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1.5Schweigen der universitären Ethik

Eine Ethik, die der Knechtung des sich bildenden Menschen durch wirtschaftliche und zentralistische Interessen reflektiert, gibt es kaum in Bruchstücken; eine Ethik der Steuerung von Bildungssystemen in einer zusammenwachsenden Welt noch gar nicht. Die Wissenschaften, die auf die Frage nach ihr stossen müssten, Pädagogik, Politologie, Philosophie, Psychologie und Theologie, vermeiden peinlich, das Bildungssystem und seine Steuerung mit ethischen Massstäben zu konfrontieren. Eine eingeschüchterte Wissenschaft wagt nicht, sich mit den neuen Machthabern anzulegen.

Eine ausdrückliche Bildungsethik betreibt der Kreis um die Theologin Marianne Heimbach-Steins. Er will Bildung als Menschenrecht begründen und Kriterien zu seiner Umsetzung vorlegen. Im Mittelpunkt steht das Gleichheitsideal; es misst die Bildungschancen der Arbeitertochter an jenen des Anwaltssohns. Diese Sicht identifiziert sich mit dem Aussenblick auf das werdende Ich. Aus der Perspektive zentraler Planung: Demografie und Armut forderten eine Bildungspolitik, die das Humankapital ausschöpfe. Deutschland müsse die «immer weniger werdenden Kinder umso besser bilden und ausbilden, um das Land wettbewerbsfähig zu halten» und «künftige Generationen von mündigen, kritischen und selbstbewussten Bürgern gewährleisten».51 In dieser Reihenfolge. Der Widerspruch zwischen dem blossen gebildet Werden des Ich und seiner Mündigkeit bleibt unbemerkt. Eine Titelseite52 zeigt eine achtspurige Autobahn. Bild des werdenden Ich? Oder der Faszination zentraler Steuerung?

Bildungssysteme sind normative Phänomene: Sie unterstellen das werdende Ich Zielen. Diese Norm des Gebildeten, ihr ureigenes Geschäft, reflektiert diese Ethik nicht. Sie bezieht den Menschenrechtsgedanken nur auf die Gleichheit der Chancen, nicht auch auf die lebendige Erfahrung des Ich, sich eigenständig zu bilden. Das Bekenntnis zu Entfaltung der Identität und Verantwortung als Bildungsziele53 genügt als Gegengewicht gegen den zentralistischen Mainstream nicht. Entwickelt Bildung für die Innenperspektive des werdenden Ich keine eigenständige Sprache, wirkt sie entfremdend. Hier liegt keine eigentliche Bildungsethik, sondern eine Gerechtigkeitsethik in Bildungsfragen vor. Die ihr Recht hat, aber etwas anderes ist.

Indem sie nur von Rechten sozial Benachteiligter spricht, legitimiert Heimbach-Steins die zentrale Steuerung, die sie durchsetzt. Heimbach-Steins, zum Teil auch ihre Schüler, veröffentlichen bei Bertelsmann. Dem Konzern, einem Verbündeten der OECD, gefällt natürlich, das Wort «Bildungsethik» so zu besetzen, dass es sich nicht auf die Steuerung des Bildungssystems bezieht. Und die «Sozialethik der Bildung», welche «die strukturellen, politischen und institutionellen Rahmenbedingungen normativ zu beurteilen» habe, liefert. Der Bildungsbegriff von PISA sei nur «angeblich funktionell»; das Testen der Lesefähigkeit zeige, dass es nicht speziell um wirtschaftliche Interessen gehe. Eine kritische Reflexion der zeitgenössischen Bildungspolitik wird allenfalls von fern angedeutet,54 ohne sich mit ihren zerstörerischen Seiten anzulegen. PISA, wird wie ein Mantra wiederholt, habe «Bildung als Thema der Menschenrechte entdeckt». Bildungsgerechtigkeit sei die soziale Frage der Gegenwart; sie «stecke den sozialethischen Horizont ab».55 Zu einer politischen Ethik würde passen, darüber nachzudenken, wer sie warum unterstützt, und inwiefern sie den Mächtigen in die Hände spielt.

