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Die unfähigen Shōgune Ieshige, Ieharu und Ienari und der »charismatische Bürokrat« Matsudaira Sadanobu (1759 – 1829)

Yoshimunes Sohn Ieshige (1711 – 1761, Regierungszeit 1745 – 1760) wurde als Fünfunddreißigjähriger der neunte Shōgun. Die Historie bezeichnet ihn als einen der am wenigsten fähigen Tokugawa-Shōgune, Isaac Titsingh als nicht gesund schon bei Amtsantritt wegen einer »ungeordneten Leidenschaft für Frauen und stark alkoholhaltige Getränke«. Die Bevölkerung sprach (hinter vorgehaltener Hand) über Ieshige als anpontan, was mehr oder weniger »Dummkopf« bedeutet. Auch dem zehnten Shōgun Ieharu (geboren 1737, Regierungszeit 1760 – 1786) wurde von einem Holländer, Jan Crans, Faulheit, Dummheit und Lüsternheit unterstellt. Trotzdem lief die vom achten Shōgun Yoshimune überholte Regierungsmaschine jahrelang gut weiter, bis sich kritische Stimmen und lokale Bauernaufstände zu häufen begannen. Die wirtschaftliche und soziale Dynamik des Landes hatte sich seit 1603, dem Beginn des Shōgunats, stark verändert. Nirgendwo war das stärker zu spüren als in der Metropole Edo, aber die konservative Obrigkeit fürchtete Neuerungen und reagierte daher zunehmend unzureichend.

Der Anfang der Regierung des elften Shōgun Tokugawa Ienari (1773 – 1841, Regierungszeit 1787 – 1837) war geprägt von der Dominanz des Fürsten Matsudaira Sadanobu (1759 – 1829), eines Verwandten des jungen Herrschers. Diesem Shōgun wird nachgesagt, im Frauenquartier der Burg Edo, dem abgeriegelten Ōoku, rund 900 Frauen gehabt zu haben, mit denen er mehr als 75 Kinder zeugte, die kostspielig versorgt werden mussten. Matsudaira Sadanobu war aus ganz anderem Holz geschnitzt. Geboren in der Burg Edo in eine Nebenlinie der Tokugawa, kam er aus einem Haus, das Wert auf männliches Auftreten und moralische Lebensführung legte. Sein Vater Munetake war ein Sohn des achten Shōgun Yoshimune, war aber zugunsten des dekadenten Ieshige übergangen worden. So bereitete Munetake seinen Sohn Sadanobu mit einer überaus gründlichen Erziehung darauf vor, die nächste Chance auf das höchste Staatsamt zu ergreifen. Doch auch Sadanobus erhoffte Adoption durch Shōgun Ieharu scheiterte. Stattdessen wurde Sadanobu von den Matsudaira von Shirakawa adoptiert.

Adoptionen von Söhnen als Ersatz für fehlende Erben waren in den besitzenden Familien weit verbreitet; eine Fürstenfamilie ohne Erben lief Gefahr, ihres gesamten Lehens verlustig zu gehen. Für die abgebende, söhnereiche Familie war das nicht selten mit handfesten Vorteilen verbunden. So wurde der ehrgeizige Sadanobu 1783 Fürst von Shirakawa, und 1787 war er ganz oben angekommen, als er noch vor seinem 30. Geburtstag unter dem gerade fünfzehnjährigen Shōgun Ienari den neuen Posten des Obersten der Großen Räte (rōjū shūseki) übernahm, also eine Art von Premierminister wurde, dazu offizieller Berater des Shōgun (hōsa), ein Posten, der 150 Jahre vakant gewesen war. Alle Reformen mussten mit der verkrusteten Regierungsbürokratie beginnen, und hier war ein charismatischer Mann gefragt (Charismatic Bureaucrat ist der Titel von Sadanobus moderner Biographie von Herman Ooms). Sadanobu wurde zum Architekten der Kansei-Reformen. Kansei bedeutet in etwa »milde Regierung«, aber tatsächlich war seine Regentschaft das Gegenteil. Zuerst entledigte er sich seiner Gegner in der Regierung. Sein Geheimdienst nahm Edo und die Provinzen in den Griff und verbreitete Furcht. Informanten und Denunzianten konnten auf reichen Lohn hoffen. Matsudaira Sadanobu sah den Staat der Tokugawa fatal bedroht und kämpfte um dessen Überleben. Eine ungewöhnliche Häufung von Erdbeben, Vulkanausbrüchen, Missernten und Bränden hatte Japan in Unruhe versetzt. 1786 gab es 57 Bauernaufstände, 1787 Aufstände sogar in Edo und 1788 insgesamt 117 Revolten. Allein im Bezirk Kuramae in Edo, wo gut gefüllte Lagerhäuser standen, fielen hungrige Massen über fast 1.000 kura her und plünderten sie. Sadanobu ordnete an, dass die allzu lasch gewordenen Samurai der Tokugawa verstärkt Kampfkünste zu trainieren hätten und der ganzen Gesellschaft verordnete er zur »Gesundung« strikt orthodox konfuzianische Werte. Er ließ andere philosophische Richtungen als Häresie brandmarken und bannte »Pornographie«, was zur Verfolgung einer Reihe prominenter Autoren und Künstler in Edo führte, die sich vor den Zensoren der Regierung in Acht nehmen mussten.

