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Reichsfreiheit als Herrschaftskern

Für eine Ausdehnung des Territoriums hatten im eidgenössischen Raum die Städte günstigere Voraussetzungen, zumal sie dank dem Aufschwung des Gewerbes in den Jahrzehnten um 1400 wirtschaftlich prosperierten. Anders als in Deutschland endeten ihre Herrschaftsrechte nicht zumeist, wie selbst in der grössten Reichsstadt Köln, an der Stadtmauer; anders als in Italien wurde aber auch nicht das ganze Land der städtischen Kommune unterworfen, wie etwa der contado von Florenz. Die eidgenössischen Städte blieben auf Partner und damit Kompromisse mit den Landorten angewiesen, die sie nicht beherrschen konnten, die aber – anders als die fürstliche Territorienbildung – auch keine ernsthafte politische Gefahr für die städtische Herrschaft darstellten. Vielmehr stützten sich Stadtorte und Landgemeinden gegenseitig im defensiven Anliegen, die Reichsfreiheit zu verteidigen, die ihnen Sigismunds «Privilegiensegen» von 1415 grosszügig gewährte und die er als Kaiser 1433 bestätigte. Die Eidgenossen konnten ihre Herrschaftsrechte also unmittelbar auf den obersten Richter auf Erden zurückführen, der zumindest dem Anspruch nach die weltliche Universalgewalt darstellte.

Den Kern der mittelalterlichen Herrschaftslegitimation machte denn auch die Gerichtsbarkeit in Stellvertretung des Königs aus, vor allem der Blutbann für die Todesstrafe, den die meisten Orte um 1400 verliehen bekamen; ausserdem der Ausschluss fremder oder höherer Berufungsinstanzen (privilegium de non appellando/evocando) und die niedere Gerichtsbarkeit, die dank Bussen auch Einnahmen abwarf. Dazu kamen die verschiedenen Regalien, konkrete wirtschaftliche und finanzielle Nutzungsrechte, die ursprünglich dem König (rex) vorbehalten gewesen waren: Münzprägung, Zollerhebung, Marktrecht, Salz- und Bergbau, Waldnutzung (Jagdrecht), Fischerei, Mühlen. Der Übergang zu indirekten Steuern war etwa beim Salzmonopol oft fliessend, während direkte Steuern (auf Vermögen) in der Regel befristet und zweckgebunden waren, etwa für Rüstungsmassnahmen. Im selben Zusammenhang erlaubte das Mannschaftsrecht, Soldaten auszuheben – im Prinzip gemäss der allgemeinen Wehrpflicht. Nicht zuletzt im Hinblick auf die Wehr- und Reispflicht war schliesslich das Huldigungsrecht von erheblicher Bedeutung: Bürger und Untertanen hatten ihrem Herren Treue und Gehorsam zu geloben, ohne dass diesbezüglich ein grundsätzlicher Unterschied zwischen fürstlicher, städtischer oder ländlicher Obrigkeit gemacht wurde.

Die Städte bilden Territorien

Für das Mittelalter und generell für die vorstaatliche Zeit war allerdings bezeichnend, dass solche und weitere hoheitliche Rechte keineswegs zwingend in einer Hand vereint und auf einem grösseren Gebiet vereinheitlicht waren. Auf eine solche Landeshoheit und später Staatlichkeit steuerte aber langfristig die Territorienbildung der Städte hin, die angesichts der eher anarchischen Folgen der ländlich-kommunalen Selbstbestimmung – etwa im Fall Appenzells – zusätzlich daran interessiert waren, eine klare Herrschaftsordnung aufzubauen. Die Räte wollten nicht mehr jede Massnahme mit einem konkreten, bestehenden Rechtstitel begründen müssen, sondern aus umfassender Befugnis als «oberste herrschafft» Entscheidungen treffen auch in Bereichen, die bisher noch nicht obrigkeitlich gestaltet waren; und diese Entscheidungen sollten für alle Beherrschten gleichermassen gelten. Sprachlich zeigte sich das darin, dass Zürich herkömmlich aneinanderreihend von «ünser grafschaften, herrschaften, gerichte und gebiet» sprach, seit den 1430er-Jahren aber zusammenfassend von «allen unsern gerichten und gebieten» und schliesslich über «unser ganzes Gebiet». Parallel dazu ersetzte seit der Mitte des 15. Jahrhunderts «Untertanen» das freundlichere «die unsern» oder gar «unsere eydtgnossen». Dieser Sprachgebrauch verriet den etwa für Weggis und Vitznau bereits erwähnten Prozess, dass oft aus wechselseitigen Bündnissen und Schutzbeziehungen Abhängigkeit und, als die (habsburgische) Bedrohung wegfiel, Untertänigkeit wurde.

