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Und wo geht’s hier nach Hause?

Taunus, ein verdammtes Gefängnis

11. April 2018

Arianna

»Wie bitte?«, entfuhr es Arianna. Wieso war dieser Kerl nur so dreist?

Jetzt grinste er auch noch frech. Weil sie nichts Besseres fand, griff sie nach einem Kissen und schleuderte es in Konstantins Richtung. Ehe es sein Gesicht traf, fing er es ab.

»Soll das die Einladung zu einer morgendlichen Kissenschlacht sein?«, fragte er süffisant.

Die bissige Antwort, die Arianna hatte geben wollen, blieb ihr im Hals stecken. Das war unmöglich! »Deine Hand …«

Konstantin ließ das Kissen aufs Bett fallen. »Was ist damit? Ich habe dir doch versprochen, dass ich ab heute für dich kochen werde. Auf Fast Food stehe ich auch nicht gerade.«

Arianna konnte nicht fassen, was sie sah. Konstantins gebrochene, wenn nicht gar zertrümmerte Hand sah vollkommen unversehrt aus. Selbst die tiefen Kratzer auf der Wange, die sie ihm verpasst hatte, waren nicht mehr zu sehen. Sie brachte kein vernünftiges Wort heraus. Ihr Hirn befand sich noch im Ruhemodus.

»Komm schon, du wirst es nicht bereuen. In ein paar Tagen wirst du auch das verstehen.« Sein Ton war einladend und Arianna musste sich daran erinnern, dass es ihr Entführer war, der hier vor ihr stand.

»Du wirst mir nicht dabei zusehen, wie ich mich umziehe!« Auch wenn Konstantin wirklich gut aussah, veranstaltete sie garantiert keinen Striptease für ihn! Eine Neuauflage des Stockholm-Syndroms würde es in dieser Hütte nicht geben.

»Danke, kein Bedarf. Nimm deine Klamotten mit ins Bad. Ich werde davor warten.«

Arianna schnaubte. Moment, war sie allen Ernstes gekränkt, weil er sie nicht nackt sehen wollte? Irgendetwas stimmte mit ihr in letzter Zeit wirklich nicht, wenn ihr schon solche Gedanken kamen. Manche Dinge ergaben in ihrem Kopf keinen richtigen Sinn. Jedoch war Arianna nicht in der Lage, den Finger daraufzulegen und den Ursprung für das Chaos zu finden. Es war ja wohl so was von egal, was Konstantin von ihr hielt! Sie liebte Zac und er sie ebenfalls. Oder etwa nicht? Schon wieder wurde sie von Zweifeln gequält.

Entschlossen stand Arianna auf und wühlte in der Reisetasche nach frischen Klamotten. Die Männer hatten an alles gedacht und sie musste nicht verwahrlosen. Nicht nur diverse Outfits, sondern auch eine Jacke und allerhand Hygieneprodukte waren dabei. Das war fast schon aufmerksam von ihnen. Nur wozu bräuchte sie für wenige Tage drei Packungen Tampons? Männer! Geduscht hatte sie gestern Abend, daher würde eine kurze Wäsche reichen.

Mit verschränkten Armen lehnte Konstantin im Türrahmen und wartete auf sie. Als sie alles beisammenhatte, fasste Arianna einen Entschluss. Erstens: Sie würde sich nicht unterkriegen lassen. Zweitens: Sobald sich eine Gelegenheit bot, floh sie von hier. Im Wald gab es jede Menge Möglichkeiten, sich zu verstecken.

Erhobenen Hauptes stapfte sie an Konstantin vorbei und steuerte das Bad an. Sobald sie drin war, knallte Arianna ihm die Tür vor der Nase zu. Diese kurze Zeit, in der sie niemand beobachtete, würde sie genießen und auskosten, solange es ging.

Im gestrigen Dämmerlicht hatte sie nicht mehr allzu viel erkannt, daher untersuchte sie das Dachfenster noch einmal. Blöderweise war es außerhalb ihrer Reichweite. Man öffnete es mit einer Griffverlängerung und selbst damit konnte es nur angekippt werden. Flucht durchs Fenster fiel aus.

»Arianna?«

Sie gab keine Antwort.

»Sag etwas oder ich komme rein«, drohte Konstantin.

