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Pfahlburger und Ausburger

Diese Abkommen trugen dazu bei, dass Habsburg in der zweiten Jahrhunderthälfte mit einigem Erfolg eine umfassende Territorialherrschaft im östlichen Alpenraum anstrebte und die Grafschaft Tirol sowie die Landgrafschaft Montfort-Feldkirch erwarb, später auch Sargans. Mit der Teilung des Hausbesitzes im Jahr 1373 fielen diese Gebiete an Herzog Leopold III., der mit den Vorlanden auch für die schweizerischen Gebiete zuständig war. Nachdem sich das stark adlig geprägte Freiburg im Breisgau 1368 Habsburg unterstellt hatte, richtete Leopold den Blick weiter auf Basel, das sich als vorderösterreichische Residenz anbot. Dort verlor der Fürstbischof schnell an Einfluss, denn in seinem wirtschaftlich wenig ergiebigen Herrschaftsgebiet, das im Jura bis zum Bielersee reichte, sah er sich drei Arten von Konkurrenten ausgesetzt: Habsburg und der regionale Adel; die südlichen Kommunen wie Bern, Biel und Solothurn; und die aufstrebenden Städte im eigenen Territorium, namentlich Basel, dessen Bürger dem verschuldeten Fürstbischof stadtherrliche Rechte und dann auch ländliche Besitzungen – das Oberbaselbiet – durch Pfand oder Kauf abnahmen.

Der Bischof war nicht der einzige, der sich im Gebiet der späteren Schweiz mit den zwei möglichen Modellen herrschaftlicher Durchdringung konfrontiert sah: landesfürstliche oder städtische Territorienbildung. Die Habsburger, zumeist unterstützt vom verbleibenden Adel, versuchten vom Land her, die Städte als Verwaltungszentren in ihren Herrschaftsbereich einzubauen. Die Städte gingen den umgekehrten Weg und banden die Landbewohner in ihre Kommune ein. Neben Pfand oder Kauf war dabei für die Städte im Mittelland vor allem das Burgrecht wichtig. Einerseits betraf dies die «Pfahlburger» (falsche Bürger, cives falsi), vormals hörige Bauern, die nach dem Prinzip «Stadtluft macht frei» aufgenommen und emanzipiert wurden. Andererseits handelte es sich um Ausbürger oder Ausburger (cives non residentes), die in der Regel ausserhalb der Stadt wohnten. Das waren freie, herrschaftsfähige Menschen, zumeist Adlige, aber auch Kollektive: Klöster, Dorfgemeinden, andere Städte. Mit diesen wurde ein Burgrecht geschlossen, wonach die sogenannt «Verburgrechteten» den Bürgereid leisteten und damit an den Privilegien der Stadt teilhatten: Marktzugang, militärischer Schutz, gerichtliche Autonomie. Für den geschwächten Adel war das Burgrecht ein Mittel, seinen Status zu verteidigen, indem er sich mit den wirtschaftlich erfolgreicheren Bürgern verbündete. Bauern konnten als Pfahlburger gerade umgekehrt die grundherrlichen – also adligen – Forderungen nach Abgaben loswerden. Für die Stadt lohnte sich das Burgrecht wiederum, indem sie dank dem Adel und seinen Hörigen auf Krieger und Nahrungsmittel Zugriff hatte, im Gebiet der Verburgrechteten als Schiedsrichter auftreten und gewisse Steuern erheben konnte: neben dem Einkaufsgeld für das Bürgerrecht vor allem das «Udel», eine Kaution und damit ein Ersatz für Hausbesitz innerhalb der Stadt.