Wie erfolgte die städtische Expansion? Neben dem Pfahlbürger- und Burgrecht diente dazu der Ankauf von zumeist adligen Rechtstiteln und Pfandschaften, anfangs durch stadtsässige Adelsgeschlechter, später auch durch Bürgerliche und durch den städtischen Rat selbst. Immer wichtiger wurde die Abhängigkeit der Bauern von Krediten, die sie in der Stadt erhielten. Kriegerische Eroberungen, wie sie 1415 Bern in grossem, Zürich und Luzern in kleinem Umfang tätigten, waren eher die Ausnahme. Doch der Burgenbruch, im 15. Jahrhundert erleichtert durch die aufkommende Artillerie, war durchaus ein Mittel der Städte, um adlige Bastionen zu zerstören. Wie für den Aargau geschildert, wurden auch im eigenen Territorium die herkömmlichen und vielfältigen Privilegien und Autonomierechte der Landstädte und Dörfer weitgehend geduldet, sodass sich die Stadt ihre obrigkeitlichen Kompetenzen mit den jeweiligen Kommunen, Gerichtsherren oder oft auch geistlichen Institutionen (Klöstern, Stiften) teilen musste, was regelmässig zu Reibungen führte. Soweit die Stadt nicht einfach die bestehenden Vogteien – also in der Regel die bewährte habsburgische Verwaltungseinteilung – übernahm, richtete sie auf ihrem Gebiet neue ein: Die stadtnahen Vogteien wurden direkt von mächtigen Ratsmitgliedern verwaltet, die entfernteren von Landvögten. Sie residierten auf einem Schloss und trieben die hohen Kosten für den Erwerb des Amtes wieder ein, indem sie ihren Anteil an Abgaben wie Zehnten, Steuern oder Zöllen einbehielten und die Güter bewirtschafteten, die ihnen zur Nutzniessung überlassen wurden.

Als einzige und nicht unbedingt sesshafte Stadtbürger in einem manchmal grossen Gebiet waren die Vögte darauf angewiesen, mit den dörflichen Führungsgruppen zusammenzuarbeiten. Grossbauern, Müller oder Wirte stellten die Amtsträger, gewählt zum Teil von der Gemeinde selbst (Säckelmeister, Geschworene) oder vom städtischen Rat, aber meist auf Vorschlag des Dorfes (Ammann, Meier, Weibel, Untervogt). Entsprechend standen sie wiederholt zwischen den Fronten, aber auch an der Spitze von Protestbewegungen von Untertanen, die sich meist zuerst friedlich, durch Beschwerden, gegen obrigkeitliche Willkür oder Forderungen wehrten (Steuern, Kriegsdienst). Auch wenn Widerstand gewalttätig wurde, verteidigten Bauern bloss das Herkommen oder versuchten, das «alte Recht» wiederherzustellen. Das zielte manchmal auf vermehrte Mitsprache, aber nicht auf Umsturz der gesellschaftlichen oder politischen Verhältnisse. Die Veränderungsdynamik ging vielmehr von der Territorienbildung der Städte aus, die ein unmittelbares und strenges Regime führten, wenn man es mit den Habsburgern vergleicht, die mit ihren weit gestreuten Interessen jeweils viele Bereiche der lokalen Selbstverwaltung überliessen. Daher waren ländliche Unruhen im 15. Jahrhundert und bis in die Reformationszeit hinein ein verbreitetes Phänomen: in Zürich der Grüningerhandel (1441) und der Wädenswilerhandel (1467/68), der Böse Bund im Berner Oberland (1445-1451), der Luzerner Amstaldenhandel (1478). Verbrüderungen mit städtischen Bürgern oder Unterschichten ergaben sich fast nie, doch konnten die Landleute wiederholt auf Verständnis und Rückhalt in den Landorten zählen. Nicht selten wirkten diese deshalb im Sinn der eidgenössischen Bünde als für beide Seiten vertrauenerweckende Vermittler und Schiedsrichter, die sowohl den obrigkeitlichen Herrschaftsanspruch als auch das ländliche Gewohnheitsrecht achteten.

