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Читать книгу: «Sommerspiel», страница 3

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»Ja, wir müssen wohl sehen, daß wir weiter kommen!« Hartwig zog an den Zügeln und die Pferde sprangen davon. »Adieu, gnädige Frau!« rief er zurück. »Viel Glück mit ihrer Scholle!«

»Es ist ein Steinbutt!« schrie sie ihnen nach und wandte sich lachend an Vedel. »Nicht wahr, Herr Baron?«

Vedel antwortete nicht. Ihm war plötzlich so eigentümlich traurig zu Sinn geworden. Er fühlte sich so gering, wie er da auf der Landstraße ging, einen elenden, halbtoten Fisch schleppend. Kein Wunder, daß Ingeborg ihn kaum hatte ansehen wollen. Ingeborg, – wie reizend sie doch aussah, – blond und schlank und fein! – —

»Die kleiden einander merklich, die beiden!« sagte Frau Thomsen, die stehen geblieben war und dem Wagen nachsah, der schon fast in einer Staubwolke verschwunden war. »Dieser Hartwig imponiert mir. So überall Fuhrwerk und Reit- und Wagenpferde mit sich zu führen, das ist schneidig! Und brillant aussehen thut er, es liegt wirklich etwas von einem Grand Seigneur über seiner ganzen Erscheinung. Nach dänischen Verhältnissen, natürlich!« fügte sie schnell hinzu und setzte ihren Weg fort.

»Ja, er ist ein sehr liebenswürdiger Mann,« sagte Vedel mechanisch.

Sie sah ihn einen Augenblick an. »Finden Sie das auch?« fragte sie dann mit einem forschenden Blick, – »das ist doch sonderbar,« – —

»Sonderbar?«

»Na ja, – Diplomat muß man ja sein,« lächelte sie. »Aber sagen Sie mir doch, wie ist seine Frau eigentlich?«

Vedel räusperte sich und sah zu Boden.

»Ja, ich meine, – sie sieht so entzückend aus, – aber ist sie nicht eigentlich ein wenig leer und eingebildet?«

»Ach nein!« sagte er schnell und sah sie an —

»Nun ja,« lächelte sie, »ich habe ja nur gefragt. Aber Sie kennen sie also genauer, – — Kennen Sie sie nicht sehr genau?« fuhr sie nach einer Weile fort und sah ihn wieder forschend an.

»Wir haben uns als Kinder gekannt,« antwortete er kurz.

»So, – aber Sie haben die Bekanntschaft doch aufrecht erhalten, nicht wahr?«

»Nein!« sagte er. Er war rot geworden und fuhr sich mehrmals nervös über die Stirn.

»Ja, was soll das heißen, lieber Vedel?« fuhr sie unverzagt fort, »Sie verkehren doch noch immer, Sie duzen sich!«

»Ja, aus der Kinderzeit her!« rief er ärgerlich aus. »Ich kann doch nichts dafür, daß sie hierher gezogen ist, das ist doch nicht meine Schuld! Ich habe sie nicht aufgefordert!« – In seiner nervösen Heftigkeit schüttelte er den Korb, so daß der Fisch krampfhaft zappelte. »Ja, ich meine nur,« sagte er nach einer Weile in ruhigerem Tone, »es ist eine Kinderbekanntschaft zwischen Frau Hartwig und mir, wie das so oft vorkommt. Es ist nicht das geringste Eigentümliche dabei.«

»Nein, natürlich nicht!« rief Frau Thomsen und sah beleidigt und spöttisch aus. Sie gingen eine Weile schweigend weiter und standen dann an der Pforte, die nach der Villa Strandheim führte.

»Haben Sie Dank für Ihre Begleitung,« sagte sie, – »darf ich dann um meinen Fisch bitten?«

»Es ist mir ein Vergnügen gewesen,« sagte Vedel mit seiner gewöhnlichen Höflichkeit und reichte ihr den Korb.

»Wir scheiden als gute Freunde, nicht wahr?« lächelte sie. »Und am Montag kommen Sie? Dann verspreche ich Ihnen auch, daß ich Sie nie wieder nach Frau Hartwig fragen will.« Sie blinzelte ihm ein wenig zu und reichte ihm die Hand.

»Besten Dank!« entgegnete er. »Um sechs Uhr?«

Sie nickte und wandte sich ab. Puh! dachte sie, als sie zu der Villa hinaufging, – nein, der ist denn doch zu arg!«

Vedel ging schnell nach Hause.

Er schämte sich seiner unerzogenen Heftigkeit vorhin. Aber warum mußte sie ihn auch nach Ingeborg ausfragen? Was ging die sie an? Er konnte nicht anders antworten, als er geantwortet hatte – — – —

Ingeborg!

