Sinne nach dasselbe zu sagen, was Sie eben sagten.« Dazu neigte sie mit einer anmuthigen Gebärde der Hochachtung den Kopf und sah dann, während sie den Thee umrührte, Carmina mit mildem schwesterlichen Interesse an.

Mrs. Gallilee’s Versuch war also vollständig mißlungen, da er auch nicht die leiseste Spur von Eifersucht oder Verdruß hervorgerufen hatte. Obgleich sie unzweifelhaft die Gefühllosere und Falschere von beiden war und das gefährlichere täuschende Benehmen und die boshaftere Zunge hatte, so stand sie doch Miß Minerva gerade in dem für sie beide so wichtigen Talente der Selbstbeherrschung nach, und das zeigte sie sofort, indem ihre bisher zurückgedrängte Bosheit jetzt durch die Milde, sie verdecken sollende Außenseite zum offenen Durchbruch kam.

»Ich bin häufig geneigt, an mir zu zweifeln«, sagte sie, »und eine Ermuthigung wie die Ihrige gewährt mir immer Beruhigung. Ich verlange von Ihnen natürlich nichts weiter als einen guten Rath und erwarte selbstredend nicht, daß Sie Ovid überreden sollen.«

»Natürlich nicht!« stimmte Miß Minerva zu. »Darf ich Sie noch um etwas Zucker bitten?«

Mrs. Gallilee wandte sich an Carmina. »Nun, liebe Nichte, ich habe mit Dir gesprochen wie mit einer Tochter; sage auch Du mir nun freimüthig, ob ich auf Deine Hilfe rechnen kann.«

Noch bleich und gedrückt, gehorchte Carmina: »Ich werde thun, was ich kann, wenn Du es wünschest Aber —«

»Nun? Fahre fort.«

Als indes; Carmina immer noch zögerte, äußerte sie gütig: »Du fürchtest Dich doch nicht vor mir, mein Kind?«

Carmina fürchtete sich allerdings, aber sie beherrschte sich und sagte: »Sie sind Ovid’s Mutter und ich bin nur seine Cousine. Ich höre Sie deshalb ungern sagen, daß mein Einfluß über ihn größer sei als der Ihrige.«

Ohne es beabsichtigt zu haben, lag in dieser Antwort ein Verweis und Mrs. Gallilee fühlte das bei ihrer gegenwärtigen Gereiztheit.

»Na, na! meine Liebe, stelle Dich nur nicht so, als ob Du von nichts wüßtest«, bemerkte sie.

Jetzt sahen die beiden älteren Damen zum ersten Male, daß Carmina trotz ihres sanften Wesens gegen Beleidigungen empfindlich war. Dieselbe richtete sich auf und fragte, während ein edles Feuer ihre fest auf ihre Tante gerichteten Augen erhellte:

»Willst Du mich damit der Täuschung zeihen?«

»Nennen wirses falsche Schamhaftigkeit«, entgegnete Mrs. Gallilee.

Sofort erhob sich Carmina und ging, ohne weiter ein Wort zu sprechen, aus dem Zimmer.

»Ist sie zornig?« fragte Mrs. Gallilee, sich in ihrer Ueberraschung an ihre Gouvernante wendend.

»Sie hat die Thür nicht geschlagen, soviel ich gehört habe«, antwortete diese ruhig.

»Ich scherze nicht, Miß Minerva.«

»Ich auch nicht, gnädige Frau.«

Der Ton, in welchem diese Antwort gegeben wurde, sagte deutlich: »Du mußt nicht glauben, daß eine Dame, die von Dir Gehalt bezieht und Deine Kinder lehrt, deshalb unter Dich hinabsänke«, und Mrs. Gallilee war so erbost, daß sie ganz vergaß, wie wichtig es war, eine Unterredung zwischen Miß Minerva und ihrer Nichte zu verhindern. Sie war einmal das von Impulsen geleitete Weib, und der übermächtige Impuls, der sie jetzt beherrschte, war, die unverschämte Gouvernante von ihrem gastfreundlichen Tische zu entlassen.

»Darf ich Ihnen noch eine Tasse Thee anbieten?«

»Ich danke – nein. Erlauben Sie, daß ich zu meinen Schülerinnen zurückkehre?«

»Gewiß!«

Carmina war noch keine fünf Minuten in ihrem Zimmer, als an die Thür geklopft wurde.

Sollte ihre Tante ihr gefolgt sein? »Wer ist da?« fragte sie. Und eine Stimme draußen antwortete:

»Nur Miß Minerva!«

Capitel XVI

Ich fürchte, ich habe Sie erschreckt«, sagte die Gouvernante, sorgfältig die Thür schließend.