1.6Das Ziel dieses Buches

Nur wer mitschwimme, habe Einfluss auf den Strom. Kritik von aussen rufe nur Abkapselung und Ablehnung hervor. Immer wieder wird dem Verfasser dieses Argument entgegengehalten. Bologna sei gesetzt, er solle mithelfen, die Reform zu verbessern. Zu kämpferisch trete er auf, was Ablehnung provoziere.

Wären alle Mitsprechenden nur auf messbaren Vorteil aus, auf Geld, Anerkennung, Posten, träfe das Argument zu. Wenn jeder den Ökonomismus verinnerlicht hätte, vor sich selbst zum homo oeconomicus geworden wäre. Wenn also gearbeitet würde, um zu konsumieren. Und konsumiert, um fit zu sein für die Arbeit. In ewigem Kreislauf, ins Unendliche wachsend, alles verschlingend, ein einziger Verdauungsprozess, in dem nichts Bestand hat, nichts Halt gäbe, das Zurschaustellen von Konsum den öffentlichen Raum ganz besetzte. Für wen nur der eigene Gewinn zählte, der wäre in der Tat im Boot und würde sich am Ende an alles anpassen.

Doch das trifft nicht zu. Das Ich findet sich nur in Sinnerfahrungen. Sie sind an Wort und Widerwort, an echte Begegnung von Ich und Du gebunden. An dieser Gegebenheit, deren stets neues Aufbrechen sich nicht verhindern lässt, muss die funktionalistische Bildung scheitern, früher oder später. Besser bevor die Lemminge die Klippe erreichen.

Die Beschränkung der Sprache aufs Wirtschaftliche ist unverantwortlich. Und stützten sie noch so viele Erfahrungen: Hätte sie recht, wäre die Menschlichkeit verloren, die in Blick, Wort und Widerwort liegt. Findet der Blick des anderen, in seiner Fremdheit, keinen Einlass, geht das Licht aus. Ohne Begegnung mit ihm bleibt die Vernunft hinter der Menschlichkeit zurück, an der sie sich zu messen hat. Die Gegenseitigkeit der Sprache gibt dem Ich ein Niveau vor, das es nicht unterschreiten soll: die faire Auseinandersetzung mit allen Geltungsansprüchen, die sich zu Wort melden. Auf dieser Herausforderung, um die ein jeder in seinem Inneren sehr wohl weiss, steht dies Buch. Es gibt das Recht und die Pflicht, über den sich bildenden Menschen zu streiten. Der Streit darf nur vom Menschen selbst, nicht vom Funktionieren der Systeme her entschieden werden. Die Verständigung über das gute Leben aller verlangt den Ernst des politischen Gesprächs, etwas ganz anderes als die Verteilungskämpfe, die heute die Öffentlichkeit überwuchern. Es beginnt erst, wenn Interessen zurücktreten und den Raum für Verständigung freigeben.

Die Identifikation mit dem Funktionieren verbirgt, dass sie eine Entscheidung, kein Faktum darstellt. Kein Mensch hat das Recht, seine Haltung ans Funktionieren zu delegieren und Ethik durch Anpassung zu ersetzen. Besonders kein Deutscher. Wäre wahr, dass Kritik nur im Mitschwimmen sinnvoll und möglich ist, wären Stauffenberg und Goerdeler, Moltke, Bonhoeffer und Delp umsonst gestorben. Dass die Ideologie der umfassenden Anpassung ans System von einem Deutschen stammt, der im Dritten Reich herangewachsen ist, von Niklas Luhmann, ist mehr als irritierend.

Wie also einer Strategie begegnen, die über den sich bildenden Menschen grundsätzlich kein Gespräch führen will? Das Beste draus machen? Im Kleinen Verbesserungen suchen, so gut es geht? Zwischen den Zeilen, in Lücken Hinweise auf eine menschliche Welt geben? Das haben viele versucht. Wirksamer Widerstand gegen die Knechtung des werdenden Menschen unters Funktionieren ist daraus nicht erwachsen.

