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Читать книгу: «Die neue Magdalena», страница 17

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Gracens Hand umschloss immer fester die Stuhllehne. Sie stand jetzt allein da, ohne Zeugen, ohne Mittel. Das Gefühl ihrer Verlassenheit, ihrer Hilflosigkeit raubte ihr in diesem entscheidenden Augenblicke beinahe den Verstand. »Gegenwärtig«, dachte sie, »habe ich nur ein Mittel, um mit der Lady Schritt halten zu können; es ist, dass ich ihr möglichst teuer zu stehen komme.«

»O, haben Sie etwas Nachsicht mit mir«, sagte sie. »Ich bin nicht hartnäckig – nur ein wenig ungeschickt, um der Kühnheit einer vornehmen Dame mit dem gleichen Ton zu begegnen. Das wird mit der Übung besser werden. Ich rede, wie ich peinlich bemerke, nur gewöhnliches Englisch; erlauben Sie, dass ich es ablege und dafür Ihre Sprache annehme. Welche Entschädigung sind Sie gesonnen, mir auf feine Art anzubieten?«

Lady Janet öffnete ein Schubfach und holte ihr Scheckbuch heraus.

Endlich war der Augenblick der Befreiung gekommen! Es handelte sich nur mehr um die Höhe des Betrages. Sie überlegte; denn diese zu bestimmen, schien ihr einigermaßen auch Gewissenssache zu sein. Der Gehalt für fünf Jahre sofort ausgezahlt, und die Zusicherung auch fernerer Unterstützung, falls sie deren bedürfen sollte, war in Lady Janets Augen genügend, um ihr dem verstorbenen Obersten Roseberry gegebenes Versprechen erfüllt erscheinen zu lassen und zugleich Grace in freigiebiger Weise Genugtuung für ihr verletzendes Benehmen, welches diese sonst zu ihrem Vorteile ausnutzen konnte, zu leisten. Sie beschloss, zur noch größeren Beruhigung ihres Gewissens, Grace selbst die Summe aussprechen zu lassen, mit welcher sie sich für befriedigt erklären würde.

»Für mich ist es eine schwere Sache, Ihnen einen Antrag zu machen«, sagte sie, »und dies darum – weil Ihr Geldbedarf lediglich davon abhängt, was Sie fernerhin zu tun gedenken. Und eben das weiß ich nicht.«

»Vielleicht wären Sie so gütig, mir hierin einen Rat zu erteilen?« sagte Grace höhnisch.

»Das kann ich ganz und gar nicht«, erwiderte Lady Janet. »Ich denke nur, Sie werden kaum in England bleiben wollen, wo Sie nicht eine Seele kennen; mögen Sie nun zu Gericht gehen oder nicht, Sie werden in jedem Falle selbst die Notwendigkeit einsehen, mit ihren Freunden in Kanada persönlich zu verkehren. Nicht wahr?«

Grace war schlau genug, um sofort den eigentlichen Sinn dieser Worte zu erfassen. Es war nichts anderes als: »Nimmst du die Geldentschädigung an, so unterwirfst du dich der Bedingung, die daran geknüpft ist; nämlich England zu verlassen, um mich nicht weiter mit deiner Anwesenheit zu behelligen.«

»Sie haben ganz recht, Lady Janet«, sagte sie. »Ich werde gewiss nicht in England bleiben. Ich werde mich mit meinen Freunden beraten und« – den Rest dachte sie sich – »wenn es irgend möglich ist, dann mit Ihrem Gelde zu Gericht gehen!«

»Sie kehren nach Kanada zurück«, fuhr Lady Janet fort; »dort werden Ihre Aussichten zunächst keine glänzenden sein. Wie hoch, denken Sie demnach, wird sich die Unterstützung belaufen müssen, deren Sie bedürfen?«

»Kann ich auf Ihre Güte rechnen, die mir etwaige Fehler in meiner Berechnung bemerklich machen wird?« fragte Grace unbefangen.

Auch diesen Worten lag eigentlich ein anderer Sinn zu Grunde. Ungefähr so: »Bei mir steht es fest, dass ich meine Ansprüche in die Höhe treibe, so lange, bis mir die Lady mit ihrem äußersten Anbot eine Grenze zieht.« Lady Janet verstand den Sinn; sie verneigte sich und erwartete ernst das Weitere.

Auch Grace war ernst, als sie begann:

»Ich fürchte, hundert Pfund werden kaum genug sein.«

Lady Janet ging darauf ein. »Das glaube ich auch.«

»Vielleicht sind sogar zweihundert noch zu wenig?«

»Wahrscheinlich.«

»Auch dreihundert? Vierhundert? Fünfhundert?«

Lady Janet zog jetzt die Grenze. »Fünfhundert Pfund, denke ich, werden einstweilen genug sein«, sagte sie.