»Ich war allerdings ein wenig erschrocken«, antwortete Carmina naiv wie ein Kind, »da ich dachte, daß es meine Tante wäre.«

»Sie haben geweint?«

»Ich konnte nicht anders, Miß Minerva.«

»Mrs. Gallilee war ganz abscheulich gegen Sie, und es nimmt mich nicht Wunder, daß Sie aufgebracht sind.«

»Nein, ich habe geweint, weil ich mich schäme«, erklärte Carmina, mild den Kopf schüttelnd. »Wie kann ich meine Tante wieder versöhnen? Soll ich sofort wieder zu ihr gehen und sie um Verzeihung bitten? Sie sind meine Freundin, Miß Minerva? Wollen Sie mir rathen?«

Dies wurde so reizend und unschuldig vorgebracht, daß sogar die Gouvernante gerührt war – wenigstens für den Augenblick. »Soll ich Ihnen beweisen, daß ich Ihre Freundin bin?« meinte sie. »Dann rathe ich Ihnen, noch nicht zu Ihrer Tante zu gehen, und ich will Ihnen sagen warum. Mrs. Gallilee ist boshaft und eine Frau, die so leicht Nichts vergiebt; was ich am ersten würde fühlen müssen, wenn sie erführe, was ich Ihnen eben gesagt habe.«

»O, Miß Minerva! Sie glauben doch nicht, daß ich Ihr Vertrauen täuschen würde?«

»Nein, meine Freundin, das nicht. Ich habe mich vom ersten Augenblicke an zu Ihnen hingezogen gefühlt. Sie erwiderten das Gefühl nicht, sondern waren gegen mich eingenommen – natürlich, denn ich bin häßlich und übellaunig, und wenn etwas Gutes» in mir ist, so zeigt es sich doch nicht an der Oberfläche Ja! ja! Ich glaube, Sie überwinden dies Vorurtheil und fangen an, mich zu verstehen. Sollte ich Ihnen Ihr Leben hier mit der Zeit ein wenig erträglicher machen können, ich würde mich zu glücklich schätzen.« Damit nahm sie mit ihren langen gelben Händen Carminas Kopf und küßte sie auf die Stirn.

Diese schlang ihre Arme um Miß Minerva’s Hals und weinte sich aus am Busen derjenigen, die sie täuschte. »Jetzt, da Teresa fort ist, habe ich Niemanden mehr«, klagte sie. »O, versuchen Sie, mir gut zu sein – ich fühle mich so freundlos und verlassen!«

Miß Minerva rührte sich weder, noch sprach sie, sondern wartete, bis sich das junge Mädchen ausgeweint hatte. Ihre starren schwarzen Augenbrauen zogen sich zusammen, ihr blaßgelbes Gesicht nahm eine dunklere Färbung an – sie befand sich in einem Zustande der Auflehnung gegen sich selbst. Dieser unschuldige Ausbruch von Zutrauen und Kummer hatte sich durch alle die verhärtenden Einflüsse des Lebens, durch die eisernen Brustwehren gegen das Gute, die das Böse um eine schlechte Natur errichtet, seinen Weg gebrochen und die giftige innere Finsterniß für eine Weile durch göttliches Licht gereinigt. Sie war vorher in Verfolg ihrer eigenen niedrigen Interessen eingetreten. Gleich derjenigen, in deren Lohn sie stand, wurde sie von Schulden gedrückt, und zwar von erbärmlichen Schulden für kostspielige Toilettenwasser, die ihren häßlichen Teint in Ovid’s Augen erträglicher machen sollten; für kostbare Handschuhe, die Ovid die Form ihrer Hand zeigen und zugleich deren Farbe verbergen sollten; für die kokettesten Schuhe aus feinstem Leder, die Ovid verführen sollten, ihr hohes Spann und ihre zarten Knöchel zu beachten, die einzigen Schönheiten, die sie dem einzigen Manne, dem sie gefallen wollte, zeigen konnte. Für den Augenblick nun hörten die dringenden Gläubiger auf zu drohen – verlor Das, was sie während der Verlesung des Testamentes im Gewächshause gehört hatte, seinen versuchenden Einfluß. Sie blieb noch eine halbe Stunde – und verließ das Zimmer, ohne einen Pfennig geborgt zu haben.

»Ist Ihnen jetzt leichter«? fragte sie, als Carmina ihrer Thränen Herr geworden.