Andere Maßnahmen, die Edo betrafen, erscheinen aus heutiger Sicht sinnvoller: So gab die Regierung Bauern aus verwüsteten Dörfern, die in der Hoffnung auf ein Auskommen in die Hauptstadt geflutet waren, Reisegeld, Werkzeug und teils sogar Land, wenn sie in die Provinz zurückkehrten, wodurch die Agrarproduktion gestärkt und die Spannungen in Edo gemindert wurden. Trotzdem zogen viele ehemalige Bauern eine marginale Existenz in der Hauptstadt der Schufterei auf dem Lande vor. Für Wohnungslose richtete Sadanobu ein Wohn- und Arbeitshaus in Ishikawajima ein, das aber verhasst war selbst bei den Ärmsten wegen der Zwangsarbeit und ungenügenden Ernährung und Kleidung.

Auch am anderen Ende der Einkommensskala in Edo wurde Sadanobus Regierung aktiv, indem sie Gruppen von reichen Kaufleuten, die vorher wegen ihres geringen sozialen Status offiziell missachtet worden waren, mehr Anerkennung entgegenbrachte und gleichzeitig finanzielle Anforderungen an sie stellte. Dies waren zunächst die auch den Tuchhandel dominierenden Gold- und Silbergilden, dann der Verband aller Edo-Niederlassungen der wichtigsten Kaufleute des ganzen Landes und schließlich diejenigen Unternehmer aus Edo, die sich mit neuartigen Geschäften befassten. Schließlich arbeitete die Regierung mit zehn solchen Gruppen zusammen, der wirtschaftlichen Elite von Edo. Und tatsächlich ließ sich diese darauf ein, dass die Regierung einen generellen Schuldenerlass für alle Samurai verhängte, der natürlich die Kaufleute schädigte. Aber die fortgesetzte Unterstützung durch die Regierung machte diesen Verzicht erträglich, der wiederum dazu beitrug, die Lage in der Stadt zu entschärfen.

Bei fast allem, was er veranlasste, machte sich Matsudaira Sadanobu, der politisch Verantwortliche, unbeliebt. Zwischen 1791 und 1793 bat er den Shōgun drei Mal darum, von seinen Pflichten entbunden zu werden. Beim dritten Mal entsprach Ienari seinen Wünschen.

Matsudaira Sadanobu zog sich nach und nach aus der shōgunalen Politik zurück und widmete sich noch viele Jahre anderen Aufgaben. Anscheinend gehörte zu seinem wirklichen Wesen aber noch mehr als sein Ruf als drakonischer Reformer und konfuzianischer Modellgelehrter. Wie viele Japaner stand er im Spannungsfeld von giri (dem als Pflicht Empfundenen) und ninjō (dem menschlich Erwünschten). Unter dem Pseudonym Rakuō führte er geradezu ein zweites Leben als Autor zahlreicher gelehrter und anderer Texte, darunter auch eine Autobiographie und entschieden leichteres Material, dass er »zur eigenen Zerstreuung« geschrieben hatte. Viele dieser Texte verbrannte er selbst, weil sie seinem der Nachwelt zugedachten konservativen Image nicht entsprachen, aber seine Mitarbeiter kopierten einige Manuskripte rechtzeitig. 1784 hatte Matsudaira Sadanobu sogar eine satirische Schrift mit dem Titel Daimyō Katagi verfasst, in der die Fürsten des Landes – seine Standesgenossen! – geistreich auf die Schippe genommen wurden. In der schwungvoll und teils in der Mundart von Edo erzählten Geschichte verfällt ein Fürst zuerst den Kampfkünsten, dann der Literatur und schließlich dem Kabuki-Theater, was jedes Mal Mühe und Erschöpfung für seine gestressten Gefolgsleute bedeutet. Im zweiten Teil erscheint ihm dann ein konfuzianischer Weiser im Traum und weist dem Fürsten den rechten Weg (im Sinne des offiziellen Matsudaira Sadanobu).

