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Читать книгу: «Die neue Magdalena», страница 21

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»Es ist die einzige Sühne, Lady Janet, die mir übrig bleibt.«

»Ich sehe da vor Ihnen einen zweiten Brief. Ist das der meine?«

»Ja.«

»Haben Sie ihn gelesen?«

»Ja, ich habe ihn gelesen.«

»Haben Sie Horace Holmcroft gesehen?«

»Ja.«

»Haben Sie es ihm gesagt —«

»O, Lady Janet!«

»Unterbrechen Sie mich nicht. Haben Sie Horace Holmcroft gesagt, was ich Ihnen in meinem Briefe verboten habe, ihm oder irgend einem lebenden Wesen mitzuteilen? Ich verlange keine Vorstellungen und Entschuldigungen. Antworten Sie mir sofort; und mit einem Wort – Ja oder Nein.«

Selbst diese hochmütige Sprache, dieser erbarmungslose Ton vermochten nicht, in Mercy das geheiligte Andenken an die einstige Güte und Liebe zu vernichten. Sie fiel auf die Knie – ihre ausgestreckten Arme berührten Lady Janets Kleid, diese zog ihr Kleid rasch zurück und wiederholte finster ihre letzten Worte.

»Ja oder Nein?«

»Ja.«

Sie hatte es endlich gestanden! Dafür also war Lady Janet gegen Grace Roseberry nachgiebig gewesen; dafür hatte sie Horace Holmcroft beleidigt; dafür hatte sie sich zum ersten Male zu entwürdigendem Versteckenspielen und einem Vergleiche herbeigelassen, über den sie Scham empfinden musste. Für all ihre Leiden und Opfer hatte sie jetzt nichts, als den Anblick eines Wesens, das, im Bewusstsein der Übertretung eines Gebotes, hier vor ihr auf den Knien lag, das ihre Gefühle mit Füßen trat und ihr das Haus verödete! Und wer war diejenige, die das getan? Es war dieselbe, welche den Betrug begangen und darin verharrt hatte, bis ihre Wohltäterin ihre Mitschuldige geworden war. Dann, erst dann hatte sie es plötzlich als ihre heilige Pflicht erkannt, die Wahrheit zu bekennen!

In stolzem Schweigen empfing die große Dame den Schlag, der sie getroffen; in stolzem Schweigen kehrte sie ihrer Pflegetochter den Rücken und schritt nach der Tür.

Mercy wandte sich noch einmal flehend an die gütige Freundin, die sie gekränkt – an die zweite Mutter, die sie geliebt hatte.

»Lady Janet! Lady Janet! Gehen Sie nicht fort von mir, ohne ein Wort des Abschiedes. O, haben Sie nur ein wenig Mitleid mit mir! Ich kehre in ein Leben voller Demütigung zurück – der Schatten einer früheren Schmach deckt mich von neuem. Wir werden uns niemals wiedersehen. Wenn ich es auch nicht verdient habe, lassen Sie sich von meiner Reue bewegen! Sagen Sie, dass Sie mir verzeihen!«

Lady Janet wandte sich auf der Schwelle um.

»Undank verzeihe ich nie«, sprach sie. »Gehen Sie zurück in das Besserungshaus.«

Die Tür fiel hinter ihr ins Schloss. Mercy war allein. Ohne Verzeihung von Horace, ohne Verzeihung von Lady Janet! Sie presste die Hände an ihre brennende Stirn – und versuchte zu denken. O, die kühle Nachtluft! Das freundliche Obdach des Besserungshauses! Das war nur das Sehnen in ihrer Brust; denken konnte sie nicht.

Sie zog die Glocke – und fuhr erschrocken zusammen, als sie es getan. Hatte sie noch ein Recht, sich diese Freiheit zu erlauben? Daran hätte sie vorher denken sollen. Gewohnheit – alles Gewohnheit. Wie viel hundertmal hatte Sie in Mablethorpe-House die Glocke gezogen!

Der Diener trat ein. Sie setzte ihn in Erstaunen – sie sprach so furchtsam zu ihm; ja entschuldigte sich, dass sie ihn bemühte!

»Es tut mir leid, dass ich Ihnen unbequem sein muss. Wollen Sie so gut sein, der Dame zu sagen, dass ich für sie bereit bin?«

»Warten Sie noch mit dem Ausrichten dieses Auftrages«, sprach eine Stimme hinter ihnen, »bis Ihnen wieder geklingelt wird.«

Mercy blickte erstaunt empor. Julian war durch die Tür des Speisezimmers wieder hereingetreten.

24.
Die letzte Prüfung

Der Diener verschwand und ließ sie allein beisammen. Mercy sprach zuerst.