Einen Augenblick sah er sie vor sich, so wie sie dort auf dem Wagen gesessen hatte, – so sonderbar fremd und kühl, den Blick in – die Ferne gerichtet. Und ohne ein Lächeln für ihn war sie weiter gefahren – —

Das war ihm noch nie geschehen!

Eiskalt durchschauerte es ihn: War ihre Freundschaft aus? Das war ja unmöglich! Was hatte er denn gethan?

In der heftigsten Gemütsbewegung kam er nach Hause, und so erregt war er von seinen eigenen Gedanken, daß er Mamsell Paulsens freundlichen Gruß auf der Treppe kaum beachtete.

Was war nur einmal geschehen?

Er trat in sein Wohnzimmer, ging ein paar Mal verwirrt auf und nieder, setzte sich dann an den Schreibtisch, die Hände gegen das Gesicht gepreßt.

Fühlte sie denn nicht, wie er sie liebte?

Diese Knabenliebe, die Jahr für Jahr in ihm geschlummert hatte und so tief, daß er sie kaum gefühlt, – — ja, von Zeit zu Zeit war sie durch einen Brief, einen Gruß, eine flüchtige Begegnung wieder entfacht, – und nun in den letzten Monaten, wo er sie jeden Tag gesehen und mit ihr gesprochen hatte, jetzt war sie von neuem so überwältigend hervorgebrochen, daß sie ihn ganz beherrschte —

War er ihr denn plötzlich zuwider geworden? – —

Oder verachtete sie ihn, wenn sie mit ihrem Mann allein war? – —

Ja, Hartwig —

Zum ersten Mal empfand er einen heftigen Haß gegen diesen Mann, der so aufrecht und selbstbewußt an ihrer Seite saß. – Mit Peitschenknall und schnellen Pferden, auf rollenden Rädern, in Staubwolken entführte er sie – weit, weit weg, – für sich allein – —

Wie er ihn haßte!

Ingeborg, – komme zu mir!

Er erhob sich, entsetzt über seine Gedanken. Was war das nur einmal, was er sich wünschte – Plötzlich fiel sein Blick auf einen Brief, der auf dem Tisch lag. Schnell setzte er sich: Die Briefmarken, die Briefmarken!

Er las:

»Ich erlaube mir, Ihre geehrte Aufmerksamkeit auf die seltene Transvaalmarke zu lenken, von der ich anbei eine Abbildung einlege. Der Preis am Markt beträgt zwei Pfund, aber ich würde sie Ihnen in Folge eines besonders vorteilhaften Einkaufes für dreißig Kronen anbieten können.«

Er betrachtete die Abbildung. Ja, das war wirklich eine englisch überstempelte Marke aus dem Jahre 1878. Unter dem Stempel V. R. entdeckte er die Worte: South African Republik. Die in seine Sammlung zu bekommen!

Es flimmerte ihm vor den Augen, während er auf die Marke starrte.

V.+R. – — South African – Ingeborg —

South African Republic – — V.+R.

Ingeborg! – —

Lange saß er da, die Hände gegen seine Wangen gepreßt.

Dann holte er einen Briefbogen heraus, und mit zitternden Fingern cirkelte er langsam folgende Zeilen darauf:

Skotteroup den 29. Juni.

Wollen Sie mir gütigst die von Ihnen offerierte Transvaal Marke aus dem Jahre 1878 (Englische Überstempelung) senden.

Der Betrag folgt per Postanweisung.

Ergebenst

Hans Vedel.

IV

Als Frau Thomsen Vedel den Rücken gewandt hatte, ging sie langsam auf ihre Villa zu, die weiß und frisch gekalkt und blendend in dem grellen Sonnenschein dalag.

Sie war ärgerlich und verstimmt. Und weswegen? – Alles hier war wirklich viel zu neu: der Garten so langweilig kahl mit seinen dünnen Rasenplätzen, seinen kleinen blütenlosen Rosensträuchern, seinen Reihen schlanker Obstbäumchen, – und das Haus, wie das doch die Augen blendete! Sie selber war heiß und müde und außer Atem. Aber das alles war es im Grunde nicht, was sie ärgerte. Was war es denn?

Die Mädchen kamen jetzt gelaufen und befreiten sie von ihren Paketen.

»Schämt ihr euch denn gar nicht!« rief sie aus, »mich hier herumlaufen und mich halbtotschleppen zu lassen —«

»Gnädige Frau wollten doch selbst —«

»Ja, weil ihr zu nichts zu gebrauchen seid! Na, geht hinauf und macht alles fertig. Und wie sieht es mit der Wäsche aus? Seid ihr mit dem Tischzeug fertig?«

»Ja, die Frau hat dabei angefangen.«

»Angefangen? Sie muß heute abend mit der ganzen Geschichte fertig sein, – mit jedem Stück! Sonst kriegt sie ihre zwei Kronen nicht, laufe schnell hinunter und sage ihre das, Karen!«

Die Köchin lief in kurzem Galopp davon.