»Ja, liebe Freundin.«

Ihre Augen trocknend, sah sie schüchtern die Gouvernante an. »Ich habe Sie wie eine Schwester behandelt; Sie halten mich doch nicht für zu familiär?«

»Ich wollte, ich wäre Ihre Schwester, das weiß Gott!«

Sowie ihr die Worte aber aus dem Munde waren, erschrak sie über ihre Wärme und fragte plötzlich: »Soll ich Ihnen sagen, was Sie mit Ihrer Tante thun sollen? Schreiben Sie ihr einige Zeilen.«

»Ja, ja! und Sie wollen mir dieselben besorgen.« Dabei hellten sich ihre Augen durch die Thränen hindurch auf, eine solche Erleichterung gab ihr der Rath; und in einer Minute war der Brief geschrieben: »Liebe Tante, ich habe mich sehr häßlich benommen und schäme mich dessen unendlich. Darf ich von Deiner Nachsicht erwarten, daß Du mir vergeben wirst? Ich will mich in Zukunft ernstlich bemühen, Deiner Güte würdiger zu werden, und bitte Dich aufrichtig um Verzeihung.« In athemloser Hast setzte sie ihren Namen darunter und sagte dann dringend. »Bitte, bringen Sie es ihr sofort!«

»Wenn ich es überbringe«, entgegnete Miß Minerva lächelnd, »werde ich Böses statt Gutes stiften, denn man wird mir vorwerfen, mich eingemischt zu haben. Geben Sie es einem Diener; aber jetzt noch nicht. Mrs. Gallilee überwindet einen Aerger nicht so leicht, als Sie zu denken scheinen. Lassen Sie sie erst in die Wissenschaft pfuschen« (dies wurde mit unbeschreiblicher Verachtung gesprochen). »Wenn sie sich erst mit irgend einem ekelhaften Geruche halb betäubt, oder wenn sie erst irgend ein unglückliches Insekt oder eine Pflanze secirt hat, ist sie vielleicht besser bei Laune. Also warten Sie.«

Carmina dachte an die glücklichen Tage daheim in Italien, als ihr Vater noch über ihre kindlichen Ausbrüche von Laune gelacht und die gute Teresa nur die Achseln gezuckt hatte. O, welch ein Wechsel! Sie zog ein Medaillon aus dem Busen, das sie an einer dünnen goldenen Kette um den Hals trug, öffnete es und küßte das Glas über zwei in demselben befindlichen Miniaturportraits. »Möchten Sie die Bilder gern sehen?« fragte sie die Gouvernante. »Das Bild meiner Mutter hat mein Vater mir gemalt und dann sein Bild, das er deshalb hat machen lassen, dazu gefügt. Ich öffne sie immer, wenn ich bete; es ist mir, wenn ich sie ansehe, manchmal fast, als ob ich sie leibhaftig wieder hätte. O, wenn jetzt nur mein Vater hier wäre, um mir rathen zu können!« Das Herz schwoll ihr, aber sie hielt die Thränen zurück: solche Selbstbeherrschung lernte die Arme schon! »Vielleicht«, fuhr sie fort, »sollte ich gar keinen Rath nöthig haben. Wenn ich wirklich Ovid überreden könnte fortzugehen, müßte ich es nach jenem Anfalle im zoologischen Garten thun – und ich werde es thun!«

Diese Worte riefen in Miß Minerva die schlafende Eifersucht wieder wach; der gute Einfluß, welchen Carmina selbst hervorgebracht hatte, ließ nach; sie ging an’s Fenster und sah hinaus. Das plötzliche Schweigen ihrer neuen Freundin setzte Carmina in Verlegenheit und sie folgte derselben an’s Fenster.

»Haben Sie irgend etwas dagegen«, fragte sie.

»Nein«, gab Miß Minerva, ohne sich vom Fenster abzuwenden, kurz zur Antwort.

Carmina machte noch einen Versuch: »Außerdem muß ich doch auch die Wünsche meiner Tante berücksichtigen. Nach meinem häßlichen Benehmen —«

»Natürlich! Das steht über jedem Zweifel«, fiel Miß Minerva, sich umdrehend scharf ein. Dann aber milderte sich ihr Ton etwas: »Sie sind jung, Carmina – ich darf Sie ja wohl bei Ihrem Vornamen nennen – Sie sind jung und einfältig. Sehen Sie mit diesen unschuldigen Augen wohl je unter die Oberfläche?«

»Ich verstehe Sie nicht recht.«

»Meinen Sie, daß Ihre Tante nur aus Besorgniß um Mr. Ovid’s Gesundheit dessen Fortgang von London wünschte? Kommt es Ihnen nicht in den Sinn, daß sie ihn von Ihnen fern halten will?« Und als Carmina in einer Verlegenheit die sie nicht zu verbergen vermochte, mit ihrem Medaillon spielte, fragte sie: »Tragen Sie Bedenken, mir zu vertrauen?«

Dieser Vorwurf öffnete dem jungen Mädchen sofort die Lippen.