»Mister Gray!« rief sie aus, »weshalb haben Sie meinen Auftrag auszurichten verschoben? Wüssten Sie alles, was ich weiß, Sie würden erkennen, dass es nicht gütig von Ihnen gehandelt ist, mich hier zurückzuhalten.«

Er trat näher an sie heran – ihre Worte überraschten, ihr Blick beunruhigte ihn.

»Ist in meiner Abwesenheit jemand hier gewesen?« fragte er.

»Lady Janet war hier. Ich kann nicht sprechen – mein Herz ist zermalmt – ich kann nichts mehr ertragen. Lassen Sie mich gehen!«

So kurz die Antwort gewesen, sie hatte Julian genug gesagt. Wie er Lady Janets Charakter kannte, wusste er jetzt, was geschehen war. Sein Gesicht verriet unverhohlene Enttäuschung und Betrübnis.

»Ich hatte gehofft, bei Ihnen zu sein, wenn Sie mit Lady Janet zusammentreffen und wollten den Auftritt verhindern«, sprach er. »Glauben Sie mir, sie wird alles, was sie jetzt Hartes und Voreiliges getan, wieder gut machen, sobald sie nur erst Zeit gehabt hat, nachzudenken. Versuchen Sie, milde darüber zu urteilen, dass sie Ihnen Ihr schweres Opfer noch schwerer gemacht hat. Sie sind dadurch nur noch höher gestiegen – vor mir sind Sie nun noch edler, mir noch teurer geworden. Verzeihen Sie, wenn ich dies so in klaren Worten bekenne. Ich kann mich nicht zurückhalten – mein Gefühl ist zu mächtig.«

Sonst würde Mercy wohl das hervordrängende Geständnis in seiner Stimme gehört, in seinen Augen gelesen haben. Jetzt war ihre Einsicht betäubt, ihr Scharfblick abgestumpft. Sie hielt ihm die Hand hin, als fühlte sie unbestimmt, dass er gütiger als je gegen sie sei – aber mehr fühlte sie nicht.

»Zum letztenmale muss ich Ihnen danken«, sprach sie. »So lange ich lebe, wird auch die Dankbarkeit in mir fortleben. Lassen Sie mich gehen. So lange ich mich noch in der Gewalt habe, lassen Sie mich gehen!«

Sie wollte von ihm fort und an der Glocke ziehen. Er hielt sie fest bei der Hand und zog sie näher an sich.

»In das Besserungshaus?« fragte er.

»Ja!« sagte sie. »Wieder nach Hause!«

»Sprechen Sie nicht so!« rief er aus. »Ich kann es nicht hören. Nennen Sie das Besserungshaus nicht Ihr Heim!«

»Wo ist es sonst? Wohin kann ich sonst gehen?«

»Deswegen bin ich gekommen, um Ihnen das zu sagen. Erinnern Sie sich, ich wollte Ihnen einen Vorschlag machen?«

Sie fühlte den glühenden Druck seiner Hand; sie sah, wie das aufsteigende Entzücken in seinen Augen flammte. Ihr müder Geist richtete sich ein wenig auf. Sie begann zu zittern unter dem magnetischen Einfluss seiner Berührung.

»Einen Vorschlag machen?« wiederholte sie. »Was kann man da vorschlagen?«

»Lassen Sie mich meinerseits eine Frage an Sie stellen. Was haben Sie heute getan?«

»Sie wissen, was ich getan – es ist Ihr Werk«, antwortete sie demütig. »Warum kommen Sie jetzt darauf zurück?«

»Ich komme zum letztenmale darauf zurück; und dies in einer Absicht, die Sie bald begreifen werden. Sie haben Ihre Heirat aufgegeben; Sie haben die Liebe Lady Janets verscherzt; alle Ihre Aussichten für ein Fortkommen in der Welt sind zerstört – Sie kehren jetzt voll Selbstverleugnung in ein Leben zurück, das Sie selbst als ein hoffnungsloses geschildert haben. Und das alles haben Sie freiwillig getan – in einem Augenblicke, wo Ihre Stellung hier im Hause eine vollständig gesicherte war – nur um der Wahrheit willen. Sagen Sie mir, kann ein Weib, das dieses Opfer zu bringen im Stande ist, sich als des Vertrauens unwürdig erweisen, das ein Mann mit der Übertragung seiner Ehre und seines Namens in sie setzt?«

Endlich verstand sie ihn. Mit einem Aufschrei riss sie sich von ihm los. Die Hände zusammengeschlagen stand sie zitternd, den Blick auf ihn gerichtet, da.

Er ließ ihr keine Zeit zu denken. Ohne dass er sich selbst eines Wollens oder auch nur einer besonderen Tat bewusst wurde, flossen ihm die Worte von den Lippen.