»Und Sie, Anna, – was wollte ich doch sagen, – ja, gehen Sie hinunter und sagen Sie Anton, daß er sich die Livrée anzieht, ich habe etwas für ihn zu thun! Und dann kommen Sie herauf und helfen mir beim Umkleiden, aber schnell, schnell!« Das Mädchen stürzte davon.

Frau Thomsen atmete erleichtert auf, herrlich zu kommandieren! Zu fühlen, daß einem gehorcht wird! Und im selben Augenblick wußte sie, warum sie vorhin so gereizt gewesen war. Es war diese Begegnung mit Hartwig. So stolz wie er da auf seinem Bock saß und auf sie herabsah, und der Baron und die Scholle. Da war er allerdings der Überlegene gewesen.

Sie hatte ein Gefühl, als stände sie jetzt auf einer Stufe mit ihm.

Warte du nur, mein guter Monsieur, dachte sie, – warte du nur, bis ich in Toilette bin!

Sie war jetzt in ihr Ankleidezimmer gekommen, das im ersten Stockwerke lag. Es war ein kleiner, elegant ausgestatteter Raum in modernem Empire, mit Möbeln in Weiß und Gold. Drei große Spiegel, ein Toilettentisch, der von Neuigkeit funkelte, ein Madame Récamier Ruhebett mit grünem Atlasbezug. Eine Glasthür führte zu einem kleinen Balkon mit Schmiedeeisengitter, von dem man den Strandweg und den Sund übersehen konnte.

Frau Thomsen trat sofort an einen der Spiegel. Ja, ich sehe wirklich reizend aus! dachte sie, – man sollte glauben, ich wäre fünfzig!

Schnell näherte sie ihr Gesicht dem Spiegel.

Sommersprossen! Sommersprossen! Wo kriege ich die her? – Das kommt, weil ich immer so herumrenne! Und das Haar in dem brandroten Tuch, – wie kleidsam das ist! Dünne wird es auch allmählich – —

Ich müßte Kinder haben, das ist das einzige, was hilft, sagte sie zu sich selber und warf den Spiegel hin. Aus verschiedenen Gründen müßte ich Kinder haben – —

Plötzlich beugte sie sich ganz nach dem Spiegel hinüber. Mit zwei Fingern zerrte sie die Haut unter dem einen Auge auseinander, kniff sie zusammen, zerrte sie wieder auseinander. Sie glaubte, den Schatten einer Falte gesehen zu haben. Nein, wenn sie genau hin sah, war es nur Müdigkeit, – nein, die Haut war jung, ganz jung, Gottlob, – das war ihre größte Angst – —

Aber dies Kleid! – Ganz entsetzt sah sie auf einmal wie zerknittert und vertragen es war, es hing ja wie ein Sack um ihre Glieder! Und damit ging sie am hellen, lichten Tage am Strandweg, nach dem Frühstück! Sie war wirklich zu gleichgültig gegen die Meinung der Leute! Wahrlich, es war wohl verdient, wenn Hartwig sie von oben herab ansah und seine kleine Frau den Kopf in den Nacken warf und nicht mit ihr sprechen wollte! – —

Wie heiß sie doch war! – Sie griff nach ihrer Puderdose und bedeckte ihr ganzes Gesicht mit einer dichten Puderschicht.

Herrlich kühlte das!

So, jetzt fing sie wieder an, sich als Mensch zu fühlen.

Dann ließ sie das Kleid fallen, hüllte sich in ihren langen Frisiermantel und legte sich auf das Sofa, um das Mädchen zu erwarten. —

Nach einer Weile klopfte es an die Thür.

»Wer ist da?« ertönte es schlaftrunken vom Sofa her.

»Anton!« antwortete es von draußen.

»Anton? Was wollen Sie?«

»Die gnädige Frau hatten ja etwas für mich zu besorgen.«

»So?« Sie riß die Augen auf, ahnte aber nicht, wozu sie ihn herbestellt hatte. »Nun ja, – gehen Sie hinunter und sagen Sie Anna, daß sie sofort zu mir heraufkommen soll,« sagte sie ärgerlich und schloß die Augen wieder. Ach, jetzt lag sie gerade so gut – —

Dann kam Anna. Sie war ein kleines, häßliches, brünettes Mädchen, blutjung, mit schnellen, affenartigen Bewegungen und einer ewigen, beinahe krampfhaften Unruhe im Gesicht.

Frau Thomsen streckte sich, gähnte, stand dann auf und setzte sich vor den Spiegel am Fenster. Anna machte sich sofort über das Haar her.

»Vorüber lachen Sie, Anna?« fragte Frau Thomsen, die ihr grinsendes Gesicht im Spiegel sah.