Wütend schnaubte Arianna. »Ich sitze auf der Toilette! Zufrieden? Kannst du nicht wenigstens ein paar Schritte den Flur runter warten? Das ist echt peinlich, zu wissen, dass du direkt vor der Tür stehst.«

»Glaub mir, ich bin auch nicht scharf darauf, dir bei so was Gesellschaft zu leisten, geschweige denn dir dabei zuzuhören. Wir kommen beide nicht drum herum«, erwiderte er trocken.

Hatte er gerade wirklich zuhören gesagt?! Die Tage in Gefangenschaft würden zu einer schlimmeren Folter, als Arianna es bislang für möglich gehalten hatte! Mit knallrotem Kopf beendete sie die Morgen­toilette und kam wieder auf den Flur.

Konstantin machte bei ihrem Anblick eine auffordernde Geste Richtung Treppe. »Ladys first.«

Als ob! Er wollte sie doch bloß nicht aus den Augen lassen. Garantiert fürchtete er, sie stieß ihn runter, sobald er ihr den Rücken zukehrte. Artig tat Arianna ihm den Gefallen und ging langsam die Treppe hinunter. Wenn die Flucht gelingen sollte, musste sie ihre Entführer zunächst in Sicherheit wiegen.

Sie wurde von Konstantin in die Küche geschoben. Dort steckte er den Kopf in den Kühlschrank. Die einzelnen Fächer quollen über vor lauter Lebensmitteln. Sie waren tatsächlich für eine Woche versorgt.

»Spiegel- oder Rühreier?«, fragte er über die Schulter.

»Rühreier«, gab sie knapp zurück.

Konstantin zog die Schachtel mit den Eiern hervor und stellte sie auf die Kochinsel. Arianna schwang sich auf einen der Barhocker und sah ihm zu. Das könnte interessant werden.

»Okay, Veganerin bist du schon mal nicht«, stellte er fest. »Vegetarierin?«

»Auch nicht.«

Nachdenklich kratzte Konstantin sich am Ohr. Er hielt eine Packung Speck in der Hand und machte keine Anstalten, sie zu den Eiern zu legen.

»Stimmt was nicht?«

»Ich habe das Gefühl, egal was ich sage, es wird falsch sein.«

Arianna kicherte unwillkürlich. »Falls du mich gerade möglichst taktvoll fragen willst, ob ich auch Speck möchte, dann ja, bitte. Ich liebe Speck!«

»Das wäre geklärt. Wie steht es mit Gluten oder Lactose? Hast du Allergien?«, wollte Konstantin als Nächstes wissen.

»Übertreibst du jetzt nicht ein bisschen?« Arianna zog verwundert die Augenbrauen hoch.

»Hey, ich versuche hier möglichst rücksichtsvoll zu sein, weil ich für uns kochen werde. Ich fände es einfach schade, wenn du, aus welchen Gründen auch immer, nicht mitessen könntest, und will dem vorbeugen.«

Das war überraschend aufmerksam von ihm. »Ich vertrage keine Haselnüsse.«

»Okay, mehr Nutella für mich«, stellte er mit frechem Grinsen fest.

Arianna grinste zurück. Das süße Teufelszeug durfte er gern behalten, wäre sowieso schlecht für die Figur.

Als Nächstes durchwühlte er die Küchenschränke, bis er zwei Pfannen zutage gefördert hatte. In der einen drapierte er die rohen Speckstreifen, in die andere schlug er die Eier, verquirlte und würzte sie. Das machte er definitiv nicht zum ersten Mal. Nebenbei fütterte er den Toaster mit Brot und schnitt Obst auf.

Ein köstlicher Geruch breitete sich in der Küche aus und Arianna sog ihn gierig ein. Sie wurde wehmütig. Das letzte Mal, dass ihr jemand Frühstück gemacht hatte, war mindestens zehn Jahre her. Damals war sie noch zur Grundschule gegangen und es war ihre Mutter gewesen. So was taten Mütter eben. Warum hatte Zac ihr eigentlich nie Frühstück gemacht? Wenigstens am Valentinstag. Wenn sie so darüber nachdachte, ließ ihr Verlobter sich ganz schön von ihr bedienen.

»Alles okay?« Konstantin beobachtete sie mit gerunzelter Stirn. Bei diesem Blick könnte man echt schwach werden. Dazu ein selbst gemachtes Frühstück in Kombination …

Vergiss. Nicht. Wer. Er. Ist!

Ja, war sie denn vollkommen verrückt und so leicht zu kaufen? Er wartete auf eine Antwort.