»Mercy, vom ersten Augenblicke an, als ich Sie sah, habe ich Sie geliebt! Sie sind frei; ich darf es gestehen; ich darf Sie fragen: Wollen Sie meine Frau sein?«

Weiter und weiter zog sie sich vor ihm zurück, die Hand mit einer milden, flehenden Gebärde gegen ihn erhebend.

»Nein! Nein!« rief sie. »Bedenken Sie, was Sie sagen! Bedenken Sie das Opfer, das Sie brächten! Es kann, es darf nicht sein.«

Auf sein Gesicht lagerte sich der Schatten einer plötzlich aufgestiegenen Befürchtung. Er ließ den Kopf auf die Brust sinken; und seine Stimme klang so leise, dass Mercy sie kaum hören konnte.

»Ich hatte etwas vergessen«, sprach er. »Sie haben mich daran erinnert.«

Sie wagte sich wieder mehr in seine Nähe. »Habe ich Ihnen wehe getan?«

Er lächelte traurig. »Sie haben mich aufgeklärt. Ich hatte vergessen, dass Liebe für Sie noch kein Grund sei, um Ihrerseits ein gleiches Gefühl für mich zur Folge zu haben. Sagen Sie, dass dem so ist, Mercy, und ich gehe.«

Ein schwacher Schimmer von Rot bedeckte ihr Gesicht – verschwand dann wieder und machte einer tiefen Blässe Platz. Ihre Augen hefteten sich unter seinem erregten Blick schüchtern auf den Boden.

»Wie kann ich das?« antwortete sie einfach. »Welches Weibes Herz könnte in meiner Lage Ihnen widerstehen?«

Er trat erregt vor; in atemlosem, sprachlosem Jubel streckte er ihr die Arme entgegen. Sie zog sich abermals vor ihm zurück, mit einem Blicke, der ihn mit Entsetzen erfüllte – einem Blicke reiner Verzweiflung.

»Kann ich Ihre Frau werden?« fragte sie. »Muss ich Sie daran erinnern, was Sie Ihrer hohen Stellung, Ihrer makellosen Reinheit, Ihrem geachteten Namen schuldig sind? Bedenken Sie, was alles Sie für mich getan haben und welch schmählicher Undank es wäre, wollte ich durch meine Einwilligung zu einer Verbindung mit Ihnen Ihre Existenz für ewige Zeit zerstören – wollte ich in grausamer, leichtfertiger Selbstsucht Sie mit auf die Stufe hinabziehen, auf der ich stehe.«

»Ich hebe Sie auf meine Stufe empor, wenn ich Sie zu meiner Frau mache«, antwortete er. »Um des Himmelswillen, seien Sie gerecht! Reden Sie mir nicht von der Welt und ihrer Meinung. Bei Ihnen, einzig und allein, bei Ihnen steht es, mich elend oder glücklich zu machen. Die Welt! Guter Gott! Welchen Ersatz kann mir die Welt für Sie gewähren?«

Flehend schlug sie die Hände zusammen; die Tränen rollten ihr über die Wangen herab.

»O, haben Sie Mitleid mit meiner Schwäche!« rief sie. »Gütigster, bester aller Menschen, helfen Sie mir, dass ich meine schwere Pflicht gegen Sie erfülle! Sie ist so schwer, nach allem, was ich gelitten – mein Herz schmachtet nach Frieden, Glück und Liebe!« Sie bezwang sich, von Schauder ergriffen über die Worte, die ihr entschlüpft waren. »Erinnern Sie sich, wie Mister Holmcroft mich behandelt hat, wie Lady Janet von mir gegangen ist! Erinnern Sie sich dessen, was ich Ihnen von meinem Leben erzählt habe! Von jedem, der Sie kennt, würde um meinetwillen Hohn und Schmach Sie treffen. Nein! Nein! Nein! Kein Wort mehr. Schonen – bemitleiden – verlassen Sie mich!«

Die Stimme versagte ihr; sie konnte vor Schluchzen nicht weiter sprechen. Er sprang auf und nahm sie in seine Arme. Sie war unfähig, ihm Widerstand zu leisten; allein nicht freiwillige Hingabe war es, die es geschehen ließ. Ihr Kopf lag an seiner Brust, leblos – furchtbar leblos, wie der Kopf einer Leiche.

»Mercy! Mein Liebling! Wir wollen fort – aus England fort – unter fremden Menschen, in einer neuen Welt Zuflucht suchen – ich will den Namen wechseln – mit Verwandten, Freunden, mit jedermann brechen. Alles, alles, nur Sie nicht verlieren!«

Sie hob langsam den Kopf empor und blickte ihn an.

