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Das Haus von Nahmen und Hilke Rickmers befand sich in Oldsum am Rande der Marsch, umgeben von einem üppigen Bauerngarten, der um diese Jahreszeit in voller Blütenpracht stand, und einem Friesenwall, der von einer sauber gestutzten Wildrosenhecke gekrönt wurde. Alles sah aus wie für die Zeitschriften Landliebe, Landlust oder Liebes­ Land gestylt und konnte unmöglich von den Besitzern allein in Schuss gehalten werden. Die Zufahrt hatte etwas Herrschaftliches. Statt über Pflaster oder Asphalt rollte der Wagen der Kriminalbeamten über weißen Kies. Das Haus selbst war groß, aber nicht protzig, und gediegen, aber nicht altmodisch. Es ruhte in seinem roten Backstein unter einem relativ frisch gedeckten, noch recht hellen Reetdach. Die Bewohner schienen ein gutes Gespür für den Balance-Akt zwischen Luxus und Bodenständigkeit zu haben. Alles hier strahlte Ruhe und Ordnung aus und ein angenehmes Gefühl von Sicherheit, was so gar nicht zu dem Anlass des Besuches der Kriminalbeamten passte.

Der Kies knirschte unter ihren Schuhen, als sie aus dem Auto stiegen und auf die Haustür zusteuerten. Bennings drückte auf den Messingknopf neben der Friesentür und trat wieder einen Schritt zurück. Nur Sekunden später öffnete eine blonde Frau mittleren Alters und sah sie aus verweinten Augen an.

»Guten Tag«, begann Bennings vorsichtig. »Frau Rickmers?«

Die Frau nickte und trat wortlos zur Seite. Offensichtlich hatte sie mit ihrem Besuch gerechnet.

»Mein Name ist Bennings, das ist mein Kollege Dernau. Wir sind von der Mordkommission aus Flensburg.«

»Ich weiß, Torben hat mich eben angerufen und mir gesagt, dass Sie kommen.«

»Torben?«, hakte Dernau nach.

»Ja, Kommissar Hinrichs, Ihr Chef.«

Dernau wollte die Dienstgrade und Vorgesetztenverhältnisse korrigieren, aber Bennings, der seinen Kollegen nur zu gut kannte, gab ihm ein Zeichen, das jetzt zu unterlassen. Die Kriminalbeamten betraten das Haus und folgten Frau Rickmers durch eine marmorgeflieste Diele in ein geräumiges Wohnzimmer mit ebensolchem Bodenbelag. Der Raum war taghell und wies mit seinem bodenständigen Panoramafenster auf die Marsch hinaus. Von hier aus sah man nur ins Grüne, nichts verstellte den Blick.

»Was hat Ihnen unser Chef denn noch erzählt?«, erkundigte sich Bennings beiläufig, als sie auf dem Sofa gegenüber der Witwe Platz nahmen.

»Nichts sonst. Er war ja erst letzte Nacht hier und hat mir vom Tod meines Mannes …« Sie brach ab und mühte sich sichtlich, ihre Tränen in Schach zu halten.

»Wir werden Sie nicht lange stören, Frau Rickmers«, versprach Bennings, »aber wir haben ein paar dringende Fragen. Die ersten vierundzwanzig Stunden nach einer Tat sind nicht selten ausschlaggebend für den Gang und den Erfolg der Ermittlungen. Deshalb können wir Sie auch nicht länger schonen.«

»Ich verstehe das. Haben Sie denn schon eine Spur oder einen Verdacht?«

»Deshalb sind wir hier, Frau Rickmers. Wir brauchen Ihre Hilfe. Zum Beispiel wüssten wir gerne, warum Ihr Mann letzte Nacht in der Vogelkoje war.«

»Genau weiß ich das auch nicht. Er hat gesagt, er habe noch einen wichtigen Termin.«

»Einen Geschäftstermin?«

Hilke Rickmers zuckte mit den Schultern und antwortete zögernd: »Ja, vielleicht. Es kann aber auch sein, dass es mit seinem Posten im Hegering zu tun hatte. Er hatte oft abends Termine, und ehrlich gesagt, hat es mich nicht sehr interessiert, was das für welche waren. Aus geschäftlichen Dingen habe ich mich herausgehalten, und die Jagd interessiert mich nun wirklich nicht.«

»Hat sich Ihr Mann zu solchen Terminen immer an derart merkwürdigen Orten getroffen?«, schaltete sich nun Dernau in das Gespräch ein.