»Soll ich schon mal den Tisch decken?« Natürlich wich sie der Frage aus. Er konnte sie nicht zum Antworten zwingen. Obwohl, genau genommen könnte Konstantin das doch. Andererseits hatte er versprochen, ihr nichts anzutun, sie gut zu behandeln und nach ein paar Tagen sogar wieder gehen zu lassen. Es war verrückt, ein Teil von ihr glaubte ihm.

»Das wäre nett«, sagte Konstantin schließlich, als er einsah, keine andere Antwort von ihr zu erhalten.

Eifrig suchte Arianna nach Geschirr und Besteck sowie Untersetzer für die Pfannen und stellte alles auf den Wohnzimmertisch. Dann schaltete sie den Fernseher an. So musste sie nicht allzu viel mit Konstantin reden und war von ihren widersprüchlichen Gedanken abgelenkt.

Es lief ein Morgenmagazin. Auch heute war die gestrige Verfolgungsjagd das Tagesthema. Kraftlos sank Arianna auf einen Stuhl und lauschte dem Moderatorenpaar und einem Reporter. Die dramatisch in Szene gesetzten Ereignisse unterschieden sich kaum vom Bericht des vergangenen Abends. Es war nichts von Zac zu sehen oder zu hören, wie er darum bat, seine Verlobte schnellstmöglich zu finden.

»Warum sucht er mich denn nicht?«, flüsterte Arianna zu sich selbst und kämpfte mit den Tränen.

Konstantin stellte die Pfannen auf den Tisch und sie fuhr erschrocken zusammen. Sie wartete. Er sagte nichts.

»Was denn? Dieses Mal gibst du keinen spöttischen Kommentar ab?«

Konstantin schnaubte. »Wenn du nichts Nettes sagen kannst, sag besser gar nichts. Manchmal habe selbst ich so was wie Taktgefühl.«

Schweigend aßen sie und jeder hing den eigenen Gedanken nach. Es war lecker, nur hatte Arianna keinen großen Appetit mehr. Nach einer Weile stocherte sie lustlos in den Eiern herum.

Letztendlich war es Konstantin, der das Schweigen brach. »Es wird bald besser werden. Ich würde dir so gern alles erklären, aber das darf ich nicht.« Entweder meinte er es ernst oder er war ein guter Schauspieler.

»Was hindert dich denn daran?«, fragte Arianna müde.

»Es würde dir nicht helfen, sondern genau das Gegenteil bewirken.«

»Weil ich in Ruhe entgiften soll?« Skepsis schwang in ihrer Stimme mit.

Konstantins Gesicht hellte sich auf. »Ganz genau.«

Frustriert stöhnte Arianna. »Im Kryptische-Andeutungen-Machen bist du ein ganz Großer.«

Hatte er entgegen aller logischer Erklärungen wirklich den Schlüssel zu dem Chaos in ihren Gedanken, könnte er ihn Arianna doch einfach überlassen. Was war so schlimm daran?

Nachdem sie sich ein paar Minuten angeschwiegen hatten, räusperte Konstantin sich. »Bist du satt?«

Arianna nickte und sah ihm dabei zu, wie er aufstand und den Tisch abräumte.

Als alles wieder aufgeräumt war, fragte er: »Wollen wir das Wohnzimmer ein bisschen auf den Kopf stellen? Vielleicht finden wir irgendwo ein Kartenspiel oder ein Mensch ärgere Dich nicht oder wenigstens ein paar gute Bücher?«

Gekonnt zog Arianna eine Augenbraue hoch. »Ernsthaft?«

»Wir können auch den ganzen Tag schweigend herumsitzen und aus dem Fenster starren. Dann vergeht die Zeit erst recht nicht.«

Damit brachte er Arianna auf eine Idee. Forschend sah sie aus den bodentiefen Fenstern. Es wartete ein schöner Frühlingstag auf sie wie schon die ganze Woche über.

»Ich möchte hier nicht rumsitzen. Können wir vielleicht ein bisschen spazieren gehen und frische Luft schnappen?«

Jetzt war es an Konstantin, skeptisch dreinzuschauen.

»Sag bloß, du gehörst zur Fraktion Spaziermuffel?«, stichelte Arianna. Er sollte ihr die Bitte nicht allzu schnell abschlagen.

»Wir gehen ein Stück. Lass uns die Jacken holen. Morgens ist es zu kühl ohne.«

Mit neuem Elan rutschte Arianna vom Stuhl und flitzte möglichst lautlos die Treppe hoch. Leo sollte auf jeden Fall noch ein bisschen länger schlafen. Es wäre schon schwierig genug, Konstantin loszuwerden.