»Ach, bloß über Anton!« kicherte sie. »Der hat die Livrée bloß anziehen müssen, um mir zu sagen, daß ich zu der gnädigen Frau heraufkommen sollte.«

Frau Thomsen saß eine Weile schweigend da. »Na ja!« sagte sie, »wozu hat er sonst seine Livrée?« »Ich hab' so lachen müssen!« fuhr Anna fort, »er stellte sich so an, aber wütend war er —«

» Was war er?« fragte Frau Thomsen scharf und runzelte die Stirn.

»Ach Gott, nein!« rief das Mädchen aus.

»Au! Wie Sie mich ziehen! Was haben Sie heute nur einmal?«

Anna schwieg und kämmte vorsichtig weiter.

»Ich kann den Burschen nicht leiden,« fuhr Frau Thomsen fort. »Er leistet hier draußen auch nicht das Geringste. Er treibt sich nur herum und wird träge und frech.«

»Der Herr schickt ihn doch oft zur Stadt!« wandte das Mädchen ein und riß unruhig das eine Auge auf.

»Das ist ganz überflüssig, wenn man ein Telephon hat. Ich glaube, ich will sehen, daß ich ihn los werde.«

Anna zuckte zusammen. »Ach nein!« rief sie unwillkürlich aus. Frau Thomsen sah sie an. »was soll das heißen?« fragte sie« »Bitten Sie für ihn? Sie sind wohl in ihn verliebt, Anna?« »Ach Gott, nein!« sagte Anna mit einer unglücklichen Grimasse, – »er sieht kaum nach der Seite hin, wo ich bin.«

»Na ja, dann haben Sie ja keinen Grund, ihn zu lieben.«

Aber Anna ließ nicht nach.

»Unten am Hafen, des Abends —« versuchte sie einschmeichelnd. – »Gnädige Frau sollten ihn nur hören, – er ist so amüsant, wenn er mit den Fischern plaudert.«

»Wer?«

»Anton!«

»Wie sie den Namen ausspricht! Sie sind scheinbar bis über die Ohren in ihn verliebt, mein Kind.«

»Nein! Aber er macht soviel Unsinn mit ihnen! Wir kommen alle beinahe um vor Lachen!«

»Ja das will ich mir für die Zukunft denn doch verbitten!« sagte Frau Thomsen ungeduldig. »Es ist nicht der geringste Grund vorhanden, daß er sich über die braven Fischer lustig macht, bloß weil er nichts weiter zu thun hat. Und dann setzt er euch obendrein noch Grappen in den Kopf. Nein, er muß fort!«

Anna kämmte eine Weile schweigend weiter. Es arbeitete in ihr. Ihre Wangen färbten sich und von Zeit zu Zeit kam Leben in ihre Augen und sie blitzten im Spiegel Frau Thomsens Gesicht mit einem wunderlich hilflosen und boshaften Ausdruck an. Auf einmal krümmte ihr Mund sich nach unten, und sie fing an zu schluchzen.

»Na, was hast du denn jetzt?« fragte Frau Thomsen ärgerlich.

»Gnädige Frau könnten so viel Nutzen von ihm haben,« schluchzte sie.

Frau Thomsen stampfte mit dem Fuß auf die Erde: »Ich verbitte mir diesen Unsinn!« rief sie aus. »Wenn Sie nicht ohne ihn leben können, so können Sie ja gleich mit ihm gehen!«

Anna aber schlug die Hände vor die Augen und schluchzte laut: »Er weiß was von dem Herrn!« rief sie aus.

Langsam wandte Frau Thomsen den Kopf nach ihr um. »Was soll das heißen?« fragte sie.

Jetzt heulte Anna. »Der Herr hat —« sie hielt inne.

»Was hat er?« fragte Frau Thomsen ruhig.

»Der Herr hat eine Liebschaft in der Stadt!« rief das Mädchen laut brüllend und sank auf die Knie.

»St! So schweigen Sie doch! Wie können Sie nur so schreien!« Frau Thomsen war aufgesprungen und sah nach der Thür hinüber.

»Gnädige Frau müssen nicht böse sein,« schluchzte das Mädchen. »Es ist ja man bloß, weil ich so schrecklich viel von gnädige Frau halte!«

»Schweigen Sie! Hören Sie denn nicht!« flüsterte Frau Thomsen. »Kommen Sie doch zu sich!«

Während das Mädchen an der Erde lag und schluchzte und sich die Nase putzte, ging Frau Thomsen im Zimmer auf und nieder, – rückte die Möbel hin und her, sah vor sich hin, – trat auf den Balkon hinaus, kam gleich zurück.

Eine so dumme, plumpe Art und Weise, so etwas zu erfahren! – Dieses Pack von Dienstboten! – —

Wütend sah sie Anna an, die noch immer an der Erde lag und leise schluchzte, während sie über das Taschentuch hinweg zu ihrer Herrin hinüberschielte. Jetzt schlug sie die Augen nieder.