Pikanterweise gehörte dieser Band in die wenig respektable literarische Kategorie der gesaku, die von Sadanobu als Premierminister offiziell bekämpft worden war. Er konnte unbotmäßige Schriftsteller deshalb so zielgerichtet verfolgen, weil er selbst einer war und sich auskannte. Als Chef der Regierung tat er das, was er für seine politische Pflicht hielt. Nach dem Ausscheiden aus dem Amt ist von ihm überliefert, dass er sich privat um Wiedergutmachung bei den gemaßregelten Autoren bemühte.

Das Bröckeln der Macht –
Von den Tokugawa-Shōgunen Ieyoshi bis Iemochi

Vom 12. bis zum 14. (und vorletzten) Tokugawa-Shōgun setzte sich die Häufung von politischer und körperlicher Schwäche gepaart mit Dekadenzerscheinungen fort. Die Herrscher waren zunehmend abhängig von einer Reihe starker Männer, die für sie regierten und versuchten, Staat und Stadt in den unübersichtlicher werdenden ersten beiden Dritteln des 19. Jhs. im Sinne der Dynastie zu steuern.

Tokugawa Ieyoshi (geb. 1793, Regierungszeit 1837 – 1853), Iesada (geb. 1824, Regierungszeit 1853 – 1858) und Iemochi (geb. 1844, Regierungszeit 1858 – 1866) mussten zunehmend mit ansehen, wie die Politik der Isolierung Japans von der Welt unhaltbar wurde. Durch Chinesen wie Holländer, durch deren übersetzte Bücher sowie durch das Königreich Ryūkyū (die heutige Präfektur Okinawa) gelangten beängstigende Nachrichten über den technischen Fortschritt westlicher Länder und ihr koloniales Ausgreifen in Asien an den Hof in Edo. Neue europäische Mächte setzten sich in Asien fest; besonders russische, amerikanische und britische Schiffe kamen Japan immer näher. Jahrzehntelang rangen verschiedene Denkrichtungen in Japan um die beste Politik: sollte Japan am Alten festhalten und sich verteidigen – notfalls bis zu einer totalen Niederlage – oder sollte es sich vorsichtig zum Westen hin öffnen und technisch modernisieren, aber mit dem Risiko unkalkulierbarer politischer und gesellschaftlicher Umwälzungen? Das Letztgenannte war natürlich Anathema zum traditionellen Denken des Shōgunats.

In der Hauptstadt Edo befand sich das Epizentrum des Konflikts auf zwei Ebenen. In der Burg rangen konkurrierende Fürstenfraktionen um Einfluss und keiner der Shōgune hatte mehr die Kraft alle zu einigen. In der Stadt und auf ihren Straßen gärte es zunehmend. Samurai vor allem aus Westjapan, aber auch aus Mito, einer Hauptlinie der Tokugawa, forderten den Kampf gegen den westlichen Einfluss und ließen immer öfter ihre Klingen sprechen – auf den Straßen von Edo waren täglich Zehntausende, wenn nicht Hunderttausende Schwerter tragende Samurai unterwegs. Die Obrigkeit versuchte in mehreren Anläufen unter anderem die Hauptstadt wieder stärker unter ihre Kontrolle zu bringen, indem sie abweichende Meinungen und die Bildung von politischen Gruppen verfolgte und gleichzeitig die Zuwanderung zu unterbinden suchte. Doch es nutzte nichts, das Klima beruhigte sich nicht und im Juli 1853 erschien der US-Kommodore Matthew C. Perry mit einer Flottille moderner dampfgetriebener Kriegsschiffe vor Uraga am Eingang der Bucht von Edo. Diese »Schwarzen Schiffe« (kurofune) lösten genauso einen Schock aus wie die Landung von 300 Soldaten. Die Schwäche des Shōgunats, das nominell über eine zehntausende zählende, aber hoffnungslos veraltete Armee gebot, wurde offensichtlich. Man sah sich 1854 gezwungen mit den Amerikanern, und bald darauf auch mit Russen, Engländern und Niederländern Verträge abzuschließen. Die ab 1858 folgende Serie der »Ungleichen Verträge« begünstigte die fremden Mächte einseitig, indem ihnen Häfen geöffnet, die Ansiedlung von Konsuln und anderen Staatsbürgern, allesamt mit exterritorialem Status (also ausgenommen vom japanischen Gesetz), sowie wirtschaftliche und finanzielle Privilegien eingeräumt wurden, die Japaner nicht erhielten.