Auf solche Vermittlung war Bern bei seiner Ausdehnung gegen Westen nicht angewiesen. Die Expansion erfolgte aber seit dem Laupenkrieg zumeist im Einvernehmen mit Savoyen. Schon davor, 1322, geriet mit dem Erwerb von Thun das Berner Oberland ins Visier. Das Bündnis mit Obwalden sicherte die Grenzen am Brünig, wodurch auch reichsfreie Gebiete (Hasli, Frutigen) in Berner Hand gelangten. Der Burgdorferkrieg von 1384 öffnete den Weg nach Norden, während Gugler- und Sempacherkrieg dazu führten, dass Österreich und Freiburg ihre Stellungen im Seeland und Oberland räumten; 1403 fiel Saanen an Bern. Mit der Eroberung des Aargaus besass er bis 1798 das grösste städtische Territorium nördlich der Alpen. Im Unterschied dazu kam Luzern, das seit 1415 überall an eidgenössische Orte grenzte, nicht mehr über das Gebiet hinaus, das es nach dem Sieg von Sempach in kurzer Zeit erlangt hatte und das bis heute den Kanton bildet.

Dem Ausbau des Zürcher Territoriums stand im Westen und Osten lange das mächtige Habsburg entgegen, im Süden das selbstbewusste Schwyz. Doch auch der innenpolitische Machtgewinn der Handwerkerzünfte prägte die Expansion: Im Unterschied zu den bis ins 14. Jahrhundert dominierenden Kaufleuten, die wichtige Handelswege möglichst weithin kontrollieren wollten, trachteten sie danach, in einem kompakten Hinterland Rohstoffe und Nahrung zu erwerben und dort ihre gewerblichen Produkte abzusetzen. In der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts gelangten erst einige stadtnahe Gebiete vor allem am See an Zürich, im frühen 15. Jahrhundert dann das heutige Zürcher Oberland und im Westen Regensberg und das Knonauer Amt. Der entscheidende Schritt erfolgte 1424: Mit der Übernahme der Grafschaft Kyburg verdoppelte sich das Zürcher Territorium. Sie hatte früher dem gleichnamigen Grafengeschlecht und dann den Habsburgern gehört, die sie aber nach der Ächtung Friedrichs IV. von Tirol den Zürchern als Reichspfand aushändigen mussten. Dass sich die Habsburger mit diesem weiteren Verlust nicht abfanden, sollte sich schon bald weisen.

Der Alte Zürichkrieg

Mit dem Tod Friedrichs VII., des Grafen von Toggenburg, erlosch 1436 eines der letzten hochadligen Geschlechter auf Schweizer Gebiet. Er hinterliess Besitzungen, die sich südlich des Bodensees im Rheintal und zwischen dem Zürichsee und Davos befanden. Für Zürich war dies die zentrale Verkehrsachse zu den Bündner Pässen und damit nach Süden. Für Schwyz dagegen bildete dieses Gebiet die Brücke zu den verbündeten, sozial und kulturell nahestehenden Appenzellern. Wegen dieser strategischen Bedeutung hatten die Schwyzer bereits 1417 Friedrich VII. von Toggenburg in ihr Landrecht aufgenommen, während seine Gemahlin und Universalerbin Elisabeth 1433 Zürcher Ausburgerin wurde. Als Friedrich ohne Kinder und ohne Testament starb, standen sich damit zwei Parteien mit vertretbaren, aber nicht soliden Erbansprüchen gegenüber. Schwierig wurde die Lage Zürichs, als die Ausburgerin Elisabeth auf ihr Erbe verzichtete. Damit gerieten die Gebiete zwischen Zürich- und Walensee (Grafschaft Uznach, Vogtei Windegg/Gaster) an Schwyz und seinen engsten Verbündeten Glarus, die sie fortan als Gemeine Herrschaft verwalteten. Die Zürcher reagierten 1438 mit einer Kornsperre. Da die Innerschweizer Viehzüchter existenziell von Getreidelieferungen abhängig waren, entstand daraus der Alte Zürichkrieg (1440-1450), in dem sich die übrigen Eidgenossen auf die Seite der Schwyzer stellten. Insbesondere wollte Bern verhindern, dass sich Zürich ähnlich erfolgreich in den Alpenraum vorschob wie es selbst.