Plötzlich ließ er sie los; wie von einem Schlage getroffen, taumelte er zurück und fiel in einen Stuhl. Ehe sie noch ein Wort gesprochen, las er den furchtbaren Entschluss in ihren Zügen – lieber den Tod, als ihrer Schwäche nachgeben und Schmach über ihn bringen.

So stand sie, die Hände leicht vor sich geschlossen. Ihr schöner Kopf war emporgerichtet; ihre sanften, grauen Augen blickten wieder unverhüllt. Die Tränen waren getrocknet; der Sturm hatte sie gerüttelt und war nun vorbei. Eine traurige Gelassenheit lag auf ihrem Gesichte; sanfte Ergebung in ihrer Stimme. Es war die Ruhe einer Märtyrerin, die aus ihren letzten Worten zu ihm sprach:

»Ein Weib, das mein Leben gelebt, das gelitten, was ich gelitten habe, darf Sie lieben – wie ich Sie liebe – aber sie kann nicht Ihre Frau sein. Dieser Platz ist zu hoch über ihr. Jeder andere ist zu tief unter ihr und zu tief unter Ihnen.«

Sie hielt inne; sich der Glocke nähernd, gab sie das Zeichen, dass der Augenblick der Trennung gekommen sei. Dann lenkte sie ihre Schritte langsam zurück, bis sie neben Julian stand.

Zärtlich bog sie seinen Kopf zurück und lehnte ihn für einen Augenblick an ihre Brust. Schweigend neigte sie sich darauf herab und berührte seine Stirne mit ihren Lippen. Die ganze Dankbarkeit, welche ihr Herz erfüllte, die ganze Größe des Opfers, das ihr Herz zerriss, lag in diesen beiden so bescheidenen und so zärtlichen Bewegungen! Als ihre Hand mit einem letzten, schwachen Druck die seine losließ, brach Julian in Tränen aus.

Der Diener erschien auf den Ruf der Glocke. In dem Augenblicke, als er die Tür öffnete, hörte man draußen in der Vorhalle eine weibliche Stimme, welche zu ihm sprach:

»Lassen Sie die Kleine hineingehen«, sagte die Stimme. »Ich will hier warten.«

Das Kind trat ein – es war dasselbe verlassene, kleine Geschöpf, welches damals, als Mercy mit Horace Holmcroft den Spaziergang machte, die Erinnerung an ihre eigene frühe Kindheit in ihr wachgerufen hatte.

Dieses Kind besaß nicht Schönheit; das alltäglich Grauenvolle seines Lebens erhielt nicht durch einen Schein von Romantik Glanz und Bedeutung. Beinahe kriechend vor Ehrfurcht trat sie in das Zimmer und starrte ausdruckslos all die Pracht an, inmitten deren sie sich jetzt befand – sie, die Straßentochter Londons. Eine Kreatur der Volkswirtschaftsgesetze! Das verwilderte und schreckliche Produkt eines abgenützten Regierungssystems, einer bis in ihr Mark faulen Zivilisation! Zum erstenmale in ihrem Leben gereinigt; zum erstenmale in ihrem Leben ausreichend gespeist; zum erstenmale in Kleider statt in Lumpen gehüllt, schlich die Unglücksschwester Mercys furchtsam über den schönen Teppich hin und blieb, starr vor Bewunderung, vor dem Marmor eines eingelegten Tisches stehen – sie war ein Schmutzfleck auf der Pracht des Zimmers.

Mercy wandte sich von Julian ab, der Kleinen zu. In der entsetzlichen Vereinsamung ihres Herzens schmachtete sie nach eine Gegenstand, den sie harmlos lieben konnte, und begrüßte deshalb das gerettete, herrenlose Geschöpf der Straßen als eine ihr von Gott gesandte Tröstung. Sie hob das verdutzte kleine Ding in ihren Armen empor und flüsterte in der alles vergessenden Seelenangst dieses Augenblickes: »Küsse mich, nenne mich Schwester!« Das Kind starrte sie gedankenlos an. Für sie war Schwester nur der Begriff eines älteren Mädchens, das Kraft genug besaß, um sie zu schlagen.

Sie stellte das Kind wieder zur Erde und wandte sich, mit einem letzten Blicke nach ihm zu sehen, dessen Glück sie vernichtet hatte – aus Mitleid für ihn.

Er saß noch immer unbeweglich. Sein Kopf hing tief herab; sein Gesicht war verhüllt. Sie trat einige Schritte näher zu ihm.