»Wieso merkwürdig?«

»Ja nun, so eine Vogelkoje ist spät abends doch eher ein ungewöhnlicher Ort für einen Geschäftstermin.«

»Wenn es ein Geschäftstermin war. Ich sagte doch, ich weiß nicht, was für einen Termin er hatte. Vielleicht war es ein Jagdtermin, und der könnte ja durchaus in der Koje stattgefunden haben.«

»Warum hat sich Ihr Mann denn überhaupt an so einem merkwürdigen Ort aufgehalten?«

»Nun, wegen der Enten doch, nehme ich an. Mein Mann war oft in der Vogelkoje, schließlich war er Interessent.«

»Er wollte die Vogelkoje kaufen?«, fragte Dernau erstaunt.

»Wieso kaufen?« Hilke Rickmers schüttelte verständnislos den Kopf.

»Nun, Sie sagten, er sei daran interessiert gewesen.«

»Nicht interessiert, Interessent. Das heißt, er war einer der Männer, die Anteile an der Koje haben und dort Enten fangen dürfen.«

Bennings und Dernau verstanden sichtlich kein Wort.

»Also«, erklärte Hilke Rickmers, »das ist so: Die Vogelkojen gehören nicht der Allgemeinheit oder einem einzelnen Besitzer, sondern sie gehören einem Kreis von Männern, die gleiche Anteile an den Fangquoten haben. Dafür teilen sie sich auch die Kosten der Instandhaltung. Diese Männer heißen traditionell Interessenten. Der Anteil ist erblich. Nahmen hat ihn von seinem Vater geerbt, und unser Sohn wird ihn nun von Nahmen erben.«

»Dann hatte Ihr Mann also jederzeit freien Zugang zu der Koje?«, fragte Bennings.

»Natürlich. Jeder Interessent hat seinen eigenen Schlüssel.«

»Also wollte Ihr Mann letzte Nacht Enten fangen, oder was?«, hakte Dernau etwas schnodderig nach.

»Das weiß ich auch nicht. Er war oft spät abends in der Koje. Was er da genau zu tun hatte, weiß ich nicht. Ich sagte Ihnen doch, ich interessiere mich nicht für die Jagd. Und gestern Abend hatte er einen Termin. Wenn der in der Koje stattgefunden hat, weiß vielleicht einer seiner Jagdfreunde etwas darüber.«

»Frau Rickmers«, fragte Bennings, »haben Sie einen Verdacht, wer etwas gegen Ihren Mann gehabt haben könnte?«

Hilke Rickmers wollte antworten, biss sich dann aber auf die Lippe und schüttelte den Kopf.

»Bitte, Frau Rickmers, wir sind auf Ihre Informationen angewiesen. Schließlich kennen wir uns mit den Verhältnissen hier auf der Insel nicht aus. Sagen Sie uns, was Sie denken.«

Hilke Rickmers schwieg mit gesenktem Blick.

»Sie haben doch einen Verdacht!«

In diesem Moment klingelte es an der Haustür. Hilke Rickmers ergriff die Chance und sprang auf. Als sie die Tür öffnete, hörten die Kommissare sie laut aufschluchzen.

Dann vernahmen sie eine beruhigende Männerstimme. »Hilke, es tut mir so leid. Wie konnte das nur passieren?«

Hilke Rickmers schien sich wieder gefasst zu haben, denn sie antwortete nicht auf die Frage, sondern sagte in beherrschtem Ton: »Komm rein, ich habe Besuch von der Polizei.«

Sekunden später kam sie gefolgt von einem Mann mittleren Alters, der trotz seiner eleganten Kleidung etwas grob wirkte, zurück ins Wohnzimmer.

»Das sind die Kommissare Bennings und … entschuldigen Sie, ich habe Ihren Namen vergessen.«

»Dernau.«

»Und das ist Brar Arfsten, ein guter Freund meines Mannes«, fuhr sie fort.

Bennings erhob sich und reichte Arfsten die Hand, Dernau nickte ihm mit verschränkten Armen zu.

»Wir sprachen gerade über Ihren Verdacht, Frau Rickmers«, setzte Bennings erneut an.

»Ich habe keinen Verdacht geäußert«, erklärte Hilke Rickmers in einem Tonfall, der deutlich machte, dass sich mit dem Erscheinen Brar Arfstens etwas grundlegend verändert hatte.