Grace schoss das Blut in die Wangen und sie verriet wider ihren Willen die Heftigkeit ihrer inneren Erregung. Es lag jetzt etwas Grauenhaftes in dem gierigen, verlangenden Ausdruck ihrer Augen, wie sie Lady Janet scharf beobachteten, ob sie auch wirklich gewillt sei, mit einem Federzug ohneweiters fünfhundert Pfund Sterling zu verschenken.

In einem Augenblicke hatte Lady Janet den Scheck geschrieben, und schob ihn jetzt über den Tisch ihr hin.

Grace verschlang mit ihrem Blicke die Zeile, in welcher die goldenen Worte standen. »An mich oder an den Überbringer sind auszuzahlen – fünfhundert Pfund;« und darunter die eigenhändige Unterschrift: »Janet Roy.« Nun ihr das Geld gesichert war – sie brauchte es bloß zu nehmen – trat neuerdings ihre von Haus aus gemeine Natur hervor. Sie warf den Kopf zurück und ließ den Scheck unberührt auf dem Tische liegen, als wollte sie auffällig zeigen, dass ihr nichts daran gelegen sei.

»Sie erwarten doch wohl nicht, dass ich gleich zugreifen werde«, sagte sie.

Lady Janet lehnte sich in den Stuhl zurück und schloss die Augen. Sie konnte den Anblick Grace Roseberrys kaum mehr ertragen. Vor ihre Seele trat Mercys Bild; sehnsüchtig verlangte ihr Herz nach dem Labsal ihrer edlen, schönen Erscheinung, nach dem melodischen Klang ihrer sanften Stimme.

»Ich brauche Zeit, um es mir zu überlegen – ich bin es der Achtung vor mir selbst schuldig«, fuhr Grace fort.

Lady Janet winkte müde mit dem Kopf, dass ihr die Zeit bewilligt sei.

»Ihr Wohnzimmer steht mir wohl noch zur Verfügung?«

Lady Janet nickte bejahend.

»Und Ihre Dienerschaft auch, wenn ich sie gerade brauchen sollte?«

Lady Janet öffnete plötzlich die Augen. »Meinetwegen befehlen Sie über das ganze Haus!« rief sie zornsprühend. »Aber verlassen Sie mich auf der Stelle!«

Grace fühlte sich nicht im Entferntesten verletzt, viel eher befriedigt; es war ihr ein Triumph, Lady Janet zu diesem Ausbruch gereizt zu haben. Sie hatte sofort eine weitere Bedingung bereit.

»Wenn ich den Scheck annehmen soll«, sagte sie, »so gestattet es meine Selbstachtung nicht anders, als unter Couvert. Sie werden wohl die Güte haben, wenn es nötig ist, ihn einzuschließen. Guten Abend!«

Sie ging langsam der Tür zu und betrachtete dabei, nach allen Seiten blickend, mit Geringschätzung die wertvollen Kunstgegenstände, mit welchen die Wände ringsum geziert waren. Auch auf dem Teppich, dessen Zeichnung das Werk eines berühmten französischen Malers war, sahen ihre Augen nur mit Verachtung herab, als sei er nicht würdig, von ihrem Fuß betreten zu werden. Die Keckheit ihres Benehmens beim Eintritt in das Zimmer war schon auffallend genug gewesen; allein es war dies nichts im Vergleiche zu der beispiellosen Frechheit, mit welcher sie es jetzt verließ.

Kaum hatte sich die Tür hinter ihr geschlossen, so stand Lady Janet auf und schritt zum Fenster. Ungeachtet der frostigen Winterluft, die draußen strich, öffnete sie beide Flügel und rief, sich vor Ekel schüttelnd: »Puh! Sogar die Luft im Zimmer ist durch ihre Gegenwart vergiftet worden!«

Sie kehrte in veränderter Stimmung zu ihrem Stuhl zurück und nahm ihren früheren Platz wieder ein. Ihre Gedanken wendeten sich abermals Mercy zu. »O, mein Liebling!« murmelte sie leise. »Was habe ich alles geduldet, wie mich erniedrigt – nur um deinetwillen!« Doch die Erinnerung daran war zu unerträglich. Die angeborene Kraft der weiblichen Natur drängte vielmehr zu einem Ausbruche des Trotzes und der Verzweiflung hin. »Sie mag was immer begangen haben, so hat es die Elende nur verdient! Keine Seele hier im Hause soll wissen, dass sie mich betrogen hat. Übrigens hat sie mich nicht betrogen – sie liebt mich wirklich! Was liegt daran, ob sie mir ihren wahren Namen gesagt hat oder nicht? Ihr Herz ist wahr und das hat sie mir geschenkt. Mit welchem Rechte wohl hat Julian ihre innersten Gefühle berührt und ihr Herz zu erforschen getrachtet? Mein armes, schwer versuchtes Kind! Ich will ihr Bekenntnis nicht mehr hören und zu keinem Menschen soll sie mehr ein Wort davon sprechen. Ich bin die Herrin – und ich befehle dies!«

Hastig holte sie ein Blatt Papier aus dem Behälter hervor; sie zögerte, dann warf sie es auf den Tisch hin.