»Die Anderen sind ohne ein freundliches Wort von mir gegangen. Können Sie mir vergeben?«

Ohne aufzublicken, hielt er ihr die Hand hin. Sie hatte ihn tief verwundet, allein sein edler Sinn verstand sie. Er war von Anfang an wahr gegen sie gewesen; er war es auch jetzt.«

»Gott segne und stärke Sie«, sagte er mit gebrochener Stimme. »Die Erde trägt kein edleres Weib als Sie.«

Sie kniete nieder und presste die gütige Hand, die zum letztenmale die ihre drückte, an ihre Lippen.

»Es ist nicht das Ende, das wir auf dieser Erde erleben«, flüsterte sie, »eine bessere Welt steht uns bevor!« Dann erhob sie sich und kehrte zu der Kleinen zurück. Hand in Hand schritten die beiden Bürgerinnen im Reiche Gottes – Verworfene im Reiche der Menschen – langsam die Länge des Zimmers hinab – hinaus in die Halle – und hinaus in die Nacht. Der laute Schall der zufallenden Haustür verkündete ihren Austritt. Sie waren fort.

Allein die regelmäßige Hausordnung – unerbittlich wie der Tod – nahm ihren Fortgang. Als die Uhr die Stunde schlug, wurde die Speiseglocke geläutet. Eine minutenlange Pause verstrich; das war die Grenze für eine Verspätung. Der Tafeldecker erschien an der Tür des Speisezimmers.

»Es ist aufgetragen, Sir.«

Julian blickte empor. Das leere Zimmer begegnete seinem Auge. Da lag etwas Weißes neben ihm auf dem Teppich. Es war ihr Taschentuch – von ihren Tränen feucht. Er nahm es auf und presste es an seine Lippen. Sollte dies die letzte Reliquie von ihr sein? War sie für ewig von ihm gegangen?

Im Vorgefühle der Macht der Liebe loderte die angeborene Energie seines Wesens von neuem in ihm empor. Nein! So lange sich noch Leben in ihm regte, so lange noch Zeit vor ihm lag, war die Hoffnung, sie zu gewinnen, nicht verloren!

Er wandte sich an den Diener, unbekümmert, ob der Ausdruck seines Gesichtes ihn verraten konnte.

»Wo ist Lady Janet?«

»Im Speisezimmer, Sir.«

Er überlegte einen Augenblick. Sein eigener Entschluss besaß keine Macht. Durch wen sonst durfte er hoffen, sie zu erreichen? Als die Frage in ihm aufstieg, ward es ihm plötzlich klar. Er sah den Weg zu ihr vor sich – durch den Einfluss Lady Janets.

»Die Lady erwartet Sie.«

Julian trat ins Speisezimmer.

Nachschrift

eine Auswahl von Briefen enthaltend, welche zwischen Miss Grace Roseberry und Mister Horace Holmcroft gewechselt wurden, mit Anschluss eines Auszuges aus dem Tagebuche des hochwürdigen Mister Julian Gray.

I.
Mister Horace Holmcroft an Miss Roseberry

»Ich eile, Ihnen für Ihren letzten, lieben Brief zu danken, Miss Roseberry, welchen ich mit der gestrigen Post von Kanada erhalten habe. Seien Sie überzeugt, dass ich es sehr zu schätzen weiß, wie großmütig und bereitwillig Sie die rauhen Worte vergeben und vergessen wollen, welche ich damals, als mich die Kunstgriffe einer Abenteurerin gegen die Wahrheit völlig blind gemacht, Ihnen gegenüber gebraucht habe. Ich erkenne in der Huld, die mir verzeiht, das angeborene Rechtsgefühl der wahrhaften Dame. Geburt und Erziehung werden stets ihren Platz in der Welt behaupten; ich halte, dem Himmel sei Dank, jetzt wieder mehr, als je daran fest.

Sie verlangen von mir weitere Nachrichten über die Art und Weise, wie Julian Grays Betörung fortschreitet und welchen Weg er in seinem Verhalten gegen Mercy Merrick einschlägt.

Wären Sie nicht so gütig gewesen, mich hierüber aufzuklären, so hätte es mich wahrlich nicht wenig überrascht, dass eine Dame in Ihrer Stellung eine solche Bitte an mich richtet. Allein so sind die Gründe, welche Sie dazu treiben, völlig unanfechtbar. Die bürgerliche Gesellschaft wird, wie Sie ganz richtig bemerken, durch das jetzige beklagenswerte Übergreifen der liberalen Ideen im ganzen Lande ernstlich in ihrem Bestande bedroht. Es bleibt uns da nur die Hoffnung, als Schutzmaßregel gegen Betrüger, welche aus Interesse unter Personen unseres Standes eine Stellung zu gewinnen suchen, uns, so unangenehm dies auch sein mag, in gewisser Beziehung mit den Mitteln vertraut zu machen, durch welche jene so leicht ihr Ziel erreichen. Wollen wir wissen, bis zu welcher verwegenen Höhe die Schlauheit emporsteigt, bis zu welcher bedauerlichen Selbsttäuschung die Leichtgläubigkeit sich hinreißen lässt, so müssen wir, selbst wenn wir davor zurückschrecken, die Schritte einer Mercy Merrick und eines Julian Gray verfolgen.