»Nein, aber ich scheue mich, Ihnen zu sagen, wie albern ich bin «, antwortete sie. »Vielleicht fühle ich noch etwas Fremdes zwischen uns. Es kommt mir so formell vor, Sie Miß Minerva zu nennen, aber ich kenne Ihren Vornamen nicht. Wollen Sie ihn mir nicht sagen?«

»Ich heiße Frances, aber nennen Sie mich ja nicht "Fanny!« erwiderte Miß Minerva ziemlich herb und unwirsch.

»Warum nicht?«

»Weil es zu absurd klingt. Bei dem Namen Fanny denkt man sich ein kokettes tänzelndes Wesen, rund, "hübsch und voll Heiterkeit!« Sie trat vor den Spiegel und zeigte verächtlich auf ihr Bild. »Wie reimt sich das mit diesem da? Nennen Sie mich Frances; das unterscheidet sich von dem Mannsnamen nur durch ein e und ist hart wie ich. Nun, was mochten Sie mir denn nicht von selbst sagen?«

Carmina dämpfte ihre Stimme zu einem Flüstern. »Wozu mich fragen, was ich an meiner Tante finde, oder nicht finde? Ich fürchte, wir werden einander nie das sein, was wir uns sein sollten. Als sie sich damals im Concerte neben mich setzte und mich ansah —« Hier hielt sie plötzlich inne und schaudertes bei der Erinnerung.

Miß Minerva munterte sie durch eine Gebärde auf fortzufahren, da das aber erfolglos war, bemerkte sie: »Man sagte, daß Sie infolge der Hitze ohnmächtig geworden seien«

»Ich fühlte keine Hitze, wohl aber ein Entsetzen mich überlaufen, und zwar ehe ich sie ansah – nur als ich merkte, daß Jemand bei mir saß. Und als ich mich umwandte und unsere Augen sich begegneten, verlor ich vollständig das Bewußtsein, als ob ich todt gewesen Ware. Ich kann es Ihnen nicht anders beschreiben. Es war eine schreckliche Ueberraschung und ein schrecklicher Schmerz, als man mich wieder zu mir brachte. So klein und schwach ich auch aussehe, bin ich doch stärker, als man denkt, und war noch nie vorher ohnmächtig geworden. Mit meiner Tante ist seitdem für mich, wenn ich so sagen soll, schwer auszukommen. Habe ich etwas Gottloses an mir? Ich glaube, sie fühlt mir gegenüber gerade so. Ja; vielleicht ist es nur Einbildung, aber es ist trotzdem ebenso schlimm, als wenn es Wirklichkeit wäre. O, ja, Sie haben jedenfalls Recht – sie will Ovid von mir fern halten!«

»Weil sie Sie nicht leiden möchte?« fragte Miß Minerva. »Ist das der einzige Grund, den Sie sich denken können?«

»Was für einen Grund könnte sie sonst haben?«

»Manche Leute sind gegen Heirathen zwischen Cousins und Cousinen – und Sie sind seine Cousine. Ebenso sind manche gegen Heirathen unter Katholiken und Protestanten – und Sie sind Katholikin, und —« Doch nein, Miß Minerva konnte sich nicht direct auf ihn beziehen. »Möglich, das; noch irgend ein anderer Grund vorliegt«, schloß sie.

»Wissen Sie, was für einer etwa?« fragte Carmina.

»Nicht mehr als Sie« Und damit sprach sie allerdings die Wahrheit, denn da sie sich nach dem Anschlagen des Hundes vor einer Entdeckung hatte sichern müssen, hatte sie die letzten Clauseln des Testamentes nicht gehört.

»Können Sie sich auch nicht denken, was für ein Grund das wohl sein könnte?« fragte Carmina wieder.

»Mrs. Gallilee ist sehr ehrgeizig und wünscht vielleicht ihren Sohn, der selbst Vermögen besitzt, mit einer Dame von hohem Range zu verheirathen. Doch – nein – Geld ist bei ihr die Hauptsache, und das muß jedenfalls damit zu thun haben.«

»Aber wie?«

Miß Minerva schwieg einen Augenblick als ob sie erwarte, daß ihre junge Freundin fortfahren würde, da aber Carmina nichts weiter hinzufügte antwortete sie kalt: »Ich weiß nicht.«

Hier wurde ihre Unterhaltung durch das Erscheinen der Jungfer unterbrochen, durch welche Miß Maria die Gouvernante um Hilfe bei ihrer lateinischen Aufgabe bitten ließ. Beim Fortgehen fiel Miß Minerva’s Blick auf Carmina’s vorhin geschriebenen Brief, den die Jungfer ja jetzt abgeben konnte. »Ist Mrs. Gallilee zu Hause?« fragte sie, erhielt aber die Antwort, daß dieselbe eben ausgegangen sei. »Wahrscheinlich zu irgend einer Vorlesung«, bemerkte Miß Minerva gegen Carmina »Ihr Brief muß warten, bis sie zurückkommt.«

Als sich die Thür hinter der Gouvernante geschlossen hatte, brachte die zurückgebliebene Jungfer ein bis jetzt verborgen gehaltenes, zusammengefaltetes Blatt Papier zum Vorschein, das sie Carmina lächelnd überreichte.