Damit war die Geschäftsgrundlage des Shōgunats entfallen, denn das Amt bedeutete eigentlich »Militärbefehlshaber zum Niederwerfen der Barbaren«, was zum Ärger vieler konservativ denkender Samurai und auch Bürgerlicher aber nicht einmal ernsthaft versucht wurde. So gingen diese in der Sonnō jōi-Bewegung zusammengeschlossenen »Patrioten« in Opposition zum Shōgunat und richteten ihre Hoffnungen auf den Kaiser. Der Name der Bewegung war zugleich ihr Programm – in Übersetzung: »Verehrt den Kaiser und vertreibt die Barbaren!«

Das Shōgunat geriet so in die missliche Lage, ohnmächtig zwischen den Ansprüchen der mächtigen »Barbaren« und dem Ärger eines bedeutenden Teils der Bevölkerung zu stehen. In Edo selbst wirkte sich die durch den rasant wachsenden Außenhandel steigende Nachfrage nach vielen Gütern preistreibend aus. Einfache Stadtbewohner wie Samurai litten, aber nur den Fürsten wurde geholfen, indem man 1862 ein seit dem 17. Jh. ehern geltendes Prinzip aufgab, dass die ständige (und kostenintensive) Anwesenheit von Frauen und Kindern der Fürsten in Edo verlangte, deren Präsenz so die Loyalität ihrer Männer/Väter in den Provinzen garantierte. Der Massenexodus der Fürstenfamilien mit Zehntausenden von Gefolgsleuten aus Edo gab nicht nur den Gegnern des Shōgunats im Westen und Süden Japans freie Hand, sondern schwächte die Wirtschaft der Stadt nachhaltig. Hungrige Menschenaufläufe plünderten die Häuser reicher Händler aus. Weite Stadtviertel einschließlich Akasaka, Kanda, Azabu, Yotsuya, Shiba und Honjo gerieten phasenweise außer Kontrolle, die Regierung war blamiert.

Der letzte der starken Männer des Shōgun –
Ii Naosuke (1815 – 1860)

Als die Sonnō jōi-Bewegung begann, Gewalt auszuüben, griff die Shōgunatsregierung ab 1858 hart durch. Verantwortlich für diese Repression war der letzte der starken Männer des Shōgunats, Fürst Ii Naosuke (1815 – 1860). Obwohl er nur der vierzehnte Sohn des Fürsten von Hikone war und schon länger in einem buddhistischen Kloster lebte, wurde er 1850 doch noch Nachfolger seines Vaters, nachdem alle älteren Brüder entweder gestorben oder zur Adoption in andere Familien gegeben worden waren. Das kulturell verfeinerte Leben der Klosterzeit prägte Naosuke nachhaltig; er war Meister der Teezeremonie und als Schriftsteller tätig. Ii Naosuke wurde aktiv in der nationalen Politik, die von starken Richtungskämpfen zwischen einzelnen Fürstenfraktionen und Cliquen selbst innerhalb der Familie Tokugawa geprägt wurde. 1858 wurde Ii Naosuke zum Tairō ernannt, eine nur selten besetzte Position, wodurch er der starke Mann in der Regierung war. Die Entscheidung, dass die Ungleichen Verträge mit den USA und anderen zu akzeptieren waren, nahm er auf sich, obwohl er sich zugleich auch von den pro-westlichen Reformern abgrenzte. Viele Gegner wurden aus ihren Ämtern gedrängt.