Fünf Minuten später standen sie vor der Hütte und gingen los. Schweigend liefen sie den Waldweg entlang. Arianna sah sich aufmerksam um und kundschaftete die Gegend aus. Wie gestern bereits befürchtet, waren sie im tiefsten Wald gelandet. Die Besorgnis, die deshalb in ihr aufstieg, schob sie rigoros beiseite. Arianna brauchte einen Plan, und zwar schnell.

Sobald sie Konstantin entwischte, konnte sie sich immer noch orientieren. Irgendwann käme sie dann schon zu einer Straße. Wenn sie erst mal wieder unter anderen Menschen war, half man ihr garantiert.

»Suchst du was?«, fragte Konstantin.

Ja, einen Fluchtweg … »Wieso fragst du?« Arianna gab sich möglichst unschuldig.

»Du siehst dich nach allen Seiten um, und das schon die ganze Zeit.«

Nervös biss sie in ihre Unterlippe. »Ich sehe mir nur die Blumen an«, antwortete sie schließlich. Es stimmte, der Waldboden war bedeckt von bunten Frühjahrsblühern. Auch wenn Arianna sie bis eben nicht beachtet hatte, so waren sie unleugbar schön. Ostern lag gerade erst hinter ihnen und der Frühling zeigte sich in seiner ganzen Pracht.

Jetzt sah auch Konstantin sich interessiert um. Ein leichtes Lächeln lag auf seinen Lippen. Was ihm wohl durch den Kopf ging? Andererseits konnte Arianna das herzlich egal sein. Sie witterte ihre Chance und nutzte sie.

»Die da hinten waren besonders hübsch«, sagte sie leichthin und deutete zurück.

Konstantin fiel tatsächlich darauf rein und drehte sich um. Entweder er war naiv oder sich seiner Sache zu sicher. Sofort rannte Arianna los. All ihre Kraft legte sie in diesen Sprint. Wenn sie es schaffte, aus seinem Blickfeld zu verschwinden, konnte sie ein Versteck finden und entkommen.

»Scheiße!«, fluchte Konstantin, sobald er den Fluchtversuch bemerkte, und stürmte ihr hinterher.

Zwar rannte Arianna so schnell wie sie konnte, trotzdem kamen Konstantins stapfende Schritte näher. »Bleib stehen!«, rief er atemlos. »Wenn du jetzt zurückgehst, wird es gefährlich für dich.«

Arianna hörte nicht auf ihn. An seiner Stelle würde sie sonst was erfinden, um ihr Opfer einzuwickeln. Sie tauchte unter einen tief hängenden Ast und sprang durch ein Gebüsch. An dessen stacheligen Zweigen blieb ihre Jacke hängen und Arianna hörte den Stoff reißen.

Sie hatte keine Zeit, sich damit zu befassen. Hinter dem Strauch fiel der schmale Weg steil ab. Panisch versuchte Arianna, einen Haken zu schlagen. Sie war zu schnell. Ihre Füße schlitterten durch den Matsch und sie knickte um. Gleich würde sie in den Abgrund stürzen. Panisch kniff sie die Augen zu. Sie wollte nicht sehen, was unter ihr lag.

Arianna verlor das Gleichgewicht und fiel. Konstantin erreichte sie und griff nach ihrem Arm. Er konnte sie auf dem abschüssigen Gelände nicht halten und wurde mit in die Tiefe gerissen.

9


Typisch Stier

Taunus, mitten im Wald

11. April 2018

Arianna

Starke Arme schlangen sich um ihre Taille und den Kopf. Gemeinsam rollten sie den Hang hinunter. Arianna verlor die Orientierung und konnte nicht sagen, wie lange der Sturz dauerte, ob es nur Sekunden oder sogar Minuten waren.

Abrupt hielten sie an. Konstantin stöhnte gequält auf. »Verfluchte Scheiße!«

Arianna schwirrte der Kopf. Sie wusste kaum, wo oben und unten war. Als sie sich sortiert hatte, wand sie den Kopf aus dem Klammergriff.

Bis auf den Fuß war sie unversehrt. Konstantin hatte die Augen fest zusammengepresst, sein Gesicht war schmerzverzerrt. Den Griff um ihre Taille lockerte er trotzdem nicht. Sie lagen Brust an Brust auf dem Waldboden. Ein Baum hatte sie gebremst. Wie es aussah, war Konstantin mit dem Rücken dagegengekracht. Arianna wollte sich befreien. Zwar war es fies, ihn hier liegen zu lassen, aber er war es, der sie entführt hatte, und nicht umgekehrt.