Durch solche Praktiken griffen die Städte über ihre Mauern hinaus und begannen ein durch städtische Freiräume geprägtes Netzwerk von Burgrechten aufzubauen, das die adlige Basis – Grundherrschaft und Vogteirechte – der fürstlichen Territorialherrschaft in Frage stellte. Das erklärt, weshalb die Kurfürsten in der Goldenen Bulle von 1356 das Pfahlburgerwesen verbieten liessen. Das liess sich aber kaum durchsetzen, schon gar nicht in der Eidgenossenschaft. Hier betrieb sogar die noch habsburgische Landstadt Luzern eine Ausbürgerpolitik, die allerdings weniger auf den Adel als auf ländliche Kommunen ausgerichtet war, so auf das Entlebuch und die nahe gelegene Kleinstadt Sempach. Die Sempacher lagen mit ihren österreichischen Pfandherren im Streit um Steuern und Autonomierechte. Rückhalt fanden sie in Luzern, dessen (wirtschafts-)politische Spielräume durch die habsburgische Herrschaftsintensivierung ebenfalls eingeengt wurden. Obwohl sie selbstverständlich in Sempach selbst wohnhaft blieben, wurden die Sempacher Anfang 1386 «ingesessene Burger» von Luzern. Ähnlich nahm Luzern landsässige österreichische Eigenleute, also unfreie Bauern, in mehreren Masseneinbürgerungen auf, zuletzt 1385/86. Gleichzeitig eroberte Luzern die habsburgischen Besitzungen Rothenburg und Wolhusen und vertrieb die Vögte.

Sempach als Wende

Die widerrechtlichen Handlungen der Luzerner stellten die Herrschaft des lokalen Adels in Frage und riefen Herzog Leopold III. auf den Plan. Wenn er seine Landstadt Luzern zur Rechenschaft zog, stärkte er auch seine Position in den habsburgischen Stammlanden zwischen den Neuerwerbungen im Breisgau, im Rheintal und im Tirol. Doch das misslang im heissen Juli 1386 in der Schlacht bei Sempach. Die im Einzelnen schlecht dokumentierte, aber sensationelle Niederlage der berittenen Krieger gegen Fussknechte aus Stadt und Land war in den Augen der österreichisch-adligen Geschichtsschreibung ein Skandal: Der heldenhafte Leopold und seine adligen Vasallen wurden «mit dem schwert erschlagen, uf dem iren und von den iren und uss dem iren gäntzlich ussgetilget». Die Kurzformel «In suo, pro suo, a suis occisus» besagte, dass der Herzog von rebellischen Untertanen ermordet wurde, als er in seinem Territorium seine rechtmässigen Herrschaftsrechte ausübte. Die Niederlage der Habsburger bei Sempach erregte über die regionalen Folgen hinaus Aufsehen. Die Auseinandersetzung konnte als Teil des Deutschen Städtekriegs angesehen werden, in dem von 1387 bis 1389 ein fürstlicher Herrenbund dem 1381 gegründeten Süddeutschen Städtebund gegenüberstand, der wiederum den Schwäbischen Bund (um Ulm) und den Rheinischen Städtebund (von Frankfurt bis Strassburg), aber auch Basel umfasste. Die schwäbischen Städte unterlagen in der Schlacht bei Döffingen (1388) gegen Württemberg ebenso wie der rheinische Bund im selben Jahr bei Worms. Der Landfriede von Eger (1389) verfügte die Auflösung aller Städtebünde, insbesondere also des Süddeutschen Städtebunds. Dieser hatte zeitweise rund 50 Reichsstädte umfasst, nachdem er sich im «Konstanzer Bund» 1385 durch ein Bündnis mit Bern, Solothurn, Zürich und Zug erweitert hatte, woran auch Luzern indirekt – über Zürich – beteiligt war. Allerdings wollten sich die süddeutschen Städte in den Konflikt mit Leopold nicht hineinziehen lassen: Bei Sempach kämpften nur die Angehörigen des Zürcher Bunds von 1351; es fehlte also auch Bern.