»Warum lasse ich meinen Liebling nicht lieber zu mir kommen?« dachte sie. »Warum will ich ihr schreiben?« Sie zögerte wieder und verwarf den Gedanken. »Nein! Ich bin meiner nicht sicher! Ich kann es noch nicht wagen, sie zu sehen!«

Sie griff das Blatt Papier wieder auf und schrieb ein zweites Billet an Mercy; diesmal in liebevollem, vertraulichem Tone:

»Mein teures Kind – ich habe, seitdem ich Sie vorhin um Aufschiebung Ihrer versprochenen Erklärung bat, Zeit gehabt, nachzudenken. Ich verstehe und ahne bereits die Gründe, welche Sie zu jenem Schritte bewogen haben und verlange jetzt von Ihnen, dass Sie Ihre Erklärung ganz aufgeben. Es muss Ihnen, aus Rücksichten, die Sie am besten wissen werden, peinlich sein, jene von Ihnen erwähnte Person vorzuführen und ich mag, wie bereits gesagt, nichts weiter von ihr hören. Überdies wird Ihre Erklärung auch dadurch überflüssig, dass die Fremde, deren Auftreten hier für uns so schmerzlich und aufregend war, freiwillig England verlässt, nachdem ein Gespräch mit mir sie vollkommen beruhigt und befriedigt hat. Also kein Wort mehr, meine Teure, von dem, was heute in dem Speisezimmer vorgefallen ist, weder mir, noch meinem Neffen, noch sonst irgend jemand gegenüber. Wenn wir uns wiedersehen, so betrachten Sie es zwischen uns ausgemacht, dass von nun an und für immer alles in Vergessenheit begraben sei. Das ist nicht bloß die ernste Bitte, es ist, wenn es sein muss, der entschiedene Befehl Ihrer mütterlichen Freundin

Janet Roy.«

»PS. Ich werde trachten, ehe Sie Ihr Zimmer verlassen, sowohl mit meinem Neffen, als auch Horace Holmcroft einzeln zu sprechen; Sie brauchen deshalb bei einem Zusammentreffen mit ihnen keine weitere Unannehmlichkeit zu fürchten. Schreiben Sie mir keine Antwort auf diese Zeilen, sondern sagen Sie der Zofe ein »Ja«; ich weiß dann, dass wir uns verstanden haben.«

Sie siegelte den Brief und adressierte ihn, wie sonst, an »Miss Grace Roseberry«. Eben wollte sie die Glocke ziehen, da erschien die Zofe als Gesandte aus Lady Janets Wohnzimmer. Ihre Miene verriet sofort, dass jetzt sie, wie früher ihre Herrin, von dem anmaßenden Benehmen Gracens zu leiden gehabt hatte.

»Ich bitte, Mylady, die Fremde unten wünscht« —

»Ich weiß, was sie wünscht, unterbrach Lady Janet mit verächtlichem Stirnrunzeln die Sprecherin gleich bei den ersten Worten. »Sie will einen Brief von mir haben?«

»Ja, Mylady.«

»Und sonst noch etwas?«

»Sie hat einen der Diener um einen Wagen geschickt. O, hätten Sie nur gehört, in welchem Ton sie ihm den Befehl erteilte!«

Lady Janet gab durch Zeichen zu verstehen, dass sie davon nichts wissen wolle; sie schloss den Scheck in ein Couvert ohne Aufschrift und gab es der Zofe.

»Bringen Sie ihr dies«, sagte sie, »und dann kommen Sie wieder hierher.«

Ohne Grace Roseberry in ihren Gedanken einer weiteren Berücksichtigung zu würdigen, saß Lady Janet, ihren Brief an Mercy in der Hand, und überdachte die Lage derselben, und was sie noch alles von ihr fordern sollte. Dabei fiel ihr ein, dass Horace und Mercy jeden Augenblick zusammentreffen konnten; bei der Stimmung, in welcher sich der Erstere jetzt befand, war es zu wahrscheinlich, dass er beharrlich auf der Erklärung bestehen würde, die sie um jeden Preis zu verhindern suchte. In der Angst vor diesem neuen Unheil unterbrach sie die wiederkehrende Zofe.

»Wo ist Mister Holmcroft?« fragte sie die Dienerin, als sie noch kaum im Zimmer war.