Allein gelassen, schaute sich Zürich nach ersten Niederlagen und einem erzwungenen Frieden nach neuen Verbündeten um. Die «keiserliche Stadt», wie sie sich seit Sigismunds Privilegien von 1433 nannte, ging dazu den König und späteren Kaiser Friedrich III. an – mit dem aber seit 1440 wieder ein Habsburger im Reich herrschte. Friedrich war interessiert, einerseits als Pfandherr einiger Gebiete des verstorbenen Grafen von Toggenburg; andererseits deshalb, weil er die Habsburger Stammlande zurückgewinnen wollte. Damit und ebenso mit der Rückgabe der Grafschaft Kyburg erklärten sich die Zürcher im Bündnis einverstanden, das sie mit Friedrich im Juni 1442 «ze ewiger zit» schlossen.

Trotz österreichischer Hilfe blieb Zürich in der Defensive. Nachdem es die Vorladung zu einem Schiedsgericht verweigert hatte, das im Bundesvertrag vorgesehen war, verwüsteten die Eidgenossen das Umland. Der Wortführer gegen Schwyz, Bürgermeister Rudolf Stüssi, fiel vor den Toren der Stadt in der Schlacht bei St. Jakob an der Sihl, die Besatzung der Zürcher Festung Greifensee wurde nach der Eroberung hingerichtet. Dieser «Mord von Greifensee» erregte viel Aufsehen, weil bisher ähnliche Bluttaten unter Eidgenossen unterblieben waren. Entlastung ergab sich dank einer anderen «Schlacht von St. Jakob», an der Birs in der Nähe von Basel, wo gleichzeitig (von 1431 bis 1449) das Konzil tagte. An der Birs stellten sich gut tausend Eidgenossen den Armagnaken in den Weg, Söldnern des französischen Thronfolgers, des späteren Ludwig XI. In einer Ruhepause des Hundertjährigen Kriegs zogen sie plündernd gegen das Mittelland, wozu Friedrich III. sie aufgefordert hatte. Die eidgenössischen Truppen wurden zwar völlig aufgerieben, doch verzichtete der Dauphin auf den weiteren Vormarsch. Nachdem König Friedrich III. den Reichskrieg ausgerufen hatte, griff stattdessen sein Bruder, Erzherzog Albrecht VI., der Regent in den Vorlanden, mit südwestdeutschen Adligen zusammen in die Kämpfe ein, die sich nun als Entscheidung zwischen habsburgischer Nobilität und «Schwyzer» Bauern präsentierten. Militärisch blieb es aber beim Patt, bis Bern als unumgänglicher, da mächtiger Vermittler 1450 einen Frieden herbeiführte, der Zürich fast alle besetzten Gebiete ohne Kriegsentschädigung zurückgab. Auch die Landvogtei Kyburg kam als Pfand wieder dauerhaft an die Stadt. Dies war ein Grundzug selbst der bittersten Kriege unter Eidgenossen und sollte es bleiben: Am territorialen Besitzstand der Verlierer wurde im Prinzip nicht gerüttelt, wie der Blick auf die heutigen Kantonsgrenzen lehrt, die zumeist jahrhundertealten Linien folgen. Die Bünde konnten nur dauerhaft werden, wenn sie die gemeinsame Sicherung der einzelörtischen Herrschaft gewährten. Expansion auf Kosten anderer Orte musste diesen Grundkonsens zerstören.

Entgegen der Zürcher Leseweise der älteren Bundesbriefe wurde jedoch die dort vorbehaltene Bündnisfreiheit eingeschränkt, sodass Zürich seine Allianz mit Österreich auflösen musste. Diese Verbindung wurde als Verstoss gegen die eidgenössischen Pflichten interpretiert, weil inzwischen Habsburg in der Argumentation der Innerschweizer zu einem historischen Erbfeind stilisiert wurde, gegen den bereits die Bündnisse des 14. Jahrhunderts gerichtet gewesen seien. Diese hatten indes ganz unterschiedliche, zeitbedingte Ziele und vor allem kein langfristiges Gesamtkonzept verfolgt, sondern gegenseitige Kontrolle und Absicherung der Herrschaftsinteressen gegen innen und aussen. Das konnte grundsätzlich ebenso gut mit wie gegen Habsburg geschehen. Die Zürcher hatten Ersteres versucht, und das machte sie im Innerschweizer Rückblick zu abtrünnigen Verrätern, die einen «Bürgerkrieg» provoziert hatten – ein Bild, das im künftigen Geschichtsverständnis der Schweizer haften blieb.