Nein. Das Funktionieren kann seiner selbst und seiner Grenzen nur am Blick des anderen innewerden. Erst wenn es ein Gegenüber findet, dessen Blick sich nicht kaufen, nicht zwingen, nicht wegdrängen lässt, hat es die Chance, menschlich zu werden, das Niveau zu erreichen, das ihm aufgegeben ist. Es gilt also, standhaft Argumente zu entwickeln aus der Eigenart und Geschichte des Phänomens Mensch. Und es gilt, Kommunikationsverhalten zu analysieren und zu kritisieren. Diese Zeit bedarf einer Debatte über das sich bildende Ich und den normativen Anspruch, der mit ihm gegeben ist. Und einer Ethik der Steuerung von Bildungssystemen, die sie konsequent auf den Dienst am werdenden Ich verpflichtet.

Vier Lücken im Nachdenken

Verändern Bücher die Welt? Nein: Wie schnell setzen sie Staub an und werden vergessen! Und ja: Sie treffen einen Nerv, manchmal doch, treffen auf eine Zeit, die sich danach sehnt, sich aufzurichten. Und in ihnen Halt findet, Hoffnung zu schöpfen. Sodass, was kalt erstarrt daliegt, wieder durchblutet wird und ins Fliessen kommt. Das Wort kann auf Bewegung nur hoffen; die Bewegung aber findet ohne das Wort nicht zur Wirksamkeit. Was aber ist noch nicht gesagt? Was ist neu? Was kann dieses Buch beitragen? Fehlt es dem Widerstand gegen die Reformen an Nachdenken? Zeigt er theoretische Defizite, für deren Überwindung ein Buch das Mittel der Wahl wäre? Unter vier Aspekten ist das der Fall.

Ursprung und Eigenart der neuen Regeln. Schlagende Argumente gegen die Reformen liegen vor – und prallen ab. Die Macht reagiert nicht. Fast über Nacht haben sich neue Regeln der politischen Kommunikation durchgesetzt. Für Demokraten sind sie inakzeptabel; für sie kann nur das Argument, nur das kritische und verständigungsorientierte Gespräch politische Ziele begründen. Menschlichkeit und Demokratie verlangen, über diese schockierenden Regeln zu sprechen, sie klar zu fassen, zu kritisieren und ethisch zu bewerten.

Doch genügt das noch nicht. Diese Regeln kann nur überwinden, wer Einsicht in ihre Wirksamkeit gewinnt. Woher kommt die Macht, mit der sie sich durchsetzen? Wohl beruht die Macht des bildungsindustriellen Komplexes darauf, dass er das Gespräch über die Ziele des Bildungswesens erstickt hat. Das aber gelingt nur, weil er einen schweigenden, aber wirksamen Komplizen in allen Menschen von heute hat. Die Konfliktlinie verläuft nicht zwischen dem einzelnen und dem bildungsindustriellen Komplex. Sie verläuft mitten durch jedes Ich. Als Mensch von heute ist er immer schon identifiziert mit Markt und Staat, die ihm mit nie gekannter Wirksamkeit Wohlstand und Sicherheit sichern. Das Übergewicht der Bedürfnisse nach Kontrolle und Wohlstand gegenüber den gewachsenen Vorstellungen vom guten Leben ereignet sich zuerst innen. Es ist eine Frage der Haltung. Der Botschaft von Reichtum und Kontrolle sind schliesslich viele zuzustimmen bereit, auf Kosten der breiten, humanen Bildung des Ich. Hierzu trägt eine weltanschauliche Verunsicherung massgeblich bei: die Schwierigkeit, dem Funktionieren glaubwürdige Alternativen gegenüberzustellen. Nur in dieser Atmosphäre greift das strategische Auftreten des bildungsindustriellen Komplexes und seine Botschaft der Alternativlosigkeit.

Auch wenn’s im Genuss einer Überdosis anders schmeckt: Die Wirtschaftsförmigkeit und die – sie oft ausgleichende – zentrale Steuerung, die sich im Westen seit 250 Jahren durchgesetzt und nun die ganze Welt ergriffen haben, sind nicht nur schlecht. Die Hoffnungskräfte, die sie tragen, und das kreative Potential, das sie freisetzen, sollen in einen zeitgemässen Bildungsbegriff und in die Bildungspolitik eingehen. Dem Übergriff von Wirtschaftsförmigkeit und Zentralismus ist Einhalt zu gebieten, der Sinnlosigkeit zu widersprechen – und zugleich ist eine Vision zu entwickeln, welche das effiziente Funktionieren in Teilbereichen zulässt, die gegensätzlichen Ziele in eine durchdachte Synthese versöhnt.