»Ich habe ihn gerade, als ich heraufkam, die Tür des Bibliothekszimmers öffnen sehen.«

»War er allein?«

»Ja, Mylady.«

»Gehen Sie und sagen Sie ihn, dass ich ihn gleich zu sprechen wünsche.«

Die Zofe ging, um ihren Auftrag auszurichten. Lady Janet stand unmutig auf und schloss das Fenster. Ihre Ungeduld, sich Horacens zu versichern, trieb sie sogar in den Korridor hinaus; dort begegnete sie dem Dienstmädchen, welches ihr dessen Entschuldigung für sein Nichterscheinen überbrachte. Sie sandte ihm die zweite, bestimmte Botschaft, dass, wenn er nicht zu ihr kommen wolle, sie gezwungen sein würde, ihn aufzusuchen. »Doch warten Sie!« rief sie der Davoneilenden nach, als sie ihren Brief an Mercy noch da liegen sah. »Senden Sie mir die Zofe Miss Roseberrys her; ich habe ihr etwas zu übergeben.«

Dann schritt sie allein ein paarmal den Korridor auf und ab – plötzlich ward sie dessen müde und trat wieder in ihr Zimmer zurück. Die beiden Dienerinnen erschienen miteinander. Die eine, welche Horacens Ankunft gemeldet hatte, ward entlassen; die andere erhielt den Brief an Mercy zur Bestellung; nach wenigen Minuten kam sie mit der Nachricht, dass sie das Zimmer leer gefunden habe.

»Wissen Sie auch gar nicht, wo Miss Roseberry sein mag?«

»Nein, Mylady.«

Sie überlegte. Erschien Horace gleich jetzt vor ihr, so war es ihr offenbar gelungen, sein Zusammentreffen mit Mercy zu verhindern, ließ er verdächtig lange auf sich warten, so beschloss sie selbst, in den Empfangszimmern des Erdgeschosses nach Mercy zu suchen.

»Was haben Sie mit dem Brief getan?« fragte sie.

»Ich habe ihn im Zimmer der Miss auf den Tisch gelegt.«

»Gut. Halten Sie sich in der Nähe auf, damit Sie mich klingeln hören, wenn ich Ihrer bedarf.«

Im nächsten Augenblick war Lady Janet von ihrem Warten erlöst. Eine Männerhand klopfte an die Tür, und Horace trat eilig in das Zimmer.

»Was wollen Sie von mir?« fragte er etwas ungehalten.

»Setzen Sie sich, Horace; Sie sollen es gleich erfahren.«

Ohne dieser Aufforderung nachzukommen, sagte er: »Entschuldigen Sie, wenn ich Ihnen gestehe, dass ich in großer Eile bin.«

»Weshalb sind Sie in Eile?«

»Ich habe Gründe, um sobald als möglich mit Grace zu sprechen.«

»Ich habe aber meine Gründe«, versetzte Lady Janet, »um Sie das nicht eher tun zu lassen, als bis ich mit Ihnen gesprochen habe. Meine Gründe sind sehr ernster Natur. Setzen Sie sich.«

Horace stutzte. »Ernster Natur?« wiederholte er. »Das überrascht mich.«

»Sie werden noch mehr überrascht werden; lassen Sie mich nur erst beginnen.«

Bei diesen Worten begegneten sich die Blicke beider. Horace bemerkte an Lady Janet eine Erregung, die ihm noch nie an ihr aufgefallen war. Seine Züge nahmen einen finsteren, misstrauischen Ausdruck an, als er sich jetzt auf dem Stuhl niederließ.

19.
Der Brief Lady Janets

Hier verlassen wir Horace Holmcroft und kehren wieder in das Bibliothekszimmer zu Julian und Mercy zurück.

Es war schon einige Zeit vergangen – und, wie es den in banger Erwartung Harrenden schien, eine ziemlich lange Zeit, seitdem der Wagen mit Grace Roseberry davongerollt war. Die Minuten verrannen, und noch immer nicht ließ sich der verhängnisvolle Tritt Horacens auf dem Marmorpflaster der Vorhalle vernehmen. Ohne Übereinkunft vermieden es doch Julian und Mercy in gleicher Weise, den einen Gegenstand, der sie jetzt beide gemeinsam betraf, zu berühren. Während nun ihre Gedanken in Lady Janets Zimmer weilten und sich umsonst bemühten, den Inhalt der dort stattfindenden Unterredung zu erraten, versuchten beide über allerlei gleichgültige Dinge zu sprechen – allein, so oft sie damit begannen, so oft geriet das Gespräch wieder ins Stocken. Da, als abermals eine lange und letzte Pause eingetreten war; ereignete sich etwas. Die Tür, die aus der Vorhalle ins Zimmer führte, wurde plötzlich leise geöffnet.