»Von Mr. Ovid, Miß.«

Capitel XVII

Das Billet lautete: »Bitte, kommen Sie; ich warte auf Sie in den Anlagen!«

Die Jungfer, die sich für ein Stelldichein, das in ihrer eigenen Erfahrung nicht ohne Präcedenz war, interessierte, wagte ihre Sympathie auszudrücken. »Entschuldigen Sie, Miß, Mr. Ovid ist doch hoffentlich nicht krank?« fragte sie. »Er sah ganz bleich aus, fand ich. Hier ist Ihr Hut.«

Carmina dankte ihr und eilte hinunter. Ovid sah wirklich ganz« leidend aus, als er sie an dem Eingange zu den Anlagen empfing, und ihre Fragen schienen ihn nur zu reizen. »Ich bin schon besser, da Sie gekommen sind«, entgegnete er auf ihre Fragen und führte sie zu einem zwischen Bäumen versteckten Sitze. Die Anlagen waren um diese späte Stunde fast leer; zwei ältere Damen, die sich wahrscheinlich in Erinnerung ihrer eigenen Jugendzeit abseits von ihnen hielten, und ein Knabe, den die Takelung eines Schiffsmodelles ganz in Anspruch nahm, waren außer ihnen die einzigen Besuchen.

»Weiß meine Mutter um Ihr Kommen?« fragte Ovid.

»Sie ist ausgegangen. Ich kam nach Empfang Ihres Billets ohne weiteres Ueberlegen hierher. Ist es Unrecht von mir?«

Ovid ergriff ihre Hand. »Ist es Unrecht, mich von Besorgnissen zu befreien, die zu ertragen ich nicht den Muth besitze? Wenn wir uns im Hause treffen, sind wir sicher, daß uns entweder meine Mutter oder ihre gehorsame Dienerin, Miß Minerva, stören werden. Endlich habe ich Sie, liebe Cousine, ganz für mich! Sie wissen,’daß ich Sie liebe. Warum vermag ich Ihnen nicht in’s Herz zu sehen und zu entdecken, was es vor mir verborgen hält? Ich bemühe mich zu hoffen, aber ich bedarf einer Ermuthigung Carminal werde ich je aus Ihrem Munde hören, daß Sie mich lieben?«

Das Mädchen dachte an die Worte der Gouvernante und an ihr jeder Sympathie ermangelndes Verhältniß zu ihrer Tante und wandte erbebend den Kopf.

»Ich verstehe Ihr Schweigen«, sagte er, ihre Hand loslassend und den Blick von ihr abwendend, traurig, aber ohne Bitterkeit.

Sie suchte nach einer Entschuldigung zeigte aber nur zu offen, wie sie ihn bemitleidete. »Wenn ich nur an mich zu denken brauchte —« Die Stimme versagte ihr, aber in seine Augen kam neues Leben und auf seinem angegriffenen Gesichte erschien die Farbe wieder.

»Ich fürchte so, Ihnen wehe zu thun, Ovid, und möchte um Alles nicht die Ursache einer Entzweiung zwischen Ihnen und Ihrer Mutter sein —«

»Was hat meine Mutter damit zu thun?«

»Sie werden mich nicht für undankbar halten?« fuhr sie fort, ohne auf seine Unterbrechung zu achten. »Wir sollten lieber von etwas Anderem sprechen. Heute Abend ließ Ihre Mutter mich rufen und – seien Sie nicht böse! – aber ich fürchte, sie würde angehalten sein, wenn sie wüßte, was Sie mit mir gesprochen haben. Oder habe ich Unrecht? Vielleicht hält sie mich nur für zu jung. O, wie Sie mich ansehen, Ovid! Ihre Mutter hat das nicht in so vielen Worten gesagt —«

»Was hat sie denn gesagt?«

Diese Frage gab dem jungen Mädchen Gelegenheit, von etwas Anderem als von Liebe zu sprechen. »Sie müßten ein anderes Klima aufsuchen, und sie meinte, ich sollte Sie dazu überreden, ein Wunsch; den ich von ganzem Herzen erfülle. Lieber Ovid, Sie wissen, wie ich Sie vermissen werde, welch ein Verlust es für mich sein wird, wenn Sie fortgehen – aber es giebt für Sie nur den einen Weg wieder gesund zu werden. Ich bitte Sie, thun Sie es! Ihre Mutter meint, ich hätte Einfluß über Sie – habe ich das?«