Ohne den Sieg bei Sempach wäre dieser Zürcher Bund wohl ebenso aufgelöst worden wie die Städtebünde in Südwestdeutschland. Dort hatte sich allerdings die Bauernschaft in den brutalen Kämpfen auf die Seite des Adels geschlagen, der ihnen besseren Schutz versprach als die brandschatzenden Truppen der Städte. In der Eidgenossenschaft dagegen wirkten Stadt- und Landbewohner gemeinsam als ausgreifende Ordnungsmacht, die nicht auf Fürsten und Adel angewiesen war. In dieser Hinsicht hatte Leopold III., mit Tiroler Angelegenheiten beschäftigt, 1375 schon im Guglerkrieg versagt, als Innerschweizer, Seeländer und Berner marodierende Söldnertruppen zurückschlugen, die während einer Ruhephase des Hundertjährigen Kriegs von Frankreich her ins Mittelland eingefallen waren. Mit Herzog Leopold fielen bei Sempach mehrere Hundert Adlige, als getreue Gefolgsleute der Habsburger die Basis ihrer Herrschaft in den Vorlanden. Das habsburgische Lehensgeflecht bis hin zum Oberrhein war damit stark gelichtet. Die neuen lokalen Herren, die sie ersetzten, hatten kaum Verpflichtungen gegenüber dem fernen und geschwächten Österreich und orientierten sich stattdessen an den nahen und erfolgreichen Eidgenossen, die sich im Machtvakuum als Alternative zur fürstlichen Herrschaft positionierten.

Partnerschaft oder Unterordnung?

Solche Verträge, die im eidgenössischen Umfeld oft als Schirmherrschaften geschlossen wurden, entwickelten sich nicht selten von Abmachungen unter rechtlich Gleichgestellten zu einem Mittel, um den schwächeren Partner unterzuordnen. Wie offen die Situation war, zeigt sich bei den habsburgischen Vogteien und Seeanrainern Gersau, Weggis und Vitznau. 1359 bestätigten ihnen die Waldstätte und Luzern die Aufnahme in ihren Bund von 1332. Doch nach 1380 geriet Vitznau widerstandslos und Weggis trotz Gegenwehr unter die Vogteigewalt Luzerns, das so Habsburgs Nachfolge antrat. Gersau hingegen blieb nach dem Loskauf der Vogteirechte selbstständig und bis zum Ende der Alten Eidgenossenschaft ein Zugewandter Ort der Waldstätte, die gegen die Zusage einer Kriegsmannschaft Schutz und Schirm übernahmen. Ähnlich unterstellte sich das Kloster Engelberg der Schirmherrschaft Luzerns und der Waldstätte. Auch die Stadt Zug und das Tal Glarus besannen sich nun auf die älteren, bisher unverbindlichen Bünde. Die Glarner bestätigten ihre Entscheidung 1388 bei Näfels durch einen überraschenden Sieg gegen ihre früheren Habsburger Herren, welche die abtrünnigen Untertanen wieder gefügig machen wollten.

An die Stelle eines Landesfürsten, der mit seinen Vasallen eine grossräumige Kontrolle versprochen hätte, trat eine Vielzahl eher regional orientierter und weitgehend autonomer Städte und Talschaften, die schlecht koordiniert waren und oft miteinander konkurrierten. So näherte sich Zürich schon bald nach dem Sempacherkrieg den Habsburgern an. Die undisziplinierten Innerschweizer Kriegsleute waren nur für die Viehhändler naheliegende Alliierte, nicht aber für Fernkaufleute und Gewerbetreibende, deren wirtschaftliche Interessen im Bereich von Oberrhein und Bodensee lagen, wo viele Reichsstädte und Adlige unter habsburgischem Schutz zusammenlebten. Doch die proeidgenössischen Kräfte in Zürich stürzten die Anhänger Habsburgs und errichteten ein richtiges Zunftregiment mit zwei halbjährlich wechselnden Bürgermeistern. Aussenpolitisch fanden sie eine Mittlerrolle, die den gegensätzlichen Interessen der Bürger entsprach. Im Zwanzigjährigen Frieden von 1394 mit der «eitgenoschaft», was als Kollektivbezeichnung nunmehr auch gegen aussen exklusiv genug war, erkannte Habsburg de facto den Verlust von Luzern, Zug und Glarus an, während Zürich für das Wohlverhalten der Inneren Orte garantierte.