1450: vom offenen zum ausschliesslichen Bündnis

Tatsächlich musste die Reichsstadt Zürich zwischen zwei problematischen, aber legitimen Optionen wählen, die ihrer Schaukelstellung seit dem 14. Jahrhundert entsprachen: hier die Eidgenossen um die aggressiven Landleute von Schwyz, dort die auf Revanche bedachten Habsburger, die als adlige, ja königliche Fürsten die natürliche Ordnungsmacht in diesem Reichsgebiet gewesen wären. Folgerichtig drängten jetzt gerade die Schwyzer darauf, dass die Landfriedensbünde des 14. Jahrhunderts eine neuartige, exklusive Verbindlichkeit erhielten, welche die acht Orte am 24. August 1450 in Einsiedeln durch einen gemeinsamen Eid erneuerten. Zudem wurden der Luzerner-, Zürcher- und Zugerbund unter dem ursprünglichen Datum neu ausgestellt – nun aber ohne den Vorbehalt der österreichischen Rechte. Die Originalverträge, in denen er festgehalten war, wurden jetzt vernichtet. Die Glarner mussten noch bis 1473 warten, ehe ein ebenfalls zurückdatierter Bundesbrief die nicht sehr freundeidgenössischen Bestimmungen des «bösen Bunds» von 1352 hinfällig machte.

Mit dem Frieden von 1450 trat die Eidgenossenschaft «in einen neuen Aggregatzustand», aus einem lockeren Bündnisgeflecht wurde ein geschlossener «Bündnisverbund» (Bernhard Stettler). Dies war für das politische Überleben der Eidgenossenschaft unabdingbar in einer Zeit, in der die lockeren Städtebünde gegenüber den erstarkenden Fürstenstaaten rasch an Bedeutung verloren. Wie offen die Situation war, zeigte die Fehleinschätzung der Stadt Bremgarten, die auf der Seite Zürichs und Habsburgs kämpfte und 1443 angeboten bekam, sich als eigener Ort der Eidgenossenschaft anzuschliessen, anstatt belagert (und schliesslich erobert) zu werden. Die Bremgarter lehnten ab, weil sie dachten, «die eydgnosschafft wurde kein bestand haben, und wann si ein ort weren, so möchten si nachmalen desterbas [umso eher] wider vom seyl fallen». Hätten die Bremgarter recht behalten, hätten Zürich, Bern und Luzern sich mit anderen Reichsstädten zurechtfinden und möglicherweise ihr Territorium weiter ausdehnen können, etwa zulasten der Landorte. Von denen wurde dagegen allein Schwyz an den Reichstag eingeladen. Es konnte aber ebenso wenig wie die anderen Landorte erwarten, dass die revanchistischen Habsburger, die fortan fast durchgehend den Kaiser stellen sollten, seine Herrschaftsrechte schützen würden. Doch seit 1450 waren diese in den alt-neuen Bünden mit den Städten fest begründet. Das bundesgemässe Recht der Eidgenossenschaft setzte sich durch, das auf Verhandlungen und Schiedsgerichten fusste und den Innerschweizern mehr Einfluss versprach als die gelehrte, römischrechtliche Jurisprudenz im Reich, die den Zürcher Kaufleuten wohl eher entsprach.