War es Horace? Nein – auch jetzt nicht. Es war bloß Mercys Zofe, die jetzt in der Tür stand.

»Die Lady sendet Ihnen nebst ihrem Gruß dieses hier; wollen Sie so gut sein, es gleich zu lesen?«

Bei diesen Worten zog das Mädchen aus ihrer Schürze den zweiten Brief hervor, welchen Lady Janet an Mercy geschrieben hatte, und welcher, höchst eigentümlich, von einem mit einer Stecknadel zusammengehaltenen Streifen Papier umschlossen war. Mercy löste denselben los und fand auf der inneren Seite einige in größter Eile von Lady Janet hingeschriebene Zeilen. Sie lauteten:

»Versäumen Sie keinen Augenblick, um meinen Brief zu lesen. Und merken Sie dies: wenn H. Zu Ihnen kommt – begegnen Sie ihm mit fester Haltung; sagen Sie ihm nichts.«

Nach den warnenden Worten, welche Julian zu ihr gesprochen, war Mercy keinen Augenblick im Zweifel, was diese sonderbare Mitteilung zu bedeuten habe. Anstatt den Brief sofort zu eröffnen, rief sie die Zofe an der Tür zurück. Julians Argwohn, mit welchem er jeden unbedeutenden Vorgang im Hause beachtete, war nunmehr auch auf sie übergegangen. »Warten Sie!« rief sie ihr zu. »Ich begreife nicht, was oben vorgehen mag; ich muss Sie etwas fragen.«

Die Dienerin kehrte zurück – jedoch nur widerstrebend.

»Wie wussten Sie, dass ich hier bin?« forschte Mercy.

»Die Lady sandte mich schon vor einer Weile mit diesem Brief nach Ihrem Zimmer, Miss. Sie waren nicht da; so legte ich ihn auf Ihren Tisch —«

»Das verstehe ich. Aber wie kamen Sie dazu, mir den Brief hierher zu bringen?«

»Die Lady hat nach mir geklingelt, Miss. Ehe ich jedoch an ihrer Tür geklopft hatte, kam sie selbst in den Korridor heraus, dies Stück Papier in der Hand —«

»Um Sie nicht in ihr Zimmer eintreten zu lassen?«

»Ja, Miss. Die Lady schrieb dann etwas sehr eilig auf das Papier und befahl mir, dasselbe mit einer Stecknadel um den Brief, den ich auf Ihrem Zimmer gelassen hatte, zu befestigen; dann sollte ich beides Ihnen überbringen, jedoch ohne dass mich jemand sähe. Sie finden Miss Roseberry im Bibliothekszimmer, hatte die Lady gesagt. Machen Sie schnell, schnell! Es ist kein Augenblick zu verlieren! Das waren ihre Worte, Miss.«

»Haben Sie vorher, ehe Lady Janet herauskam, irgendetwas im Zimmer drinnen gehört?«

Die Dienerin zögerte und blickte auf Julian.

»Ich weiß nicht, ob ich es Ihnen sagen soll, Miss.«

Julian machte Miene, fortzugehen. Mercy hielt ihn mit einer Handbewegung zurück.

»Durch mich, das wissen Sie, werden Sie deshalb in keine Unannehmlichkeiten kommen«, sprach sie zur Zofe gewendet. »Und vor Mister Julian Gray brauchen Sie ebenfalls keine Angst zu haben.«

Nach dieser Versicherung begann die Zofe:

»Um die Wahrheit zu sagen, Miss, vernahm ich in dem Zimmer der Lady die Stimme Mister Holmcrofts; nach dem Klang zu urteilen, war er sehr erzürnt. Mir kam es vor, als seien beide erzürnt gewesen – Mister Holmcroft und die Lady.« Sie wandte sich zu Julian. »Und gerade, ehe die Lady herauskam, Sir, hörte ich Ihren Namen nennen – als wären Sie der Gegenstand ihres Streites gewesen. Ich kann nicht genau sagen, was es war; ich hatte keine Zeit, um zuzuhören. Übrigens habe ich nicht gehorcht, Miss; die Tür stand halb offen; und es wurde so laut gesprochen, dass man hören musste, ob man wollte oder nicht.«

Es war jetzt unnötig, die Dienerin noch länger aufzuhalten. Mercy verabschiedete sich und wandte sich an Julian.

»Weshalb mögen sie sich Ihretwegen gezankt haben?« fragte sie.

Julian deutete auf den uneröffneten Brief in ihrer Hand.