Die Kriminalbeamten blickten sich kurz an, dann wandte sich Bennings an Arfsten. »Und Sie, Herr Arfsten? Können Sie sich vorstellen, welchen Grund jemand gehabt haben könnte, Ihren Freund zu töten?«

Jetzt blickten sich Arfsten und Hilke Rickmers kurz an, dann brach es aus ihm heraus: »Natürlich habe ich das. Das können nur diese Spinner gewesen sein, dieser Wiese und seine Verbrecherbande.«

»Langsam, Herr Arfsten. Wir sind nicht von der Insel und kennen uns deshalb nicht aus. Wer ist Wiese, und von was für einer Bande reden Sie da?«

»Na, diese Elmeere-Spinner. Und Wiese ist der Vorsitzende von dem Verein. Die richten hier noch alles zugrunde mit ihrer sogenannten Renaturierung. Und wir Bauern gucken in die Röhre. Aber das haben die sich so gedacht. Jetzt ist der Bogen überspannt.«

»Sie müssen uns das erklären, Herr Arfsten. Wie gesagt, wir sind nicht von hier.« Bennings war immer noch die Ruhe selbst, während Dernau sichtlich unruhig wurde; aber sein Einsatz war noch nicht gekommen, noch war Bennings an der Reihe.

Brar Arfsten und Hilke Rickmers sahen einander erneut an, als wären sie sich darin einig, dass diese Typen vom Festland allesamt nichts taugten. Hilke Rickmers machte nun einen fast entspannten Eindruck, so als habe sie mit dem Erscheinen Arfstens die Regie für alles Weitere abgegeben.

»Gut«, sagte Arfsten gnädig. »Dann noch mal ganz langsam zum Mitschreiben. Wir Bauern haben auf einer Insel nur eine begrenzte Fläche zur Verfügung, die wir landwirtschaftlich nutzen können. Wenn dann diese Ökospinner kommen und das bisschen Land aufkaufen, unter Wasser setzen und verwildern lassen, damit sich dort Gänse und anderes Flatterzeug fröhlich vermehren können, bleibt für die Landwirtschaft nichts mehr übrig. Das bedroht unsere Existenz und die Versorgungssicherheit der Insel.«

»Aha«, reagierte Bennings, um die Richtung des Gespräches wieder in die Hand zu nehmen. »Und dieser Herr Wiese ist so ein Ökospinner?«

»Genau. Der sammelt Spenden von ahnungslosen Urlaubern, die ganz begeistert sind von so viel Natur und dann auch noch Mitglieder in seinem Verein werden. Und von dem Geld kauft er eine Fläche nach der anderen auf. Demnächst gehört denen die ganze Insel und wir können sehen, wo wir bleiben.«

»Wer verkauft ihm das Land denn, wenn es sich um knappes Bauernland handelt?«

»Sagen Sie mal, Sie verstehen wirklich absolut gar nichts von Ackerbau und Viehzucht, was?«, empörte sich Arfsten, wurde aber gleich wieder zahmer, als sich Dernau einen Schritt auf ihn zu bewegte. »Auf Föhr hat es früher über hundert Landwirte gegeben. Naturgemäß fast alles kleine Höfe. Aber von so einem Kleinbetrieb kann heute niemand mehr existieren, also wandern die Bauern ab aufs Festland oder funktionieren ihre Höfe um zu Ferienhöfen. Für die paar Ponys, mit denen die dann Urlauberbälger durch die Gegend führen, brauchen sie nicht mehr als eine Weide. Dann werden die übrigen Acker- und Weideflächen halt zum Kauf angeboten. Will sich ja niemand mehr die Finger dreckig machen, wenn man statt der Kühe heute die Touristen so viel leichter melken kann. Und dann kommt Elmeere und kauft das Land auf.«

»Warum kaufen Sie die Flächen nicht, ich meine die Landwirte, die weitermachen wollen?«

»Weil wir keine milden Spender haben, die uns das Geld dafür geben. Wir können nicht jeden Preis zahlen. Außerdem muss das Land dann ja auch bestellt werden, und dazu braucht man Leute.«

»Das heißt also, das Land ist für euch Landwirte eh zu viel«, erklärte Dernau mit provokantem Unterton. »Worüber regt ihr euch dann auf?«

»Mann«, fuhr Arfsten ihn an, »weil dieses Land dann für uns für alle Zeiten verloren ist. Wenn es erst einmal von der Entwässerung abgeklemmt ist und unter Wasser steht, werden wir es uns nie mehr leisten können, es wieder trockenzulegen und zu bewirtschaften. Und es sind ja nicht nur die Landwirte, die dadurch geschädigt werden, die Jäger sind auch stinksauer. Fragen Sie Hilke mal – ich meine Frau Rickmers – fragen Sie sie mal, was ihr Mann für ein Theater hatte, wenn er in seinem eigenen Revier jagen wollte.«

Bennings sah Hilke Rickmers herausfordernd an.