Der Bodenseeraum rückt näher

Insofern war es kein Zufall, wenn die Zürcher – mit ihren Handelsinteressen im Reich – sich lange geweigert hatten, «den puren zuo willen» zu sein. Mit der erzwungenen Entscheidung von 1450 wurden sie nun aber zu «Sviceri», ja zu «Kuhschweizern», statt in der schwäbischen Reichsstädtelandschaft zu verbleiben. Solche neu vom wichtigsten Landort auf alle Eidgenossen kollektiv übertragenen Namen standen auch am Ursprung des «Plappartkriegs» von 1458. Nachdem ein Konstanzer Bürger eine Berner Münze als «Kuhplappart» bezeichnet hatte, plünderten Innerschweizer Freischaren das Umland und erpressten von der Stadt 3000 Gulden an Brandschatzung. Wo, wie im Spätmittelalter, kein staatliches Gewaltmonopol Rechtsprechung und Rechtsvollzug gewährleistete, dort diente auch bei Nichtadligen eine Ehrverletzung als Rechtfertigung für eigenmächtige Gewalt, gleichsam in Notwehr als Selbsthilfe, um das eigene Recht zu verteidigen. Da das Fehderecht in der Theorie ein Privileg des Adels war, machte umgekehrt die Fehdepraxis eine Streitpartei tendenziell mit diesem gleichrangig. Wer seine Ehre selbst, also mit Waffengewalt, verteidigen konnte, durfte Gewalt ausüben, wurde also nicht nur fehde-, sondern auch herrschafts- und damit ordnungsfähig. Dies gestand man gemeinhin auch Städten zu. Seit den Appenzellerkriegen nahmen aber nun eidgenössische «Bauern» diese Rolle zusehends im Bodenseeraum wahr, einerseits zugunsten ihrer Bürger und Untertanen, gerade der Kaufleute, andererseits für eine wachsende Zahl von schutzbedürftigen Verbündeten. Dazu gehörten auch fürstliche Herren wie der Abt von St. Gallen, den seit 1437 ein Landrecht an Schwyz band und seit 1451 das ewige Burg- und Landrecht an die Schirmorte Zürich, Luzern, Schwyz und Glarus. Überrascht meinte ein St. Galler Dichter über den Fürstabt: «Er ist ain aidgnoss worden, wer hett das kumb [eben noch] erdacht.» Als der Abt 1468 die Grafschaft Toggenburg erwarb, verblieb diese im 1436 geschlossenen Landrecht mit Schwyz und Glarus, die ihre Freiheitsrechte beschützten.

All dies und die ab 1440 belegte Kategorie der «zu uns gewandten» Orte bewiesen, dass die durch den Frieden von 1450 im Inneren gefestigte Eidgenossenschaft in einem erweiterten Raum zur Ordnungsmacht wurde. Ähnlich sah es im Westen aus, wo sich Freiburg aus den habsburgischen Banden löste, an Savoyen überging und 1454 das Burgrecht mit Bern erneuerte. Es folgten eidgenössische Bündnisse mit fünf nördlichen Reichsstädten, die räumlich von den Orten zum Teil deutlich getrennt, ihnen aber über Handelsbeziehungen verbunden waren: 1454 von sechs Orten (ohne Uri und Unterwalden) mit Schaffhausen und St. Gallen, 1459 von Zürich und Schaffhausen mit Stein am Rhein, 1463 von allen Orten mit dem schwäbischen Rottweil und 1466 von Bern und Solothurn mit dem elsässischen Mülhausen. Auch wenn die zugewandten Städte durch diese Verträge nicht in den Kern der Eidgenossenschaft eingeschlossen wurden, den die Eroberer des Aargaus bildeten, so erlangten damit die Interessen der städtischen Kaufleute im erweiterten schweizerischen Bundesnetz doch ein stärkeres Gewicht. Das sollte bis zum Stanser Verkommnis zu wachsenden Spannungen mit den Landorten führen.

Die Zunftstadt Schaffhausen profitierte vor allem von ihrer Lage am Kreuzpunkt des west-östlichen Verkehrs auf dem Rhein und der Strasse von Zürich Richtung Schwaben, an der auch Rottweil lag. Mülhausen war ein wichtiger Handelsplatz für Elsässer Getreidelieferungen. Die Gewerbestadt Freiburg führte überregional Wolltücher und Lederwaren aus. St. Gallen war gar bis ins 18. Jahrhundert ein europäisches Zentrum der Leinwandproduktion. Wie in Freiburg und generell in Gewerbestädten war die Textilverarbeitung zünftisch organisiert und kontrolliert, während der Fernhandel mit den Endprodukten bei eigenen Kompanien lag. Die in St. Gallen und Bern sowie Nürnberg beheimatete Diesbach-Watt-Handelsgesellschaft unterhielt ein von Spanien bis Polen reichendes europäisches Netzwerk, das neben Textilien alle möglichen Waren und Finanzdienstleistungen vermittelte. St. Gallens Annäherung an die Eidgenossenschaft erfolgte allerdings zu einem Zeitpunkt, als die Diesbach-Watt-Gesellschaft in die Krise geriet, wofür sie nicht zuletzt die Kriegsaktionen der Eidgenossen in der Ostschweiz verantwortlich machte. Nicht europäische Kaufmannsinteressen, sondern zünftische Statuswahrung durch regionale Befriedung und möglichen Herrschaftserwerb war also die St. Galler Perspektive, während die Diesbach in das Berner Patriziat einheirateten und so der Übergang von einer Kaufmanns- zu einer Magistratenfamilie gelang.

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9783039198085
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