Sein Griff wurde fester und langsam öffnete Konstantin ein Auge. »Wenn du noch mal versuchst abzuhauen, war heute das erste und letzte Mal, dass ich dir Frühstück gemacht habe.«

Arianna hielt in ihren Bemühungen inne. Sie hatte mit Mordlust gerechnet. Das Einzige, was in seinem Blick aufblitzte, war freundlicher Spott. Sie wurde von dem Drang erfüllt, sich bei ihm zu entschuldigen. Damit die verräterischen Worte blieben, wo sie waren, biss sich Arianna auf die Lippe.

Langsam setzte Konstantin sich auf, wobei er den Griff ein wenig lockerte. »Ich habe doch glatt vergessen, wie dickköpfig und unbelehrbar du sein kannst. Typisch Stier.«

Was sollte das denn bedeuten? »Pah, du liegst falsch! Ich bin Fische.« Damit zufrieden, recht zu haben, grinste Arianna ihn an.

Konstantin war nicht überrascht. »Geboren am 13. März ’98. Genau wie ich oder Leo und noch ein paar andere. Laut chinesischem Horoskop wären wir alle Tiger. Das hat in unserem Fall nicht viel zu sagen.«

Woher wusste er …? »Wie lange spionierst du mich schon aus?«

Verwundert sah er sie an. »Deinen Geburtstag kannte ich schon. Schließlich ist er am selben Tag wie meiner. Zum ersten Mal gesehen habe ich dich an dem Tag, als ich in deinen Laden kam und du einen Strauß für meine Mutter binden solltest.«

»Was soll das heißen, endlich gefunden? Wieso hast du mich gesucht?« Dieses Mal ließ er Arianna aufstehen. Sie schwankte zwischen Angst, dem Drang, vor ihm wegzulaufen, und ihrer inneren Unruhe, die mehr erfahren und Antworten bekommen wollte.

»Ich habe schon wieder zu viel gesagt«, murmelte Konstantin und mied ihren Blick. »Kannst du nicht einfach noch ein paar Tage abwarten? Dann wirst du es von selbst wissen.«

»Wie soll das denn funktionie… aua!« In der Zwischenzeit hatte Arianna sich richtig hingestellt und den Fuß belastet, was sich als schwerer Fehler herausstellte. Ein stechender Schmerz zog durch das Gelenk und sie verzog das Gesicht.

»Was hast du?« Konstantin klang alarmiert und rappelte sich auf.

»Etwas ist mit meinem Fuß«, gab sie zerknirscht zu. Weglaufen fiel damit endgültig aus. Verdammter Mist!

Er kam ebenfalls auf die Beine und musterte Arianna von oben bis unten. In seinem schwarzen Haar und an der Jacke hingen Blätter. Die Jeans wies zahlreiche Matschflecken auf. Sie selbst sah kaum besser aus.

Einer seiner Mundwinkel hob sich. »Dann hat sich das mit dem Fluchtversuch wohl erst mal erledigt.«

So ein Arsch! Arianna sah ihn böse an. War ja klar, dass die Verletzung diesem Kerl gerade recht kam.

Konstantin ließ sich von ihrem Blick, bei dem er eigentlich hätte tot umfallen müssen, nicht aus der Ruhe bringen, sondern lachte leise. »Da hast du uns einen schönen Schlamassel eingebrockt.«

Auf einem Bein stehend sah Arianna sich um. Der Weg, von dem sie abgestürzt waren, lag mindestens zehn Meter über ihnen. Allerdings waren sie nicht bis hinunter ins Tal gerollt, sondern auf halber Höhe ausgebremst worden. Egal in welche Richtung sie kletterten, es käme auf etwa dieselbe Strecke hinaus. Wobei Arianna sicher war, nicht klettern zu können, weder nach oben noch nach unten. Dazu tat der Knöchel zu weh, selbst wenn sie, so wie jetzt, den Fuß nicht belastete.