»Na ja«, ging die auf seinen Blick ein, »es stimmt schon, was Brar sagt. Die Entenjagd ist traditionelles Kulturgut auf Föhr. Aber in letzter Zeit flüchten sich die Tiere in die sicheren renaturierten Bereiche. Und wenn die Jäger sie über den angrenzenden Wiesen abschießen, gibt es Ärger, weil das angeblich die brütenden Vögel aufscheucht und vertreibt.«

»Sie hätten mal erleben müssen, was ich für ein Theater wegen meiner Kanonen gehabt habe. Die Viecher gehen gerne mal ins Saatgut; klar, ist ja leichtes Futter. Also habe ich Druckkanonen auf meinen Äckern aufgestellt, um die Biester zu verjagen. Angezeigt hat der Wiese mich, der Dreckskerl. Das Ordnungsamt war da. Wenn ich weiterhin die brütenden Vögel auf den angrenzenden Flächen aufscheuche, muss ich hunderttausend Euro Strafe zahlen. Hunderttausend Euro! Das ist doch irre! Dass wir demnächst verhungern, weil wir kein Korn mehr ernten, ist egal, solange die Austernfischer nur ausreichend Nachwuchs kriegen.«

»Tja, das ist ja alles ganz interessant«, erklärte Dernau, »aber was hat das mit dem Mord zu tun? Warum sollte dieser Herr Wiese Ihren Freund Rickmers erschlagen? So wie Sie die Sachlage schildern, war er doch klar im Vorteil und hatte überhaupt kein Motiv.«

»Dem ist alles zuzutrauen!«, antwortete Brar Arfsten zunächst ganz allgemein, fuhr dann aber fort, als er Bennings’ Stirnrunzeln sah: »Weil Nahmen sich das nicht gefallen lassen hat. Der hat mit seinen Leuten trotzdem gejagt und über die Kreisjägerschaft Druck gemacht. Zum Glück jagen die Herren in der Kieler Regierung auch ganz gerne und haben ein offenes Ohr für unsere Probleme. Sie hätten mal erleben müssen, wie Wiese mit Nahmen rumgetobt hat, als aus Kiel das Aus für seinen Naturerlebnishof kam. Der wollte seine Wasserflächen den Touristen zeigen und ihnen mit Kaffee und Kuchen das Geld aus der Tasche ziehen, nur um dann noch mehr Land unter Wasser setzen zu können. Aber dafür hat er keine Genehmigung bekommen. Das hat Nahmen immerhin erreicht. Ist doch klar, dass Wiese sauer auf ihn war.«

»Also, Herr Arfsten, Sie beschuldigen Herrn Wiese des Mordes. Ist das nur eine Vermutung, oder haben Sie dafür auch handfeste Beweise? Wenn nicht, muss ich Sie warnen: Das ist ein verdammt schwerer Vorwurf, den Sie da erheben.«

Bennings zückte demonstrativ seinen Block, um sich nun die entscheidenden Notizen zu machen. Derartige Beschuldigungen kannte er zur Genüge, deshalb hatte er es sich zur Angewohnheit gemacht, etwas auf den Busch zu klopfen, um einschätzen zu können, ob die Wut oder der Verstand die Mutter beziehungsweise der Vater des Gedankens war.

»Langsam, Herr Kommissar«, begehrte Arfsten auf. »Sie waren es, der nach meinem Verdacht gefragt hat. Ich habe Ihnen gesagt, mit wem Nahmen Streit hatte, mehr nicht.«

»Sie haben also keine Beweise?«

»Ich war nicht dabei, wenn Sie das meinen!«

»Nicht?«, hakte Dernau nach und warf einen Seitenblick auf Hilke Rickmers, die erschrocken zusammenzuckte. »Frau Rickmers hat uns erzählt, dass ihr Mann einen Termin hatte. Hatte er den zufällig mit Ihnen, um das weitere Vorgehen gehen diesen Verein abzusprechen? Wo waren Sie denn, als Herr Rickmers erschlagen wurde?«

»Das ist ja wohl der Gipfel. Bin ich jetzt verdächtig?«

»Nur, wenn Sie kein Alibi für die Tatzeit haben«, erklärte Bennings ruhig.

»Ich weiß nichts von Nahmens Terminen. Mit mir hatte er jedenfalls keinen. Wenn wir etwas zu besprechen haben … hatten, trafen wir uns immer hier oder auf meinem Hof. Und gestern Abend war ich bis spät in die Nacht im Oldsumer Krug und habe Skat gespielt. Der Wirt kann das bezeugen, und Hein Frerich und Malte Ottensen auch, meine Skatbrüder.«

»Und Sie, Frau Rickmers? Entschuldigen Sie, wir müssen das fragen.«

»Ich war hier zu Hause, zusammen mit meinem Sohn.«

»Wie war Ihre Ehe, Frau Rickmers?«, wechselte Bennings das Thema.