»Sind gnädige Frau schrecklich traurig darüber, daß —« begann das Mädchen.

»Schweig!« unterbrach sie Frau Thomsen heftig. Dann ging sie hin und setzte sich wieder vor den Spiegel.

»Machen Sie jetzt schnell, daß Sie mit meinem Haar fertig werden!« sagte sie. »Und sprechen Sie nicht mehr mit mir. Ich will Ihr Geschwätz nicht mehr anhören.«

Das Mädchen erhob sich und ging schnell und geschäftig wieder an die unterbrochene Arbeit.

Geschwätz! dachte Frau Thomsen bei sich, leider ist es wohl kein Geschwätz.

Einen Augenblick überlegte sie, ob sie das Mädchen ausfragen sollte, woher sie es wußten und was sie wußten, aber sie gab es gleich wieder auf; sie mochte sich nicht mit dem Pöbel gemein machen. Außerdem war die Sache an sich wohl nur leider ganz sicher. Der Herr hatte offenbar eine Liebschaft in der Stadt.

Der Gedanke war ihr ja nicht neu, – sie hatte in den letzten Jahren sogar bei Kleinem versucht, sich daran zu gewöhnen. Warum sie es geglaubt hatte, wußte sie offen gestanden nicht. Thomsen hatte nie die geringste Unregelmäßigkeit weder in seinen Gewohnheiten noch in seiner Laune gezeigt, er war Tag aus, Tag ein, das ganze Jahr hindurch, einfach und ruhig, und er kam immer zur Essensstunde nach Hause. Vielleicht war es grade dies unerschütterliche Gleichgewicht in allem, was sie zuerst mißtrauisch gemacht hatte: sie fand es unnatürlich bei einem Mann. Sie war sogar mehrmals kurz davor gewesen, mit ihm darüber zu sprechen, ihn geradeaus zu fragen, wie es in der Beziehung mit ihm stand. Aber sie hatte es nicht gethan, weil sie fürchtete, daß er sagen würde, es sei nichts derartiges vorhanden. Denn dann konnte es trotzdem wahr sein. Und dann hatte er ihr etwas vorgelogen. Vor dem Verdacht fürchtete sie sich.

Jetzt wußte sie es also. Es that ihr ein klein wenig leid.

Nicht daß er hin und wieder eine andere Frau besuchte. Ach Gott, nein, über Eifersucht und dergleichen Jugendlichkeiten war sie längst hinaus. Sie verstand sich außerdem so gut auf die Gefühle der Männer, daß sie wußte, er konnte sie deswegen doch ebenso lieb haben. Was sie aber quälte, war der Gedanke: warum hatte er es ihr nicht erzählt?

Mein Gott, jetzt lebten sie doch wirklich so nett friedlich und behaglich mit einander. Sie hatte ihn wirklich gern. Sie amüsierte sich über seinen trockenen Humor, und selbst wenn er für gewöhnlich ein wenig schweigsam und stumpfsinnig war, so fühlte sie sich doch in seiner Gesellschaft immer so sicher und geborgen. Sie wußte es auch sehr an ihm zu schätzen, daß er ihr niemals Schwierigkeiten in Bezug auf Geldangelegenheiten und dergleichen machte: sie erhielt immer, was sie für sich oder das Haus forderte, – obgleich es ihm wohl nicht immer gleich bequem war, es ihr zu schaffen. Das war doch eine große Annehmlichkeit. Er war ihr wirklich ein guter Kamerad gewesen, – so wie sie ihm. Warum hatte er ihr denn nicht so viel Zutrauen erwiesen? Sie fand, daß sie das verdient hatte. Er hätte ihr geradeaus erzählen sollen, daß er im Begriff stände, eine Dummheit zu begehen. Dann hätten sie doch zusammen darüber sprechen können, als nüchterne, praktische Menschen, die sie doch waren.

Jetzt mußte sie ihn also selber ausfragen.

Sie schauderte ein wenig; es war nicht angenehm.

Und dann war da ja immer diese Angst; den Fall gesetzt, daß er es leugnete, denn dann wollte sie nicht nur glauben, daß er log, – dann mußte sie es wissen. Und dann war es mit ihrer Kameradschaft aus, – das fühlte sie deutlich. Sie konnte nicht in Freundschaft mit einem Manne weiterleben, der sie in einem so wichtigen Punkt belog.

Nun, es war ja noch nicht alles verloren!

Das Mädchen hatte endlich ihr Haar aufgesteckt.