Konstantin sah über die Schulter. »Runter wäre leichter. Da ich noch nie hier gewesen bin, habe ich keine Ahnung, ob es da unten einen Weg gibt, geschweige denn ob der uns wieder zur Hütte führt.«

»Warum rufst du nicht Leo an?«, fragte Arianna vorsichtig. »Vielleicht gibt es im Schuppen ein Seil und er kann uns hoch helfen.«

»Ich habe mein Handy nicht mit. Selbst wenn, würde ich es nicht einschalten, ist zu riskant.«

»Was denn«, setzte sie spöttisch an, »hast du etwa Angst, man könnte nicht nur meines, sondern auch deines orten?«

»Ist schon vorgekommen«, antwortete Konstantin leichthin.

»Das spricht nicht unbedingt für dich«, stichelte Arianna weiter.

»Oder für meine stalkende Ex«, gab er unbeeindruckt zurück. »So oder so bin ich der Einzige, der dich jetzt von diesem Hang schaffen kann, wenn wir nicht bis zur Abenddämmerung warten wollen. Daher sei so gut und spiel ausnahmsweise mit.«

»Was hast du denn vor?«

»Ich nehme dich auf den Rücken und klettere wieder hoch. Dabei werde ich allerdings meine Hände brauchen. Das heißt, du musst dich auch mit den Beinen an mir festhalten. Wenn wir oben sind, kannst du deinen Fuß entlasten. Den Weg zurück trage ich dich huckepack.« Konstantins Blick schweifte über den Hang.

»Hast du so was schon mal gemacht? Was, wenn wir noch weiter abstürzen?« Die Vorstellung, ihm so nahe zu sein, behagte Arianna nicht.

»Bisher nur gesichert an Kletterwänden und ohne Ballast auf dem Rücken. Wenn ich abrutsche, hat sich die Frage erledigt, ob wir unser Glück nicht lieber mit dem Tal versuchen sollen.«

Jetzt hätte Arianna sich gern darüber aufgeregt, von ihm als Ballast bezeichnet worden zu sein. Zu blöd, dass es leider der Wahrheit entsprach. Sie wollte nicht länger hierbleiben und musste sich wohl oder übel fügen. Die Aussicht, auf einem bequemen Sofa die Beine hochzulegen, war verlockend. »Dann versuchen wir es.«

Kommentarlos drehte Konstantin sich um, ging in die Hocke und streckte die Arme nach hinten. Arianna machte einen Schritt auf ihn zu, umschlang widerwillig seinen Hals und ließ es zu, dass er nach ihren Oberschenkeln griff. Ächzend stand Konstantin auf und stieß hart die Luft aus.

»Komm schon, so schwer bin ich auch nicht.« Sie verschränkte die Beine vor seinem Bauch, auch wenn der Schmerz dadurch stärker wurde.

»Niemals würde ich wagen, etwas Gegenteiliges zu behaupten.« Mit diesen Worten griff Konstantin nach einer Wurzel, die halb aus der weichen Erde lugte, und zog sie beide hoch.

Er schwankte gefährlich und Arianna fühlte sich wie ein Klammer­affe. Die Sorge, sie könnten abrutschen und in die Tiefe stürzen, wurde immer größer. Verdammte Höhenangst! Sie vergrub das Gesicht an Konstantins Hals und schloss die Augen. So bekam sie nicht bei jedem Schritt eine Panikattacke. Dadurch wurde sie sich des Mannes, an den sie sich klammerte, umso bewusster.

Die Haare in seinem Nacken kitzelten an der Nase. Sie atmete tief ein. Das Shampoo, das er benutzte, roch gut. In Kombination mit dem frischen Schweiß ließen der Geruch und das Schaukeln sie vergessen, mit wem sie hier war, und sie entspannte sich ein wenig.

Konstantin kletterte verbissen weiter und kam halbwegs voran. Arianna wagte es nicht, die Augen zu öffnen, um herauszufinden, wie weit es noch war. Der Ruck, der durch sie beide ging, kam überraschend. Sie kreischte erschrocken auf und verstärkte ihren Griff. Ein gutes Stück rutschten sie den Hang hinunter. Konstantin fing sich ab und bremste sie.

Sein Atem ging schwer. »Du erwürgst mich gleich.«

Widerwillig lockerte Arianna sich ein bisschen und zwang die verkrampften Muskeln, sich zu entspannen. »Tut mir leid«, murmelte sie und schlug die Augen auf. Verlöre Konstantin noch mal den Halt, käme es wenigstens nicht so überraschend.

Sie hatten schätzungsweise die Hälfte geschafft. Etwa zwei Meter weiter oben war die Erde aufgewühlt und eine breite Schleifspur zog sich zu ihnen runter. Eine dünne Wurzel ragte dort aus dem lockeren Waldboden. Offensichtlich war sie der Übeltäter und hatte ihr gemeinsames Gewicht nicht getragen.