»Die Antwort auf diese Frage dürften Sie wahrscheinlich da finden«, sagte er. »Lesen Sie den Brief, so lange Ihnen der Augenblick noch günstig ist; und wenn ich Ihnen raten darf, tun Sie es sofort.«

Mit eigentümlichem Widerstreben erbrach sie die Umhüllung des Briefes. Der Mut entsank ihr, als sie die Zeilen las, in welchem Lady Janet als »mütterliche Freundin« ihr befahl, das Bekenntnis, welches sie aus Gerechtigkeit und Wahrheitsliebe zu machen sich verpflichtet hatte, zu unterdrücken. Ein leiser Ausruf der Verzweiflung entrang sich ihrer Brust, als sie erkannte, wie unverdient grausam sie die neue Verwicklung traf. »O, Lady Janet, Lady Janet!« dachte sie, »die einzige Prüfung, die mein hartes Schicksal mir bisher noch erspart hatte – Sie legen sie mir jetzt auf!«

Sie gab Julian den Brief. Er nahm ihn schweigend. Sein bleiches Gesicht wurde noch bleicher, während er ihn las. Voll mitleidiger Teilnahme ruhten seine Augen auf ihr, als er ihn ihr zurückgab.

»Für mich«, sagte er, »werden hier durch Lady Janet selbst alle Zweifel gelöst. Ihr Brief sagt mir, was sie von Horace wollte, als sie ihn rufen ließ, und weshalb mein Namen zwischen ihnen erwähnt wurde.«

»Sagen Sie es mir!« rief Mercy erregt.

Julian antwortete nicht gleich; erst ließ er sich neben ihr auf seinem Stuhl nieder und deutete auf den Brief.

»Hat Lady Janet Sie in Ihrem Entschlusse wankend gemacht?« fragte er.

»Sie hat mich darin bestärkt«, antwortete Mercy. »Sie hat meinen Gewissensbissen noch eine neue Bitterkeit hinzugefügt.«

Es war nicht hart gemeint gewesen; aber in Julians Ohr klang diese Antwort hart. Sogleich regte sich der Edelmut in ihm; diese stärkste Seite seines ganzen Wesens; er, der früher in Mercy das Bewusstsein der Berechtigung und Pflicht zur Schonung ihres eigenen Wesens erweckt hatte, glaubte diese jetzt auffordern zu müssen, dass sie Lady Janet schonend beurteile. Mit überredender Sanftmut legte er, sich im Stuhl näher rückend, seine Hand auf ihren Arm.

»Beurteilen Sie sie nicht hart«, sagte er. »Sie hat unrecht daran getan, entschieden unrecht, indem sie, freilich ohne Arg und Falsch, Sie in Versuchung geführt hat. Jedoch, ist es edel – ist es selbst nur gerecht – sie in diesem Falle wie für ein wohlüberlegtes Vergehen verantwortlich zu machen? Sie steht am Abende ihres Lebens; sie kann nicht von neuem Gefühle der Zuneigung in sich erwecken. Sie sind ihr unersetzlich. Betrachten Sie ihre Lage in diesem Lichte, so werden Sie erkennen, wie ich es erkenne, dass nicht niedrige Gründe sie verleitet haben. Denken Sie an ihr wundes Herz, an ihr ödes Leben – und sagen Sie sich selbst vergebungsvoll, sie liebt mich!«

Mercys Augen füllten sich mit Tränen.

»Ich sage es mir!« antwortete sie. »Nicht vergebungsvoll, denn der Vergebung bedarf ich. Ich sage es mir mit dankbarem Gemüt, wenn ich an sie denke, mit Schmerz und Beschämung, wenn ich an mich denke.«

Zum ersten Male fasste Julian ihre Hand. Sein Blick, frei von jeder Schuld, haftete auf ihrem niedergeschlagenen Gesicht. Er sprach zu ihr, wie er in jener denkwürdigen Stunde, in der sie ein neues Wesen wurde, zu ihr gesprochen hatte.

»Ich kann mir keine härtere Prüfung denken«, sagte er, »als die, welche Sie jetzt bestehen haben. Die Wohltäterin, der Sie alles verdanken, verlangt von Ihnen nichts als Schweigen. Das Geschöpf, dem Sie das Unrecht zugefügt, ist nicht mehr da, um die Stimme Ihres Gewissens zu verstärken. Selbst Horace wird, wenn ich mich nicht ganz irre, auf die Erklärung verzichten, die Sie ihm versprochen. Die Versuchung, Ihre falsche Stellung hier im Hause beizubehalten, ist, ich kann es nicht anders sagen, nur zu unwiderstehlich. Schwester, Freundin! Können Sie noch meinen Glauben an Sie rechtfertigen? Wollen Sie noch die Wahrheit bekennen, und zwar nur um dieser selbst willen, nicht aus Furcht vor Entdeckung?«

Sie hob den Kopf empor; in ihren großen, grauen Augen lag wieder der milde, stetige Glanz fester Entschlossenheit. Ihre tiefe, weiche Stimme antwortete ihm, ohne zu stocken:

»Ich will es!«

»Wollen Sie jener, der Sie Unrecht getan, Gerechtigkeit widerfahren lassen – trotzdem sie eine Unwürdige ist; trotzdem sie jetzt nicht die Macht besitzt, sie bloßzustellen?«

»Ich will es!«

»Wollen Sie alles, was Sie durch den Betrug gewonnen, der heiligen Pflicht der Sühne opfern? Wollen Sie alles eher erdulden, selbst die Kränkung derjenigen, die Sie als eine zweite Mutter geliebt, die um Ihretwillen gefehlt hat – wollen Sie das eher erdulden, als Ihre eigene Entwürdigung?«

Ihre Hand umschloss fester die seine. Nochmals und zum letzten Male antwortete sie:

»Ich will es!«

Bisher hatte seine Stimme noch nicht gezittert; jetzt versagte sie ihm. Er sprach die nächsten Worte in schwachem, lispelndem Tone – für sich; nicht zu ihr.

»Dem Himmel sei Dank für diesen Tag«, sagte er, »an dem ich einem seiner edelsten Geschöpfe hilfreich die Hand bieten durfte!«

Eine leise Bewegung teilte sich, während er sprach, durch seine Hand der ihren mit. Wie ein Schauer durchdrang es ihre Glieder und verwob sich geheimnisvoll mit den feinsten Fäden ihres Empfindens; unvermerkt erschloss es ihr Herz dem ersten dunklen Ahnen jenes Gefühles, das sie in ihm erregt hatte. Ein schwacher Anflug von Röte, eben durch seine Schwäche reizend, schlich sich ihr über Gesicht und Nacken. Ihr zitternder Atem wurde rascher und rascher. Sie zog ihre Hand aus der seinen und seufzte, als sie sich von ihrer Berührung befreit hatte.

Er stand plötzlich auf und verließ sie; wortlos und ohne sie anzusehen, schritt er langsam das Zimmer hinab. Als er sich umwendete und zu ihr zurückkehrte, hatten seine Züge wieder ihren früheren Ausdruck gewonnen. Er war seiner Bewegung Herr geworden.

Mercy sprach zuerst. Sie lenkte das Gespräch von sich ab auf die Vorgänge in Lady Janets Zimmer.

»Eben erst sprachen Sie von Horace«, sagte sie, »und zwar in einer Weise, die mich überrascht hat. Sie schienen zu glauben, dass er mir meine Erklärung erlassen würde. Ist das einer der Schlüsse, die Sie aus Lady Janets Brief ziehen?«

»Ganz gewiss«, antwortete Julian. »Sie werden diesen Schluss ebenso richtig finden wie ich, wenn wir für einen Augenblick nochmals auf die Entfernung Grace Roseberrys aus dem Hause zurückkommen.«

Hier unterbrach ihn Mercy. »Können Sie denn wissen«, fragte sie, »mit welchen Mitteln Lady Janet sie zum Fortgehen gebracht hat?«

»Ich mag es kaum gestehen«, sagte Julian. »Aber eine Äußerung im Briefe drängt mir den Gedanken auf, dass Lady Janet ihr Geld geboten, und dass sie es angenommen hat.«

»O, das kann ich nicht glauben!«

»Kehren wir zu Horace zurück. Miss Roseberry ist fort; es bleibt für Lady Janets Wünsche nur ein Hindernis, und das ist Horace Holmcroft.«

»Wieso ist Horace ein Hindernis?«

»Er ist dies aus dem folgenden Grunde. Er ist mit Ihnen verlobt und soll Sie in einer Woche heiraten. Lady Janet will ihn, wie überhaupt jedermann, über die Wahrheit in Unwissenheit erhalten. Sie würde dies in jedem anderen Falle ohne Bedenken tun. Allein ihr angeborenes Ehrgefühl lässt sich nicht ganz beschwichtigen. Sie kann, sie wagt es nicht, zuzugeben, dass Horace unter der falschen Voraussetzung, Sie seien die Tochter des Obersten Roseberry, Sie zu seiner Gattin mache. Sie sehen das ein? Einerseits will sie ihn nicht aufklären und andererseits will sie ihn nicht blindlings das Bündnis eingehen lassen. Was soll sie in dieser schwierigen Lage tun? Ich sehe nur einen Ausweg. Sie muss Horace überreden – oder ihn dazu aufreizen – selbständig zu handeln und aus eigenem Entschluss das Verhältnis zu lösen.«

Mercy ließ ihn nicht weiter sprechen. »Unmöglich!« rief sie erregt. »Unmöglich!«

»Sehen Sie nochmals in Ihren Brief«, versetzte Julian. »Er sagt Ihnen deutlich, dass Sie bei einer nächsten Begegnung mit Horace nichts Peinliches zu fürchten haben werden. Wenn Worte etwas ausdrücken, so tun es diese, und zwar, dass er das Vertrauen, welches Sie in ihn zu setzen ihm versprochen haben, von Ihnen nicht begehren wird. Unter welchen Verhältnissen kann er jedoch davon abstehen? Nur dann, wenn Sie aufgehört haben, das erste und hauptsächlichste Interesse seines Lebens auszumachen.«

Doch Mercy blieb fest. »Sie tun Lady Janet Unrecht«, sagte sie.