»Sie sollen selbst urtheilen«, antwortete er. »Sie wünschen, daß ich Sie verlasse?«

»Zu Ihrem eigenen Besten – ganz allein Ihretwegen.«

»Wünschen Sie auch, daß ich wieder zurückkomme?«

»Es ist grausam, so zu fragen!«

»Es hängt von Ihnen ab, Carmina. Schicken Sie mich fort, wann und wohin Sie wollen; ehe ich aber gehe, muß ich wissen, weshalb ich dies Opfer bringe. Keine Veränderung wird mir nützen, kein Klima meine Gesundheit wiederherstellen – wenn Sie mir nicht Ihre Liebe schenken. Ich bin alt genug, um mich zu kennen, und habe Tag und Nacht daran gedacht. Ist es grausam von mir, Sie in dieser Weise zu drängen? Nur noch ein Wort: Es ist mir einerlei, was aus mir wird – wenn Sie mir Ihre Hand verweigern.«

Carmina, der jede Erfahrung, jeder Rath fehlte und deren eigenes Herz gegen ihr Schweigen protestierte, fühlte den Zwang, den sie sich auferlegt hatte, fast unerträglich werden und die Thränen traten ihr in die Augen. Der Anblick derselben erbitterte ihn gegen seine Mutter, sein Gesicht wurde finster, er erhob sich und ging, mit sich selbst kämpfend, vor ihr auf und ab.

»Das ist das Werk meiner Mutter«, sagte er in einem Tone, der sie erschreckte und in ihr die Furcht, welche sie die ganze Zeit über Beherrscht hatte, daß sie die Ursache einer Entfremdung zwischen Mutter und Sohn werden könnte, plötzlich so mächtig machte, daß sie sogar Mrs. Gallilee zu vertheidigen suchte. Bei den ersten Worten, die sie sprach, setzte er sich wieder zu ihr, prüfte einen Moment ihr Gesicht und bereute seine Strenge sofort.

»Armes Kind, Sie fürchten sich, mir zu sagen, was vorgefallen ist«, sagte er. »Es wäre grausam und nutzlos, wenn ich Sie drängen wollte, gegen Ihren Willen zu sprechen – endlich leuchtet mir die Wahrheit ein. Meine Mutter steht meiner höchsten Hoffnung im Leben feindlich gegenüber und will uns trennen. Aber das soll ihr nicht gelingen – ich werde Sie nicht verlassen.«

Verwirrt und beschämt sah er fort, als Carmina ihn ansah, so daß sie fragte: »Sind Sie ungehalten auf mich?«

Hätte irgend ein Vorwurf sein Herz so berühren können, wie diese Frage es that?

»Ungehalten auf Sie? O, wenn Sie wüßten, wie ungehalten ich auf mich selbst bin! Es schneidet mir in’s Herz, wenn ich sehe, wie ich Sie betrübt habe. Ich bin ein elender Egoist, der Ihrer Liebe nicht werth ist. Vergeben Sie mir und vergessen Sie mich. Es soll Ihnen die beste Sühne werden, die ich geben kann – ich werde morgen abreisen.«

Mit einem leisen Aufschrei der Liebe und Angst schlang das junge Mädchen ihre Arme nm seinen Hals und drückte ihre brennende Wange an sein Gesicht; der schweren Versuchung gegenüber hatte sie ihre Selbstbeherrschung bewahrt, hatte ihm und sich selbst widerstanden, seine plötzliche Nachgiebigkeit entwaffnete sie in einem Augenblicke. »Ich kann nicht anders«, flüsterte sie; »o, Ovid, verachte mich deshalb nicht!« Er zog sie an sich und drückte seine Lippen auf die ihrigen. »Küsse mich«, sagte er, und sie küßte ihn, in seinen Armen erhebend. Ihre unschuldige Hingabe aber verfehlte ihre Wirkung auf ihn nicht; er machte seine Arme los und behielt nur ihre Hand in der seinigen, dann folgte ein Schweigen – ein langes, glückliches Schweigen.

Er war der Erste, der dasselbe brach. »Wie kann ich jetzt fortgehen!« sagte er, so daß sie über das leichtsinnige Vergessen seines vorhin abgegebenen Versprechens lächeln mußte.