Voraussetzung dafür war der Sempacherbrief von 1393 – das erste gemeinsame Dokument, das die Waldstätte, Luzern, Zürich, Bern, Zug und Glarus «in unser eitgenoschaft» vereinte. Dass auch Solothurn den Sempacherbrief unterschrieb, zeigt allerdings, dass die mit den Waldstätten abgeschlossenen Bündnisse noch nicht als exklusiver Kern einer «achtörtigen Eidgenossenschaft» angesehen wurden. Für die Unterzeichner galten nun einige Regeln, welche die Handschrift der städtischen Kaufleute verrieten und sie für die Habsburger erst zu Friedenspartnern mit ähnlichen Werten machten. Unter Eidgenossen waren Gewalttaten verboten, der Handel wurde geschützt; im Krieg wurden Fahnenflüchtige und vorzeitige Plünderer bestraft, Kirchen, Klöster und Frauen geschont. Dass solche Abmachungen nötig waren, verrät einiges über die Kämpfe und Scharmützel im Umfeld der Schlacht von Sempach.

Die Gegensätze unter den Eidgenossen waren damit nicht behoben, wie der «Zuger Handel» von 1404 zeigte. Gegen die Stadt Zug stützte Schwyz das «Äussere Amt», die ländlichen Gemeinden (Baar, Menzingen und Ägeri), die befürchteten, dass die Stadt sie dank dem königlichen Privileg des Blutgerichts unterwerfen würde. Auf ähnliche Weise eigneten sich nämlich die eidgenössischen Städte allmählich ein untertäniges Territorium an, wogegen die bäuerlichen Kommunen Autonomie oder Gleichrangigkeit mit der Stadt zu bewahren suchten. Insofern trat in Zug ein grundsätzlicher Konflikt zutage, in welchem dem wichtigsten Landort Schwyz nicht zufällig die Reichsstadt Zürich entgegentrat, die mit Luzern, Uri und Unterwalden zugunsten der Stadt Zug eingriff. Die in den Bünden vorgesehene Schlichtung wurde nötig, worauf Bern und Solothurn zusammen mit Glarus als Vermittler wirkten und gegen Schwyz entschieden. Es musste die drei Landgemeinden aus dem Landrecht entlassen, mit dem die Schwyzer ähnlich wie die Städte mit dem Burgrecht versucht hatten, ihre Nachbarn an sich zu binden.

Ein Landrecht schloss Schwyz 1403 auch mit Appenzell, das seit den 1360er-Jahren gegen seinen mit Habsburg verbündeten Landesherrn, den Fürstabt von St.Gallen, um seine hergebrachten Rechte und konkrete Abgaben stritt. Nachdem die Appenzeller in der Schlacht am Stoss 1405 sogar ein österreichisches Heer hatten besiegen können, taten sich ähnlich wie in der Eidgenossenschaft Bauern und Bürger in einem «Bund ob dem See» zusammen. Die Stadt St. Gallen sowie weitere ländliche Kommunen und Städte im Rheintal gesellten sich zu Appenzell, sodass sich eine politische Neuordnung zulasten Österreichs und des Adels anbahnte. Doch 1407 konnte der schwäbische Ritterbund Sankt Jörgenschild die seit Monaten belagerte Stadt Bregenz am Bodensee entsetzen und die Appenzeller wenig später schlagen.