So, das hat geholfen! dachte Frau Thomsen und betrachtete die hübsche Frisur im Spiegel. Dann badete sie Gesicht, Hals und Schultern in dem kalten Seewasser, das förmlich biß, aber die Haut mit einem so jugendlichen Schimmer erröten machte. Und sie zog ihr mauvefarbenes Moiréekleid an; das ließ gerade so viel von Hals und Schultern sehen, wie das Seewasser gerötet hatte.

Anna war ihr behilflich, gewandt und ängstlich.

»Wie schön gnädige Frau doch sind!« murmelte sie und faltete die Hände, während Frau Thomsen vor dem Spiegel stand und ihre prachtvolle Erscheinung musterte.

Ja, dachte sie, – ich bin jedenfalls schöner als vorhin, als ich wie ein Fischweib auf dem Strandwege herumlief. Jetzt werden wir ja sehen, was der gute Thomas sagt.

Mit einem Seufzer wandte sie sich von dem Spiegel ab.

»Gehen Sie jetzt hinunter und sagen Sie Anton, daß ich mit ihm sprechen will!« sagte sie.

Das Mädchen stand einen Augenblick still und starrte ihre Herrin an, dann lief sie schnell hinab.

Jetzt muß ich ihn wohl kündigen, lachte Frau Thomsen und schritt ein wenig auf und nieder. Ich kann ihn doch nicht mit seinen Klatschereien hier herumlaufen lassen.

Einen Augenblick später klopfte es an die Thür.

»Herein!« sagte sie und ging auf die Thür zu.

Der Diener trat ein, als sie aber seinen frechen, neugierigen Blick begegnete, wandte sie ihm den Rücken und trat an das Fenster.

Was soll ich ihm nur sagen? dachte sie, ich kann mich doch nicht dazu hergeben, mit ihm darüber zu reden. Und wenn ich keinen Grund angebe, geht er zu Thomsen. Außerdem – wenn er hier weggejagt wird, klatscht er wohl dort, wohin er kommt, nur um so mehr.

»Gehen sie hinunter und holen Sie Anna,« sagte sie, ohne sich umzuwenden. Sie sah nicht die Grimasse, die er ihr machte, und die übertriebene tiefe Verbeugung, mit der er sich aus der Thür zurückzog.

Jetzt setzt das Mädchen ihren Willen also doch durch, dachte sie ein wenig ärgerlich, – ich habe ganz einfach nicht den Mut, ihn weg zu jagen. Aber sie sollen wenigstens nicht glauben, daß ich mich ihrer bedienen will. Und als Anna nach einer Weile hereinkam, ging sie ganz nahe auf sie zu.

»Hören Sie einmal, Anna!« sagte sie ruhig und bestimmt, »mit diesem Schlingel von Anton mag ich nicht reden. Sie können ihm aber von mir bestellen, sobald ich wieder das allergeringste von seinem lächerlichen Klatsch und dummen Gerede hörte, würde er augenblicklich zum Hause hinausgejagt werden. Ich kann euch nicht daran hindern, untereinander zu klatschen, und das ist mir übrigens auch gleichgültig, höre ich aber nur ein einziges Wort von diesem Blödsinn von anderer Seite, so wißt ihr beide, worauf ihr euch gefaßt zu machen habt. Denn es kann nur von euch ausgehen. Haben Sie mich verstanden?«

»Jawohl, gnädige Frau,« stammelte das Mädchen mit einem Gesicht, das vor Verlegenheit zuckte und zitterte.

»Nun, dann gehen Sie hinunter.«

Anna fing an zu schluchzen! »Gnädige Frau sind doch nicht böse?«

»Freilich bin ich böse! Machen Sie jetzt, daß Sie fortkommen!«

Anna verschwand.

So, jetzt werde ich von der Seite wohl Ruhe haben, dachte Frau Thomsen, »dann werde ich mit der andern auch wohl fertig.«

Nach einer Weile ging sie hinunter.

Im Wohnzimmer roch es noch immer nach Lack und Farbe, und als sie in die Gartenstube kam, befühlte sie ganz mechanisch die Wand, ob sie noch feucht sei. Ob ich wohl auch in die Küche muß? dachte sie. Ach nein, mit dem einfachen Essen wird sie schon allein fertig werden. Und dann: sie wollte ihren Teint nicht verderben, indem sie zu lange über dem Feuer stand.

Der gute Thomas soll mich hübsch finden! – —

Dann setzte sie sich in einen Korbstuhl auf die Veranda, nahm ein Buch und erwartete Thomas. —

»Ja, jetzt trocknet es!«

Sie wandte sich um und sah ihren Mann im Gartenzimmer stehen, die Hand gegen die Wand gelegt. War die Uhr denn schon so viel? Ja, gleich halb sieben!

Sie sprang schnell auf, ging mit einem leichten Kopfnicken an ihm vorüber, in die Küche hinaus. Gleich darauf setzten sie sich zu Tische.