»Wie meinen Sie das?«

»Nun, waren Sie glücklich verheiratet?«

»Natürlich! Im nächsten Jahr hätten wir Silberhochzeit, wenn …«

»Gab es im Leben Ihres Mannes andere Frauen?«

»Nein!«

»Sicher?«

»Ja!«

»Und Sie, Frau Rickmers?«, mischte sich Dernau jetzt ein. »Wie ist das bei Ihnen?«

»Jetzt reicht es ja wohl!«, donnerte Brar Arfsten.

»Sagen Sie mal, Herr Arfsten, warum regen Sie sich jetzt so auf?«, erkundigte sich Dernau grinsend.

»Wie meinen Sie das?«

»Wessen Freund waren Sie noch mal? Der von Herrn Rickmers oder doch eher der Freund seiner Frau?«, schob Dernau nach.

»Das ist ja wohl eine Unverschämtheit!«, brüllte Arfsten und lief dunkelrot an. »Das wird Folgen für Sie haben. Ich werde mich bei Ihrem Vorgesetzten beschweren!«

»Bei Herrn Hinrichs?«, fragte Dernau lachend.

»Wollen Sie nicht die Frage meines Kollegen beantworten?«, wandte sich Bennings in ruhigem Ton an Hilke Rickmers.

»Herr Arfsten ist ein Freund der Familie«, erklärte sie. »Reicht das?«

»Gut, wir werden Ihre Alibis überprüfen. Jetzt würden wir gerne mit Ihrem Sohn sprechen.«

»Maarten ist nicht da.«

»Wann kommt Ihr Sohn nach Hause?«

»Keine Ahnung. Eigentlich müsste er längst hier sein, aber der Tod seines Vaters hat ihn sehr getroffen. Ich nehme an, dass er bei Freunden ist, um Trost zu suchen.«

»Eine letzte Frage noch, Frau Rickmers.« Bennings schaute sie durchdringend an. »Ihr Mann hat Ihre Fleischereikette geleitet. Von Herrn Hinrichs wissen wir, dass Sie sich da weniger engagiert haben, und Sie haben das ja eben auch bestätigt. Können Sie sich vorstellen, dass sein Tod etwas mit dem Geschäft zu tun hat?«

»Unsinn«, antwortete Hilke Rickmers entschieden. »Was soll das denn miteinander zu tun haben? Die Läden laufen gut, wir achten darauf, dass wir nur bestes Fleisch einkaufen. Außerdem hat mein Mann ja schon länger kaum noch etwas mit dem Tagesgeschäft zu tun. Wir haben eine Geschäftsführerin, der wir vollständig vertrauen. So konnte sich mein Mann intensiv um seine Position in der Jägerschaft kümmern. Er hatte da noch Ambitionen.«

»Davon haben wir gehört«, lenkte Bennings ein. »Dann sind Ihre Geschäfte ja nun nicht gefährdet, nachdem Ihr Mann sie nicht mehr leiten kann.«

»Nein, Frau Olsen ist sehr selbstständig. Mit ihr haben wir großes Glück. Die Läden laufen sehr gut und werden von Jahr zu Jahr gewinnbringender. Nach dem Abitur soll mein Sohn Betriebswirtschaft studieren und dann bei uns einsteigen. Er wird sich, wie man so schön sagt, in ein gemachtes Nest setzen.«

»Gut, Frau Rickmers. Das war es zunächst einmal. Wir werden uns morgen wieder melden«, sagte Bennings und erhob sich. »Und mit Herrn Wiese werden wir selbstverständlich auch reden.«

Als sie hinausgingen, grinste Dernau Brar Arfsten an, als wollte er sagen: ›So, nun tröste du mal schön die Witwe.‹

Der drehte sich zum Fenster und blickte starr hinaus in die Marsch, ohne den Abschiedsgruß der Polizisten zu erwidern. Auch Hilke Rickmers hatte es sehr eilig, die Haustür hinter ihnen zu schließen.

»Warte mal«, sagte Dernau und huschte um die Hausecke herum, um kurz darauf siegreich grinsend zurückzukommen. »Sag ich ja, sie liegen sich in den Armen.«

»Das muss nichts heißen. Er ist ein Freund ihres Mannes.«

»Klar, und Kinder bringt der Klapperstorch. Ist dir eigentlich aufgefallen, dass in Rickmers’ beruflichem Umfeld schon wieder eine Frau ins Spiel gekommen ist?«

»Diese Frau Olsen, ja. Sollte mich nicht wundern, wenn beide Ehepartner ihre Abwechslung gesucht haben. Aber wohin führt uns das? Arfsten hat wahrscheinlich ein Alibi.«

»Die Olsen vielleicht nicht«, hoffte Dernau.

Die Kommissare setzten sich in ihr Auto und fuhren zurück zur Wache.