Der Bund ob dem See wurde aufgelöst, aber die Appenzeller konnten ihre Unabhängigkeit vom Fürstabt durch ein Burg- und Landrecht mit allen Eidgenossen (ausser Bern) wahren, das ihnen verbot, eigenmächtig Kriege zu eröffnen. Insofern war dieser Vertrag ebenso ein Zähmungsinstrument wie eine Allianz. Dies bewies erneut, dass die kommunale Selbstorganisation auch als ausgreifende Ordnungsmacht eine Alternative zur fürstlichen Territorialherrschaft darstellte: Die Eidgenossen bestätigten nämlich auch die Herrschaftsrechte des St. Galler Abtes. Ritterbünde wie Sankt Jörgenschild, die auf der Fehdehilfe «wider die Geburen zu Appenzell und ihre Helfer» beruhten, vermochten dagegen keine dauerhaften politischen Strukturen aufzubauen. Gegen diesen Adel richtete sich in den Augen der Zeitgenossen die von Schwyz geführte Bewegung, die in Bauernunruhen etwa in Savoyen oder England zeitgleiche Parallelen kannte und in der die eben noch unbekannten Appenzeller zu ansteckendem Ruhm gelangt waren: «Die puren woltent all gern Appenzeller sin.»

Die Gemeinen Herrschaften als verbindendes Element

Im Reich herrschte seit 1410 mit Sigismund letztmals ein Luxemburger König, der 1433 auch Kaiser wurde. Mit Reichsreform, Kirchenreform und Kreuzzug hatte er hohe Ziele. Voraussetzung dafür war ein Ende des Schismas, das der abendländischen Kirche seit 1378 zwei und seit 1409 gar drei Päpste bescherte. Dazu betrieb Sigismund ein Konzil, das 1414-1418 fern von den streitenden Päpsten in der Bischofsstadt Konstanz stattfand, und damit in unmittelbarer Nähe zu den Eidgenossen. Als der (Gegen-)Papst Johannes XXIII. in Konstanz realisierte, dass er nicht in seinem Amt bestätigt, sondern wie seine beiden Konkurrenten zur Abdankung gezwungen werden sollte, floh er zu seinem Beschützer, dem habsburgischen Herzog Friedrich IV. von Tirol. König Sigismund, der um den Erfolg seiner Reformen fürchtete, liess Johannes XXIII. 1415 gefangen nehmen und absetzen, während er Friedrich alle seine Rechte absprach.

Damit war es ein Reichskrieg, in dem die Eidgenossen – ähnlich wie etwa Bayern, die Allgäuer Städte oder der Bischof von Chur – gegen den Herzog marschierten und in königlichem Auftrag in die habsburgischen Stammlande einzogen. Der fünfzigjährige Friede, den sie eben erst, 1412, mit ihm geschlossen hatten, war für den König Makulatur. Sigismund erklärte Luzern, Zug und Glarus für reichsunmittelbar und entband sie damit von der formal noch bestehenden österreichischen Herrschaft. Die Berner rückten zielstrebig von Westen her vor und unterstellten die eroberten Gebiete – den künftigen Berner Aargau – ihrer direkten Herrschaft. Die übrigen Eidgenossen (ohne Uri) griffen eher zögerlich an und fürchteten die Revanche der Habsburger, die besonders Zürich geografisch wie politisch näher lagen. Die Eidgenossen schufen deshalb aus der Grafschaft Baden und den Freien Ämtern im Reuss- und Bünztal «Gemeine Herrschaften» mit einem privilegierten Status für die – zumindest vorübergehend – reichsfreien Städte Baden, Bremgarten und Mellingen. Die Gemeinen Herrschaften kamen unter die gemeinsame Verwaltung von Zürich, Luzern, Schwyz, Unterwalden, Glarus und Zug sowie – nur für die Grafschaft Baden – Bern und ab 1443 auch Uri. Jeder Ort stellte abwechslungsweise für zwei Jahre einen Landvogt. Für die Aargauer änderte sich damit wenig: Anstatt habsburgischen Herren waren sie nun den Eidgenossen unterstellt, welche die Hoheitsrechte in Form einer Reichspfandschaft vom König erwarben. Bestehende Privilegien, etwa bei der niederen Gerichtsbarkeit, wurden respektiert. Damit beschränkte sich die Herrschaft in der Regel auf die höhere Gerichtsbarkeit (Blutgericht, Appellation), das Mannschaftsrecht und einzelne Abgaben (Todfall, Zoll, Bussen). Dazu zählten auch Schutzbriefe für die Juden, welche die Eidgenossen nach ihrem generellen Ausweisungsbeschluss von 1489 allein in der Grafschaft Baden (Surbtal) duldeten.