Das Essen verlief in fast völligem Schweigen. Thomsen sagte wie gewöhnlich nichts, und Frau Thomsen war gegen ihre Gewohnheit still und nachdenklich.

Von Zeit zu Zeit stützte sie das Kinn in die Hände und sah lange zu ihrem Mann hinüber, der so friedlich da saß und seine Fleischbrühe schlürfte.

Ja, ja, mein guter Thomas, dachte sie, da sitzt du nun und genießt dein Mittagessen. Du ahnst nicht, was mitten an diesem heitern Sommertag zu mir herabgeplumpst kam. Wenn du es wüßtest, bekämst du am Ende einen Kloß in den verkehrten Hals. – —

Aber jetzt, wo Anna aus und ein ging, wollte sie aber nicht darüber sprechen. Sie trank ein paar Gläser, um ein wenig in Stimmung zu kommen.

Plötzlich mußte sie lächeln.

Also Thomas ist verliebt! dachte sie, – Gott weiß, wie das aussieht? – — Und zum ersten Male erfaßte sie eine Art Neugier, zu erfahren, wer es war, der er huldigte. Wahrscheinlich eine kleine Schauspielerin, dachte sie, – oder eine »junge Witwe«, die durch ein Inserat in der Zeitung einem gebildeten, vorurteilsfreien Gentleman um ein Darlehn von 200 Kronen gebeten hat. Und sie sah ihn ruhig mit einem Blumenstrauß daherkommen und ihn der Auserwählten in seiner stumpfsinnigen, stillen Weise überreichen. Drollige Schäferstunden! dachte sie. Sie war keinen Augenblick darüber in Zweifel, daß sein Auftreten dort genau so bürgerlich und prosaisch und leidenschaftslos war wie daheim bei ihr.

Als sie bei den Erdbeeren angelangt waren, ließ Thomsen plötzlich seine Stimme erschallen.

»Ich finde, die Mühle ist heute stehen geblieben,« sagte er und blinzelte verschmitzt zu seiner Frau hinüber.

»Ja,« sagte sie mit einem leisen Lächeln. »Es ist ein Stein zwischen die Räder geraten.«

»Was für ein Stein ist denn das?«

»Das wirst du schon erfahren, Thomas, wenn die Zeit gekommen ist.« Er schüttelte den Kopf, und sie aßen schweigend weiter.

Als sie fertig waren, gingen sie auf die Veranda hinaus. Thomsen zündete seine kleine Shagpfeife an und stand da und sah über das Wasser hinaus und nach seinem Kutter hinüber, der gerade vor der Villa vor Anker lag, ein Stück vom Lande entfernt; ganz schwarz sah er heute abend aus, – der Rumpf wie auch die Takelage waren wie mit Pech beschmiert, denn rings umher lag der Sund blank und weißgelb, von dem Glanz der Abendwolken beleuchtet.

»Die See sieht heute abend, weiß Gott, wie Milch aus,« bemerkte der Großhändler.

»Warum nicht wie Bernstein,« entgegnete seine Frau.

»Hm, so poetisch bin ich nun einmal nicht veranlagt.«

Seine Frau sah ihn einen Augenblick an. »Der Teufel trau' dir!« sagte sie und versetzte ihm einen leichten Schlag auf die Backe, indem sie an ihm vorüber ging. »Du bist gewiß ein größerer Schwärmer als du scheinst.«

Sie ging hin und schenkte den Kaffee ein. Wie soll ich nur anfangen? dachte sie. Ich weiß wirklich nicht, wie ich es einleiten soll. – — —

»Willst du nicht heute abend mit der Lydia hinaus?« fragte sie dann.

»Ja – a— wenn du mir Wind besorgen kannst!«

Nein, das konnte sie ja nicht, und es entstand ein Schweigen.

»Es ist der fünfte Abend, daß die See so träge daliegt,« bemerkte er. »Das ist nicht amüsant.«

»Dann bleibe morgen zu Hause!« schlug Frau Thomsen vor. »Des Vormittags haben wir ja immer mehr Wind. – — Aber du kannst dich wohl keinen einzigen Tag von der Stadt trennen?« fügte sie listig hinzu.

Er setzte sich gähnend hin. »Morgen ist ja Sonntag,« sagte er.

Wieder zurückgeschlagen! Langsam trat sie an ihn heran. »Aber du fährst morgen doch wohl zur Stadt?« fragte sie. »Nicht wahr?«

Er sah zu ihr auf. »Bewahre!« sagte er.

Sie schüttelte den Kopf leise. Nein, so ging es nicht. Er war ja nicht aus seiner Ruhe heraus zu bringen!

Ja, dann mußte sie wohl geradeswegs auf die Sache lossteuern.

Sie stellte sich hinter seinen Stuhl.