»Weißt Du schon nicht mehr«, fragte sie scherzhaft, was Du mir soeben erst gesagst hast?« Dann machte das Lächeln einem Ausdrucke zärtlicher Bitte Platz und sie fuhr fort: »Gieb mir ein Beispiel von Festigkeit, Ovid – und überlaß das nicht allein mir! Denke daran, welches Bekenntniß Du mir entrungen hast – was für ein Interesse ich jetzt an Dir habe. Ich liebe Dich, Ovid – sage, daß Du abreisen willst.«

»Mein Leben ist Dein und mein Wollen ist Dein; entscheide für mich, und ich werde die Reise antreten.«

Unter dem Gefühle dieser neuen Verantwortlichkeit antwortete sie ihm mit einem Ernst, als ob sie seine Frau gewesen wäre: »Ich muß Dir Zeit gewähren, Deine Sachen zu packen.«

»Sage, Zeit bei Dir zu sein!«

Da sie in Gedanken versunken schien, so fragte er, ob sie noch darüber nachdenke, wann sie ihn fortschicken solle. »Nein«, antwortete sie; »das ist es nicht. Ich wunderte mich über mich selbst. Wie kommt nur ein großer Mann wie Du dazu, mir so gut zu sein?«

Sein Arm stahl sich um ihren Leib, er konnte sie in der unter den Bäumen bereits herrschenden Dunkelheit eben sehen; außer dem Murmeln der Blätter war kein Laut in ihrer Nähe zu vernehmen und er küßte ihr Gesicht und küßte es wieder. Sie seufzte leicht. »Mach’ es mir nicht zu schwer, Dich fortzuschicken!« flüsterte sie. Dann erhob er sie, legte ihren Arm in den seinigen und sagte: »Komm’, laß uns etwas in der kühlen Luft spazieren gehen.«

Ihr Gespräch wandte sich wieder seiner Abreise zu und sie fragte ihn, ob es zu früh sein würde, wenn er seine Reise am Sonnabend anträte. Nein, antwortete er, er fühle es gleichfalls, daß die Trennung durch längeres Hinausschieben nur schwerer gemacht werden würde.

»Hast Du schon daran gedacht, wohin Du gehen willst«? fragte sie.

»Den Anfang muß ich mit einer Seereise machen«, erwiderte er, »da mir langes Fahren auf der Eisenbahn in meinem jetzigen Zustande nur nachtheilig sein würde. Die Schwierigkeit ist nur, wohin ich gehen soll. In Amerika bin ich gewesen, Indien ist zu heiß, Australien zu weit. Benjulia meinte nach Canada.«

Beim Vernehmen dieses Namens drückte ihre Hand mechanisch seinen Arm.

»Ein sonderbarer Mensch!« sagte sie. »Sogar sein Name berührt einen eigenthümlich. Ich weiß kaum, was ich von ihm halten soll. Schien er doch für den Affen mehr Gefühl zu haben als für Dich oder mich; gewiß war es Barmherzigkeit von ihm, das arme Thier mit nach Hause zu nehmen und zu versuchen, ob er ihm helfen könne. Bist Du sicher, daß er ein großer Chemiker ist?«

Solch eine Frage im Munde Carmina’s klang Ovid seltsam und er blieb stehen. »Weshalb zweifelst Du daran«? fragte er zurück.

»Wirst Du mich nicht auslachen, Ovid?« »Du weißt, daß ich das nicht thun werde!«

»Nun höre. In Rom kannten wir einen berühmten italienischen Chemiker, einen prächtigen alten Herrn, der mit meinem Vater gern Piquet spielte. Ich sah ihnen gewöhnlich zu, um es zu lernen, war aber zu dumm dazu. Die Hände unseres alten Freundes nun waren ganz voll Flecke, und als er mich einmal dabei ertappte, wie ich dieselben ansah, erzählte er mir, ohne im mindesten beleidigt zu sein, daß die Flecke von seinen Experimenten herrührten und auf keine Weise wieder fortzubringen seien. Als Doctor Benjulia Dir neulich den Branntwein gab, sah ich seine großen Hände und es fiel mir späterhin ein, daß auf denselben durchaus keine Flecke zu sehen waren. Ich scheine Dich zu überraschen.«

»Das thust Du in der That. Ich kenne Benjulia schon seit Jahren und habe nie auf das geachtet, was Dir gleich bei der ersten Begegnung mit ihm aufgefallen ist.«

»Vielleicht besitzt er ein Verfahren, die Flecke fortzubringen.«

Ovid stimmte dem zu, weil er damit dies Thema auf die bequemste Weise fallen lassen konnte; aber Carmina hatte ihn wirklich stutzig gemacht und er konnte die unbestimmten Gedanken, welche die Aufmerksamkeit des großen Chemikers gegen den Affen und die auffallende Reinheit seiner Hände in einen irrationellen Zusammenhang brachten, nicht los werden; nie vorher hatten ihn seine stillen Zweifel an Benjulia so beunruhigt als jetzt. Er wandte sich, um Trost zu finden, an Carmina.