Ii Naosukes Akzeptanz des Unpopulären, aber Unvermeidlichen machte ihn zur Zielscheibe der Gegner der Landesöffnung und des Shōgunats. Die Vergangenheit und die privaten Leidenschaften Ii Naosukes schienen allerdings so gar nicht zusammenzupassen mit dem Bild des harschen, verhassten Diktators. Wie bei Matsudaira Sadanobu beobachtet man große Abweichungen zwischen den kultivierten persönlichen Interessen Naosukes und dem geharnischten Auftreten als loyale Amtsperson der Tokugawa, was allerdings für Zeitgenossen wohl weniger verwunderlich war als für uns Heutige. Als Samurai und Vasall der Tokugawa sah er sich in der Pflicht, die Politik umzusetzen, die dem Haus des Shōguns langfristig am meisten zu nutzen schien. Wenn dazu die Billigung verhasster ungleicher Verträge und die Exekution unruhiger Elemente gehörte, so musste dies sein; anschließend konnte er sich wieder der Teezeremonie und anderen kulturellen Aktivitäten widmen.

Wie sein illustrer Vorfahr Ii Naomasa, der im Jahre 1602 durch die Folgen einer im Kampf für seinen Herrn Tokugawa Ieyasu erlittenen Wunde sein Leben gelassen hatte, starb auch Ii Naosuke in Pflichterfüllung. Nach nur 20 Monaten seiner »Diktatur«, am 24. März 1860, näherte sich Ii Naosuke frühmorgens in seiner Sänfte mit kleinem Gefolge der Burg Edo, als eine Gruppe von 18 stellungslosen Samurai (rōnin) auf ihn zusprang. Arimura Jisaemon aus Satsuma schlug des Fürsten Kopf ab und entleibte sich selbst an Ort und Stelle. Dies geschah direkt vor dem Sakurada-mon, einem der großen äußeren Tore der Burg. In populären Medien, ob Farbholzschnitte oder Filme, sieht man immer wieder das Bild des roten Bluts, das auf den weißen Schnee vor dem Burgtor tropft und in ihn einsickert.

Zeitenwende und der letzte Shōgun
Tokugawa Yoshinobu (1837 – 1913)

Das Shōgunat hielt Ii Naosukes Tod mehrere Monate geheim, um nicht den Eindruck der Instabilität zu erwecken. Nur wenige Jahre später war die Herrschaft jedoch unhaltbar geworden und der letzte Tokugawa-Shōgun, Yoshinobu (1837 – 1913, Regierungszeit 1866 – 1867), musste nach nur einem Jahr im Amt zurücktreten.

Von Tokugawa Yoshinobu besitzen wir Photographien. Eine, die 1867 in Ōsaka aufgenommen wurde, zeigt den letzten Shōgun sitzend in fließender Hoftracht mit zusammengefaltetem Fächer und der eboshi genannten formellen Hofmütze. Obwohl der Herrscher gerade einmal 30 Jahre alt ist, wirkt sein feines Gesicht angespannt und müde. Die Augen blicken den Betrachter nicht an und die schmalen Lippen sind zusammengekniffen.

Obwohl er persönlich nicht unfähig war, war es zu spät für Yoshinobu. Auch französische Militärhilfe konnte das Tokugawa-Shōgunat nicht wieder erstarken lassen, und im November 1867 gab er sein Amt auf und die Regierungsmacht an den Kaiser in Kyōto zurück. 264 Jahre der Herrschaft der Familie Tokugawa waren an ihr Ende gekommen. Trotzdem griffen die rebellischen Lehen Satsuma und Chōshū in Kyōto an. Trotz zahlenmäßiger Überlegenheit ließ Yoshinobu seine Truppen im Stich als er sah, dass die Rebellen das kaiserliche Banner trugen. Durch die sichtbaren Zeichen der kaiserlichen Legitimation wurden die Tokugawa selbst zu Rebellen. Der ehemalige Shōgun Yoshinobu floh nach Edo, wohin die gegnerische Armee ihm folgte. Die Übergabe der Burg Edo im April 1868 an die ehemaligen Rebellen und jetzigen Kaiserlichen bedeutete, dass die Stadt vor größeren Kämpfen bewahrt blieb, obwohl nicht alle Tokugawa-Loyalisten aufgaben wie ihr Shōgun. Das Tor zum Tempel Kyō in Nippori, in der Nähe von Ueno, legt mit seinen vielen Einschusslöchern aus dem Gefecht um Ueno bis heute davon Zeugnis ab.