Dort erwartete sie bereits Oberkommissar Hinrichs in schwerer Gemütserregung, die er trotz heftigen Bemühens nicht verbergen konnte. Dernau hatte sichtlich Spaß an der tiefroten Gesichtsfarbe des Inselpolizisten und daran, dass seine Stimme ziemlich gepresst klang, so als müsse er sich beherrschen, um nicht loszubrüllen.

»Was machen Sie denn schon wieder hier?«, fragte Bennings. »Habe ich Ihnen nicht gesagt, Sie sollen sich ausruhen?«

»Ausruhen, ausruhen! Wie soll ich das denn machen, bei dem Theater hier auf der Insel?! Schließlich bin ich hier verantwortlich. Das Telefon steht nicht still«, erklärte er mühsam und wenig überzeugend. »Zuerst hat der Bürgermeister angerufen und wollte wissen, wer Nahmen Rickmers umgebracht hat. Er war stinksauer, als ich es ihm nicht sagen konnte. Sie sollen sofort zurückrufen, wenn Sie wieder da sind.« Er schob Bennings den Schwenkarm mit dem Telefon über den Schreibtisch und starrte ihn abwartend an.

»Später«, erklärte Bennings leichthin und schwenkte das Telefon wieder zurück.

»Aber, der Bürgermeister …«

»Tangiert mich im Moment extrem peripher«, stellte Bennings klar.

Als Dernau Hinrichs’ ratloses Gesicht bemerkte, übersetzte er beiläufig: »Geht ihm am Arsch vorbei.«

»Interessiert mich im Moment nur sehr am Rande«, korrigierte Bennings. »Sie waren dabei, uns Bericht zu erstatten. Also, fahren Sie fort.«

Hinrichs brauchte einen Moment, um die Unverschämtheit dem Bürgermeister gegenüber zu verarbeiten. »Gut«, begann er dann mühsam wieder und räusperte sich, »eben hat Hilke Rickmers angerufen. Sie war etwas, wie soll ich sagen …«

»Sauer?«, half Dernau grinsend aus.

»Genau«, brauste Hinrichs wieder auf, »weil Sie ihr ein Verhältnis mit Brar Arfsten unterstellt haben.«

»Das haben wir zwar so ausdrücklich nicht, aber ich finde es nett, dass sie es uns auf die Weise bestätigt«, kommentierte Bennings. »Noch etwas?«

»Ja, Arfsten hat kurz danach angerufen und mich gefragt, wann ich endlich etwas gegen diesen Wiese unternehme, wenn der jetzt schon unbescholtene Leute umbringt, nur weil sie nicht seiner Meinung sind.«

»Aha, und hat Ihnen Herr Arfsten auch die nötigen Beweise geliefert?«

»Äh, nein, nicht direkt.«

»Was hat er denn indirekt an Beweisen zur Hand?«

»Äh, nun ja, Drohungen, und … Tja, das weiß doch jeder, dass Wiese den Rickmers gehasst hat.«

»Soso, weiß das jeder? Das ist aber kein Beweis. Beim nächsten Mal weisen Sie Herrn Arfsten bitte darauf hin, dass üble Nachrede strafbar ist. Noch etwas?« Bennings drehte sich zu seinem Büro um, als erwarte er nicht wirklich weitere Neuigkeiten.

»Sagen Sie mal, Herr Kollege, was ist eigentlich los hier auf der Insel?«, erkundigte sich Dernau mit lauerndem Unterton. »Was ist das für ein Kampf zwischen Rickmers, Arfs­ten und Wiese?«

»Ach, der Wiese zerstört die Existenzgrundlage der Bauern hier – kauft ihr Land auf und setzt es unter Wasser. Und ständig erstattet er irgendwelche Anzeigen, weil angeblich ein Landwirt mit Druckkanonen die Gänse aufscheucht oder ein Jäger über Elmeere-Flächen Vögel abschießt. Gestern musste der beste Zuchtbulle seines Nachbarn auf einer seiner Flächen abgeschossen werden, nur weil er die Vögel aufgescheucht hat. Und letzte Woche soll sogar jemand einen Anschlag auf ihn verübt haben.«

»Was denn für einen Anschlag?«, erkundigte sich Bennings und wandte sich wieder dem Inselpolizisten zu.

»Irgendjemand hat ihn angeblich in der Marsch in den Graben gedrängt. So ein Quatsch! Ich sage Ihnen, der ist einfach selber in den Graben gefahren.«

»Warum sollte er das denn machen?«

»Um seine Gegner anschwärzen zu können. Glauben Sie mir, das ist so einer. Die kommen vom Festland hierher und müssen sich irgendwas beweisen, und das auf unsere Kosten.«

»Herr Wiese ist nicht von der Insel?«, hakte Bennings nach.