»Auf ein Neues!« Konstantin suchte mit den Fingern nach einer Vertiefung und zog sich hoch.

Arianna wagte es nicht, sich zu bewegen oder auch nur den Mund aufzumachen, aus Angst, seine Konzentration zu stören.

Ein paar Minuten später, die ihr wie eine Ewigkeit vorkamen, hatten sie die obere Kante erreicht und Konstantin hievte sich auf den Weg. Er blieb keuchend auf allen vieren und rang nach Luft. Arianna rutschte von ihm runter, um ihm eine Pause zu gönnen.

»Geht gleich wieder.« Konstantin rappelte sich auf und setzte sich zu ihr auf den Waldboden. Vorsichtig warf er einen Blick den Hang hinunter.

Die schwarzen Haare klebten ihm verschwitzt im Gesicht und das schlechte Gewissen überkam Arianna erneut. Das war vollkommen bescheuert von ihr! Wie kam sie nur auf die Idee, Mitleid für ihren Entführer zu empfinden? Trotzdem konnte sie die Vertrautheit zwischen ihnen nicht leugnen. Sie war einfach da. Vielleicht lag sie darin begründet, dass Arianna das Gefühl nicht loswurde, Konstantin kannte sie, aus welchem Grund auch immer, besser als sie sich selbst.

Er wischte sich die Haare aus der Stirn und ging wieder in die Hocke. »Komm her. Der Rest wird dagegen ein Klacks.«

Arianna krabbelte zu ihm und zog sich auf seinen Rücken. Vorsichtig stand Konstantin auf und setzte sich augenblicklich in Bewegung. Dieses Mal ließ sie ihre Füße baumeln. Seine Hände waren warm und fassten ihre Oberschenkel von unten.

Den restlichen Weg über schwiegen sie beide. Wahrscheinlich sparte Konstantin seinen Atem, bis sie wieder in der Hütte waren. Dort würde er sie garantiert anbrüllen und in einer Ecke anbinden.

Am Ende des Weges kam das Ferienhaus in Sicht und beide atmeten erleichtert auf. Schnellen Schrittes lief Konstantin die letzten hundert Meter. Umständlich öffnete er die Tür und trat ein. Er steuerte den Wohnbereich des Hauses an und durchquerte die offen gebaute Küche. Hinter der Kochinsel stand Leo. Seine blonden Locken waren zerzaust. Er trug lediglich ein T-Shirt und Boxershorts. Gerade machte er sich gierig über die Reste des Frühstücks her und aß direkt aus der Pfanne.

Als er die Schritte hörte, sah er auf und ließ die Gabel auf halbem Weg zum Mund in der Luft verharren. »Was ist denn mit euch passiert?«

Konstantin schnaubte. »Wir waren picknicken.«

»Was du nicht sagst. Muss ja sehr romantisch gewesen sein, wenn man bedenkt, wie ihr euch über den Boden gewälzt haben müsst, um so auszusehen.«

»Nicht wahr? Ich habe sämtliche Geschütze aufgefahren. Sie konnte gar nicht anders, als mich direkt zu bespringen.«

Arianna traute ihren Ohren nicht. Rissen die beiden über den offensichtlichen Fluchtversuch wirklich Witze?

Vor dem Sofa hielt Konstantin an und setzte sie vorsichtig ab. »Ruh dich aus«, sagte er seufzend, während er die Sofadecke über ihr ausbreitete. Dann wandte er sich ab und drehte ihr den Rücken zu.

Das war alles? Wo blieben das Geschrei und die Androhung von Gewalt?

Perplex sah Arianna ihm hinterher. Auf dem Weg zur Treppe streifte Konstantin sich die schmutzige Jacke ab. »Passt du ein bisschen auf sie auf? Ich muss dringend duschen.«

»Klar, kein Problem«, antwortete Leo sofort.

Der Stoff von Konstantins T-Shirt war in der Mitte des Rückens dunkler. Der Rückweg musste für ihn verdammt anstrengend gewesen sein. Sobald er die Treppenstufen erreichte, zog er sich im Gehen das Shirt über den Kopf.

Erschrocken sog Arianna die Luft ein. Eine großflächige Verletzung verunstaltete die gebräunte Haut. Schürfwunden und rote Flecken waren über Konstantins breiten Rücken verteilt. Im Bereich der Lendenwirbelsäule war es besonders auffallend. Dort war er gegen den Baum gekracht, der ihren Fall gebremst hatte.