Zusammenschauender Begriff des sich bildenden Menschen. Ansetzend beim Ursprung des deutschen Wortes bilden in der selbstachtsamen Spiritualität Eckharts, möchte dieser Versuch den Menschen als ganzen zu Gesicht bekommen, statt ihn in Aspekte auseinanderfallen zu lassen. Solange sie nicht in einer Synthese Versöhnung finden, die jedem seinen Platz gibt und zugleich seinen Anspruch begrenzt, können auch die Kräfte, die dem lebendigen Werden des Ich dienen wollen, politisch nicht zusammenwirken. Dann bleibt es bei Zerrissenheit.

Ethik. Dieses Werk setzt nicht erkenntnistheoretisch an, nicht als Besinnung auf eine humanistische Tradition oder als pädagogisches Fachbuch. Auch nicht als Streitschrift, die für politische Ziele wirbt. Es spricht wohl auf all diesen Ebenen. Aber als Ganzes wählt es die Form einer Ethik. Es möchte nicht bei der Kritik stehen bleiben. Ware Bildung, Bildung statt Bologna, Theorie der Unbildung: Solche Titel liegen vor. Dieses Buch möchte den Boden für eine Verständigung bereiten. Auf das Ziel des guten Lebens aller müssten alle Akteure sich verständigen können, so sie nicht von vornherein nur Gruppeninteressen oder Rechthaben verteidigen, also die Hoffnung auf Verständigung aufgegeben haben. Von diesem Ziel her lassen sich alle anderen Ziele kritisieren, relativieren und ordnen. Umgekehrt ist die Weigerung, über das gute Leben zu sprechen, genau der Punkt, an dem Wirtschaftsförmigkeit und Zentralismus ins Menschenfeindliche kippen.

Die Form einer Ethik kann zudem die normative Eigendynamik der Bildungssysteme aufnehmen. Ausdrücklich oder nicht, verfolgen sie immer schon eine Vorstellung, wie Menschen sein sollen. Ohne sie würde sich niemand anstrengen, würde kein Staat Geld ausgeben. Bildungssysteme stehen auf Gesetzen, auf konsensfähigen Vorstellungen, wie es zugehen soll. Der Kern eines jeden Bildungswesens liegt nicht in seiner politischen Struktur, auch nicht in der Macht der gerade Herrschenden. Sondern in der Kraft von Zielen, die Menschen zum Einsatz motivieren. Über sie schlägt dies Buch vor nachzudenken.

Zudem vermeidet die Form der Ethik den Eindruck, blosses Objekt im Spiel der Mächtigen zu sein. Ein reflektiertes Bewusstsein vom guten Leben fordert einen jeden als Handelnden heraus und zeigt Möglichkeiten, eigenständig zu wirken.

Selbstreflexion. In allen drei Aspekten spielt die Selbstreflexion die tragende Rolle. Dieses Buch bezieht das Erleben und die Haltung des Ich stets ein; es denkt immer auch in der ersten Person. Wie möchte ich, die Leserin, für mein Leben Wohlstand und Sicherheit mit kreativer Entwicklung und Aufbruch ins Neue in Beziehung setzen? Welche Rolle spielt die Achtsamkeit für die innere Welt für mich? Was verstehe ich unter gutem Leben? Die Selbstreflexion, arg unter die Räder gekommen, verlangt nach einem angemessenen Platz im Ganzen. Die Macht des bildungsindustriellen Komplexes beruht darauf, dass er nicht überall auf Menschen stösst, die auf dem kritischen Gespräch bestehen. Wie soll ein Mensch sein? Was soll unter Bildung verstanden werden? Welchen Sinn hat sie? Der Komplex lebt davon, sich als alternativlos darzustellen. Das Gegengift heisst Selbstreflexion.