»Nein, der kommt vom Festland«, wiederholte Hinrichs. »Hat hier eine Pension geerbt und ein paar Appartements gebaut und ruht sich jetzt auf dem Geld aus. Ein Schmarotzer, der noch nie richtig gearbeitet hat, wenn Sie mich fragen.«

»Gut, da Sie ja offenbar keine Ruhezeit benötigen, fahren Sie jetzt los und holen mir diesen Wiese her. Immerhin ist er unser einziger konkreter Anhaltspunkt bisher.«

»Wer? Ich? Warum ich?«, stotterte Hinrichs.

»Weil Sie der Oberkommissar sind und ich der Hauptkommissar, und weil ich, der Hauptkommissar, Ihnen, dem Oberkommissar, das sage«, erklärte Bennings seelenruhig.

»Sie haben mir gar nichts zu sagen«, begehrte Hinrichs auf. »Ich bin der Kripo nicht unterstellt. Holen Sie sich den Kerl doch selber.«

»Da hat er jetzt auch wieder recht«, stimmte Bennings an Dernau gewandt ironisch zu.

»Der hat doch nur Schiss«, stellte Dernau hämisch grinsend in Bennings’ Richtung fest.

»Herr Hinrichs, es wäre nett, wenn Sie unsere Arbeit unterstützen und uns den Verdächtigen zuführen könnten. Sie können gerne einen Ihrer Kollegen mitnehmen, wenn Sie alleine zu viel Angst vor dem skrupellosen Mörder haben«, meinte der beiläufig.

Hinrichs murmelte etwas Unverständliches, das alles andere als freundlich klang, gab seinen Widerstand jedoch auf, nahm seine Jacke und winkte seinem Kollegen Groth, der ihm geduckt zum Streifenwagen folgte.

»Gib mir mal das Telefonbuch«, forderte Bennings Dernau auf. »Dann werde ich jetzt den Boss der Insel anrufen.« Er angelte sich das Telefonbuch aus Dernaus Hand über den Schreibtisch heran, blätterte auf die Amtsseite und wählte die Nummer des Bürgermeisterbüros. Von der Sekretärin ließ er sich durchstellen und hatte Sekunden später den aufgebrachten Bürgermeister am Ohr.

»Sagen Sie mal, Herr Bennings«, dröhnte der auch sofort los. »Was treiben Sie eigentlich auf meiner ruhigen Insel? Eben hat sich der Bauernvorsitzende bei mir beschwert, dass Sie sich benehmen wie eine Besatzungsarmee.«

»Woher weiß Herr Arfsten – ich nehme doch an, dass er der besagte Vorsitzende ist – woher weiß er denn, wie sich eine Besatzungsarmee benimmt?«, erkundigte sich Bennings in ruhigem Ton.

»Was? Was soll das denn heißen? Wollen Sie mich jetzt auch noch verarschen? Sie konfrontieren unbescholtene Bürger mit Ihren abstrusen Vorwürfen und wollen jetzt auch noch frech werden?«

»Also, Herr Bürgermeister, nur, damit das ganz klar ist und wir uns in Zukunft nicht falsch verstehen: Was Sie abstruse Vorwürfe nennen, nenne ich Verdachtsmomente, und Ihr unbescholtener Bürger steht immerhin auf der Liste meiner Verdächtigen. Und frech wird hier im Moment nur einer, nämlich Sie.« Bennings’ Stimme nahm an Lautstärke zu. »Was fällt Ihnen ein, mich so anzukaspern? Ich bin nicht Ihr Untergebener, mein Dienstvorgesetzter ist der Polizeipräsident in Flensburg, und dann kommt der Innenminister in Kiel. Der Wyker Bürgermeister steht in dieser Hierarchie ja wohl eher ganz unten und kommt in der Kette der Polizeivorgesetzten überhaupt nicht vor, oder täusche ich mich da? Haben Sie sonst noch Fragen? Ich erwarte nämlich einen weiteren Verdächtigen zum Verhör und lasse mich ungern in meiner Arbeit behindern.«

»Das ist unerhört, Sie … Das haben Sie nicht umsonst gemacht, das sage ich Ihnen, ich werde mich über Sie …«

Bennings legte den Hörer auf und hatte sichtlich Mühe, sich wieder zu beruhigen. »Was bilden sich diese Provinzfürsten hier eigentlich ein?«, fragte er gequetscht.

»Ruhig, Brauner, ruuuuhig!«, antwortete Dernau besänftigend. »Brrrrrr!«

In dem Moment wurde es draußen in der Wachstube laut. Sekunden später führte Oberkommissar Hinrichs einen stämmigen Mann mittleren Alters mit grauen Haaren und einem ebensolchen Vollbart in Handschellen in das Büro.