Das musste wahnsinnig wehtun. Trotzdem hatte Konstantin sie getragen, ohne sich zu beklagen. Was stimmte mit ihm bloß nicht? Er hätte allen Grund, unfassbar wütend auf sein Opfer zu sein. Statt­dessen deckte er sie sogar zu.

»Soll ich dir einen Tee kochen?«, fragte Leo aus der Küche.

Arianna riss sich von Konstantins Anblick los. Er war ohnehin gerade im oberen Stockwerk verschwunden. »Das wäre sehr nett«, sagte sie hastig.

»Welche Sorte hättest du gern? Hast du eine spezielle Vorliebe?«

»Ganz egal, nur keinen Hibiskus in der Mischung. Der Geschmack übertüncht alles andere und ich mag ihn nicht.«

»Okay, ich guck mal, was wir dahaben.«

Fünf Minuten später hielt Arianna eine Tasse Pfefferminztee in den Händen und genoss die Wärme. Leo hatte ihr auch eine kalte Kompresse mitgebracht. Zusätzlich entzündete er den Kamin. Danach ließ er sich in einen der Sessel sinken und schaltete den Fernseher ein.

Nach einer Weile kam Konstantin wieder runter. Er hatte sich frische Klamotten angezogen. Seine Haare waren feucht und die Spitzen im Nacken kringelten sich leicht.

Ariannas Puls beschleunigte sich bei diesem Anblick. Sie spürte eine Mischung aus Angst und Aufregung. Konstantin warf einen Blick auf die große Uhr im Wohnzimmer. Es war kurz nach ein Uhr mittags.

»Wie sieht’s mit Essen aus? Habt ihr Hunger?«

»Na klar!«, rief Leo freudig aus.

Konstantin verdrehte die Augen. »Dich habe ich nicht gefragt. Dass du verfressen bist, weiß ich. Arianna?«

Sie wand sich unbehaglich. »Du kannst auch erst mal eine Pause machen.«

»Hast du Hunger?«, fragte er noch einmal.

Zur Antwort knurrte ihr Magen laut und Arianna wollte sich am liebsten unter der Decke verstecken. Vom Frühstück hatte sie kaum etwas gegessen und auch gestern war es nur wenig gewesen.

»Ich werte das als Ja.« Grinsend ging Konstantin in die Küche.

»Willst du in der Zwischenzeit vielleicht auch duschen?«, fragte Leo.

Arianna verzog das Gesicht. »Ich kann nicht richtig stehen und hätte allein womöglich Schwierigkeiten. Heute Abend werde ich es mal versuchen. Bestimmt geht es meinem Fuß dann besser.«

Leo nahm ihre Antwort hin und sah wieder zum Fernseher. Es interessierte ihn gar nicht, was genau vorgefallen war. Er zappte durch die Kanäle und konnte sich für nichts begeistern. »Ich vermisse unseren Netflix-Zugang.«

»Ein paar Tage wirst du ohne überleben«, erwiderte Konstantin. »Bald kannst du deinen Hintern wieder auf Selenes Sofa parken und weiter vor dich hin verblöden.«

»Hey!«, empörte sich Leo. »Das ist Qualitätsfernsehen. Du weißt doch, wie man sagt? Wenn man keine Ahnung hat …«

»Im Gegensatz zu dir habe ich mehr zu tun, als mir vorm Fernseher den Arsch platt zu sitzen«, meinte Konstantin.

Unwillkürlich lachte Arianna. Das Geplänkel der beiden war witzig. »Wie wäre es mit einer DVD? Haben wir welche hier?« Ein Film löste das Problem hoffentlich und brachte sie alle auf andere Gedanken.

Leo schenkte ihr ein anerkennendes Lächeln. »Ich mag deinen Pragmatismus.« Er stand auf und öffnete das Schränkchen unter dem Fernseher.

Darin befanden sich tatsächlich ein paar Plastikhüllen. Leo las die Titel vor: »Der Pate, Fightclub, Vier Fäuste für ein Halleluja, Titanic, The Fast and the Furious 2, oder nee, das müsste der dritte sein, Die Eiskönigin …«

»Oh, den liebe ich!«, rief Arianna begeistert.

»Dann gucken wir ihn.« Konzentriert schnippelte Konstantin vor sich hin und warf gerade etwas in einen Topf.

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