Ich nehme nun meine Erzählung da wieder auf, wo sie in meinem letzten Brief abbricht; dabei muss ich jedoch einen Punkt berichtigen.

Gewisse Äußerungen, die Ihrer Feder entschlüpft sind, sagen mir, dass Sie Julian Gray deshalb tadeln, weil er einen von Lady Janet am Tage, nachdem Mercy Merrick ihr Haus verlassen, im Besserungshause gemachten Besuch veranlasst habe. Das ist nicht ganz richtig. Julian hat, wie Sie gleich sehen werden, genug zu verantworten, auch ohne dass er für Verirrungen zur Rechenschaft gezogen werde, an welchen er nicht teilnahm. Lady Janet, so sagte sie mir selbst, ging aus freiem Antrieb in das Besserungshaus, um wegen der Sprache, welche sie tags zuvor Mercy Merrick gegenüber gebraucht, diese um Verzeihung zu bitten. »Ich brachte eine Nacht voll unbeschreiblichen Elends zu« – dies waren, wie ich Sie versichern kann, der Lady eigene Worte – »überdachte ich, was ich in empörendem Stolz, in meiner Selbstsucht und Hartnäckigkeit gesagt und getan hatte. Auf die Knie wäre ich gesunken, um sie um Verzeihung zu bitten, hätte sie es geschehen lassen. Der erste glückliche Augenblick war für mich, als sie darein willigte, mich zuweilen in Mablethorpe-House zu besuchen.«

Ich bin überzeugt, Sie stimmen mit mir darin überein, dass solche Extravaganzen eher zu bedauern als zu tadeln sind. Wie traurig ist es, die Abnahme der Geisteskräfte im Alter zu beobachten. Es ist wirklich ein Gegenstand ernster Besorgnis, wenn man bedenkt, wie lange überhaupt noch der armen Lady Janet die Führung ihrer eigenen Angelegenheiten überlassen bleiben kann. Ich werde, wenn ich ihren Anwalt wieder sehe, eine Gelegenheit ergreifen, um die Sache zart zu berühren.

Aber ich komme von meinem Gegenstande ab. Und – ist das nicht sonderbar? – Ich schreibe an Sie in so vertraulichem Tone, als wären wir alte Bekannte.

Nun zurück zu Julian Gray. Den ersten Besuch seiner Tante im Besserungshause hatte er allerdings nicht veranlasst, wohl aber vermochte er sie, ein zweites Mal hinzugehen an dem Tage, an welchem ich meinen letzten Brief an Sie abschickte. Der Zweck, den Lady Janet dabei verfolgte, war nicht mehr und nicht weniger, als für Ihren Neffen bei Mercy Merrick demütig um ihre Hand zu werben. Stellen Sie sich nun vor eine Dame aus einer der vornehmsten Familien Englands, die im Besserungshause eine Abenteurerin auffordert, einem Geistlichen der englischen Kirche die Ehre zu erweisen, seine Frau zu werden! Was sind das für Zeiten, in denen wir leben! Meine teure Mutter hat bittere Tränen der Beschämung vergossen, als sie davon hörte. Wie würden Sie meine Mutter lieben und bewundern!

Einer früheren Verabredung gemäß speiste ich in Mablethorpe-House gerade an dem Tage, an welchem Lady Janet von ihrem entwürdigenden Gang zurückkehrte.

»Nun?« sagte ich, natürlich erst, nachdem der Diener das Zimmer verlassen hatte.

»Nun«, antwortete Lady Janet. »Julian hatte ganz recht.«

»Worin?«

»Als er sagte, die Erde trüge kein edleres Wesen als Mercy Merrick.«

»Hat sie ihn wieder abgewiesen?«

»Ja, wieder.«

»Gott sei Dank!« Ich empfand es warm, und sprach es auch so aus. Lady Janet legte Gabel und Messer beiseite und heftete einen entrüsteten Blick auf mich.