Standpunkt, Vorgehen und Dank

Das Thema ist hoch gegriffen. Zu hoch: Der Autor kennt die antiken und aufklärerischen Quellen nicht gut genug, um über Bildungsethik wissenschaftlich zu handeln. Und als Jugend- und Studierendenseelsorger hat er mit Früherziehung, Schule und Berufsbildung wenig Erfahrung. Doch liegen zur ethischen Reflexion der Steuerung des Bildungssystems bestenfalls Bruchstücke vor. Nähmen Politik und Universität diese Pflicht an, bräuchte der Seelsorger nicht zur Feder zu greifen. Angesichts quälender Missstände ist es sinnvoll, über die Sprache und die Sprachen nachzudenken, die das werdende Ich unter ihren Horizont zwingen. Karl Rahner sah eine «legitimierte Unwissenschaftlichkeit in solchen Lebensfragen. Es gibt eine erste Reflexionsstufe, die von der Wissenschaft unterschieden werden muss, weil das Leben, die Existenz eine solche fordert.»56 Politik also, Versuch der Verständigung mit den Mitteln der Reflexion, keine Wissenschaft.

Wiewohl dieser Versuch im Erleben einer unerträglichen Entwicklung steht, möchte er dennoch zunächst verstehen, was geschieht, warum und in welcher Geschichte es steht. Das bedarf des Zwischenraums, des Abstands zur unmittelbaren Erfahrung. Eines Vorschusses an Empathie und Vertrauen: Obwohl man unbedingt aktiv werden, umsteuern müsste, doch zunächst zuhören, Geduld aufbringen. Schnelle Aktion ist selten subversiv. Meist teilt sie Vorurteile mit dem Gegner und stabilisiert die Herrschaft noch. Neues beginnt, wenn das Hören eine neue Richtung nimmt, vertrauenswürdigere Stimmen befragt.

«Unseren Ohren klingen die modernen Selbstinterpretationen so einleuchtend und selbstverständlich, dass wir gut daran tun, uns darauf zu besinnen, wie alle früheren Jahrhunderte über diese Dinge gedacht haben.»57 Die geisteswissenschaftliche Methode lässt sich nicht durch Wirtschafts- oder Naturwissenschaft ersetzen. Sie entlastet den Leser von der Subjektivität des Verfassers, verlangt ihm aber Geduld im Hören auf Dritte ab. Im zweiten Kapitel zeigen darum einige Grosse, dass das Erste des sich bildenden Ich das Hören ist. Achtsamkeit für das, was sich zu Gehör bringen will. Zweitens den leidenschaftlichen Wunsch des Ich, jemand, nicht nur etwas zu werden; im Gestalten und im verwandelt Werden. Den Wunsch, im sich Bilden und gebildet Werden – ein Gebildeter umfasst im Deutschen beides – Sinn zu erfahren. Geradezu einstimmig fordern die Grossen der Tradition die Vorurteile einer Zeit heraus, die im Funktionieren erstickt, der Phantasie, Selbstwahrnehmung und Weite abhandengekommen sind. Das dritte Kapitel stellt diesen Grossen die peinlichen Ziele gegenüber, die heute das Bildungswesen steuern: unendliches Wachsen von Arbeit und Konsum. Das vierte versucht mit Jürgen Habermas genau zu verstehen, wie es kommt, dass diese Zeit die Verweigerung des Dialogs über die Ziele der Bildungspolitik akzeptiert. Dass der Kontinent der Aufklärung über politische Ziele nicht mehr diskutiert, sondern sich dem Funktionieren hingibt, vorbei an jeder demokratischen Verständigung. Das fünfte Kapitel schlägt eine zusammenschauende Skizze des werdenden Ich und politische Massnahmen vor.

Peter Egger hat dies Buch als Verleger entschlossen gefördert. Christian de Simoni hat sein Wachsen neugierig und geduldig begleitet. Für die Schatten des Kompetenzbegriffs öffnete Martin Graf dem Autor die Augen. Mit ihm, Gerd Rudolf, Alina Guggenbühl, Peter Würsch, Gabriel Zimmerer und Jonathan Gardy durfte er diesen Entwurf kritisch diskutieren. Allen gilt sein aufrichtiger Dank!