Wenn die Eroberung des Aargaus ökonomisch wenig ausmachte, so war sie politisch bedeutungsvoll: Die habsburgischen Stammlande wurden von einem trennenden zu einem verbindenden Element der Eidgenossen, auch wenn die Herzöge noch lange nicht bereit waren, den Verlust der Habsburg, der dynastischen Grablege im Kloster Königsfelden oder des Archivs im Verwaltungszentrum Baden anzuerkennen. Erst jetzt wurden sie, für mehr als ein halbes Jahrhundert, zu «Erbfeinden» der Eidgenossen, was diese umgekehrt im Bestreben zusammenschweisste, die Kriegsbeute gegen einen an sich übermächtigen Gegner zu behaupten.

Das Mittelland zwischen Saane und Limmat stellte nun ein von Bern und den übrigen Eidgenossen dominiertes, einigermassen geschlossenes Untertanengebiet dar. Damit entstand aus einem Netzwerk von zerstreuten Herrschaftsträgern – was ja viele Städtebünde gewesen waren – ein eigenständiger, kollektiver Herrscher in einem Raum, der durchaus fürstliche Ausmasse besass und sich im Spannungsfeld der herzoglichen Territorialbildung von Savoyen, Mailand und Habsburg behaupten konnte. Mit den Gemeinen Herrschaften hatten die Eidgenossen auch erstmals eine gemeinsame politische Aufgabe. Die jährliche Rechnungsablage der Landvögte, die jeweils um Pfingsten in Baden stattfand, wurde zum Kerngeschäft der eidgenössischen Tage, der zukünftigen Tagsatzungen, die anfangs allerdings noch an verschiedenen Orten und meistens in Luzern abgehalten wurden.

Vor der Eroberung des Aargaus 1415 hatte es nur sporadisch und an unterschiedlichen Orten Treffen der Verbündeten gegeben. Beschlüsse hatten Einstimmigkeit erfordert; jetzt wurden für die Gemeinen Herrschaften Mehrheitsentscheidungen möglich. Die Eidgenossen zeigten damit, dass sie Strukturen schaffen konnten, die eine fürstliche Schiedsgewalt überflüssig machten. Dazu musste der Informationsaustausch unter den Standeshäuptern verdichtet werden, wozu nicht nur die regelmässigen und formalisierten Treffen beitrugen, sondern auch deren Verschriftlichung in den «Abschieden», den Beschlussprotokollen. Dafür blieben die Kanzleien der einzelnen Orte zuständig. Diese Kanzleien bildeten zugleich den Grundstein einer eigentlichen Verwaltung, mit spezialisierten und gut bezahlten Schreibern, mit Urkundenbüchern, Stadt- und Landsatzungen, Listen von Rechtstiteln, Bürger- und Steuerverzeichnissen und schriftlichen Verordnungen (Mandaten), die das Verhalten von Bürgern und Untertanen regelten.