»Noch immer nachdenklich mein Lieb?«

»Ich denke an Dich«, antwortete sie. »Ich möchte ein Versprechen von Dir haben – und scheue mich Dich darum zu bitten.«

»Du scheust Dich? Also liebst Du mich doch nicht?«

»Jetzt muß ich es allerdings sofort sagen! Wie lange gedenkst Du fortzubleiben?«

»Zwei bis drei Monate vielleicht.«

»Versprich mir, bis zu Deiner Rückkehr Deiner Mutter nichts davon zu sagen, daß wir —«

»Daß wir verlobt sind?«

»Ja.«

»Das Versprechen hast Du; aber Du machst mich unruhig, Carmina.«

»Warum?«

»Du wirst in meiner Abwesenheit unter der Obhut meiner Mutter stehen, und magst dieselbe nicht leiden.«

Das waren verfängliche Worte. Gab sie es zu, so konnte er sich wohl gar weigern, sie zu verlassen, oder falls er sich beherrschen sollte würden ihn Besorgnisse begleiten, die vielleicht die gute Wirkung der Reise auf’s Schlimmste beeinträchtigten. Eine Täuschung stand außer Frage. Erst heute Abend hatte sie mit seiner Mutter gezankt, und wußte noch nicht, ob dieselbe ihr vergeben hatte. Betrug war ihr im innersten Herzen verhaßt und andererseits begehrte sie von ganzem Herzen, ihn zu beruhigen. Was war in dieser schwierigen Lage das Richtige? Wie sich Eva von der Schlange überreden ließ, so Carmina von der Liebe. Die Liebe fragte sie, ob sie die Grausamkeit begehen wolle, den Geliebten ihres Herzens elend zu machen, und sie hatte schon angefangen, ihn zu täuschen, ehe sie selber sich dessen noch bewußt war.

»Du bist beinahe so grausam gegen mich, als ob Du Doctor Benjulia selbst wärst«, sagte sie. »Ich fühle die Ueberlegenheit Deiner Mutter – und Du sagst, ich möchte sie nicht leiden. Hast Du nicht gesehen, wie gut sie gegen mich gewesen ist?«

Aber obgleich sie diese Weise der Behandlung der Sache für unwiderstehlich gehalten hatte, so machte sie doch auf Ovid gar keinen Eindruck, und sie mußte weiter auf dem Wege der Täuschung.

»Hast Du nicht meine reizenden Zimmer, mein Piano, meine Gemälde, das Porzellan und all die Blumen gesehen? Ich müßte ja das gefühlloseste Geschöpf von der Welt sein, wenn ich gegen Deine Mutter keine Dankbarkeit empfände.«

»Und doch fürchtest Du Dich vor ihr.«

»Nein, sage ich«, erwiderte sie, ungeduldig seinen Arm schüttelnd.

»Ich bleibe dennoch dabei, denn warum wünschest Du ihr unsere Verlobung zu verheimlichen, wenn Du Dich nicht vor ihr fürchtest?«

»Muß ich Dich wieder an vorhin erinnern?« gab sie zurück, sich mit weiblicher Schlauheit vor seiner Logik hinter seinen eigenen Ausspruch verschanzend. »Du sagtest doch, daß Deiner Mutter daran läge, uns zu trennen; habe ich da nicht einen guten Grund, wenn ich nicht wünsche, daß sie jetzt schon etwas von unserer Verlobung erfahre?« Dabei lehnte sie ihren Kopf liebkosend auf seine Schulter. »Sage mir«, fuhr sie dann fort, »erwartet Deine Mutter nicht, daß Du eine bessere Partie machen sollst, als Du mit mir machen wirst?«

Es ließ sich unmöglich leugnen, daß Mrs.Gallilee’s Ansichten diese Frage rechtfertigen konnten; denn hatte sie ihm nicht mehr als einmal gerathen, noch einige Jahre zu warten, ehe er an’s Heirathen dächte – mit anderen Worten also solange, bis er die höchsten Ehren seines Berufes erlangt hätte? Aber er hielt Carmina zu hoch, um sie durch Vergleichung mit anderen, weß Ranges sie auch sein mochten, herabzuwürdigen.

»Meine Mutter kann gar keine bessere Partie für mich wünschen«, gab er ihr zur Antwort. »Ich möchte nur, daß ich sicher sein könnte, Dich bei einer Freundin, der Du Vertrauen und Liebe schenkst, zu wissen, wenn ich Dich bei ihr zurücklasse.«

Возрастное ограничение:
0+
Дата выхода на Литрес:
06 декабря 2019
Объем:
490 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

С этой книгой читают