Für wen?

Wer verstehen möchte, welchen Sinn es hat, die Mühen von Schule und Studium auf sich zu nehmen. Wer spürt, dass etwas nicht stimmt mit dem Blick, unter den das sich bildende Ich sich gestellt findet. Wer Worte sucht für ein Unwohlsein. Wer mit den Zielen, die er als Lernender spürt, nicht einverstanden sein kann. Wen der Eindruck nicht loslässt, etwas sei unrecht mit der Herrschaft des Funktionierens: Wer so liest, mag an diesem Buch wachsen.

Obwohl es lang ist und schwierig. Es ist nicht wahr, dass alles Wichtige so gesagt werden kann, dass es aufs Smartphone passt. Die grossen Fragen des Zusammenlebens – es war schon immer so – verlangen geduldiges Zuhören und ausdauerndes Nachdenken. Mehrere Anläufe, einen nach dem anderen. Der Aufwand hoch, der Lohn zweifelhaft: keine Bologna-Logik. Berechnender Einsatz kann die grossen Fragen nicht bearbeiten. Das Niveau der Hingabe erreicht das Niveau der Fragen nicht. Aber zum Glück gibt es die lebendige Frage. Der dann kein Aufwand zu hoch ist. Die keine Ruhe lässt. Nicht abschliessbar. Immer wieder kommt sie in den Sinn. Will einfach wissen, was es auf sich hat mit dem Werden des Menschen. Mit dem eigenen und mit demjenigen anvertrauter anderer. Umständlich, aber Liebhabern der Freiheit süss.

Dies Buch hofft, die Leserin zu unterfordern, indem es interessant wäre, übersichtlich oder praktisch. Es sieht sie als begeisterungsfähig. Zwar können die Verhältnisse diese einzigartige Gabe beschädigen. Aber nicht ausrotten. Sie tritt einfach immer wieder auf. Irgendwo, unerwartet. Jemand sprach von einem Schatz, in einem Acker verborgen. Ein Mensch findet ihn – und verbirgt ihn wieder. Er freut sich so, dass er alles, was er besitzt, verkauft. Und jenen Acker ersteht. Er zieht den Schatz nicht ans Licht. Um ihn zu haben, wie man so allerlei hat. Nein: Er verbirgt ihn. Schützt ihn durch Schweigen. Lässt ihn leuchten als Freude von innen. Als Kraft, das Neue zu wagen.


2Die Gegenwart im Spiegel der Bildungsbegriffe

Das Dasein ist gegeben. Sein Sinn nicht. Der Mensch selbst muss ihn bilden. Darum schaut, wer nach Bildung fragt, in den Spiegel. Stets sieht er auch das Bild, das er vom eigenen Werden hat, und die Ziele, die er ihm setzt. Objektivität ist nicht erreichbar. Wohl aber etwas Distanz: im Lesen derer, die dem werdenden Ich Sprache gegeben haben. Sie zeigen Denkmöglichkeiten und Grenzen eigener Vorstellungen. Die Begegnung mit einem starken Gegenüber ruft Selbstzweifel, ein inneres Gespräch hervor. Am Du klärt das Ich seinen Ort. Es bildet sich.

So wächst die Wahrnehmung über das Vordergründige, über nur heute aktuelle Fragen und Fräglein hinaus. Das Lesen der Grossen fordert heraus, sich zu identifizieren oder Abstand zu nehmen. So entsteht eine eigene Haltung, die im Vielerlei, im Getöse des Alltags Kurs hält. Eine seltsame Zeit hält das für verzichtbar. Und identifiziert sich prompt mit kaum reflektierten Zielen. Das mag zu Anerkennung und Lohn verhelfen. Oder die Scham des Alleinstehens vermeiden. Auch das sind Ziele. Über die nachzudenken Sinn hätte. Denn die Ziele, mit denen das Ich sich identifiziert, geben ihm Haltung. Ohne sie kein Rückgrat, kein Eigenstand. Nur das Traben der Herde.

1 818,96 ₽
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9783035515695
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