Tokugawa Yoshinobu erfuhr Milde, aber er musste seine ehemalige Hauptstadt verlassen. Er lebte nun als Gentleman im Frühruhestand mit vielen Hobbys in Shizuoka, dem Alterssitz seines Urahns Tokugawa Ieyasu. Die Tokugawa versuchten nie mehr, die Macht zurückzugewinnen; sie wären angesichts der gewaltigen Veränderungen, die nun einsetzten, auch anachronistisch gewesen. Schon bald verschwand sogar der Stadtname Edo von der Landkarte. Die Stadt beherbergte nun keinen Shōgun mehr, sondern den Kaiser und hieß seit dem 3. September 1868 Tōkyō. 1897 erlaubte man Tokugawa Yoshinobu die Rückkehr nach Tōkyō, wo er 1913 hoch betagt starb. Sein Grab befindet sich auf dem Friedhof von Yanaka.

Die Stadt der Fürsten und Samurai

Die ersten Fürsten in Edo

Mit Tokugawa Ieyasu kamen ab 1590 zahlreiche seiner loyalen Fürsten (daimyō) und Samurai nach Edo, die wie er ihre angestammten Lehen verließen. Andere, wie Tōdō Takatora, kamen vorübergehend im Rahmen der von ihnen verlangten Aufbauhilfe (s. Denn sie bauten eine Burg – Tōdō Takatora und Katō Kiyomasa, S. 30). Zu denen, die eine eigene Residenz errichteten, gehörte Oda Yurakusai (eigentlich Oda Nagamasu, 1548 – 1622). Yurakusai war ein jüngerer Bruder des ersten Landeseinigers Oda Nobunaga (ermordet 1582). Anders als dieser war Yurakusai viel mehr an kulturellen als an militärischen Großtaten interessiert. Als ein Schüler des berühmten Teemeisters Sen-no-Rikyu, dessen Lehren heute noch in Japan einflussreich sind, wurde er selbst zum Meister dieser Königsdisziplin der damaligen Hochkultur. Allerdings musste er sich Sorgen machen um sein Ansehen als Samurai, bis es ihm in der Schlacht von Sekigahara 1600, an der er mit bescheidenen 450 Kriegern auf Seiten der Tokugawa teilnahm, gelang, den Kopf eines gegnerischen Generals zu nehmen. Diese war die einzige Kopftrophäe, die er je in einer Schlacht erbeutete, aber sie war genug, um Yurakusais Ansehen über Kritik zu erheben.

In Edo erbaute Oda Yurakusai sich eine Residenz südöstlich der Burg. Obwohl sie schon lange aus dem Stadtbild verschwunden ist, verleiht sie dem Viertel bis heute seinen Namen: Yuraku-chō, »Städtchen des Yurakusai«. Nicht in Edo, sondern in Kyōto schuf Yurakusai seine bedeutendste Hinterlassenschaft, das als japanischer Nationalschatz verehrte Teehaus Jo-an, das zwischenzeitlich nach Tōkyō reloziert wurde und heute zusammen mit Yurakusais Studierzimmer auf dem Gelände des Meitetsu-Hotels in Inuyama bei Nagoya zu sehen ist. Der Weg des Tee nach Sen-no-Rikyu und Oda Yurakusai verlangte erlesene Schlichtheit und die Konzentration auf das Wesentliche. Auch Fürsten, sogar Shōgun und Kaiser, mussten sich bücken, um durch die niedrige Tür in das Innere des einfach wie eine Bauernkate errichteten Teehauses zu gelangen. In Oda Yurakusais Teehaus gibt es nur zwei Räume, einer drei Tatami-Matten, der andere zweieinhalb Matten groß (eine Matte misst knapp zwei Quadratmeter). Die wenigen Gäste entspannten sich in nobler Einfachheit, während der Gastgeber ihnen formvollendet grünen Tee zubereitete und servierte. Standesunterschiede konnten für kurze Zeit ausgeblendet werden und man kam sich beim tiefen Genuss der Tee-Ästhetik menschlich näher. Unter den Fürsten der Edo-Zeit waren Kenntnisse in der Tee-Zeremonie Teil der Grundbildung und keine der zahlreichen Fürstenresidenzen kam ohne ein Teehaus im Garten aus.