»Vielleicht ist es nicht Ihre Schuld, Horace«, sprach sei, »wenn Ihre Natur unfähig ist, das Große und Edle in anderen, höher angelegten Geschöpfen zu begreifen. Das Geringste aber, was Sie tun können, ist, Ihrem eigenen Urteil zu misstrauen. Behalten Sie künftighin in Fragen, die Sie nicht verstehen, Ihre Meinung bescheiden für sich. Ich habe ein zärtlicheres Gefühl für Sie um Ihres Vaters willen; und darum will ich Ihr Betragen gegen Mercy Merrick vom günstigsten Gesichtspunkte aus beurteilen, und es aus Menschenfreundlichkeit für das eines Toren ansehen.« – Ihre eigenen Worte, Miss Roseberry; ich versichere Sie nochmals. – »Aber muten Sie meiner Nachsicht nicht zu viel zu – lassen Sie nicht wieder den Gedanken laut werden, dass ein Weib, welches, wenn diese Nacht noch aus diesem Leben abberufen, würdig wäre, in den Himmel einzugehen, nicht würdig sein sollte, die Frau meines Neffen zu werden.«

Eben vorhin habe ich Ihnen gegenüber die Überzeugung ausgesprochen, dass die arme Lady Janet kaum mehr länger fähig sein dürfte, ihre eigenen Angelegenheiten zu besorgen. Damals werden Sie mich vielleicht für vorschnell gehalten haben? Wie denken Sie aber jetzt darüber?

Es war selbstverständlich nutzlos, auf den außerordentlichen strengen Verweis, den ich bekommen, im Ernste etwas zu erwidern. Außerdem hatte mich dies Zusammenbrechen aller Grundsätze als das unzweideutige Symptom eines Verfalles der Geisteskräfte wirklich unangenehm berührt. Ich suchte sie mit einigen ehrerbietigen Worten zu besänftigen, und wurden denn auch dafür durch einen Bericht dessen, was im Besserungshause vorgefallen war, belohnt. Meine Mutter und Schwestern widerte es an, das Nähere darüber von mir zu hören, und bei Ihnen wird wohl das Gleiche der Fall sein.

Lady Janet traf die interessante Büßerin, welche übrigens auf ihren Besuch vorbereitet war, in ihrem rührenden, häuslichen Wirkungskreis! Ein Findelkind lag schlafend auf ihrem Schoß, und einem hässlichen kleinen umherlaufenden Mädchen, dessen Bekanntschaft sie auf der Straße gemacht, bemühte sie sich eben, das Alphabet beizubringen. Es war gerade das kunstvolle tableau vivant, mit welchem eine alte Dame gewonnen werden konnte – nicht wahr?

Sie werden begreifen, was weiter geschah, als Lady Janet mit ihren Freiersanträgen hervortrat. Mercy Merrick hatte sich in ihrer Rolle vervollkommnet und, darin muss man gerecht sein, sie spielte dieselbe gut. Die hochherzigsten Gefühle flossen ihr von den Lippen. Sie erklärte, ihr ganzes, weiteres Leben dem Wohltun weihen zu wollen, wozu natürlich das Findelkind und das hässliche kleine Ding gleich als Illustration dienen mussten. Gleichviel wie sehr sie selbst darunter litt, gleichviel wie schwer es ihr ankam, ihr Gefühl zum Opfer zu bringen – merken Sie, wie geschickt das gesagt war, damit man glauben könne, sie sei in ihn verliebt! – sie durfte von Mister Julian Gray keine Ehre annehmen, deren sie unwürdig war. Gerade die Dankbarkeit und das Interesse für ihn forderten es von ihr, dass sie nicht in eine Verbindung mit ihm willigte, seine glänzende Zukunft zerstörte und ihn selbst in den Augen aller seiner Bekannten herabsetzen musste. Sie danke ihm unter Tränen; sie danke Lady Janet – noch mehr unter Tränen; – aber, um seiner Ehre, um seines Glückes willen dürfe sie die Hand nicht annehmen, die er ihr biete. Gott segne und stärke ihn; und Gott helfe ihr das schwere Los ertragen.

Was dieser schändlichen Komödienspielerei zu Grunde liegt, ist mir wenigstens ganz klar. Sie hält so lange zurück – wie Sie wissen, ist Julian arm – bis Lady Janets Glaube an Mercy sich auch in der Bereitwilligkeit äußert, ihren Geldbeutel aufzutun. Mit einem Worte – Alles Berechnung! Wäre nicht einerseits die Sprache der Person eine so unwürdige und andererseits die Leichtgläubigkeit der armen, alten Frau so kläglich, das Ganze gäbe einen passenden Stoff ab für eine Posse.

Das Traurigste an der ganzen Sache kommt aber erst.

Allmählich wurde der Entschluss der Dame auch Julian Gray mitgeteilt. Dieser verlor darüber, scheint es, den Verstand. Können Sie es glauben? – Er hat sein Amt zurückgelegt! In einem Augenblicke, wo sich allsonntäglich die Menge in der Kirche drängt, um ihn predigen zu hören, schließt dieser Narr die Tür, und verlässt die Kanzel. Selbst Lady Janet war nicht so weit in der Torheit gegangen, um dies bei ihm zu veranlassen. Sie sprach dagegen, wie alle seine Freunde. Ganz umsonst! Er hatte auf alles, was sie sagen mochten, eine und dieselbe Antwort: Meine Laufbahn ist beschlossen! Welcher Unsinn!