»Hör einmal, lieber Thomas!« fing sie an, hielt aber inne. Es war doch sonderbar, wie unruhig sie plötzlich geworden war. Sie war ganz kalt im Gesicht und fühlte ihr Herz pochen.

»Galant bist du nie gewesen, Thomas,« flüsterte sie leise und strich ihm über den Nacken, »aber ich hatte doch gehofft, daß du sehen würdest, wie hübsch ich mich heute gemacht habe.«

Er sah flüchtig auf. »Mein Kompliment,« sagte er und streichelte ihre Hand, die auf seiner Schulter lag.

»Man sollte glauben, du hättest keinen Sinn für Frauenschönheit,« fuhr sie leise fort.

»Das habe ich auch wirklich nicht!« sagte er ungeduldig und paffte heftig aus seiner Pfeife.

»Mein Gott, das habe ich dir ja gleich gesagt, als ich um dich anhielt!«

Ob er wohl nein sagt? dachte sie. – [[?]]»[?]Ob das Ganze wohl Unsinn ist? Am Ende hat er gar nichts gethan! – Ach, wenn er doch nichts gethan hätte! – — —

So, jetzt frage ich!

Sie setzte sich auf die Stuhllehne dicht an ihn heran, und indem sie ihn mit der einen Hand um den Nacken faßte, bog sie seinen Kopf zu sich hinauf.

»Sag' mir, Thomas, – hast du andere Götter neben mir?« fragte sie leise.

Er starrte sie an. »Was soll das heißen – Götter?« rief er ärgerlich aus.

Er sagt nein! Es ist nichts geschehen! – Eine plötzliche Freude flammte in ihr auf, – sie kam so unerwartet, – sie verwirrte sie, – machte sie ganz schwindlig – — —

»Na ja, oder Göttinnen?« fragte sie lächelnd und schüttelte leise seinen Kopf.

Thomsen befreite seinen Kopf und sprang auf.

Sie glitt in den Stuhl hinunter. Es ist doch wahr! flüsterte sie, als sie den Ausdruck seines Gesichts sah.

Er war blaß geworden, – so blaß, daß sein blonder Bart einen roten Schein in sein Gesicht warf. Langsam wandte er sich um, trat an den Kaffeetisch, – nahm einen Löffel, wiegte ihn auf den Fingern, ging auf die Verandathür zu und sah hinaus, immer den Löffel balancierend.

Es ist also wahr! dachte sie – —

Und langsam gewann sie ihre Ruhe wieder.

Das Ganze ist also gekommen, wie ich es erwartet hatte, sagte sie zu sich selbst, – offen gestanden, wie ich es gewünscht hatte. Es lag ihr ja nichts vor. Sie hatte wirklich keinen Grund, traurig zu sein.

Und doch empfand sie in ihrem innersten Innern einen kleinen, sonderbaren, roten Schmerz, ebenso heftig wie die plötzliche Freude vorhin, und beinahe ebenso unerwartet. Was war dies nur? Was das Herz getroffen? – —

Es entstand eine Stille.

Nun, reden wir darüber, dachte sie mit einem Seufzer, – dann geht es wohl vorüber. Hierin ist kein Sinn. Auf die Weise können wir einen ganzen Abgrund zwischen uns zusammen schweigen. Retten wir, was gerettet werden kann. – — —

»Findest du eigentlich, daß das hübsch von dir ist, Thomas?« fragte sie mit leiser, trauriger Stimme.

Er wandte sich um.

»Nein, das ist es nicht,« sagte er. Er stand da und sah auf den balancierenden Theelöffel nieder.

Dann ging er hin und legte den Löffel dahin, wo er ihn hergenommen hatte.

»Von wem hast du es erfahren?« fragte er und sah sie von der Seite an.

»Das ist ja gleichgültig,« antwortete sie müde.

»Das ist es auch.«

Er nahm einen Stuhl und schob ihn an sie heran. »Ich hätte wohl Lust, dir das Ganze zu erzählen,« sagte er ruhig.

»Das hättest du früher thun sollen, Thomas.«

»Ja, da hast du recht,« räumte er ein, indem er sich setzte. »Es ist wenigstens gut, daß du es so vernünftig auffaßt.«

»Vernünftig!« wiederholte sie und machte eine Bewegung mit der Hand. – »Mein Gott, wir beiden alten Eheleute, die einander so gut kennen, – wir können uns doch nicht plötzlich hinstellen und Tragödie miteinander spielen. Natürlich schmeichelt es meiner Eitelkeit als – als Dame, oder Frau, – oder was du willst, nicht, daß ich dich nicht habe fesseln können. Aber ich habe ja so viel anderes wahrzunehmen gehabt. Ich habe dich wohl nicht hinreichend gepflegt.«

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Дата выхода на Литрес:
04 декабря 2019
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131 стр. 2 иллюстрации
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Public Domain

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