Obwohl nicht von fürstlichem Rang, stand der Samurai Hattori Hanzō (1541 – 1596) Tokugawa Ieyasu näher als die meisten seiner hochadligen Gefolgsleute. Er war nämlich Ieyasus Mann fürs Grobe, den die Zeitgenossen Oni no Hanzō, »Hanzō, den Teufel«, nannten. Hanzō gehörte zu jener Gruppe sagenumwobener irregulärer Kämpfer, die wir oft Ninja nennen. Er und seine Leute waren in der quasi-autonomen Region Iga aufgewachsen und von Jugend an in den regulären Kampfkünsten, aber auch in den sogenannten verborgenen Künsten trainiert worden. Dazu gehörte die Fähigkeit, unbemerkt in streng bewachte Objekte eindringen zu können, Nachrichten zu sammeln, Attentate auszuführen und sich schnell wieder zu entfernen.

Ninja erledigten gegen Geld oder andere Leistungen Schmutzarbeit für Fürsten. Dass Hattori Hanzō auch der Erfinder eines Bootes zur Abwehr von Ninja-Unterwasserbooten war, darf man allerdings ins Reich der Spekulationen verweisen. Natürlich gehörte Heimlichkeit zu den Haupttechniken solcher Männer (und Frauen), sodass wir über das Leben von Hanzō, dem Teufel, eigentlich wenig gesichertes Wissen besitzen. Zu diesem Wenigen gehört, dass er seit 1557 auf Seiten der Tokugawa kämpfte. 1581 stand Hanzō vor den rauchenden Trümmern seiner Existenz – Fürst Oda Nobunaga hatte seine Heimat in Iga verwüsten lassen – und ihm waren nur noch wenige Mitkämpfer geblieben. Das Glück wendete sich 1582 für ihn, als Tokugawa Ieyasu selbst im Chaos nach Oda Nobunagas Ermordung vor der schwierigen Aufgabe stand, von Ōsaka aus mit nur wenigen Begleitern nach Osten ins sichere Mikawa zu gelangen. Hanzō schlug die Route durch Iga zum Meer vor und sorgte mit List und Geschick dafür, dass die Gegner Ieyasu nicht zu fassen bekamen. Tokugawa Ieyasu vergaß nie, wer ihm genutzt hatte und wer nicht, außerdem hatte er Hanzōs Fähigkeiten aus nächster Nähe studieren können. Er stattete ihn reichlich aus und machte ihn zu seinem obersten Leibwächter; weitere Geheimaufträge, die ihm ziemlich sicher noch übertragen wurden, waren leider genau das – geheim, und sind es bis heute geblieben. Hanzō und seine Männer kamen jedenfalls 1590 mit Ieyasu nach Edo. Ganz offensichtlich war der Ninjameister erfolgreich in seiner Hauptaufgabe, denn an Ieyasu kam kein Gegner heran. Weniger Erfolg hatte Hanzō beim Schutz seiner eigenen Person: Sein Tod 1596 mit 55 Jahren soll durch einen Hinterhalt eines verfeindeten Ninja-Clan erfolgt sein. Hanzō liegt auf dem Gelände des Sainen-Tempels in Shinjuku begraben, wo auch einige seiner Lanzen und sein Helm aufgehoben werden.

Die ultimative Wertschätzung des späteren Shōgun für Hattori Hanzō drückt sich darin aus, dass er dessen 18-jährigen Sohn Masanari zu Hanzōs Nachfolger ernannte. Masanari und seine Männer schützten die Burg in Edo, was sich sowohl in dem historischen Namen eines ihrer Tore (Hanzōmon), an dem einst Hanzōs Haus stand, als auch in der gleichnamigen Tōkyōter U-Bahn-Linie Hanzōmon-sen erhalten hat. Allerdings hatte Hanzō, der Teufel, wohl erkannt, dass die kommende, geordnete Edo-Periode den Ninja weit weniger Betätigungsmöglichkeiten bieten würde. Man musste sich anpassen und den sozialen Aufstieg festigen. Deshalb hatte er Masanari nicht die Ninja-Künste erlernen lassen, sondern ihn zu einem regulären Samurai erzogen, was 1605 zur Spaltung der Iga-Ninja in vier Fraktionen führte und sie dauerhaft schwächte, ganz im Sinne der Sicherheit des Tokugawa-Regimes und auch der frisch aufgestiegenen Familie Hattori.