»So«, tönte er. »Da wäre dann der Verdächtige Wiese. Wollte sich der Festnahme widersetzen, da musste ich andere Maßnahmen ergreifen.« Stolz deutete er auf die Handschellen.

»Sind Sie für diese Schweinerei verantwortlich?«, schimpfte Wiese und hob seine gefesselten Hände an.

»Sagen Sie mal, Hinrichs, sind Sie eigentlich irre?«, donnerte Bennings los. »Nehmen Sie dem Mann sofort die Handschellen ab, sonst können Sie was erleben!«

»Aber … aber …«

»Los!«, brüllte Bennings und stützte sich drohend mit beiden Händen auf seinen Schreibtisch.

Hinrichs fummelte die Schlüssel aus seiner Hosentasche und schloss die Handschellen auf.

»Und jetzt raus! Oder warten Sie. Herr Wiese, möchten Sie einen Kaffee oder etwas anderes? Herr Hinrichs holt Ihnen alles, was Sie möchten. Herr Hinrichs hat nämlich jetzt einiges wiedergutzumachen. Herr Hinrichs kann froh sein, wenn Sie keine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen ihn einlegen. Ich an Ihrer Stelle würde das nämlich machen.«

»Ein Cappuccino wäre mir recht«, antwortete Wiese grinsend. »Aber mit Milch, nicht mit Sahne. Die Figur, Sie verstehen?«

»Cappuccino haben wir nicht«, erklärte Hinrichs trotzig.

»Dann holen Sie einen. Es gibt doch bestimmt ein Café hier in der Nähe«, antwortete Dernau und schob den Oberkommissar aus dem Büro. »Und wehe, der Cappuccino ist kalt, wenn Sie ihn servieren!«

Oberkommissar Hinrichs setzte seine Mütze auf und trottete fluchend davon.

»Bitte entschuldigen Sie das Vorgehen unseres … Kollegen«, sagte Bennings freundlich und wies auf einen Stuhl.

Wiese nahm Platz und grinste. »Der ist so blöd, dass ihn nicht mal mehr die Schweine beißen, aus Angst, sie könnten sich an Schweinepest infizieren. Obwohl BSE sogar noch näherliegend ist. Oder war das jetzt Beamtenbeleidigung?«

»Nur wenn das jemand hört. Hast du etwas gehört?«, erkundigte sich Bennings bei Dernau.

»Hätte ich das, müsste ich es positiv kommentieren«, antwortete der.

»Nun, Herr Wiese«, wechselte Bennings das Thema, »dann kommen wir mal zur Sache …«

Der geschmähte Oberkommissar hatte inzwischen die Zentral­station verlassen, ohne seinen grinsenden Untergebenen in der Wachstube Beachtung zu schenken. Sicher, er hätte sich über die Anordnung dieser Idioten aus Flensburg hinwegsetzen und Groth oder Jensen schicken können, um den Cappuccino zu holen. Aber insgeheim war er froh, für einige Zeit außer Hör- und Sichtweite zu gelangen, um ungestört nachdenken zu können.

So eine beschissene Situation hatte es in seiner bisherigen Laufbahn nur sehr selten gegeben, und bisher war alles immer halb so wild gewesen, weil nie etwas davon abgehangen hatte. Jetzt aber war das anders. Hinrichs wartete seit Monaten auf die ausstehende Beförderung zum Hauptkommissar. Eigentlich hätte er sie schon bekommen müssen, als er Dienststellenleiter geworden war, aber aus irgendeinem unerfindlichen Grund war er nur zum Oberkommissar befördert worden.

Hinrichs hatte zu keiner Zeit Zweifel an seiner Befähigung für diesen Posten gehegt, im Gegenteil, er fühlte sich zu noch Höherem berufen. Aber Ture Jacobsen, sein Bürgermeister, hatte behauptet, trotz seiner privaten Beziehungen ins Innen­ministerium in Kiel nicht mehr herausholen zu können. Sicher lag das allein an Jacobsens beschränktem Einfluss. Er selbst, Torben Hinrichs, hatte ja gar keine Chance gehabt, sich entsprechend zu profilieren. Was geschah auf so einer verschlafenen Nordseeinsel denn schon groß, dass man in Kiel auf ihn aufmerksam werden konnte? Wie sollte er sich durch erfolgreiche Arbeit selbst empfehlen können, wenn nicht einmal ein gescheiter organisierter Fahrraddiebstahl auf Föhr aufgezogen wurde?

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Дата выхода на Литрес:
26 мая 2021
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592 стр. 5 иллюстраций
ISBN:
9783839264584
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