Sie werden, sehr begreiflich, fragen, was dieser verkehrte Mensch denn tun will. Ich nehme keinen Anstand, zu behaupten, dass er auf Selbstmord sinnt. Bitte, erschrecken Sie nicht! Hier handelt es sich nicht um einen Selbstmord durch Pistole, Strick oder im Fluss. Julian sucht einfach den Tod – nur innerhalb der Grenzen des Gesetzes.

Es ist stark, was ich da sage, ich weiß es. Sie sollen die Tatsachen hören und selbst urteilen.

Nachdem er sein Amt zurückgelegt, bot er einer neuen Unternehmung von Missionären, die nach der Westküste Afrikas abgehen sollten, seine Dienste als Volontär an. Die Personen, welche an der Spitze der Mission standen, hatten zum Glück ein ganz besonderes Gefühl ihrer Verpflichtungen. Sie äußerten sich über den Wert von Julians Unterstützung in den wohlklingendsten Worten, forderten aber dessenungeachtet als Bedingung seiner Aufnahme, dass er sich einer Untersuchung durch einen verlässlichen Arzt unterziehen müsse. Nach einigem Zögern ließ er sich dazu herbei. Des Doktors Bericht war entscheidend. Bei seinem gegenwärtigen Gesundheitszustand würde er mit größter Wahrscheinlichkeit dem Klima an der Westküste von Afrika nach drei Monaten erliegen.

Als dieser erste Versucht gescheitert war, wandte er sich an eine Mission, die in London ihren Wirkungskreis hat. Hier bildete das Klima kein Hindernis und so hat er, wie ich zu meinem Bedauern sagen muss, seinen Zweck erreicht.

Da ist er jetzt tätig – mit anderen Worten: er setzt vorsätzlich sein Leben aufs Spiel – als Bekehrer in Green Anchor Fields. Die Gegend, welche unter diesem Namen bekannt ist, liegt in einem entfernten Teil Londons nahe an der Themse. Jedermann weiß, dass eben dort das elendeste, herabgekommenste Gesindel unter der ganzen großstädtischen Bevölkerung sein Unwesen treibt; und dazu ist die Gegend so dicht bewohnt, dass sie fast nie ganz frei von epidemischen Krankheiten ist. An diesem entsetzlichen Ort, inmitten dieser gefährlichen Menschen arbeitet nun Julian von Früh bis Abends. Keiner seiner alten Bekannten sieht ihn je mit einem Auge. Nicht einmal bei Lady Janet Roy hat er vorgesprochen, seitdem er in seinen neuen Wirkungskreis getreten ist.

Ich habe hiermit mein Versprechen gelöst – die Tatsachen liegen vor Ihnen. Habe ich unrecht, so düster in die Zukunft zu blicken? Ich kann nicht vergessen, dass der unglückliche Mann einst mein Freund gewesen, und ich sehe wahrhaftig keine Hoffnung für ihn! Wenn er sich absichtlich der Gewalt der Räuber und der Gefahr ansteckender Krankheiten aussetzt, wer kann ihn da seiner argen Lage entrücken? Nur ein Wesen kann es, und die Gemeinschaft mit eben diesem Wesen richtet ihn auch wieder zugrunde – Mercy Merrick nur kann es. Der Himmel weiß, welches Unheil Ihnen in meinem nächsten Brief mitzuteilen meine peinliche Pflicht sein wird!

Sie sind so freundlich, sich nach mir und meinen Plänen zu erkundigen.

Von beiden ist nur wenig zu sagen. Nach dem, was ich gelitten – meine Gefühle mit Füßen getreten, mein Vertrauen verraten zu sehen – bin ich noch nicht recht im Stande, einen weiteren Entschluss zu fassen. Von der Rückkehr zu meinem früheren Stand – dem Militär – kann gar nicht die Rede sein, nachdem jetzt in der Armee alle auf gleicher Linie stehen, und es daher vorkommt, dass ein beliebiger Unbekannter nach überstandener Prüfung Offizier und mein Kamerad werden, ja eines Tages als mein Vorgesetzter mir befehlen kann. Wenn ich noch eine Laufbahn in Erwägung ziehe, so ist es die des Diplomaten. In diesem Zweige des Staatsdienstes sind noch Geburt und Erziehung die wichtigsten Eigenschaften. Aber bis jetzt habe ich mich noch nicht entschieden.

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Дата выхода на Литрес:
06 декабря 2019
Объем:
400 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

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