Obwohl Yuraku-chō und die Gegend um Hanzōmon heute lebendige Innenstadtviertel sind, übertrifft ein Ort, der ebenfalls an Fürsten aus der Gründergeneration von Tokugawa Ieyasus Edo erinnert, beide bei weitem: Shinjuku, eine gewaltige Konglomeration im Westen mit eigenem Wolkenkratzerviertel und einem Bahnhof, der täglich mehr als drei Millionen Ein- und Ausstiege verzeichnet. Shinjuku bzw. Naitō-Shinjuku, wie es lange nach der hier angesiedelten Fürstenfamilie hieß, profitierte von geografisch-ökonomischen Gegebenheiten. Die wichtigste Landstraße von Edo in die bergige Provinz Shinano (heutige Präfektur Nagano) war die Kōshū Kaidō. Auf rund 200 km dieser Straße gab es zwar 44 Rast- und Postsiedlungen (shuku bzw. -juku), die letzte war aber von Nihonbashi, dem Mittelpunkt von Edo, 16 km entfernt; zu weit, um herannahenden Fürsten mit großem Gefolge einen würdevollen Einzug zu erlauben, wie es fünf Geschäftsleute aus Asakusa erkannten. So wurde 1698 ein Ort gesucht und gefunden, an dem sie eine »Neue Station« (shin-juku) einrichten durften. Dass die fünf vorher im Bordellgewerbe in Yoshiwara engagiert gewesen waren, ist sicher kein Zufall gewesen: Der bis dahin beschauliche Ort im Westen am Stadtrand von Edo entwickelte sich rasch zu einem der größten lizensierten Freudenviertel von Edo und beherbergt heute das riesige Vergnügungsviertel Kabuki-chō. Die Verbindung von Poststation und Prostitution spiegelte sich auch in dem wenig freundlichen Bonmot von den »Blumen im Pferdemist« wider, womit die Freudenmädchen von Shinjuku gemeint waren.

Von den mehreren hundert Residenzen der Fürsten Japans, die bis 1868 rund ein Drittel der Stadt Edo einnahmen, sind außer einigen wenigen, weiter verwendeten Torbauten nur noch Gartenanlagen wie der Hama Rikyu-teien an der Bucht von Edo/Tōkyō erhalten. Die Anlage wurde von Mitgliedern der Familie Tokugawa eingerichtet und unter dem 11. Shōgun Ienari fertig gestellt. In der Meiji-Zeit gingen Garten und Residenz in den Besitz der kaiserlichen Familie über, kamen aber 1945 an die Stadt Tōkyō.

Der Ort Naitō-Shinjuku trug den Namen der Fürstenfamilie von Takato, den Naitō, die an diesem Ort Land für ihre Edo-Residenz erhalten hatten. Die entscheidende Figur aus dieser Familie unter den frühen Tokugawa-Loyalisten war Fürst Naitō Nobunari (1545 – 1612) gewesen. Aus der Anwesenheit der Naitō-Residenz und der Ansiedlung einiger Tempel und Schreine im benachbarten Yotsuya in den 1630ern hatte sich eine bescheidene Urbanisierung der Gegend ergeben, aber erst der neue Status als Poststadt war der Auftakt zu einem Aufblühen, das zusätzlich noch im späten 19. Jh. durch die Gründung von Eisenbahnlinien befördert wurde. Der alte Fürstenname Naitō war bis ins 20. Jh. hinein mit dem Ortsnamen Naitō-Shinjuku verbunden, denn schließlich hatten die Naitō einiges von ihrem Land für die »neue Station« abgeben müssen. Zwar gibt es ihr Anwesen nicht mehr, aber das Land, auf dem es über Jahrhunderte stand, ist heute der öffentliche Park Shinjuku Gyoen und auch die alte Überlandstraße Kōshū Kaidō verläuft als vielspurige Autostraße angrenzend.

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977,41 ₽
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Дата выхода на Литрес:
23 декабря 2023
Объем:
300 стр. 17 иллюстраций
ISBN:
9783945751701
Правообладатель:
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