Zenden und Landsgemeinden

Mit der räumlichen Nähe nahmen auch die Reibungsflächen zwischen den Orten zu, zumal wenn ihre Interessen jenseits der eigenen Grenzen aufeinanderstiessen, wie das, zeitgleich mit der Eroberung des Aargaus, im Walliser Raron-Handel der Fall war. Bern unterstützte den Freiherren von Raron, der die Landeshoheit des Fürstbischofs von Sitten in eine erbliche seiner Familie umwandeln wollte. Luzern, Uri und Unterwalden standen dagegen den Oberwalliser Gemeinden bei. Diese sieben weitgehend autonomen Zenden (Talschaften) mit einem jeweils jährlich gewählten Meier oder Kastlan (Vogt) an der Spitze verteidigten 1420 erfolgreich die Mitspracherechte des Landrats, gleichsam die Walliser Form einer regelmässigen Tagsatzung. Anders als in der Eidgenossenschaft hatte der Landrat aber einerseits im Fürstbischof einen monarchischen Gegenpart und wählte andererseits selbst auch alle zwei Jahre einen Exekutivbeamten, den Landeshauptmann. Mit ihm und der Mitsprache bei Ämtervergaben und politischen Entscheidungen hielten die Zenden nicht nur den Fürstbischof in Schach, sondern bildeten auch einen dichteren politischen Verband als die Eidgenossenschaft.

Wie in Appenzell und Zug zeigte sich im Wallis, dass bei den innereidgenössischen Spannungen neben geografischen Einflusszonen auch politische Ordnungsmodelle umstritten waren. Den stark durch Patrizier geprägten Städten standen in Uri, Schwyz, Unterwalden, Glarus und Appenzell, auch im Amt Zug sowie in Graubünden und im Wallis ländliche Kommunen gegenüber, deren Bürger ab ihrem 14. oder 16. Altersjahr an der Landsgemeinde vergleichsweise demokratische Mitsprache ausübten, auch wenn sie in Clans mit familiären oder wirtschaftlichen Abhängigkeiten eingebunden blieben und die Vorstellung individueller Bürgerrechte fehlte. Die Landsgemeinden waren ursprünglich Gerichtstage, an denen aber seit dem 14. Jahrhundert anstelle eines obrigkeitlichen Vogts die Vertreter der Täler unter einem Landammann zu Gericht sassen. Das konnte später an eigene Zivil- und Strafgerichte delegiert werden, doch übte etwa im Kanton Nidwalden die Landsgemeinde bis 1850 die hohe Gerichtsbarkeit aus: Die Bürger entschieden also gemeinsam über schwere Verbrechen, gegebenenfalls verhängten sie auch die Todesstrafe. Bei fehlender Gewaltentrennung kamen der Landsgemeinde auch alle anderen politischen Kompetenzen zu: wichtige Wahlen (Landesämter, oberste Gerichte, Gesandte, zahlreiche Beamte), der Erlass neuer Gesetze, die Genehmigung von Entscheiden der eidgenössischen Tagsatzungen. Dazu kamen zahlreiche Verwaltungsgeschäfte: Aussenbeziehungen, Reisläuferei, Steuern und Finanzen, Landrechtserteilungen, die Nutzung der Allmend.

Die Landsgemeinden wurden mit strengem Zeremoniell vollzogen und brachten zum Ausdruck, wem in den Landorten «der höchste Gewalt» zukam: den waffenfähigen, vollberechtigten Landleuten. Diese folgten aber in der Regel den zeitlich und ökonomisch abkömmlichen Häuptern aus den einflussreichen und verdienten Geschlechtern. Doch anders als ein Stadtpatrizier und erst recht ein Fürst wussten die Potentaten nicht nur um die Gefahr, sondern auch um die Legitimität einer Revolte oder eines Strafgerichts (der Bündner «Fähnlilupf», die Walliser «Mazze»), wenn sie den Bogen überspannen sollten: Die Klienten, die von ihren Patronen nicht durch Standesschranken geschieden waren, wollten nicht Steuern bezahlen und feste Entscheidungshierarchien errichten, sondern an Privilegien und Pensionen teilhaben. Insofern ist es kein Zufall, dass «Bauern» – oder vielmehr nichtadlige Landleute – sich sonst nirgends in Europa auf Dauer als Herrschaftsträger etablieren konnten: Wer Entscheidungen immer wieder relativ aufwendig aushandeln musste, konnte nur mühsam staatliche, also auf Gehorsam ausgerichtete Strukturen aufbauen und kaum länger Krieg führen und das Territorium ausweiten.

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9783039198085
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