Julian lächelte traurig.

»Versuchen Sie es«, antwortete er, »die Sache von dem Standpunkte Lady Janets aus zu betrachten. Meinen Sie, sie sieht in der Auflösung dieses Verhältnisses etwas für Sie Schimpfliches? Ich stehe Ihnen dafür, dass sie glaubt, Ihnen damit etwas Gutes zu tun. In einem gewissen Sinne wäre es dies auch; es erspart Ihnen die Beschämung eines demütigenden Bekenntnisses und möglicherweise noch Ärgeres – dass der Mann, den Sie lieben, Ihnen den Bruch ins Angesicht erklärt. Nach meiner Meinung ist die Sache bereits entschieden. Ich habe Gründe, die mich glauben lassen, dass meine Tante ihre Absicht viel leichter erreichen wird, als sie vorher annehmen konnte. Horacens Charakter wird ihr dabei zu Hilfe kommen.«

Unwillkürlich begann Mercys Seele sich zu ihm hinzuneigen.

»Was meinen Sie mit Horaces Charakter?« forschte sie.

»Müssen Sie gerade mich das fragen«, sagte er, sich von ihr zurückziehend.

»Ja, ich muss es.«

»Ich denke aber, da ich von Horacens Charakter rede, an das unwürdige Misstrauen, mit welchem er meine Teilnahme für Sie betrachtet.«

Sie verstand ihn sogleich; ja mehr noch; sie bewunderte innerlich sein Zartgefühl, das seinen Gedanken in diese Worte kleidete. Kein anderer hätte sie so zu schonen getrachtet; jeder hätte deutlich gesagt: »Horace ist auf mich eifersüchtig.«

Julian wartete nicht, bis sie ihm antwortete. Er fuhr rücksichtsvoll fort:

»Eben aus dem erwähnten Grunde wird es ein Leichtes sein, Horace zu einer Handlung aufzureizen, die er in ruhigen Augenblicken niemals begangen hätte. Bis vorhin, als Ihre Zofe mit Ihnen sprach, war ich – um Ihretwillen – entschlossen, mich vor seinem Erscheinen hier zurückzuziehen. Jetzt, wo ich weiß, dass auch mein Name in der Angelegenheit genannt worden und oben Veranlassung zu Unheil gewesen ist, fühle ich – abermals Ihretwegen – wie notwendig es ist, dass ich Horace und seiner Stimmung Aug' in Aug' gegenübertrete, noch ehe Sie ihn sehen. Lassen Sie mich, wenn es möglich ist, ihn vorbereiten, dass er Sie höre, ohne weiter in seinem Herzen über mich Zorn zu empfinden. Wollen Sie, wenn er hierher zurückkommen sollte, nur für einige Minuten ins nächste Zimmer treten?«

In Mercy erwachte der Mut mit dem Anblicke der Gefahr. Sie weigerte sich, die beiden Männer allein zu lassen.

»Halten Sie mich nicht für gefühllos gegen Ihre Güte«, sagte sie. »Wenn ich Sie mit Horace allein lasse, so setze ich Sie einer Beleidigung aus; und das tue ich nimmermehr. Weshalb bezweifeln Sie sein Zurückkommen?«

»Sein langes Ausbleiben macht mir dasselbe unwahrscheinlich«, erwiderte Julian. »Ich glaube, die Heirat ist gelöst. Vielleicht geht er fort, wie Grace Roseberry fortgegangen ist. Vielleicht sehen Sie ihn nie wieder.«

Kaum war diese Meinung ausgesprochen, so wurde sie durch den Ankömmling selbst widerlegt. Horace öffnete die Tür des Bibliothekszimmers.

20.

Das Bekenntnis

Er blieb an der Tür stehen. Sein erster Blick galt Mercy – Julian sein zweiter.

»Ich wusste es!« sagte er, mit einer kramphaften Ruhe in seiner Haltung. »Hätte ich Lady Janet nur zu der Wette vermocht, hundert Pfund wären jetzt in meiner Tasche.« Er näherte sich Julian; aus dem Hohn ward plötzlich finsterer Zorn. »Wollen Sie wissen, um was es sich bei der Wette gehandelt hat?« fragte er.

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Дата выхода на Литрес:
06 декабря 2019
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